Angehörigen Info 184

9.8.1996

Herausgegeben von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD


Zwölf politische Gefangene fielen im 70tägigen Todesfasten für menschenwürdige Haftbedingungen

Ein unter großen Opfern errungener Erfolg

Über 1500 revolutionäre Gefangene in 43 Gefängnissen in der Türkei und in Kurdistan haben seit über zwei Monaten einen Hungerstreik durchgeführt. Über 10000 revolutionäre türkische und kurdische Gefangene haben sich mit Unterbrechungen daran beteiligt. Ca. 270 Gefangene haben den Hungerstreik in ein Todesfasten umgewandelt. Nach 63 Tagen ist der erste Gefangene gestorben. Am 27.7.96, nachdem sich die Zahl der Toten auf elf erhöht hatte, war die türkische Regierung gezwungen, auf folgende Forderungen der Hungerstreikenden einzugehen:

1. Das Spezialgefängnis (Typ E) Eskisehir wird nicht mit politischen Gefangenen belegt.

2. Mißhandlungen und Übergriffe bei Gerichts- und Krankentransporten werden eingestellt.

3. Menschenwürdige Haftbedingungen ohne Unterscheidung zwischen politischen und anderen Gefangenen werden gewährleistet.

4. Einstellung der Repression gegen Familienangehörige der Gefangenen.

5. Frühere erkämpfte demokratische Rechte müssen weiterhin gelten.

6. Keine Behinderung der Anwälte bei Gefängnisbesuchen.

7. Keine Verhinderung von sozialen und kulturellen Beziehungen zwischen den Gefangenen.

8. Uneingeschränkte Zulassung von legalen Büchern und Zeitschriften.

9. Damit die erkämpften Rechte umgesetzt werden, muß ein internationales Beobachterkomitee die ständige Kontrolle übernehmen.

Die Gefangenen erklären, daß sie keine Einschränkungen an einzelnen dieser Punkte hinnehmen werden. Desgleichen wird auf einer langfristigen Einhaltung bestanden.

Das Abkommen über genannte Punkte wurde von folgenden Vertretern der Gefangenen und Vertretern der türkischen Regierung getroffen:

Rechtsanwalt Düzgür Yüksel, Ercan Kanar (Vorsitzender des IHD), RA Mustafa Ücdere (CHD Istanbul, Vorsitzender), RA Kemal Yilmaz; RA Muharrem Cüpür, RA Exber Yagmurdereli, Yasar Kemal (Schriftsteller), Zülfü Livaneli (Künstler), Rain Zekiye Baran, Halili Ergün (Schauspieler), als Staatsvertreter ein Abgeordneter der Refah Partei und der Generalbundesanwalt von Istanbul Ferza Citici.

Für die Durchsetzung dieser grundlegenden menschlichen Forderungen haben bisher 13 Gefangene ihr Leben gegeben. Aus Istanbul ist bekannt, daß weitere 18 in akuter Lebensgefahr schweben, bei sieben von ihnen besteht kaum noch Hoffnung, daß sie überleben werden. Alle 170 am Todesfasten beteiligte Gefangene sind in Krankenhäusern, alle werden nur mit schweren Schädigungen, wie Lähmungen, Erblindungen, überleben. Wie die Situation in den anderen Gefängnissen sich darstellt, ist noch nicht überschaubar.

Die türkische Regierung hat die Toten bewußt einkalkuliert. Jedoch der große Widerstand der revolutionären türkischen und kurdischen Gefangenen und der ständig wachsende Widerstand auf den Straßen und vor den Gefängnissen hat die Regierung an diesem Punkt zur Kapitulation gezwungen. Sie mußte auf die Forderungen eingehen.

Die Situation in der Türkei ist geprägt durch ständig wachsende soziale Konflikte. Die Regierung befindet sich in einer Sackgasse, ihre einzige Antwort ist Gewalt. So sind Hunderte von Menschen bei Festnahmen erschossen worden, unzählige Menschen sind "verschwunden". Trotz dieses staatlichen Terrors nehmen die Proteste zu. Seit Jahren gehen beispielsweise die "Samstags-Mütter" Woche für Woche auf die Straße und fordern die Aufklärung dieser Verbrechen. Obwohl sie jedesmal geschlagen, mißhandelt oder festgenommen werden, geben sie ihren Widerstand nicht auf.

Menschen werden von Sicherheitskräften auf offener Straße erschossen, wie z.B. bei den 1.-Mai-Demonstrationen in den türkischen Metropolen. Trotzdem verstärkt sich der Protest auf der Straße.

In Kurdistan führt der türkische Staat seit zwölf Jahren Krieg gegen das kurdische Volk. Über 20000 Menschen haben darin ihr Leben verloren. 3.000 kurdische Dörfer wurden durch das türkische Militär zerstört. 3 Millionen Menschen wurden vertrieben. Über 10.000 Kurdinnen und Kurden sitzen in türkischen Gefängnissen. Doch der kurdische Befreiungskampf unter der Führung der PKK hat lange schon eine Stärke erreicht, die eine militärische Lösung nicht mehr möglich macht. Trotzdem geht die türkische Regierung auf keinerlei Verhandlungsangebote, wie den einseitigen Waffenstillstand vom 14.12.95 seitens der PKK, ein, sondern pumpt weiter Milliarden von türkischen Lira in diesen sinnlosen Krieg. Die wirtschaftliche Situation der Türkei ist katastrophal, die Inflationsrate beträgt über 100%.

Die Stimmen dagegen erhebende Journalisten, Künstler, Schriftsteller werden inhaftiert und mit hohen Haftstrafen belegt. Die Medien unterliegen der Zensur.

Mitglieder und Abgeordnete der oppositionellen, demokratischen Partei DEP/HADEP wurden inhaftiert, viele sind ermordet worden.

Doch je mehr der türkische Staat versucht, mit allen Mitteln die Völker zu unterdrücken, er wird keine Ruhe finden. Seit einem Jahr befindet er sich in einer permanenten Regierungskrise. Alle Regierungskoalitionen sind gescheitert. Die neue Koalition setzt sich aus zwei Blöcken zusammen, die sich vorher scharf bekämpft haben. Die islamistische Refah-Partei ernennt den Verantwortlichen des Sivas-Massaker zum Justizminister, ein für den Tod vieler Revolutionäre verantwortlicher Polizeichef wird Innenminister. Alle demokratischen Rechte werden abgeschafft, somit bereiten sie sich selbst ihr Ende.

Aus dieser Situation heraus schenken wir den Zusagen kein Vertrauen. Es muß damit gerechnet werden, daß die Zugeständnisse nicht umgesetzt oder nur über einen Zeitraum eingehalten werden. Das Nachgeben der türkischen Regierung hat nichts mit demokratischer Einsicht zu tun, wie vielleicht glauben gemacht werden soll, sondern war die Kapitulation an dem Punkt eines nicht mehr aufzuhaltenden Widerstandes.

Ein internationales Beobachterkomitee birgt eine Möglichkeit, die Einhaltung der erkämpften Rechte zu überwachen. Die Zusammensetzung muß von den Gefangenen und ihren Vertretern bestimmt werden. Das Komitee muß ständig präsent sein. Des weiteren sind alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte gefordert, für die Einhaltung der Rechte einzutreten.

Es ist wichtig in diesem Zusammenhang, die Türkei nicht isoliert zu betrachten. Allein über gemeinsame Menschenrechtsabkommen sind andere Staaten in der Verantwortung, die Einhaltung dieser klar und deutlich zu fordern. Dies gilt auch und insbesondere für die Regierung der BRD. Des weiteren ist zu betrachten, in welcher Beziehung der deutsche und der türkische Staat stehen.

Die deutsche Regierung unterstützt den türkischen Staat seit jeher militärisch und wirtschaftlich und stärkt ihr ideologisch den Rücken. Der Krieg gegen das kurdische Volk wird mit deutscher Militär- und Finanzhilfe geführt. Ebenso ist der deutsche Staat an der massiven Aufrüstung und Ausbildung von Polizei und Spezialeinheiten beteiligt. Diese Einheiten üben Folter, Mißhandlung und Mord in den Gefängnissen, bei Demonstrationen, gegen jegliche oppositionelle linke Kräfte aus.

Eine der Hauptforderungen der revolutionären Gefangenen richtete sich gegen Einzelhaft und Isolierung und gegen die Belegung des Spezialgefängnisses Eskisehir, in dem die Methoden der "weißen Folter" praktiziert werden. Dieser Gefängnistyp, der auf das psychische Zerbrechen der Inhaftierten angelegt ist, ist ein deutsches Produkt. Seine Vorbilder sind Hochsicherheitstrakte wie Stammheim. In Deutschland haben die politischen Gefangenen seit 1973 10 Hungerstreiks gegen diese Isolationstrakte gekämpft. Der deutsche Staat hat diese wesentliche Forderung nach Zusammenlegung gegen Isolationshaft nie erfüllt.

So wird ersichtlich, daß, sowohl aus den militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei wie auch aus der Behandlung der "eigenen" politischen Gefangenen, die auch hier das Ziel ihrer Vernichtung hat, die deutsche Regierung wenig Interesse zeigte, Druck auf die türkische Regierung auszuüben. Druck hat die deutsche Regierung und auch die SPD auf die ausgeübt, die sich mit den revolutionären Gefangenen solidarisch erklärten und ihren Protest gegen die Haltung der türkischen Regierung in die Öffentlichkeit stellen wollten. So ließ die SPD die Besetzung ihres Parteibüros in Frankfurt durch Sympathisanten der Hungerstreikenden mit Polizeigewalt räumen. Solidaritätsdemonstrationen in Köln wurden verboten und das Verbot durch massive Polizeieinsätze durchgesetzt. Bei einer Demonstration in Bochum gab es trotz Genehmigung schwere Übergriffe von seiten der Polizei. Es wurden mehrere Demonstrantinnen und Demonstranten festgenommen, sieben befinden sich noch in Haft. Der deutsche Staat möchte vermeiden, daß seine Rolle, die Unterstützung eines Folterstaates, deutlich wird.

Weder hat sich die Tatsache geändert, daß der türkische Staat ein Folterstaat ist, noch hat sich die Tatsache geändert, daß die BRD fest an seiner Seite steht.

Die Verantwortung für die dreizehn revolutionären Gefangenen, die ihr Leben gegeben haben, trägt die türkische Regierung. Durch die genannten Beziehungen Deutschland-Türkei überträgt sich die Verantwortung auf die deutsche Regierung.

Alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte hier sind aufgefordert, dies zu erkennen und ihre Stimme zu erheben. Schweigen heißt zustimmen.

Freiheit für alle politischen Gefangenen

Schluß mit den Massakern in Kurdistan

Für eine politische Lösung

Schluß mit der Wirtschafts- und Militärhilfe für die Türkei

Die gefallenen Revolutionäre sind unsterblich

Solidaritätskomitee mit den hungerstreikenden politischen Gefangenen in der Türkei und Kurdistan, Hamburg, den 29.7.1996


Das Schweigen brechen!

Am Abend des 27.7.96 gingen die Verhandlungsführer des Nationalen Sicherheitsrates der Türkei auf einen großen Teil der Forderungen der politischen Gefangenen ein. Der Druck durch die Massenmobilisierung in der Türkei/Kurdistan und die immer größere Anzahl und Qualität internationalistischer Solidaritätsaktionen* hat die Folterer in der Türkei und ihre Helfershelfer zum Einlenken gezwungen.

Der Kampf der politischen Gefangenen ... zeigte der Weltöffentlichkeit den wahren Umfang der menschenverachtenden (Über)-Lebensbedingungen in der Türkei/Kurdistan - nicht nur in den Gefängnissen - auf.

Bis zum Ende des Hungerstreiks befanden sich 314 Gefangene im Todesfasten. 10000 kurdische Gefangene schlossen sich zwei Tage vor Ende des Streiks an, so daß sich am letzten Tag annähernd 12.000 politische Gefangene im Hungerstreik befanden.

Das von der BRD und anderen NATO-Staaten gestützte Regime in der Türkei ist voll für den Tod und die gesundheitlichen Folgeschäden der Gefangenen, die sich im Todesfasten befanden, verantwortlich.

Der derzeitige Justizminister Kazan, der nach außen als Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der Türkei fungierte, erwägte bis zum Schluß des Hungerstreiks/Todesfastens ein Massaker an den Gefangenen. Unverhüllt drohte Kazan damit, "mobile Truppen in Bewegung zu setzen", falls die Aktion nicht beendet werde. Bei einem Eingreifen allein in Bayrampasa würde es "50 bis 60 Tote" geben (Süddeutsche Zeitung, 27.7.96)

Die Rolle der BRD während des Hungerstreiks/Todesfastens in der Türkei/Kurdistan

Für die BRD weitete sich der Hungerstreik/das Todesfasten in der Türkei/Kurdistan zu einem innenpolitischen Thema mit äußerster Brisanz aus. Einerseits konnten und wollten die politischen Institutionen, allen voran die Regierungsparteien, ihre "guten Beziehungen" zur Türkei nicht aufs Spiel setzen, andererseits geriet die BRD-Regierung immer mehr unter öffentlichen Druck. Ihr wurde bei den zahlreichen Solidaritätsaktionen vorgeworfen, durch die ökonomische, politische und militärische Unterstützung des türkischen Regimes mitverantwortlich für die politische Situation in der Türkei und damit auch an dem Tod der im Todesfasten gestorbenen Gefangenen zu sein. Das Image der BRD, die sich in der Welt so gerne als "Schützerin von Demokratie und Menschenrechten" aufspielt, stand auf dem Spiel.

Die politischen Institutionen, vor allem die Regierung und die SPD, verhielten sich zu dem Hungerstreik/Todesfasten offenkundig scheinheilig. Kohl, Kinkel und Co, sprachen mahnende Worte, aus denen nur zu entnehmen war, daß sie an einem Ende des Hungerstreiks der politischen Gefangenen nur deshalb interessiert waren, weil dieser für sie ein weiterer Pol von Instabilität, in der für sie strategisch wichtigen Region Türkei/Naher Osten, war. Das Gerede von der Notwendigkeit "humanerer" Haftbedingungen steht in offensichtlichem Widerspruch zu ihrer Politik der Unterstützung des politischen Regimes.

Innenminister Kanther unterstützt den institutionellen Faschismus** in der Türkei weiterhin durch seine rassistische und menschenverachtende Politik. So kündigte er bereits vor Ende des Hungerstreiks/Todesfastens an, daß die vorhandenen Verbote gegen türkische und kurdische Organisationen "mit äußerster Konsequenz durchgesetzt" werden. Weitere Verbote seien in Erwägung zu ziehen.

Modernisierung von Folter

Prügeleinsätze und Folter in der Türkei stehen in offenem Gegensatz zu Vereinbarungen zwischen der EU und der türkischen Regierung über die Einhaltung der Menschenrechte.

Als Alternative zur blutigen Folter bevorzugen die EU-Staaten, allen voran die BRD, die Anwendung der Isolationshaft, die als "weiße Folter" bekannt und geächtet ist.

Isolationshaft als Methode, die persönliche und politische Identität von Gefangenen zu brechen, wird seit den 70er Jahren in der BRD praktisch angewandt. Die politischen Gefangenen aus der RAF kämpften in 10 Hungerstreiks gegen die Isolation und für ihre Zusammenlegung. 1974 starb Holger Meins an den Folgen gezielter Unterernährung durch Zwangsernährung während eines Hungerstreiks. Genauso wie die türkische Regierung jetzt, reagierte die BRD-Regierung (damals SPD-geführt) mit menschenverachtender Propaganda. Hungerstreiks wurden als "kollektiver Selbstmord" bezeichnet, den Gefangenen wurde die Steuerung von Widerstandsaktionen aus dem Knast heraus vorgeworfen ("Zellensteuerung"), und diejenigen, die den Kampf der Gefangenen unterstützten und sich für deren Forderungen einsetzten, wurden als "SympathisantInnen der RAF" kriminalisiert und mit brutaler Repression verfolgt.

Die zehn politischen Gefangenen aus der RAF, die heute noch in BRD-Knästen sitzen und größtenteils seit über 15 Jahren gefangengehalten werden***, sowie die ehemaligen Gefangenen, die sich an den Hungerstreiks beteiligt hatten, leiden noch immer an den Folgen der Hungerstreiks und der repressiven Haftbedingungen.

Heute wird die Isolationshaft in der BRD hauptsächlich bei den über 200 kurdischen politischen Gefangenen und zunehmend auch an sozialen Gefangenen, die ihre Menschenwürde verteidigen, angewendet. Die ProtagonistInnen der Isolationshaft helfen der Türkei organisatorisch und praktisch, ihren Repressionsapparat von der blutigen Folter auf "moderne" westlichen Methoden umzustellen. Dies ist vorerst am Widerstand der politischen Gefangenen in der Türkei gescheitert.

In diesem Zusammenhang rufen wir zur Wachsamkeit gegenüber den politischen Verhältnissen in der Türkei auf.

Die Türkei ist weiterhin weit von einer als demokratisch zu bezeichnenden Entwicklung entfernt. Hinter dem Deckmäntelchen der bürgerlichen Demokratie versteckt sich der institutionelle Faschismus, in dem GewerkschafterInnen, JournalistInnen, KünstlerInnen und Intellektuelle genauso wie RevolutionärInnen verfolgt werden. Politische Morde, das Verschwindenlassen Oppositioneller und brutale Polizeiübergriffe auf DemonstrantInnen sind in der Türkei/Kurdistan an der Tagesordnung. Die Aufrechterhaltung der Macht wird repressiv durch Polizei und Militär durchgesetzt. Es muß verhindert werden, daß die Forderungen der Gefangenen nicht dauerhaft erfüllt werden und nach kurzer Zeit wieder die alten Repressionsmaßnahmen zurückkehren bzw. ein neuer Anlauf unternommen wird, die Isolationshaft als Vollzugsmöglichkeit gegen die politischen Gefangenen durchzusetzen. Es ist weiterhin wichtig, die politischen Gefangenen in ihrem Kampf für Freiheit, menschenwürdige Lebens- und Haftbedingungen zu unterstützen sowie sich solidarisch zu den Menschen zu verhalten, die in der Türkei, Kurdistan und der ganzen Welt für ein menschenwürdiges Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen.

Wir bleiben weiterhin bei den Forderungen an die BRD-Verantwortlichen:

- sämtliche Unterstützung des türkischen Regimes auf politischer, ökonomischer sowie militärischer/paramilitärischer Ebene einzustellen,

- die Verbotsverfügungen gegen linke kurdische und türkische Parteien, Organisationen und politisch/kulturelle Vereine aufzuheben,

- alle Ermittlungsverfahren, die im Zusammenhang mit Solidaritätsaktionen zu dem Hungerstreik/Todesfasten der politischen Gefangenen und dem revolutionären Befreiungskampf in der Türkei/Kurdistan stehen, einzustellen.

Die kritische und demokratische Öffentlichkeit in der BRD fordern wir dazu auf:

- sich an Delegationen in der Türkei/Kurdistan zu beteiligen,

- weiter Druck auf die politisch Verantwortlichen in der BRD und Türkei/Kurdistan auszuüben.

Internationale Solidarität beinhaltet für uns auch immer die Solidarität mit den Gefangenen, die wegen ihres Kampfes in der ganzen Welt ihrer Freiheit beraubt werden.

Gegen Isolationshaft und Folter

Für die Freiheit aller politischen/revolutionären Gefangenen weltweit

Hoch die internationale Solidarität

Komitee für internationale Solidarität, Kaiserslautern, den 30.7.96

* In der BRD und ganz Europa gab es zahlreiche Solidaritätsaktionen zu dem Hungerstreik/Todesfasten der politischen Gefangenen in der Türkei und Kurdistan. Neben Mahnwachen, Straßenblockaden, Kundgebungen und Demonstrationen gab es Solidaritätshungerstreiks, Besetzungen von Partei- und AStA-Büros sowie militante Aktionen. Viele dieser solidarischen Aktionen wurden in der BRD, genauso wie in der Türkei/Kurdistan, mit brutaler Polizeigewalt beantwortet. Doch diese konnte den Willen der Menschen nicht brechen, sich weiter für die Erfüllung der Forderungen der Gefangenen einzusetzen. - Durch die unterschiedlichen Aktionen konnte ein breites öffentliches Interesse für die Situation der Gefangenen erzeugt werden, und durch zunehmenden Druck konnten auch die Medien die menschenverachtenden Bedingungen in türkischen Gefängnissen nicht mehr verschweigen.

** Wesentliche Institutionen wie Justiz, Polizei, Militär ... agieren offen faschistisch.

*** die meiste Zeit davon unter Isolationshaftbedingungen, die heute in modifizierter Form angewendet wird.


Wir trauern um die Toten

 

Am 21. Juli, dem 64. Tag des Todesfastens, starb Aygün Ugur, Gefangener der TKP/ML, im Gefängnis Umraniye. Er war seit 1992 im Gefängnis und zu 12,5 Jahren verurteilt.

Am 22. Juli, dem 65. Tag des Todesfastens, starb Altan Bedran Kerimgiller (Bild) im Gefängnis Bayrampasa. Der 28jährige war im DHKP-C-Verfahren angeklagt. Er war 1992 Verantwortlicher in der Agais-Landguerilla SDB und wurde im September des gleichen Jahres gefangengenommen.

Am 23. Juli, dem 66. Tag des Todesfastens, starb Ilginç Özkeskin im Gefängnis Bayrampasa. Der 35jährige Arzt im Praktikum wurde im März 1994 in Istanbul festgenommen und war im DHKP-C-Verfahren angeklagt.

Am 24. Juli, den 67. Tag des Todesfastens, starben Hüseyin Demircioglu im Gefängnis in Ankara. Er war Mitbegründer und ZK-Mitglied der MLKP.

Ali Ayata (Bild) im Gefängnis in Bursa von der TKP (ML) TIKKO.

Müjdat Yanat im Gefängnis in Aydin. Er war 37 Jahre alt, Mitglied der DHKP-C und zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.

Am 26. Juli, dem 69. Tag des Todesfastens, starben Ayse Idil Erkmen. Sie war im DHKP-C-Verfahren angeklagt;

Tahsin Yilmaz im Gefängnis Bayrampasa, er war Mitglied der TIKP.

Am 27. Juli, dem 70. Tag des Todesfastens, starben Hicabi Küçuk von der TIKB im Gefängnis Bursa.

Der am 27. Juli gestorbene Yemlihan Kaya im Gefängnis Bayrampasa war 28 Jahre alt und Chefredakteur der "Zeitung der Kräfte des armen Volkes" und wegen DHKP-C-Mitgliedschaft angeklagt, die Staatsanwaltschaft hatte 15 Jahre gefordert, der Prozeß war noch nicht abgeschlossen.

Osman Akgün von der TIKB im Gefängnis Umraniye.

Am Sonntag, dem 28. Juli, nach dem Ende des Todesfastens, starb im Krankenhaus der 23jährige Hayati Can aus dem Gefängnis Bursa. Er war im März 1995 im Zuge einer Polizeioperation gegen die TKP (ML) festgenommen und zwei Wochen lang schwer gefoltert worden, bevor er im September letzten Jahres wegen Mitgliedschaft in der Organisation zu 12,5 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

(Quelle: Biji 96 und 97)


Weitere Berichte

Am Sonntag, 28. Juli, wurde 170 Gefangene, die im Todesfasten waren, zur Behandlung in Krankenhäuser eingeliefert, 18 von ihnen befanden sich in einem lebensbedrohlichen Zustand, einige werden bleibende Behinderungen davontragen.

Elf PKK-Gefangene im E-Typ-Gefängnis in Maras und die PKK- Gefangenen in Erzurum setzen den Hungerstreik fort, weil sich an der Situation in den Gefängnissen nichts geändert hat. Der Hungerstreik in Erzurum wird seit dem 18. Juli und in Maras seit 10. Juni geführt. Die Hungerstreikenden in Maras befanden sich am 51. Tag zum großen Teil in einem bedrohlichen Gesundheitszustand.

Einige Tage nach dem Todesfasten haben drei ausländische Delegationen, u.a. auch Eva Bulling Schröter, MdB aus Ingolstadt, Reimer Harmann, MdB Die Grünen, Heidi Lippmann MdL Niedersachsen die Grünen, Dr. Eckhard Fischer, Mitglieder der Griechischen Ärztekammer und der Griechischen Kommunistischen Partei die Gefangenen in den Krankenhäusern in Istanubl besucht, wurden aber ständig von der Polizei behindert. Die Delegationsmitglieder haben auf die Polizei- und Geheim- dienstzusammenarbeit und sonstige Unterstützung der BRD für das türkische Regime hingewiesen und ein Embargo gegen die Türkei gefordert. Die Angehörigen warteten vor den Gefängnissen und Krankenhäuser, sie bewerten das Todesfasten und die dafür geführten Widerstands- und Solidaritätskationen draußen einerseits als Erfolg, andererseits erklärten sie ihre Trauer, daß erst 12 Gefangene sterben mußten, bevor der Staat bereit war, auf etwas einzugehen. Beerdigungen wurden teilweise von der Polizei angegriffen und zu verhindern versucht, daß sich große Massen daran beteiligen.

Während die "Mütter der Verschwundenen" bei ihrer Kundgebung vor dem Galatasaray-Gymnasium in Istanbul am 27. Juli in der 62. Woche ihrer Aktion, nur von einem massiven Polizeiaufgebot umstellt und diesmal nicht angegriffen wurden, wurden die Angehörigen der "Verschwundenen" bei einer Kundgebung in Adana von der Polizei massiv angegriffen, 30 Leute wurden festgenommen. Bis auf die 25-jährige Songül Tilki, die ins Gefängnis Adana gebracht wurde, wurden alle in den drauf- folgenden Tagen wieder freigelassen. In Istanbul kamen 1.500 Leute, vor allem Frauen, unterstützt von Gewerkschaften, der ÖDP, der SIB und der EP und machten eine spontane Demonstration bis zum Taksim-Platz, bei der die Forderungen der Hun- gerstreikenden zentrales Thema war.

Das private Lokalradio "Sok" in Mersin wurde in der Nacht des 29. Juli während einer Lifesendung mit Angehörigen der politischen Gefangenen, in der es um das Todesfasten und die erreichten Forderungen ging, von einem Großaufgebot der Polizei überfallen. 150 Hörer waren in dem Gebäude, um das Ende des Todesfastens zu feiern. Die Mitarbeiter wurden bedroht, die Polizei wollte einen Sprecher, der durchsagte, daß die Polizei gerade das Radio überfällt, aus dem Fenster werfen.

(Quelle: Biji 97, gekürzt)

Aus einer Stellungnahme der ERNK vom 24.7.

"Die Tatsache, daß Ugur in Kurdistan geboren ist und Kerimgiller ein Araber ist, die inzwischen gemeinsam zu Märtyrern der türkischen Revolution gehören, macht noch einmal unverkennbar die Notwendigkeit deutlich, daß die Revolution der Türkei und Kurdistans und die Befreiung anderer Minderheiten in einem gemeinsamen Bündnis entwickelt werden muß. Gleichzeitig macht sie die gemeinsame Verknüpfung der revolutionären Interessen der unterdrückten Völker deutlich." "Wir fordern, daß die türkischen und kurdischen revolutionären Kräfte ... ihre Situation und Praktiken neu überdenken und die Todesopfer zum Anlaß nehmen, um gemeinsame Plattformen zu entwickeln und dies als einen neuen Anfang überdenken."


Zwei Beispiele für viele: Solidarität und Repression in der BRD

60 Gefangene in "Santa Fu" führen 2tägigen Solidaritätshungerstreik durch

Ab heute (26.7.) abend werden sowohl deutsche als auch ausländische Gefangene in der JVA Fuhlsbüttel (Anstalt II) einen 2tägigen Solidaritätshungerstreik durchführen. Sie erklären sich damit solidarisch mit den in den türkischen Gefängnissen kämpfenden Gefangenen, die sich bereits seit mehr als zwei Monaten im Hungerstreik befinden. An diesem Solidaritätshungerstreik werden in "Santa Fu" voraussichtlich etwa 60 Gefangene teilnehmen.

Die Gefangenen fordern die türkische Regierung, insbesondere den türkischen Justizminister auf, mit den hungerstreikenden Gefangenen in den Gefängnissen der Türkei schnellstens Verhandlungen aufzunehmen und deren berechtigte Forderungen zu erfüllen. Die Zustände in den türkischen Gefängnissen sind bekanntermaßen menschenverachtend, Folter und Erniedrigung sind an der Tagesordnung. Die dort hungerstreikenden Gefangenen, die um ihre Menschenwürde und ihre minimalen Rechte kämpfen, brauchen die Solidarität und Unterstützung aller Menschen, für die Menschenrechte kein leeres Wort ist.

Die deutsche Regierung, die bisher vor allem durch die Lieferung von Kriegsgerät und Waffen in die Türkei aufgefallen ist, die diese dann gegen Menschen vor allem in Kurdistan einsetzt, fordern die Gefangenen auf, Druck auf die Türkei auszuüben. Die Rolle der deutschen Regierung ist bekannt, gleichwohl kann man sie auch hier nicht aus der Verantwortung entlassen. Und selbst wenn derartige Appelle eher ungehört verhallen, müssen sie gleichwohl erhoben werden.

Die Gefangenen erklären im übrigen, daß der Solidaritätshungerstreik von Beginn an befristet ist, die Anstaltsleitung wurde von der Durchführung informiert.

Schluß mit der Folter in türkischen Gefängnissen! Solidarität mit den Hungerstreikenden!

(Presseerklärung vom 26.7.96, Jens Stuhlmann, Insassensprecher)

Schläge und Festnahmen bei Frauensolidaritätsaktion

Köln: Spontane Solidaritätskundgebung von LesbenFrauen endet für viele in der Polizeiwache Waidmarkt.

Gestern - am 18.7.96 - trafen sich rund 40 Frauen auf dem Rudolfplatz. Der Grund: Seit dem 27. Mai 1996 befinden sich 10.000 politische Gefangene in türkischen Gefängnissen im Hungerstreik ...

In Bonn und Köln wurden Solidaritätshungerstreiks von KurdInnen und TürkInnen und Unterstützungsaktionen gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Auch gestern ging die Polizei brutal gegen die Teilnehmerinnen der Kundgebung vor: Nach der friedlichen Solidaritätsaktion wurden zehn Frauen von Zivilpolizisten verfolgt und gewaltsam festgenommen. Mit Tränengas wurde eine Frau attackiert. Sie wurde auf den Boden geworfen, ihr Kopf wurde von Polizisten mehrfach auf den Asphalt gestoßen. Sie erlitt eine schwere Gehirnerschütterung.

Eine andere wurde in der Polizeiwache Waidmarkt von mehreren Polizisten zusammengeschlagen und an den Füßen gefesselt.

Erst heute gegen 11.00 Uhr wurden die letzten Frauen aus der Polizeiwache entlassen.

Mit der gestrigen Kundgebung wollten wir einen Beitrag leisten, das Schweigen der deutschen Medien und der Politik über Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan und Türkei zu durchbrechen. Wir solidarisieren uns mit den Hungerstreikenden und unterstützen ihre Forderungen.

Beendigung der Folter und Deportationen von Gefangenen mit dem Ziel, sie zu isolieren und zu bestrafen!

Für die Schließung der Isolationstrakte! Recht auf Verteidigung und medizinische Versorgung! Einstellung der Repressionen gegen Angehörige der Gefangenen! Sofortige Beendigung von Massakern, Morden und Zwangsvertreibungen! Für eine politische Lösung in Kurdistan!

Zusammenschluß von Internationalistinnen und internationalistischen Feministinnen, 19.Juli, Köln


Rede der Initiative LIBERTAD!

an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Internationalen Treffens für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus in Chiapas, Mexico, vom 27.7.-3.8.96.

 

Liebe Genossinnen und Genossen von nah und fern, aus den Bergen oder Städten, aus armen oder reichen Ländern. Wir sind von der Initiative Libertad!. Wir begrüßen alle, die die Möglichkeit haben, an dieser Versammlung teilzunehmen. Ebenso grüßen wir all die, die nicht teilnehmen können, weil sie nicht die Mittel und die Gelegenheit haben, oder weil sie von den Machthabern mit Gewalt daran gehindert werden. Insbesondere meinen wir die Genossinnen und Genossen, die in den Händen des Feindes sind: die politischen Gefangenen in aller Welt!

 

Was wollen wir alle im lacadonischen Urwald? Die Luft des Aufstands schnuppern und ein originales zapatistisches Marcos-Püppchen erstehen? Haben wir denn zu Hause, wo auch immer es ist, nicht genug zu tun, im Kampf und Streit gegen die Macht der imperialistischen Blutsauger? Gerade wir aus Deutschland können schon sagen, daß es wohl selten in den letzten Jahren einen Kampf wie den der Zapatisten gegeben hat, der so schnell und ausführlich Eingang in die verschiedensten linken Medien unseres Landes fand. Selbst die kleinste Notiz bis zum neuesten Kommuniqué der EZLN kann in kürzester Zeit in Deutschland gelesen und diskutiert werden.

Warum also sind wir gekommen? Der Grund ist so einfach wie er gleichzeitig auch kompliziert ist: Wir brauchen eine internationale Verständigung darüber, wie wir den Feind, die Internationale der Konzerne, der Staatsapparate, der Bürokraten und Menschenschinder, am besten bekämpfen können. Daß wir dies tun müssen ist eine einfache Erkenntnis, wie es zur Praxis wird, war und ist jedoch eher eine kompliziertere Sache. Und dies gilt besonders für unsere Metropolenländer. Aber trotzdem: Ja, mehr denn je brauchen wir eine Internationale der Aufständischen in den Bergen und Städten, der Partisaninnen und Partisanen in den Organisationen und Komitees, in den politischen Basisbewegungen wie in Guerillagruppen.

Es ist also eine kostbare Zeit, die wir hier verbringen. Gelegenheiten wie diese zu einer internationalen Diskussion gibt es zu wenige und zu selten finden sie an den Orten des Aufstands und der Revolte selbst statt. Wir wollen sie deshalb nicht durch lange Vorreden vergeuden.

 

Wir leben und arbeiten in Deutschland. Es ist nach 50 Jahren wieder der stärkste Staat in Europa. Wir kämpfen und lachen dieser imperialistischen Macht ins Gesicht. Nicht immer laut, aber doch dauerhaft. Unsere Initiative, Libertad!, wurde aber gegründet, um über unser Land hinaus zu gehen, um internationale Verbindungen zu schaffen und Solidarität mit den politischen Gefangenen zu organisieren. Libertad! ist ein Zusammenschluß linker Kräfte in Deutschland; heute noch eher ein Komitee als eine Organisation. Wir sehen eine enger werdende Zusammenarbeit als dringend notwendig an, um kapitalistischer Ausbeutung und imperialistischer Unterdrückung zu begegnen. Eines unserer konkreten Ziele ist: einen internationalen Kampftag für die Freiheit aller politischen Gefangenen zu schaffen.

 

Diese Idee entstand auf einem anderen internationalen Treffen. 1992 auf dem internationalen Kongreß gegen den G7-Gipfel in der deutschen Stadt München. Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Befreiungs- und Basisbewegungen aus aller Welt trafen sich dort. Ein Ausgangspunkt war die banale Feststellung, daß wir überall, wo wir gegen Unterdrückung kämpfen, auch mit Repression bedroht werden. Ein anderer, daß die Solidarität, Unterstützung und der gemeinsame Kampf mit unseren Gefangenen nicht nur eine Sache im nationalen oder regionalen Bezug bleiben kann.

 

So wie die mexikanische Regierung versucht, den Aufstand durch die Inhaftierung von Oppositionellen zu schwächen, so gibt es in aller Welt politische Gefangene aus Basis- und Befreiungsbewegungen. Diese Gefangenen sind ein Teil des internationalen Kampfes "für eine menschliche Gesellschaft und gegen Neoliberalismus".

 

Um die Verwirrung der Begriffe zu vermeiden, möchten wir hier ohne größere Analyse kurz und knapp definieren: Für uns ist Neoliberalismus eine, und in weiten Teilen der Welt die aktuelle, Form des Kapitalismus. Die "Freiheit des Marktes" über allem, das ist die restlose Verfügbarmachung von Mensch und Natur für den kapitalistischen Verwertungsprozeß. Das Resultat ist die Vernichtung und der Ausschluß von Menschen. Natürlich stehen diesem Primat des Profits alle gesellschaftlichen Verhältnisse entgegen, die noch andere Gesichtspunkte gelten lassen. Die "neoliberale Offensive" beraubt die ohnehin Armen und verschluckt in Deutschland den Sozialstaat. Es ist der Gang vom state of welfare zum state of war. Es bleibt der Sicherheitsstaat, die Macht der Polizeiknüppel und Gesetze, der es immer war und ohne den das brutal geforderte "Gürtelengerschnallen" nicht funktionieren würde. Die Krise der kapitalistischen Ökonomie wird uns aufgepackt. Aber war das vor 10 oder 20 Jahren anders? Der neoliberale Angriff auf die Existenz soll genauso gewährleisten, was andere Strategien der Kapitalakkumulation auch sollen: die Vorherrschaft einiger Weniger über den größten Teil der Menschen sichern. Ebenso alt ist die Erkenntnis, daß diese Herrschaft auch nur gemeinsam, also weltweit bekämpft werden kann.

 

Natürlich, das Projekt Befreiung, dem wir uns alle verschrieben haben, muß neu entwickelt werden. Zumindest in unserem Land ist es gegenwärtig weder konkret noch hat es eine erkennbare Perspektive. Aber wären so viele nach Chiapas gekommen, wenn es in anderen Ländern so großartig anders aussieht? Oder hat irgendwer von euch ein Programm in der Tasche, daß wir nur in einer klar festgelegten Reihenfolge durchziehen bräuchten. Wir gestehen aber, den "einfachen Modellen" gegenüber mittlerweile skeptisch zu sein. In einer Welt, deren Gesicht sich täglich ändert, müssen wir die eigene Taktik, die strategischen Ziele und Beziehungen ständig neu überprüfen und aus den eigenen und den Erfahrungen anderer lernen. Auch der zapatistische Aufstand hat nicht erst am 1. Januar 1994 begonnen, er baut auf die Kämpfe der lateinamerikanischen Guerillas genauso auf, wie auf den Unabhängigkeitskampf von Emiliano Zapata. In ihm stecken die Erfahrungen der Kämpfe in aller Welt, zu allen Zeiten.

 

Genossinnen und Genossen, wie gesagt, eines der Anliegen von Libertad! ist es, insbesondere für die Solidarität und den gemeinsamen Kampf mit den Gefangenen aus unseren Kämpfen einzutreten. Deshalb wollen wir auch auf diesem Treffen mit euch diskutieren, welche Möglichkeiten wir sehen und welche Schritte unternommen werden können.

 

Zuerst: auch der Kampf für die Freiheit unserer Gefangenen muß ein internationaler sein. Die Tatsache, daß sie Teil unserer Kämpfe waren und auch bleiben, macht sie zu politischen Gefangenen. Der Kampf für ihre Gesundheit, ihr Überleben und ihre Freiheit ist ein Kampf um die grundlegenden Rechte der Menschen. Er ist dringend, weil es um Schutz und unmittelbare Hilfe geht. Er ist revolutionär, wenn er die Ebene der Appelle an die Macht verläßt und sie statt dessen attackiert.

 

Internationale Solidarität und gegenseitige Unterstützung über alle Differenzen hinweg, ist dabei ein wesentlicher Grundstein. Für die politischen Gefangenen im kapitalistischen Deutschland war dies immer eine wichtige Erfahrung.

 

Die jüngere Geschichte der revolutionären Kämpfe in unserem Land ist bald 30 Jahre alt und eng verbunden mit der Frage von Leben und Freiheit der Gefangenen. Diese Geschichte ist gekennzeichnet durch viel zu wenig Ausbrüche, Befreiungsaktionen und erfolgreichen Kampagnen, jedoch von jahrezehntelangem Kampf der Gefangenen hinter den Mauern aus Stahl und Beton, zahlreichen Hungerstreiks und Mobilisierungen gegen Isolationsfolter und unmenschliche Haftbedingungen.

 

Das im Nachkriegsdeutschland installierte und ab den 60er Jahren sozialdemokratisch reformierte "Modell Deutschland" war nie das demokratische Paradies, als welches es gerne im Ausland verkauft wird. Es war vielmehr ein hochgerüsteter Repressionsapparat, der natürlich rechtsstaatlich einwandfrei, mit zahlreichen Sondergesetzen ausgestattet, zuerst die Kommunistinnen und Kommunisten jagte, die den Faschismus überlebten. Um dann ab den 60er Jahren die neue fundamentaloppositionelle Bewegung zu bekämpfen. In der alten Tradition, um alle Hindernisse auf dem Weg des erneuten Aufstiegs zur imperialistischen Weltmacht beiseite zu räumen. Dagegen mußten sich auch die politischen Gefangenen behaupten. Neue Formen der Folter, nämlich die sogenannte "weiße Folter", d.h. langjährige Isolationshaft, wurden eingeführt, und insgesamt ein extralegaler Staatsschutzstaat geschaffen.

 

In dieser Entwicklung haben wir Faschismus neu definieren müssen. Der Faschismus in Europa kommt aus den Staatsapparaten, von dort aus erobert er die Gesellschaft, nicht umgekehrt. Es wurde ein System der "Präventiven Konterrevolution" geschaffen, um zu verhindern, daß aus einem Funken ein Steppenbrand wird. Dieses Zusammenspiel von Reform und Repression besteht auch unter der neoliberalen Demontage des Sozialstaats weiter. Mehr noch, ohne die im kollektiven Bewußtsein der Gesellschaft eingebrannte Erfahrung der Reaktion auf jeden Widerstandsversuch, würde sie gar nicht so glatt laufen, wie sie es zur Zeit tut.

 

Gerade an den politischen Gefangenen wurde und wird demonstriert, daß es zwecklos sei in einem Land wie der BRD gegen herrschenden Verhältnisse aufzustehen und sozusagen im Herzen der Bestie zu kämpfen. Aber der langjährige Widerstand der Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion und anderen Widerstandsgruppen vermittelte, daß sie auch als Gefangene Teil eines revolutionären Prozesses sind, ja selbst aus dem Knast heraus durch ihren Widerstand politische Kampagnen initiieren konnten. In diesen Kämpfen haben die politischen Gefangenen eine starke Solidarität erfahren. Aber am Ziel, ihrer bedingungslosen Freiheit, sind wir noch lange nicht. Der Preis ist bis heute sehr hoch, viele gefangene Genossen und Genossinnen haben monatelange Hungerstreiks und die Isolation nicht überlebt. Einige von ihnen waren mehr als 20 Jahre gefangen. Unter diesem Limit soll niemand, der in Stadtguerillagruppen gekämpft hat, freikommen.

 

Zur Vorbereitung dieses interkontinentalen Treffens haben wir uns an dem europäischen Treffen Ende Mai in Berlin beteiligt. Libertad! organisierte dort eine Arbeitsgruppe. Sie stand unter dem Thema: Politische Gefangene, Menschenrechte, Internationalismus. In dieser Arbeitsgruppe waren Genossinnen und Genossen aus den verschiedensten europäischen, lateinamerikanischen, nordamerikanischen und asiatischen Ländern vertreten. Wir hörten Berichte über die Situation der politischen Gefangenen aus einigen dieser Länder und haben viele Übereinstimmungen zur Situation in Deutschland erkennen können.

 

Wir haben verschiedene Fragen in diesem Zusammenhang diskutiert, z.B. Was verstehen wir unter politische Gefangenen? oder die Notwendigkeit gegen alle Versuche vorzugehen, Folterer straffrei ausgehen zu lassen. Außerdem erarbeiteten wir eine Resolution, die unsere Ergebnisse zusammenfaßte und Vorschläge für dieses Treffen in Chiapas.

 

Die Vorschläge werden wir gleich vorstellen. Zunächst noch ein paar, unsere Diskussion zusammenfassende Sätze.

 

In Deutschland galt und gilt die Regierungsdirektive "Es gibt keine politischen Gefangenen". Der deutsche Staat bemüht sich den sozialen und politischen Charakter der revolutionären Kämpfe seit den 60er Jahren zu leugnen. Aber auch auf unserer Seite der Barrikade ist der Begriff nicht unumstritten. Für die einen schließt er Gefangene die aus sozialer Not heraus im Knast landen aus, für andere schließt er Nazis mit ein und andere exerzieren daran eine Spaltung, weil sie nur solche Gefangene als politische Gefangene anerkennen, die keine Gewalt angewandt haben.

 

Wir sagen dagegen:

 

Solidarität läßt sich nicht aufspalten oder verknüpfen an Mittel und Formen mit denen die gefangenen Genossinnen und Genossen sich in den Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung gestellt haben.

Solidarität mit allen Gefangenen aus Widerstands-, Befreiungs- und Basisprozessen! Das sind die Gefangenen aus den Klassenkämpfen für die Abschaffung der Klassengesellschaft.

Solidarität muß sich am Ziel eines jeden Kämpfenden orientieren; für die Befreiung des Volkes oder gegen das Volk, für oder gegen Ausbeutung. Und natürlich muß unser Kampf zum Ziel haben das Unterdrückungs- und Knastsystem insgesamt zu beseitigen.

 

Die staatliche Repression betrifft nicht nur die Gefangenen und ihre Angehörigen. Sie richtet sich gegen die ganze Gesellschaft. Das System der Folter, das Verschwindenlassen von Menschen oder langjährige Haftstrafen erzeugt ein Klima der Angst. Niemand soll es wagen grundsätzlich die bestehenden Machtverhältnisse in Frage zu stellen und radikal gegen sie aufzustehen.

 

Der Kampf für eine menschliche und gerechte Entwicklung verlangt also auch Unterstützung derjenigen, die von der Repression betroffen sind oder waren.

Im Rahmen der Wechsel von Diktaturen zu formalen Demokratien, wie Lateinamerika oder Südafrika, wurde eine zentrale Forderung aufgestellt: Keine Straffreiheit für Folterer und auch keine für Schreibtischtäter.

 

Das ist nicht nur der Ruf nach Gerechtigkeit und ist auch nicht moralisch gemeint. Es geht darum, das Geschwür, das Folter in einer Gesellschaft bedeutet, zu bekämpfen und zu verhindern, daß es sich einfach wiederholt. Deshalb stößt diese Forderung auf so großen Widerstand, weil die Herrschenden nichts von ihrer Macht einbüßen wollen.

 

Aus den Erfahrungen mit der Geschichte unseres Landes, wissen wir um die Bedeutung der Umsetzung dieser Forderung:

Hätte es nach dem Hitler-Faschismus eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Frage gegeben, hätte dieses Volk mutiger und schonungsloser über seine eigene Verantwortung gesprochen, hätte es vielleicht eine Chance für einen wirklichen Wandel gegeben.

 

Statt dessen wurde ein kollektiver Verdrängungsmechanismus in Gang gesetzt. Wenn viele schuldig sind, sind letztendlich alle unschuldig und die Täter werden die Opfer. Einige der größten Faschistenschweine wurden durch die Alliierten abgestraft, die meisten aber blieben in neuen Posten an der Macht.

Die tatsächlichen Opfer, die nach jahrelangen Leid aus dem KZ oder dem Exil nach Deutschland zurückkamen, erfuhren statt Achtung und Mitmenschlichkeit genau das Gegenteil. Sie störten das Lied des Vergessens. Noch heute, 50 Jahre später, müssen viele um eine finanzielle Entschädigung kämpfen, haben es teilweise schon aufgegeben und müssen sich sogar dafür rechtfertigen, daß sie Widerstand geleistet haben. So werden aus Opfern Täter gemacht. Deutschland ist eben wieder Weltmacht.

 

Wir möchten jetzt dieser Versammlung folgendes vorschlagen:

1. Die Organisationen, Gruppen und Komitees bauen ein internationales Netzwerk der Solidarität mit den politischen Gefangenen auf. Es soll dazu dienen, sich schneller und ausführlicher über die Situation der gefangenen Genossinnen und Genossen zu informieren und gegenseitige Hilfe und Unterstützung zu ermöglichen. Gemeinsame internationale Kampagnen könnten initiiert werden.

2. Als Ausdruck der Verbundenheit mit unseren Gefangenen wird ein internationaler Kampftag für die Freiheit der politischen Gefangenen in aller Welt ausgerufen. Dazu sollte eine Erklärung erarbeitet und veröffentlicht werden, die sich an alle revolutionären, radikalen und demokratischen Menschen und Organisationen wendet. Alle sollen aufgerufen werden, gemeinsam an einem solchen internationalen Tag, Solidaritätsaktionen durchzuführen.

 

Genossinnen und Genossen, wir sind hier her gekommen mit der Hoffnung und Absicht, internationaler Kontakte zu knüpfen und die Zusammenarbeit zu stärken. Dazu dient auch sicher diese Versammlung. Wir würden es aber auch sehr stark begrüßen, wenn es uns hier zusammen gelingt, die Verbundenheit und Solidarität mit unseren gefangenen Schwestern und Brüdern in aller Welt, einen vorwärtsweisenden Ausdruck zu geben. Von dieser Versammlung sollte ein Signal ausgehen: Laßt uns zusammen einen internationalen Kampftag der Solidarität ausrufen! Legen wir ihn jetzt hier für 1997 fest. Damit wir ihn, natürlich unter Berücksichtigung der jeweiligen regionalen Verhältnisse, mit den verschiedensten Aktionen aber mit einer gemeinsamen Forderung 1997 erstmalig durchführen:

"Für eine menschliche Gesellschaft! Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit!".

 

Wir möchten euch Grüße mitgeben an die, die in Todeszellen, Folterzentren und Gefängnissen gefangen sind. Nichts wird vergeben! Nichts wird vergessen!

Wir möchten euch dringend auf die Situation von Mumia Abu Jamal hinweisen. Er ist ein ehemaliger Black Panther, der in einer Todeszelle in den USA gefangen ist. Trotz einer internationalen Unterschriftensammlung und vieler Aktionen gegen seine Hinrichtung und für die Abschaffung der Todesstrafe konnte bisher nur eine Verschiebung erreicht werden. Seine Situation ist exemplarisch für die vieler anderer Gefangenen in den demokratischen USA. Unterstützt den Kampf gegen Mumias Hinrichtung, durch vielfältige Aktionen und Aktivitäten.


Französische politische Gefangene

Verlegung und Kampf gegen erneute Verschärfung der Isolation

Auf ministerielle Anordnung wurden wir am Samstag, 22. Juni, verlegt. Diese direkte Abhängigkeit vom Justizministerium ist wirklich nichts Neues, auffällig aber war diesmal, wie überstürzt der Beschluß gefaßt wurde.

Nicht nur, daß wir nur mit dem Allernotwendigsten losziehen mußte, sogar ohne den Minimalkarton, nicht nur, daß da keine Zeit war, uns selbst unsere Kartons packen zu lassen, die nachgeschickt werden sollten, sondern wir sind regelrecht in die MAF von Fleury hereingeschneit.

Überraschung, Überraschung, ein sperriges Paket wird ausgeladen: 2 Frauen, die in Frankreich die schwerste Strafe haben, 2mal lebenslänglich mit 18 Jahren Sicherheitshaft. Obendrein noch politische Militante, was die Sache nicht leichter macht. Bis dahin waren, außer bei unseren Krankenhausaufenthalten wegen Hungerstreik, die Anstaltsleitungen vorher benachrichtigt worden. Sie hatten dann die Restriktionen geplant, die systematisch zu unseren Haftbedingungen gehören.

Um das Ganze noch zu krönen, war Herr Landais, Direktor der MAF, bis Mittwoch, 26. Juni, abwesend. Die Entscheidungen über unsere anfänglichen Haftbedingungen traf Frau Davoine, chef de détention (eine Art leitender Posten im Gefängnis, Anm. d.Ü.), unter Kontrolle des Gefängnisdirektors, Herr Dru, der ankam, um einen Blick auf unsere Ankunft zu werfen.

Uns wurde gesagt, daß wir vorläufig beim Hofgang allein sein würden, und zwar auf dem Hof für den Sport. Und als wir wieder in den Zellen der D6E waren, die 1989 speziell für uns mit zusätzlichen Gittern "ausgestattet" wurden, konnten wir feststellen, daß der Hof, den wir in der Zeit unserer Teilisolation zwischen Januar 1990 und Juni 1993 hatten, nicht mehr benutzbar war.

Nach unserer "Unterbringung" in diesem Provisorium, das sich am Mittwoch ändern sollte, fing die Spannung am Montag, den 24. Juni, an zu steigen.

Als wir beim Hofgang waren, haben wir registriert, wie irgendwelche Verantwortlichen für Bauarbeiten den "D6-Hof" inspizierten. Nach unserer Rückkehr in die Zelle kam es noch schlimmer: Man gab uns den Beschluß über unsere Isolierung bekannt. Sicher, uns wurde erklärt, es würde sich nur um bürokratischen Diensteifer handeln wegen der provisorischen Situation. Dazu muß man wissen, daß die D11R (Isolationsabteilung) geschlossen ist.

Bei unserer Weigerung - seit 1987 halten wir an uns fest in dieser Sache -, einen Verwaltungszettel zu unterschreiben, der die weiße Folter legalisiert, haben wir u.a. darauf hingewiesen, daß gegen Ende unseres Hungerstreiks 1989 eine ministerielle Entscheidung getroffen wurde. Danach sind wir nicht mehr in Isolation. Es genügt, sich auf die Presseerklärung von Herrn Arpaillanges im Juli '89 zu beziehen, der damals Justizminister war.

Am nächsten Morgen wurde es noch übler. Ich wurde ins Arztzimmer gerufen und traf dort einen Beamten, der außer dem Titel nichts von einem Mediziner an sich hatte. Er hatte mich holen lassen, um mir zu sagen, daß er mich im Rahmen unserer Isolierung sehen wollte. "Sie müssen verstehen ...", sagt er mir mindestens dreimal, während ich laut und deutlich über unsere lange Strecke von der totalen bis zur teilweisen Isolation seit bald 9 Jahren im Untersuchungsgefängnis spreche, dabei zwei Hungerstreiks durchgemacht haben, um gegen diese Vernichtungsstrategie Widerstand zu leisten. Was denn verstehen? Daß der Bürokratismus in dieser "medizinischen Visite" der Beweis für die Pedanterie dieser Beamten und ihren Scheißlegalismus ist? Daß wir zwischen 1987 und 1989 die ständigen Verlängerungen des Isolationsbeschlusses bis zur Neige ausgekostet haben, die mit dem Weihwasser der Medizin besprengt waren, weil diese Sorte von Ärzten sie unterschrieben hat? Jetzt reicht's, danke. Ich knüpfe an unsere damalige Weigerung an, uns für diese Maskerade herzugeben, bei der der "Arzt" objektiv als Spion für die Gefängnisverwaltung arbeitet, der die psychischen und physischen Schäden registriert, und knalle beim Gehen die Tür zu. Nathalie weigert sich, dort hinzugehen.

Am Dienstagabend kam die chef de détente an, um uns zu sagen, der Gefängnisdirektor wäre dabei, Nathalies Vorwurf hinsichtlich der Illegalität der Isolationsmaßnahmen zu überprüfen. Wir nutzten die Gelegenheit und sagten, wir würden die Isolation nicht hinnehmen und uns außerdem strikt weigern, erneut die Haftbedingungen durchzumachen, die uns 3 Jahre vorher aufgezwungen worden waren. Nach guter sozialdemokratischer Manier wurde "die Beachtung der Sicherheitsmaßnahmen" vorgeschoben, die bei unserer Verlegung aus den eigentlichen Isolationsabteilungen eingehalten werden müßten. Diese Heuchelei hat im Sommer 93 nach 3 Jahren drastischer Teilisolation zur Einweisung unseres Genossen Georges Cipriani in die Psychiatrie geführt.

Unsere Verlegung von Fleury nach Fresnes im Juni 93 bedeutete eine Verbesserung unserer Haftbedingungen. Eine Verbesserung, die hauptsächlich mit den baulichen Unterschieden dieser zwei Sorten von Untersuchungsgefängnissen zusammenhängt.

Aber als wir nach Fresnes gekommen waren, konnten wir ermessen, wie nah wir schon an dem Punkt waren, nach und nach in dieser Teilisolation zu ersticken, die wir fast 3 Jahre in Fleury erlebt haben, deshalb müßte klar sein, daß jeder Versuch, uns erneut diese Bedingungen ausgedünnter sozialer Kommunikation aufzuzwingen, auf unseren sofortigen Widerstand treffen wird.

Sicher, in den fast auf den Tag genau 3 Jahren in Fresnes hatten wir weiterhin Sonderhaftbedingungen, aber dort zirkulierte der Sauerstoff vielfältigen menschlichen Austauschs. Ich spüre noch dieses Gefühl, ich bin mitten in einem belebenden Luftstrom, aus unserer ersten Zeit in Fresnes.

Wie oft in solchen Fällen suchen sie uns nur einzeln auf. Und unsere Entschlossenheit, uns nicht erneut langsam ersticken zu lassen, war evident. Auf jeden Fall, am Mittwoch wurden wir informiert, daß wir von nun an wie simple DPS* im Normalvollzug behandelt würden. Jetzt muß man sehen, wie diese Neuerung umgesetzt wird. In der MAF sind wir jetzt 4 DPS, darunter eine baskische Genossin (s. Anm.), und es soll die Regel geben, nicht mehr als eine DPS bei einer (Gemeinschafts-)Aktivität dabei zu haben, noch nicht einmal im Mittelturm, wo viele davon ablaufen, die Geschichten mit einer "roten Liste" komplizieren die Sache noch ...

Wir sind also bei einer Reihe von Punkten in Wartestellung. Und dabei ist festzustellen, daß diese Integration in den Normalvollzug nicht die Zweideutigkeit löst, die bis jetzt in der Art und Weise vorherrschte, wie die Macht unsere Einsperrung managt. Tatsächlich gibt es nichts, was als Vorwand dienen könnte, unseren Verbleib in einem Untersuchungsgefängnis mehr als 9 Jahre nach unserer Verhaftung und 2 Jahre nach unserem letzten Urteil aufrechtzuerhalten.

Es erscheint uns wahrscheinlich, daß die Gefängnisverwaltung wie das Ministerium es wegen unserer Reaktion auf das Blatt Papier zu unserer Isolierung vorgezogen haben, es eher mit einer Normalisierung unserer Haftbedingungen zu versuchen, als mit einem Kampf gegen die Isolationsabteilungen konfrontiert zu werden.

Trotz der vielen Blackouts beim Umgang mit der Barbarei der Gefängnisse im Lauf der letzten Jahre, und besonders mit der Isolation und den Bunkern, wäre ein Kampf, der die Abschaffung des langsamen Todes und des Einschlusses fordert, von der Macht schwer zu managen. Das ist unsere Meinung, und wir legen sie allen zur Reflexion vor.

Überall in Europa werden die Rebellen und Revolutionäre ganz legal von Isolationsabteilungen und Bunkern erstickt. Diese soziale und politische Repression ist in den Prozeß der Faschisierung integriert, der von den Staaten umgesetzt wird.

Die rassistischen Ausweisungen von einzelnen mitsamt der "Doppelstrafe" sind immer mehr zu Massenausweisungen geworden. Die Charterflüge symbolisieren konkret die Ausgrenzung der Bevölkerungen des Südens und Ostens, dieses neuen Südens, aus den reichsten Ländern. Die Illegalität der Ausweisung baskischer Kämpfer wurde soeben auf dem letzten G7-Treffen legalisiert. Ein rückwirkender Auslieferungsvertrag wurde eben unterzeichnet! All das ist nicht ohne Zusammenhang.

Isolation, rassistische Ausweisung, Auslieferung: "Die "Rechtsstaaten" bauen Stein auf Stein die Festung der Reichen. Der "Anti-soziale", der Revolutionär, der baskische oder kurdische Partisan, werden ausgegrenzt ... während gleichzeitig die "ohne Arbeit", "ohne Dach", ohne Kohle, ohne irgend etwas auf der Strecke Gelassenen auf die Straße geworfen werden.

Die Verschärfung der Auslieferungsgesetze geht in den Fortbestand und die Verschärfung der rassistischen Gesetze über, die allen Staaten Westeuropas und den USA in den letzten Jahren gemeinsam ist. Immer striktere Begrenzung des Asylrechts, Inhaftierung von Asylbewerbern in der einen oder anderen Form, massenweise Ausweisungen, Truppen an den Grenzen etc. Diese Verschärfung steht ebenso im Zusammenhang mit der Zustimmung zu einem Knastsystem und besonders den Isolationsabteilungen als der innerstaatlichen Form zur radikalen Ausgrenzung der Antagonismen. Die bürgerliche Ordnung ist normativ. Während die Auslieferungen den innerstaatlichen Konsens bestätigen, die politischen Antagonismen zu leugnen - die Repression gegen die Befreiungsbewegungen, die kurdische in der BRD, die baskische in Frankreich, sind das Beispiel par excellence. Von der Ausgrenzung vom Recht auf Arbeit - oder auf Faulheit - über die Ausgrenzung durch Gefängnis bis zu den rassistischen Ausweisungen und Auslieferungen, die Staatsmächte in Europa setzen den Klassenkrieg fort.

Nathalie Ménigon und Joelle Aubron, Gefangene aus Action Directe

 

Anm.: 9 Tage nach unserer Ankunft wurde diese baskische Genossin, Idoia Lopez, nach Osny verlegt.

* DPS: besonders überwachte(r) Gefangene(r)


Erneute Hausdurchsuchungen wegen radikal

 

Am 17. Juli 1996 um 6.00 Uhr kam es erneut zu bundesweiten Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit dem radikal-Verfahren.

Unseres Wissens wurde auf Anordnung der BAW in Hamburg, Flensburg, Buxtehude, Speyer und Ludwigshafen gegen angebliche AbonnentInnen der Zeitung eine Durchsuchung durchgeführt. Den AbonnentInnen wird die Unterstützung der "kriminellen Vereinigung" radikal vorgeworfen. Die BAW behauptet, daß die bisherigen Ermittlungen ergeben hätten, daß durch den Bezug der radikal und Zahlung des AbonnentInnenpreises der "radikal"-Organisation Hilfe geleistet wird. Außerdem wird ihnen vorgeworfen, Ausgaben der radikal weiterverbreitet zu haben.

Wie ja schon vor einiger Zeit veröffentlicht wurde, sind bei der Durchsuchung am 13.6.95 einige Adressenlisten beschlagnahmt worden, von denen die BAW sagt, daß es sich hierbei um Abolisten der Zeitung radikal handelt. Wir wissen, daß einige der Adressen, die am 17. Juli durchsucht wurden, auch auf diesen von der BAW so genannten "Abolisten" standen.

Es ist der BAW nach den Durchsuchungen und Verhaftungen vom 13.6.95 sowie durch die Kriminalisierung der Infoläden, Buchhandlungen und HandverkäuferInnen in der Vergangenheit nicht gelungen, die radikal zu zerschlagen. Unserer Einschätzung nach versucht die BAW, einerseits mit den Durchsuchungen die sog. "Abolisten" durch das Auffinden einzelner Zeitungen zu bestätigen. Andererseits stellt dies einen erheblichen Einschüchterungsversuch gegen die LeserInnen dar. Der erneute Kriminalisierungsversuch zielt unter anderem darauf ab, die Möglichkeiten der Verbreitung der Zeitung zu verringern.

Die BAW bastelt weiter an der kriminellen Vereinigung radikal und konstruiert in diesem neuen Ermittlungsstrang, daß selbst das Lesen der bereits kriminalisierten radikal eine strafbare Handlung wird. Weiter behauptet die BAW, daß die Ermittlungen ergeben hätten, daß durch den Bezug und Zahlen des Zeitungspreises der radikal organisatorisch Hilfe geleistet wird. Dadurch beteiligen sich in ihrer Logik die LeserInnen an strafbaren Presseinhaltsdelikten und unterstützen eine kriminelle Vereinigung, die für terroristische Vereinigung wirbt.

Wir möchten noch mal ausdrücklich darauf hinweisen, daß der Besitz und das Abonnieren einer radikal nicht strafbar ist!!! Wir lassen uns nicht einschüchtern, jetzt erst recht - kauft, lest, verteilt, abonniert die radikal.

(Quelle: Flugblatt)

Das radikal-Verfahren kostet viel Geld. Spendet für die Unterstützung der Betroffenen! Spendenkonto Hamburg/Schleswig-Holstein: Netzwerk Lübeck e.V., Ökobank e.G., BLZ 500 901 00, Konto.Nr. 172 936, Stichwort "Rechtshilfefonds".

 

Zum aktuellen Stand: Gegen Rainer, Werner, Andreas und Ralf wurde der Haftbefehl Ende Juni aufgehoben. Frank sitzt weiter im Knast und hat am 22.7. Haftprüfung (den nächsten wahrscheinlich im September - Red.). Viele Grüße und Power an Mattes, der sich weiter seiner Verhaftung entzieht. Gegen Ulli und Jutta werden die Haftbefehle weiter aufrechterhalten, sie sind mit den bekannten Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Sofortige Einstellung aller Verfahren!

Aufhebung aller Haftbefehle!

Sofortige Entlassung von Frank!

Trotz Repression den eigenen Widerstand organisieren!Darstellung des Wohnprojektes Hafermark (Flensburg) zu dem SEK/LKA-Überfall auf eines unserer Häuser

Heute um 6 Uhr morgens stürmten ca. 15 Beamte eines Sondereinsatzkommandos aus Hamburg einen Teil unserer Räumlichkeiten. Mit Hilfe eines Rammbocks brachen sie die Eingangstür auf und verschafften sich somit ohne jegliche Vorwarnung gewaltsam Zutritt in unser Haus. Mit großer Zielsicherheit steuerten sie auf das Zimmer eines unserer Mitbewohner zu. Sie warfen ihn zu Boden, würgten, bedrohten und beschimpften ihn. Das SEK (vermummt, behelmt, mit kugelsicheren Westen, Tonfas und Schußwaffen ausgestattet) riegelte das ganze Haus hermetisch ab, traten eine abgeschlossene Zimmertür ein und durchsuchten einen auf unserem Hof stehenden Wohnbauwagen. Als alles unter Kontrolle schien, zogen sie sich zurück und übergaben die Sicherung der Aktion in die Hände der auch zahlreich anwesenden Flensburger Polizei. Währenddessen durchsuchten 5 Landeskriminalbeamte und ein Staatsanwalt auf Anordnung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe auf das Genaueste das Zimmer des zuvor überwältigten Bewohners. Die Durchsuchung blieb erfolglos, die Beamten mußten ohne ihren Verdacht bestätigt zu sehen wieder abziehen. Der Verdacht kam zustande aufgrund einer angeblich existierenden Abonnentenliste der kriminalisierten Zeitschrift "Radikal".

Trotz negativen Durchsuchungsergebnisses wurde unser Mitbewohner vom LKA aus Kiel auf das 1. Polizeirevier gebracht. Dort wurde er verhört und erkennungsdienstlich behandelt (Fotos + Fingerabdrücke). Nach seiner Entlassung stellte sich heraus, daß auch das Haus der Eltern ab 5.45 Uhr morgens durchsucht worden ist, ebenfalls erfolglos ...! (Presseinfo des Wohnprojekts Hafermarkt vom 17.6.)


Ein Brief von Michael zum Isolationshaftprogramm gegen Bernhard und ihn

Abschneiden praktisch sämtlicher Kommunikationsmöglichkeiten ...

Seit über vier Monaten sitzen Bernhard in Köln und ich in Lübeck wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der AIZ in Untersuchungshaft; genug Zeit, sich auch über die simple Wahrheit hinaus zu äußern, daß jeder Tag für alle politischen Gefangenen in der BRD zuviel ist. Ausgangspunkt meines Berichts, der notgedrungen nur auf einem Brief von Bernhard (der 33 Tage unterwegs war) und meinen eigenen Erfahrungen hier basiert, ist der folgende:

Wir sind zur Zeit die einzigen Gefangenen in der BRD, gegen die ein extremes und systematisches Isolationshaft-Programm durchgeführt wird. Dies u.U. zusammen mit Frank, dessen Haftbedingungen ich z.Zt. nicht kenne, der aber seit seiner Verhaftung im radikal-Verfahren die Liste derjenigen weiter verlängert, die den ursprünglichen Kriminalisierungsansatz durch die BAW vom 13.7.95 mit Knast bezahlen. Nach Edith Lunnebachs Worten stellt die Tatsache, daß sich die Haftbedingungen in sämtlichen anderen vergleichbaren Verfahren nach der Einstellung der Ermittlungen geändert haben, allein schon ein juristisches Problem dar. Anwaltliche Beschwerden gegen unser Haftprogramm, das in höchsten Staatsschutzetagen erdacht und abgesegnet wurde, haben keinen ausgleichenden Bezugspunkt mehr.

Vom BGH kommen dabei nicht nur die eigentlichen Haftbedingungen (23 Stunden Einzelzelle, eine Stunde Einzelhofgang, Fliegengitter vor dem Fenstern, die die Zelle derart verdunkeln, daß auch tagsüber beim Lesen/Schreiben das Licht brennen muß, etc.), sondern dort wird auch die ständige Postzensur durchgeführt, wobei bereits mit unterschiedlichsten Begründungen ein erheblicher Teil unserer Sendungen angehalten wurde; so z.B. ein angeblich "unverständliches" Schreiben Aachener GenossInnen vom 21.4. an Bernhard, so auch am 22.4. und 3.5. Sendungen der Presse-AG, deren kopierte Zeitungsartikel normalerweise ohne weiteres an politische Gefangene weitergeleitet werden, die aber bei uns nicht in "zumutbarer Zeit" kontrolliert werden können, oder ein Brief von mir nach draußen, der nicht weitergeleitet wurde, weil er die "Ordnung der Anstalt" gefährden könnte, oder - letztes Beispiel - ein Brief von Rainer Dittrich, der ebenfalls hier in Lübeck inhaftiert ist, dessen Brief angehalten wurde, weil in ihm angeblich ein "Treffen" verabredet werden sollte, das die "Voraussetzung für die Bildung einer linksextremistischen Gruppierung mit internationaler Ausrichtung" schaffen könnte. Den ersten Teil der Begründung halte ich für wenig stichhaltig, da ich hier selbstverständlich keinen Fuß vor meine Zellentür setzen kann, ohne in Begleitung von ein bis zwei Schließern zu sein, dafür ist der zweite Teil explizit politisch, d.h. nicht mit "unpolitischen" Gründen kaschiert.

Der Höhepunkt ist allerdings erreicht, wenn es auch bei der Verteidigerpost, die vom Amtsrichter "gelesen" wird, zu unerklärlichen Vorgängen kommt: Zur Kontrolle, ob auch alles angekommen ist, schicken unsere Anwältinnen immer Inhaltslisten mit. Bei Bernhard ergab sich schließlich, daß von einer Sendung das meiste fehlte, u.a. Kopien aus der Ermittlungsakte. Der Rest stellte sich als ungeordneter Zettelhaufen dar, mit herausgerissenen Heftklammern, so daß auch die ehemals zusammengehefteten Schriftstücke nicht mehr vollständig waren. Als Folge mußten selbst für solche Dinge Nachforschungen angestellt werden, ob der angehaltene Teil an die Anwältin zurückgegangen ist oder schlicht "kassiert" wurde.

Bei dieser Art Haft geht es also nicht nur um "Einzelzelle", "Einzelhofgang" und Anhalten von "Interim" und "Angehörigen Info" etc., sondern um das Abschneiden praktisch sämtlicher Kommunikationsmöglichkeiten.

Unter Mitwirkung fast aller nur denkbaren Staatsschutzinstitutionen ist auch die Besuchssituation auf einen Tiefpunkt angelangt. Halbwegs akzeptabel erscheinen noch die Besuche der Anwältinnen. Edith Lunnebach macht in Köln etwa alle 14 Tage, Ursula Ehrhardt hier, wegen der langen Fahrstrecke Hamburg-Lübeck, aus Kostengründen etwa jeden Monat einen Besuch. Dabei geht es um das Durcharbeiten von Teilen der Akte und den Vorgängen, die sich lediglich auf die oben geschilderte Haftsituation beziehen, die nicht nur umfangreich sind, da allein die Haftvorgänge inzwischen Ordnerstärke erreicht haben, sondern auch kompliziert. Der entscheidende Punkt ist hierbei, daß es weder die Aufgabe der Anwältinnen ist, die Isolationshaft aufzubrechen, noch die Möglichkeit dazu überhaupt besteht, da die juristischen Dinge praktisch die gesamte Besuchszeit beanspruchen.

Zum Thema "Angehörigenbesuche" ist folgendes zu sagen: Deren Umfang beträgt inzwischen bei Bernhard alle 14 Tage jeweils 45 Minuten, bei mir zweimal eine Stunde im Monat. Um die Gesprächssituation im Kölner Knast zu verstehen, muß man sich die Fakten "drumherum" vor Augen führen, denn es ist dort nicht nur so, daß ein LKA-Beamter protokolliert und ein JVA-Beamter immer wieder unterbricht. Bernhards 66jährige alleinstehende Mutter ist dabei nicht nur mit der Inhaftierung ihres einen Sohnes konfrontiert, sondern auch noch mit einem Ermittlungsverfahren gegen ihren zweiten Sohn. Zusätzlich wurde sie selbst auch noch vom BGH vorgeladen. Als Angehörige braucht sie dem zwar nicht Folge zu leisten, trägt dafür aber auch noch ein drittes Anwaltshonorar. Die Vorstellung, daß sich in den Besuchsgesprächen darüber hinaus die Isolationssituation aufweichen ließe, ist geradezu grotesk.

Bei mir selbst hat derselbe Sachverhalt ein anderes Gesicht. Dem Chef des Hamburger Verfassungsschutzes Ernst Uhrlau ist es in letzter Zeit gelungen, Kontakte zu meinen Eltern aufzubauen. Durch diesen Versuch, persönliche Bindungen ganz direkt im Sinne des Staates zu instrumentalisieren, hat er jedem weiteren Besuch, der diesen Namen verdient, die Basis entzogen, denn eine der wenigen Vorausbedingungen, die ich an ein Gespräch knüpfe, ist, daß es in keiner Form für Staatsschutzinteressen mißbraucht wird. Daraus ergibt sich, daß es in Zukunft keine "Angehörigenbesuche" mehr geben wird. Bleibt noch hinzuzufügen, daß ich von den Besuchsanträgen zweier GenossInnen dadurch erfahren habe, daß sie wegen deren angeblicher radikal-Mitarbeit abgelehnt wurden.

Der Art, wie Haft und Besuch, trotz der Unschuldsvermutung, die für U-Häftlinge zu gelten hat, durchgeführt werden, entspricht die vorverurteilende Berichterstattung in den Medien:

Speziell an der Thematisierung unserer Schul- und Jugendzeit läßt sich problemlos nachweisen, wie diffamierende Absicht und voyeuristischer Blick der Medien in unglaublichen Lügen enden: Es ist so, daß es in 13 Schuljahren zwischen uns zu zwei nachmittäglichen Treffen gekommen ist, bei denen es sich zudem um Krankenbesuche gehandelt hat. Dazu berichtet die Presse Ende Februar, daß wir uns nachmittags immer getroffen hätten, um uns das Fertigen von Feuerwerkskörpern beizubringen, oder wir hätten uns getroffen, um an Physikgeräten herumzubasteln. Solche von interessierter Seite in die Welt gesetzten Gerüchte dienen zu nichts anderem als zur Vorverurteilung. Mit niedrigerer Intensität wird die Medienhetze bis heute weitergekocht. So wurde beispielsweise im Deutschlandfunk ein Feature zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof zunächst wegen "handwerklicher Mängel" abgesetzt und dann am nächsten Tag in einer Ersatzsendung unter derselben Überschrift nicht etwa ihr Leben, sondern unsere Verhaftung vom 25.2. in den Mittelpunkt gestellt. Dann gab es offenbar am 24.5. einen "Tagesthemen"-Beitrag im Zusammenhang mit der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes, über den wir kaum etwas sagen können, weil wir beide kein Fernsehgerät auf der Zelle haben. Es scheint sich aber um einen wirkungsvollen Beitrag gehandelt zu haben, denn kurze Zeit später habe ich von einer oberflächlichen Bekannten einen Brief bekommen, in dem sie völlig aufgebracht den diffamierenden Stil der Präsentation kritisiert. Schließlich gab es in der vorigen Woche erneut im "Spiegel" einen knapp zweiseitigen Artikel, der zur offenen Vorverurteilungs-Propaganda übergegangen ist. Der Grund für die Informationspolitik, die dahintersteht, und für diese Art der Haft, die nichts anderes als einen psychischen Zusammenbruch herbeiführen sollen, ist die Tatsache, daß wir dem Ermittlungsapparat nicht behilflich sind.

Michael Steinau, JVA Lübeck, 8.7.96


Verfahren gegen Autonome Antifa (M)

Ehemalige KZ-Häftlinge sollen 51000 DM erhalten

 

Nachdem die Verteidigung der 17 Angeklagten im Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung (129 StGB)" gegenüber der Staatsschutzkammer (SSK) des Landgerichts Lüneburg erklärte, ihre "Mandanten über die Bestimmungen des Versammlungsrechts informiert" zu haben, ist das Verfahren vor einem Monat vorläufig eingestellt worden. Zur endgültigen Einstellung sollen nach dem Willen der SSK bis Ende August 1996 insgesamt 51.000 DM an die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora bei Nordhausen überwiesen werden.

Am 2. August 1996 hat die Verteidigung benatragt, das Geld nicht einer staatlichen Institution, sondern den ehemaligen KZ-Häftlingen in Gestalt der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora zukommen zu lassen. Die letzten Jahre sind zahlreiche Gedenkstätten durch die BRD umgestaltet worden. Der überwiegende Teil des Geldes wurde dafür mißbraucht, geschichtsrevisionistische Veränderungen an den Gedenkstätten vorzunehmen. Angesichts dieser Tatsachen möchten die Angeklagten das Geld denen spenden, die am 19. April 1945 geschworen haben, ihre Losung sei die "Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln".

Vor der vorläufigen Einstellung des Verfahrens lautete der Vorschlag der Angeklagten, das Geld der Lagergemeinscahft des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück zu spenden. Mit dem jetzigen Vorschlag sollte die SSK einverstanden sein, weil der vom Gericht erwünschte regionale Bezug gewahrt bleibt.

Autonome Antifa (M), 3. August 1996

 


Nürnberg

Stefan ist in Haft

 

Am Dienstag, 30. Juli, wurde Stefan von etwa acht Staatsbütteln festgenommen und ist seither in Nürnberg im Knast (Mannertstr. 6, 90429 Nürnberg). Stefan wurde bereits letztes Jahr zu sechs Monaten Knast verurteilt wegen eines angeblichen "Bisses in den Finger eines USK-B." während der Wiederbesetzung des Kurdistan-Kunst- und Kulturvereins in Nürnberg Ende 1993). Nach dem Verbot kurdischer Organisationen und Vereine in der BRD hatten einige kurdische Menschen aus Protest die Räume des Vereins besetzt. Vor dem besetzten Verein fanden sich spontan viele solidarische Menschen ein, um der massiv angerückten Staatsmacht auf die Finger zu schauen und um den BesetzerInnen lautstark ihre Solidarität zu bekunden. Einige, darunter auch Stefan, waren bis zum nächsten Morgen da. Bei dem Versuch des USK, die versammelten Menschen mit Gewalt zurückzudrängen, soll Stefan einem USK-B., der ihn von hinten gepackt hatte, in den behandschuhten Finger gebissen haben. Stefan wurde deshalb in erster und zweiter Instanz zu einem halben Jahr Knast verurteilt. Hinzu kommt eine noch offene Bewährungsstrafe von vier Monaten wegen angeblicher Körperverletzung und Widerstands bei einer Knastkundgebung in Straubing. Über diese zusätzlichen vier Monate wurde aber bisher noch nicht entschieden.

Solidarische Menschen aus Nürnberg.


Mainz

Erklärung der jarama! zum erneuten Ansprechversuch des VS im Juli 1996

 

Anfang Juli hat der Verfassungsschutz zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten versucht, eine Genossin aus der jarama! zum Gespräch mit seinen Agenten zu bewegen. Unsere Genossen hat sich beide Male auf nichts eingelassen und die Geheimdienstler, die sie beide Male nach dem Ende ihres Berufsschulunterrichtes abzufangen und in ein Gespräch zu verwickelten versuchten, weggeschickt.

Wer sich dafür entschieden hat, gegen die herrschenden Verhältnisse in diesem Land zu kämpfen, hat keine wirkliche Alternative zu solcherart klaren Absage an jedes Gespräch mit den Schnüfflern. Jedes Wort, daß an den Geheimdienst gerichtet wird, eröffnet eine Kommunikation, die sich nur gegen uns richten kann. Nicht nur, daß mit jedem Gespräch unfreiwillig Fakten, angefangen bei einem Persönlichkeitsprofil, vermittelt werden; im Gespräch kann sich der Verfassungsschutz (VS) als eine über den politischen Widersprüchen stehende neutrale vermittelnde Instanz profilieren und damit im Kern die Unterordnung unter die rechtsstaatliche Autorität erreichen.

Es scheint uns eindeutig, daß es keinesfalls die feste Absicht des VS war, auf diesem Wege eine Ansprechperson aus unserer Gruppe zu gewinnen. Wir sehen in diesem Ansprechversuch und insbesondere in seiner Wiederholung einen Angriff auf unseren politischen Organisierungsprozeß in der jarama!

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, unter den Bedingungen des Scheiterns des ersten großen sozialistischen Versuches revolutionäre Politik wiederaufzubauen. Der Aufbau von verbindlichen und handlungsfähigen Organisationsstrukturen ist eine unserer Orientierungen in diesem Aufbauprozeß. Wir sind bis jetzt dahin gekommen, daß in der jarama! Genossinnen und Genossen aus Gütersloh, Marburg und Mainz in einem Kollektiv organisiert sind.

In Zeiten der Ohnmacht und Vereinzelung der Unterdrückten messen wir der Auseinandersetzung um die Persönlichkeit eine hohe Bedeutung im politischen Prozeß bei.

Den Kampf aufzunehmen, bedeutet einen genauen Umgang mit der eigenen Geschichte, der Verankerung von Ohnmacht und Vereinzelung und der patriarchalen sowie kleinbürgerlichen Suche nach Anpassung und Profit. Die revolutionäre Organisation aufzubauen, heißt für uns gleichzeitig, uns eine Persönlichkeit als revolutionäres Subjekt zu erkämpfen.

Der politische Prozeß der Organisation und die Weiterentwicklung der Kollektive sind so für uns eine Einheit, in der wir stark und handlungsfähig werden.

In unserem Aufbau haben wir als ein Element die Auseinandersetzung mit revolutionärer und antifaschistischer Geschichte bestimmt. Wir sind davon überzeugt, daß man gerade an den Erfahrungen, die im Zusammenhang mit dem Aufbruch der RAF gemacht wurden, dabei nicht vorbeigehen darf. Wir fühlen uns den politischen Gefangenen aus der RAF, die zu dieser Geschichte stehen, eng verbunden und haben auf verschiedene Art und Weise in den vergangenen Jahren den Kampf für die Verbesserung ihrer Haftbedingungen und letzt für ihre Freiheit unterstützt.

Wir schätzen es so ein, daß wir über diesen Zusammenhang erstmalig die Aufmerksamkeit des Staatsschutzes auf uns gelenkt haben. Angegriffen ist aber dennoch nicht unsere Verbindung zur Geschichte der RAF, sondern unser gesamter Prozeß.

Mit jedem Schritt, den wir auf unserem Weg revolutionärer Organisierung gemacht haben, haben wir uns in den letzten Jahren und Monaten mit Observationen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert gesehen.

Im März dieses Jahres wurden wir vom rheinland-pfälzischen Innenminister Zuber der Presse als "Hardliner" im "extremistisch-terroristischen Spektrum" präsentiert. Die Umstände der beiden Ansprechversuche durch den Bundes-VS lassen uns nicht nur damit rechnen, sondern uns dessen sicher sein, daß unsere Wohnungen und Treffpunkte abgehört werden.

Der Ansprechversuch ist kein skandalöser Einzelfall, sondern der Kategorie "psychologische Kriegsführung" zuzurechnen. Der Staatsschutz beabsichtigt damit, in unseren subjektiven Prozeß einzudringen, uns durcheinanderzubringen, zu erschüttern, Mißtrauen zu säen.

Er ist im Zusammenhang mit der gegenwärtigen historischen Situation zu begreifen, in der die Herrschenden reinen Tisch machen wollen, aufräumen mit allem, was auch nur in Ansätzen den geistigen Käfig von Kapitulation und Hoffnungslosigkeit zu durchbrechen in der Lage ist.

Die Staatsschutzaktivität bestärkt uns darin, das fortzuführen, was wir begonnen haben, und ermahnt uns zur Genauigkeit.

jarama! - Mainz, 14.7.1996.

Die Mainzer Gruppe von jarama! ist über Postfach 1205, 55002 Mainz erreichbar.


Aufruf zu einer Demonstration am 31.8.

Die Täter sind überall ...

 

Safwan Eid ist frei.

Nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen des Brandanschlages auf das Lübecker Flüchtlingsheim in der Neuen Hafenstraße am 18. Januar diesen Jahres an die Jugendstrafkammer abgegeben hat, hat die zuständige Richterin entschieden, daß es keine Grundlage für die weitere Inhaftierung von Safwan Eid gibt, da die Aussage des Hauptbelastungszeugen nicht glaubwürdig ist. Mehr als fünf Monate mußte Safwan Eid in Untersuchungshaft sitzen, da die Staatsanwaltschaft ein Alibi für die Deutschen konstruiert. (...)

Nach dem ersten Aufschrei, den der Brandanschlag ... in der Weltöffentlichkeit verursachte, brauchte es eine andere Tatversion, sprich einen nicht-deutschen Täter. (...)

Unglaublich schnell nach der Verhaftung von Safwan Eid hatten die Ermittler eine vollständige Übersicht über die Situation: Safwan habe den Brand im 1. Stock des Gebäudes gelegt, und brennendes Benzin sei ins Erdgeschoß geflossen. Streitereien unter den HeimbewohnerInnen sei das Motiv gewesen. Um Zeit zu schinden und Ruhe nach der ersten Aufregung einkehren zu lassen, wurde für mehrere Wochen eine Nachrichtensperre verhängt. (...)

Der Prozeß gegen Safwan Eid soll Ende August, Anfang September stattfinden. Bis November sollen alle Flüchtlinge, die den Brandanschlag überlebten, abgeschoben sein.

So nicht! Wir fordern:

Freiheit für Safwan Eid - und zwar sofort! Ein unbegrenztes Bleiberecht für alle Flüchtlinge! Stopp der Abschiebemaschinerie!

... auf nach Grevesmühlen!

... Die Brandstifter sitzen nicht (nur) in Bonn!

Deshalb fahren wir nach Grevesmühlen.

Es hätte auch jedes andere Dorf, jede andere Stadt in Deutschland sein können. Es gibt genügend Beispiele, in denen RassistInnen, alte und neue Nazis von ihren MitbürgerInnen und Nachbarn geschützt und alle, die an der Fassade zu kratzen wagen, mit Haßtiraden überschüttet werden.

Auch deshalb fahren wir nach Grevesmühlen ...

Demonstration in Grevesmühlen, Samstag, 31.8., 13.00 Uhr

ab Bahnhof.

(Kontakt über: Antirepressionsbüro c/o PDS, Dieffenbachstr. 33, 10967 Berlin, Fax (030) 6949354

no name, aus div. Gruppen (MigrantInnen, Deutsche) bestehende Berliner Vorbereitungsgruppe


Vorwort zur italienischen Ausgabe von "From the deathrow"

"Leben mit dem Kopf im Maul des Löwen"

Wir dokumentieren das Vorwort zur italienischen Ausgabe des Buches von Mumia Abu-Jamal. Es wurde von einigen italienischen gefangenen GenossInnen geschrieben, die das Buch auch ins Italienische übersetzten.

 

Sehr viele Menschen kennen schon den Namen und die Geschichte von Mumia Abu-Jamal, die Umstände seiner Verhaftung und den rassistischen Rahmen eines legalen Prozesses, dem er unterzogen wurde. Es scheint wie eine ungewöhnliche Serie, und in gewissem Sinne ist es das auch: Für die menschliche und militante Persönlichkeit des Protagonisten, der eine anklagende Stimme vom Grund "des dunklen Tales des Todes" (die Todeszelle) dröhnen zu lassen weiß. Hier jedoch hört die Ungewöhnlichkeit auf.

Die Geschichten, die Mumia uns erzählt, die Reste eines Alltags so lebendig skizziert, die juristischen Kämpfe, die Analysen der Verbrechen und der Bestrafung in den USA, verweisen auf die Normalität der nordamerikanischen Gesellschaft. Sie verweisen auf ihre Geschichte und ihre Struktur, gegründet auf einem engen Geflecht zwischen Unterdrückung der Klasse, Rassismus und weißer Vorherrschaft.

Der wahre, authentische "american way of life" ist eigentlich dieser: eine enorme Mehrheit von Ausgebeuteten, von rassistisch und kulturell Unterdrückten, gespalten auf der Basis von ökonomischen und ethnischen Begünstigungen. Und die Spitze einer Minderheit, die den ganzen Apfel des sozialen Reichtums ißt, der großen wartenden Mehrheit aber nur das magere Gehäuse übrig läßt. Das Land des "melting pot" (Schmelztiegel), der "gleichen Möglichkeiten für alle" wird überall undicht.

Die Zelebration der "US-amerikanischen Demokratie" von einem Teil der italienischen Politiker - die linken Apologeten Clintons - als das fortgeschrittenste und reifeste Modell, nach dem man sich richtet, ist eine abscheuliche Pantomime vor der zunehmenden kapitalistischen Barbarei in jener beispielhaften Gesellschaft der Klassen- und Rassenherrschaft, wie die journalistischen Berichte in diesem Buch von Mumia mit Klarheit zeigen.

Vor ihm hat schon George Jackson mit großer Schärfe das Bild der US-amerikanischen Evolution gezeichnet: "Faschismus. Seine fortgeschrittenste Form ist die in Amerika."

Die Zweigleisigkeit, auf der die USA seit ihrer Gründung ihre Macht konstruiert haben, war "interner" Imperialismus gegen die unterdrückten Minderheiten (native americans, Nachkommen der afrikanischen Sklaven und nach und nach Hispanics, Puertoricaner, Asiaten ...) und ihre Projektion der militärischen Macht von außen, von der ersten Formulierung der Monroe-Doktrin 1823 bis zu ihrem letzten Zusatz, nachdem die ganze Welt Interessensgebiet der USA ist, weshalb sich die Möglichkeit einer militärischen Intervention potentiell auf den ganzen Planeten ausdehnt.

Es waren die achtziger Jahre und die zwölf Jahre der Reagan- und Bush-Administration, die einen tiefgreifenden Strukturwechsel in den USA begünstigten und provozierten, der heute immer mehr durch soziale Ungleichheit und Polarisierung der internen Klassen gekennzeichnet ist und immer tiefer in eine Krise der Hegemonie des imperialistischen Weltsystems führte. Der Papiertiger beißt sich in den eigenen Schwanz: Während sie nicht mehr im Besitz der einen politischen, ökonomischen und militärischen Hegemonie sind, werden unter den Schlägen der allgemeinen historischen Krise des Kapitalismus die politische Macht und die absolute militärische Vorherrschaft eine der grundsätzlichen Faktoren, in denen sich die Initiative und der internationale Einfluß der USA ergießen.

Das ist mehr als üblich die Logik eines Krieges an zwei Fronten.

Jene Projektion der militärischen Macht nach außen wurde durch den Krieg niederer Intensität in den 80er und 90er Jahren gegen die Länder und Völker konstituiert, die ihren Weg raus und oft gegen die imperiale Logik suchten: Der Krieg gegen den Irak, geführt von den USA, aber unter dem Namen der UNO, hat den Umsturz der Kräfteverhältnisse in diesem Gebiet und die Verwirklichung der israelisch-palästinensischen Vereinbarungen bekräftigt; die Intervention in Somalia, ein weiterer Schritt im Neuentwurf des internationalen Rechts, mit der Möglichkeit der Einmischung und Verletzung der nationalen Souveränität für "humanitäre Ziele"; die militärische und politische Kontrolle im "Hinterhof", wie mit der massiven Unterstützung der mexikanischen Regierung und Armee gezeigt wurde, um den Kampf der EZLN in Chiapas zu unterdrücken; die Intervention in Bosnien bekräftigt eine definitive Rolle vom Supergendarmen für die großen Mächte, die nun berechtigt sind, in allen Formen in jede Art von Konflikt zu intervenieren (durch Geld, durch Täuschung oder durch politische Erpressung, durch militärische Einmischung und Bombardements ... Ex-Jugoslawien ist dafür ein funktionierendes Laboratorium), nicht nur den zwischen Staaten. Schritt für Schritt wird ein neuer Zusammenhang des Krieges und der imperialistischen Intervention für die Neudefinition beschrieben, von vielen Spannungen durchzogen, einschließlich jenen zwischen den konkurrierenden Mächten und dem Antagonismus zwischen ihnen, für die Neudefinition der komplexen Bedingungen der Hegemonie im Inneren des imperialen Systems.

Die innere Front, die auf einem sehr zerbrechlichen Gleichgewicht basiert, ist genauso stürmisch. Mit dem wilden Liberalismus von Reagan und Bush ging ein wahres und eigentümliches sozio-ökonomisches Desaster auf die proletarischen Schichten und ethnischen und rassischen Minderheiten nieder, die sich ganz unten auf der sozialen Skala wiederfinden. Die Bedingung, um die militärische Vorherrschaft zu behalten (und damit eine Position der internationalen Vorherrschaft in der sogenannten Neuen Weltordnung nach 1989), war eine Entwässerung des Bodens durch soziale Einschnitte und durch die Auferlegung von neuen Steuern, die von den wenigsten bezahlbar sind; durch die Zerstörung und Dezentralisierung der Produktion in die Länder mit geringeren sozialen Kosten und billigeren Arbeitskräften, durch die Senkung der Lohnkosten und der sozialen Kosten für die bleibenden Produktionen und durch Schuldenwachstum (...).

Auf diese Weise ist ein Modell von sozialen Beziehungen verbreitet worden, das einer stark polarisierten Gesellschaft ihren Platz überläßt, eine Gesellschaft mit bürgerlichen Klassen, die immer reicher und begrenzter werden, und mit minderwertigen und proletarischen Klassen, die immer größer und ärmer werden.

die konkreten Ergebnisse können im folgenden überprüft werden: ca. 20% Arbeitslosigkeit, die auf 50% bei Afroamerikanern und Hispanics ansteigt; Verfall der Schulen und des Unterrichts, wachsender Frauenanteil an der Armut; soziale Polarisierung und Prozesse der Marginalisierung, die viele proletarische Schichten betrifft.

Das ist die Politik, die es einer grausamen imperialistischen Bourgeoisie und einem multinationalen Kapital erlauben, sich jetzt immer mehr von seinen ursprünglichen Grundlagen des Nationalstaates abzulösen, sich auf die transnationale Stufe zu projizieren, auf der Suche nach neuen Profiten und einer unmöglichen Auflösung der tiefen Krise, die sich durchmacht. Das ist die historisch-konkrete Übersetzung der Formel "Krise - imperialistische Wiederausbreitung - Krieg"; die Metapher des Giganten auf tönernen Füßen ist gültiger denn je, wenn das die Grundlagen sind, auf denen sich die supranationale Rekonstruierung des Kapitalismus und seiner militärisch-politischen Projektionen gründet. Aber er bleibt ein Gigant, solange er weiter die Spaltung der Klasse, der Rasse, der Geschlechter, zwischen den Völkern und des Proletariats im Zentrum und jenen der unendlichen Peripherie des Südens betreiben kann, solange nährt sich die Dynamik der Partikularismen, der Privilegien, der "Krieg unter den Armen".

Noch einmal, die USA sind "vorn", sie treten als erste diese epochale Transformation an und zeigen den anderen westlichen Mächten ein (Trug)bild der Zukunft, nach dem man sich richtet und dem man sich anpaßt. Was in einer Zeit geschieht, in der die Dynamik bis jetzt besonders viele europäische Staaten betrifft, die gerade, obwohl weit von der Vollkommenheit der nordamerikanischen Verhältnisse entfernt sind, die aber gerade die wilde Politik der Ausbeutung, der Einschränkung und Repression der Proletarier nach innen und denen, die sich an den Grenzen der Europäischen Union auf einer unmöglichen Flucht aus dem Süden ansammeln, in die Tat umsetzen.

Eine grundlegende Wende des Trockenlegungs- und Polarisierungsprozesses der US-amerikanischen Gesellschaft ist die erneute Wichtigkeit, die der Repressions- und Knastpolitik gegeben wird: Es ist die einzige "Sozialpolitik", die die Administration anzubieten hat! Im allgemeinen hebt das ein soziales Modell hervor, das auf zunehmende Weise eher unter Zwang als auf einem mehr oder weniger passiven Konsens beruht. Die statistischen Daten bestätigen eine solche Orientierung: 4 Millionen Verhaftungen im Jahr; 1,5 Millionen Gefangene, einschließlich der 3.000 in den Todeszellen. Die höchste Gefangenenrate, höher als jene in Südafrika (besonders im Hinblick auf die schwarzen Gefangenen) Seit 1993 sind in jenem Land fast 5 Millionen Personen einer dieser Überwachungsformen unterworfen (Knast, Strafanstalt, provisorische Freiheit ...), und es gibt keine Anzeichen für eine Umkehr dieser Tendenz.

Die Todesstrafe wurde in fast allen Bundesstaaten wieder eingeführt, und heute kann ein Angeklagter, der drei oder mehr Straftaten in Folge begangen hat, auf der Basis der Maßnahme "3mal daneben, und raus bist du" (die zweite Regel beim Baseball) automatisch zu lebenslänglich verurteilt werden.

Seit 1979 konstituieren Afroamerikaner 40% der Gefangenen (obwohl sie 11% der Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten ausmachen), und in verschiedenen Bundesstaaten überschreiten sie bei weitem den landesweiten Prozentsatz. Wir beschränken uns auf diese kurzen und schematischen Andeutungen, weil das Buch von Mumia ein ausführliches Bild der Beziehung zwischen der dramatischen sozialen Realität Amerikas und seinem Justiz- und Knastsystem bietet.

In einem im Dezember 1994 der Zeitung "Revolutionary Worker" gegebenen Interview sagte Mumia: "Eine wenig bekannte Nachricht ist, daß der Prozentsatz der Verbrechen zurückgegangen ist ... Daher ist die Crime Bill (Gesetz gegen die Kriminalität) nicht eine Antwort auf die Zunahme der Verbrechen, sondern eine Antwort auf die Wahrnehmung eines drohenden Widerstandes, auf die Drohung von zwei, vier oder fünfzehn Los Angeles. Darauf basiert in Wirklichkeit die Crime Bill ..."

Die Wurzeln dieser Wahrnehmung sind außer in der Offensichtlichkeit der sozialen US-amerikanischen Realität auch in dem historischen Bewußtsein eines Kampfes eingebettet, eines Kampfes gegen Unterdrückung, Unterwerfung und bessere Ausbeutung der ethnischen und rassischen Minderheiten im Inneren dieses Landes.

Der interne Imperialismus ist ein Grundbestandteil der Klassenherrschaft, den die imperialistische Bourgeoisie auf nationalem und internationalem Niveau ausübt, "ein Staat, dessen wahre Natur antidemokratisch, rassistisch und elitär ist und der deshalb das eigene Volk als seinen größten Feind wahrnimmt ...

Sowohl die rassistische Unterwerfung der afrikanischen Sklaven als auch der Völkermord an den native americans waren wesentliche charakteristische Unterschiede eines nicht erklärten Krieges, der um die Rasse und um die ökonomische Konsolidierung eines europäisch-amerikanischen Nationalstaates herum zentriert war, und sie spiegeln den typisch "kolonialen" Stil der europäischen Integration der Mehrheit der farbigen Völker der Erde wieder." (1) Richtig, die europäischen Staaten haben nämlich den Weg für diesen grenzenlosen kolonialen Genozid an den Völkern der "Neuen Welt" freigemacht!

Zwei Prozesse wurden in der Zeit perfektioniert und sind von der Innenpolitik der Vereinigten Staaten erfüllt worden. Von dem ersten haben wir schon gesprochen, dem Prozeß der Kriminalisierung der Massen, die das Innere der Gesellschaft durchzieht. Der zweite ist eng mit dem ersten als seine Voraussetzung und seine Konsequenz zugleich verbunden, und er betrifft die präventive und repressive Aktivität gegen die kolonisierte proletarische Klasse, um ihrer politischen Organisierung und Macht vorzubeugen. Eine der grundlegenden Strategien für dieses Ziel war das COINTELPRO des FBI, "anfangs zur Unterdrückung der Kommunisten und Sozialisten angewendet, dann zum das Anwachsen der Schwarzen Kämpfe für Bürger- und Menschenrechte in den 50er und 60er Jahren zu verhindern, fixierte sich das COINTELPRO immer mehr auf die black comunity ... Von der zweiten Hälfte der 60er Jahre an wurde jede schwarze Führungskraft, die nicht ausgewiesen, eingeknastet oder ins Exil gejagt worden war, ein Ziel für die Neutralisierung durch das COINTELPRO ... Die Ideologie war selten wichtig. Solange die schwarzen Führungskräfte und Aktivisten-Gruppen die schwarze Kraft, die Selbstorganisierung und die Selbstverteidigung gegen die rassistischen Attacken unterstützten, wurden die Operationen vom Typ COINTELPRO benutzt, um die Führer oder Gruppen zu ,diskreditieren' und zu ,neutralisieren'." (1)

Es wäre unmöglich, die Geschichte und Auswirkungen dieser konterrevolutionären Strategie in wenigen Zeilen zusammenzufassen: um die 40 Mitglieder der Black Panther Party und anderer Gruppen ermordet; Hunderte im Knast, viele ins Asyl oder in die Illegalität gezwungen; eine ganze Generation durch Heroin oder Crack dahingerafft. Das waren nur ein paar der Resultate - die offensichtlichsten -, die bis in die heutigen Tage ihr Gewicht in der Schwierigkeit spüren lassen, die Rebellion als bewußte Bewegung zu organisieren, die Zersplitterung und Zersetzung zu überleben.

Noch heute bleibt die politisch-militärische Erfahrung der Black Panther Party der fortgeschrittenste Punkt des Kampfes der revolutionären Klasse in den Vereinigten Staaten: Jeder nordamerikanische Revolutionär, wie Mumia auf den Seiten dieses Buches, während er Kenntnis von der Niederlage nimmt, die die Black Panther sofort durch den Staat erlitten haben, erkennt die Schwierigkeiten, die der revolutionären Bewegung und Klasse begegnet sind - und weiterhin begegnen - bei dem Versuch, den Inhalt und die Strategie dieses Kampfes wieder in dasselbe Herz des imperialistischen Systems einzubringen. Die Zurücksetzung und die Schwächung der ganzen revolutionären Subjektivität nach der Niederlage der BPP erscheint augenfällig in allen militanten Publikationen und denen der Bewegung der 80er Jahre, von Assata Shakur bis selbst zu Mumia und treibt zu einer generellen Reflexion, die über die Analysen der Entwicklungen der präventiven Konterrevolution hinausgeht.

In den Zusammenstößen wurde die Todesstrafe Mumia gegenüber viel früher als vor Gericht ausgesprochen. Sie ist eine Version des legalen Mordens, die vorher unter verschiedenen Vorwänden vollzogen wurde: Von Malcom X bis George Jackson sind viele afroamerikanische Führer durch das Blei des Staates gefallen.

In dem zitierten Interview erklärt Mumia auf diese Weise die Gründe für die Kampagne für seine Exekution: "Weil ich für sie wie für andere Menschen mehr geworden bin als ein Lebewesen, ich bin zu einem Symbol des Widerstandes gegen das System geworden. Es ist kein Zufall, daß der Staat Pennsylvania bei meiner Verfolgung im wahrsten Sinne des Wortes einen Sprung von 10 Jahren zurück gemacht hat, um gerade vor den Geschworenen von meinem politischen Hintergrund zu sprechen, von meiner Mitgliedschaft in der BPP, über meine Sätze ,alle Macht dem Volk', ,die Macht kommt aus dem Lauf eines Gewehres' und ,die BPP ist eine Partei, die keine Kompromisse eingeht'."

Er kristallisiert in seiner Geschichte ein rotes Band des Widerstandes und des Kampfes dafür: Dafür bekommt er verdienstvoll die Todesstrafe, dafür haben sie einen Rahmen geschaffen, ohne auch nur jede Möglichkeit zu ergründen ...

Seine Stimme ist eine Gefahr für den amerikanischen Status quo. Sie erinnert an die anderen afroamerikanischen Stimmen. Es sind Stimmen, die von den jahrhundertelangen Kämpfen in den Knästen und von den "Knästen außerhalb der Knäste" sprechen, was das Leben der Minderheiten in den Vereinigten Staaten ist. Sie erzählen uns von ihrem alltäglichen Kampf, um in der weiten Hölle des amerikanischen Traums zu überleben, um eine Integrität und Menschenwürde gegen die Brutalität der kapitalistischen und rassistischen Maschine zu erobern, um sich eine Perspektive von einem anderen Leben vorstellen und konstruieren zu können.

Das ist der eigentliche Grund dafür, daß wir in dem Buch nur wenige Hinweise über seine persönliche Situation als Todesstrafen-Gefangener lesen, weil sein Dasein ein so vollständiger Teil der Ausgebeuteten und Unterdrückten ist. Alles wird von einer Anschauung und von einer einstimmigen Dimension gefiltert: Die eigene Befreiung, um sicher zu sein, muß ein kollektiver Prozeß sein, ein Prozeß der Massen.

Die letzte Episode in zeitlicher Reihenfolge war, um den Teil aufzuzeigen, den Mumia in dem Kampf hat, seine Entscheidung, in die Hungerstreikkette im August 1995 einzutreten (in der Drohung seiner auf den 17. desselben Monats festgelegten Hinrichtung), als einziger Gefangener, der für einen anderen Gefangenen fastete, für Rutchel Cinque Magee. Die Geschichte von Rutchel ist die der ewigen Strafe und Isolation, die er seit mehr als 25 Jahren in den amerikanischen Knästen erleidet, als Schwarzer, Proletarier und bewußter Revolutionär und als einziger Überlebender der Schießerei im Gericht von Marin County, während des Einbruchs von Jonathan Jackson bei dem Versuch, ihn und seine Genossen zu befreien.

Als er seine Zeugen in dem Kampf sammelte, hatte Mumia einen anderen Punkt der Naht zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart fixiert, er zeigt auf - jenseits seines eigenen eklatanten Falls -, wie die Widersprüche der politischen Gefangenen nicht nur vom Staat offen gehalten werden müssen, der sich täglich auf sie stürzt (mal härter, mal "weicher", das ist nicht wichtig, es sind zwei Seiten einer einzigen Strategie zur Vernichtung der proletarischen und revolutionären Identität), sondern auch und vor allem von der militanten Solidarität und von der Bewußtheit, daß die politischen Gefangenen Teil des Kampfes für die revolutionäre Transformation sind.

Die geplante Exekution von Mumia - die nur aufgeschoben wurde und weshalb die Mobilisierung und der internationale Kampf weitergehen muß, bis er definitiv aus dem Loch, in dem er seit über 13 Jahren lebt, herausgerissen wird - fügt sich deshalb in einen sehr weiten internen und internationalen Kontext ein. Seine Stimme soll ausgelöscht werden und seine Identität vernichtet, weil die imperialistische Parole lautet: "Abschaffung der revolutionären Gefangenen als politischer Faktor". Die Existenz von ihnen nach Jahren der Isolation, der Ermordungen, der Verprügelungen, der Kampagnen für die Entsolidarisierung, der psychologischen Vergiftung und Kapitulation rechtfertigen zu müssen, ist für die Regierungen schon ein Zugeben der Existenz eines ungelösten Widerspruches, der fähig ist, sich in eine Kraft für die Proletarier und Revolutionäre zu transformieren, die in der ganzen Welt gegen den Kapitalismus und Imperialismus kämpfen.

Es ist wichtig, jenen Gemeinplatz in der Klassen- und revolutionären Bewegung zu entmystifizieren, der die stabilen Haftbedingungen und das Schicksal der revolutionären Gefangenen in den USA wie in Europa und jedem anderen Teil der Erde als ein Überbleibsel des vergangenen Kampfes betrachtet. Dagegen ist die Verteidigung der Identität, die Befreiung der revolutionären und antiimperialistischen Gefangenen ein Gebiet, das strategisch einen genauen Platz in dem Machtzusammenstoß zwischen dem internationalen Proletariat und der imperialistischen Bourgeoisie besetzt hat und immer besetzen wird.

Die große internationale Mobilisierung zur Solidarität mit Mumia hat auch für die Proletarier und Kommunisten sehr umfassend gezeigt, daß die internationale Einheit im Kampf einen Feind schlagen kann, der unbesiegbar zu sein scheint. Es ist eine Straße, die noch nicht verlassen werden darf, heute um so mehr, da ein erster kleiner, aber signifikanter Sieg errungen wurde.

Die Stimme und die Texte von Mumia Abu-Jamal arbeiten daran, "das Chaos, das in dem Bild unserer Sicherheit lebt, zu enthüllen", sie legen die Substanz der Klasse der amerikanischen Gesellschaft frei, in der "das Gesetz bloß die Politik mit anderen Mitteln ist und daher das juristische Strafsystem der klarere Ausdruck der Herrschaft einer imperialistisch-bourgeoisen, elitären und rassistischen Klasse ist, die eine immer größere Minderheit ist, sich aber gleichzeitig immer mehr im Krieg mit den proletarischen Massen in ihrem eigenen Land und auf der ganzen Welt befindet. Mumia hat Clausewitz' "Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" paraphrasierend glänzend unterstrichen, wie das Terrain des Gesetzes sich nicht dem Zusammenstoß der Klasse entzieht, im Gegenteil ist es seine offensichtlichere und subtilere Mystifikation.

Für die Proletarier, die Schwarzen, für die Angehörigen der ethnischen und sozialen Minderheiten, für die sozial und ökonomisch Unterdrückten, für jene wie Mumia und die vielen, die wie er sich gegen diesen Status der USA stellen, dagegen zu kämpfen und zu leben, ist ein "Leben mit dem Kopf im Maul des Löwen", wie Ellison sagt. Stimmen wie die von Mumia, wie die von politischen und Kriegsgefangenen in den USA und in den Knästen der anderen imperialistischen Staaten müssen weiter zu hören sein und sich im internationalen Kampf zusammenschließen. Wir können es uns nicht erlauben, weniger dafür zu tun.

Gemeinsam werden wir siegen.

Solidarität ist eine Waffe.

 

Susanna Berardi, Caterina Spano - Knast von Latina; Anna Cotone - Knast von Rebibbia (Rom); Maria Pia Vianale - Knast von Udine; Vittorio Bolognese, Luciano Farina, Giovanni Senzani, Aleramo Virgili - Knast von Trani; Michele Pegna, Giovanni Gentile Schiavone - Knast von Carinola; Davide Fadda - Knast von Novara

September 1995

(1) Dhoruba Bin Wahad, "COINTELPRO a brief overview". Dhoruba ist ein Ex-Militanter der BPP, Gefangener in den USA von 1971 bis 1990

Weitere Fußnoten wurden hier ausgelassen. (Red.)


Zeugin gesteht Meineid im Fall Mumia Abu-Jamal

 

Dieser Artikel erschien erst in "The Militant" vol.60/Nummer 24-17.Juni,1996. von Pete Seidmann

 

Philadelphia - Eine der wichtigsten Zeugin im Mordprozeß des Jahres 1982 von dem "death row" Gefangenen Abu-Jamal hat am 21. Mai 1996 zugegeben, daß sie, aufgrund des Drucks durch die Polizei, log. Am nächsten Tag wandte sich Leonard Weinglass, der Hauptanwalt Abu-Jamals, an Richter Alfred Sabo: Er möge diese neue Aussage zu Kenntnis nehmen, um die Möglichkeit zu erörtern, einen neuen Prozeß einzuberufen. Abu Jamal sitzt schon seit 14 Jahren in der Todeszelle, nachdem er beschuldigt wurde, daß er in 1982 den Polizeioffizier Daniel Faulkner ums Leben brachte. Eine internationale Kampagne zur Unterstützung von Abu Jamal zwang Sabo letzten Sommer, die Hinrichtung auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Die Zeugin, Veronica Jones, arbeitete als Prostituierte in der Nähe des Ortes, an demFaulkner erschossen wurde. In ihrer ersten Aussage gegenüber der Polizei sagte sie, daß sie zwei unidentifizierte Männer sah, die gleich vom Tatort wegrannten, nachdem sie die Schüsse hörte. Im Gerichtsprozeß leugnete sie gegenüber der Verteidigung diese Aussage.

In ihrer neuen vereidigten Aussage besteht Jones auf die Wahrheit ihrer ursprünglichen Aussage. Sie betonte, daß sie ihre Angaben revidierte, weil sie selbst zwei Wochen vor Prozeßbeginn gegen Abu Jamals wegen schweren Verbrechens von der Polizei verhaftet wurde. Sie wurde zu einer Falschaussage gezwungen, weil sie im Knast saß und eine Strafe von 10-15 Jahre erwartete.

Jones erzählte: "Ungefähr eine Woche, bevor ich als Zeugin vor dem Gericht erscheinen sollte, suchten mich zwei weiße Detektive in Zivil auf. Zunächst war ich ziemlich erschrocken, weil mir die Gefängniswärter erzählt hatten, daß mein Anwalt kommen sollte. Die Detektive sprachen nicht von meinem Prozeß, sondern von Mumias Prozeß. Sie sagten mir, daß, wenn ich gegen Abu-Jamal aussage und ihn, als den Täter identifiziere, ich mir um meinen eigenen Prozeß keine Sorgen mehr zu machen brauche. Ich habe den Detektiven wiederholt gesagt, daß ich die Schießerei nicht gesehen habe, sondern daß ich zwei Männer sah, die wegrannten, als ich die Schüsse hörte. Aber das wollten sie nicht hören. Die Detektive haben mich dadurch bedroht, daß sie mich ständig daran erinnert haben, daß ich selbst eine hohe Strafe erwartete, ... und die ganze Zeit bedrängten sie mich, ihre Version zu übernehmen. Als sie endlich abgehauen sind, wurde mir klar, daß, wenn ich zu Gunsten der Verteidigung Abu-Jamals aussagen würde, ich selbst jahrelang im Knast sitzen müßte. Nur ein paar Tage später wurde ich zum Gericht gebracht. Ich dachte ,daß es sich um meinen eigenen Prozeß handelte , ich war aber sehr überrascht, weil ich mich im Prozeß von Abu-Jamal befand. Die Detektive, die mich bedroht hatten, befanden sich im hinteren Teil des Gerichtssaals. Als der Anwalt Abu-Jamals mich bat, meine Aussage gegenüber der Polizei zu bestätigen, habe ich sie geleugnet. Ich hatte Angst, daß sie mich bestrafen würden, falls ich die Verteidigung helfen sollte."

"Damals war ich 23 Jahre alt und hatte 3 junge Kinder." Jones fügte hinzu, daß, nachdem sie die Falschaussage gemacht hatte, sie freigelassen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Jones behauptete weiter ,daß eine andere Prostituierte - namens Cynthia White -, die auch in der Gegend arbeitete, Abu-Jamal ebenfalls als den Mörder von Faulkner identifizierte. Sie hatte das gleiche Abkommen bzw. eine ähnliche Abmachung("the same deal") mit der Polizei gemacht .In der Berufungsverhandlung letzten Jahres im August sind andere ZeugInnen vernommen worden, die betonten, daß White die Schießerei gar nicht konnte, weil sie sich zu der fraglichen Zeit in einer Seitenstraße befand.

In einer Pressekonferenz vom 22. Mai sagte Weinglass: "Das ist der erste unwiderlegbare Beweis, daß die Verurteilung Abu-Jamals durch falsche Aussagen erreicht wurde." Er forderte einen neuen Prozeß und die Aufhebung des Urteils.

 

Pete Seidmann ist ein Kandidat der US Socialist Workers Party zum US Kongreß und Mitglied der Textil und Schneider Gewerkschaft in Philadelphia.

The Militant,410 West Street,New York,NY 10014.

Probeabo "The Militant" für 12 Wochen:einfach 19,50 DM auf Konto 94327-600 bei Postbank Frankfurt,BLZ 50010060.


NEUES VIDEO

HINTER DIESEN MAUERN

Mumia Abu-Jamal und der lange Kampf um Freiheit

 

Buch und Regie: Jule Buerjes und Heike Kleffner

Mitarbeit: Martina Pech und Rico Prauss

Kamera: Dieter Koenigsmann

Ton:Till Butenschön

Schnitt: Birgit Köster

Musik:Ali Farka Toure & Ry Cooder

Produktion: KAOS Film- und Video-Team Köln c 1996

70 Minuten, Betacam SP

 

Am 17. August 1995 sollte im US-Bundesstaat Pennsylvania der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal hingerichtet werden. Sein Fall - einer von mehr als 3.000 Todeskandidaten in den USA - erregte internationale Aufmerksamkeit. Der Hinrichtungsbefehl wurde zehn Tage vor dem Termin ausgesetzt. Mumia Abu-Jamal, der schon als 15jähriger in der Black Panther Party aktiv und seit Anfang der 70er Jahre für seine engagierte Radioberichterstattung bekannt war, wurde 1982 in einem skandalös unfair Prozeß zum Tode verurteilt, weil er angeblich einen Polizisten ermordet hatte. Der Film dokumentiert durch ein Interview mit Abu-Jamal, durch Gespräche mit Weggefährten, Familienangehörigen, Prozeßbeteiligten und durch Archivmaterial wesentliche Teile seiner Biographie, den Prozeßverlauf und den langen Kampf um ein Wiederaufnahmeverfahren - die einzige Möglichkeit, dem Tod durch die Giftspritze zu entgehen.

 

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