Interview mit Irmgard Möller

Zwei Wochen nach ihrer Freilassung nach über 22jähriger Gefangenschaft führte Oliver Tolmein für die Tageszeitung junge Welt mit Irmgard Möller ein Interview, das am 20.12.1994 veröffentlicht wurde. Wir dokumentieren es nachfolgend.

Du bist jetzt bald seit zwei Wochen draußen. Du hast dir bestimmt vorher vorgestellt, wie es draußen sein würde Nein, das hatte ich nicht, ich hatte ja keine Zeit, mir das vorzustellen, ich habe erst eine Woche vorher sicher gewußt, daß ich rauskommen werde, und dann mußte ich meine ganzen Sachen zusammenpacken, da hatte ich überhaupt keine Zeit mehr, mir irgendetwas vorzustellen.

Und vorher, hast du dir vorher in deiner Knastzeit vorgestellt, wie wird das sein, wenn ich rauskomme?In den Siebzigern habe ich mir das vorgestellt, in den Achtzigern konnte ich mir das gar nicht vorstellen, weil es da völlig unrealistisch war. Und in den Siebzigern wäre ich auf eine andere Weise rausgekommen: Da habe ich überlegt, was ich mache, wenn ich befreit werde, das ist eine andere Situation, als wenn du von den B. zum Tor begleitet wirst mit Gepäck.

Als wir das Fernsehinterview gemacht haben, 1992 für den NDR, stand das unter dem Motto: Alle 40 (politischen Gefangenen) müssen raus. Das war doch eine konkrete Perspektive.Ich habe mir vorgestellt, daß wir alle zusammen rauskommen. Und jetzt gehe ich plötzlich alleine durchs Tor. Als sich diese Entscheidung abzeichnete, habe ich mich total gesträubt, das zu akzeptieren.

Hast du mittlerweile das Gefühl, daß du draußen angekommen bist?Angekommen natürlich noch lange nicht, das wird Jahre dauern, das weiß ich aus Erfahrung von allen, die nach langer Zeit entlassen worden sind. Aber ich bin erstaunt, wie gut es mir gelingt, mich hier draußen zurechtzufinden. Ich merke dann, das kann ich jetzt und das, und andere Sachen halte ich von mir fern. Ich bin also nicht Objekt von Reizen, die mich überfluten. Ich war sogar schon, obwohl mich alle davor gewarnt haben, einmal im Kaufhaus. Ich bin da freiwillig reingelaufen, und das hat mich überhaupt nicht überwältigt, ich hab mich keinen Moment wie ein Objekt gefühlt. Als ich am Tag meiner Entlassung tatsächlich vorm Tor stand, war ich mir überhaupt nicht sicher, ob ich das so packen würde. Und dann ist es mir am ersten Tag gleich gelungen, mit den Leuten, die mir begegnet sind, auch zu reden. Meine größte Freude war, daß Yessie (Macchie von den Tupamaros ) und zwei weitere Genossen aus Uruguay extra gekommen waren, um mich zu empfangen und die ersten Tage bei mir zu bleiben, weil es da eine ganz tiefe Verbindung und Nähe gibt. Ich konnte mit allen reden und habe alle gesehen, wie sie sind, und konnte so viel sagen, wie ich in dem Moment grad auch wollte, und mit dem nächsten dann genauso konzentriert reden. Das hat mich ganz froh gemacht und war keineswegs selbstverständlich.

Was ist das für ein Unterschied, wenn du jetzt Leute triffst, die du vorher im Knast als Besucher nicht erlebt hast?Ich lerne die viel besser kennen, wenn ich z.B. gucke, wie schlafen die, wie stehen die auf, was haben die für Gewohnheiten. Eine Frau, die besucht mich seit zwölf Jahren: Bis 1989 habe ich die nur hinter der Trennscheibe gesehen, und das wirkt dann wie ein Foto von ihr, gar nicht wie sie selbst, ganz unwirklich und eindimensional. 1989 kam die Trennscheibe weg, und ich konnte die Besucherin plötzlich ganz direkt sehen, das war schon eine enorme Veränderung. Z.B. konnte ich zum ersten Mal ihre Augenfarbe sehen, aber andererseits mußte sie hinter dem Tisch im Besucherraum sitzen und existierte für mich eigentlich nur mit einem Oberkörper, und ich hatte, weil man sich ja auch noch ins Gesicht guckt, bis sie zur Tür raus ist, eine sehr vage Vorstellung von ihren Umrissen. Ich habe mir auch gedacht, ob sie wohl immer so geht, wie sie gegangen ist, als sie den BesucherInnenraum verlassen hat, oder ob das nur ein ganz bestimmter Gang ist, den sie hat, wenn sie einen Raum verläßt, in dem eine Gefangene zurückbleibt, während ein LKA-Mann alles überwacht. Jetzt stelle ich fest, daß sie dauernd so geht (lacht), das macht unheimlich Spaß, auch so alltägliche Vorgänge zu entdecken, ganz konkrete sinnliche Erfahrung mit Menschen zu machen.

Du hast im Knast in einer kleinen Gruppe, mit drei und später dann mit zwei Frauen, zusammengelebt, in einer ziemlich intensiven Lebensgemeinschaft. Findest du es hier draußen jetzt lockerer, freier, oder empfindest du es auch mehr als unverbindlich?Mir begegnen jetzt die meisten draußen nicht unverbindlich, sondern sehr offen und herzlich. Ich hatte aus ganz anderen Gründen einen Horror vor dem, was mich draußen erwartet. Ich hatte Angst vor diesem Verfallsprozeß in der Linken. Ich dachte, daß es sehr schwer sein würde, sich zu verständigen, oder daß es eine einfache Begegnung gar nicht mehr geben könnte. Das ist aber ganz anders, jedenfalls mir gegenüber.

Wie läuft dein Alltag jetzt ab? Du hast im Knast ja einen relativ festen Tagesablauf gehabt. Fühlst du dich jetzt, als ob du alles machen könntest?Theoretisch könnte ich alles machen. Aber ich will nicht alles auf einmal und gleichzeitig, sondern bewußt und selbst bestimmen, was ich in dem Moment oder an dem Tag machen will, damit ich es in der Hand behalte. Das ist natürlich erst mal "wenig", aber die einzige Lebensweise, die möglich ist. Praktisch mußte ich erst mal zu allerlei Émtern gehen. Skurrile Erfahrungen habe ich auf dem Einwohnermeldeamt gemacht, wo ich mit meinem Geburtsschein ankam. Ich wollte dann einen vorläufigen Ausweis haben, da haben die gesagt, die Bundesrepublik Deutschland vergibt den nicht einfach, in den Papieren steht nirgends, daß Sie Deutsche sind, weisen Sie das erst mal nach.

Wie hast du dann nachgewiesen, daß du Deutsche bist?Die wollten sich auf dem Dienstweg erkundigen, wo ich denn früher mal gemeldet war, also vor 30 Jahren. Das sollte dann sechs Wochen dauern, ich wollte den Ausweis aber sofort. Der Chef war dann so bereitwillig, daß er über sein Telefaxgerät in Hannover, wo mal ein Paß für mich ausgestellt worden ist, nachgefragt hat, aber diese Registraturen sind längst gelöscht worden. Mehr durch Zufall hat sich dann herausgestellt, daß ich in der Wohnung meiner Eltern noch gemeldet war, und dann habe ich ein Vierteljahrhundert übersprungen und habe damit meinen Paß bekommen. Sonst hätte ich mich erkennungsdienstlich behandeln lassen müssen. Nachdem feststand, daß Irmgard Möller Deutsche ist, mußte ich als nächstes nachweisen, daß ich auch Irmgard Möller bin. Da könnte ja jede kommen Ich habe ihm versucht zu erklären, daß wohl niemand ausgerechnet auf meine Papiere scharf ist, aber das hat ihn nicht interessiert. Schließlich hat es ausgereicht, daß eine Freundin für mich bürgen konnte - dann war wieder amtlich klar, daß ich ich bin.

Und einmal abgesehen von der Bürokratie, wie ergeht es dir im eigenen Alltag, wo du jetzt selber sagst, das möchte ich kennenlernen? Planst du das, läuft das spontan?Ich mache das spontan. Wenn mir auffällt daß wir kein Obst haben, dann geh' ich in den nächsten Obstladen und such' mir was aus, statt den Einkauf für x Wochen vorzuplanen. Mir ist es natürlich fremd, wie das heute in den Läden läuft, früher wurde man bedient, und jetzt (lacht) lungert irgend jemand hinter dem Tresen, und wenn ich frage, können Sie mir das mal geben, da sagt der, nehm 'se sich doch selbst. Dann kommt das Abenteuerlichste, das Bezahlen. Dann muß ich erst mal meine Brille aufsetzen, weil mir das Geld ganz fremd ist, ich weiß nicht, welchen Schein leg' ich hin, was krieg' ich zurück, ich geb' mir auch keine Mühe, das zu verstecken, ich sage irgendwie, daß mir das nicht so geläufig ist. Ich mag's lieber, wenn andere Leute bezahlen, um mir diesen Vorgang zu ersparen. Ein besonderer Moment war, als ich den Wohnungsschlüssel hatte und zum ersten Mal die Wohnung aufgeschlossen hab'. Ich war ganz aufgeregt, habe mich zu dem Schlüsselloch runtergebeugt, statt lässig aus der Hüfte zu schließen. Das mache ich noch öfter so, daß ich mich zu den Gegenständen runterbeuge, einfach, weil ich alles genau sehen will und gleichzeitig noch kein Gefühl dafür habe, wie so Apparate wie Toaster oder Waschmaschinen heute funktionieren: Mit manchen hatte ich richtige Kämpfe.

Du hast ja die Verhältnisse in diesem Land im wesentlichen in den letzten 25 Jahren über Erzählungen von Besucherinnen und Besuchern und über Medien wahrgenommen. Unterscheiden sich deine live-Eindrücke jetzt sehr von dem, was du da mitbekommen hast?Vor einigen Jahren hab' ich mich dabei ertappt, die Wirklichkeit daran zu messen, daß ich schon mal was in der Zeitung gelesen habe, so wie Leute Landschaften sehen und sagen: Toll, wie auf der Postkarte

1992 hattet ihr ja auch direkten Kontakt mit den Medien, als ihr das Interview mit dem Spiegel und mit dem NDR-Fernsehen machen durftet, die ersten Interviews mit politischen Gefangenen aus dem Knast. Hat das von heute aus gesehen das ausgelöst, was ihr erwartet habt?Wenn ich jetzt das Spiegel-Interview lese, finde ich es fürchterlich, weil es furchtbar platt und ungenau ist. So würde ich das nicht noch mal machen. Wir hätten konkretere Sachen sagen müssen, und mir war auch nicht klar, was es für Folgen hat, wenn man Sachen sagt, die nicht richtig zu Ende gedacht sind, die dann aber durch eine Veröffentlichung erst mal festgeschrieben sind und die uns dann wie Schilder um den Hals gehängt werden. Und uns ist in Lübeck dann konkret verboten worden, weitere Interviews zu geben, in denen wir was hätten korrigieren oder weiterentwickeln können.

Was wäre so ein Punkt?In dem NDR-Fernsehinterview mit dir war es die Geschichte, wo wir uns auf die Anwohner-Initiative in der Stresemannstraße, wo die Lastwagen durchfahren und ein Kind überfahren worden ist, bezogen haben.

Aber einen Gedanken anzureißen, auch wenn er nicht zu Ende gedacht ist, kann doch eine Debatte initiieren und ist erst mal besser, als etwas "zu Ende" zu denken, was immer auch einen Moment von Starre in sich birgt Es gibt was zwischen starren, gestanzten Sätzen, die man ausspuckt, und Ungenauigkeiten. Die rühren z.B. daher, daß wir lange in einer Kleingruppe gelebt haben, und da neigt man dazu, Sätze gar nicht mehr zu Ende zu reden, weil für unsere Diskussionen oft Stichworte ausreichen. Wir kennen uns so lange und so gut, daß dann schnell alles klar ist - und dabei wird schnell vergessen, daß man anderen mehr erklären müßte oder daß bestimmte Worte für die auch eine ganz andere Bedeutung haben können. Z.B. hat es totale Mißverständnisse gegeben, was wir mit "Gewalt" meinen. Wenn wir über Gewalt reden, dann wissen wir immer untereinander, welche gemeint ist, aber in der Öffentlichkeit ist der Begriff ganz anders besetzt.

Gab es auch positive Reaktionen auf die Interviews?Ja. Es war schon wichtig für die Leute, uns überhaupt mal anders sehen zu können als auf Fahndungsfotos. Das war auch lange Zeit verboten. Wir hatten öfter beantragt, daß wir Fotos von uns selbst machen können, um sie anderen Gefangenen zu zeigen, ich kenne ganz viele von den RAF-Gefangenen gar nicht persönlich und war begierig, von denen mal Fotos zu sehen. Da wurde gesagt: Nein, das läuft nicht, weil die Leute draußen Fotos nur für Solidaritäts-Kampagnen "mißbrauchen" würden. 1988 hat sich das geändert, da durften wir uns das erste Mal fotografieren lassen, vor einer weißen Wand. Wir durften auch nicht zusammen auf ein Foto, sondern nur jede für sich. Trotzdem war es ein irres Gefühl, plötzlich ein Foto von sich zu sehen, das letzte Foto von mir hatte ich vielleicht vor 17 Jahren gesehen. Und so war es bei dem Film auch: Daß wir zusammen waren und man uns sehen konnte, das war wahrscheinlich am wichtigsten - wir konnten es allerdings selbst 1992 nur einmal sehen, danach nicht mehr.

Wie wichtig war denn überhaupt dieser Zusammenhang von Gefangenen untereinander? Der war praktisch doch sehr schwer herzustellen.Ja, aber es ist der Lebensnerv, und nicht nur im Knast: die Auseinandersetzung und Kommunikation mit denen, die zusammen angefangen haben zu kämpfen und sich so in die Konfrontation. Unsere zentralen Kämpfe in den ganzen Knastjahren gingen genau darum, daß wir zusammenkommen. Seit ein paar Jahren kann es aber nur noch einen Übergang bedeuten, weil wirklich alle raus müssen. Es kann nicht sein, daß Hanna (Krabbe) in Lübeck alleine bleibt und Christian (Klar) in Bruchsal und zwei hier und einer dort. Es müssen jetzt wirklich alle zusammen sein, die Auswirkungen der politisch bestimmten Haftgeschichte müssen aufgefangen werden, in jeder Beziehung. Dazu will ich auch noch komplexer etwas sagen, aber das mach' ich jetzt noch nicht, dafür brauche ich noch Zeit.

Wenn dich heute jemand fragt, der oder die vielleicht 20 ist, fragt, warum soll ich mich mit der RAF beschäftigen, das ist doch vorbei, hast du dann eine Antwort?Ja klar (lacht). Stell' dir doch mal vor, wie die Bundesrepublik heute aussehen würde, wenn es die RAF nicht gegeben hätte.

Was wäre anders?Da wären noch viel mehr Köpfe zubetoniert. Das wäre ganz furchtbar, weil die Erfahrung, daß fundamentaler Widerstand in einem Land wie der BRD möglich ist, fehlen würde, es gäbe spezifisch da nichts, woraus man lernen könnte

Nun war die RAF nicht die einzige Gruppe, die Widerstand geleistet hat.Nein, das behaupte ich auch nicht. Im Gegenteil. Aber sie hat am einschneidensten Widerstand geleistet durch Angriff in jeder Beziehung. Es war nicht zufällig, daß der Staat so reagiert hat. Wir haben die Machtfrage gestellt - und darüber ist Kraft entwickelt worden, die sonst gefehlt hätte, es hat die Verhältnisse hier aufgerissen. Und ich bekomme jetzt auch von jungen Leuten mit, daß sie damit was anfangen können, daß sie sich wiedererkennen, ohne vielleicht immer ganz genau zu wissen, was es alles für sie bedeutet.

Die Trennung von RAF und dem Großteil der Gefangenen aus der RAF im letzten Jahr kam für viele Menschen draußen überraschend. Was waren für euch die entscheidenden Punkte, diesen Bruch herbeizuführen, wo euch der Erhalt des Kollektivs andererseits doch so wichtig ist?Für uns war es eine böse Erfahrung, mit einem Mal zu merken, wie tief die Differenzen mit einem Teil der Gefangenen und der RAF draußen geworden sind, ohne daß wir das sofort im ganzen Umfang realisiert haben. Wir hatten bis dahin immer gedacht: Diese Widersprüche überbrücken wir auch noch. Jetzt wissen wir, daß es tatsächlich Ausdruck eines Gesamtzerfalls in der radikalen Linken ist. Wir dachten Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre, daß RAF-Politik nicht davon ergriffen werden könnte und wir den Umbruch produktiv umsetzen könnten.

Es geht konkret um die RAF draußen und die Celler Gefangenen bzw. Birgit Hogefeld auf der einen Seite und die anderen Gefangenen aus der RAF auf der anderen?Konkret ja, aber das umfaßt viel mehr, und ich will die Auseinandersetzung nicht mehr darauf reduzieren und sie nicht personalisieren.

Was ist der Kern dieses Streits?Das ist schwer so knapp zu sagen. Und so umfassend, wie es nötig wäre, kann ich es noch nicht. Da müssen wir später noch mal genauer drüber reden.

Gerne. Und knapp, aber schwierig?Was diese Zäsur, von der wir 1992 gesprochen haben, meint, ist nie genau geklärt worden. Es hat im Grunde zwei verschiedene Vorstellungen davon gegeben, und dieser Unterschiedlichkeit sind wir nicht beizeiten auf den Grund gegangen. Die einen, wir, wollten die Zäsur, um das Wichtigste an unserem Kampf zu erhalten: Die Form des Kampfes sollte sich verändern, aber nicht der Inhalt und das Verständnis der eigenen Politik und ihrer Wirkung, die konstituierend für die Politik der RAF waren, wie z.B. Internationalismus. Die anderen haben die Zäsur als Gelegenheit begriffen, um die RAF abzuwickeln. Die reden zwar viel von emanzipatorischen Prozessen, aber das heißt nichts mehr, weil sie unsere Geschichte und Zukunft dem Staat vor die Füße gelegt haben. Und zwar in einem Moment, wo es genau auf sie angekommen wäre. Wenn ich nur daran denke, wie sie die Kontakte über Christian Ströbele von den Grünen mit Edzard Reuter von Daimler-Benz geknüpft haben (Die Gespräche zwischen Reuter und Ströbele fanden 1993 statt, führten aber zu keinem Ergebnis; d.Red. jw), damit er Druck auf die Regierung ausübt, damit wir entlassen werden - was ist denn daran emanzipatorisch?

Aber Kapitalismuskritik, das Ziel einer gesellschaftlichen Umwälzung - das prägt auch die Papiere und Vorstellungen von Karl- Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Knud Folkerts, und ich finde, auch die Papiere der RAF In ihren Briefen und Papieren zur "Aufarbeitung der RAF-Geschichte" wird der Staat zunehmend zum Subjekt der Auseinandersetzungen, und die RAF erscheint als bloß reagierende Kraft. Es wird also argumentiert: Wenn der Staat dieses, also z.B. Isolationshaft, nicht gemacht hätte, hätte die RAF auch nicht angegriffen - und so geht das in einem fort. So, als ob wir nie eigene Ziele bestimmt hätten, sondern der böse Staat an allem schuld hätte. Dabei haben wir den Staat bewußt angegriffen, wir wollten ihn zerschlagen - und wußten natürlich, daß der Staat zurückschlagen wird und sich daraus eine Dialektik entwickelt. Wenn Karl-Heinz (Dellwo), Lutz (Taufer) und Knud (Folkerts) das jetzt so darstellen, als wären wir immer nur Opfer gewesen, dann fügt sich das in die staatliche Geschichtsschreibung, die ja auch immer bestreitet, daß es je selbstbewußten Widerstand, den Kampf für etwas ganz anderes gegeben hat. Darin geht es ja nicht nur um die RAF, sondern z.B. auch um die Tilgung des Widerstands der Kommunisten und Antifaschisten gegen Nazi-Deutschland und die ganze Zeit danach zur Konstituierung eines neuen/alten "Nationalbewußtseins" wie zuletzt bei den Feiern zum 20. Juli 1944. Und das Perfide ist, daß immer noch so argumentiert wird, als wären sie gar nicht so weit von uns entfernt. Das Schwierige ist, daß die Auseinandersetzung von außen gesehen bis jetzt so wirken mag wie ein Zerfleischungsprozeß, und entsprechend reagieren die Leute auch und sagen: Ach, das kennt man - in Situationen, in denen der Feind übermächtig wird, zerfleischen sich die Linken eben, so als ob das ein Naturgesetz wäre. Aber damit darf man sich, auch wenn das heute so üblich scheint, nicht zufrieden geben. Und es kommt auch nicht so sehr auf die Details an, wann wer was wie wo gemacht hat, sondern es geht um das Grundsätzliche, das eigene Verhältnis zum Feind, zum Staat, zum Imperialismus. Und da kann es so was wie Neutralität nicht geben, denke ich.

Aber auch nicht unbedingt Zuordnung zu einer Gruppe. Ich gehöre selber zu denen, die damals in konkret geschrieben haben: In diesem Konflikt muß nicht Partei ergriffen werden. Zum einen wissen wir draußen nicht genau, was im Detail in den Knästen passiert, wer was wie bei Anhörungen oder Verhandlungen etc. sagt und macht, zum anderen ist es auch fragwürdig, von draußen in Freiheit Bedingungen an Gefangene zu stellen, die diese erfüllen müssen, eventuell auch um den Preis, daß sie Jahre länger sitzen müssen.Darum geht es so nicht. Jeder von uns weiß, daß jede unserer Handlungen Konsequenzen hat. Und wenn für jemanden das erste Ziel ist, rauszukommen, dann wäre das an sich o.k. - aber dann muß das auch so offen gesagt werden und nicht im Geheimen hinter der Tür den B., dann darf niemand so tun, als erfolgten die Schritte dahin noch auf der Grundlage eines Konsenses. Das hat dann nämlich ganz negative Auswirkungen für die anderen.

Was heißt das denn z.B. für Birgit Hogefeld, bei der es im Augenblick nicht um Zugeständnisse oder die Aufgabe des Kampfes geht, sondern darum, daß sie vor Gericht steht und Lebenslänglich zu erwarten hat, die ja auch Isolationshaftbedingungen unterliegt und sich im Sommer an dem befristeten Hungerstreik für deine Freilassung beteiligt hat?Die Situation von ihr ist natürlich ziemlich schwierig. Aber sie verhält sich in den Auseinandersetzungen, die wir führen, aktiv, sie ist nicht zufällig und ohne ihr Zutun in eine mißliche Lage manövriert worden: Sie hat z.B. den Cellern die Verhandlungen mit Ströbele überlassen, obwohl sie wußte, worum es gehen sollte und daß es um eine Auflösung geht. Insofern ist sie auch mitverantwortlich. In dem Moment, wo es extrem heikel und wichtig war, hat sich die RAF entscheiden müssen, was sie macht - und sie haben sie so entschieden, daß der Staat die Möglichkeit bekam, so zu handeln, wie er will. Das hat fürchterliche Folgen für alle gehabt.

Aber gerade dieser Schritt ist doch auch von euch und von fast allen draußen begrüßt worden (auf die Erklärung der RAF vom 10. April 1992, den bewaffneten Kampf vorerst nicht weiterzuführen, gab es unmittelbar eine von Irmgard Möller im Namen der Gefangenen aus der RAF unterzeichnete zustimmende Erklärung; d.Red. jw), das kann doch heute nicht allein der RAF zugerechnet werden.Die Zäsur - ja. Aber wir waren entsetzt über die Erklärungen und was sie bedeutet. Für uns war es wichtig, die Zäsur zu machen, weil der bewaffnete Kampf nicht mehr die gesellschaftliche Wirkung hatte wie am Anfang. Es ging aber bei ihnen nur noch um das Verhältnis von Staat und RAF und nicht mehr um gesellschaftliche Wirkung und den Sinn des ganzen Kampfes. Und dann wollten wir erreichen, eine Diskussion herbeizuführen, in deren Verlauf die Gefangenen auch rauskommen sollten, wo das aber nicht der zentrale Inhalt hätte sein sollen und der Rest ist nicht so wichtig.

Und warum habt ihr auf die April-Erklärung der RAF dann zustimmend und nicht ablehnend reagiert?Ich habe gesagt, der Schritt ist richtig. Wir wußten nicht, was wir machen sollten, und wollten uns nicht hinstellen und sagen: Das ist insgesamt falsch. Wir haben keine Ebene und kein Mittel gefunden, unsere Kritik anzubringen - es ist so verdammt schwierig, zwischen den Knästen und bei der Post- und Besucherkontrolle eine genaue und abgestimmte Position zu entwickeln. Das hat uns ein ganzes Jahr zurückgeworfen.

Die Positionen, die die RAF in ihren April- und August-Papieren entwickelt hat, fand ich einerseits eher sozialdemokratisch und merkwürdig unkritisch gegenüber z.B. den Erfahrungen der Bürgerinitiativ-Bewegungen. Andererseits war es befreiend, endlich auch mal von der RAF eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit ihrer Politik zu lesen, die möglich macht, sich damit auseinanderzusetzen.Die Leute waren so begeistert von der Tatsache, daß es überhaupt eine Selbstkritik gibt, daß sie gar nicht mehr gesehen haben oder sehen wollten, wo das hinläuft - und heute kann man das total genau sehen: Es werden revolutionäre Ziele aufgegeben. Statt sich von falschen Sachen zu befreien, befreien sie sich von allem. Ein Beispiel für diese falsche Selbstkritik ist ihr Umgang mit der Frage der Gefangenen: In ihren Erklärungen haben sie ja geschrieben, wir stellen den bewaffneten Kampf vorübergehend ein, damit der Staat die Gefangenen freiläßt, und wenn der Staat die Gefangenen nicht freiläßt, schlagen wir wieder zu. Damit ist dem Staat in die Hand gegeben worden zu entscheiden, wann was gemacht werden kann - das hat mit revolutionärer Politik nichts mehr zu tun. Wir haben das kritisiert und haben geschrieben: Ob Gewalt als Mittel eingesetzt wird oder nicht, muß unsere Entscheidung bleiben, die nicht mit der Situation der Gefangenen verkoppelt werden darf - und schon gar nicht so mechanisch. Die Reaktion darauf war, zu sagen: Ihr habt das doch 1977 auch gemacht, als die RAF Buback, Ponto und Schleyer angegriffen bzw. entführt hat, um die Gefangenen zu befreien. Sie haben überhaupt nicht gesehen, daß das eine ganz andere Situation war. Damals wurde in einer bestimmten historischen Situation interveniert, und es wurde die Machtfrage an den Gefangenen gestellt. Wir haben vorgeschlagen, daß die befreiten Gefangenen im Ausland politisch weiter kämpfen und nicht in die BRD zurückkehren, es sei denn Das hätte natürlich alles verändert.

Die Befreiung wäre also ein darüber hinausweisender Erfolg gewesen?Aber absolut, (lacht) deswegen sind wir ja auch nicht rausgekommen. Und daß die heutige RAF das alles mit ihrer Abwicklung gleichsetzt, zeigt, daß ihre Geschichtsaufarbeitung instrumentell ist, sie reflektieren nicht, wie unterschiedlich die Situation damals und heute ist, sondern sie nehmen sich, was sie von damals brauchen können, um ihre heutige Politik zu rechtfertigen. Das finde ich unerträglich.

Nun sind in den letzten Jahren ja einige Gefangene aus der RAF freigekommen - zuletzt jetzt du. Wie bewertest du das? Wessen Erfolg ist das?Das ist schwer so kurz zu sagen. Bei mir ist es so, daß ich ihnen drinnen lästiger bin als draußen, weil das öffentliche Interesse zugenommen hat. Eine Zeitung wie die Frankfurter Rundschau hat z.B. gefragt: Wie kommt der Staat eigentlich dazu, so eine Gefangene nicht freizulassen? Von dieser Frage wird abgelenkt, wenn sich weiter die juristischen Details der Entlassungsverhandlungen in den Vordergrund schieben.

Hat deine Entlassung die anderen Gefangenen ihrer Entlassung näher gebracht?Das hängt von uns ab. Es geht um die Freiheit von allen, die noch drin sind - was das heißt, darüber will ich bald noch mal ausführlicher reden. Ich bin ein Präzedenzfall im Guten wie im Bösen. Einerseits könnte das für den Staat heißen: 23 Jahre, das ist so der Orientierungsmaßstab, andererseits ist es schon was Besonderes, daß sie mich freigelassen haben, auch weil das in Verbindung mit den Toten von Stammheim steht.

Spielt Stammheim für dich heute noch eine Rolle?Ganz lange war es so, daß ich überhaupt nicht erwähnt worden bin, wenn es um Stammheim ging. So, als ob ich verschwunden wäre. Daß ich überlebt habe und noch gefangen bin, war bewußt ausgeklammert in der öffentlichen Rezeption.

Als Bad Kleinen gelaufen ist, hat dich das an Stammheim erinnert?Klar. Auch da mußte ja gegen alle Fakten behauptet werden, daß Wolfgang sich selbst ermordet hat - und das hängt sicher mit Stammheim zusammen. Wenn sie diesmal nämlich zugegeben hätten, daß er von einem GSG9-Beamten erschossen worden ist, hätte das auch für Stammheim wieder ganz neue Fragen aufgeworfen.

Stellungnahme von Axel Wäldele zu

den Ermittlungsverfahren wegen

"@129a und Agententätigkeit für die DDR"

Eigentlich kommt diese Stellungnahme viel später, als ich das wollte, um aber die Interpretation der Geschichte nicht dem Staat zu überlassen oder irgendwelchen Gerüchten, will ich jetzt kurz was zu dem "Agent" sagen.Von 1984 bis 1989 war ich oft in der DDR, um einen politischen Austausch mit Vertretern des Staates zu führen.Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, mit DDR-Vertretern zu diskutieren. Die Diskussion dort habe ich von meiner Identität aus: revolutionärer Widerstand - geführt. Unseren Kampf verstand ich als einen, der von einer internationalistischen Vorstellung aus seine Praxis entwickelte. Die sozialistischen Staaten waren objektiv eine starke Kraft gegen den Imperialismus, daraus ergab sich unser Gesprächsstoff. Außerdem habe ich den Versuch der DDR, ein sozialistischer Staat zu sein, ernstgenommen. Ebenso wie mich ihre Geschichte interessierte.Die DDR war nie mein Ausgangspunkt, es wäre mir auch nie in den Sinn gekommen, für sie als Agent zu arbeiten, auch gab es von ihnen aus nie einen Versuch dahingehend.Klar habe ich ihnen geholfen, die Verhältnisse in der BRD besser zu verstehen, das wollte ich auch. Informationen über Gruppen oder einzelne haben sie von mir nicht bekommen, das habe ich von Anfang an klargemacht.1989 endete diese Diskussion durch den Zusammenbruch der DDR.Erst im Sommer '93 hörte ich dann wieder davon, ein Dr. Franz (Abteilungsleiter beim MfS) hatte belastende Aussagen über mich gemacht.Im Frühjahr '94 bekomme ich dann Post vom BKA, sie wollen mich vernehmen, Hintergrund ist die frei erfundene Geschichte des VS-Spitzels Steinmetz, womit er Gila Pohl, Angehörige eines politischen Gefangenen aus der RAF, belastet. Ich ging da nicht hin.Als nächstes bekomme ich dann eine Zeugenvorladung zur Bundesanwaltschaft wegen der gleichen Sache, als ich dort keine Aussagen mache, droht mir Bundesanwalt Bell, "dann läuft jetzt die Maschine gegen Sie an".Und prompt fünf Tage nach dem BAW- Termin stürmt Bundesanwalt Hofman mit einer Horde von BKA-Polizisten unsere Wohnung, sie stellen da fünf Stunden lang alles auf den Kopf und beschlagnahmen u.a. ein Papierfähnchen der DDR. Während dieser Hausdurchsuchung erfahre ich erstmals, daß gegen mich seit 1990 ermittelt wird, wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" (RAF) und "geheimdienstlicher Agententätigkeit für das MfS der DDR".Kurze Zeit darauf erhalte ich die nächste Zeugenvorladung, diesmal zum Bundesgerichtshof, wiederum in dem Verfahren gegen Gila Pohl. Nachdem ich wegen Krankheit dort nicht erscheine, werde ich festgenommen und nach Karlsruhe gebracht, wo sie mich dem Bundesrichter Beyer gegenübersetzen, der auch "zufälliger"weise Ermittlungsrichter in dem Verfahren gegen mich ist. Dieser redet dann über eine Stunde auf mich ein, er will mich mit völlig absurden Lügen weichkochen: ich hätte Schießübungen für die RAF in der DDR organisiert, ebenso wie Waffentransporte von Ost nach West, außerdem hätte ich dabei die RAF ausspioniert.Ich mache auch diesmal keine Aussagen und berufe mich auf den @55 (Aussageverweigerungsrecht wegen der Gefahr der Selbstbelastung). Sie akzeptieren das.Zu ihren ganzen Erpressungsversuchen ist zu sagen, sie werden diesen Kniefall von mir nicht bekommen!Perspektivlosigkeit ist kein Grund, sich mit denen einzulassen, die ein System aufrechterhalten, welches weltweit Tod und Elend erzeugt.Frankfurt/Main, Dezember '94

Akteneinsicht im Verfahren gegen

die Autonome Antifa (M)

Pünktlich zum Fest erhielten am 22. Deber 1994 die vermeintlichen Mitglieder der Autonomen Antifa (M) Akteneinsicht. Am gleichen Tag wurde der niedersächsische FAP-Vorsitzende Heise aus der Untersuchungshaft entlassen.Am 22. Dezember 1994 wurden den AnwältInnen der Betroffenen jeweils 31 Aktenordner sowie ein "vorläufiges wesentliches Ermittlungsergebnis" ausgehändigt. Desweiteren befinden sich bei der Generalstaatsanwaltschaft (GSA) in Celle weitere "SonderOrdner" mit den Aufzeichnungen aller abgehörten Telefongespräche.Aus den Akten geht hervor, daß es aufgegeben wurde, die Autonome Antifa (M) als "terroristische Vereinigung (@129a)" anzuklagen. Nach nunmehr dreijährigen Ermittlungen des Landeskriminalamtes (LKA) Niedersachsen soll es sich bei der Autonomen Antifa (M) um eine "kriminelle Vereinigung (@129)" handeln. Während am 5. Juli 1994, dem Tag der Hausdurchsuchungen, gegen 15 Personen ermittelt wurde, ist die Zahl nunmehr auf mindestens 25 angestiegen.Juristisch gesehen ist eine kriminelle Vereinigung ein Zusammenschluß von wenigstens drei Personen. Die Motivation des Zusammenschlusses besteht alleinig darin, Straftaten zu begehen.Die Gründung der Autonomen Antifa (M) erfolgte, um antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Handelt es sich laut GSA Celle unter Federführung des erzreaktionären Manfred Endler bei der Autonomen Antifa (M) um eine kriminelle Vereinigung, so ist folgerichtig antifaschistische Arbeit gleichbedeutend mit organisiertem Verbrechen.Eingeleitet wurden die Verfahren 1991 ursprünglich, um angeblich 52 Anschläge seit 1981 im Raum Göttingen aufzuklären. Von diesen Anschlägen ist in den Akten keine Rede mehr.Seit 1993 wurde behauptet, die Autonome Antifa (M) unterhalte "enge Kontakte zur RAF". Als "Beweis" präsentierten staatliche Stellen die für das RAF- Mitglied Birgit Hogefeld in Göttingen gekaufte Bahncard. Am 3. September 1994 ließ die GSA Celle im Göttinger Tageblatt verlauten, daß aufgrund der Hausdurchsuchungen "Belege für Kontakte der >Antifa (M)< zur terroristischen >Rote Armee Fraktion< gefunden worden" seien. Auch in diesen Fällen ist hierüber in den Akten kein Beleg zu finden. Diese staatliche Propaganda hatte zum Ziel, AntifaschistInnen als sogenannte Terroristen zu diskreditieren.Von den "@129aStraftaten" blieben der Verkauf eines Plakates und einer Broschüre (Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte BRD - RAF, GNNVerlag) auf Büchertischen übrig. Die Broschüre ist vom Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf kürzlich als nicht @129arelevant beurteilt worden.Was die Autonome Antifa (M) zur kriminellen Vereinigung machen soll, sind angebliche Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Es sollen alle Demonstrationen, zu denen die Autonome Antifa (M) (mit)aufgerufen hat, kriminalisiert werden. Darunter befinden sich u.a. die großen Bündnisdemonstrationen gegen die faschistischen Zentren in Adelebsen 1993 und Northeim 1994 sowie die bundesweite Demo nach den Hausdurchsuchungen am 16. Juli 1994 mit 30 aufrufenden Organisationen und 3500 TeilnehmerInnen.Desweiteren ist den Akten zu entnehmen, daß unterschiedliche Interessen zwischen LKA und Göttinger Polizeiführung existieren. So heißt es: "Im Vorfeld der Demonstration vom 2.10.1992 intervenierte die Göttinger Polizei sogar gegen die vom LKA beabsichtigten Observationsmaßnahmen." Teilweise verkommt das "vorläufige wesentliche Ermittlungsergebnis" zur Haßtirade auf das sogenannte Deeskalationskonzept der Göttinger Polizei. Genervt wird an anderer Stelle konstatiert: "Die von der Göttinger Polizei erstellten Videoaufnahmen waren überdies unbrauchbar."Die Ermittlungen sind ein massiver Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Aus den Akten werden erstmalig die Ermittlungsmethoden transparent und damit das ganze Ausmaß der mit hohem personellen und technischen Aufwand durchgeführten Überwachungen:M Seit Beginn der Ermittlungen werden alle Telefonate aller Betroffenen protokolliert.M Auf nahezu allen Veranstaltungen der Autonomen Antifa (M) waren LKA'ler anwesend. Teilweise wurden Videoaufzeichnungen angefertigt.M Die wöchentlichen Treffen wurden mit Video überwacht.M Regelmäßig fanden Einzelobservationen statt, um Persönlichkeitsprofile zu erstellen.M Es gibt eine intensive Zusammenarbeit des LKA mit dem Bundes- und Landesamt für Verfassungsschutz.Der aberwitzig hohe Aufwand der Ermittlungen zeigt, daß es hier nicht um die Verfolgung angeblicher Straftaten geht, sondern um die Kriminalisierung einer politisch unliebsamen Gruppe um jeden Preis. Gerade deshalb ist anzunehmen, daß das OLG Celle trotz konstruiert wirkender Beweislage einen Prozeß durchziehen wird.1995 wird die Autonome Antifa (M) ein eigenes Zeitungsprojekt starten, wo sie über ihre Politik im allgemeinen und über das Verfahren im besonderen berichten wird.Autonome Antifa (M), 29. Dezember 1994

@129a-Verfahren gegenden Buchladen Rote Straßein GöttingenAm 28. November 1994 erhielten die Geschäftsführerin und der Geschäftsführer der Buchladen Rote Straße GmbH in Göttingen die Anklageschrift, nachdem im Juli '94 die Geschäftsräume des Buchladens durchsucht worden waren. In der Anklageschrift wird der Vorwurf des "Werbens für eine terroristische Vereinigung" nach @129a erhoben, woraus in der Öffentlichkeit flugs wurde: "Göttinger Buchhändler als Terroristen angeklagt" (Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 30.11.94). Dazu stellen wir folgendes fest:Bei der im Juli beschlagnahmten Broschüre Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte BRD - RAF handelt es sich um eine Broschüre, die in der 6. Auflage seit sieben Jahren im Handel erhältlich ist und von der bisher mehr als 10000 Exemplare bundesweit verkauft wurden. Es ist keine "Broschüre der RAF", sondern wurde von dem GNNVerlag (Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung) herausgegeben. Bei der zweiten inkriminierten Schrift handelt es sich um die Erklärung der RAF vom 6.3.94, die in mehreren großen Zeitungen auszugsweise veröffentlicht wurde.Um was es eigentlich geht, wird in der Anklageschrift überdeutlich: Dem Staatsschutz geht es um den politischen Anspruch des Buchladens Rote Straße als Ort von Gegenöffentlichkeit und die Rolle, die der Buchladen in seiner 22jährigen Geschichte als Teil der linken und kritischen Kommunikationsstruktur in Göttingen eingenommen hat. So wird in der Anklageschrift seitenweise aus zum Teil mehr als zehn Jahre alten Selbstdarstellungen zitiert, die den Anspruch und die Funktion des Buchladens formulieren. Und eben dieses wird nun real zum Kern der Anklage. Diese Anklage steht im Zusammenhang mit den anderen Ermittlungsverfahren in Göttingen, die der Staatsschutz in den letzten Jahren verfolgt.Wir fordern die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen die Geschäftsführerin und den Geschäftsführer des Buchladens Rote Straße und die sofortige Einstellung aller Ermittlungsverfahren in Göttingen, die mit den StaatsschutzAktionen der letzten Jahre im Zusammenhang stehen.Da für die Verfahren eine Menge Geld gebraucht werden wird, brauchen wir dringend Spenden!!!Spendenkonto: KontoNr. 101130169 (D. Vogelskamp), Sparkasse Göttingen, BLZ 26050001Das BuchladenKollektiv, Göttingen, 2.12.94

Der Abschiebestopp für Kurden ist das

Papier nicht wert, auf dem er steht!

Am 27.12.94 wurde Talip Dogan trotz des angeblich bestehenden Abschiebestopps in die Türkei abgeschoben. Auch wir haben, nach den Krokodilstränen der Herrschenden über die Urteile in den Prozessen gegen die DEP-Abgeordneten und die Brandstifter von Sivas, nicht damit gerechnet, daß vor dem 20.1.95 Kurden abgeschoben werden würden.Genau wie an Ostern, als erstmals versucht wurde, KurdInnen abzuschieben, die sich an der verbotenen Newrozfeier am 19.3.94 in Augsburg beteiligt hatten, hat der bayerische Abschiebeminister G. Beckstein jetzt wieder den Versuch gestartet, im Schutz von Feiertagen Fakten zu schaffen. Leider ist ihm das dieses Mal in einem Fall gelungen.Auf die Ereignisse vom 19.3.94 wollen wir hier nicht noch einmal eingehen, sondern uns auf die jetzigen Vorfälle und die betroffenen KurdInnen beschränken.

Die AbschiebungAm 23.12. erfuhren die Anwälte von Talip Dogan und Fariz Simsek, daß ihre Mandanten am 27.12. in die Türkei abgeschoben werden sollen. Der Abschiebestopp gelte nicht für sie, da sie Straftäter seien. Dazu später mehr. Beide Anwälte versuchten ihr möglichstes, um die Abschiebung im letzten Moment zu stoppen; dies gelang nur im Fall der Familie Simsek. Talip Dogan wurde am 27.12. um 13.05 Uhr von 3 BGSlern in ein Flugzeug gebracht und nach Istanbul geflogen. Seine Ankunft wurde mit Bildern vom Flughafen in den Nachrichten der türkischen Medien gemeldet. Er selbst wurde am Flughafen festgenommen, aber nach einer dreistündigen Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt. Im Fernsehen sowie in deutschen und türkischen Zeitungen wurde sein voller Name mit dem Titel "PKK- Aktivist" genannt.

Die VorgeschichteTalip Dogan wurde am 19.3.94 in Augsburg an der Dampfbläserhalle festgenommen und später dem Haftrichter vorgeführt; seitdem befand er sich in Untersuchungshaft. Am 4.7.1994 wurde er vom AG Augsburg wegen Nötigung, schweren Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er wurde aber nicht aus der Haft entlassen, sondern in Abschiebehaft genommen. Der Termin der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Augsburg ist auf den 6.2.95 angesetzt.Fariz Simsek wurde - zusammen mit einem kurdischen Freund - am 9.4.94 am Rande einer von Amnesty International angemeldeten Demo in der Augsburger Innenstadt festgenommen. Beide wurden dem Haftrichter vorgeführt und in U-Haft gesteckt. Während sein Freund nach etwa einem Monat entlassen wurde und später einen Strafbefehl bekam (der sich in etwa mit der abgesessenen Zeit deckte), wurde das Verfahren gegen Fariz Simsek "aufgrund einer zu erwartenden Abschiebung" eingestellt und er in Abschiebehaft überführt.

Die LügenBeckstein versicherte am 15.12.94 in einer Parlamentsdebatte, "daß bis zum 20.1.95 keine Fakten geschaffen werden, die Menschen in Gefahr bringen".Wir wollen uns nicht auf eine Argumentation Straftäter/nicht Straftäter, gute und böse KurdInnen einlassen, denken aber, daß einiges in ein anderes Licht gerückt werden muß.Keiner der beiden ist, wie ja schon oben ersichtlich ist, rechtskräftig verurteilt. Zum Thema "maßgeblich an den Ausschreitungen beteiligt" zwei Beispiele: Talip Dogan ist (nach einem Kurden, der nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden ist) derjenige, der in den jetzt laufenden Verfahren die niedrigste Strafe erhalten hat.Der Freund Fariz Simseks, der mit ihm festgenommen wurde, hat an Weihnachten eine Ausweisung mit derselben Begründung (maßgeblich bla bla) erhalten. Er wurde aber nur wegen seiner Anwesenheit an der Halle verurteilt. Zum Kapitel "bloß nicht reinpfuschen lassen" gehören auch die folgenden Aussagen: Dem Anwalt von Talip Dogan wurde zugesagt, daß sein Mandant im Jahr 1994 nicht mehr abgeschoben werden würde, schon allein deshalb, weil keine Plätze in Flugzeugen zur Verfügung stünden. Einer Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen wurde vom BGS am Münchner Flughafen mitgeteilt, daß außer der Familie Simsek niemand auf der Liste stünde. Der Flughafensozialdienst hat MdL D. Köhler am 27.12. um 11.45 Uhr mitgeteilt, daß doch ein zweiter Kurde (T.D.) abgeschoben werden solle. Das alles zeigt, wie wichtig es Beckstein war, sich an diesem Punkt durchzusetzen und nicht wie an Ostern eine Schlappe einzustekken.

Die ZieleRadio Bayern 3 zitierte G. Beckstein mit den Worten: "Der Abschiebestopp gilt in Bayern nicht für Straftäter" und "Wer ein Straftäter ist, bestimmen die zuständigen Ausländerbehörden." Auch wenn solche Aussagen der Hammer sind, bringt es nichts, auf dieser Ebene zu argumentieren. Wir sind uns sicher, würde Fariz Simsek vor Gericht gestellt, er würde genauso verurteilt werden wie die, deren Verfahren bereits stattgefunden haben. Damit wäre er ein "Straftäter" und die Argumente den Bach hinunter.Becksteins frohe Botschaft zu Weihnachten war die: Wir in Bayern schieben trotz Abschiebestopp ab, denn wir haben es hier ja schließlich mit Straftätern zu tun. Und siehe da, der Abgeschobene bleibt in der Türkei auf freiem Fuß, und die türkische Regierung verspricht Verfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien; deshalb ist auch keine Verlängerung des Abschiebestopps nötig (siehe die Bundestagsdebatte, die für den 19.1.95 zu diesem Thema vorgesehen ist). Und nach den "Straftätern" kommen dann die anderen dran.Es ist klar, daß der Druck für die betroffenen Menschen immens steigen wird, wenn jetzt Ausländerbehörden darüber entscheiden können sollen, wer ein "Straftäter" ist. Der Kriminalisierung und der Abschiebewut werden damit weitere Türen und Tore geöffnet.

Die mangelnde SolidaritätIm Moment hallt das Medienecho an allen Ecken. Wir können aus Erfahrung sagen, daß das nicht lange anhalten wird und auch nicht allzu viel bringt. Trotz Medienrummel und einer Eingabe an den Petitionsausschuß des bayer. Landtags denkt Beckstein laut über eine Abschiebung der Familie Simsek noch vor dem 20.1.95 nach.Nach anfänglich großem Medieninteresse an den Prozessen wegen Newroz '94 ist der Gerichtssaal jetzt gähnend leer, die Familien oder Freunde der Angeklagten (soweit vorhanden) sind mit den Polizisten alleine.Jeder einzelne Prozeßtag wäre für alle "guten Demokraten" ein kleiner oder großer Justizskandal. Die Justiz hält sich wieder einmal nicht an ihre eigenen Spielregeln. Nur, es juckt niemanden.Hier in Augsburg bekommen wir oft zu hören, daß die KurdInnen zwar in der Türkei unterdrückt seien, aber ihren Krieg hierherzutragen, das ginge nicht.Für alle, die so denken, wollen wir hiermit noch einmal ganz deutlich sagen:1. Hier in Augsburg und in den anderen Städten (bzw. Autobahnen) hat kein Krieg stattgefunden.2. Die BRD ist durch die Waffenlieferungen und Geldgeschenke an die türkische Regierung schon längst Kriegspartei.

AusblickNun steht Newroz '95 auch schon fast vor der Tür, und wir gehen davon aus, daß auch in diesem Jahr die Newrozfeiern hier verboten oder behindert werden. Das wäre dann das zweite Newroz, das in der Türkei erlaubt und in Deutschland verboten wäre.Trotzdem wird auch 1995 in Deutschland Newroz gefeiert werden.Wir fordern alle Menschen auf, sich an den Newrozfeiern zu beteiligen.Ermittlungsausschuß AugsburgEnde Dezember 1994

Kurdistan: Aufruf zur Beteiligung an den

internationalen Menschenrechts

delegationen nach Kurdistan Newroz 1995

Der türkische Menschenrechtsminister Azimet Köylüoglu erlaubt sich zu sagen, was führende Politiker in Deutschland mehrheitlich sich zu sagen verbieten: "Die Provinz Tunceli (Kurdistan) ist ein Zentrum des Terrors geworden. Der Terror dort wird vom Staat begangen." Er meint, was er sagt: "Staatsterrorismus". Einen Tag vor dieser Aussage wurde geläufig, warum hohen deutschen Politikern dazu nichts einfallen will: Das neue UN Register über die Verbreitung konventioneller Waffen erklärt die Bundesrepublik zum zweitgrößten Waffenexporteur der Welt.

Der Zusammenhang der DingeWieder einige Tage darauf verhandelt die Europäische Menschenrechtskommission in Straßburg erstmalig in ihrer Geschichte vier förmliche Anklagen gegen die Türkei, Menschenrechtsverletzungen betreffend. 700 weitere Verfahren liegen an. Für Kurden und Türken ist jetzt der Rechtsweg nach Europa offen. Zur Anklage gegen die Regierung der Türkei. Zur Anklage gegen das waffenliefernde Europa.

Beweise und KonsequenzenDie Beweise sind längst erbracht. Der Einsatz deutscher Kriegstechnik dokumentiert. 300 Menschenrechtsdelegierte und Beobachter haben die Tatsachen im Frühjahr 1994 mit Zeugnissen, Aussagen und Bildern erhärtet. Konsequenzen sind nirgends erkennbar. Was sagt nun das Auswärtige Amt, das bis jetzt den Berichten der Menschenrechtsdelegierten keinen Glauben schenken wollte, wenn das Mitglied des türkischen Kabinetts den "Staatsterror" als Zeuge erster Qualität bestätigt? Wie will der Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der den Opfern nicht trauen mochte, die vorliegende Völkermordanzeige länger ablehnen, wenn jetzt die politisch verantwortlichen Täter die Tat selber eingestehen?

Die AufgabeWir müssen wohl den selbsteingestandenen Vorwurf des Staatsterrors weiterhin erhärten. Müssen mit weiteren Mitteln und Möglichkeiten die Straßburger Anklage fortschreiben. Zur folgenden Recherche der Auswirkungen von toxisch chemischen Kampfmitteln. Um das ganze Ausmaß der verbrannten Erde, der Entvölkerung, Vertreibung und Folter zu erfassen. Zur Erweiterung der Anklage auf allen Ebenen gegen alle verantwortlichen Beteiligten. Wer Staatsterror und Völkermord begeht, gehört auf die Anklagebank. Der türkische Staat muß geächtet werden. Wie das alte Südafrika.

Wir rufen aufzur Anmeldung und Teilnahme von interessierten Personen und Organisationen an der Beobachtung des kurdischen Newroz Festes im März 1995. Verbindlich. Zur weiteren qualifizierten und andauernden Menschenrechtsarbeit zum Schutz der verfolgten kurdischen Bevölkerung. Permanent. Zur Sammlung und wissenschaftlichen Aufbereitung aller erforderlichen Fakten des weiteren Beweises der fortwährenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesem Krieg. Um die Ergebnisse zu veröffentlichen, den europäischen Rechtsweg zu beschreiten und um die Recherchen den relevanten internationalen Institutionen zu übergeben, bitten wir um die besondere Beteiligung qualifizierter Delegationsteilnehmer:M`Kenner des internationalen Rechts und der türkischen Sondergesetze;M`Spezialisten für forensische Arbeit und chemische Kriegsführung;M`Pathologen und Mediziner, die Leichname und Wunden der Opfer untersuchen;M`Vertreter von Organisationen, die über ihre Verbände Zugang zur internationalen Öffentlichkeit herstellen können;M`Journalisten und Menschenrechtsvertreter;M`Gewerkschafter, Lehrer und Mitglieder anderer Berufsgruppen;M`sowie öffentlich bekannte und anerkannte Personen, deren Name Gewicht hat.Darüber hinaus appellieren wir an alle Menschenrechtsorganisationen, kirchliche Gruppen und Friedensgruppen sowie an demokratische Interessenvertretungen und Einzelpersonen, weiterhin ihre Hilfe den bedrohten Kurdinnen und Kurden zu gewähren. Gegen ihre Verfolgung durch die Türkei. Gegen Kriminalisierung in der Bundesrepublik und Abschiebung.Frieden und Demokratie in Kurdistan bedingen die internationale Échtung der Türkischen Regierung!

BlamabelDie kurdische Liste für Deutschland ist lang. Sie beläuft sich auf 7000 vernichtete Dörfer. Eingerechnet den Irak. Das deutsche Giftgas. Halabja und die Folgen. Das ist blamabel, daß Schuld und Mitschuld sich ereignen. In Schweigen und Verdrängen ausgedrückt. Dagegen steht unser Aufruf.Es gilt das Angebot wahrzunehmen: die Beteiligung an den deutschen Menchenrechtsdelegationen im März 1995 nach Kurdistan. Wir informieren und organisieren.

Interessierte wenden sich bitte an das:NEWROZ-BüRO 95 Delegationen nach Kurdistan, Obermainanlage 7, 60314 Frankfurt, Tel. (069) 436612, Fax: (069) 436002 (dienstags und mittwochs 10-17 Uhr)

Dokumentation BRD/RAFbleibt beschlagnahmt!Am 29. Dezember hat der Oberlandesgericht Düsseldorf über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das am 28. November ergangene Urteil betr. die Dokumentation BRD/RAF entschieden. Wie () berichtet, hatte das OLG Düsseldorf die von der Bundesanwaltschaft initiierte Klage gegen die Dokumentation, die als "Werbung für eine terroristische Vereinigung" eingestuft, verboten und vernichtet werden sollte, abgewiesen.In ihrer Beschwerde gegen dieses Urteil hatte die Staatsanwaltschaft beantragt, a) das Urteil wieder aufzuheben, weil die Broschüre in ihren Augen doch als "Werbung" einzustufen sei, und b) das Urteil vom November nicht zu vollstrecken. Mit anderen Worten: Selbst wenn das OLG selbst keinen Anlaß sehen sollte, sein Urteil zu ändern, sollte die Broschüre bis zum Abschluß des Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof beschlagnahmt bleiben. Begründung der Staatsanwaltschaft: Andernfalls bestünde die Gefahr, daß bei einem anderen Urteil des BGH, d.h. bei einer Einstufung der Dokumentation als "Werbung", die beschlagnahmten Exemplare womöglich alle bereits verkauft seien.Das OLG Düsseldorf hat nun am 29. Dezember entschieden: 1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird abgewiesen. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf muß nun in Berufung beim Bundesgerichtshof gehen und wird das auch tun. 2. Der Vollzug des Urteils vom Nober wird - entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft - ausgesetzt, die Broschüre bleibt beschlagnahmt. An einem sofortigen Vollzug bestehe kein "öffentliches Interesse".Der wirtschaftliche Schaden für den GNNVerlag durch die andauernde Beschlagnahme wird damit noch einmal vergrößert. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf unterstützt damit erneut die von der Bundesanwaltschaft ausgehenden Bestrebungen zur Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit in dieser Republik.Der Anwalt des Verlags hat Beschwerde eingelegt. Wir werden weiter berichten. aus: Politische Berichte 1/95

Brandanschlag auf Bürovon Antifa und LUSTIn der Nacht auf den heutigen Donnerstag wurde ein Brandanschlag auf das Büro der Liste undogmatischer StudentInnen (LUST) und der Antifa Bonn/Rhein-Sieg im Florentiusgraben 25 in der Bonner Innenstadt verübt. Bei dem Anschlag wurden die Büroräume größtenteils zerstört, glücklicherweise von den im Haus lebenden Bewohnern und Bewohnerinnen niemand verletzt.Die Polizei hat am Morgen als mutmaßlichen Täter die Person festgenommen, die auch den Brandanschlag auf den Buchladen Le Sabot in der Breite Straße am Dienstag dieser Woche gestanden haben soll.Laut Aussagen, die der Festgenommene bei der Polizei gemacht hat, bezeichnet er sich als "Mitglied der autonomen Szene". Er sei darüber verärgert, daß seine Ideen von dieser Szene nicht ernst genommen würden. Die Brandanschläge seien Racheakte gewesen.Wir stellen hierzu fest: Der vermutliche Täter ist kein Mitglied irgendeiner politischen Gruppe in Bonn, er war es auch zu keinem Zeitpunkt. Seine letzten politischen Aktivitäten liegen etwa 8 Jahre zurück. Damals nahm er gelegentlich am Anti-WAA-Plenum teil. Spätestens Mitte 1987 rutschte er in die Drogenszene ab. Seitdem sind uns keinerlei politische Aktivitäten mehr bekannt. In der letzten Zeit tauchte er mehrmals in Kneipen auf und sprach Leute, die er für "Autonome" hielt, mit unverständlichen, bisweilen wirren Vorstellungen an. Dabei stieß er auf Ablehnung. Unter der Voraussetzung, daß seine polizeilichen Einlassungen seine tatsächliche Motivation wiedergeben, muß konstatiert werden:Bei den Anschlägen handelt es sich in keinster Weise um das Austragen von Linien- oder Grabenkämpfen innerhalb der linken Bewegung, sondern um die Taten eines einzelnen, dessen Persönlichkeit durch Drogen zerstört wurde.Zu den Ermittlungen der Polizei vor Ort ist zu sagen, daß daran auch Beamte des polizeilichen Staatsschutzes Präsidialbüro II (PB II) beteiligt waren. Diese Polizeitruppe ist in der Vergangenheit immer wieder durch einen besonderen Ermittlungseifer gegen linke Gruppen und Einzelpersonen aufgefallen. Daher ist zu befürchten, daß die betreffenden Beamten des PB II die Gelegenheit ergriffen haben, um aus dem ausgebrannten Büro Papiere und anderes Material zu entfernen, um es bei nächster Gelegenheit in anderen Ermittlungsverfahren zu verwenden. Sollte sich dieser Verdacht bewahrheiten, fordern wir die sofortige Rückgabe jeglichen Materials.Presseerklärung vom 22.12.94

Dänemark:Haftverschärfung beiMarc RudinWie Marc Rudin, politischer Gefangener in Dänemark, in einem Brief mitteilte, soll er seit Mitte Dezember den Hofgang wieder im Zellenhof und nicht mehr - wie vom Justizminister angeordnet - im Normalhof machen können. Als "Begründung" für diese Maßnahme wurde ihm genannt, der Geheimdienst PET hätte Informationen über eine bevorstehende Flucht von Marc, deshalb gälten von nun an Ausnahme-Sicherheitsbedingungen. Da Marc sich weigert, im Zellenhof Hofgang zu machen, hat er nun seitdem überhaupt keinen mehr. Für Marc sind die gesundheitlichen Auswirkungen gravierend. Um seinen Bluthochdruck unter Kontrolle zu halten, braucht er ein tägliches Lauftraining, das jedoch im Zellenhof unmöglich ist.Wie wir nach Redaktionsschluß noch erfahren haben, ist die Anordnung über den Hofgang Anfang Januar wieder zurückgenommen worden, allerdings muß jederzeit damit gerechnet werden, daß Marc wieder neuen Haftverschärfungen unterworfen werden wird. Deshalb ist es notwendig, Marcs Situation aufmerksam im Auge zu behalten.Seit dem 21.12.94 ist übrigens Christian Zwettler, ein weiterer politischer Gefangener in Dänemark, wieder frei.

ProzeßtermineProzeß gegen Birgit HogefeldWeitere Termine im Prozeß gegen Birgit Hogefeld vor dem Oberricht Frankfurt, Gerichtsgebäude E, Saal II, Hammelsgasse 1: 12.1., 17.1. (11.00 Uhr), 30.1., 2.2., 7.2., 9.2., 14.2., 16.2., 23.2., 2.3., 7.3., 9.3., 14.3., 21.3., 23.3., 28.3., 30.3., 4.4., 6.4., 11.4., 24.4., Beginn jeweils 9.30 Uhr.

Info-SammeldienstAlle bisher erschienenen Nummern des Angehörigen Infos können nachbestellt werden. Bitte gebt Nummer(n) und/ oder Datum an.Preise: einzeln je Stück 1 DM und 0,80 DM Porto; ab 3 Stück je Stück 0,80 DM und 1,50 DM Porto.Die Angehörigen Infos können auch jahrgangsweise als Sammelband bestellt werden: von 1989 bis 1993. Ab sofort ist auch der Sammelband 1994 lieferbar. Preis pro Band (26-27 Hefte) 18 DM und 3 DM Porto. Bitte legt der Bestellung Briefken (bis 5 DM) oder Verrechnungsscheck bei.An alle Info- und Buchläden und andere Wiederverkäufer: Von einigen Ausgaben haben wir nur noch wenige Exemplare. Wenn Ihr überzählige Infos der folgenden Nummern habt: 1, 2, 10, 17-19, 21, 22, 26-28, 34, 43-45, 48-50, 58, 61, 65-69, 71-74, 84-86, 91, 93, 100-102, 112, 114-124, 129, dann schickt sie bitte an die nachstehende Adresse - auf Wunsch gegen Bezahlung:"Sammeldienst", c/o Berberich, Homburger Str. 36, 60486 Frankfurt a.M.

Angehörige Kinder malenfür politische GefangeneWir werden in der nächsten Zeit viel Geld für die Prozeßarbeit brauchen, sind aber in der gücklichen Lage, nicht einfach um Spenden bitten zu müssen. Wir haben die bunten Postkarten als Gegenleistung. 16 Stück 20 DM einschl. Porto. 3 Serien und mehr 18 DM je Serie plus 5 DM Porto. Bitte Vorauskasse oder Scheck. Bestellungen an: Angehörige der potischen Gefangenen, PLK 050205, 65929 Frankfurt a.Main.

Aktionskette "Freiheit füralle politischen GefangenenDie nächste Kundgebung im Rahmen der Aktionskette findet statt inKöln, Freitag, 20.1., 15 UhrBreite Str./Neven-Dupont-Str.

Es werden Beiträge zu Heidi Schulz und der kurdischen politischen Gefangenen Gulay Yurdakul, die lebensgefährlich erkrankt ist, gehalten.

Stellungnahme von Axel Wäldele zum Ermittlungsverfahren wegen "@129a und Agententätigkeit für die DDR"Akteneinsicht im Verfahren gegen die Autonome Antifa (M)Abschiebestopp gegen die Kurden ist das Papier nicht wert, auf dem er stehtAufruf zur Beteiligung an den internationalen Menschenrechtsdelegationen nach Kurdistan Newroz 1995

Herausgeber: Angehörige und FreundInnen politischer Gefangener in der BRD, Postgerkarte 050205, 65929 Frankfurt/M. Erscheint vierzehntäglich bei GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein/Hamburg m.b.H., Palmaille 24, 22767 Hamburg. V.i.S.d.P.: Jeannette Hülbig. Redaktionsschrift und Bestellungen: GNN-Verlag, Palmaille 24, 22767 Hamburg, Tel.: (040)381393, Fax: (040)3898331 (mit Empfängervermerk). Einzelpreis: 1,50 DM. Ein Halbjahnement kostet 32,50DM, ein Halbnement 44,20DM, Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei einer Bestellung ab 3 Stück 30% Rabatt, ab 50 Stück das Heft zu 0,94 DM, jeweils plus Versandkosten. Bei Bestellungen bitte Einmacht beifügen oder Überweisung auf das folgende Verlagskonto: Hamburger Sparkasse, BLZ 20050550, Konto-Nr. 1330/110055. - Herstellung und Drucklegung: GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein/Hamburg m.b.H.Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist das Angehörigen-Info so lange Eigentum des Absenders, bis es dem Gefangenen ausgehändigt wird. "Zur-Habe-Nahme" ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info dem Gefangenen nicht perlich ausgehändigt, ist es dem Absender mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken.Spendenkonto der Angehörigen: Sonderkonto Kiener, Landesgirokasse Stuttgart, BLZ 60050101, Kt.-Nr. 5454194.