Angehörigen Info 185

6.9.1996

 

Herausgegeben von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD


 

69 Tage, die die Welt in Atem hielten

Vor einem Monat haben die politischen Gefangenen in der Türkei ihr Todesfasten beendet. Nach 69 Tagen, in denen mehr als 300 Gefangene am Todesfasten teilnahmen und in denen zwölf Gefangene starben, mußte der türkische Staat einlenken und die Erfüllung der Forderungen der Gefangenen zusagen. Die Überlebenden des Todesfastens wurden zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht.

Der Sieg des Todesfastens ist ein Sieg der Menschenwürde über die Grausamkeit. Er wurde erreicht durch die Opferbereitschaft der Todesfastenden, für die Menschenwürde ihr Leben zu geben. Der türkische Staat konnte nicht anders, als unter dem Druck der Weltöffentlichkeit vor dem Widerstand der Todesfastenden zu kapitulieren.

Um die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen, hatten die Gefangenen allerdings lange kämpfen müssen. Erst als die ersten von ihnen fielen, berichteten die Medien im Ausland ausführlich von den Ereignissen in den Gefängnissen, die die Türkei erschütterten. Tausende von Menschen in der Türkei hatten sich mit den Todesfastenden solidarisiert. Überall in der Türkei gaben sie auf den Straßen ihrer Solidarität durch Proteste Ausdruck. Und überall wurden sie von der türkischen Polizei dafür angegriffen. Die Brutalität der türkischen Ordnungshüter des Regimes kannte keine Grenzen. Siebzigjährige Mütter wurden von Polizisten mit Knüppeln geschlagen, verhaftet und gefoltert. Die Türkei zeigte in diesen Tagen wieder einmal ihr wahres Gesicht.

Auch in Europa wurde der Widerstand unterstützt. Spontan entstanden an vielen Orten Solidaritätskomitees mit den politischen Gefangenen, deren Mitglieder in der Mehrheit in Europa lebende Türken und Türkinnen sind. Aber was die Medien zu diesem Zeitpunkt nicht leisteten, das gelang diesen Solidaritätskomitees: die Menschen in Europa für den Kampf der Todesfastenden zu sensibilisieren. Nach und nach äußerten sich auch in Europa PolitikerInnen, demokratische Vereine, Gewerkschaften, AnwältInnen und Intellektuelle zu den Ereignissen in der Türkei. Im Europaparlament und vor der UNO wurden Stimmen laut, die die Politik der Türkei verurteilten und die türkische Regierung aufforderten, die Forderungen der Todesfastenden zu erfüllen.

Aber auch in Europa wurden diejenigen, die sich für die Forderungen der Todesfastenden auf den Straßen einsetzten, brutal angegriffen. Die Hüter der hiesigen Ordnung, denen die guten Beziehungen zur Nato-Partnerin Türkei mehr am Herzen liegen als das Leben und die Rechte der politischen Gefangenen, versuchten, den öffentlichkeitswirksamen Protest brutal zu ersticken. Mehrere Male wurden Demonstrationen zugunsten der Todesfastenden verboten oder von der Polizei angegriffen. "Präventiv" wurden Vereine türkischer Linker vor Demonstrationen von der Polizei gestürmt, die Vereinsmitglieder zusammengeschlagen und verhaftet. Die Szenen auf der Kölner Domplatte, auf der am 20. Juli 1996 mehr als 500 Menschen festgenommen wurden, erinnerten an Bilder, die wir aus dem türkischen Fernsehen kennen.

Als die ersten Toten des Todesfastens der ganzen Welt klarmachten, daß die Gefangenen im Kampf um ihre Würde eher sterben als sich ergeben, konnten die Ereignisse von niemandem länger ignoriert oder heruntergespielt werden. Jetzt war das Todesfasten Thema in allen Zeitungen. Die Bilder aus dem Gefängnis Bayrampasa in Istanbul, die von den Gefangenen aufgenommen und aus dem Gefängnis gebracht werden konnten, erschütterten die Fernsehzuschauer in ganz Europa.

Jetzt endlich wurde Druck auf die Türkei ausgeübt. Unter diesem Druck, der mit dem Leben von zwölf Todesfastenden aufgebaut wurde, mußte die türkische Regierung einlenken und die Erfüllung der Forderungen der Gefangenen zusagen. Daraufhin beendeten die 326 Gefangenen das Todesfasten.

Das Todesfasten war ein großer Erfolg für den Kampf um die Menschenrechte in der Türkei. Es hat den Herrschenden in der Türkei gezeigt, daß sie gegen einen Widerstand, der bereit ist, mit dem Leben der Gefangenen zu bezahlen, auf Dauer nur verlieren können.

Aber das Todesfasten hat eine Bedeutung, die über die Verteidigung der Rechte und die Verbesserung der Haftbedingungen der politischen Gefangenen hinausgeht. Ausgehend von den Gefangenen ist der Widerstand in der Türkei durch den Hungerstreik erweitert worden und hat eine neue Dimension erreicht. Zum ersten Mal haben nicht nur viele der revolutionären Organisationen die sich als Avantgarde des Kampfes verstehen, zusammengearbeitet. Über die Zusammenarbeit der Organisationen DHKP-C, MLKP, TKP(ML), TKP-ML, Direnis Hareketi, TIKP, TDP, Ekim und THKP-C/HDÖ innerhalb der Gefängnisse wurde auch die Diskussion über eine Zusammenarbeit außerhalb der Gefängnisse vorangetrieben. Und es waren nicht nur die revolutionären Organisationen, die außerhalb der Gefängnisse Widerstand leisteten und die Todesfastenden unterstützten. Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, viele demokratische Gruppen und Institutionen unterstützten den Widerstand durch zahlreiche Protestaktionen und Solidaritätshungerstreiks. Die Fortschritte in der Zusammenarbeit zwischen demokratischen und revolutionären Organisationen ist einer der großen politischen Erfolge des Todesfastens.

Ein weiterer wichtiger politischer Erfolg des Todesfastens ist die Entlarvung der neuen Erbakan-Regierung. Nach Zustandekommen der REFAHYOL-Koalition unter der Führung der Refah-Partei hatten viele der ProtestwählerInnen gehofft, daß sich die Situation entsprechend der vollmundigen Wahlversprechen verbessern würde. Diese Hoffnungen wurden durch die brutalen Angriffe unter Führung von Innenminister Mehmet Agar und Justizminister Sevket Kazan bitter enttäuscht. Das Todesfasten hat der Refah-Partei die Maske Gerechtigkeit vom Gesicht gerissen. Dahinter grinst uns das Gespenst des Faschismus entgegen. Gegen dieses Gesicht wird der durch das Todesfasten auf eine neue Stufe gehobene Widerstand in der Türkei weitergeführt werden.

(Aus: Nachrichtenbulletin Türkei und Kurdistan)

 

 

Die Botschaft des im Todesfasten gefallenen Yemliha Kaya an seine GenossInnen

 

Grüße an die Genossen!

Das Stirnband mit den Symbolen der Parti-Cephe (Partei-Front) ist mir für das Todesfasten vom Genossen H. Fevzi Tekin um die Stirn gebunden worden. Ich empfand eine große Freude. Meine Begeisterung in dem Augenblick war so stark, daß ich nicht mehr wahrnahm, was ich sagte und tat. Es war jedoch ein sicherer Schritt vorwärts. In all meiner Begeisterung soll ich während des Beifalls meiner Genossen irrtümlich meine rechte Hand gehoben haben. Außerdem soll ich nach meinem Gespräch wieder die rechte Hand erhoben und Slogans gerufen haben und dies während des Programms wiederholt haben. Die Partei-Front hat mich hier vor unseren Gefallenen, unseren Völkern, unserer Parteiführung und unseren Genossen gewürdigt. Dies zeigt das Vertrauen, daß ich in den sieben Jahren Kampf von Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) bis zur Partei-Front aufgebaut habe. Sicherlich hatte ich auch Fehler und Mängel. Diese waren für mich aber nie ein Hindernis, und ich habe sie nie als unüberwindbar betrachtet. Genauso wie unsere Gefallenen und unsere Genossen habe ich versucht, sie zu überwinden, und ich bin mir auch bewußt, daß ich noch Fehler habe. Daß ich heute bei diesem Widerstand teilnehme, ist für mich kein Grund dafür, diese Fehler und Mängel unbeachtet zu lassen. Dieser Widerstand ist eine ehrenhafte und würdevolle Aufgabe, die jeder unserer P-C-Mitglieder ohne Bedenken auf sich nehmen würde. die Tradition der 1984 beim Todesfasten Gefallenen ist in den Gefängnissen von Buca und Ümraniye zu einer Fahne geworden und nun an uns übertragen worden. Daß draußen unsere Krieger singend dem Tod entgegengehen, dem Feind zurufen: "Kommt her, wenn ihr den Mut dazu habt", und der Schrei von Sibel: "Wir haben uns nie ergeben" zeigt uns, was für eine starke Tradition und Schönheit wir haben. Den Sabos wurde am Jahrestag des 16./17. April, 1993, in den Viertel gedacht. Die Konterguerilla-Bande, die die wehenden Fahnen in den Straßen, Hauptstraßen und Schulen von Saragazi nicht ertragen konnte, haben uns angegriffen. Ja, sie waren genauso wie der Feind Feinde der Fahne, die die Sabos geschwungen haben. Aber heute wehen unsere Fahnen, und die Konterguerilla-Bande existiert nicht mehr. Ein wichtiges Standbein bei dieser Aufgabe ist die Liebe, der Respekt und die Verbundenheit, die die Menschen im Alter von 7 bis 70, vor allem die Bevölkerung in den Vierteln, der Partei-Front entgegenbringen. Mütter und Väter im Alter von 70 Jahren haben mich wie einen Sohn behandelt, haben ihren Respekt gezeigt, und morgens bis 2.00 Uhr habe sie geholfen, wie sie nur konnten. Sie haben uns ihre Liebe gegeben. Ich habe viele solche Beispiel erlebt. Als ich durch ein Viertel ging, ist ein 12 Jahre alter Genosse, der die 7. Klasse besuchte, hinter mir her geeilt, da er sich an meinen Namen nicht mehr erinnern konnte, rief er "Bruder, Bruder" und fuhr außer Atem fort: "Bruder, wir konnten unsere Verabredung nicht wahrnehmen. Bitte komm und gib uns das Programm für die Kampagne (hinsichtlich Ismail Bahceci)." Ja, unsere begeisterte Jugend ist eine gewaltige Kraft. Diese Genossen erkennen in ihrem Alter schon das dreckige Gesicht des Feindes und wollen etwas dagegen unternehmen; sie streben danach. Und wenn wir an der Reihe sind, müssen wir ihnen bei einer solchen Aufgabe ein gutes Beispiel sein. Ja, was für ein Glück für unsere Familien und unser Volk von 7 bis 70, welche uns ihre Verbundenheit zeigen, und was für ein Glück für uns. Diese große Kraft wird unsere Völker und die Partei-Front zum Siege tragen. Mit all den Namen und den Schönheiten, die wir mit unseren Bekannten erlebt haben, könnten Bücher vollgeschrieben werden. Aber jeder in Istanbul und vor allem unsere Freunde in den Barackenvierteln werden dies nach unserem Tod ergänzen. Ich hatte eine wichtige Aufgabe auch während des Putschversuchs (in der Partei) auf mich genommen. Ich hatte eine Aufgabe mit hohem Wert, das Werk von Genosse Riza Güneser, der von der Konterguerilla-Bande umgebracht wurde, weiterzuführen. Diese wertvolle Aufgabe war, die uns überlassene Yoksul Halkin Gücü Zeitung (Die Kraft des ärmeren Volkes) zu übernehmen. Ich habe immer versucht, Riza würdig zu sein. Wir haben Fehler und Mängel gehabt. Aber bis zu unserer Gefangenschaft haben wir trotz all der Angriffe des Feindes und andauernden Festnahmen die Türen nicht geschlossen. Diese wertvolle Aufgabe hatte uns Riza überlassen, die Zeitung mußte überleben. Mit all diesen Gefühlen habe ich mit Freude, Begeisterung und Liebe mit meinen Genossen zusammen an diesem Widerstand durch Todesfasten teilgenommen.

Dieses Gefühl kann man eigentlich mit Worten nicht ausdrücken. Sich auf der einen Seite mit den Gefallenen umarmen, auf der anderen mit all meinen Völkern, meinem Parteiführer, der Parti-Cephe. Es ist ein Ausdruck des Bereitseins zum Sterben, wenn es Zeit dafür ist.

Was für ein Glück für uns.

Unsere Völker werden siegen. Wir werden siegen.

20. Juli 1996 Yemliha Kaya

 

Die Botschaft des im Todesfasten gefallenen Müjdat Yanat an seine GenossInnen

Gruß an die GenossInnen;

mit erneutem Todesfasten, mit erneuten Gefallenen und Veteranen sind wir auf den Weg gegangen, um erneut Siege zu erringen. Diejenigen, die dem Volk seit Jahren die Hoffnung rauben, werden noch einmal eine Niederlage erleben. Wir werden ihnen weiterhin ihre Köpfe einhämmern, daß sie dem revolutionären Willen und der Beständigkeit nicht standhalten werden.

Der Blick unseres Parteiführers, unseres Volkes und unserer Gefallenen ist auf uns gerichtet. Bis heute haben wir unser Volk nicht beschämt. Schon jetzt erleben wir die Freude und die Begeisterung über den neuen Sieg, den wir unserer siegreichen Geschichte hinzufügen werden. Ich glaube daran, daß wir mit unseren Körpern den "Eskisehir-Friedhof" (das Gefängnis) sprengen werden.

Gleichzeitig wird dies ein Abschnitt sein, in dem großen Schritte im Wege der Parteiwerdung vollzogen werden. Dieser Abschnitt, den wir durchlaufen, wird einer sein, in dem wir den Dreck und den Rost des Systems sowie dessen Egoismus wegwerfen und mit unserer Partei und Parteiführung, unseren Völkern und den Gefallenen noch stärkere Bindungen eingehen werden. Ja, Genossen, den Sieg und die Parteiwerdung werden wir so erreichen. Jeder versucht begeistert, bei diesem ehrenhaften Rennen das Ziel als erster zu erreichen Dieser Gefängnis-Innenhof wird eines Tages Zeuge eines Siegestanzes - mit unseren Gefallenen - sein. Unsere Volkslieder, Märsche und Slogans werden noch lauter werden ...

Die Freude eines erneuten Sieges werden wir alle zusammen erleben. Mit diesem Glauben und mit Beständigkeit grüße ich begeistert all meine Genossen und meine Partei.

27.6.1996 Müjdat Yanat

 

Türkische Polizei ermordet zwei Menschen

In Alibeyköy/Istanbul wurden am 20.7. um 6.00 Uhr morgens Senem Adali und Muhammed Kaya von der Polizei in ihren Wohnungen erschossen. Die Aktion war ein geplanter Mord. Es kam dabei zu keiner bewaffneten Auseinandersetzung. Weder Senem noch Muhammet waren bewaffnet. In der Wohnung wurden lediglich Ausgaben der legalen Wochenzeitung "Kurtulus" gefunden. Nach dem Mord untersuchten Kurtulus-Korrespondenten und andere Augenzeugung die Wohnung. Sie sahen Blut sowohl auf den Kurtulus-Ausgaben als auch auf den Sesseln. Der Mord geschah vor den Augen der BewohnerInnen des Stadtviertels. Augenzeugen sahen, wie die Polizei ohne Vorwarnung die Wohnung stürmte, indem sie die Tür aufbrach und das Dach einschlug. Die Zeugen hörten Schüsse aus der Wohnung. Zehn Minuten nach dem Massaker stürmte die Polizei nach draußen und rief: "Ergebt euch" und durchsiebte das Haus von außen mit Schüssen.

Senem Adalis und Muhammet Kayas Exekution ist eine Tat der Rache der Konterguerilla. Beide wohnten zusammen in einer legal gemeldeten und gemieteten Wohnung. Senem Adali war Mitglied des Vereines Angehöriger politischer Gefangener, Özgür-Der.

In den gleichen Stunden stürmte die Konterguerilla weitere Häuser in mehreren Istanbuler Stadtteilen und verhaftete mehrere Menschen.

An der Beerdigung der beiden Ermordeten nahmen Hunderte von Menschen teil. Am Morgen der Beerdigung drang Polizei in ein Alewitisches Zentrum in Alibeyköy ein und nahm alle dort anwesenden Menschen unter Prügel in Untersuchungshaft. Während der Trauerfeier griff sie erneut an und nahm Hunderte von Menschen fest.

 

Unterstützt den Aufruf von Grup Yorum

Unsere Kampagne beginnt! Freiheit für Grup Yorum

 

In der Nacht des 21. Juni 1996 wurden unsere Freunde Kemal Sahier Gürel, Ufuk Lüker, Irsad Aydin und Äzcan Senver verhaftet. Während auf Kemal Sahier Gürel und Ufuk Lüker auf offener Straße Feuer eröffnet wurde, wurden Irsad Aydin und Äzcan Senver in ihren Wohnungen festgenommen. Alle wurden 13 Tage unter Folter verhört. Am 4. Juli stellte man sie vor Gericht. Kemal und Ufuk wurden unter falschen Beschuldigungen in Untersuchungshaft genommen. Jetzt sind sie Gefangene im Gefängnis Sakarya/Istanbul. Unsere Lieder werden hinter Eisengittern und Betonwänden komponiert.

Am 13. September will man unsere Freunde, unsere Lieder wieder vor Gericht stellen. Bis heute konnten unsere Lieder nicht verurteilt werden, konnte Grup Yorum nicht verurteilt werden. Alle unsere Lieder verurteilen vielmehr die Unterdrücker und Ausbeuter.

Bis zum Tag der Gerichtsverhandlung am 13. September führen wir eine Kampagne durch. Die Stimme und der Name von Grup Yorum sollen an allen Orten gehört werden und den Unterdrückern Furcht einflößen, bis ihnen die Trommelfelle platzen. Während dieser Kampagne soll die Parole Freiheit für Grup Yorum die Mauern überall in Istanbul zieren, sollen alle Werktätigen unseren Plakaten gegenüberstehen. Jeden Kranken soll ein Grup-Yorum-Sticker schmücken, aus allen Richtungen werden unsere Lieder hallen.

Wir haben unsere Lieder für unser Volk gesungen. Für die gefeuerten ArbeiterInnen, die BeamtInnen, die BewohnerInnen der Slumgebiete, der Gecekondular. Dafür stehen unsere Freunde nun vor Gericht und sollen verurteilt werden.

Wir rufen alle Intellektuellen, KünstlerInnen, ArbeiterInnen, BeamtInnen, unser ganzes Volk rufen wir auf: Es ist das Volk, das verurteilt werden soll! Wenn ihr nicht wollt, daß sie verurteilt werden, kommt am 13. September zum Staatssicherheitsgericht. Holen wir uns Grup Yorum, unsere Lieder, unsere geraubten Rechte und unsere Kultur zurück!

Wir sehen uns am 13. September im Staatssicherheitsgericht!

 

Protestfaxe gegen die Anklageerhebung an:

Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichts Istanbul: 0090 212 258 79 83

Justizminister Sevket Kazan: 0090 312 417 39 54

Ministerpräsident Necmettin: 0090 312 417 04 76

 


Ein Bericht aus Mainz

Antikriegstag

Der folgende (gekürzte) Beitrag wurde auf der Abschlußkundgebung der Mainzer Demosntration zum Antikriegstag gehalten. Daran nahmen unter dem Motto "Frieden jetzt! Für die Beendigung des Krieges und ein gleichberechtigtes Zusammenleben der kurdischen und türkischen Bevölkerung" ca. 250 Menschen teil. Den friedlichen DemonstrationsteilnehmerInnen stand ein Polizeiaufgebot von 600 PolizistInnen gegenüber. Die Polizeiverantwortlichen erklärten gegenüber der Presse, daß das starke Aufgebot die Demonstration vor Übergriffen "türkischer Bürger" schützen sollte. Sie nahmen damit einen Angriff türkischer Faschisten gegen ein Straßentheaterstück, das zum Boykott des Tourismus in der Türkei aufrief, zum Anlaß, ein überdimensionales Polizeiaufgebot gegen KurdInnen und deutsche Linke aufzufahren. Solche an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärungen sollen wohl dem "Normalbürger" das Bild vermitteln, daß es sich bei dem von dem türkischen Regime ausgehenden Terror gegen die gesamte kurdische Bevölkerung um einen ethnischen Konflikt zwischen KurdInnen und TürkInnen handelt ...

Die Demonstration sowie die nachfolgende Kundgebung wurde vom Kurdistanbündnis Mainz organisiert, zu denen u.a. Antifa-Gruppen, InternationalistInnen, kurdische Gruppen, der Flüchtlingsrat sowie linke Parteien und Organisationen (z.B. PDS, DKP, SDAJ, VVN-BdA ...) gehören.

(Bericht des Komitees vom 1.9., gekürzt)

 

"Wir sind heute hier, um unsere Verbundenheit mit den Menschen in Kurdistan und der Türkei und den KurdInnen und revolutionären TürkInnen hier in der BRD zu bekunden, die seit Jahren den institutionellen Faschismus in der Türkei bekämpfen - für ein Leben in Würde ohne Ausbeutung und Unterdrückung; ohne Folter, Mord und der Politik des "Verschwindenlassen", Menschen, die gegen die Politik der verbrannten Erde und der Zerstörung ihrer Dörfer und ihre Vertreibung kämpfen. (...)

Das Ende des Hungerstreiks/Todesfastens der politischen Gefangenen in der Türkei und Kurdistan liegt nun einen Monat zurück. Und wir erinnern uns noch gut an den menschenverachtenden Umgang des türkischen Staates mit den hungerstreikenden/todesfastenden Gefangenen, die mit dem letzten Mittel, was ihnen noch bleibt, für ihre elementarsten Rechte kämpften. In der Türkei und in Kurdistan bauten viele Menschen eine Brücke des Widerstands über die Knastmauern hinweg. Viele Menschen, die sich mit dem Kampf der hungerstreikenden und todesfastenden Menschen solidarisierten, wurden auf Demonstrationen angegriffen, zusammengeschlagen, verhaftet und gefoltert. Auch hier in der BRD unterstützen KurdInnen und TürkInnen den Kampf der politischen Gefangenen auf vielfältige Art und Weise. Und genauso wie in er Türkei wurden fast alle Demonstrationen und Kundgebungen anläßlich des Hungerstreiks, diesmal von deutscher Polizei, brutalst "aufgelöst". Mensch mußte den Eindruck gewonnen, als wollten die deutschen PolizistInnen ihren türkischen Kollegen in nichts nachstehen. Bei diesen Einsätzen wurden u.a. Elektroschockgeräte eingesetzt, was bei Menschen, die bereits in der Türkei gefoltert wurden, zu traumatischen Erlebnissen führen kann.

Der größte Teil der sogenannten kritischen Öffentlichkeit und der deutschen Linken schien und scheint die Situation der politischen Gefangenen, die tagtäglichen Menschenrechtsverletzungen, Folter, Mord und das "Verschwindenlassen" von unliebsamen Oppositionellen in der Türkei und Kurdistan kaum zu interessieren. Nur wenige Gruppen der deutschen Linken unterstützten den Kampf für die Forderungen der politischen Gefangenen. So wenige, daß wir das Verhalten der deutschen Linken als beschämend, aber auch beängstigend empfunden haben. Die wenigen positiven Impulse gingen vor allem von internationalistischen FrauenLesbenzusammenhängen und anderen InternationalistInnen aus.

Wie viel müssen sich die Herrschenden in der Türkei und in der BRD noch leisten, wie weit muß die Unterstützung des Terrorregimes in der Türkei seitens deutscher Politik und Wirtschaft gehen, bis sich hier ein breiter solidarischer Widerstand entwickelt.

Das Ende des Hungerstreiks wurde von den politischen Gefangenen, ihren Angehörigen und GenossInnen als ein Sieg gefeiert - wurden doch wichtige Forderungen der hungerstreikenden und todesfastenden Gefangenen zunächst erfüllt, wie z.B. die Verlegung weg von dem Isolationsgefängnis in Eshkedir, das nach dem Vorbild deutscher Isolationsknäste erbaut wurde. Doch diesem Erfolg steht auch die Trauer um die 12 Gefangenen, die sich für diese Ziele geopfert haben, entgegen und die Tatsache, daß Gefangene, die wegen ihres sehr kritischen Gesundheitszustands in Krankenhäuser verlegt wurden, an die Betten gefesselt und unzureichend behandelt wurden (viele Gefangene sind nach dem Hungerstreik gar nicht erst in Krankenhäuser gebracht worden); viele der von Regierungsseite und nationalem Sicherheitsrat zugestandenen Forderungen wurden bis heute noch nicht erfüllt. Die Medien, die zumindest ab dem Punkt über die dramatische Situation in den türkischen Gefängnissen berichtet hatten, als bereits die ersten Gefangenen im Kampf für menschenwürdige Behandlung gestorben sind, sind längst wieder verstummt, und wen interessiert hier und heute noch, wie sich die Situation für die Gefangenen und die Menschen in der Türkei entwickelt?

Bezeichnend ist auch die Reaktion jener offiziellen Stellen in der BRD, die Verständnis für die mörderische Haltung des türkischen Staates zeigten. So war z.B. in der Frankfurter Rundschau vom 25.7. zu lesen, daß man (beim Auswärtigen Amt) Verständnis dafür aufbrachte, daß Ankara nicht auf die Forderungen der Häftlinge wie z.B. nach Zusammenlegung (der Gefangenen) eingehen wollte mit dem Zitat: "Das haben wir bei der RAF auch nicht gemacht." Damit waren die Hungerstreiks der Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion gegen Isolationsfolter und für die Zusammenlegung der politischen Gefangenen gemeint. Auch hier in der BRD nahm der Staat bewußt den Tod der Gefangenen in Kauf, forcierte ihn sogar durch gezielte Zwangsernährung, an deren Folgen Holger Meins in einem Hungerstreik 1974 starb. In den 10 kollektiven Hungerstreiks konnte weder die Aufhebung der Isolationshaft noch die Zusammenlegung (dauerhaft) erkämpft werden. Heute wird die Isolationshaft in erster Linie gegen die kurdischen Gefangenen angewendet, doch auch gegen die 10 Gefangenen aus der RAF, die immer noch - und das seit größtenteils mehr als 15 Jahren - eingeknastet sind, wird die Isolationshaft nach wie vor - allerdings in modifizierter Form - angewendet. Sie sollen den Knast nur noch in ihrer physischen oder psychischen Identität gebrochen oder gar erst im Zinksarg verlassen. Ihnen und allen anderen revolutionären Gefangenen, darunter mehr als 200 kurdische Gefangene, gilt unsere volle Solidarität im tagtäglichen Kampf gegen die Zerstörung ihrer politischen und persönlichen Identität durch die repressiven Haftbedingungen in den BRD-Knästen, die Vorbildfunktion bei der Modernisierung des Knastsystems der Türkei haben.

Der Tod ist und bleibt ein Meister aus Deutschland und wird gerne gewinnbringend weiterexportiert

- ob als Ausbildungshilfe für den polizeilich/paramilitärischen Repressionsapparat

- als G-3-Gewehre, Waffen und Panzer aus NVA-Beständen oder jetzt wieder als militärisch umrüstbare Unimogs von Daimler-Benz und Rüstungstechnologie ...

(...)

Komitee für internationale Solidarität (KL)


Ein Brief von Helmut Pohl aus dem Jahr 1992

"Wir müssen eine Zäsur machen"

Wir reden seit 87 von "Zäsur". Damals erst als qualitative Orientierung für die Bedeutung der gesamten politischen Entwicklung, also wenig inhaltlich diskutiert, aber immerhin hatten es 'ne ganze Reihe von uns miteinander verstanden. Das kam aus der Totalität, die das kapitalistische System Mitte der 80er Jahre erreicht hatte, sie waren mit allem durchgekommen. Die "Globalisierung" und die so totale Unterwerfung unter das Verwertungsprinzip, daß sogar das Bewußtsein davon am Verschwinden ist, weil es gar keinen "Punkt mehr zuläßt, von dem es anders gesehen werden könnte" (ein g.-anders-Schüler ), wovon heute die Rede ist, das war es für uns damals. Wir haben auch schon ein paar Konsequenzen gesagt. "Im konkreten", "Schritte", Aneignung von unten", oder daß die alten Begriffe von "revolutionär" und "reformistisch" nichts mehr taugen, deshalb "Umwälzungsprozeß", bei dem die Frage einfach ist, für wen laufen die Schritte in den konkreten Auseinandersetzungen.

Also, die Totalisierung des System bedeutet für uns auch, daß das, was kh die "Zentralperspektive" nennt, nicht mehr existieren kann. Das heißt eben eine Organisation, die eine revolutionäre Alternative aus den historischen Prozessen heraus verkörpert, einfach deshalb schon nicht, weil keine ein Konzept, ein !Modell" für 'ne andere - und das hieße heute: weltweite - Gesellschaftsstruktur anbieten kann. Die Aktion kann keine Perspektive mehr vermitteln, geht nicht. Dasselbe anders: Die Auseinandersetzungen ("Probleme") sind so viele geworden, daß die Guerillaaktion keine strategische ("Gesamt")Funktion mehr erreicht.

Ich kann's von mir sagen, aber ich denke auch, daß z.B. Eva und Brigitte und wahrscheinlich auch Heidi das genauso im Sinn hatten, ich habe diese Entwicklung von Anfang an als "Aufhebung" der RAF gesehen. Ich hatte 87/Anfang 90 die Vorstellung einer dialektische Radikalisierung. Einer (wie stark auch immer) wirklichen, politisch-radikalen und militanten "Bewegung" in der BRD ("realer Faktor"), aus quer durch das ganze "linke" Spektrum, mit potentiell (zur Verfügung, wann und wie entscheidet man) allen Mitteln.

Wie das genauer aussieht, wußte ich nicht - es ist auch Scheiße, das zu "wissen", denn man kann es aus dem ganzen Gedanken heraus nur in 'nem ,Miteinander'-Prozeß der praktischenKommunikation ist auch praktisch) Klärung zusammen entdecken. Aber daß es die einzige mögliche Konsequenz ist aus dem, was global am laufen war, das war klar - daß man es also machen muß, rückhaltlos ins Offene (!) gehen.

Wie es dabei mit uns, mit der RAF, wird, wußte ich auch nicht so gut. Ich war aber (unabhängig von den Aktionsformen) zuversichtlich, denn eine ganze Seite dieses historischen Umbruchs gibt uns, im Unterschied zu den meisten "Linken", sozusagen recht. Es ist so gekommen, wie RAF-Politik, um es zu verhindern, durch die Zeiten auch zentral bestimmt war. (Dieses "um es zu verhindern" macht auch die richtige Diskussion um "eigene Ziele" nicht weg.)

Ich dachte dabei etwa, wenn es erst sichtbar wird, wenn dieser Prozeß einer "dialektischen Radikalisierung" anfängt, dann wird es für uns auch nicht so schwierig sein, weil es eben "alle" sehen.

Im Streik war es dann unser "Projekt". Ich habe nie verstanden, warum darin soviel ruminterpretiert und rumgerätselt worden ist, es sollte die grundlegende Anfangserklärung dann bringen.

Du sagst jetzt, du hast uns dann (vielleicht) die ganze Zeit mißverstanden - aber was wäre denn gewesen, wenn wir im Streik alles erreicht hätten, die Diskussion, die wir dann gehabt hätten und daß wir sie gehabt hätten, hat damals ganz natürlich für mich eingeschlossen, daß die RAF in der Zeit keine Aktionen macht. Weil es eben Diskussion überhaupt der Grundlagen von revolutionärer Politik dann ist, also auch das, was die RAF macht. Und die Dynamik in den konkreten Verhältnissen hätte es auch mit dem Gewicht der Gefangenen zwingend gemacht, es wäre so geworden ... Wir hatten es als "Übergang" bestimmt - zur Freiheit der Gefangenen, die Freiheit impliziert aber, daß auch im Verhältnis RAF/Staat was passiert, der Staat hat die Macht über die Gefangenen, alles andere wäre irreal. Was noch mal 'ne Interpretation von unserer Diskussionsorientierung auf eine veränderte Politik hin ist: in der militärischen Aktion zurücknehmen.

Dann ist es unübersehbar geworden, daß es noch ganz anders aussieht. Für uns Gefangene, daß so gut wie alles, was wir davor erreicht hatten, wieder weg ist ('ne ganz andere Seite auch nicht). Daß "die Diskussion" an der Klärung der neuen Situation mit vielen, wie es überhaupt aussieht, nicht möglich ist, daß es dabei im vereinzelten Suchen bleibt (überall, nicht nur bei uns Gefangenen) - wie es doch primär wäre, wenn man keine Kritik/Debatte machen, ohne die heutige Situation im Ansatz zu "haben", auf die bezogen das Gesagte nur seinen Sinn haben kann. daß man vielmehr bei sich selbst auf 'ner noch weiter zurückgedrückten Position anfangen muß, Konsequenzen zu ziehen, um wieder in die Initiative zu kommen.

Da hab' ich das vor rund einem Jahr (verspätet) gesagt. Du nennst das jetzt "Hammersatz", für mich überraschend, denn damals habe ich nach ein paar Monaten als sinngemäßen Orientierungssatz von dir gehört: Ja, es vermittelt nichts mehr.

Wegen der Bullensituation und weil ich dachte, du verstehst so schon, hatte ich es in festgelegten Punkten und festgezurrten Hauptformulierungen gesagt: Ich halte es für richtig, wenn die RAF jetzt öffentlich sagt, daß sie für einen nächsten Zeitraum und bevor sie etwas anderes dazu sagt, keine gezielt tödlichen Aktionen - aber man kann es ganz sagen: keine Kommandoaktionen - macht. Erklärt hatte ich es mit den Punkten:

- Daß die Bezüge, aus denen sich die RAF 20 Jahre lang bestimmt hat und die auch für jede revolutionäre Politik Entstehungsbedingung und Existenzrahmen war, radikal auseinandergeflogen sind.

- Man ohne daß man eine erneute Bestimmung hätte ("Neugründung" meint das, die Grundlagen), dieses Mittel nicht anwenden kann. Es entspricht in seiner ganzen Aussage nicht der Situation, es sagt nämlich aus, daß man eine definitive Bestimmung im revolutionären Kampf hat. Aus sich, aus der Qualität des Mittels.

- Weil es durch die Konfrontation, die Bedingungen, die es aus der Reaktion für alle setzt, über alle, die nach revolutionärer Politik suchen und die in einer extremen Krise sind, weggeht. Während es aber grad um ein Sichfinden auf einer neuen Grundlage geht.

- Als weiteren Gedanken, daß die Eskalation der Brutalisierung und "blinden Gewalt" in der Gesellschaft und global der politischen Gewalt ein ganzes Stück der politischen Vermittlung entzieht. Es wird "zuviel", die Leute schlagen nur noch die Hände über dem Kopf zusammen bzw. können es nicht mehr verarbeiten (im Trikont ist es die "Kriegsmüdigkeit"). Sie sehen nur noch mehr Gewalt und keine Politik (keine Lösungen), auch wenn die Schweinereien es hundertmal "rechtfertigen".

- Und daß ich mir "nur noch) darüber vorstellen kann, daß wir durch das Zugehen auf die vielen, die wir fürs weitere wollen, und das Aufknacken im Verhältnis RAF/Staat, qualitativ wieder solche Bedingungen herstellen wie 89. Ein Schub.

Durch die KGT-Initiative ist das jetzt schlechter als noch vor einem Jahr. Jetzt wird es fast unvermeidlich als Reaktion von uns darauf verstanden. Trotzdem. Es ist ganz unabhängig davon, wie der Staat in bezug auf die Gefangenen darauf reagiert, richtig. Sie werden erst mal "danke" sagen und sonst kaum etwas. Aber es kann uns bessere Grundlagen verschaffen, um eine Mobilisierung zu erreichen.

Ich finde das auch aus 'ner anderen politischen Überlegung richtig, der der Klarheit und Radikalität, die auch der Radikalität der Wirklichkeit entspricht. Eva schreibt mir völlig richtig: Es ist eine Übergangszeit, und man darf es nicht nur so begreifen, sondern man muß es auch so bestimmen. Es geht nicht, die RAF elegant und mehr oder weniger stillschweigend in was anderes zu transformieren, wir müssen ganz klar eine Zäsur machen. Die RAF als Offensivposition im internationalen Klassenkrieg kann es so nicht mehr weiter geben. Das ist 20 Jahre lang Grundbestimmung gewesen, das hat mit "bis 77" oder "bis 85" nichts zu tun. Das verlangt auch die Klarheit zu unserer Geschichte, an der ich jedenfalls festhalten will.

Ob es ein Prozeß wird, in dem sich die RAF verändert, aber verändert auch in der Kontinuität dann weiter agiert - oder ob es ein "Auflösungs"-Prozeß in eine neue Struktur des Kampfes wird, ich weiß es nicht.

Deshalb ist es eben genau das richtige, "für die nächste Zeit und bevor etwas anderes gesagt wird: keine Kommandoaktionen" - und nicht nur die halbherzige Sache, wie es wahrscheinlich die Celler denken (oder?), die nicht die ganze Konsequenz ziehen will - und genauso auf der anderen Seite nicht, wie es aus deinem zweiten Brief rauskommt, "aufhören", "der Deal".

Das stellt sich alles erst noch heraus, wie es laufen kann.

Wir müssen eine bestimmte Aussage mache. "Für die nächste Zeit bis ..."

Die muß enthalten: die Offenheit anderen Praxen gegenüber, das nicht vorher Bestimmbare der folgenden/zukünftigen Politik und eine Ausgangslinie im Verhältnis, gleich: der Konfrontation mit der Staatsmacht für den ganzen Bereich des anvisierten Mobilisierungsprozesses, also wie es von ihnen aus getragen wird und werden kann.

Und es kommt heute (auch mit der KGT-Initiative) viel mehr noch als vor ein, zwei Jahren darauf an, es sofort mit einer gleichgewichtigen Aussage zu verbinden (so darüber zu sprechen), daß radikal(st)e Politik, konsequente Kämpfe laufen müssen, daß alles danach schreit, daß der Umwälzungsprozeß erkämpft wird.

Genauer, so sag' ich es, daß die Entwicklung so oder so, als Zerstörung oder Aneignung läuft. Die Schärfe, das ist ,mehr', direkter zur Aktualität, als es vage mit die "Ziele" oder "revolutionäre Politik" so ungreifbar in die Zukunft gesagt ist. Daß also von "Aufhören" keine Rede sein kann.

Das muß auch so klar rauskommen, weil in diesem Rutsch die ganze massive Wirklichkeit daran zieht, man muß sich nur die RZ-Papiere anschauen. Da kann es bei einem bestimmten Teil von Leuten, denen, die mit dabei sind, noch so klar in seinem Zusammenhang und seiner Begründung sein - diese dominierende Struktur "geben auf", "Deal", "schwenken ein", die überfährt das, wenn wir nicht über einen begrenzten Teil hinaus klar durchdrungen sind. Es wirkt dann real insgesamt als Runterziehen, revolutionäre Politik einpacken.

Weiter - heute hat der ganze Prozeß weniger mit dem Staat zu tun als bisher. Er geht vor allem vom Strukturprozeß der Aneignung aus, auf der anderen Seite erodiert die Staatsmacht auch, also verlieren die Angriffe auf den Staat auch an Stellenwert. (Gerade deshalb muß er für unsere Geschichte scharf festgehalten werden.)

Und - der springende Punkt ist, daß heute "Angriff" wesentlich beim Inhalt erst mal steckt, in der "Rückeroberung" der Inhalte. Wiederaneignung.

Die alles überdeckende Systemideologie/Herrschaftsideologie/Jubelideologie wird insgesamt verdrängt, die sozusagen das historische Überholtsein revolutionärer und ,linker' Politik überhaupt zur Grundlage des weiteren Verfahrens machen will.

Damit ist aber die Stärke dieser "Definitionsmacht" nicht begriffen, die Bedeutung der real-metropolitanen Verarbeitung des generellen Koordinatenwechsels. Das wieder zurechtzurücken, das ist jetzt das Offensive zuallererst. Die Inhalte wieder auf die Seite der zu entwickelnden neuen Strukturen bringen. In gemeinsamen Haltungen ("Positionen", die praktisch sind), bei gleichzeitigen Unterschieden in anderen Fragen. Offensiv.

Zum Beispiel zur G 7, "500 Jahre" (, wer will das? Die Vernichtung von Millionen, die Fortsetzung dieser Geschichte in die Zukunft? Welche Zukunft dann?

Wo wir dann beim "globalen Bewußtsein" wären oder dem "Bewußtsein von der Globalität", dem Einrasten des Metropolenbewußtseins in die Realität der Welt.

Das sind keine Blasen, das ist dann jedesmal in der konkreten Sache die politische Klärung.

Oder zum Beispiel: die Gefangenen, Menschenrechte, Legitimität der "Lösung".

Wenn der Schritt von der RAF gemacht wird, muß man dabei aber auch sehen, daß eine Differenz immer bleibt. Die "Lösung Gefangene" und die "Entwicklung RAF"/bzw. radikale, militante Orientierung gehen nicht glatt auf, es bleibt immer auch die Widerspruchsseite.

Man muß entscheiden. Was ist jetzt richtig? Es ist jetzt eine der historischen Zeiten, in denen Gefangene rauskommen können - was ist einem wichtiger, hat mehr Bedeutung? Das persönliche und politische Leben einer Reihe von uns, oder das Rucken in der konsequenten Orientierung. - Was kann es sein? Eine dynamische Funktion auch für den gesamten Prozeß. Man muß die Widerspruchsseite aus der Entscheidung für das andere aushalten. Ist doch nur gut hier, hätte doch dann auch eine gute politische Aussage.

Wir müssen jetzt gleich voneinander wissen, ob wir alle, drinnen und draußen, solche Sätze von uns Gefangenen tragen (denn wir müssen mit einer klaren und kräftigen Aussage zu der "Freilassungsinitiative" noch rauskommen) und was mehr gesagt werden sollte:

Wir wollen einen gründlichen Schritt, für alle Beteiligten, einen Einschnitt gegenüber der Geschichte von 22 Jahren. Wir wollen eine Perspektive der Freiheit für alle von uns in einem absehbaren, nächsten Zeitraum.

Das wird auch in unserer Vorstellung nicht sofort gehen und nicht auf einmal. Das kann auch nicht nur am Bereich der Gefangenen angepackt werden, sondern ist nur vorstellbar als Zäsur im gesamten politischen Zusammenhang. (Was den Schritt von der RAF impliziert.)

Wir fordern das mit der bekannten Gefängnisgeschichte im Rücken - und wir wollen das aus einer direkten politischen Zielsetzung für jetzt, als Ausdruck der generellen Notwendigkeit von "Lösungen".

 

 

Helmut Pohl zu seinen Motiven, den Brief jetzt zu ver/öffentlichen

Der Brief ist vom Februar 1992.

Der Inhalt ist längst überholt, den ganzen Grundgedanken habe ich schon lange nicht mehr, und in manchen Einzelheiten denke ich heute anders. Ich habe ihn im Zusammenhang mit dem "konkret"-Interview rausgeben lassen, um zu dokumentieren, wo wir waren, kurz bevor die "Bewaffneter Kampf/Hardliner"-Hetze dagegen und über uns weg gebrüllt wurde.

Der Brief spiegelt zum großen Teil den Diskussionsstand unter den meisten von uns Gefangenen wider, und es sind Einzelüberlegungen von mir drangehängt. Vollständig war er zehn Seiten lang. Es war nach schon langem Drängen einer ganzen Reihe von uns und genauso langem Bearbeiten draußen ein letzter Anlauf, bei den Illegalen was zu bewegen. So ist er auch geschrieben. Noch einmal mit zusammengebissenen Zähnen, bemüht, angestrengt daraufherumreitend und mit dem Vokabular der Jahre vorher aneinandergeschraubt.

Diesen Brief hatte der Verfassungsschutz sofort. Wahrscheinlich schneller als die anderen Gefangenen und die Illegalen.

Der Staatsschutzapparat hatte alles auf dem Tisch, sie wußten mit größter Wahrscheinlichkeit auch schon das ganze Jahr 1991, was wir wollten, aber für ihre Zwecke mußte eine andere, in etwa die diametral entgegengesetzte "Wirklichkeit" geschaffen werden. Die wieder zurechtzurücken, war der ganze Sinn des Interviews und der Veröffentlichung des Briefs.

Ich habe vor dem Interview in politisch ganz verschiedenen Kontakten abgeklopft, ob ich es auch wirklich so begreifen muß (oder es vielleicht meine Fixierung ist), daß es eine notwendige Voraussetzung für einen neuen Ansatz für unsere Freiheit ist, diese Desinformation in der Öffentlichkeit wegzukriegen. Sie haben es mir alle nach kurzem Überlegen bestätigt.

Mir hat das auch nicht gefallen, so zu unserer Geschichte zu reden. Es blieb uns nur gar nichts anderes mehr übrig, so wie sie auch von früheren "Genossen" in den letzten Jahren getrimmt worden ist.


Alle müssen raus!

 

Wir veröffentlichen die Namen und Adressen von politischen Gefangener:

 

Rolf Heissler Ludwighafenerstr. 20, 27227 Frankenthal

 

Rolf-Clemens Wagner Paradeplatz 5, 34613 Schwalmstadt

 

Helmut Pohl Paradeplatz 5, 34613 Schwalmstadt

 

Sieglinde Hofmann Rochusstr. 350, 50827 Köln

 

Heidi Schulz Rochusstr. 350, 50827 Köln

 

Brigitte Mohnhaupt Münchner Str. 33, 86551 Aichach

 

Christian Klar Postfach 2580, 76646 Bruchsal

 

Eva Haule Obere Kreuzäckerstr. 4, 60435 Frankfurt

Stefan Wisniewski Krefelder Str. 251, 52070 Aachen

 

Birgit Hogefeld über OLG, 5. Strafsenat Zeil 42, 60313 Frankfurt a.M.

 

[alles Gefangene aus der RAF]

 

Michael Steinau Marliring 41 23566 Lübeck

 

Bernhard Falk Rochusstr. 350 50827 Köln

[Beiden wird AIZ-Mitgliedschaft vorgeworfen]

Ihre Post geht über: Ermittlungsrichter am BGH Wolst, Herrenstr. 45 a, 76125 Karlsruhe

 

Frank Großkinsky Rochusstr. 350, 50827 Köln

Post über: Ermittlungsrichter am BGH Wolst, Herrenstr. 45a, 76125 Karlsruhe

[Frank wird vorgeworfen, bei der Zeitschrift "radikal" mitgearbeitet zu haben.]


Andrea Wolf an die Öffentlichkeit

Zu "Weiterstadt" und anderen Lügen

"... wir können entweder sterben, buchstäblich als volk und möglicherweise als ganzer planet, oder wir können der sich häutenden schlange gleich zu bewussten zeugen des todes der existierenden kultur werden und uns mit der strahlend neuen haut identifizieren, die sich unter der oberfläche des alten zu zeigen beginnt ..."

(aus: mythen, musen und tarnt, von vicki noble)

 

mein name ist andrea wolf. ich werde wegen des sprengstoffanschlags der RAF auf den knastbau in weiterstadt gesucht. im november letzten jahres wurde deswegen haftbefehl gegen mich erlassen, obwohl dem staatsschutz bekannt ist, dass ich damit nichts zu tun habe. ich war zu dem zeitpunkt weder illegal noch bei der RAF, sondern auf reisen in lateinamerika. ich lebe jetzt allerdings seit einem jahr in der illegalität, weil sich meine mögliche verhaftung bereits im sommer 95 abzeichnete. das ermittlungsverfahren bedroht mich als teil der linksradikalen opposition, in der ich seit 15 jahren aktiv bin. konkret heisst das zum beispiel, dass ich teil der häuserbewegung anfang der 80er war. in infoladenstrukturen und in der anti-waa-bewegung organisiert war, dass ich in frauenzusammenhängen und im antirassistischen und antifaschistischen info- und notruftelefon frankfurt am main mitgearbeitet habe oder in einzelnen mobilisierungen wie im hungerstreik der politischen gefangenen 1989 aktiv war.

als mitte der 80er die hoffnung auf eine grundsätzliche veränderung der machtverhältnisse, die an unsere kämpft geknüpft war, immer schmaler wurde, habe ich, wie viele andere auch, versucht, revolutionären kampf neuzubestimmen. nach wie vor geht es um eine fundamentale opposition. die frage ist nur das "wie". nach wie vor ist das interesse des staates, das zu bekämpfen und zu verhindern.

in meinem fall konnten sich bundeskriminalamt (bka) und bundesanwaltschaft (baw) zunutze machen, dass ich monate nach bad kleinen das motorrad des steinmetz von seiner wohngemeinschaft gekauft hatte. (steinmetz ist der agent des verfassungsschutzes, der im juni 93 die sicherheitsbehörden nach bad kleinen führte, wo birgit hogefeld verhaftet und wolfgang grams erschossen wurde.) der kauf war ein grosser fehler, an dem motorrad und den dazugehörenden koffern wird das ganze verfahren gegen mich aufgehängt und eine beteiligung von mir an der knastsprengung in weiterstadt konstruiert. mein denken damals, dass so ein motorrad keine rolle spielen wird, weil der v-mann sowieso das blaue vom himmel runter lügen wird, wie die behörden es wollen, um damit weiter ermitteln und kriminalisieren zu können, macht nur deutlich, dass ich noch gar nicht begriffen hatte, was eigentlich passiert war.

 

die steinmetzsche geheimdienstoperation ist wahrscheinlich die grösste in der geschichte der brd gegen die linke, ihre wirkliche dimension ist heute noch nicht bekannt, und regierung und behörden setzen auch alles daran, dass das so bleibt. war das celler loch, mit dem mitte der 70er jahre eine befreiung von RAF-gefangenen fingiert wurde, um vs-männer in die RAF zu schleusen, ein übungsstück, geht der steinmetz-einsatz schon einen schritt weiter. eher vergleichbar ist die operation mit dem amerikanischen "counter-intelligence-program". dies wurde vom fbi unter psychologischen gesichtspunkten entwickelt, die aus der jahrelangen beobachtung der politischen organisationen und einzelnen dann gewonnen wurden und auf ihre schachstellen abzielte. sowohl black panther party als auch das american indian movement wurden mit diesem programm aufgerieben, die bewegungen wurden nicht mehr nur militärisch bekämpft, sondern unterwandert, manipuliert, gegeneinander ausgespielt und so eine wirksame arbeit verhindert. die öffentlichkeit bekam diesen schmutzigen krieg nie zu gesicht. die regierung war fein heraus, sichtbar wurden nur die folgen: die zig politischen schwarzen und native gefangenen, die z.t. noch heute in den us-gefängnissen sitzen.

 

in der deutschen auflage wurde der verfassungsschutz-agent steinmetz fast zehn jahre in linksradikalen zusammenhängen geführt. er war spätestens 1984 als asta-vertreter an der uni kaiserslautern vom rheinland-pfälzischen verfassungsschutz angeworben worden. von lateinamerika-solidaritätsgruppen über die startbahnbewegung bis hin zu hausbesetzungen - es gab kaum einen zusammenhang der radikalen linken, den er in seiner laufbahn ausgelassen hat. mit diebstählen und einbrüchen und dadurch, dass er seine technischen fähigkeiten zur verfügung stellte, legitimierte er sich. die konsequenz dieser entwicklung war, dass er mitte 1991 kontakt zur RAF bekam. ohne einen stoffwechsel zwischen ihr und der legalen linken kann eine guerilla nicht leben, geschweige denn handeln. dass eine derart wichtige position sozusagen unter einfluss des verfassungsschutz stand, macht den verlauf der politischen entwicklung in den letzten jahren klarer. sichtbar wird auch das bekämpfungskonzept des apparates, der mit jahrelanger überwachung, kill- und rasterfahndung, isolationshaft und horror-urteilen die politische konfrontation nicht zum erliegen gebracht hatte. jetzt sollte von innen her aufgeräumt werden. via steinmetz konnte der vs bestehende politische konflikte und unsicherheiten ausnutzen und manipulieren. die zentrale rolle von steinmetz drohte kurz nach bad kleinen an die öffentlichkeit zu bringen. (...)* das alles sollte den wirklichen hintergrund der operation steinmetz aus dem öffentlichen schussfeuer ziehen, im "spiegel" wird steinmetz kurzerhand zum freien mitarbeiter gemacht, der sich rühmt, zwischen beiden seiten vermittelt haben zu wollen. seine staatlichen auftraggeber rücken mehr und mehr in den hintergrund. doch das öffentliche interesse daran, ob steinmetz, also auch teile in der regierung, im vorfeld von der weiterstadt-aktion wussten, lässt nicht nach. es wird ein verfahren gegen steinmetz eingeleitet wegen unterlassung der anzeige von straftaten und beihilfe zur sprengstoffexplosion. als freier mitarbeiter geniesst er keine behördliche immunität mehr. dieses verfahren wird im februar 94 eingestellt. es würde schlecht schule machen für alle weiteren spitzel, die der vs noch anwerben will. das verfahren wird gegen unbekannt, also gegen die linke, weitergeführt, und es ist genau das, in dem ich zuerst zeugin war und mittlerweile beschuldigte bin.

 

ich kannte steinmetz knapp über ein jahr, wovon ich drei monate in lateinamerika war. kennengelernt hatte ich ihn im rahmen der vorbereitungen gegen den weltwirtschaftsgipfel, der im juli 92 in münchen stattfand. gegen den gipfel der reichsten der welt wurde nicht nur eine grossdemonstration mit über 25.000 teilnehmerInnen organisiert, sondern auch ein gegenkongress mit beteiligung von vertreterInnen aus nationale befreiungsbewegungen weltweit. mein kontakt zu steinmetz war von anfang an ein politischer, wo es um "fragen und diskussion des kampfes", um grundsätzliche veränderung der machtverhältnisse ging. obwohl mir seine tour als unbehagen irgendwie aufstiess, konnte ich ihn nicht wirklich durchschauen und identifizieren. er setzte z.b., psychologisch präpariert von seinen v-mann-führern, oft pures vs-wissen an stelle von eigener meinung und diskussion. frauen gegenüber mimte er den aufmerksamen und mitdenkenden, und meinungsverschiedenheiten unter gruppen und einzelnen, nach denen er sich immer wieder erkundigte, benutzte er, um sich darin sicher bewegen zu können und die leute voneinander getrennt zu halten.

 

es gab keine irgendwie gearteten aktionen von mir mit steinmetz. die bezeichnung "freundin" in den medien soll mich als frau demütigen und mein handeln und denken entpolitisieren: die frau ohne eigenen willen, als anhängsel des (v)-mannes war überall dabei, dann wieder suggeriert es, der vs-agent wäre eben schon auf die "richtigen" angesetzt gewesen ...

im zuge der ermittlungen wurde mein wohnort, das teilbesetzte haus und wohnprojekt, fritzlarer strasse in frankfurt am main, wo 16 erwachsene und zwei kinder seit jahren zusammenleben, ständig terrorisiert und immer wieder von sonderkommandos der polizei durchsucht. eine frau ist zusammen mit ihrem sohn mittlerweile ausgezogen. im juli 1995 nach der dritten hausdurchsuchung war die situation für mich nicht mehr überschau- oder einschätzbar. ich war zusammen mit fünf anderen aus meiner wohngemeinschaft zeugin in dem o.g. verfahren gegen unbekannt geladen. gleichzeitig war im durchsuchungsbeschluss zu lesen gewesen, dass ich ja den weiterstadt-sprengstoff transportiert haben könnte. ein nahtloser übergang von der beuge- zur u-haft war zu befürchten. so entschied ich mich wegzugehen, um aus sicherer entfernung zu beobachten, was weiter passiert. es kann auch sein, dass nur der eindruck erweckt werden sollte, dass meine verhaftung unmittelbar bevorsteht. unter einem solchen druck, spekulierte der staatsschutz möglicherweise, würde ich dazu gebracht, neue fehler zu machen, die er für die verfolgung nicht nur von mir, sondern auch von anderen benutzen könnte. d.h. aber umgekehrt nicht, dass nichts passiert wäre, wenn ich zuhause geblieben wäre.

ende november 95 konnte ich der presse entnehmen, dass haftbefehl gegen mich erlassen worden war. ausserdem wurden sechs meiner mitbewohnerInnen erneut als zeugInnen geladen, diesmal um gegen mich auszusagen. vier von ihnen sassen bis zu fünf monaten in beugehaft, weil sie sich weigerten, mit der politischen justiz zusammenzuarbeiten.

 

ich kam kaum dazu zu realisieren, was ein haftbefehl bedeutet, als sven s. am 6.12.95 an einem deutsch-österreichischen grenzübergang kurzfristig festgenommen wurde. bei ihm wurden ausser diskussionsmaterial persönliche briefe von mir gefunden. als folge davon wird ein neues verfahren gegen mich eingeleitet wegen mitgliedschaft in einer terroristischen vereinigung. in dem beschluss des bundesgerichtshofs dazu werden einzelne wörter aus dem zusammenhang gerissen und, mit füllwörtern aufgepeppt, so wieder zusammengesetzt, dass sich ein neuer sinn ergibt. hatte ich in einem brief über meine entscheidung, weggegangen zu sein, geschrieben: "... ich bin froh, nicht mehr abzuwarten, sondern zu handeln."

die verdrehung der baw endete in der kernaussage, dass ich in einem pkk-ausbildungslager sei und mit einer unbekannten gruppe zurückkehren wollen würde, um den bewaffneten kampf aufzunehmen. aufgrund dieser behauptung wird nicht nur gegen mich ein neues verfahren eingeleitet, auch gegen sven wird wegen unterstützung dieser angeblichen terroristischen vereinigung als "kurier" ermittelt, weil bei ihm die briefe gefunden wurden.

 

die gefundenen diskussionspapiere setzten sich unter anderem mit dem zustand der linken insgesamt, ihren fehlern und derzeitigen möglichkeiten auseinander. alles drehte sich um die suche nach einer neuen perspektive des kampfes, nach ideen und impulsen auch ausserhalb der eurozentristischen realität. die linke in den reichen industriezentren hat sich aus ihrer teilhabe an der macht nicht wirklich befreien können, hat diese reproduziert und sich letztlich selbst gestoppt. deshalb ist zentrales thema für mich, wo was gelernt werden könnte, um aus der verwobenheit wirklich rauszukommen. das ist der hintergrund, vor dem die pkk erwähnt wird, als einer der befreiungsprozesse in der heutigen zeit, der ständig anwächst. die pkk hat es geschafft, von einer kleinen isolierten guerillagruppe, die im august 84 den bewaffneten kampf aufnahm, zu einer grossen breiten volksbewegung zu werden. in ihr organisieren sich frauen zu eigenständigen fraueneinheiten, eine reine frauenarmee wird angestrebt. dieser innerhalb der organisation respektierte raum und gewollte schritt ist ein ausdruck davon, dass die pkk es ernst meint, wenn sie sagt, dass es ohne die befreiung der frau eine befreiung nicht nur des kurdischen volkes nicht geben kann. es wäre spannend und interessant kennenzulernen, wie das alles in der realität aussieht. um schiessen zu lernen jedenfalls braucht niemand nach kurdistan zu gehen.

 

unter dem titel "hilflos vor dem terror" bereitet der spiegel (13/96) auf, wie die informationen aus den sicherheitsbehörden gelesen werden sollen: die bevölkerung in deutschland soll nicht angst haben vor massenentlassungen, dem atommüll, der dramatischen wirtschaftlichen situation, nicht vor der änderung erkämpfter rechte, nicht vor dem polizeiterror und den korrupten eliten, nein vor der pkk. "... die das land bedrohe und terrorisieren und sogar mit deutschen terroristen zusammenarbeiten würde ... auch die wegen des sprengstoffanschlags auf die jva weiterstadt mit haftbefehl gesuchte andrea wolf halte sich, so mutmasst das bka, in einem camp der guerilla auf."

ich bin weder in einem pkk-lager, noch habe ich etwas mit weiterstadt zu tun!

mit derart konstruierten behauptungen wird eine bedrohung von aussen skizziert, angesichts deren die wirklichen probleme in deutschland in den hintergrund treten sollen. es ist das immer gleiche strickmuster. anfang der 20er jahre waren jüdische menschen diese bedrohung, nach dem zweiten weltkrieg die rote gefahr des kommunismus, heute die farbigen und schwarzen völker. die verfolgung der pkk hat immer auch etwas von dieser rassistischen komponente. gegen sie wird gehetzt, sie wird verfolgt. verboten ist die pkk aber vor allem deshalb, weil sie die regierung mit der grössten radikalen linken organisation seit dem verbot in den 50ern konfrontiert.

 

den paranoiden hirnen des über 20 jahre hochgezüchteten staatsschutzes entspringt die phantasie einer "neuen terroristischen vereinigung" à la RAF, die ich gründen wollen würde, weil in den siebzigern spätere RAF-leute in palästina militärische ausbildungen machten, kann es nur das sein. die reaktion spricht eine deutliche sprache: es ist die drohung, wer den gedanken an widerstand nicht aufgibt, wird mit dem, seit der zerschlagung der arbeiterbewegung immer weiter perfektionierten, deutschen polizeiapparat eingekreist, isoliert und bis zur vernichtung gejagt werden. nur 24 stunden nach der grenzkontrolle wird meine wg, in der auch sven wohnt, zum fünften mal durchsucht. sven wird erneut festgenommen und zehn stunden festgehalten. zwei neue 129a-verfahren werden eingeleitet, und in der presse wird gegen die pkk gehetzt.

 

in den von mir verfassten briefen geht es um meine situation in der illegalität. so wie ich es mitkriege, ist das immer noch ein tabu-thema in der linken, obwohl viele der von den aktuellen verfahren bedrohten untertauchen mussten. ich mache selbst die erfahrung, wie schwierig es ist, den kontakt und die diskussion unter den gegebenen umständen aufrechtzuerhalten. der staat weiss, dass es in der illegalität ohne anbindung an eine organisation oder politische perspektive nur die alternative gibt, aufzugeben oder auszuwandern. deshalb setzt er alles daran, die verbindung und den kontakt der linken zu den illegalen zu verhindern. punktuell ist das auch gelungen, wenn man sich anschaut, wieviele menschen aus den 80er jahren heute noch illegal leben, an die sich kaum jemand mehr erinnert bzw. von denen fast niemand etwas weiss. ich kriege erst jetzt so langsam eine vorstellung davon, was es für die zig-tausende flüchtlinge in deutschland bedeutet, tag für tag ohne papiere und ohne status ums überleben zu kämpfen. und dabei habe ich noch das "privileg", weiss zu sein.

 

ich bin überrascht, wie liebevoll und offen ich überall aufgenommen werde. allen, auch zu hause, möchte ich für ihre solidarität danken. diese solidarität ist wie eine welle, die mich trägt. ich hoffe, alle, die in der gleichen situation sind, erleben das genauso. euch möchte ich sagen, dass meine gedanken und meine liebe euch begleiten, egal wo auch immer ihr sein mögt!

ich erfahre aber hier aus den riss, der quer durchgeht: unser mögliches potential einerseits, aber andererseits alte fehler der linken ... unsere schwäche weiss der staat und setzt alles daran, einen neuen, geeinten widerstand erst gar nicht aufkommen zu lasen. deshalb werden einzelne wie ich, die eine lange widerstandsgeschichte haben und nicht aufgegeben haben, verfolgt. deshalb werden die redakteurInnen der zeitung "radikal", die eine freie und unzensierte information und diskussion ermöglicht, kriminalisiert. deshalb werden antifaschistische organisationen wie die antifa m angeklagt. menschen, die nicht kollaborieren, wie monika haas, eingesperrt - oder in beugehaft gesteckt. auch fahndungshetze gegen drei männer, die versucht haben sollen, unter dem namen "komitee" den in umbau befindlichen abschiebeknast in berlin-grünau in die luft zu sprengen, soll ablenken von den organisierten verbrechen, das die flüchtlings- und asylpraxis der reichen industriestaaten real ist. das denken in den eigenen reihen, dass angesichts unserer schwäche die repression nachlassen müsste, ist zwar an sich logisch, negiert aber alle erfahrungen mit dem system.

 

ich gehe in meinem fall davon aus, dass meine kriminalisierung davon ablenken soll, dass mit steinmetz der von der regierung als schattenbereich für v-leute definierte raum überschritten wurde. ausserdem, dass solche verfahren einzelne aus dem verkehr ziehen, werden sie dazu benutzt, um mit zeugInnenvorladungen, beugehaft u.ä. die reihen der linken szene durchzukämmen und zu beobachten, wer sich wie verhält. von den monaten knast mal ganz abgesehen. aktuell sind mir mindestens 20 solcher vorladungen im zusammenhang "komitee" in berlin bekannt, über 20 aus wiesbaden und darmstadt wegen weiterstadt.

 

zur einleitung unseres zeitalters - das der menschen - gehört, unsere fehler aufzuarbeiten, um unsere schwäche zu überwinden. es braucht einen begriff des vergangenen. z.b. hat der vs durch steinmetz mehr mitgekriegt und mehr einfluss gehabt, als bisher zugegeben wurde. zu einem ehrlichen umgang fordere ich alle auf, die mit steinmetz zu tun hatten. nach wie vor gibt es über die frage, wie sich steinmetz bis schlusspunkt bad kleinen halten und agieren konnte, keine ausreichend genaue und gemeinsame auseinandersetzung. trotz einzelner öffentlicher äusserungen ist es immer noch so, dass die geheimdienstoperation und ihre folgen, die verunsicherung nachwirken kann. das nicht- oder nur sehr mässige verhalten derer, die mit dem agenten zusammengewesen waren, mit ihm gearbeitet und gelebt haben, ist wie ein vakuum. ein grauenvolles nichts, das alles verschluckt, die betroffenen alleine lässt und dem staat den raum gibt, nach seinem belieben damit zu jonglieren. das rätselraten, wieso die eine behörde steinmetz schützt, während die andere ihn angeblich verfolgen will, führt zu nichts. im dezember 1995 wurde erneut ein haftbefehl gegen ihn erlassen, aber nur zum schein. der eindruck, dass steinmetz eine zwielichtige figur sei und nicht auf regierungsauftrag gehandelt hätte, soll damit verstärkt werden. es mögen verschiedene arbeitsmethoden innerhalb des apparates sein, die sich auch manchmal im weg stehen, im kern ist ihr ziel aber identisch: die bestehende machtordnung aufrechtzuerhalten und allen widerstand dagegen zu brechen. im gremium der kgt (koordinierungsgruppe terrorismus), wofür extra die im grundgesetz verankerte gewaltentrennung aufgehoben wurde, erfolgt die absprache zwischen geheimdienst und den polizeibehörden des bundes. zusammen mit den verantwortlichen politikern. angesichts der dimension, die der geheimdiensteinsatz des agenten steinmetz für die deutsche regierung hat, ist die aufregung um seinen haftbefehl doch sehr gering.

 

ich rufe hiermit alle fortschrittlichen menschen, auch in den medien, auf, sich an den verdrehungen und der hetze nicht zu beteiligen. die geheimdienstoperation um steinmetz herum muss komplett offengelegt werden.

die verfolgung von mir, meiner wohngemeinschaft und der linken muss aufhören!

schluss mit all den aktuell laufenden politischen verfahren.

weg mit den haftbefehlen und der beugehaft (ermittelt werden muss beim verfassungsschutz und in der regierung).

statt dessen sollte endlich das pkk-verbot aufgehoben, die militärhilfe für die türkei eingestellt werden, die politischen gefangenen freigelassen und die menschenverachtende asylpraxis gestoppt werden.

für unser recht auf leben als menschen und frauen.

freiheit und glück.

andrea wolf, juli 96

 


"radikal"-Verfahren

Neuester Stand

 

Am 22. Juli fand in Karlsruhe auf Antrag der Verteidigung ein Haftprüfungstermin von Glosch aus Köln statt. Er sitzt ja seit dem 13. Juni in Karlsruhe in Untersuchungshaft, während Ulli und Jutta am 14. Juni unter strengen Auflagen freigelassen wurden. Die Bundesanwaltschaft wirft Glosch vor, während des Jahres, in dem er abgetaucht war, weiter bei der "radikal" mitgearbeitet zu haben. Dies vermutet sie allerdings bei Ulli und Jutta auch. Bei Glosch behaupten sie aber, über Materialien zu verfügen, daß Glosch und eine weitere Person (vermutlich ist damit Matthes aus Bremen gemeint, der weiterhin abgetaucht ist) unter dem Pseudonym "Quak" an den letzten Ausgaben mitgearbeitet zu haben. Diese "Materialien" hat aber bisher noch nicht einmal der Verteidiger von Glosch zu sehen gekriegt - die BAW rückt sie nicht raus. Sie behauptet, daß es sich dabei um Funde aus den Hausdurchsuchungen vom 13. Juni 1995 sowie der Folgezeit handelt. Der Ermittlungsrichter meinte, Glosch müsse nur ein paar Aussagen machen, dann könne er nach Hause gehen. Das Soliplenum Köln schreibt dazu: "Offensichtlich ist die Indizienlage gegen Frank (also Glosch) derartig gering, daß nur noch die Haft in der Lage scheint, das Ergebnis zu verbessern. Es bleibt festzuhalten, daß der Verteidigung die notwendigsten Unterlagen vorenthalten werden, während gleichzeitig der Beschuldigte weiterhin in Haft bleibt." Im Moment sitzt Glosch noch in Karlsruhe, wird aber voraussichtlich bald nach Köln verlegt. (Ist inzwischen erfolgt, siehe Adressen auf S. 7 - Red.)

Das Haftstatut von Glosch wurde Mitte August geändert, das heißt nun, daß bei seinen Besuchen die Trennscheibe wegfällt, seine Beobachtungszelle durch Zukleben des Gucklochs zu einer "normalen" Zelle wurde. Er hat Umschluß und kann an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen, wie z.B. Sport, Gottesdienst.

 

Am Samstag, den 19. Oktober, findet eine

Demonstration

in Köln statt, die in der Innenstadt beginnen und vor dem Knast in Ossendorf enden soll.

Das Motto lautet:

Sofortige Freilassung von Frank!

Aufhebung aller Haftbefehle!

Sofortige Einstellung aller Verfahren vom 13.6.95!

Es wird aber auch auf die Situation von Heidi Schulz, Sieglinde Hofmann, Bernhard Falk und zwei kurdischen Gefangenen eingegangen, die ebenfalls dort im Gefängnis sitzen.


"radikal" im Netz

Bundesanwalt will sperren lassen

 

Das niederländische "radio de Vrije Keyser" teilte am 2.9. mit:

Offenbar plant die deutsche Justiz, ins Internet einzugreifen wegen "Terrorismusverdacht". Aus Kreisen des Vereins für Deutsche Internet-Provider ECO wurde dem niederländischen Internetprovider Xs4all mitgeteilt, daß die Oberstaatsanwaltschaft plant, alle deutschen Internetprovider zu verpflichten, den Zugang ihrer Kunden zu World-Wide-Web-Computern zu sperren, die die Untergrundzeitung "radikal" behalten.

Im Moment gibt es nur eine Adresse, wo "radikal" im Netz zu lesen ist. Die Amsterdamer "Solidariteitsgroep Politieke Gefangenen" (SPG) hat "radikal" auf ihrer Web-Seite veröffentlicht, als "Maßnahme, den freien und unzensierten Austausch und Diskussion zwischen linken Gruppen und Personen zu gewährleisten, ohne dabei vom deutschen Staat gehindert zu werden". Eine Sperre würde dazu führen, daß keiner der über 2.000 auf Xs4all angebotenen Web-Seiten mehr in Deutschland zu lesen ist.

Ein Sprecher der SPG sagte, daß die Gruppe die in den Niederlanden nicht verbotene Zeitung "radikal" nicht aus dem Netz-Angebot entfernt. Auch Xs4all habe die SPG nicht gefragt, das zu tun. Die "radikal"-Seiten werden täglich von ca. 200 Internetbenutzern besucht.

Die "radikal"-Adresse ist:

http://www.xs4all.nl/ßtank/radikal


Zensur gegen das Info

Eine unendliche Geschichte

 

Die Bundesanwaltschaft hat im Juli ein weiteres Verfahren gegen das Angehörigen Info eingeleitet, so daß zur Zeit fünf Verfahren anhängig sind. Im jüngsten Verfahren geht es um das Info Nr. 181 vom 18.5. Hier fühlt sich die Bundesanwaltschaft durch drei Auslassungspunkte und eine dazugehörige Fußnote verunglimpft (S. 4). Die presserechtlich verantwortliche Redakteurin hatte unter Hinweis auf die von der Bundesanwaltschaft ausgeübte (Nach-)Zensur Tatsachenbehauptungen über die Todesumstände von Ulrike Meinhof, die den staatlichen Versionen widersprachen, nicht zum Abdruck freigegeben. Weil sie dies nicht stillschweigend tat, sondern auf die Verfolgungswut der Karlsruher Zensurbehörde verwies, sieht diese die Bundesrepublik Deutschland verunglimpft. Offensichtlich will sie selbst den Hinweis auf ihre rechtswidrige Zensurpraxis unter Strafe stellen. Nicht einmal in den Hochzeiten der Zensur sind die Zensurbehörden so weit gegangen; damals wurde vielmehr in jeder Publikation auf die erfolgte Zensur mit dem Hinweis "Imprimatur" (Es kann gedruckt werden) ausdrücklich hingewiesen.

In den Verfahren gegen die Ausgaben 176 und 177 - in beiden ging es um den Tod von Wolfgang Grams, der durch staatlichen Entscheid und mit aller staatlichen Gewalt zur "Selbsttötung" gemacht werden soll - hat das Amtsgericht Hamburg die gerichtliche Vorladung der presserechtlich verantwortlichen Redakteurin für den 12.9. verfügt. Offensichtlich schwankt es noch, ob es nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen das Hauptverfahren eröffnen soll. (Red.)


Autonome Antifa (M)

17 Angeklagte überweisen gemeinsam Bußgeld an KZ-Gedenkstätte

 

Die Angeklagten im Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) haben heute (30.8.) gemeinsam insgesamt 51.000 DM an die KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora in Nordhausen überwiesen. Damit sind alle Bedingungen zur endgültigen Einstellung des Verfahrens erfüllt.

Fünf Jahre lang ermittelte eine Sonderkommission (SoKo 606) des Landeskriminalamtes Niedersachsen im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft (GSA) gegen Göttinger Antifaschistinnen und Antifaschisten. Offiziell wurden 143 Personen auf Mitgliedschaft in der Autonomen Antifa (M) überprüft, 13.929 Telefonate abgehört, 30 Hausdurchsuchungen im Juli 1994 durchgeführt und schließlich 17 Personen im Februar 1995 angeklagt.

Ursprünglich sollten angeblich 52 Brandanschläge aufgeklärt werden. Dies wurde bereits ein Jahr später von den Ermittlungsbehörden als gescheitert erklärt. Dennoch wurde das Verfahren immer weiter ausgeweitet und polizeistaatliche Überwachungsmethoden über Jahre hinweg auf Hunderte von Personen ausgedehnt, da alle BesucherInnen von Veranstaltungen und alle BündnispartnerInnen in die Ermittlungen miteinbezogen wurden.

Die Ermittlungen wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" und später der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" in Tateinheit mit der "Werbung für eine terroristische Vereinigung" auf der Basis von angeblichen "Verstößen gegen das Versammlungsgesetz" waren politisch motiviert. "Die reaktionäre Generalstaatsanwaltschaft trachtete danach, fortschrittliche antifaschistische Arbeit zu zerschlagen, scheiterte aber in letzter Konsequenz. Mit der Einstellung des Verfahrens mußte die GSA Celle ihren Mißerfolg eingestehen", so Bernd Langer, Sprecher der Autonomen Antifa (M).

Die dabei den Angeklagten erteilten Auflagen zeugen von derselben Absurdität, mit der bereits das gesamte Verfahren geführt wurde. "Es ist nicht die Aufgabe einer antifaschistischen ruppe, der selbstverständlich für ihre Arbeit keinerlei öffentliche Gelder zur Verfügung stehen, eine Gedenkstätte, die aus staatlichen Mitteln finanziert werden müßte, vor der Pleite zu retten", so Bernd Langer, Sprecher der Autonomen Antifa (M).

Die Autonome Antifa (M) hat es sich zur Aufgabe gestellt, die Verbrechen des NS-Faschismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie leistet seit Jahren insbesondere zum KZ Mittelbau Dora Informationsarbeit, organisiert Fahrten zu ehemaligen Konzentrationslagern, veranstaltet Ausstellungen und Diavorträge. Die Autonome Antifa (M) schlägt vor, mit den 51.000 DM ein gemeinsames Projekt zu finanzieren, das die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand der KZ-Häftlinge wachhalten soll.

Presseerklärung der Autonomen Antifa (M) vom 30.8.96


Solidarität ist unsere Waffe!

FrauenLesbenprozeßtag

 

Freiheit für Kurdistan!

Kommt am Mittwoch, den 25.9.96, zum FrauenLesbenprozeßtag am Frankfurter Oberlandesgericht zum Prozeßtag gegen drei Kurden!!

Seit genau einem Jahr läuft ein 129a-Verfahren gegen drei kurdische Politiker. Ihnen wird vorgeworfen, die kurdische Befreiungsorganisation PKK unterstützt zu haben, die die bundesdeutsche Justiz als "terroristische Vereinigung" diffamiert. Zusätzlich wird ihnen vorgeworfen, bei Anschlägen gegen türkische Einrichtungen 1993 eine "steuernde Rolle" gespielt zu haben. Die Bundesanwaltschaft stützt ihre Anklage in wesentlichen Punkten auf die Aussagen eines Kronzeugen. Seine Aussagen sind erkauft mit einem Aufenthaltsstatus in der BRD, den ihm das Bundeskriminalamt verschafft hat.

Die Initiatorinnen schreiben:

"Gemeinsam mit kurdischen Frauen wollen wir den Prozeß in Frankfurt besuchen, um die Angeklagten zu unterstützen und unsere Solidarität mit den Gefangenen auszudrücken.

Wir kämpfen als internationalistische Feministinnen in der BRD mit dem Ziel: Frauenbefreiung weltweit. Die kurdischen Frauen organisieren sich eigenständig innerhalb des kurdischen Befreiungskampfes. Wir sind ihrem Kampf verbunden. Auch wenn ihre und unsere Bedingungen unterschiedlich sind, kämpfen wir doch um gemeinsame Ziele und gegen denselben Feind: Imperialismus und Patriacharat."

Der Prozeßtag fängt um 9 Uhr an, voraussichtlich im Gebäude E, Saal 2, Eingang für Zuhörerinnen Konrad-Adenauer-Str.

 


Diesmal in Marburg

Achtung -Verfassungsschutz unterwegs!

 

Aus Marburg wurde ein neuerlicher dreister Anwerbe-Versuch des Verfassungsschutzes bekannt. Im Juni versuchten zwei VS-Beamte, eine Frau in ihrer Wohnung zu überrumpeln und sie über Kurdistan-Solidaritäts-Zusammenhänge auszuquetschen. Der Versuch mißlang und wurde bekannt gemacht. Augenscheinlich ging es darum, Informationen über FrauenLesben zu bekommen, die internationalistisch zum kurdischen Befreiungskampf arbeiten. In diesem Fall über die Gießener FrauenLesben-Zusammenhänge. Es wurde auch von Anwerbungsversuchen bei KurdInnen im Raum Gießen und Marburg berichtet.

 


Hamburger Kurdenprozeß

Angeklagte ausgeschlossen

 

Im Hamburger 129a-Prozeß gegen die drei KurdInnen Azime Yilmaz, Meryem Yagicibulut und Sait Bilgin hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamburg die drei Angeklagten wegen angeblicher Mißachtung des Gerichts von der Hauptverhandlung ausgeschlossen.Als Grund dieses Ausschlusses diente, daß sich die Angeklagten bei der Vereidigung eines Zeugen nicht erheben wollten.

Das erstaunt! Hatten sich die drei doch im gesamten bisherigen Verlauf der Verhandlung noch kein einziges Mal bei der Vereidigung erhoben.

Für das aggressive Verhalten des Senats, insbesondere durch den Vorsitzenden Mentz zum Ausdruck gebracht, liegt daher eine andere Begründung nahe:

Die bisher erfolgte Beweisaufnahme lieferte nicht das von der Bundesanwaltschaft und dem Gericht erwünschte Ergebnis. In seiner Not versucht das Gericht, den Druck auf die Angeklagten zu erhöhen. Dabei schreckt es vor keiner Schikane zurück. Nur vor diesem Hintergrund wird der Ausschluß der Angeklagten am 7. August verständlich.

Zuvor legte die Angeklagte Azime Yilmaz ausführlich dar, warum sie bei der Vereidigung nicht aufstehen würden. U.a. erklärte sie, den vom Gericht geforderten Respekt könnten sie diesem nur dann entgegenbringen, wenn auch ihnen der gebotene Respekt gezollt werden würde. Im Laufe der seit März andauernden Hauptverhandlung hätte das Gericht aber genau das Gegenteil getan. Anstatt auf die ausführlichen Prozeßerklärungen der Angeklagten einzugehen, wurde der nationale Befreiungskampf der KurdInnen mit Schlamm beworfen.

Dem Ausschluß der Angeklagten vorausgegangen war die erste vom Gericht verhängte Haftstrafe. Noch bevor die Angeklagte Yilmaz ihre Erklärung beenden konnte, sah sich der Vorsitzende Richter Mentz veranlaßt, Drohungen in Richtung Publikum auszustoßen. Eine Prozeßbeobachterin quittierte die Drohung des Vorsitzenden an die Öffentlichkeit, sich mit Beifallsbekundungen zurückhalten, mit einem Lachen. Der seine Beherrschung nun vollends verlierende Vorsitzende Richter verhängte daraufhin für diese Lächerlichkeit einen Tag Ordnungshaft.

Kurdistan Solidarität Hamburg

 

Die nächsten Prozeßtermine:

10.9., 11.9., 18.9., 19.9., 24.9., 25.9., 26.9.


Berlin

"Kampagne" wieder durchsucht

 

Das Büro der Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär ist am 21. August in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Heinke am Landgericht Berlin von mindestens 20 Polizisten in der Zeit von 10.30 bis 14.00 Uhr durchsucht worden. Grundlage dieser bereits zweiten Durchsuchung sind Anzeigen von Offizieren und Politikern wegen Beleidigung aufgrund eines Kampagnen-Plakats. Dieses Plakat mit der Überschrift "Ja, Morden!" ist von der Kampagne als satirische Antwort auf eine Anzeigenkampagne der Bundeswehr mit den Slogans "Ja, Dienen!", "Ja, Tapferkeit!" entworfen und verbreitet worden.

Die erneute Aktion des politischen Staatsschutzes zielte darauf ab, einen Verantwortlichen für diese Plakate zu finden. Nach erpresserischer Androhung der kompletten Beschlagnahmung des gesamten Büroinventars vom PC bis zum Anspitzer hat sich Christian Herz, Mitarbeiter der Kampagne, als inhaltlich Verantwortlicher bekannt.

Beschlagnahmt wurden daraufhin alle vorgefundenen Plakate. Auf die Mitnahme weiterer Unterlagen wurde verzichtet.

Die völlig überzogene Durchsuchung aufgrund des vergleichsweise geringen Vorwurfs der Beleidigung ist vor dem Hintergrund zu sehen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausspruch "Soldaten sind Mörder" zu revidieren, zum anderen, das aktuelle Programm zur Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes nicht durch fundamentale Kritik stören zu lassen. Im Rahmen der Ehrenschutzdebatte für Soldaten wird bereits ohne Gesetzesänderung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit eingeschränkt.

Antimilitaristische Kritik wird im Zusammenhang mit Kampfeinsätzen der Bundeswehr "out of area" einer zunehmenden Strafverfolgung ausgesetzt.

Die Informations- und Beratungsarbeit von Kriegsdienstverweigerungsstellen wird zunehmend kriminalisiert und Ratsuchende sollen abgeschreckt werden.

(Presseerklärung der "Kampagne" vom 21.8.)


Free Mumia Abu-Jamal!

1000000 Briefe-Kampagne!

 

Die Ortsgruppe Nürnberg/Fürth/Erlangen der Roten Hilfe ruft dazu auf, sich an der "1 Million Briefe für Mumia"-Kampagne zu beteiligen. Mit dieser Kampagne soll die Bundesstaatsanwältin Janet Rino aufgefordert werden zu prüfen, ob in Mumias Verfahren seine Bürgerrechte verletzt wurden.

Aufgrund seines Kampfes gegen die gegen ihn verhängte Todesstrafe und wegen der Veröffentlichung seines Buches "Live from Death Row" wurde Mumia in verschärfte Isolationshaft genommen!

Ab sofort können bei der Roten Hilfe Postkarten für die Aktion besellt werden. Wichtig ist, daß die ausgefüllten Karten nach Möglichkeit gesammelt an die RH zurückgeschickt werden, da sie diese an das "Free Mumia Kommittee" in New York weiterleiten. Dieses Komitee übergibt die weltweit gesammelten Karten und Briefe in einer öffentlichen Aktion an die Staatsanwältin Janet Rino. Das Komitee hat schon 200.000 Briefe übergeben.

Der erste Termin für die Rücksendung der Postkarten an die Rote Hilfe ist der 15. Oktober 1996.

Bestelladresse:

Rote Hilfe

Ortsgruppe Nürnberg/Fürth/Erlangen

c/o Libresso, Peter-Vischer-Str. 25

90403 Nürnberg


Zeugenaussage von Werner Hoppe im Prozeß gegen Monika Haas

Am 18. Juli war Werner Hoppe, ehemaliger Gefangener aus der RAF, als Zeuge im Prozeß gegen Monika Haas geladen. Ein ehemaliger Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit hatte ausgesagt, von Werner Hoppe die Information zu haben, daß Monika Haas auf Mallorca die Waffen an das palästinensische Kommando übergeben haben soll, das die Landshut entführt hat. Wir dokumentieren die Erklärung, die Werner Hoppe als Zeuge vor Gericht abgab:

 

1. Ich bin seit einigen Jahren und insbesondere im Zusammenhang mit Frau Haas und den Ermittlungen gegen sie von der BAW und allerlei Journalisten immer wieder als "inoffizieller Mitarbeiter" des Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik bezeichnet worden. Dieser Begriff - im übrigen seit 1989 hauptsächlich zu antikommunistischer Hetze benutzt - bezeichnet meine Beziehungen zur DDR nur zu einem kleinen Teil. Durch meine Erziehung in einer antifaschistischen und antimilitaristischen Arbeiterfamilien hatte ich seit früher Jugend Kontakte in die DDR - familiäre, sportliche, kulturelle, politische. Die DDR ist für mich das andere, das bessere, weil antifaschistische, antiimperialistische, sozialistische Deutschland. Mir war immer bewußt, daß Tausende Frauen und Männer unter Einsatz ihres Lebens gegen Hitlerterror, Massenmord und Krieg für die Errichtung einer Deutschen Demokratischen Republik gekämpft haben. Wenn ich als in der BRD geborener und aufgewachsener Internationalist so etwas wie ein Gefühl für Heimat hatte, so war das immer das Land, das in und mit der Geschichte des Widerstands gegen den Faschismus lebte und in dem versucht wurde zu verwirkliche, wofür Ernst Thälmann, Katja Niederkirchner, Hans Beimler, Irene Wosikowski, Harro Schulze-Boysen, Ilse Stöbe und so viele andere gekämpft haben und gefallen sind.

2. 1979 wurde ich aus dem Gefängnis entlassen nach nicht ganz 8 Jahren. Ich wäre sonst infolge der Auswirkungen langjähriger Isolationshaft gestorben. Darauf komme ich gleich noch zurück. 1979 war auch das Jahr, in dem NATO mit ihrem Raketenbeschluß, riesiger Aufrüstung und Verstärkung der Sabotage- und Wühlarbeit gegen die sozialistischen Länder direkt das Ziel der Zerschlagung des Sozialismus ansteuerte - sei es mit Krieg, sei es, wie es dann 1989(90 weitgehend gelungen ist. In dieser Situation habe ich mich entschlossen, mich nicht nur am Widerstand gegen die Umsetzung dieser Pläne in der BRD zu beteiligen, sondern meine Kräfte auch dem bedrohten Sozialismus zur Verfügung zu stellen und zu versuchen, an der Verteidigung der DDR, des Friedens und des Sozialismus mitzuwirken, soweit mir das möglich war. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, dazu einen kleinen Beitrag zu leisten.

3. Ich habe meine Zusammenarbeit mit der DDR in der 2. Hälfte der 80er Jahre aus persönlichen Gründen beendet. Den genauen Zeitpunkt kann ich nicht mehr sagen - vor 1988 jedenfalls.

4. Dem deutschen Imperialismus gelang 1989, was er seit 40 Jahren mit allen Methoden des kalten Krieges versucht hatte - das Eindringen in die DDR, ihre Eroberung und Zerschlagung. Im Zusammenhang damit wurden eine Vielzahl von Archiven, Dokumenten, Materialien usw. der Partei der Arbeiterklasse, der Schutz- und Sicherheitsorgane und anderer Organe und Institutionen der DDR erbeutet.

5. Dokumente und Materialien, die angeblich aus den Archiven der Partei, des MfS oder anderer Staatsorgane stammen sollen, werden benutzt, um Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wissenschaft, Sport zu diffamieren und auch auf diese Weise den 1. sozialistischen Staat auf deutschem Boden, die Idee des Sozialismus zu delegitimieren. Viele Tausende Frauen und Männer sind in ihrer Existenz bedroht, vernichtet oder sogar zum Selbstmord getrieben worden, weil sie treu zur DDR gestanden haben. Mich verwundert nicht, daß das kapitalistische Deutschland alles tut, um die Geschichte der DDR und ihre Errungenschaften zu verleumden und zu leugnen und diejenigen, die für die DDR und den Schutz des Sozialismus gearbeitet haben, zu diskreditieren. Allerdings frage ich mich, wo denn wirkliche Beweise für die Echtheit solcher Dokumente sind. Daß Lüge, Fälschung, Provokation zu den üblichen Methoden bundesdeutscher Dienste gehören, ist bekannt.

6. Was die Materialien betrifft, die in diesem Verfahren als angebliche DDR-Materialien eine Rolle spielen, so hat mir der Ermittlungsrichter am BGH Beier einige davon vorgehalten. Ich glaube nicht, daß ich diese Papiere jemals vorher gesehen habe. Ich kann auch nichts darüber sagen, woher sie kommen. Vielleicht kann das der sogenannte Journalist S. Aust, der sie ja als erster verbreitet hat. Aufgrund einiger offenkundig blödsinniger Inhalte bezweifle ich die Echtheit der Materialien. Soweit behauptet wird, daß manche auf Informationen von mir zurückgehen, kann ich nur sagen, daß mir diese Zusammenhänge in keiner Weise erinnerlich sind. Sie können das auch meinen Antworten auf die Fragen des Ermittlungsrichters entnehmen.

7. Ich muß zu mir noch sagen: Als ich 1979 aus dem Gefängnis entlassen wurde, wog ich nur wenig mehr als Holger Meins am Tag seiner Ermordung im Hungerstreik. Die Ärzte, die mich damals behandelten bzw. Gutachten erstellten, waren sich nicht sicher, ob Schäden bleiben würden. Ich bin kein Arzt und will hier keine Einzelheiten zu meiner Gesundheit sagen. Tatsache ist, daß ich, abgesehen von körperlichen Befunden, psychosomatisch krank und arbeitsunfähig bin.

8. Ich bin zwar der Auffassung, daß ich aus verschiedenen Gründen ein Recht zur Verweigerung der Aussage habe, will davon aber keinen Gebrauch machen. Insbesondere will ich hier sagen, daß mir nicht erinnerlich ist, mit Frau Haas über einen Waffentransport für die Entführung des Flugzeugs "Landshut" oder überhaupt über dieses Thema gesprochen zu haben. Ich möchte jetzt noch hinzufügen, daß mir auch kein Grund vorstellbar ist, der zu einem solchen Gespräch hätte führen können.

werner hoppe, 17. Juli 1996


Ein Diskussionspapier der Gefangenen aus der Action Directe

Zusammen gegen das Europa von Maastricht

Wir dokumentieren den ersten Teil eines Diskussionsbeitrags der Gefangenen aus AD, Frankreich, für die Mobilisierung gegen den EU-Gipfel im Frühjahr in Italien. Aufgrund der Länge sind wir gezwungen, den zweiten Teil auf die nächste Ausgabe zu verschieben. (Red.)

 

ROUILLAN J. Marc

969 B 204

BP 166

65000 Lannemezan

FRANCE

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

Als Gefangene der Guerilla möchten wir unbedingt zuallererst unsere Solidarität mit Euch allen ausdrücken, revolutionäre kommunistische und anti-imperialistische "Genossinnen und Genossen", die Ihr an der Mobilisierung gegen den Gipfel von Florenz teilnehmt, der das Ende der EU-Präsidentschaft Italiens signalisiert..

Wir wollen mit einigen Überlegungen zu der Auseinandersetzung, die in dieser militanten Initiative stattfindet, beitragen. Die Debatte über die europäische Initiative ist für uns seit den Initiativen der Antiimperalistischen Front in den 80er Jahren entscheidend für das Verständnis der ganzen Phase der Veränderung und Krise der kapitalistischen Produktionsweise in der geostrategischen Region Europa, der ganzen Mittelmeerregion und des Nahen Ostens.

Eine Zone, die sich in immer virulenteren Konflikten zerrissen hat, vom Kaukasus bis nach Jugoslawien, vom Krieg der industrialisierten Länder gegen den Irak bis zum algerischen Bürgerkrieg, bis hin zu den Streiks im November und Dezember im französischen Staat...

Mehr als je nehmen ab jetzt alle Initiativen und Diskussionen über die europäische Frage eine unbestreitbare zentrale Rolle ein, sowohl in der Beschreibung des Klassenkonflikts in unserer Epoche, wie auch in der kollektiven Suche, die für eine aktuelle revolutionäre Perspektive unverzichtbar ist.

Tatsächlich verdichtet und materialisiert der europäische Integrationsprozeß seit Beginn der 80er Jahre auf dem ganzen Kontinent und in jedem einzelnen Land die Wende der bürgerlichen Reaktion hin zum Aufbau einer konkurrierenden Säule der imperialistischen Herrschaft.

Die europäische Frage heute, im internationalen Klassenkampf

1) Zuerst glauben wir, daß es notwendig und wichtig ist, kurz auf die historische Wende Ende der 60er Jahre zurückzukommen, um voll und ganz die Implikationen der europäischen Frage und ihrer Situation heute zu verstehen.

Damals riefen die großen systemoppositionellen proletarischen und anti-imperialistischen Bewegungen von den vietnamesischen, afrikanischen und südamerikanischen Wäldern bis zu den industriellen Peripherien von Paris, Turin und den schwarzen Ghettos der amerikanischen Großstädte, mit ihrer allgemeinen Ausweitung und ihrer Radikalität eine globale Krise in den bürgerlichen sozialen Beziehungen hervor.

Eine Krise der Herrschaft des westlichen Bürgertums, die nach den 30er Jahren und dem zweiten Weltkrieg haltgemacht hatte.

Eine Krise des fordistischen Akkumulationsmodells, eine Krise der US-Hegemonie als Säule der imperialistischen Verhältnisse, eine Krise der Arbeit in Ketten, eine Krise des Nationalstaats, seines Wohlfahrtscharakters...

Und die Gesamtheit dieser das Gleichgewicht störenden Elemente, die das System zum Wanken brachten, hatten als grundlegende Basis die Ausweitung und die Zuspitzung des Klassenkampfs der Massen, die weltweit ausgebeutet und unterdrückt waren.

Ein beeindruckender Aufschwung von Protest und Rebellion.

Der Widerstand der Arbeiter gegen die Ausbeutung und der Länder des Trikonts gegen die Plünderung ihrer Rohstoffe machten es der Bourgeoisie unmöglich, Maßnahmen durchzusetzen, die dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirken konnten, der sich durch die beachtliche Entwicklung der Produktivkräfte nach der Wiederaufbauphase, die auf den zweiten Weltkrieg gefolgt war, immer mehr beschleunigte.

Aber auch wenn der Rahmen der imperialistischen Herrschaft rissig wurde, das Gebäude blieb stehen. Und die Bourgeoisie fand die nötigen Ressourcen, um wieder die Initiative zu übernehmen.

Da die damalige Krise der Mehrwertschöpfung die direkte Konsequenz des Arbeiterwiderstandes war, konnte ihre Überwindung, und globaler gesehen, die Überwindung der "Schwächekrise" der Bourgeoisie, sich nicht anders vollziehen, als in einem noch schärferen Klassenkampf.

Der ökonomische, politische und militärische Kampf der Monopolbourgeoisie gegen das Proletariat und die Massen des Trikonts.

Diese Gegenoffensive der imperialistischen Bourgeoisie, eine weltweite Gegenoffensive, die dahin tendierte, die Profitraten wiederherzustellen durch die Beschlagnahme des Arbeitsprozesses durch die Monopolarbeit, die Wiedervereinigung des Marktes unter seinem Diktat, die intensive Ausbeutung einer neuen technologischen Ergonomie, die Wegräumung aller Hindernisse, die von der Vergangenheit geerbt wurden, die auf Nationalstaaten beruhte und die soziale Eindämmungspolitik, die Kürzung der Löhne und die Ausbreitung des Elends..., ist vor allem ein Prozeß des Klassenkampfes, der dazu bestimmt ist, den Widerstand der Arbeiter zu zerschlagen. Der ganze Aufschwung von Befreiung und Einheit der 60er Jahre sollte zunichte gemacht werden.

 

Mit der Flexibilität und Mobilität, dem Konkurrenzdrang, der Auslagerung, dem Export von Kapital, seinem ultraschnellen Kreislauf in der finanziellen Globalisierung, der Prozeß der Neukonzentration des Kapitals in der imperialistischen Triade, die Kontinentalisierung...ist die "Totalität der Welt" ist ein dauerhaftes und bestimmendes Element im System der Produktionsbeziehungen und der Tauschbeziehungen geworden.

Wenn die Globalisierung des Kapitalismus die Homogenisierung einer weltweiten ökonomisch-sozialen Ordnung nach sich zieht, breiten sich gleichzeitig auch die Widersprüche, die dieser Produktionsweise eigen sind, aus. Die Lohnarbeit (also auch die Massenarbeitslosigkeit der industriellen Reservearmee), die Waren, das Geld...haben sich so, mit ihren Widersprüchen, über den ganzen Planeten ausgebreitet. Soweit, daß sie ihn in einen Großen Markt verwandelt haben, wo alles gekauft und verkauft wird, besonders die Männer, Frauen und Kinder.

Aber die ungleiche Entwicklung dieses Marktes ( im Imperialismus kann jede Art von Entwicklung nur ungleich sein) in seinen verschiedenen Territorialisierungen, zeichnet die Grundlagen einer Gesellschaft vor, die immer hierarchischer wird und sich immer stärker polarisiert zwischen dem Besitz und seinem Monopol auf der einen Seite und der Enteignung durch Ausbeutung und Unterdrückung auf der anderen.

Die Formen, mit denen die Profitrate wiederhergestellt wird und mit denen ein winziger Teil der bürgerlichen Klasse sich diese Profite aneignet, haben so ein neues Regime der kapitalistischen Akkumulation gebildet, besser bekannt unter dem Namen Toyotismus-Neoliberalismus. Es ist sehr wichtig, von Grund auf zu verstehen, daß dieses toyotistisch-neoliberale Regime dem Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen dieser Epoche - Monopolbourgeoisie und internationales Proletariat -im weltweiten Kampfprozeß entspricht. Aber mit diesem Regime wird der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und ihren Produktionsverhältnissen nicht weniger, sondern im Gegenteil, er macht einen erheblichen Sprung nach vorne. Auf weltweitem Niveau treibt dieser Widerspruch die Ausgebeuteten dazu, zu handeln und für ihre eigenen unmittelbaren und geschichtlichen Interessen zu kämpfen, und dazu, sich als Klasse zu organisieren, um das Gewaltverhältnis mit der Bourgeoisie umzuwälzen. Und eröffnet so den Horizont für eine neue revolutionäre Situation.

 

2) Wenn das toyotistisch-neoliberale Akkumulationsregime das Gewaltverhältnis konkret materialisiert, das durch den Prozeß des internationalen Klassenkampfs geschaffen wird, erfährt das System damit auch eine Beschleunigung der doppelten Bewegung von Entwicklung-Zusammenbruch, die es im imperialistischen Stadium charakterisiert. Tatsächlich hat sich das System in den letzten beiden Jahrzehnten in die Tiefe weiterentwickelt und hat sich auf weltweiter Ebene ausgeweitet, aber das neue Regime trägt auch die Stigmen unlösbarer Mißverhältnisse. Die Widersprüche zwischen dem Privatbesitz an Produktionsmitteln und den Produktionsverhältnissen , die Verschärfung der Widersprüche zwischen der Ausweitung der Produktion und der Wertschöpfung, und so trotz der Öffnung neuer Märkte und der Verwirklichung neuer technologischer Produktionen, erheben sich die Beschränkungen in ihrer ganzen Tyrannei und schaffen und enthüllen so

die allgemeine Krise der absoluten Überproduktion an Kapital, die das ganze System in die Zange nimmt.

Die Herrschaft des Finanzkapitals, inhärente Tendenz der imperialistischen Epoche, durchlebt eine beachtliche Beschleunigung, eines der Hauptmerkmale der aktuellen Krise. Die erbitterte Suche nach Wertschöpfung der überakkumulierten Kapitale fördert die Schaffung einer Kasino-Wirtschaft ("...die inhaltsleere Form des Kapitals, die Umkehrung und die Materialisierung der Produktionsverhältnisse auf der Ebene der höchsten Potenz" - wie Marx unterstrich) mit der Explosion von Kredit und von den Spekulationsspielen mit Produktion, Wechsel und Währungen. Es findet ein Wettrennen statt "auf der Straße des Abenteuers: Spekulation, mißbräuchliche Kreditaufblähung, Bluff bei den Aktien, Krisen. Nicht zufällig gleichen die Transaktionen auf den Wechsel-Märkten dem jährlichen Volumen des Welthandels. Die Transaktionen auf den Wechselmärkten erreichen täglich 900 Milliarden Dollar, dreimal mehr als die Devisenreserven der sieben industriellen Hauptmächte und der kleineren Mitglieder der EU. Die Kapitale auf den Terminmärkten erreichen 10 Tausend Milliarden Dollar." Und die allgemeine Krise der absoluten Überproduktion an Kapital nährt diesen Strudel ununterbrochen. Die Auslandsschuldenkrise der Staaten, die öffentliche Verschuldung, die der Privaten, die Schulden des Trikonts als neue Form der Plünderung, aber auch die massive Spekulation mit den Rohstoffen und den Devisen rufen eine Reihe von destabilisierenden Gegenschlägen hervor (der Börsencrash von Oktober '87, der Fall der Barings-Bank, die mexikanische Krise ...) die das ganze System tief unterminiert. Mit der Krise beschleunigen sich alle Tendenzen des Zusammenbruchs, die typisch für die imperialistische Epoche sind. Der Konkurrenzkampf breitet sich aus und damit, als unmittelbares Ergebnis, die intensive Herrschaft der Monopole und Sprößlinge dieser beschlagnahmten Besitztümer. Bei jedem Sprung nach vorne im Produktionskrieg verstärkt sich die Monopolisierung und damit das Elend und die extreme Ungleichheit für die überwiegende Mehrheit der Menschheit.

Die Einführung neuer technologischer Prozesse, die intensive Rationalisierung der Produktionsprozesse, der anhaltende Druck zur Senkung der direkten und indirekten Löhne und zur Senkung der Rohstoffpreise, alles Prozesse, um eine hohe Produktivität zu erreichen, kennzeichnen nicht nur die Formen der Ausweitung der intensiven Ausbeutung, sondern auch die Globalisierungsbedingungen des Elends für die Gesamtheit der Männer und Frauen, die der kapitalistischen Herrschaftsexpansion unterworfen sind. Mit dem Gesetz des Mehrwerts neigt das Kapital dauernd dazu, die Lohnarbeit zu entwickeln und auszuweiten, aber gleichzeitig, eben wegen des technischen Fortschritts, kann es nicht anders, als den Zangengriff auf sie zu verstärken, bis sie relativ überflüssig geworden ist ("das Kapital als Schöpfer von Mehrwert ist gleichzeitig Schöpfer und Zerstörer der notwendigen Arbeit" Marx). Der Übergang zum neuen Akkumulationsmodell mußte daher diese Tendenz noch weiter verstärken, das Kapital zerstörte und unterwarf andere Produktionsweisen und verurteilte eine immer höhere Zahl an Proletariern unter die Logik seiner Produktionsweisen. Überall baute es die beiden Ausbeutungspole dieser Produktion auf: auf der einen Seite die intensive Ausbeutung und auf der anderen die Überbevölkerung ("in der sozialen Produktion zur Nutzlosigkeit reduzierte Überbevölkerung"); auf der einen Seite Arbeiter, die durch Flexibilisierung, Mobilität, Überstunden, Zeitarbeitsverträge immer mehr ausgebeutet werden...und auf der anderen die Schaffung von arbeitslosen Massen, die die unzähligen Bataillone des großen städtischen und internationalen Elends bilden. So bedeutet die bürgerliche Gegenoffensive und das neue toyotistisch-neoliberale Akkumulationsregime den Übergang in eine neue Epoche, die durch die Ausbreitung der monopolistischen Ordnung über den ganzen Planeten gekennzeichnet ist, und damit auch der intensiven Ausbeutung, der Konkurrenz und der Konzentration von Besitz und Macht. Die Tendenz zu neuen Herrschaftsformen, zu technisch-autoritären und transnationalen Staaten ( in einem Faschisierungsprozeß durch die Konfiszierung von Macht, die der Konfiszierung von Besitz durch die Monopole entspricht), und die Tendenz, Krieg und Militarismus auszuweiten.

"Die Welt ist vereinigt, in dem Sinne, daß sich eine weltweite Hierarchie gebildet hat, die die ganze Welt mit autoritären Methoden regiert und kontrolliert; es hat eine totale Konzentration des Privatbesitzes stattgefunden; die ganze Welt ist ein Trust in den Händen von ein paar Dutzend Bankiers..." Die Anstrengungen zur Aufrechterhaltung und Fortführung dieses Systems und seiner Krise lasten weltweit auf den Schultern proletarisierter, extrem ausgebeuteter und von den politischen Prozessen ausgeschlossener Massen. Es sind diese Massen, die die Zerstörungen und Verschwendungen bezahlen, den Luxus einer winzig kleinen Handvoll Wohlhabender. Es sind diese Massen, die sich in den Konflikten und Kriegen für die neuen Propheten der Produktionskonkurrenz zerfetzen lassen, die alten Fahnen und die schreckliche Maske der Obskurantismen. Aber es sind diese Massen, die mit ihren Kämpfen und mit ihrem neuen Widerstand die nächste große revolutionäre Krise ankündigen, die einzige, die in der Lage ist, der alten kapitalistischen Barbarei ein Ende zu setzen.

 

3) Wenn die neue Weltordnung an unheilbaren inneren Krankheiten erkrankt ist (und wir wissen nur zu gut, daß die Beschränkung des kapitalistischen Fortschritts im Kapital selber und in seiner Logik liegt), dann ist die Krise dieses faulenden Systems, und unzweifelbar die entscheidendste, das Resultat seiner Bemühungen zum Aufbau einer internationalen proletarischen Klasse. Mit seinem Expansionsprozeß "bereitet das Kapital sein Ende auf zwei Arten vor. Auf der einen Seite, indem es sich auf Kosten aller nicht-kapitalistischen Produktivkräfte ausbreitet, nähert sich der Moment, in dem die Menschheit nur noch aus Kapitalisten und lohnabhängigen Proletariern besteht, und in dem, gerade deshalb, jede weitere Expansion und damit auch jede weitere Akkumulation unmöglich wird " (Rosa Luxemburg).

Die großen Manitus der Wortschwälle über das "Ende der Geschichte" oder "das Ende des sozialen Traums" wird es freuen, aber unvermeidlich entsteht in den eigenen Mechanismen der neuen Weltordnung eine riesige Klasse besitzloser, ausgebeuteter Arbeiter. Aber diese Klasse weigert sich entschieden, sich an die postmodernen Phantastereien anzupassen. Das, was "Gesellschaft mit zwei Geschwindigkeiten", "Dualität", "Gesellschaft unter Ausschluß von zwei Dritteln", " König Geld", "der Massenintellektuelle", "das globale Dorf", genannt wird, all dieses soziologische und faule Paradigma des bürgerlichen Geistes, beschreibt nur einige oberflächliche und randständige Aspekte des Akkumulationsregimes, womit die "falschen Propheten" des institutionellen Gedankens und die Zauberkünstler der Wahlkirmesse die nahenden Kämpfe dieser internationalen Klasse verschleiern. Und sie maskieren unsere kollektive Verantwortung mit dem Eurozentrismus, indem sie damit versuchen, die proletarische Bewegung von seinen wahren einheitlichen Interessen in den geschichtlichen Spielen, die sich abzeichnen, zu trennen. Weil keine dieser hochtrabenden Formeln sich mit der tiefen Klassenlogik des neuen Modells auseinandersetzt, werden ihre Grenzen genauso wie die revolutionären Potentiale, schon bei ihrer Entstehung sehr deutlich.

Das exponentielle Wachstum der heutigen proletarischen Klasse geht parallel einher mit einer Verarmung und seiner Internationalisierung.

Und zum ersten Mal nach dem Auftauchen der kapitalistischen Produktionsweise ist die proletarische Klasse die zahlreichste, nicht nur in den stark industrialisierten Ländern, sondern auch auf planetarischer Ebene. Es handelt sich um eine stark verelendete urbane Klasse, die der allergeringsten Selbstbestimmung in Bezug auf ihr Leben beraubt ist. Die heutige Arbeitskraft wird auf circa 2,5 Milliarden Individuen beziffert, d.h. doppelt so viele wie 1965. Es ist wichtig zu wissen, daß mehr als eine weitere Milliarde neuer Arbeiter in den nächsten 25 Jahren vorhergesagt wird. 99% von ihnen wird in den favelas des Trikonts leben. So daß bis zum Jahr 2025 zwei Drittel der Menschheit in städtischen Gebieten leben wird, in Zonen wo immer mehr Elend und immer mehr die Gewalt der "informellen" Überlebenswirtschaft, bis hin zur Sklaverei von Kindern, zur Kriminalität aller Arten von Handel und die Massenprostitution herrscht. Schon heute haben mehr als 500 Millionen Menschen keine Wohnung und in den nächsten 10 Jahren wird die Welt der städtischen Armut eine Explosion ohne Gleichen erleben, von 2,6 Milliarden Bewohnern heute zu 3,3 Milliarden...

Diese Klasse und seine Elendsbedingungen entsprechen dem Krieg, der die mächtigsten Kapitale befreit. " Ein neuer Weltkrieg zeichnet sich ab, aber jetzt gegen die gesamte Menschheit, und wie in allen Weltkriegen ist das Ziel eine neue Aufteilung der Welt. Dieser moderne Krieg, der mordet und dann vergißt, nennen sie "Globalisierung". Die neue Aufteilung der Welt konzentriert die Macht in der Macht und das Elend im Elend" (Subcommandante I. Marcos).

Und diese Klasse kann eine Einheit als Klasse und die Verwirklichung seiner unmittelbaren und historischen Bedürfnisse nur erreichen, wenn dieser Krieg der imperialistischen Neuaufteilung umkippt in einen revolutionären Bürgerkrieg. Sie erwartet nichts und kann sich nichts erwarten von den bürgerlichen demokratischen Systemen, von denen sie von Natur aus ausgeschlossen ist. Diesen politischen Systemen, die immer mehr deformiert werden in einem Massen-Manipulations-und- Repressions-Komplex, dem politischen Spektakel, der Angleichung der Regierungsprogramme der Rechten und der Linken, der heuchlerischen, pazifistischen, legalen Opposition, die von Organismen dirigiert wird, die von den Staatsapparaten und -beziehungen subventioniert werden, entsprechen die stark technologischen und militarisierten sozialen Kontrollen, d.h. die Entwicklung der permanenten Aufstandsbekämpfung. Wenn diese teilnimmt ändert sich nichts wirklich und in dem Moment, indem ihre Wahl, trotz der vermitteln-ideologischen Aggression der internationalen Bourgeoisie gegen die Interessen der transnationalen Organismen geht, finden sofort militärische Staatsstreiche und Ausnahmeregierungen statt ( wir haben es in Algerien, Haiti... festgestellt), wenn nicht internationale Blockaden (wie gegen Kuba, Libyen, Irak...) und die Ausweitung der wirtschaftlichen Sabotagekriege (Nicaragua, Angola...).

Die "gefährliche Klasse" wird heute wie gestern nicht beachtet, es sei denn die stellt ihre Bedürfnisse, ihr "nacktes Überleben" als Machtfrage, d.h. als Frage des Kampfes gegen die Macht der Bourgeoisie selbst in ihren neuen Apparaten, Staatsverhältnissen und Haupt-Herrschaftsstrategien. Und dieser Krieg hat in den Ghettos schon angefangen, hier im Herzen der industrialisierten Metropolen (in Los Angeles oder, im Oktober letzten Jahres, in den größten Peripherien der französischen Städte und seitdem fast täglich) oder auch in den peripheren Elendsvierteln der Megastädten des Trikonts, die Revolten gegen IMF-Politik, die Auswirkungen der Deregulierung und der westlichen Diktate (die venezolanischen Unruhen, die in Nigeria, in Marokko oder im Oktober '88 in Algerien...). Und überall in diesem Krieg, im Kampf der "brasilianischen Bauern ohne Land", der Zapatisten in Chiapas, der Enterbten Kolumbianer und Peruaner, der aufständischen palästinensischen Kräfte, der jungen Proletarier in Bangui gegen die französischen Intervention und Besetzung..., wird auch ein Kampf um die Macht hier im Zentrum bestimmt. Ein Einheitsprozeß. Dies ist die Natur der entscheidenden Krise des Kapitalismus, hier liegen die wirklichen Klassenlinien mit den historischen Interessen der sozialen und internationalen Umwälzung, dieses Proletariat stellt das "Substrat, die notwendige Bedingung" der heutigen sozialen Produktion dar und kann sich nicht befreien, ohne die ganze Menschheit zu befreien, d.h. indem sie die kapitalistische Weltproduktion total revolutioniert.

(Fortsetzung nächste Ausgabe)


Bericht aus dem Baskenland

Baskische Gefangene - der Kampf geht weiter

Die Knastpolitik der spanischen Regierung und insbesondere ihre Vereinzelungs- und Isolierungspolitik (dispersión), der die fast 600 baskischen politischen Gefangenen und deren Angehörige ausgesetzt sind, ermöglicht eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten und willkürlichen und gewaltsamen Zuständen. Nicht nur die allgemeinen Menschenrechte, auch die eigene Strafvollzugsgesetzgebung des spanischen und des französischen Staates sowie das internationale Recht betreffend Strafgefangene werden dadurch ständig verletzt. Dies haben auch jüngst zwei Berichte der UN-Menschenrechtskommission sowie des Europarats-Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung nach einem kurz zuvor erfolgten Besuch in spanischen Knästen eindeutig festgehalten.

Trotz allem wird die Vereinzelungspolitik, seit sie 1987 in Kraft trat, also seit über neun Jahren, weitergeführt. In dieser Zeit sind sieben Gefangene und fünf Angehörige gestorben. Dutzende von Gefangenen sind brutal verprügelt worden, Tausende von Angehörigen sind erniedrigt und einige sogar angegriffen worden; die elementarsten Menschenrechte werden mit Füßen getreten, unzählige Hungerstreiks wurden durchgeführt, viele Jahre Incomunicado-Haft und Isolierung, eine gezielte Verdunklungs- und Verdrehungspolitik gegenüber den Medien - all diese gehörte ebenso dazu, um das von Anfang an festgelegte und öffentlich vertretene Ziel des Kollektivs der baskischen Gefangenen zu schwächen und zu zerstören.

Heutzutage zweifelt niemand mehr daran, daß diese Strategie zum Mißerfolg geworden ist, daß sie das Kollektiv nicht entzweien konnte. Daß jetzt aus verschiedenen Kreisen der Ruf nach einem Richtungswechsel laut wird, ist aber nicht auf die Einsicht zurückzuführen, welche Schmerzen und welches Elend die bisherige Vereinzelungspolitik hervorruft: Das Ziel der Zerstörung des Kollektivs bleibt, es sollen nun andere Mittel gesucht werden, um dies zu erreichen. Plötzlich mehren sich nun von offizieller Seite und von sogenannten "pazifistischen" Organisationen die Stellungnahmen zugunsten einer selektiven "Annäherung" der Gefangenen an das Baskenland - wohlgemerkt nicht etwa zugunsten der geforderten Zusammenlegung aller im Baskenland. Dadurch soll die breite Solidaritätsbewegung zugunsten ebendieser Forderung gespalten und gebremst werden. Nur unter diesem Aspekt ist die Verlegung von 36 baskischen Gefangenen ins Baskenland im Frühsommer zu verstehen, von denen die meisten sich schon ohnehin mehr oder weniger vom Kollektiv entfernt hatten - oder es wenigstens erhofft wird, daß dies eintritt -, und nur bei Vieren wurden explizit humanitäre Gründe geltend gemacht. Dies bedeutet also nicht, wie von internationalen Medien im großen Stil behauptet, eine Änderung oder gar eine Abkehr von der Vereinzelungspolitik durch den neuen PP-Innenminister Mayor Oreja, sondern lediglich eine flexiblere Taktik, um die Öffentlichkeit bewußt zu täuschen.

Das Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen im spanischen und französischen Staat hat seit Anfang des Jahres verschiedene Kampfmaßnahmen durchgeführt. In einer ersten Phase seit Mitte Januar wurde ein gestaffelter Hungerstreik (15 Tale Hungerstreik in einigen Knästen) für die Zusammenlegung im Baskenland durchgeführt. Gleichzeitig gaben die Gefangenen bekannt, daß damit eine Kampfphase begann bis zur Erreichung dieses Ziels. Ähnliche Aktionen wurden in dieser Zeit außer von den baskischen Gefangenen auch von galizischen, katalanischen und spanischen Gefangenen durchgeführt.

In der zweiten Phase wurden abwechselnde Selbsteinschließungen der Gefangenen in ihren Zellen durchgeführt. Dabei weigerten sich die Gefangenen, während 15 Tagen aus der Zelle herauszugehen, und verweigerten ebenfalls jeden Außenkontakt. In der dritten Phase, die im August zu Ende gegangen ist, hatten die Gefangenen zuerst in der einen Hälfte der Knäste, dann in der anderen, eine erneute Selbsteinschließung durchgeführt, diesmal von einem Monat Dauer. Bis jetzt hat es keine Änderung der offiziellen Knastpolitik gegeben. Keine der Forderungen der Gefangenen ist erfüllt worden. Diese Forderungen sind: Zusammenlegung im Baskenland, Freilassung der gefangenen Frauen und Männer mit unheilbarer Krankheit (Art. 60 des Strafvollzugsgesetzes) und die Gewährung der vom Gesetz vorgesehenen Halbfreiheit für die über 130 Gefangenen, die schon drei Viertel der Strafe abgesessen haben. Parallel dazu läuft auch seit dem 18.12.95 ein gestaffelter, einwöchiger Soli-Hungerstreik in der Kathedrale von Donostia-San Sebastian, in dem verschiedene Kollektive, Organisationen und Menschen diese Forderungen der Gefangenen unterstützen. Die bisherige Sturheit der spanischen Zentral- und der baskischen Regionalregierung, die diese im Volk weit verankerten humanitären Forderungen schlichtweg ignorieren, verspricht einen heißen Herbst, in dem mit Sicherheit die baskischen politischen Gefangenen in eine noch härtere Kampfphase eintreten werden.

 


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