Angehörigen Info 187

7.11.1996

Herausgegeben von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD


Zur aktuellen Situation des Hungerstreiks der baskischen politischen Gefangenen

Inzwischen ist die dritte Gruppe von baskischen politischen Gefangenen in die unbefristete Hungerstreikkette eingetreten, die am 9. 9.96 begann.


Sie stellt eine neue und härtere Phase des Kampfes des baskischen Gefangenenkollektivs dar, mit dem Ziel, die Forderungen der Gefangenen und ihrer Angehörigen endlich durchzusetzen. Diese Forderungen sind:

- die sofortige Zusammenlegung der baskischen politischen Gefangenen im Baskenland

- die strikte Respektierung der Menschenrechte in den Knästen

- die sofortige Anwendung des Artikels 60 des Strafvollzugsgesetzes, nach dem schwer und unheilbar erkrankte Gefangene freigelassen werden müssen

- und die Freilassung all der Gefangenen, die bereits drei Viertel der Strafe abgesessen haben, auf Bewährung. Das trifft auf über 130 Gefangene des Kollektivs zu.

Bereits von Januar bis März diesen Jahres hatten die baskischen Gefangenen mit einem Hungerstreik für diese Forderungen gekämpft und bis September weitere Aktionen in den Knästen - Chapeos, d. h. Weigerungen, die Zelle zu verlassen, und Kommunikationsstreiks - durchgeführt.

Der neuerliche Hungerstreik des baskischen Gefangenenkollektivs begann am 9. September 1996 mit der Nahrungsverweigerung von 23 baskischen Gefangenen, die in spanischen oder französischen Knästen inhaftiert sind. Am 1. Oktober schlossen sich 25 weitere Gefangene dem Streik an. Die erste Gruppe der Hungerstreikenden unterbrach nach einer Aufforderung der Angehörigenorganisationen ihren Streik am 3.10. Die meisten Gefangenen hatten bis dahin etwa 12 Kilogramm Gewicht verloren, einige sogar 13 Kilo. Viele waren aufgrund der miserablen Gesundheitsversorgung während des 24tägigen Streiks erkrankt und wurden kaum oder schlecht medizinisch behandelt. Mindestens drei Gefangene mußten ins Knastkrankenhaus eingeliefert werden. Auch die zweite Gruppe der Streikenden ist auf spanische und französische Knäste und auch auf Knäste im Baskenland verstreut: La Sant e, Martutene, Alcal a Meco, Carabanchel, Cuenca, Ourense, Topas, Uzerche, Valladolid und Valdemoro.

Neben der absolut schlechten und unzureichenden Gesundheitsversorgung versuchen die Knastleitungen, die Gefangenen mit weiteren Repressalien unter Druck zu setzen. Im Knast La Sant e im französischen Staat wurden die zwei Hungerstreikenden der ersten Gruppe auf medizinische Anordnung hin sofort bis zum Ende ihres Streiks isoliert und ihre Briefkontakte unterbunden. Aus Protest schlossen sich daraufhin weitere sechs baskische Gefangene im selben Knast dem Hungerstreik an, andere protestierten mit der Weigerung, ihre Zelle zu verlassen ("chapeo"). Ein Gefangener, Maritxu Uzkudun, wurde mitten im Hungerstreik von Carabanchel nach Martutene verlegt. Verlegt wurde ebenso Julen Fernandez zwei Tage nach Beginn des Streiks der zweiten Gruppe, und zwar unter der Begründung, er würde "schlechten Einfluß auf seine Freunde ausüben". Zusätzlich wurde der Briefverkehr von ihm und der eines zweiten Gefangenen, Inaki Zugadi, unterbrochen.

Speziell ist die Situation auch im Knast Alcal a Meco, in dem sich eine ansteckende Lungenentzündung ausgebreitet hat. Laut den Verantwortlichen der Knastleitung wurde das warme Wasser der Duschen abgedreht, um die Weiterverbreitung des Virus durch den Wasserdampf zu verhindern (!). In Alca a Meco sitzt neben Patxi Anorga, der am Hungerstreik teilnimmt, auch der HIV-positive Benjamin Ramos Vega, der im Juni 1996 von Berlin an den spanischen Staat ausgeliefert wurde. Sein Gesundheitszustand hatte sich in den letzten Monaten durch die schlechten hygienischen und medizinischen Bedingungen in den spanischen Knästen bereits deutlich verschlechtert.

Auch bei der zweiten Gruppe der Hungerstreikenden wurden die Effekte des Streiks nach einer Woche sichtbar. Joaquin Sancho Biurrun hatte bereits in den ersten vier Tagen acht Kilo verloren, und Beatriz Quintanilla, die schon zu Beginn der Aktion nur 41 Kilogramm wog, hatte bereits dreieinhalb Kilo abgenommen.

Draußen wird der Hungerstreik des Kollektivs breit unterstützt. Im September fanden in 7 europäischen Staaten Solidaritätshungerstreiks von 550 Angehörigen der politischen Gefangenen statt, um die Situation der politischen Gefangenen europaweit bekannt zu machen, ihre Forderungen zu unterstützen und ihre Solidarität auszudrücken. In Donosti im Baskenland gibt es schon seit dem 16. Dezember letzten Jahres, also schon seit über 10 Monaten, einen jeweils einwöchigen Solidaritätshungerstreik von Angehörigen und FreundInnen in der Kirche Buen Pastor. Die Breite der Unterstützung bedeutet aber nicht unbedingt, daß alle Forderungen mitgetragen werden. So vertreten manche Sektoren, inzwischen eben auch die PNV, eine Politik der "Annäherung" und nicht der Zusammenlegung der baskischen Gefangenen. Mit dieser Politik will sich die PNV als Vertreterin baskischer Interessen darstellen und die radikale Bewegung gleichzeitig bremsen und spalten.

Anfang Oktober sorgte diese Forderung jedoch auf parlamentarischer und Regierungsebene für einen heftigen Streit in der Regierungskoalition zwischen der rechten Partido Popular (PP) unter Aznar und den baskischen Parteien und hinterließ ein großes Presseecho. Grund des Krachs ist die Zustimmung des baskischen Parlaments zu einer Resolution der Menschenrechtskommission des baskischen Parlamentes. Diese Resolution fordert zwar nicht die Zusammenlegung, sondern nur eine "Annäherung" der baskischen Gefangenen an Euskadi, unterstützt aber auch die Forderungen nach Freilassung der schwerkranken und der Gefangenen, die drei Viertel ihrer Strafe abgesessen haben. Unterzeichnet und getragen wurde das Papier von den Parteien PNV, IU, EA und Herri Batasuna (HB). Der "Skandal" für die PP besteht nun darin, daß die PNV und auch andere Parteien im baskischen Parlament mit der verpönten Herri Batasuna als angeblichen "politischen Arm der ETA" eine gemeinsame Resolution für die Gefangenen verabschieden, obwohl sie im Anti-ETA-Pakt von Ajuria Enea zusammengeschlossen sind. Die PP zeigt nicht die geringste Bereitschaft, sich in der Frage der Gefangenen zu bewegen.

Die baskischen Parteien forderten in ihrer Resolution, daß als erster Schritt die baskischen Gefangenen von den Inseln (Mallorca, Ibiza, Tenerife, Salto del negro) und von Ceuta und Melilla auf die Iberische Halbinsel verlegt werden sollen. Auch die französische Regierung wird aufgefordert, die baskischen Gefangenen so nah wie möglich zu ihren Heimatorten zurückzuverlegen. Dabei bezieht sich das baskische Parlament auf eine Resolution des Europaparlaments vom 17. Januar 1996, in der dies als allgemeine Forderung ebenfalls erhoben wird. Die Menschenrechtskommission des baskischen Parlamentes kündigte an, ein Treffen mit der Menschenrechtskommission des Europarates einzuberufen und eine Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg einzulegen, falls die Gefangenen nicht so nah wie möglich an ihre Heimatorte zurückverlegt würden.

Der Streit zwischen der Regierungspartei PP und den baskischen Parteien über die Unterstützung dieser Resolution hat einen ziemlichen Riß im Pakt von Ajuria Enea verursacht. Von dem Anti-ETA-Pakt ist im Augenblick nicht mehr viel übrig.

Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega, Wilhelmstr. 9, 10963 Berlin, Stand 29.10.96


Christian Klar zum zapatistischen Aufstand

als zur jahreswende 93/94 der zapatistische aufstand in chiapas über die nachrichtenmedien ging, konnten wir damit die erste antwort von menschen erblicken, die der "weltweite sieg des marktes", der seit beginn der 90er jahre auf der globalen bühne in blinder manie zelebriert wird, zu überflüssigen in der ordnung des geldes macht.

diese menschen gibt es überall, und ihre zahl wächst täglich. in der "3. welt" wie in den ökonomisch potentesten ländern, im osten oder "nirgendwo" als flüchtlinge.

der aufstand zwingt den blick auf die mauern, die der fall der berliner mauer errichtete - nafta wie auch unifomierte menschenfänger an den äußeren grenzen der festung europa, verschuldung bis in die 10. generation wie auch täglicher entzug von grundversorgung, bildung und materieller lebensgrundlagen.

viel beachtet wird die politik der zapatistischen stimmen, vision und zugleich theoretische improvisation, die berechtigt ist, um nicht zu unzeit strategien zu behaupten, deren entwicklung gerade beginnen soll. der gemeinsame boden ist einfach die solidarität derer, die aufstehen, um verantwortung für ein menschenwürdiges leben zu übernehmen.

indem wir den "ersten aufstand des 21. jahrhunderts" begrüßen, versuchen wir im nächsten augenblick schon zu verstehen, und das bedeutet, die verpflichtung einzugehen, diesen aufstand nicht zu beladen mit irgendeiner haltung von projektion und passiver erwartung.

der aufstand beansprucht nicht weniger, sondern viel mehr als eine neuanpassung von befreiungsstrategien in einer veränderten welt. es wird darauf aufmerksam gemacht, daß es gilt, politik überhaupt neu in die welt zu bringen - in einer zeit von globalem totalem markt, beute-loyalitität, kriegsfürsten, g-7-obskurantismus, vergiftung und verachtung. ein sieg des kapitalismus?

die wahrheit ist, daß die bürgerliche gesellschaft sich aus der geschichte bereits verabschiedet hat, aber das gerippe von raub, geschäft und hochgerüsteten wächtern des besitzes noch stark ist.

dazwischen müssen wir das drama und die grausamkeit bestehen. die 90er jahre des 20. jahrhunderts sind das elend eines "30jährigen krieges" und das verstummen der kühnheit.

europa präsentiert den schwellenden kraftkörperkult, der sich im spiegel betrachtend selbst genügt, saubergeputzte naturschwärmerei für die sensibleren und den erfolgreifen single - dahinter stimuliert es haß auf die glanzlosen elenden.

sie erklären die massen ohne machtbedeutung zu menschlichen müll.

nachdem die internationale klasse der besitzer und finanziers schon ein jahrhundert lang die verzweiflung und verwahrlosung als nationale und ethische konflikte manipuliert, die predigt der "einen welt" verhallt ist, ist mit dem vorschlag des treffens chiapas, eine ahnungsvolle list der geschichte, das thema der politischen ökonomie und der einheit der besitzlosen wieder ausgesprochen worden.

das morgen rührt sich und fragt nach einem gesicht.

(7/96)


Kurdische Hungerstreiks teilweise erfolgreich. Weitere Übergriffe auf Gefangene


Der am 27. 9. aus Protest gegen das Massaker im Gefängnis Diyarbakir begonnene Hungerstreik der PKK-Gefangenen im Gefängnis Bayrampasa wurde am 8. 10. nach erfolgreichen Verhandlungen zwischen der Gefängnisstaatsanwaltschaft und der Republikstaatsanwaltschaft auf der einen und Gefangenenvertretern auf der anderen Seite beendet. Bei den Verhandlungen wurde ein 18-Punkte-Katalog mit Zusagen der Verbesserung der Haftbedingungen angenommen. Auch für die Gefängnisse Diyarbakir, Bursa, Kayseri, Nevshir, Erzurum, Malatya, Konya, Batman, Sürt und Istanbul wurden Protokolle unterzeichnet. Die Hungerstreiks der PKK-Gefangenen in den Gefängnissen Malatya, Amasya, Erzurum und Elbistan wurden dann aber fortgesetzt, weil die zugesagten Forderungen nicht erfüllt wurden. Die PKK-Gefangenen in Mardin erklärten, daß sie von dem neuen Gefängnisdirektor bedroht werden.

Am 16. 10. wurden PKK-Gefangene im DGM während ihrer Verhandlung von Soldaten angegriffen. Daraufhin traten die Gefangenen in einen 3tägigen Warnhungerstreik und boykottieren die Gerichtsverhandlungen.

Am 16. 10. wurden Ziver Gültekin und Ahmet Colak, die zu den Entlassungsformalitäten vom Gefängnis Diyarbakir nach Antep gebracht wurden, bei ihrer Freilassung im Spezialgefängnis von den Wärtern zusammengeschlagen und schwer verletzt.

Am 17. 10. wurden die Frauen, die in einem PKK-Prozeß angeklagt sind, im Gebäude des 1. Staatssicherheitsgerichts (DGM) Diyarbakir vor den Augen ihrer Anwälte von Soldaten mit Knüppeln und Gewehrläufen angegriffen. Die Schwerverletzten wurden in der ambulanten Notaufnahme des Staatskrankenhauses behandelt und dann ins Gefängnis zurückgebracht. Der IHD-Vorsitzende RA Mahmut Sakar und der Vorsitzende der Anwaltskammer Diyarbakir, RA Hüseyin Tayfun, die Zeugen des Angriffs waren, stellten Strafantrag gegen die Angreifer.

Die Besucher der politischen Gefangenen in Elbistan wurden am 17. 10. von Offizieren mit Ermordung bedroht, wenn sie weiterhin zu Besuchen kommen.

Die politischen Gefangenen in Budur sind seit dem 28. 9. im Hungerstreik gegen die Kürzung der Besuchszeit auf 15 bis 20 Minuten, Verwüstung ihrer persönlichen Sachen und Beschlagnahme von Briefen.

Seit dem 7. 10. befindet sich Iman Aksoy im Gefängnis Kirklareli im Hungerstreik, weil er dorthin in einen Abschwörerblock gegen seinen Willen zwangsverlegt wurde. Aksoy wurde nach seiner Verhaftung am 23. 9. in Istanbul unter dem Vorwurf, TKP/ML-TIKKO-Mitglied zu sein, zuerst ins Metris-Gefängnis gebracht.

Der RP-Justizminister Sevket Kazan rief alle Gefängnisdirektoren für den 19. /20.10. zu einem Seminar nach Ankara. Gekommen sind 100, das heißt fast die Hälfte der Direktoren. Kazan wies sie zwar auf die Einhaltung seiner Anweisungen, z. B. der Durchführung der "offenen Besuchstage" hin, erklärte, daß die Verpflegungssätze für die Gefangenen ab sofort von 55 000 TL auf 110 000 TL täglich und ab 1997 auf 165 000 TL täglich erhöht werden. Er schmiedet aber schon wieder neue Pläne gegen die Gefangenen. Er plant, die Gemeinschaftszellen abzuschaffen und Zellen für 4 bis 6 Leute einzurichten, und erklärte, daß die Kommunikation der 9000 politischen Gefangenen (offizielle Zahl des Justizministeriums) zwischen den Gefängnissen der "öffentlichen Ruhe" schade, deshalb solle sie unbedingt unterbunden werden. Statt der bestehenden großen regionalen Gefängnisse will Kazan mehrere kleinere lokale Gefängnisse bauen lassen. Der stellvertretende Bundestagsvorsitzende Burkhard Hirsch hat sich während seines Türkeibesuchs letzte Woche auch mit dem türkischen Justizminister Kazan getroffen, nicht um der Türkei Vorhaltungen zu machen, sondern "unter Freunden" zu beraten, wie er gegenüber Journalisten erklärte.

(Quelle: Biji Nr. 106, 28.10.1996)

Aktionen im Gefängnis von Canakkale

Am 30. September 1996 begannen im Canakkale-E-Typ-Gefängnis 61 Männer und 24 Frauen, insgesamt 85 Gefangene, im Zellenkorridor des C- und D-Blockes mit dem Aufbau von Barrikaden einen 5tägigen Widerstand. Nach einer Vereinbarung, die die Forderungen der Gefangenen vom 5. Oktober beinhaltet, hoben die Gefangenen die Barrikaden auf und kehrten in ihre Zellen zurück.

Vom 30. September morgens an begann die Gefängnisleitung, die nach dem Todesfasten vom Justizminister verabschiedeten Anweisungen und den am 13. September veröffentlichten Erlaß zur Isolierung der Gefangenen Schritt für Schritt in die Tat umzusetzen. Das wurde zum Ausgangspunkt des Widerstandes in Canakkale. Mit dem im Monat August vom Justizministerium verfügten Erlaß wurden den Gefangenen gemeinsame sportliche Betätigungen untersagt. Auf diesem Weg versucht man, die Gefangenen zu isolieren. Mit dem gleichen Ziel wurde in dem Beschluß vom 13. September verfügt, daß die inhaftierten Frauen und Männer nur getrennt Besuch von Verwandten, FreundInnen oder AnwältInnen empfangen dürfen. All diese Praktiken verfolgten alleine das Ziel, die Gefangenen Zelle für Zelle, später Person für Person zu trennen, sie ihrer Identität zu berauben und letztendlich zur Aufgabe zu zwingen, auch wenn die Refah-Partei die Trennung von Frauen und Männern als "natürliche Trennung der Geschlechter" (im Sinne des islam. Glaubens) darzustellen versuchte.

Am 30. September versuchte die Gefängnisleitung von Canakkale, all diese Praktiken der Isolierung gleichzeitig in die Tat umzusetzen. Einen Tag zuvor hatten die Gefangenen bemerkt, daß die GefangenenvertreterInnen nicht wie sonst jeden Tag ihre Zelle verlassen konnten, um untereinander und mit der Gefängnisleitung die bestehenden Probleme diskutieren zu können, daß das Bewachungspersonal sich ungewöhnlich angespannt benahm und ein Teil der Wächter Knüppel, Eisenstangen und ähnliche Gegenstände bei sich trug. Da das Massaker im Gefängnis von Diyarbakir, bei dem eine Woche vorher 11 Gefangene ermordet worden waren, den Gefangenen noch sehr präsent war, zerstörten sie um zirka 14. 00 Uhr die Zellentüren und errichteten, angesichts der seltsamen Umstände im Gefängnis, zum Schutze ihres Lebens und gegen einen eventuellen Angriff im Gefängniskorridor Barrikaden. Die Gefängnisleitung brachte daraufhin sofort Gendarmerie ins Gefängnis, die aber, mit dem Widerstand der Gefangenen konfrontiert (die Gefangenen schlossen u. a. einen Schlauch an eine Gasflasche an, entflammten das austretende Gas und richteten den Schlauch auf die Angreifer), sich zurückzogen und auf Verstärkung warteten. In dieser Zeit erfuhr der leitende und verantwortliche Staatsanwalt Ahmet Karayigit von den Entwicklungen im Canakkale-Gefängnis, und er begann sofort mit Verhandlungen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Während der 4 Tage dauernden Verhandlungen wurde die Tatsache, daß von Anfang an Gendarmen ins Gefängnis hineingebracht worden waren, als Unerfahrenheit der Gefängnisleitung dargestellt, obwohl damit in Wahrheit das Ziel verfolgt wurde, die Gefangenen einzuschüchtern und zu ängstigen.

Am Abend des 30. September betrat der Staatsanwalt mit je einem Vermittler des IHD (Menschenrechtsverein), CHD (Zeitgenössischer Rechtswissenschaftsverein) und der Baro (Anwaltskammer) das Gefängnis, um die Lage zu untersuchen. Die Untersuchung wurde, weil der Staatsanwalt, selbst wenn er wollte, keine Garantie für die Sicherheit der Gefangenen geben konnte, ohne Erfolg abgebrochen. Inzwischen wurde den Medien und der Presse der Zutritt in das Gefängnis gestattet, um die Gefängnisverwaltung in einem guten Licht zu präsentieren. Der Mitarbeiter des IHD (Menschenrechtsverein) Azmi Karali erhob Einspruch, als er begriff, daß dies als Anti-Propaganda gegen die Gefangenen benutzt wird. Karali wurde von den Gefängnisaufsehern niedergeworfen und über den Boden gezerrt.

Die Forderungen der Gefangenen wurden bisher immer mit der Gefängnisverwaltung diskutiert. Aber an diesem Tag wurde ein Erlaß als Vorwand benutzt, um die Gefangenen anzugreifen. Die Gefangenen forderten die Rücknahme des Erlasses vom 30. September. Vorher würden sie die Barrikaden nicht beseitigen und die 61 männlichen sowie die 24 weiblichen Gefangenen nicht wieder in die Zellen zurückgehen. Bezüglich eventueller neuer Erlasse und Anweisungen soll die Gefängnisverwaltung sich mit den Gefangenen zusammensetzen und die einzelnen Punkte durchgehen. Auf diese Rechte werden die Gefangenen keinesfalls verzichten. Diese Rechte sind für das Leben im Gefängnis und für die Sicherheit der Gefangenen sehr wichtig und unverzichtbar.

An der Besprechung, die am 5. Oktober stattgefunden hat, nahmen der Staatsanwalt von Canakkale, dessen Stellvertreter, die Gefängnisverwaltung, die Sprecher der Gefangenen, im Namen der Familienangehörigen Rechtsanwalt Metin Narin, der IHD-Vertreter Rechtsanwalt Mustafa Ayzit, Rechtsanwalt Metin Kozan, Rechtsanwalt Hüdai Berber und Recber Erkocak teil. Bei der Besprechung erklärte die Gefängnisverwaltung, daß sie erst über neue Bedingungen reden werde, wenn die Gefangenen in ihre Zellen zurückgekehrt sind. Da man bisher zu keinen Entschluß kam, nahm am 5. Oktober auch der stellvertretende Gefängnisdirektor, Hüseyin Poyraz, teil. Um den Widerstand im Canakkale-Gefängnis und die Spannungen in den Gefängnissen von Ümraniye, Bayrampasa, Bursa und Bartin zu verhindern und eine Lösung für die Probleme zu finden, sandte der Justizminister den stellvertretenden Gefängnisdirektor nach Canakkale.Der Widerstand gegen den 13. -September-Erlaß zwang den stellvertretenden Gefängnisdirektor, die Forderung nach Rücknahme des Erlasses zu befürworten. Nachdem der Erlaß aufgehoben wurde, waren die Probleme zum größten Teil gelöst.

 

Das Ergebnis der Verhandlungen:

Mit dem neuen 13. -September-Erlaß des Justizministeriums, der die Gefangenen in Gefängnissen isolieren und deren erkämpfte Rechte entziehen soll, sahen sich die Gefangenen 5 Tage lang in Todesgefahr. Der unrechtmäßige 13. -September-Erlaß wurde als Folge der Entschlossenheit der Gefangenen bei der Verteidigung ihrer Rechte aufgehoben.

Die Ereignisse im Gefängnis von Canakkale zeigen deutlich, daß die Gefängnisse vom Staat terrorisiert werden, jeden Moment ein Massaker stattfinden kann und daß es für die Gefangenen keine Garantie ihrer Sicherheit gibt. gez. Rechtsanwalt Metin Narin

(Quelle: Nachrichtenbull. Türkei und Kurdistan, 17. 10.)

Protokoll der Zeugen
im Gefängnis von Canakkale

1. Alle Gefangenen können zweimal pro Woche Besuch empfangen.

2. Alle Gefangenen haben einmal pro Woche einen halben Tag Besuchszeit.

3. Die Sprecher der Gefangenen können sich 24 Stunden frei in allen Zellen bewegen. In der Nacht ab 24.00 Uhr muß der Gefängnisleiter informiert werden.

4. Die Bewegungsfreiheit für die Gefangenen zwischen den Zellen wird eingeschränkt, die Gefangenen dürfen die Zellen jetzt ab 24 Uhr nicht mehr verlassen.

5. Einen Monat nach Verabschiedung der neuen Bestimmungen soll erneut über die Situation diskutiert werden.

Erneute Übergriffe auf kurdische Wohnungen und Geschäfte


Am Dienstag, den 22. 10.1996, wurden in einer bundesweiten Aktion über achtzig kurdische Wohnungen und Geschäfte von Polizei gestürmt und durchsucht; 31 allein in Ulm und Umgebung, 19 im Großraum Stuttgart und in Franken, 7 im Raum Göppingen und 25 in Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bremen. Es gab drei Festnahmen und unzählige Ermittlungsverfahren.

In Ulm wurden 31 Mitglieder des "MED-Kulturzentrums" das Betreten der Vereinsräume verboten - rechtliche Grundlage dafür ist (wieder einmal!) der bei Schikanen stets hilfreiche 1 des Polizeigesetzes, die "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung".

Ein nach der Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens befragter Rechtsanwalt sagte: "Ich habe so etwas noch nie erlebt. Ich bin sprachlos!"

Vier Tage vorher wurden in München fünf Kurden wegen nichts weiter als der Protestbesetzung ihres eigenen, von der Polizei geschlossenen Vereins zu z. T. mehrjährigen Gefängnisstrafen (mit Abschiebungsbedrohung) verurteilt.

Was könnte der Grund für diese neue Welle der Schikanen, Kriminalisierung und Unterdrückung in Deutschland lebender Kurden sein?

Anfang November wird der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel zu einem Staatsbesuch in der Bundesrepublik erwartet. So absurd der Gedanke erscheinen mag, ihm solle mit dieser Aktion vorab ein Gastgeschenk bereitet werden, so wenig ist er von der Hand zu weisen.

Die Kurden in Deutschland haben sich seit langer Zeit absolut ruhig verhalten und damit - genau wie der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan in seinen Erklärungen und seiner Politik - ihren Wunsch nach Beendigung des Krieges in Kurdistan und der Türkei, nach Verhandlungen für eine politische Lösung und nach einem dauerhaften, gerechten Frieden deutlich ausgedrückt. Höhere deutsche Politiker und hohe Beamte des deutschen Staatssicherheitsapparates denken laut über die auch von wichtigen Teilen der deutschen Bevölkerung geforderte Aufhebung der Betätigungsverbote von PKK und ERNK nach.

Trotzdem demonstrieren die Träger der deutschen Außenund Innenpolitik immer wieder ihre blinde, menschenverachtende und nur auf wirtschaftlichen Profit und politische Machtausdehnung gerichtete Freundschaftspolitik gegenüber dem faschistischen türkischen Folterstaat.

Wir fordern von der deutschen Presse, diesem Treiben gewisser politischer Kreise nicht länger tatenlos zuzusehen, und fordern sie und alle wahrhaft demokratisch gesinnten deutschen und ausländischen Bürger dieses Staates auf, die friedlichen politischen Bestrebungen des kurdischen Volkes nicht länger zu ignorieren, sondern ihnen volle Unterstützung zuteil werden zu lassen.

(Pressemitteilung des Kurdistan Informations-Zentrums Köln, 24.10.96)

 

Türkisches Militär massakriert kurdische Flüchtlinge aus Südkurdistan

30 Leichen an der Grenze zum Iran entdeckt


Nach uns vorliegenden Informationen wurden am 19. Oktober 1996 an der Grenze zum Iran, zwischen den Dörfern Onbasilar und Cobanpinar in Nordwest-Kurdistan, 30 Leichen von kurdischen Flüchtlingen aus Suleymania, Südkurdistan, entdeckt. Sie mußten ihre Heimat verlassen, nachdem Suleymania in Folge der Kämpfe zwischen den Kräften in Südkurdistan PUK (Patriotische Union Kurdistans) und KDP (Demokratische Partei Kurdistan) von den KDP-Kräften besetzt wurde. Die Informationsquellen vor Ort bestätigen, daß die 30 Personen in der Region Kendalok im Niemandsland von türkischen Gefreiten, Soldaten und Dorfschützern ermordet wurden.

Dieses Massaker zeigt erneut, wie weit der türkische Staat seine Finger in diesem Konflikt zwischen der PUK und der KDP im Spiel hat und die Situation zu seinem Vorteil auszunutzen beabsichtigt. Schon mehrmals waren türkische Militärkräfte in diese Region mit dem Vorwand, "Terroristen bekämpfen zu wollen", einmarschiert und hatten hierbei schwerwiegende völkerrechtliche Grundprinzipien verletzt. Jedesmal hinterließ der türkische Staat bombardierte Dörfer, mehrere Tote, Elend und Schmerz für die Zivilbevölkerung. Auch mit diesem Massaker versucht die Türkei mit der angeblichen Unterstützung der KDP gegen die PUK, die KDP als Spielball zur Verwirklichung der eigenen Interessen in der Region zu benutzen. Mit den Angriffen will der türkische Staat die durch die UN errichtete Schutzzone in Südkurdistan zerstören, um zumindest die vor 1991 vorhandenen Machtverhältnisse wiederherzustellen.

Wir verurteilen aufs schärfste die aggressive Politik der Türkei. Es ist längst überfällig, daß der türkische Staat für seine Verbrechen an der Menschheit vor der Weltöffentlichkeit zur Rechenschaft gezogen wird. Wir rufen die internationalen Organisationen und Gremien auf, dieses Massaker aufzuklären und all ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, um den türkischen Staat von seiner bisherigen Politik abzubringen.

Köln, 21.10.1996

Pressemitteilung des Kurdistan Informations-Zentrums Köln

Pressehetze gegen Kurdistan Solidarität


Die "Berliner Morgenpost" vom 10. 10.96, einen Tag später die türkische Zeitung "Hürriyet" und vor einigen Tagen das Nachrichtenmagazin "Focus" veröffentlichten Artikel unter der Überschrift "Terroristen-Training in Kurdistan", in denen der Vorwurf erhoben wurde, die PKK bilde in sogenannten Trainingslagern in Kurdistan Deutsche für den bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik aus.

Dies ist ein erneuter Versuch, den legitimen Befreiungskampf der PKK als etwas Verbrecherisches darzustellen. In der gleichen Weise, wie schon seit Jahren das Bild "Kurde gleich Terrorist" durch die Medien und Politiker gemalt wird. Schnell ist die neue "große Gefährdung" (BM) ausgemacht und das Entstehen einer neuen RAF diagnostiziert.

Geleugnet werden dabei die Ziele des kurdischen Befreiungskampfes, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf ein leben in Würde und Menschlichkeit. Unterschlagen wird der Vernichtungskrieg des türkischen Regimes gegen das kurdische Volk. Unterschlagen werden die permanenten Menschenrechtsverletzungen, die Folterungen, das "Verschwinden-Lassen" von Menschen, die extralegalen Hinrichtungen, das Unterdrücken jeglicher Opposition in der Türkei. Ebenso verschwiegen wird die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für diese Verbrechen durch ihre massive Unterstützung der türkischen Machthaber in jeglicher Hinsicht. Anstatt die wahren Terroristen zu benennen und die anzuklagen, die schützend ihre Hand über Folterer und Mörder halten, werden die, die diesen Zustand nicht hinnehmen wollen und die permanenten Menschenrechtsverletzungen der Türkei sowie die Unterdrückung und Entrechtung der kurdischen Bevölkerung in der Bundesrepublik öffentlich machen, zu einer "terroristischen Gefahr" erklärt.

Der kurdische Befreiungskampf ist ein legitimer Kampf für die Menschenrechte. Wir treten der Diffamierung des kurdischen Befreiungskampfes sowie der Diffamierung der "Kurdistan Solidarität" und allen anderen sich solidarisch erklärenden Gruppen und Personen entschieden entgegen und werden die Öffentlichkeitsarbeit intensivieren.

Im Namen der "Kurdistan Solidarität"

Presseerklärung der Kurdistan Solidarität Hamburg, 21.10.96


Prozeß gegen zwei Frauen in Brühl

Die beiden Frauen wollten am 18. 11.95 am FrauenLesben-Block einer Demonstration zum 2. Jahrestag des PKK-Verbotes in der BRD teilnehmen. Diese wurde kurzfristig verboten. Eine Spontandemo gegen das Verbot wurde mit der Einkesselung und Festnahme von 2/3 der DemonstrationsteilnehmerInnen - ca. 300 Leuten - verhindert.

Die B. verhielten sich ziemlich brutal, und das nicht nur bei den Festnahmen, sondern auch während der stundenlangen Gefangennahme.

Ein Teil der Personen kam zum Waldmarkt, die Mehrheit wurde in die Polizeischule nach Brühl verschleppt. Dort wurden die meisten der Frauen und Männer ED-mißhandelt. Die beiden Frauen wurden zusammen mit ca. 80 anderen Frauen in einen Klassenraum gesperrt. Während der 10stündigen Festnahme demonstrierten die B. immer wieder ihre Macht. Sie pöbelten mit sexistischen Sprüchen, prügelten in den Raum hinein und versuchten, einzelne herauszugreifen. Eine Frau wurde - an Händen und Füßen gefesselt - nackt ausgezogen und dabei an ihren Ohnmachtspunkten gepreßt.

Nur durch das solidarische Verhalten untereinander und die dadurch entstandene Stärke konnten die Frauen auch einige ihrer Forderungen durchsetzen.

Die B. -Staat-Machtdemonstration hat Geschichte und geht weiter.

Aktionen von KurdInnen werden schon lange extrem kriminalisiert: Verbot fast aller kurdischen Vereine, Verbot der Newroz-Feste, etliche 129a-Verfahren und unzählige Festnahmen von "nicht-weiß-aussehenden" Menschen bis in den Umkreis von Demonstrationen . ..

Der Prozeß gegen die beiden Frauen steht auch im Zusammenhang mit dieser hysterischen Kriminalisierungswelle. Sie sind wegen Körperverletzung, Beleidigung und Widerstands während ihrer Gefangennahme in Brühl angeklagt.

Gehen wir mit vielen zum Prozeß nach Brühl und unterstützen die angeklagten FrauenLesben!

Unterstützen wir den kurdischen Befreiungskampf!

Weg mit dem PKK-Verbot!

 

Nachtrag:

Der Prozeß gegen die beiden Frauen war für den 28. 10. vor dem Amtsgericht Brühl festgesetzt worden. Wie wir erfahren haben, wurde die Verhandlung verschoben - bis Redaktionsschluß konnten wir den neuen Termin nicht in Erfahrung bringen. Eine Kontaktadresse ist auf dem oben dokumentierten Flugblatt leider nicht angegeben - die Red.)


Die revolutionären Gefangenen nicht vergessen - Solidarität aufbauen

Das Schweigen brechen

Da wir im August, also kurz nach dem Ende des Hungerstreiks/Todesfasten in der Türkei und Kurdistan, Marc Rudin im dänischen Knast besuchen konnten, nutzten wir diese Gelegenheit auch, Marc zu seinen Erfahrungen im türkischen Knast zu interviewen.


Marc, der 1945 in der Schweiz geboren wurde, machte Mitte der 60er Jahre in Bern eine Ausbildung als Grafiker. Durch diese Ausbildung eignete er sich Fähigkeiten an, mit denen er sich später am politischen Widerstand beteiligte. Es waren vor allem Vietnam, der antirassistische Kampf der Black Panther in den USA und die Situation der ImmigrantInnen in der Schweiz, die seine ersten politischen Erfahrungen bestimmten. Er begann sich zu organisieren, und zusammen mit anderen GenossInnen entstanden Plakate und Graffitis.

Konfrontiert mit dem Vorwurf, 1979 an einem Anschlag auf eine Schweizer Bank beteiligt gewesen zu sein, entzog sich Marc der bevorstehenden Verhaftung und ging nach Beirut und anschließend nach Damaskus. Die Trennung war abrupt und schmerzhaft. Für ihn war sie aber zugleich Beginn eines sehr produktiven Lebensabschnittes, weil er, anders als so viele Menschen heute, deren Fluchtweg vom Trikont in die Metropolen führt, als politischer Flüchtling von einem Volk, dessen Bewußtsein sehr von der Bitternis des Exils geprägt ist, warmherzig aufgenommen wurde. Er mußte dort weder sein Gesicht noch seine Geschichte leugnen und nicht verstummen. Es gelang ihm, neue Wurzeln zu schlagen.

Unter dem Namen Jihad Mansour sah er sich von der Herausforderung gestellt, mit dem Rüstzeug eines Werbegrafikers und der Erfahrung eines politischen Aktivisten in der neuen Situation Ausdrucksmittel zu finden. Er arbeitete u. a. für die PFLP, deren Mitglied er wurde, und stellte sich als Internationalist voll in den Befreiungskampf der palästinensischen Bevölkerung.

Marc Rudin wurde im Oktober '91 in der Türkei wegen illegaler Einreise zu 1 1/2 Jahren Haft verurteilt. Im April '93 wurde er an Dänemark ausgeliefert und dort im Oktober '93 zu acht Jahren Haft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, an einem Postraub beteiligt gewesen zu sein, bei dem 13 Millionen dänische Kronen entwendet wurden und ein B. erschossen wurde.

Der Prozeß in Dänemark, bei dem eine Verurteilung Marcs schon von vornherein feststand, glich einer schlechten Inszenierung und basierte auf Staatsschutzkonstrukten. Die leitende Staatsanwältin in diesem Prozeß war zuvor oberste Chefin beim PET (dänischer Geheimdienst). Die Absicht, die hinter diesem Schauprozeß stand, war von vornherein die, Marc wegen seiner politischen Überzeugung zu bestrafen.


Komitee für internationale Solidarität, c/o Kantstr. 71-807, 67633 Kaiserslautern, Fax: (06 31) 4 57 22

Interview mit Marc Rudin, August/September '96

Du wurdest beim Grenzübertritt in die Türkei verhaftet und inhaftiert. Was wurde dir vorgeworfen und wie lief das ab?


Ein türkischer "Genosse" und ich wurden von einem lokalen syrischen Führer, einem älteren Bauern, der die Gegend gut kannte, zu Fuß über die grüne Grenze von Syrien in die Türkei gebracht, dort, wo diese ans Mittelmeer stößt. Dieser Führer, der so was öfter tut, hat uns an die türkische Armee verraten. Er brachte uns auf der türkischen Seite der Grenze zu einem kleinen Bergdorf, wo er uns einem Freund von ihm vorstellte, der uns in sein Haus bringen würde, uns dort verpflegen würde, um uns nachher auf die Straße nach Antakia zu bringen, wo wir leicht ein Verkehrsmittel finden könnten, um nächstentags den Bus von Antakia nach Istanbul zu nehmen. Der Führer machte sich schnell aus dem Staub, im Haus gab es viel Ein und Aus von Freunden des Hausbesitzers, und als wir schlußendlich aufbrechen wollten und zur Tür hinaus traten, leuchten Scheinwerfer auf, und wir blickten in Heckler-und-Koch-Gewehrläufe der türkischen Armee. Uns wurden Handschellen verpaßt, die Augen verbunden, und wir wurden mit einem Kleinbus in die Kaserne des nächstgrößeren Ortes gebracht. Da gab es die ersten ansatzweisen Verhöre, worauf wir zur Polizei nach Antakia (etwa 30 km) gefahren wurden. Mein Reisebegleiter, der eigentlich nur die Funktion gehabt hätte, mich sicher nach Istanbul zu bringen, machte jedoch sofort, auch ohne Folter, nur unter Drohungen und Versprechungen, einen Deal mit den B. auf meinem Rücken. Das wenige, was er über mich wußte, hat er ihnen gesteckt, sie von seiner "Unwichtigkeit" und meiner "Wichtigkeit" überzeugt, worauf wir sofort per Auto nach Adana gebracht und von dort nach Istanbul geflogen wurden.

 

Wurdest du gefoltert?


Ich wurde glücklicherweise nicht gefoltert, lediglich die verschärften Verhörmethoden: stundenlanges Stehen mit verbundenen Augen und zu engen Handschellen, systematischer Schlafentzug. In den 23 Tagen nach meiner Verhaftung wurde ich im Verhörzentrum Gayreteppe in Istanbul in einer kleinen Zelle ohne Licht von 1 mal 2 Metern gehalten. Ich schlief ungenügend bekleidet auf dem kalten Betonboden. Im November kann es in Istanbul sehr kalt sein, Heizung gab es keine. Jede Nacht hörte ich die Schreie der gefolterten GenossInnen, das war sehr laut, und das Verhörzentrum befindet sich mitten in den Häusern eines älteren Wohngebiets, die Nachbarn konnten das sicher auch hören. Das muß ein Teil der Einschüchterung der Bevölkerung auch sein, soll niemand sagen, er hätte das nicht gewußt. Durch eine Ritze in der Tür konnte ich sehen, wie die Gefangenen zum Verhör gebracht wurden (überfallmäßig), wie sie mit heilen Knochen dorthin gingen, teilweise mit einer gebrochenen Hand oder einem gebrochenen Fuß wieder zurückkamen. Das gebrochene Glied wurde dann mehrere Tage nicht gegipst, so daß die Folterknechte nur bei weiteren Verhören darauf rumzudrücken brauchten. Daß ich diesen Torturen nicht ausgesetzt wurde, lediglich mit der Angst davonkam, habe ich mehreren, für mich glücklichen Umständen zu verdanken. Als erstes wurde denen schnell klar, daß ich in der Türkei nichts vorhatte, auch keine Kontakte, die Türkei lediglich als Durchreiseland mit Hilfe meines falschen Passes, eines gefälschten türkischen Einreisestempels benutzen wollte. Einige Monate vor mir war Barbara Kistler, eine Schweizer Genossin, in Istanbul in Zusammenhang mit einer türkischen Organisation verhaftet worden. Sie wurde bestialisch gefoltert.

Das hatte sie dem Schweizer Vizekonsul zu verstehen gegeben, als dieser sie noch im Verhörzentrum "besuchte". Dieser hat jedoch vor der Schweizer Presse die Folterknechte gedeckt (der guten Beziehungen zuliebe) und bekanntgegeben, sie sei nicht gefoltert worden. Barbaras Anwälte in der Schweiz, die auch meine Anwälte waren, haben daraufhin eine Öffentlichkeitskampagne gemacht, die dem Vizekonsul fast seinen Posten gekostet hätte.

Wie dieser nun so wenig später von den Folterknechten gerufen wurde, um mich zu besuchen (ich hatte nicht nach ihm gerufen, auch da ich in der Schweiz gesucht wurde), um ihnen bei der Identifikation behilflich zu sein, muß er ihnen die Kooperation zugesichert haben unter der Bedingung, daß das Ganze sauber und ohne Folter abgehe, da er weiteren Lärm nicht brauchen könne. Gegen das Ende meiner Zeit im Verhörzentrum wurden eines Abends ganz junge GenossInnen (sahen aus wie MittelschülerInnen, soweit ich sie durch die Türritze sehen konnte) wahrscheinlich von einer Demo hergebracht. Sie wurden alle zu mehreren in die Zellen neben mir eingeschlossen. Die haben die ganze Nacht Widerstandslieder gesungen, einige davon wie Bella Ciao und Venceremos aus dem internationalen Repertoire, aber mit türkischem Text. Ich war zu Tränen gerührt, habe mitgesummt. Das gab unheimlich Kraft, vertrieb die Angst. (...)

 

Hattest du im Knast Kontakt zu politischen Gefangenen?


Im Bayrampasa-Knast wurde ich in eine Abteilung gesteckt, wo nur Ausländer waren, also Nichttürken. Das waren alles soziale Gefangene. Genossen von Dev Sol, die ihre Abteilung direkt neben uns hatten, stellten aber, so gut sie konnten, den Kontakt zu mir her, als sie von meiner Verhaftung über die Medien erfuhren, konnten auch ein Treffen von mir mit Barbara organisieren, die kurz vor ihrer Entlassung stand, aber noch in Bayrampasa war. Ich kam ja aus der Schweiz in den 70er Jahren aus den gleichen Zusammenhängen wie sie, bevor ich dort abhauen mußte. Sie konnte mir einige gute Ratschläge geben und weitere Treffen mit ihren Genossen auf der Krankenstation organisieren, bei der Arztvisite. Das war sehr wichtig für mich, endlich wieder lange politische Gespräche führen zu können. Es gab einige kurdische Genossen, die lange in arabischen Ländern gelebt hatten, deren Arabisch sehr gut war. Über sie lief die Kommunikation deshalb sehr gut. Sonst wäre es schwierig gewesen, denn ich sprach noch gar kein Türkisch und die Genossen dort keine europäischen Fremdsprachen. Ich hatte natürlich ein riesiges Verlangen nach politischer Information, fühlte mich als politischer Gefangener halt dort schon mehr zu Hause als bei den sozialen Gefangenen. Wir versuchten alles, damit ich zu den politischen Gefangenen gebracht würde. Das lief aber nie, da die Administration meinte, meine Sache wäre in keinem Zusammenhang mit einer türkischen Organisation.

 

Inwiefern unterschieden sich die Haftbedingungen der türkischen/kurdischen Gefangenen von deinen/euren?


Die politischen Gefangenen in der Türkei haben sich natürlich in all den Jahren, vor allem in den 80ern, auch durch lange Hungerstreiks gewisse Freiräume erkämpft, organisierten alles in ihren Abteilungen selbst, auch die Möglichkeiten zu Versammlungen und politischem Studium. Sie machten mir einen sehr organisierten Eindruck. Innerhalb ihrer Abteilungen bewegten sie sich also dadurch freier als die sozialen Gefangenen, wobei rund um die Abteilungen die Sicherheitsbedingungen verschärft waren. Beim letzten großen Hungerstreik ging es unter anderem auch darum, daß der Staat ihnen diese hart erkämpften Errungenschaften wegnehmen wollte.

 

Nach deiner Auslieferung nach Dänemark wurdest du mit Isolationshaftbedingungen konfrontiert. Wie sahen diese bei dir konkret aus, und wie hast du den Unterschied zu der Haftsituation im türkischen Knast erlebt?


In Bayrampasa waren wir viele Gefangene in Abteilungen eng zusammengepfercht, aber nicht einzeln eingeschlossen. Der Hof wurde morgens geöffnet und abends wieder geschlossen. Wir konnten also innerhalb eines bestimmten Rahmens, auf zwei Stockwerken der Abteilung und im Hof, uns frei bewegen. Die Aufseher sahen wir nur beim Morgenappell und beim Abendappell. Die physischen Bedingungen waren in Bayrampasa schlecht: Ungeziefer, Ratten, Mäuse, Kakerlaken, große Hitze im Sommer, im Winter oft ungeheizt (es kann in Istanbul im Winter sehr kalt sein, 20 cm Schnee, als ich dort war); das Essen ist schlimm, ernährt die Gefangenen kaum, vor allem sehr einseitig, so daß dadurch auf lange Zeit körperliche Schäden entstehen; die Krankenversorgung ist lausig, natürlich auch Epidemiegefahr bei vielen Gefangenen auf engem Raum, manchmal fehlt sogar das Trinkwasser, die Kleider müssen unter mühsamen Bedingungen von Hand selbst gewaschen werden. Kein fließendes warmes Wasser, zu wenig Möglichkeiten, sich solches selber aufzuheizen; wenig Raum, die Sachen zu trocknen etc.

In Dänemark für mich dann vor dem Prozeß Totalisolation mit isoliertem Einzelhofgang, die strenger gehandhabt wurden, als ich das von der Schweiz her kannte. Auch nach dem Prozeß noch lange isolierter Einzelhofgang in einem Zellenhof von knapp 5 mal 6 Metern. Selbst heute, nach Jahren, habe ich noch isolierten Einzelhofgang, allerdings im Normalhof, bin von den normalen Freizeitsaktivitäten der anderen Gefangenen ausgeschlossen. Bin auch heute noch zu Arbeitszeiten in meiner Studier-Arbeitszelle eingeschlossen, hatte mir ja den Status des Selbstbeschäftigers/Selbststudenten erkämpft. Ich habe hier die ganze Zeit die Kontrolle der Aufseher auf dem Buckel. Dafür gibt es hier technische Annehmlichkeiten, immer warmes Wasser, um zu duschen, Waschmaschinen, um die Kleider zu waschen, das Essen ist wohl einseitig, aber doch viel besser als in der Türkei. Die ärztliche Versorgung ist auch etwas besser, läßt aber auch hier zu wünschen übrig. Während ich in der Türkei in den 1 1/2 Jahren überhaupt keinen Besuch hatte - eine türkische Genossin wollte mich besuchen, wurde jedoch nicht zugelassen, denn AusländerInnen dürfen nur von AusländerInnen besucht werden (Besuche mit Trennscheibe) -, ist hier das Besuchswesen im allgemeinen sehr locker, außer daß viele meiner BesuchsantragstellerInnen mit Besuchsverbot belegt werden und es bis zu 9 Monate dauerte, bis Besuchsanträge beantwortet wurden. Im DK-Knast eine große Fächerung, von Totalisolierung bis offenem Knast, Zuckerbrot und Peitsche, was eine Individualisierung bewirkt, solidarische Bewegungen brechen soll. In der Türkei ist hingegen der "Ladendieb" mit den "Lebenslänglichen" zusammen in der gleichen Abteilung. In der Türkei physisch also ziemlich hart, in Dänemark wie im üblichen Metropoleneuropa ein ausgeklügeltes System, den Gefangenen und dessen Widerstand psychisch zu brechen.

 

Wie beurteilst du aus deiner Erfahrung heraus den Versuch des türkischen Regimes, Isolationshaftbedingungen gegen die politischen Gefangenen in der Türkei/Kurdistan durchzusetzen?


In letzter Zeit sollten in der Türkei zu den physisch schwierigen Bedingungen auch noch europäische Isolationsmethoden eingeführt werden, mit dem neuen Isolationsknast in Eskisehir. Auch dagegen richtete sich der Hungerstreik. Das erklärt auch den Zynismus der Herrschenden in Europa und deren Medien, angesichts der sterbenden, hungerstreikenden Gefangenen.

Hiermit möchte ich den türkischen und kurdischen GenossInnen meine solidarischen Grüße, Gefühle und Gedanken übermitteln, in der Gewißheit, daß wir es alle zusammen - früher oder später - schaffen werden, die Ketten zu brechen.

 

Dieses Interview im Angehörigen Info ist ein Vorabdruck aus der Sonderausgabe von "Das Schweigen brechen" zu Marc Rudin, Barbara Kistler und (aktueller) internationalistischer Bestimmung. Das Heft erscheint Mitte/Ende Oktober und kann für 2,50 DM (plus Porto) beim Komitee für internationale Solidarität (KL), c/o Kantstr. 71-807, 67663 Kaiserslautern, oder Fax:
(0631) 4 57 22 bestellt werden.


Augenzeugin bestätigt Unschuld

Mumia kämpft gegen Lynchjustiz

Am 4. September hat der Oberste Gerichtshof von Pennsylvania entschieden, daß Mumia Abu-Jamals Berufung an den Philadelphia Court of Common Pleas zurückverwiesen wird zu einer weiteren Anhörung, die sich auf die eidesstattliche Erlärung von Veronica Jones gründet, einer Zeugin, die der Verteidigung bei der Berufungsverhandlung von 1995 nicht zur Verfügung stand.


Damit reagierte der Oberste Gerichtshof auf einen neuen Berufungsantrag, den die Anwälte von Mumia Abu-Jamal als Teil des andauernden Kampfes für die Freiheit dieses unbeugsamen schwarzen Journalisten und Unterstützers der MOVE-Organisation Anfang August gestellt hatten. Als Krönung einer jahrelangen Vendetta des Polizeikommissariats von Philadelphia, des FBI und anderer Polizeistellen gegen Jamal war er in eine Falle gelockt und 1982 unter der falschen Anschuldigung, den Philly-B. Daniel Faulkner umgebracht zu haben, zum Tode verurteilt worden. Seit Ende der 60er Jahre, als Jamal im Alter von 15 jahren ein Sprecher der Black Panther Party wurde, war man auf seinen Tod aus, und selbst nachdem Mumia ein bekannter Radiokommentator geworden war, blieb er eine Zielscheibe der Polizei und des FBI.

Die eidesstattliche Erklärung der Zeugin Veronica Jones, eingegangen beim Obersten Gerichtshof im letzten Mai, liefert neue schlagkräftige Beweise dafür, daß sie ein paar Tage, bevor sie im Prozeß von 1982 als Zeugin der Verteidigung aussagte, im Gefängnis - wo sie unter der Anklage stand, das Schwerverbrechen eines bewaffneten Raubüberfalls begangen zu haben - von Polizeidetektiven aus Philadelphia besucht und zu einer Änderung ihrer Aussage gezwungen wurde. Die Detektive "sagten mir, daß ich mir über die anstehende Anklageerhebung wegen Straftaten keine Sorgen machen müsse, wenn ich gegen Jamal aussagen und Jamal als den Schützen identifizieren würde", so Jones. Unter dieser Einschüchterung durch die Polizei änderte Jones dann beim Prozeß ihre Zeugenaussage und nahm ihren Augenzeugenbericht zurück, daß sie unmittelbar nach den Schüssen zwei Männer habe weglaufen sehen. Dieser Rückzieher, der auf den Druck der Polizei hin zustandekam, untergrub Jamals Verteidigung ganz wesentlich.

Im Frühjahr dieses Jahres hat das Verteidigungsteam die Zeugin Jones zum ersten Mal seit ihrer Aussage beim Prozeß von 1982 ausfindig gemacht. Die Verteidigung gab die eidesstattliche Erklärung, die alarmierende Enthüllungen über polizeiliche Übergriffe enthielt, zu den Akten und stellte beim Obersten Gerichtshof von Pennsylvania den Antrag, den Fall an die erste Instanz zurückzuverweisen, so daß Jones als Zeugin aussagen könne. Mit Hinweis auf die offensichtliche Voreingenommenheit des Richters Sabo beim Prozeß von 1982 und bei der Wiederaufnahmeanhörung 1995, bei der er wieder den Vorsitz hatte, forderte die Verteidigung, daß der Fall einem anderen Richter übertragen werde.

Angesichts der offensichtlichen Bedeutung von Jones' Aussage hat der Oberste Gerichtshof Jamals Antrag auf eine Neuaufnahme stattgegeben. Das heißt NICHT, daß ein neuer Prozeß oder eine neue Anhörung gewährt wird. Wenn dieses Verfahren zum Abschluß kommt, wird der Fall beim Obersten Gerichtshof in der Berufung weiter verhandelt werden. Dieses Gericht hat die Angelegenheit an die erste Instanz zurückverwiesen, die innerhalb von 30 Tagen eine Anhörung organisieren und anhand der Beweisaufnahme entscheiden soll, ob Jamal aufgrund von Jones' neuerlicher Aussage einen Anspruch auf ein weiteres Verfahren hat.

Empörenderweise ist der Fall noch einmal an Richter Sabo verwiesen worden. Mit Richter Sabo als Vorsitzenden gibt es allen Grund anzunehmen, daß diese neue Anhörung nur eine Wiederholung der Anhörung von 1995 sein wird, bei der Richter und Staatsanwalt gemeinsam Jamals Beweisführung behindern und die Einsicht in die von der Staatsanwaltschaft unterdrückten Akten verhindern.

Mumias Kampf, seine abgekartete Verurteilung rückgängig zu machen, ist zum Brennpunkt der Proteste gegen die rassistische Todesstrafe geworden. Im Juni 1995 unterzeichnete der republikanische Gouverneur Tom Ridge den Befehl für Jamals Hinrichtung. Eine Welle internationaler Proteste brachte zwei Monate später für Mumia eine Aussetzung der Hinrichtung. Der juristische Kampf wurde im Februar vor dem Obersten Gerichtshof des Staates gebracht. Als Erwiderung auf ein Dokument von 172 Seiten, das die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia eingereicht hat, wurde am 5. August auf einer Pressekonferenz vor dem Büro von Bürgermeister Ed Rendell ein neuer Berufungsantrag beim Obersten Gerichtshof des östlichen Bezirks von Pennsylvania angekündigt. Jamals neue Berufungsunterlagen gehen ausführlich auf die vielfachen Übergriffe der Staatsanwaltschaft beim Verfahren 1982 ein; sie fordern auch, vor dem Obersten Gerichtshof eine mündliche Beweisführung zuzulassen, und beantragen den Rücktritt des Richters Ronald Castille am Obersten Gerichtshof von dem Berufungsverfahren.

Hauptverteidiger Leonard Weinglass erklärte den Antrag, Castille als befangen von dem Verfahren auszuschließen, damit, daß der Richter eine lange Vorgeschichte hat hinsichtlich der "Verteidigung der Bezirksstaatsanwaltschaft, wenn es um Anschuldigungen von strafrechtlichen Übergriffen geht", und er wies auch darauf hin, daß Castille selber damals Bezirksstaatsanwalt in Philly war, als Mumia 1989 eine erste Berufung vor dem Obersten Gerichtshof des Staates eingelegt hatte. Weinglass unterstrich auch Castilles Verbindungen zu der "Fraternal Order of Police (FOP, Polizeibruderschaft), "einer dritten Partei in diesem Prozeß", die mit der Bezirksstaatsanwaltschaft Hand in Hand zusammengearbeitet hat bei dem Versuch, den legalen Lynchmord an Jamal zu erreichen. Bezeichnenderweise hatte ihn die FOP in Philly früher zum "Mann des Jahre" ernannt ("Pacific News Service", 5. August).

In den letzten Monaten gab es eine ganze Reihe von Berichten über Polizeibrutalität und -korruption in Philadelphia, und Hunderte von falschen Verurteilungen werden gegenwärtig neu aufgerollt. Rachel Wolkenstein, ebenfalls Verteidigerin von Jamal und Rechtsanwältin des Partisan Defense Committee (PDC), sagte auf der Pressekonferenz zur Situation in Philadelphia: "Zwar sind wir fest davon überzeugt, daß politische Hintergründe zu der Anklage gegen Mumia geführt haben, aber man muß nciht Mumia Abu-Jamal sein, damit einem ein fairer Prozeß vorenthalten wird und man gefälschten Beweisen ausgesetzt wird. "

Auf der Pressekonferenz stellte Weinglass fest: "Überall, wo Jamals Fall einer nochmaligen Überprüfung unterzogen wurde, sei es von Rechtsanwälten, von Journalisten, die sich mit dem Fall beschäftigt haben, oder von einem Fernsehsender wie HBO, ist die Schlußfolgerung zwangsläufig: Er braucht ein neues Verfahren. " Ein Dokumentarfilm über Jamal mit dem Titel "Ein Fall für berechtigte Zweifel?", den HBO in diesem Sommer gedreht hatte, machte es überdeutlich, daß Jamals "Verfahren" 1982 eine juristische Farce war. Die FOP in Philadelphia will mit allen Mitteln jede Aufdeckung des Komplotts gegen Jamal unterdrücken, und versuchte daher, einen Boykott gegen HBO zu organisieren, genauso wie sie es letztes Jahr gegen den Verlag machte, der Mumias machtvolles Buch mit seinen Gefängnisschriften "Live From Death Row (Mumia Abu-Jamal . .. aus der Todeszelle", Agipa Press, 1995) herausgebracht hat.

Trotz überwältigender Beweise seiner Unschuld ist Mumia Abu-Jamal immer noch in der Todeszelle eingesperrt. In dem gerade laufenden Wahlkampf konkurrieren die beiden großen kapitalistischen Parteien - Demokraten und Republikaner - um das rassistische "Recht-und-Ordnung"-Image, besonders durch ihr Drängen auf die barbarische Todesstrafe. Ein von Clinton vorgeschlagenes "Antiterrorismus"-Gesetz, das Anfang des Jahres mit der überwältigenden Mehrheit der Stimmen beider Parteien angenommen wurde, weitet die Anwendungsmöglichkeiten für die Todesstrafe enorm aus. Clinton zeigte schon seine Entschlossenheit, rassistische legale Lynchmorde zu beschleunigen, als er 1992 seine Wahlkampagne extra unterbrach, um die Hinrichtung eines hirngeschädigten schwarzen Mannes, Ricky Ray Rector, in Arkansas zu beaufsichtigen.

Die Verfolgung von Jamal und die gegenwärtige Beschleunigung der Hinrichtungen sind integrale Bestandteile des rassistischen "Rechts"systems der USA und enthüllen das Spinnennetz von Unterdrückung durch Polizei, Gerichte und Staatsanwälte, die zusammen den kapitalistischen Staat ausmachen. Das wird besonders klar, wenn man sich die mörderische Vendetta gegen Mumia ansieht: Castille, der gegenwärtige Richter am Obersten Gerichtshof, war vorher der polizeifreundliche Bezirksstaatsanwalt und Unterzeichner des Dokuments, das Jamals Berufung beim Obersten Gerichtshof von Pennsylvania zurückwies; der gegenwärtige Bürgermeister Rendell war Bezirksstaatsanwalt in Philly zur Zeit von Jamals Gerichtsverfahren; die gegenwärtige Bezirksstaatsanwältin Lynne Abraham, eine fanatische Befürworterin der Todesstrafe, war die Richterin, die gegen Mumia im Dezember 1981 Anklage erhob, und die Unterzeichnerin der Befehle, die im Mai 1985 zu der grauenhaften Bombardierung der MOVE-Kommune führten. (...)

Freiheit für Mumia Abu-Jamal! Weg mit der rassistischen Todesstrafe!

Spartakist

 

Internationaler Aktionstag für Mumia Abu-Jamal


Der 9. Dezember ist der 15. Jahrestag der Verhaftung Mumias. Die Unterstützungskomitees in den USA rufen deswegen zu einem INTERNATIONALEN AKTIONSTAG auf. In New York wird eine bundesweite Demonstration in der Wall Street, die als Straße des Großkapitals bezeichnet wird, statt. In der BRD sollen anläßlich des Jahrestages auch Aktionen stattfinden. (d. Red.)


Wieder britische "Shoot-to-kill"-Operation?


Drei Tage nach der Ermordung des Iren Diarmuid O'Neill ist es klar, daß er in einer wohlvorbereiteten "Shoot-to-kill"-Operation (meint Hinrichtung im Schnellverfahren, Anm. d. Ü.) von der britischen Polizei ermordet wurde.

Zur ausgeklügelten "Operation" paßte dann auch die Falschinformationskampagne, die selbiger folgte und darauf abzielt(e), die Öffentlichkeit via Medien davon zu überzeugen, in einem Haus in Hammersmith/London habe es einen Schußwechsel gegeben, in dem der junge Mann "umkam". Die Polizei stellte die Tötung in einen Zusammenhang mit der Beschlagnahmung von Sprengstoff und Verhaftungen von weiteren Menschen in und um London.

Doch Dienstag nacht bestätigten britische Polizeichefs gegenüber JournalistInnen, daß O'Neill unbewaffnet gewesen ist und keinerlei Waffen in dem Haus gefunden wurden.

Viele Fakten werden erst noch rauskommen, aber schon jetzt haben sich neue (alte) Fakten bezüglich britischer Shoot-to-kill-"Politik" und Einsatz in sog. "anti-terroristischen Operationen" vermittels unverhältnismäßig stark bewaffneter Streitkräfte und Geheimdienste ergeben, die jetzt auch in Britannien selbst zum Einsatz kommen.

(...) Wie schon oben erwähnt, sprachen alle Medienberichte anfangs - sowohl der Mainstream Britanniens wie Irlands - von einem Feuergefecht und zeigten Fotos eines Waffendepots nebst Sprengstoff.

Erst Mittwoch gab die Polizei schließlich zu, der tote Mann sei unbewaffnet gewesen und im Haus keinerlei Waffen.

Die ersten Fernsehberichte deuten darauf hin, daß die Polizei AugenzeugInnen befohlen hatte, nicht mit der Presse zu reden. Deshalb sprachen die ersten AugenzeugInnen davon, die Polizei habe jemandem zugerufen, die Waffe(n) fallenzulassen. Alles deutet auf eine total kontrollierte Polizeioperation gegen einen Unbewaffneten hin.

(...) Was bislang klar ist: Montag morgen gegen 4.30 Uhr wurde ein Haus in Hammersmith/London von der Polizei gerazzt. Sie feuerte Tränengas- und Blendschockgranaten ins Haus. Dabei wurde Diarmuid O'Neill (27) drinnen tödlich verwundet und noch blutend die Stufen runter auf den Fußweg geschleift. Später verstarb er im Krankenhaus. Ein weiterer Mann wurde im selben Haus verhaftet. Zur selben Zeit wurden drei Männer in Fulham sowie ein weiterer auf dem Londoner Flughafen Gatwick verhaftet.

In Hornsey Vale/N-London wurden Sprengstoff, Waffen und Munition gefunden, aber niemand verhaftet.

Unmittelbar danach erklärte John Major, er sei über die Polizeioperation "absolut erfreut", während der irische Premier John Bruton John Major anrief und ihm Glückwünsche an die britische Polizei übermittelte.

Fouscailt (zu dt. Befreiung, Anm. d. Ü.), die in London ansässige Initiative zur Freilassung der irischen politischen Gefangenen erklärt, die Polizei habe eine riesige Vertuschungskampagne gestartet. Sonntag, den 6. Oktober 1996, werden sie eine Kundgebung vor der Downing Street, dem englischen Regierungssitz, abhalten, um von John Major eine vollständige und öffentliche Untersuchung in der jüngsten Ermordung zu fordern.

(Aus: An Phoblacht/Republican News, 26. 9.1996)

Britische Hinhaltetaktik bei Repatriierung irischer politischer Gefangener in England

 

Angehörige und AktivistInnen haben die Nachricht begrüßt, daß drei weitere irische politische Gefangene aus England nach Irland repatriiert werden.

Wenn die letzten juristischen Details geklärt sind, sollen die Dubliner Pairic Mac Fhloinn, Michael O'Brien und Derek Doherty, alle augenblicklich im Full Sutton Knast/Yorkshire gefangengehalten, innerhalb der nächsten vierzehn Tage in den Portlaoise Knast/Republik Irland verlegt werden.

Eigentlich hatten alle gehofft, daß sich auf der Liste der Zurückverlegten auch der 69jährige (!!!) Joe McKinny befinden würde, der in vier Monaten zur Entlassung ansteht, doch dem war leider nicht so. Joe hat mittlerweile 11 von 16 Jahren ab"gesessen" und wurde im letzten Jahr befristeter Hafturlaub verweigert.

(...) Damit sind es nun ganze fünf politische Gefangene aus England, die seit der Ratifizierung der Europäischen Konvention über die Verlegung verurteilter Gefangener am 1.11.1995 zurückverlegt worden sind. Der von den Brits schleichend dahingemordete Gefangene Patrick Kelly aus Laois wurde erst nach massivem öffentlichen und politischen Druck auf das britische Innenministerium, namentlich Michael Howard, verlegt, während Brendan Dowd nach verweigerter vorübergehender Haftentlassung repatriiert wurde, aber die Haftentlassung der anderen Kriegsgefangenen, die mit ihm zusammen verurteilt worden waren wegen derselben Sachen, genehmigt wurde. Mittlerweile befindet sich Brendan Dowd im 22. Haftjahr (!!!).

Trotz dieser Neuigkeiten in dieser Woche sind die politischen Gefangenen in England wegen der Hinhaltetaktik der Brits bei der Übernahme der Repatriierungsgesetze immer frustrierter. Weitere Verzögerungen seitens des britischen Innenministeriums sind zu erwarten, ehe auch nur eine weiterer PoW repatriiert wird. Insgesamt stehen noch 15 irische PoWs zur Repatriierung an.

Sinn Feins Vize Pat Doherty begrüßte die Entscheidung zur Repatriierung, merkte aber auch an, daß das "sehr sehr lange gedauert hat". Er erklärte, für die Familien sei das riesig, sie, die "lange, teure und anstrengende Reisen jahrelang auf sich nehmen mußten", wiederholte aber auch, daß es "eine ganze Reihe weiterer Gefangener gebe, die ebenfalls ihre Verlegung in Knäste beantragt haben, die näher bei ihrer Heimat liegen. Wir hoffen, daß ihre Fälle so schnell wie möglich geklärt werden".

Eamon O Cuiv von der Ex-Regierungspartei Fianna Fail, der Anfang diesen Monats mehrere republikanische Gefangene besuchte, berichtete, sie seien wegen mangelnder Bewegung bei Knastfragen und was den Friedensprozeß betrifft, frustriert, und ihre Stimmung sei "weniger gut als bei vorangegangenen Besuchen, insbesondere während der Feuereinstellung.

Es gäbe so viel zur Verbesserung der Lage der politisch motivierten Gefangenen zu tun, allein aus humanitären Gründen und aus Gründen der Gleichbehandlung vor dem Gesetz". (Aus: AP/RN, 26. 9.1996)


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"Guerilla" - deutschsprachige Übersetzung von Texten zu Che aus der Zeitschrift "Guerilla". Aus dem Inhalt: Ansprache beim zweiten Wirtschaftsseminar der afro-asiatischen Solidarität Februar 1965 (Che Guevara); Hasta Siempre Comandante (gefangene Militante aus Action Directe); ein Beitrag von vier gefangenen italienischen GenossInnen; Sie wollen Che begraben (Tupac Amaru, Peru); Der Sozialismus und der Mensch in Kuba (Che Guevara). Zu beziehen über: Texte zu Che, c/o Internationalistisches Komitee, Am Landwehrplatz 2, 66111 Saarbrücken. Preis: 3,50 DM inkl. Versand.

 

"Irisch-Republikanische Nachrichten Nr. 18" vom September '96. Aus dem Inhalt: I.R.A. 02-06/96; Orange Terror; Geschichte: Irische Revolution 1916; Frauen; Rassismus in den USA; 10 Jahre AFA/GB; zur Lage in Euskadi. Ca. 50 Seiten, 5 DM. Nur Vorauskasse, ab 3 Ex../Läden 30% Rabatt. Bestellung an: FreundInnen Irlands, c/o M99, Manteuffelstr. 96, 10997 Berlin.

 

"Spirit of Resistance" Nr. 5 - halbjährl. Irland Zeitung. Inhalt: Aktuelles zum Friedensprozeß, Interviews mit Frauen zum Friedensprozeß, Tourismus im Bürgerkriegsland, "A Day of Irish Life in Germany", viel Hintergründiges und vieles mehr. Einzelheft 5 DM plus 1,50 DM Porto u.Versand, ab 5 Expl. 4 DM plus 2,50 DM P. u. V.. Für Gefangene umsonst. Bestellungen gegen Vorauskasse an: Irland-Gruppe, c/o Infoladen Anschlag, Heeper Str. 132, 33607 Bielefeld.

 


Orwellsche Gedankenpolizei 12 Jahre zu spät

Polizeiüberfall auf Filmveranstaltung im Café Exzess, Frankfurt

Ereignisse

Am Abend des 27. 9.96 fand im Café Exzess, Leipzigerstraße, wie gewöhnlich eine seit mehreren Wochen angekündigte Filmvorführung statt. Der aufgeführte Film wurde zuvor schon, ohne Beanstandungen, in Hamburg und Berlin gezeigt. Die ca. 80 ZuschauerInnen sahen ca. 45 Minuten lang ein Video, der Rassismus und Abschiebepolitik in Deutschland und Widerstandsaktionen dokumentiert. Kurz vor Ende des Films stürmten gegen ca. 21.30 Uhr ohne Vorwarnung Sondereinsatzkommandos der Polizei in den dunklen Saal. Bei diesem massiven Überfall auf die BesucherInnen wurden mehrere Personen überrannt, geschlagen, verletzt und sofort an die Wand gestellt oder auf den Boden geworfen. Wir mußten dann z. T. über eine Stunde mit gespreizten Beinen und Händen an den Wänden verharren.

Trotz mehrmaliger Aufforderung der BesucherInnen, die Gründe des polizeilichen Vorgehens zu nennen, wurde dem von Einsatzleiter Grinzinger nicht entsprochen. Während der ganzen Zeit, in der die noch schockierten BesucherInnen im unklaren gelassen wurden, was mit ihnen geschehen wird, liefen hinter ihrem Rücken verschiedene Foto- und Videodokumentationstrupps durch die Halle, wurden Videogeräte, eine Mailbox, Zeitungen, Broschüren und Bücher abtransportiert.

Einzeln wurden die Festgenommenen aus dem Saal geführt, durchsucht, fotografiert und z. T. gefesselt in das Polizeigewahrsam Klapperfeld abtransportiert. Bis 6 Uhr morgens zog sich die mit Gewaltandrohung bzw. gewaltsam durchgeführten "Erkennungsdienstlichen Behandlungen" der vorläufig Inhaftierten dieser politischen Veranstaltung hin, dies heißt, das Festhalten der Personalien, Abnahme eines Fingerabdrucks und fotografische Aufnahme jedes / jeder Betroffenen. Auch dort wurde nicht allen Betroffenen mitgeteilt, was die Grundlage der "polizeilichen Maßnahme" war. Anderen wurde gesagt, daß dies ein 129a-Verfahren wäre, ohne zu konkretisieren, ob das Anschauen dieses Films kriminalisiert wird.

Aktion Wasserschlag

Gerechtfertigt wird der Polizeiüberfall auf diese Film- und Diskussionsveranstaltung mit einem "Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen "Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung" (129a StGB), womit "Keine Verbindung e. V." und "K.A.B.E.L.S.C.H.N.I.T.T" gemeint sein sollen, die sich 1995 und 96 zu Sabotageaktionen bekannt haben. Da sich die Ermittlungen offensichtlich im Kreis drehen, hofften BKA/BAW, mit dem Überfall auf eine Filmveranstaltung auf eine "Heiße Spur" zu stoßen.

In dem Beschluß zur Durchsuchung des Café Exzess und "der darin festgestellten Personen sowie die Beschlagnahme des Films" waren folgende Hoffnungen verknüpft:

1. "Es ist zu erwarten, daß der Film selbst Informationen zum Tathergang oder den Tätern beinhaltet und damit als Beweismittel in Betracht kommt oder sonstige Beweismittel in dem Lokal für die anschließende Diskussion bereitgehalten werden. " Was diesen Hoffnungsschimmer anbelangt, gibt es eine klare Antwort: "Der Film selbst jedenfalls sei nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht zu beanstanden. " (junge Welt vom 1. 10.96) So jedenfalls äußerte sich der Sprecher der BAW Hannich.

2. Der Beschluß schürt die Hoffnung, daß "sonstige Beweismittel in dem Lokal für anschließende Diskussion bereitgehalten wurden". Geht mensch die Liste der beschlagnahmten Gegenstände durch, so läßt sich selbst mit bester Absicht nicht ergründen, was ein "Sammelordner Kurdistan", eine Skizze "Umbau Exzess 1:100" oder ein Foto "Halim Dener" mit besagten Sabotageaktionen zu tun haben könnten.

3. "Es ist auch zu erwarten, daß sich die unbekannten Täter selbst als Zuschauer unter dem Publikum befinden und Gegenstände mit sich führen, die der Überführung dienen können. " Sehen wir einfach einmal davon ab, woran man einen "Täter" von einem "Zuschauer" unterscheiden kann, steht schlichtweg fest:

ALLE ZuschauerInnen der Filmveranstaltung wurden freigelassen. Hätte es nur einen winzigen Anhaltspunkt oder einen Hauch von Beweismitteln gegeben, wären diese Personen nie freigelassen worden.

Die Erwartungen, die in diesem Beschluß formuliert sind, wurden gänzlich enttäuscht. Der Polizeiüberfall war von A bis Z ein Schlag ins Wasser. Die Tatsache, daß mit der Festnahme des genannten Publikums ein Exempel (statuiert) werden sollte, kann sich nicht einmal mit einem Krümelchen von "Beweisen" rechtfertigen.


Der Film

Was durch die Maßnahmen an diesem Abend unmöglich gemacht wurde, ist nicht die Werbung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, sondern die Diskussion über die politische Bestimmung und Form von Widerstand gegen Rassismus.

Indem der Film verschiedene Facetten des Rassismus in Deutschland beleuchtet, von den Pogromen von Solingen bis Rostock-Lichtenhagen, Kollaboration von Polizei und Justiz mit den Brandstiftern bis hin zum institutionalisierten Rassismus von Bundestag und Ausländerbehörde sowie die Vollstreckung der Abschiebepolitik durch den BGS am Frankfurter Flughafen und die Bereitstellung der technischen, räumlichen und logistischen Mittel durch die Flughafen AG, stellt er die Frage, welche Widerstandsformen dieser Entwicklung entgegengestellt werden können. Selbstschutzversuche von MigrantInnen, die Blockade des Bundestages am Tag der faktischen Abschaffung des Asylrechts im Mai '93 und die Anschläge gegen das Glasfasernetz am Frankfurter Flughafen sind Beispiele, die der Film benennt.

Eine Diskussion wäre darüber geführt worden, wo der Widerstand gegen Rassismus anfangen muß, und die Brutalität des Polizeieinsatzes meinte all jene, die diese Diskussion zu führen bereit sind.

Mit der Kriminalisierung der Veranstaltung wird der 129a abermals benutzt, um in Orwellscher Tradition Gedankenverbrechen zu bestrafen. Über politische Strategien, die sich nicht an die Regeln der Herrschenden halten, soll nicht mal mehr informiert werden dürfen. Die Verbreitung von Information als Werbung für den Terrorismus zu kriminalisieren, bedeutet, daß im Kopf der Verantwortlichen für diese Maßnahme der Versuch zu denken bereits den Tatbestand des Terrorismus erfüllt. Ob sie dabei versuchen, das Bild von der Linken als inneren Feind hochzuhalten, oder ob sie der Meinung sind, wer einmal mit dem Denken beginnt, müsse zwangsläufig bei dem landen, was sie als Terrorismus bezeichnen, ist für uns nicht zu entscheiden.

Wir lassen uns nicht von staatlicher Seite die Grenze zwischen erlaubtem und unerlaubtem Widerstand ziehen. Wir unterscheiden selbst, welche Diskussion wir in der Öffentlichkeit führen und welche Filme bzw. andere Informationsquellen wir dafür nutzen und für sinnvoll halten.

Wir fordern alle auf, sich diesen Film zugänglich zu machen, ihn öffentlich zu zeigen und über antirassistischen Widerstand zu diskutieren.

 

Im Zusammenhang mit dem Polizeiüberfall auf die Veranstaltung im Café Exzess fordern wir:

1. Rückgabe aller beschlagnahmten Gegenstände!

2. Vernichtung aller ED-Unterlagen!

3. Einstellung aller Ermittlungsverfahren!

Die ZuschauerInnen

 

Die Forderungen dieses Aufrufs werden unterstützt von:

Edition ID-Archiv, Berlin/Amsterdam; Konkret Literatur Verlag, Hamburg; Alibaba Verlag, Frankfurt; Stroemfeld Verlag, Frankfurt; Edition Freie Kultur Aktion, Berlin; Schwarzrotbuch Verlag, Berlin; Schmetterling Verlag, Stuttgart; Trotzdem Verlag, Grafenau; Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg; Edition Nautilus, Hamburg; Rotation Verlag & Vertrieb; Verlag zu Klampen, Lüneburg; Schwarze Risse Verlag, Berlin; Ca-ira-Verlag, Freiburg; AG-Spak Bücher, München; IBDK Verlag und Vertrieb, Aschaffenburg; Karin Kramer Verlag, Berlin; Unrast Verlag, Münster; Atlantik Verlag, Bremen; Orlanda Frauenverlag, Berlin; Verlag Frauenoffensive, München; Feministischer Buchverlag, Wiesbaden.


Presseerklärung der Eltern von Wolfgang Grams


Aus Anlaß der Anrufung der Europäischen Menschenrechtskommission

Eltern von Wolfgang Grams erheben Beschwerde vor Europäischer Menschenrechtskommission

 

Die Eltern von Wolfgang Grams haben heute Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Strasbourg erhoben.

Mit der Menschenrechtsbeschwerde wird die Ermordung von Wolfgang Grams durch GSG-9-Beamte am 27. 6.1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen gerügt.

Nach Augenzeugenberichten wurde Wolfgang Grams durch einen aufgesetzten Schläfenschuß von einem GSG-9-Beamten getötet, nachdem er bereits schwer verwundet und wehrlos im Gleisbett lag. In der Folgezeit trat Bundesinnenminister Seiters wegen dem Einsatz der GSG 9 in Bad Kleinen und der Erschießung von Wolfgang Grams zurück. Auch der Generalbundesanwalt von Stahl mußte wegen dieser Ereignisse seinen "Hut nehmen".

Trotz der erdrückenden Beweise weigerten sich die zuständigen Staatsanwaltschaften durch alle Instanzen hindurch, Anklage gegen die beschuldigten GSG-9-Beamten zu erheben. Das Oberlandesgericht Rostock hat dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft bestätigt, und auch das Bundesverfassungsgericht hat sich einer Prüfung dieses eklatanten Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze verweigert und die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges sind die Eltern von Wolfgang Grams nunmehr gezwungen, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit der Erschießung ihres Sohnes duch GSG-9-Beamte und dem Versagen der deutschen Justiz zu befassen.

Für die Rechtsanwälte Thomas Kieseritzky und Andreas Groß: Andreas Groß, Rechtsanwalt

Wiesbaden, 25. 10.1996


Neue Drohung gegen Ursel Quack


Am 9. Oktober 1996 fand beim Landeskriminalamt Saarbrücken die Rückgabe der bei den Hausdurchsuchungen am 8. November 1994 beschlagnahmten - hauptsächlich handschriftlichen - Materialien statt. Der Termin war mir zuvor brieflich durch das Bundeskriminalamt mitgeteilt worden.

Nach der Aushändigung der Unterlagen durch eine LKA-Beamtin stellte sich mir ein BKA-Beamter als Leiter des Ermittlungsverfahrens gegen Steinmetz vor. Er fragte mich, ob ich bereit sei, in diesem Verfahren Aussagen zu machen.

Nach meinem Nein wies er mich darauf hin, daß ich "nur" als Zeugin aussagen müsse.

Nach meinem zweiten Nein sagte er, daß er das dann nach Karlsruhe weitergebe, worauf ich antwortete, daß ich die Vorladung der Bundesanwaltschaft erwarte, und ging.

Nach den vergeblichen Versuchen seitens des BKA, während meiner zweiwöchigen U-Haft 1994 zu Aussagen von mir zu kommen, und nach der Weigerung jeglicher Kooperation mit der Staatsschutzjustiz im 129a-Prozeß gegen mich ist dies nun ein weiterer Versuch, mich zur Zusammenarbeit zu bewegen.

(22. Oktober 1996)


Christel Fröhlich wird nach Frankreich ausgeliefert


Die italienische Justiz hat jetzt in letzter Instanz entschieden, daß Christel Fröhlich-Padula nach Frankreich ausgeliefert wird. Die italienische Justiz hat nur überprüft, ob das Auslieferungsverfahren gemäß Schengener Abkommen rechtmäßig ist, d. h. es gab nur eine formelle und keine inhaltlich Überprüfung, ob der Tatvorwurf überhaupt auf Christel Fröhlich zutrifft. Die Auslieferung muß, laut Gesetz, bis Ende November erfolgen.

Wir berichteten: Christel wurde am 28. Oktober 1995 in Rom auf Grund eines französischen Haftbefehls festgenommen. Sie war mit besonderer Erlaubnis der italienischen Behörden nach Rom gereist, um ihren Ehemann, Gefangener aus den Roten Brigaden, im Knast zu besuchen.

Die französische Regierung wirft ihr vor, am 19. 4.1982 in Ljubljana / Jugoslawien unter dem Namen Stadelmann das Auto gemietet zu haben, das am 22.4.1982 in der rue Marbeuf 33 in Paris explodierte. In dem Haus befand sich die Redaktion einer libanesischen Exilzeitung. Es ist nicht bekannt, welche Gruppe diesen Anschlag durchführte. Die französische Justiz rechnet ihn Carlos zu. Carlos wurde auf Antrag Frankreichs im Sudan verhaftet und im August 1994 nach Frankreich ausgeliefert.

Gegen Christel Fröhlich wurde schon 1982, als sie in Italien im Knast war, ermittelt, ob sie Stadelmann gewesen sei. Die Ermittlungen wurden eingestellt. 1991 ermittelte die deutsche Justiz auf Grund von Stasi-Unterlagen erneut. Die Ermittlungen wurden wieder eingestellt.

Es liegen keine neuen Fakten vor, nur die Verhaftung und Auslieferung von Carlos 1994. Gegen ihn ist bis heute keine Anklage erhoben.

Wir gehen davon aus, daß die Festnahme und Auslieferung von Christel Fröhlich erfolgt, weil sie sie zur Kronzeugin gegen Carlos machen wollen.

Damit wird sie an die französischen Behörden ausgeliefert, deren oberster Ermittlungsrichter de Bruguiàere ist. In politischen Verfahren ist er der oberste Ermittlungsrichter und Chefankläger in einer Person.

Wir fordern die sofortige Freilassung von Christel Fröhlich! Hannover, Oktober 1996

Solidaritätsgruppe zu Christel Fröhlich, c/o Annabee Buchladen, Gerberstr. 6, 20169 Hannover

Solidaritätskonto: Willms, Kto-Nr. 32437196, BLZ 250 501 80, Stadtsparkasse Hannover


Verhaftungsaktion gegen AnarchistInnen in Italien am 17.9.96

Am 17.9. fand in Italien eine große Verhaftungsaktion im Umfeld der anarchistischen Bewegung statt. Gegen 29 Menschen im Knast und draußen wurde die Anklage der Mitgliedschaft in einer "bewaffneten Bande mit terroristischer Zielsetzung" erhoben.


300 Polizisten verhafteten in den Provinzen Lombardei, Latium, Sizilien und Piemont 10 AnarchistInnen, 9 weitere werden noch gesucht. 10 Leute, unter ihnen Marco Camenisch, sitzen schon im Knast und werden erneut angeklagt.

Insgesamt sind 70 Anklagen erhoben und Dutzende von Durchsuchungen durchgeführt worden, wie Camenisch in einem Papier vom 22. September und "il manifesto" in einem Artikel vom 18. September schreiben.

Die jetztige Aktion wurde seitens Polizei und Staatsanwaltschaft seit längerem vorbereitet. Polizisten und Richter teilten am 17.9. in ihrer Pressekonferenz mit, daß die Anklage auf 2 Jahren Ermittlungstätigkeit beruhe.

Die radikale Anarchoszene hatte dies schon im November letzten Jahres zu spüren bekommen. Damals hatten Carabinieri der operativen Spezialgruppe Wohnungen etlicher AnarchistInnen in etwa 15 Städten Italiens durchsucht, ebenso die Zellen von anarchistischen Gefangenen. Im Frühling 96 wurden die Zellen von Marco Camenisch und Christos Stratigopoulos, im Hochsicherheitsknast von Novara, im Zuge dieser Ermittlungen durchsucht. Anschließend wurde eine halbjährige Zensur ihrer Post verfügt. Diese hatte zur Folge, daß sie nur noch italienischsprachige Post erhielten, alles Fremdsprachige wurde nach Rom weitergeleitet. Angeblich zur Übersetzung, bis heute erhielten sie aber keinen dieser Briefe.

Verantwortlich für die damalige wie auch die jetzige Aktion ist der römische Staatsanwalt Antonio Marini, der schon seit längerem als notorischer Verfolger revolutionärer linker Zusammenhänge bekannt ist.

Die Staatsanwaltschaft hat jetzt für die Anklage eine Organisation erfunden, der die Angeklagten angehören sollen, hat sie "Organizazzione Rivoluzionaria Anarchica Insurrezionalista" getauft und auch gleich mit einem Chef versehen, der - welch Fahndungserfolg - ebenfalls verhaftet wurde. Daß eine solche Organisationsform dem anarchistischen Gedankengut gewissermaßen zuwiderläuft, scheint sie nicht weiter zu stören.

Das Konstrukt der Staatsanwaltschaft in der 70seitigen Anklageschrift lautet folgendermaßen: Die sich der Organisation angeschlossen hätten, hätten sich Ende der 80er Jahre von der traditionellen anarchistischen Bewegung distanziert und diese des "Immobilismus" angeklagt. Die anarchistische Bewegung ihrerseits hätte sie des "Terrorismus" beschuldigt. Die Mitglieder seien aufgrund von Freundschaften rekrutiert worden und hätten Raubüberfälle, Sprengstoff- und Brandanschläge, Waffeneinkäufe und Entführungen ausgeführt. In einigen Aktionen hätten sie mit nicht näher bezeichneten "subversiven Zellen und gefährlichen Vereinigungen von Gemeinverbrechern" zusammengearbeitet.

Zur Beweisführung des äußerst vagen Konstrukts wird krampfhaft versucht, Zusammenhänge herzustellen zwischen dem Entführungsfall Silocchi sowie einer weiteren Entführung, dem Auffinden von Waffen und Sprengstoff in einem Keller in Rom und einigen Raubüberfällen, die z. T. von einigen der Angeklagten effektiv ausgeführt wurden und z. T. unaufgeklärt oder willkürlich einigen Angeklagten zur Last gelegt wurden. Außerdem sollen den Angeklagten anhand eines in einer anarchistischen Zeitung erschienenen Artikels zum Sprengen von Starkstrommasten Anschläge auf Masten angehängt werden. Auch solidarische Beziehungen müssen maßgeblich zur Beweisführung herhalten. Das heißt konkret: Leute, die einander schreiben und zusammen politisch aktiv sind, sind eine bewaffnete Bande.

Soweit ein Bericht von Marco Camenisch, der weiter den Zeitpunkt der Anklageerhebung als taktisch wichtig einschätzt. Denn dieses Konstrukt stützt sich auf die Aussagen einer Pentita (sprich einer Frau, die gegen andere ausgesagt hat), diese sollen wiederum durch das neue Konstrukt gestützt werden. Bei den 2 Prozessen, die sich auf die Aussagen der Pentita stützen, handelt es sich um den Entführungsfall Silocchi und einen Raubüberfall in Trento. Die beiden Verfahren müssen in nächster Zeit vor Kassations- und Appellationsgericht, und mit ihrem Ausgang steht und fällt die Glaubwürdigkeit der Pentita.

Von Marco Camenisch wird in der Anklageschrift behauptet, er sei eine führende Person der erfundenen Organisation. Weitere Masten versuchen sie ihm anzuhängen mit der Argumentation, es seien andernorts die gleichen Zünder gefunden worden wie bei ihm. Diese seien außerdem identisch mit den Beschreibungen von Zündungsbasteleien in der anarchistischen Presse. Diese Zünder werden aber in jedem Steinbruch dieser Welt geführt, und Anleitungen zum Basteln zirkulieren ebenfalls schon lange in verschiedensten Zeitschriften. Weiter werden im 70seitigen Roman Auszüge aus Briefen von Marco Camenisch zitiert, in denen er von Geld und Kassen schreibt - wohl um ihn in Zusammenhang mit den Raubüberfällen zu bringen. Daß es sich dabei um eine Solidaritätskasse zur Unterstützung von politischen Gefangenen handelte, wird geflissentlich weggelassen.

Soviel zur Anklage von Marco Camenisch, dem nach Erhalt von Haftbefehl und Anklageschrift sogleich der Kontakt mit Christos Stratigopoulos, dem anderen ebenfalls neu angeklagten anarchistischen Gefangenen in Novara, verboten wurde. Beide wurden am letzten Donnerstag (26.9.) zur Einvernahme nach Rom verlegt, natürlich ohne Nachricht an die Angehörigen, welche tags darauf vergeblich zum abgemachten und bewilligten Besuch nach Novara reisten.

Marco Camenisch stellt zur Anklageschrift fest, daß die Staatsanwaltschaft möglicherweise Nachhilfeunterricht zu den Grundprinzipien des Anarchismus gebrauchen könnte und daß im ganzen Konstrukt vor allem der Entführungsfall Silocchi den Versuch darstellt, die AnarchistInnen kollektiv rufzumorden.

Zum besseren Verständnis eine kurze Anmerkung zum Entführungsfall Silocchi: 1989 wurde in der Provinz Parma die Ehefrau eines Unternehmers entführt. Während der erfolglosen Verhandlungen um das Lösegeld wurde dem Ehemann ein Ohr seiner Frau zugestellt. Die Frau ist bis heute verschwunden, und die Polizei nimmt an, daß sie tot ist. 1991 wurden AnarchistInnen verhaftet und angeklagt, die Entführung durchgeführt zu haben. Sie wurden ausschließlich aufgrund von konstruierten Indizien schuldig gesprochen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es wurden Knochen menschlicher Herkunft und ein zerhämmerter Goldring auf dem Besitz der beschuldigten sardischen Hirten gefunden. Später stellte sich heraus, daß der Ehemann einen Hauptmann der Carabinieri bestochen hatte, damit die Knochen dorthin geschafft und dies der Polizei angezeigt wurde. Trotzdem wurde das Urteil gegen die AnarchistInnen 1995 vor dem Appellationsgericht bestätigt! - Soviel zum Fall Silocchi, der auch zeigt, was AnarchistInnen von der italienischen Justiz zu erwarten haben.

Für Marco Camenisch, der in Italien von 12 Jahren Knast 5 abgesessen hat, ist mit dem erneuten Prozeß unklar, wieviel Zeit er noch in italienischen Knästen verbringen muß. Klar ist nur, daß er anschließend an die Schweiz ausgeliefert wird, wo er 1981 zu 10 Jahren verurteilt wurde wegen eines gefällten Strommastes, sich aber nach 1 Jahr in Haft absetzte. Über das jetzige Verfahren gegen AnarchistInnen in Italien ist zur Zeit noch nicht mehr bekannt als die erwähnte Anklageschrift.

Abschrift eines Berichts im alternativen LokalRadio LoRa, Zürich, vom 3.10.96


Zwei Peruaner und ihre Tochter sollen aus Uruguay an Peru ausgeliefet werden

Keine Auslieferung von Silvia, Carolina und Luis Miguel!

September 1996

Liebe Freundinnen und Freunde,

uns hat ein Bericht über die Situation von zwei Peruanern und ihrer vierjährigen Tochter erreicht, die in unserem Land verhaftet wurden und auf Antrag der peruanischen Regierung mittels des Antiterrorismusgesetzes, der von den uruguayischen Richtern akzeptiert wurde, in Auslieferungshaft sind.

Der Grund für diesen Brief ist es, Sie zu bitten, innerhalb einer Kampagne, die Organisationen von Frauen und Menschenrechtsorganisationen in Uruguay durchführen, den beigefügten Briefentwurf abzuschicken, dies z. B. als Organisation, als solidarische Gruppe oder als Einzelperson.

Alles, was wir für Silvia, Luis Miguel und ihre Tochter Carolina tun können, ist wenig im Verhältnis dazu, daß durch ihre Auslieferung nach Peru ihr Leben in Gefahr ist oder mindestens ihre physische Unversehrtheit.

Es bleibt wenig Zeit, um zu versuchen, auf ACNUR Druck auszuüben. Die uruguayische Justiz, auf Anordnung der Regierung, hat schon die Auslieferung nach Peru akzeptiert, und die Auslieferung kann jederzeit von einem Tag auf den anderen geschehen.

Darum hoffen wir auf Eure solidarische Unterstützung.

Herzliche Grüße,

Yessie Macchi, Vorstand von a. c. a. (amigas de la comunicacion alternativa, Uruguay)

Silvia, Carolina und Luis Miguel

Die peruanischen Staatsbürger Luis Miguel Samaniego, Silvia Sonia Gora Rivera und ihre 4jährige Tochter Carol Caballero Gora aus Bolivien kamen im Dezember 1995 nach Uruguay.

Sie reisten mit bolivianischen Papieren, offiziell ausgestellt in Bolivien, wo sie seit 1994 ihren Wohnsitz haben.

Am 12. Dezember 1995 erschienen sie im Büro der "Organisation für Flüchtlinge" (OPR), einer Organisation, die Übereinkommen mit ACNUR hat (Hochkommissariat für Flüchtlinge der UNO, mit Sitz in Buenos Aires). Dort gaben sie ihre wahre Identität bekannt und begannen, sich um Asyl zu bewerben, weil sie sich in Bolivien verfolgt fühlen wegen einer Kampagne dort gegen Peruaner, die angeblich mit dem Terrorismus in Zusammenhang stehen.

Am folgenden Tag lancierten die Zeitungen und das uruguayische Fernsehen eine sehr heftige Kampagne, daß nach Uruguay Terroristen von Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) gekommen sind, die mit der Entführung des bolivianischen Unternehmers Samuel Doria Medina in Zusammenhang stehen, mit der Forderung nach Festnahme der Genannten durch das Innenministerium Uruguays.

Das Ökumenische Werk für die Menschenwürde (SEDH), eine uruguayische Organisation für Menschenrechte, das auf Bitte der OPR für die Unterkunft der besagten Personen gesorgt hat, begleitete sie aufgrund einer Forderung des uruguayischen Innenministeriums am 14. Dezember zu einem Gericht.

Dieses entschied nach den Erklärungen für ihre Freiheit und das Verfahren einzustellen, da es keinerlei Beschuldigungen gegen sie gab, nicht in Uruguay oder in einem anderen Land.

Am 16. Dezember kam die Forderung nach Festnahme von Silvia Gora aus Peru über Interpol, die sofort auch erschien, und seitdem ist sie in Abschiebehaft im Frauengefängnis, gemeinsam mit ihrer Tochter, die aufgrund dessen ernste emotionale Schwierigkeiten hat und deren physische wie psychische Gesundheit angegriffen ist.

Am Montag, den 18. Dezember kam aus Bolivien ein Antrag auf Festnahme, wieder über Interpol, von Silvia und Luis Miguel. Er ist seitdem in Abschiebehaft im Gefängnis Central.

Am 20. Dezember 1995 beantragte die peruanische Regierung die Untersuchungshaft von Silvia Gora, und am 26. Dezember stellten sie den Auslieferungsantrag. Die uruguayischen Richter entsprachen dem Antrag am 17. Mai 1996 und bewilligten die Auslieferung des Paares, zuerst nach Peru und danach nach Bolivien.

Der Antrag auf Asyl von Silvia und Luis Miguel bei ACNUR wurde nicht beantwortet.

Im September diesen Jahres wurde Silvia in das Gefängnis "Libertad" verlegt, ein Gefängnis ausschließlich für Männer, in Einzelisolation. Ihre Tochter lebt zur Zeit bei einer solidarischen Familie. Auf die Beschwerde der Anwälte gegen die Verlegung gaben sie Sicherheitsgründe vor. Silvia ist heute einem absoluten Kommunikationsverbot im Gefängnis unterworfen.

Man muß befürchten, daß ihre Ausweisung und die von Luis Miguel kurz bevorsteht. In Peru und Bolivien kann keiner für ihre physische Unversehrtheit garantierten und auch nicht für ihr Leben.

Vorschlag für Solidaritätsbriefe: Einmal in Deutsch ...

Sr. Guillerme L. da Cunha

Representante Regional para el Sur de America Latina del ACNUR

Lavalle 348, 50. piso

1306 Buenos Aires, Argentina

Fax: 0 05 41/3 12 57 66

 

Mit unserer größten Hochachtung:

Mittels dieses Briefes, den wir an Sie richten, bitten wir Sie als Vertreter von ACNUR, umgehend in dem Fall der peruanischen Staatsbürger Luis Miguel Samaniego und Silvia Sonia Gora Rivera, die zur Zeit in Uruguay festgenommen sind und nach Peru und Bolivien ausgeliefert werden sollen, zu vermitteln.

Zuerst einmal, da wir die Beschuldigungen gegen sie, über die gerichtlich geurteilt wurde, als eindeutig politisch ansehen, fordern wir Sie auf, daß Sie ihnen den Status als Flüchtlinge durch ACNUR anerkennen.

Zweitens, aufgrund dessen, daß es keine Garantien für einen unparteiischen Prozeß in Peru gibt und daß man ihre physische Unversehrtheit als gefährdet ansehen muß, wenn sie nach Peru ausgeliefert werden, kann zu ihrem Schutz der Artikel 30 der Konvention gegen Folter angewendet werden, der von der uruguayischen Regierung unterzeichnet wurde im Gesetz Nr. 15.789 vom 27.12.85, und das sagt:

"1. Kein Staat darf eine Ausweisung oder Auslieferung einer Person an andere Staaten durchführen, wo berechtigte Gründe dafür bestehen, daß die Gefahr besteht, daß sie gefoltert wird.

2. In dem Falle, wo festgestellt wird, daß es diese Gründe gibt, sind die zuständigen Behörden und Stellen angewiesen, alle sachgemäßen Bedenken in Betracht zu ziehen, insbesondere wenn es sich um einen Staat handelt, in dem regelmäßig offene und massive Menschenrechtsverletzungen stattfinden. "

Verschiedene Berichte zeigen, daß dies bei Peru der Fall ist: Amnesty International, Bericht von 1994 und 1995; Komitee gegen Folter der UNO, Ergebnisse und Empfehlungen an die peruanische Regierung (November 1994); Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH-OEA) u.a.

Darum bitten wir Sie und ACNUR als Organisation für Flüchtlinge im Süden La-teinamerikas, daß Sie Luis Miguel Samaniego und Silvia Sonia Gora Rivera den Status als Flüchtlinge anerkennen.

Mit freundlichen Grüßen

... und dann noch einmal in Spanisch

Sr. Guillerme L. da Cunha

Representante Regional para el Sur de America Latina del ACNUR

Lavalle 348, 50. piso

1306 Buenos Aires, Argentina

Fax: 0 05 41/3 12 57 66

 

Por medio de la presente nos dirigimos a Ud. para solicitarle, en representacion de su organismo ACNUR, su pronta mediacion en el caso de los ciudadanos peruanos Luis Miguel Samaniego y Silvia Sonia Gora Rivera, actualmente detenidos en Uruguay y con una extradicion pendiente a Peru y a Bolivia.

En primer lugar, consideramos que los cargos contra ellos, que son claramente de caracter politico y sobre los que fueron juzgados, ameritan que se les otorgue el estatuto de Refugiados por parte del ACNUR.

En segundo lugar, en virtud de la ausencia de garantias para un proceso judicial impercial y debido al riesgo de su integridad fisica si son trasladados al Peru, nos amparamos en el Articulo 30. de la Convencion contra la Tortura, que el gobierno uruguayo firmo y ratifico por ley No. 15.789 del 27/12/85 y que dice:

 

"1. Ningun Estado procedera a la expulsion, devolucion o extradicion de una persona a otro Estado cuando haya razones fundadas para creer que estaria en peligro de ser sometida a tortura.

2. A los efectos de determinar si existen esas razones, las autoridades competentes tendran en cuenta todas las consideraciones pertinentes, inclusive, cuando proceda, la existencia en el Estado de que se trate de un cuadro persistente de violaciones manifiestas, patentes o masivas de los derechos humanos."

 

Varios informes demuestran que este es el caso del Peru: Amnistia Internacional, informes 1994 y 1995; Comite contra la Tortura (ONU), Conclusiones y recomendaciones al gobierno de Peru (noviembre de 1994); Comision Interamericana de DDHH (CIDH-OEA), entre otros.

Es por esto que solicitamos a Ud. y al organismo que representa en el sur de America Latina (ACNUR) que se le otorgue el estatuto de refugiados a Luis Miguel Samaniego y a Silvia Sonia Gora Rivera.

 

Saludamos a Ud. atentamente,

 

Wer ist das MRTA?

(Versuch einer Darstellung)

Das Movimiento Revolucionario Tupac Amaru ist eine politische Organisation von Arbeitern und Arbeiterinnen, Bauern, Studenten, religiösen Menschen, progressiven Intellektuellen und Militärs in Peru. Das MRTA sucht nach einer Veränderung der peruanischen Gesellschaft, es kämpft für eine sozial gerechte Gesellschaft. Es entstand 1984 als bewaffnete Organisation - Ejercito Popular Tupacamarista (EPT) und als Antwort auf die Anwendung des neoliberalen Modells in Peru, die das peruanische Volk in absolute Armut stürzte und ihren gerechten Protest unterdrückte. Die Repression der Regierung ist wirklicher Staatsterrorismus, besonders seit der Regierung und dem Putsch von Fujimori. Dieser Präsident verbündete sich mit den reaktionärsten Kräften im Militär und den Geheimdiensten und setzte die politischen und ökonomischen Programme der transnationalen Konzerne und des IWF durch. Dafür setzte Fujimori das gesamte Rechtssystem außer Kraft, verwandelte Peru in eine Diktatur, eine der repressivsten in Lateinamerika.

Während der ganzen Zeit stand das peruanische Volk zwischen zwei Feuern: auf der einen Seite der Staatsterrorismus, der mehr als 200 000 Opfer gefordert hat, und auf der anderen Seite die unverständliche Politik von Sendero Luminoso, der die Organisationen des Volkes angreift und sich damit nicht von den Vernichtungspraktiken des Regimes unterscheidet, das es zu bekämpfen vorgibt. Dieses ermöglichte Fujimori, eine psychosoziale Kampagne zu entfalten, die Verunsicherung bis einschließlich in die fortschrittlichen Kräfte schaffte. Er schaffte es, die irrationale Politik von Sendero Luminoso mit revolutionärem Kampf gleichzusetzen. Dieser Irrtum reicht bis in internationale Organisationen und Kräfte: Das Forum von Sao Paulo hat das MRTA noch nicht als Mitglied aufgenommen, und auch in anderen Ländern wird das MRTA mit Sendero (oder seiner irrationalen Politik) gleichgesetzt, was es sehr schwer macht, eine notwendige Solidarität für diese Organisation zu bekommen.

Heute hat das MRTA entschieden, einen taktischen Rückzug durchzuführen. Nachdem die wichtigsten Führer und Hunderte ihrer Kämpfer im Gefängnis sind, die Arbeiter- und Volksbewegungen in einem verunsicherten und geschwächten Zustand aufgrund der staatlichen Repression und der falschen Politik von Sendero sind, hat sich das MRTA entschieden, eine Phase der Sammlung von Kräften durchzuführen mittels bewaffneter Propagandaaktionen, politischer Arbeit und in Verbindung mit den Volksorganisationen. In den ganzen Jahren konnten sie nicht besiegt werden, und ihre Kämpfer sagen weiterhin: Niemals ergeben wir uns, und niemals werden sie uns besiegen, der Kampf geht weiter. Es wird keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit geben.

Situation der politischen Gefangenen der MRTA in Peru


Es gibt 300 politische Gefangene der MRTA in verschiedenen Gefängnissen in Peru, Bolivien und Uruguay. Diese hatten keine unparteiischen Gerichtsverfahren, keinen Zugang zur Verteidigung, da die Gerichte absolut der Gewalt des Staatspräsidenten untergeordnet sind.

Die Gefängnisse, in denen sie untergebracht sind, erfüllen keine der nationalen wie internationalen Bestimmungen bezüglich der dortigen Lebensbedingungen. Es sind Zentren zur physischen und psychischen Zerstörung für die, die dort festgehalten werden. In einem dieser Gefängnisse sind die drei höchsten Führer der MRTA als Geiseln in Kerkern 8 Meter unter der Erde ohne Licht, wo das Unterdrückungsprogramm der Isolation durchgeführt wird, Totalisolation, wie kein Kontakt, Dunkelheit, akustische und optische Isolation, extrem enge Zelle und ständige Überwachung. In den anderen Gefängnissen sind die Bedingungen nicht viel besser: die politischen Gefangenen müssen ständig Hunger leiden, Isolation, keine Kontakte zur Außenwelt, sie sind fast alle krank, mit Krankheiten wie Magen-Darm-Infektion, Tuberkulose, chronische Bronchitis, bedingt durch die krankmachenden Temperaturen in den Zellen und dem Mangel an Nahrungsmitteln. Dort, wo es nicht totale Isolation gibt, sind die Zellen mit 6 Gefangenen auf einer Zelle von 3 mal 3 Metern überbelegt.

Es ist noch zu betonen, daß die Gefangenen in keinem Moment sicher vor Folter sind. Zusätzlich dessen, daß ihre Kinder, Mütter festgenommen und gefoltert wurden und, wenn nicht in Schnellverfahren verurteilt, dann als Mittel, um die Moral der Militanten zu schwächen.

Nur die engste Familie darf sie für 30 Minuten im Monat besuchen, wenn sie kein Verbot haben, aber die Lage einiger dieser Gefängnisse ist fernab von den Wohnorten, so daß viele Gefangene keinen Besuch erhalten und nie Pakete mit zusätzlichen Lebensmitteln.

Man hat den Gefangenen der MRTA in dieser totalen Isolation ein "Friedensangebot" gemacht, mit dem Angebot, ihre Bedingungen im Gefängnissen zu verbessern. Es wird angenommen, daß dieser Vertrag den Aufruf zum Dialog mit der Regierung und die Einstellung des bewaffneten Kampfes beinhaltet. Dahinter stand, eine bedingungslose und selbstbezichtigende Kapitulation zu erreichen, was auch die Unterzeichnung eines Dokuments der "Reue" für den bewaffneten Kampf bedeuten sollte. Dieses Angebot wurde eindeutig von den Gefangenen der MRTA abgelehnt.

Als Repression daraufhin wurden die Bedingungen in den Gefängnissen noch einmal verschärft, so daß das Risiko besteht, daß sie ihr Leben in diesen inhumanen Orten verlieren werden.

Allein 1994 übernahmen die Organisationen für Menschenrechte die Verteidigung von 700 Personen, die, erwiesenermaßen unschuldig und ungerecht beschuldigt mit dem Vorwurf von Terrorismus und Vaterlandsverrat, von Gerichten ohne Gesichter oder vor Militärtribunalen verurteilt wurden.

Die Anwendung von Gewalt und andere Formen der sexuellen Gewalt sind häufig und werden besonders gegen Frauen und Kinder bei individuellen und gemeinsamen Festnahmen angewendet. Die Verantwortlichen dafür werden niemals zur Rechenschaft gezogen.


Versuchte neue Anwerbung in Aachen


In Aachen sind in den letzten Monaten verschiedene Aktivitäten von HERRschafts- "Sicherheits"behörden in verschiedenen Strukturen und zu verschiedenen Themenbereichen bekannt geworden (mindestens ein Anquatschversuch des LKA und Verhöre einer Person durch das BKA). Am Donnerstag, den 19.9., fand ein weiterer Auftritt statt. Matthias, der davon Betroffene, kam um ca. 13.40 Uhr nach Hause, als ihn vor dem Haus zwei Personen abpaßten und ansprachen: Frau Leimann (ca. 1,80 m groß, Ende 30, blonde Strähnchen, halblanges Haar, schlecht geschminkt) und Herr Wirt (oder Wert? Schreibweise unklar, ca. 1,75 m groß, blonde kurze Haare, Typ "klassischer Zivilb. ") "vom Innenministerium des Landes NRW" - später spezifiziert als Verfassungsschutz. Sie versuchten ein Gespräch aufzudrängen und wollten sich nicht sofort damit abfinden, daß M. mit einer klaren Absage reagierte. Sie argumentierten, keine B. zu sein, und erhofften sich so eine Kooperationsbereitschaft. Die Frau übernahm im folgenden die Gesprächsführung, während er eher assistierte. In rascher Abfolge und versiert wurde versucht, trotz Ablehnung ein Gespräch aufzubauen. "Sie haben uns bestimmt schon erwartet . .. Können wir mit reinkommen oder um die Ecke einen Kaffee trinken gehen . .. Wir halten Sie für einen politisch denkenden Kopf . .." Sie spielten auf gute Kontaktebenen an, die sie M. unterstellten, und zeigten sich an einer "Zusammenarbeit" interessiert. Die ganze Zeit über gaben sich die beiden superfreundlich und taten so, als seien frau/man sich gegenseitig bestens bekannt. Sie gaben an, es gehe ihnen weder um M. s "Kreise" noch um Ermittlungsverfahren, sie seien "schließlich keine Strafverfolgungsbehörde". Sie streuten den Namen "Bernhard" (gemeint ist Bernhard Falk, Gefangener in Köln-Ossendorf mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in den Antiimperialistischen Zellen, AIZ) ein und erwähnten M. s "Fahrten nach Bonn" (er arbeitet in der Informationsstelle Kurdistan e. V. in Bonn mit und ist in der Kurdistansolidarität aktiv). Als M. ihnen verbat das Haus zu betreten, versuchten sie, durch einen in die Tür gestellten Fuß, das Gespräch trotz der offensichtlichen Erfolglosigkeit nicht enden zu lassen. Erst ein entschiedenes Zudrücken der Tür beendete vorläufig diesen direkten Anquatschversuch. Zwanzig Minuten später ereilte M. in seiner Wohnung ein Anruf von Frau Leimann, die den vorherigen abrupten Abbruch "bedauerte" und in einem weiteren Anruf anmerkte, sie sehe M. als einen Menschen, mit dem man "Positionen abgleichen" könne. M. legte auf.

Die Art und Weise des Anquatschversuches zeigt eine hervorragende rhetorische Schulung. Durch den Überrumpelungseffekt in Verbindung mit einer vorgespielten Vertrautheit versuchten sie offensichtlich, M. eine Bemerkung zu entlocken, auf die sie ein weiteres Gespräch aufbauen wollten. Als dies nicht funktionierte, wurden sie aufdringlicher und versuchten ihm eine Erklärung abzuringen, warum er nicht mit ihnen reden wolle. Hierbei drohten sie ihm auch mit Schwierigkeiten, die ihm aufgrund ihres Anquatschversuches in der "Szene" bevorstehen würden. Sie versuchten ihm klar zu machen, daß das ja wohl schwer vermittelbar sei und bei anderen Zweifel und Fragen auslösen könnte. Ferner zeigten sie ihm durch die ganz beiläufig eingestreuten Bemerkungen "Bernhard" und "Fahrten nach Bonn", daß ihnen M. s Aktivitäten zumindest im Groben bekannt seien, spezifizierten dies aber nicht näher. Offene Drohungen oder "Angebote" hat es nicht gegeben. Aufgrund der Beendigung des Anquatschversuchs durch M. wurde nicht klar, worum es ihnen konkret ging/geht. Das ganze hat insgesamt maximal 10 Minuten gedauert. Nach M.s Entscheidung, auch nicht irgendwie damit herumzuspielen, in einem längeren Gespräch herauszufinden, was für sie wirklich relevant und interessant sein könnte, ist jetzt natürlich wenig an Interpretation und Analyse möglich und wildes Herumspekulieren nicht sinnvoll. (...)

20.9.1996, Antirepressionsgruppe Aachen


Gefangene in Frankfurt im Hungerstreik

 

Seit Donnerstag, dem 17. Oktober, befinden sich rund 100 Gefangene in der JVA Frankfurt-Preungesheim im Hungerstreik. Wir dokumentieren nachfolgend einige ihrer Forderungen vom 25.10.96:

 

Forderungen an die JVA1-Leitung

1. Die Verlegung von 3 Mitgliedern des Komitees, am 24.10.96, wird rückgängig gemacht.

2. Alle Hausarbeiter, die am Hungerstreik teilnehmen, behalten ihre Arbeit und werden nicht verlegt.

3. Die Möglichkeiten der Besuchszeiten werden erweitert. Familien mit Schulkindern sollen auch Besuchsmöglichkeiten haben. Die Besuchszeiten müssen auf das Wochenende ausgedehnt werden, vorzugsweise für Berufstätige und Familien.

4. Verbesserte medizinische Betreuung

- keine stundenlangen Wartezeiten in unwürdigen Hafträumen ohne Fenster und ausreichender Belüftung

- keine stundenlangen Wartezeiten bei Schmerzen

- qualifizierte medizinische Betreuung auch außerhalb der üblichen Sprechzeiten des Arztes, z. B. nachts bei Schmerzen

5. Verlängerung der Freizeit und Verbesserung des Freizeitangebots

6. Verbesserung der Haftbedingungen

- Überbelegung der Zellen und der JVA

- Verbesserung der hygienischen Bedingungen, z. B. warmes Wasser zum Geschirrspülen

7. Verbesserung der Betreuung durch überlastete Sozialarbeiter

- Telefonmöglichkeiten, wenn Genehmigungen vorliegen, ohne tagelange Wartezeiten

8. Fehlende Informationsblätter über Rechte und Pflichten der Inhaftierten und allgemeine organisatorische Abläufe in der JVA

 

Forderungen an den Gesetzgeber

Wir protestieren gegen die Praxis der Strafverfolgung auf der Basis der

* Aussage ohne Beweismittel.

Diese Praxis führt in Deutschland zu

* beweislosen Verurteilungen, die ungerechte und maßlose Haftstrafen zur Folge haben.

Der Beschuldigte muß in der Regel vor Gericht

* seine Unschuld beweisen.

Die Aussage ohne Beweismittel kann einen Menschen in Deutschland umgehend in Haft bringen. Erst nach Inhaftierung erfolgen meistens mehrmonatige Untersuchungen, da die Behörden durch diese Inhaftierung nicht mehr unter Zeitdruck stehen. Das Schicksal eines Menschen und dessen Familie ist nicht von Bedeutung. In solchen beweislosen Verfahren werden gerade Ausländer, mit der Begründung auf eine Fluchtgefahr, monatelang inhaftiert. Die Untersuchungshaftzeiten haben erschreckende Ausmaße angenommen. Die dafür gesetzlichen Einspruchsmöglichkeiten werden von der Justiz in den wenigsten Fällen behandelt. Das Schicksal des Menschen ist nicht von Interesse, eine mögliche Unschuld wird nicht in Betracht gezogen, auch wenn Beweise fehlen.

Die Überlastung der Gerichte führt zu schleppender Inhaftierungszeit und schlechter Kontrolle innerhalb der Justiz.

Den Mangel an Beweisen versucht die deutsche Justiz durch Langzeit-Untersuchungshaft auszugleichen.


Bernhard und Michael im Hungerstreik


Vom 3.10. bis zum 18.10. befand sich Bernhard Falk in der JVA Köln im Hungerstreik; anschließend trat Michael Steinau in der JVA Lübeck zwischen dem 19.10. und 3.11. ebenfalls in den Streik. In einer Hungerstreikerklärung schreibt Michael am 3.10. dazu unter anderem: "Seit unserer Verhaftung am 25. 2.96 werden an uns Haftbedingungen praktiziert, die als Knast im Knast bezeichnet werden müssen:

Im täglichen Einzelprogramm ist jeder Kontakt zu Mitgefangenen und die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen verboten. Die weniger erlaubten Besuchskontakte finden unter Aufsicht zweier Beamter von BKA/LKA statt und zusätzlich nur durch eine Verbindungsscheibe. Der private Briefverkehr wird vollständig ausgewertet, in vielen Fällen kopiert, in Einzelfällen geschwärzt oder mit ausdrücklich politischen Gründen zur Habe genommen. In insgesamt 10 Fällen wurde kopiert, um unser Bekenntnis zum Islam bzw. unsere Gesinnung "gerichtsverwertbar" zu machen. Der Bezug aktueller linker Zeitschriften ist eingeschränkt.

Haftbedingungen dieser Art haben eine über 20jährige Geschichte in der BRD. Davon sind nicht nur hier in Lübeck praktisch ausschließlich politische Gefangene betroffen. Für andere Gefangene sind sie dagegen Teil befristeter "Disziplinarmaßnahmen".

Aufhebung aller Sonderhaftbedingungen für politische Gefangene!" (d. Red.)

 


Herausgeber : Angehörige und FreundInnen politischer Gefangener in der BRD, Postlagerkarte 05 02 05, 65929 Frankfurt / M. Erscheint vierwöchentlich bei GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein / Hamburg m. b. H., Palmaille 24, 22767 Hamburg. V. i. S. d. P. : Martin Fochler. Redaktionsanschrift und Bestellungen : GNN-Verlag, Palmaille 24, 22767 Hamburg, Tel. : (0 40) 38 13 93, Fax : (0 40) 3 89 83 31 (mit Empfängervermerk). Einzelpreis : 3,00 DM. Ein Halbjahresabonnement kostet 27,00 DM, ein Halbjahresförderabonnement 30,00 DM, Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei einer Bestellung ab 3 Stück 30 % Rabatt, ab 50 Stück das Heft zu 1,90 DM. Bei Bestellungen bitte Einzugsvollmacht beifügen oder Überweisung auf das folgende Verlagskonto : Hamburger Sparkasse, BLZ 200 505 50, Konto-Nr. 1269/122 311. - Herstellung und Drucklegung : GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein / Hamburg m.b.H. Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist das Angehörigen-Info so lange Eigentum des Absenders, bis es dem Gefangenen ausgehändigt wird. "Zur-Habe-Nahme" ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info dem Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, ist es dem Absender mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken. Spendenkonto der Angehörigen: Sonderkonto Kiener, Landesgirokasse Stuttgart, BLZ 600 501 01, Konto-Nr. 5454194.