Demonstration und AgitProp-Aktion in Göttingen

Es ist Zeit...
für den revolutionären Antifaschismus!

Göttingen. Es ist mal wieder Zeit. Zeit für Jahrestage. So darf am 3. Oktober erstmals eine Rot/Grüne Regierung den Tag der deutschen Einheit begießen - was sie sich redlich verdient hat. In kaum einem Jahr hat sie die "deutschen Interessen" mit mehr Brutalität und Erfolg vertreten, als es CDU/CSU/FDP wagen durften. Die Militarisierung nach innen wurde konsequent fortgeführt, die nach außen erreichte mit deutschen Soldaten an vorderster Front eine neue Dimension. Und das ist erst der Anfang in Sachen aggressive Großmachtpolitik: Schon Ende 2000 soll das Militärbündnis "Westeuropäische Union" als EU-Heer Gewehr bei Fuß stehen. Womit Deutschland sich die zentrale Position in einem neuen wirtschaftlich-militärischen Machtblock gesichert hätte, der den USA durchaus Konkurrenz machen kann. Das zentrale imperialistische Projekt Deutschlands in diesem Jahrhundert steht somit - wenn auch mit einigen Umwegen - kurz vor seiner Vollendung: Die Erlangung einer Vormachstellung in Westeuropa und die wirtschaftliche und im Zweifelsfall auch militärische Kontrolle der "Ostgebiete". Die "neue Mitte" kämpft für Deutschland und Menschenrechte - Da können Schröder und Fischer die Sektkorken knallen lassen.

Genau dieser Politik wird in Göttingen seit 1990 am Vortag Widerstand entgegengesetzt: Wo ein 3. Oktober ist, da ist auch ein 2. nicht weit. "Es ist Zeit... für den revolutionären Antifaschismus" lautet das Motto der Demonstration, die auch dieses Jahr den großdeutschen Normalzustand in Frage stellen will. Wie seit jeher wird am 2. Oktober die Systemfrage gestellt. Ohne taktische Umschweife heißt es wieder: Kapitalismus abschaffen! Über eigenkulturelle Aktionsformen werden linksradikale Positionen der Öffentlichkeit präsentiert. Gerade am Vorabend des neuen Jahrtausends ist die Zeit immer noch reif für die Linke, um laut zu sagen: Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte! Es gibt Alternativen zu Ausbeutung und Unterdrückung! Und diese Alternativen müssen erkämpft werden.

Die inhaltlichen Schwerpunkte des Tages - Europäische Union, die Remilitarisierung Deutschlands nach außen und die "Innere Sicherheit" - die linksradikale Position zu einem Themenkomplex aus, der durch das Machtkonzept der "alten" wie der "neuen Mitte" bereits miteinander verknüpft ist: "Innere Sicherheit" kann nicht mehr gedacht werden ohne Europol, Die EU gewinnt ihre ganze Bedeutung erst im Gefüge neu entstehender Machtblöcke. Und die verständigen sich, wie schon immer, im Zweifelsfall über das Mittel des Krieges. In diesem Konglomerat imperialistischer Projekte findet auch der Geschichtsrevisionismus einen festen Platz. Endlich können die Deutschen zu Auschwitz stehen - denn es liegt jetzt ja überall, wo die rot-grünen Pseudoantifaschisten es sehen wollen. So gibt plötzlich der Holocaust den Deutschen die Legitimation, weltweit nach Belieben militärisch zu agieren, wenn nur eine Bedrohung der Menschenrechte herbeigeredet werden kann. Denn wer könnte eine größere Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte haben, als der, der aus Auschwitz gelernt hat? Am scheinbar geheilten "deutschen Wesen" soll nun wieder die Welt genesen. In der Logik der neuen Machtelite bedeutet "Nie wieder Auschwitz" jetzt "Deutschland, Deutschland über alles".

Was den Blick widerum auf die spezifisch sozialdemokratische Strategie der Machterhaltung lenkt. Der Spagat zwischen eigentlich "links sein" und deutscher "Realpolitik" ist für Schröder, Fischer Scharping und Volksgenossen eher eine Pirouette. Wer sich lange genug um sich selbst dreht, der definiert politische Begriffe wie "links" oder "rechts" irgendwann ganz unabhängig von der Realität mühelos neu. Nur so funktioniert es, daß diejenigen, die gegen Krieg auf die Straße gehen, plötzlich - wenn man Joseph Fischer glauben schenkt - Faschisten sind.

Die Olivgrünen zeigen, daß jeder emanzipatorische Ansatz früher oder später um hundertachtzig Grad gedreht werden und als Stütze oder sogar Waffe des Kapitalismus verwendet werden kann - Es sei denn, er stellt bereits in sich die berühmt-berüchtigte Systemfrage.

So weit, so schlecht. Ein Teil der Antwort linksradikaler Kräfte auf den endgültigen Seitenwechsel der Linksliberalen ist es, eigene Positionen durch unmißverständliche Begriffe darzustellen. Zentral dabei ist der des Antifaschismus, der von linksliberaler genauso wie von konservativer Seite eine Sonderbehandlung erfährt: Zwar sind auch diese bürgerlichen Kräfte "gegen Faschismus", den Begriff des Antifaschismus umschiffen sie aber und stellen ihn vorzugsweise als "Deckmantel" für "linksextremistische", also antidemokratische Kräfte dar. Ein Grund dafür ist, daß Antifaschismus einer der wenigen gemeinsamen Nenner der radikalen Linken ist. Gegen diese "Extremisten" stellen die Vertreter der "Neuen Mitte" die Verteidigung "demokratischer Grundwerte". Was in dieser Weise als staatliche Entsprechung zum Antifaschismus daherkommt, nimmt seine verheerendsten Formen z.B. in der Bombardierung Jugoslawiens gegen die implizit so bezeichneten "serbischen Faschisten" an. Für die radikale Linke ist Antifaschismus damit ein Ausgangspunkt, der klar vom bürgerlichen "Antiextremismus" abzugrenzen ist. Ein Möglichkeit dazu ist es, den direkten Bedeutungszusammenhang zum Wort "revolutionär" herzustellen.

Der 2. Oktober also als Tag des Kampfes um die eigene Identität? Auf jeden Fall ist er eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen die radikale Linke in Göttingen mit ihren grundsätzlichsten Zielen an die Öffentlichkeit tritt. Ein solches Anliegen ist es, den Charakter der eigenen Bewegung in den Vordergrund zu stellen - und der wird mit dem "revolutionären Antifaschismus" am treffendsten beschrieben. Die Behauptung, "Antifa" würde sich hiermit nur noch auf sich selbst beziehen, trifft nicht zu - denn der Begriff "revolutionär" kann immer nur in der Kritik der bestehenden Verhältnisse konkretisiert werden. Und daß es in dem Bereich genug zu tun gibt, sollte nicht bestritten werden.

[!] [+]