Internationale politische Gefangene

gemeinsam für das Leben

Mumia Abu Jamals: Bilder und Texte

gegen die Todesstrafe

Liebe GenossInnen/FreundInnen:Viele von uns waren empört über die Entscheidung des National Public Radios, eine Interviewreihe mit dem politischen Gefangenen Mumia Abu Jamal nicht auszustrahlen. Das NPR ließ sich von der Polizei Philadelphias und den rechten Hardlinern, allen voran der Republikaner Bob Dole, in die Knie zwingen. Darin lassen sich ganz klar verschiedene politische Linien erkennen: die Ernsthaftigkeit, mit der der Staat die Hinrichtung Mumias vorantreibt und das Tempo für Exekutionen insgesamt anzieht; die faktische Unterwerfung eines der wenigen Medien, die einmal den Anschein der Unabhängigkeit gewahrt hatten; die relative Schwäche der progressiven Kräfte und der Todesstrafengegner in den USA, die es nicht geschafft haben, die Radiosendung durchzusetzen. Die B. und ihre Unterstützer, wie bspw. Dole, haben die mögliche Wirkung sehr wohl erkannt, die eine entschiedene, deutliche und klar argumentierende menschliche Stimme wie die von Mumia auf eine Öffentlichkeit haben kann, die sich zunehmend an die Hinrichtungen gewöhnt hat, wenn sie sie nicht sogar befürwortet. Es ist um so vieles schwieriger, ein reales menschliches Wesen umzubringen als die für uns in den Medien portraitierten dämonischen Psychopathen. Außerdem wußten Dole und seine rechten WählerInnen genau, wie wichtig es für sie ist, einer US-weiten Diskussion über die Hinrichtung eines politischen Gefangenen - der ersten seit den Rosenbergs - die Spitze zu nehmen. Die staatliche Ermordung eines ehemaligen Black Panthers, eines Journalisten des Volkes, eines aktiven Gegners der Todesstrafe und MOVE- Unterstützers ist etwas, das sie geheimhalten wollen, bis es zu spät ist.Zur Zeit liegt der Exekutionsbefehl für Mumia zur Unterzeichnung auf Governor Caseys Schreibtisch. Casey unterstützt die Todesstrafe, wenn auch ohne besonderes Engagement. Letzten Monat lehnte er den Antrag der Legislative Pennsylvanias, ein automatisches Zeitlimit für die Unterzeichnung von Hinrichtungsbefehlen festzusetzen, knapp ab. Casey verläßt sein Amt im Januar. Die Mehrheit seiner möglichen Nachfolger spricht sich für die Todesstrafe aus und steht unter dem Druck, eine Beschleunigung der Hinrichtungsverfahren zu versprechen. Die Zeit arbeitet gegen Mumia.Politische Gefangene der USA und anderer Länder, wie bspw. Deutschland, haben schon bisher versucht, alles, was wir können, für den Aufbau einer Solidaritätsbewegung mit Mumia und die Abschaffung der Todesstrafe zu tun. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, unsere Anstrengungen noch zu verstärken. Wir planen eine Veranstaltungsreihe, die in der Woche vom 10. Dezember 94 (Internationaler Menschenrechtstag) stattfinden soll und der wir den Arbeitstitel "Internationale politische Gefangene gemeinsam für das Leben Mumia Abu Jamals: Bilder und Texte gegen die Todesstrafe" gegeben haben. Unser Konzept sieht eine vielfältige und wirkungsvolle Reihe von Programmpunkten vor, die vorwiegend von politischen Gefangenen und ehemaligen politischen Gefangenen der USA und so vieler anderer Länder der Welt wie möglich gestaltet, produziert und geschrieben werden sollen.Mumia hat in den letzten 10 Jahren viel Unterstützung aus Europa erhalten. Daher denken wir, daß wir auf die Mitarbeit von politischen Gefangenen in Deutschland, Italien, Spanien und Irland, soweit es ihnen möglich ist, zählen können. Wir werden auch versuchen, politische Gefangene in anderen Ländern, die im antikolonialen/antiimperialistischen Kampf stehen und zu denen wir Kontakt haben, zu erreichen: in den Philippinen, Israel, Türkei, Chile und Mexiko. Über internationale Menschenrechtsorganisationen und Rechtsanwaltsgruppen werden wir versuchen, Adressen von Gefangenen oder UnterstützerInnengruppen in Asien, Afrika und Lateinamerika zu bekommen. Je internationaler dieses Projekt wird, desto effektiver wird es. Falls Ihr Kontakt mit politischen Gefangenen oder ihren UnterstützerInnen im Ausland habt, schreibt ihnen bitte und bringt uns mit ihnen in Kontakt.Im Rahmen des Projektes selbst soll eine Kunst- und Handwerksverkaufsausstellung für Mumias Prozeßkosten stattfinden, aber auch die Aufführung von Theaterstücken, Videos, Rap, Lesungen und, wenn möglich, sogar von Musikstücken, die von Gefangenen stammen. Wir hoffen, daß wir dafür Schauspieler, Künstler und Musiker (bekannte und nicht so bekannte) gewinnen können, die sich für die Menschenrechte einsetzen oder für dieses Projekt offen sind. Auf jeden Fall werden wir das Ganze so organisieren, daß sie die Werke von Gefangenen lesen, präsentieren und/oder produzieren. Dabei hängt der Umfang, die Bandbreite und der Erfolg dieses Projektes ganz klar vor allem von den Gefangenen selbst ab, darüber hinaus aber auch davon, wie weit es uns gelingt, unsere Strukturen und UnterstützerInnen für dieses Projekt zu gewinnen. Die Entscheidung liegt bei uns.

In unseren Diskussionen haben wir folgende Ziele für dieses Projekt bestimmt:Leute drinnen und draußen dafür zu gewinnen, alles zu tun, um die Hinrichtung Mumias zu verhindern und sich auch allgemein für die Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen.Geld für Mumias Verteidigung zu sammeln.politische Gefangene anderer Länder miteinzubeziehen, um damit die Forderung, Mumia nicht hinzurichten, auf internationaler Ebene zu erweitern und gleichzeitig in den USA ein Bewußtsein über die Kämpfe der politischen Gefangenen weltweit zu schaffen.darauf zu bestehen, daß es in den USA politische Gefangene gibt, und unsere Freiheit zu fordern.die Berichterstattung US-weiter und internationaler Medien zu erreichen, indem wir alternative Radiosender, Satellitenfernsehen und Computernetze dafür einsetzen.mit Amnesty International und anderen internationalen/US-weiten Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten.Wir hatten erste Diskussionen mit Leuten in New York City, die dieses Projekt organisieren wollen. Sie glauben, daß es auch in anderen Städten auf ein großes Interesse stoßen wird, aber sie denken auch, daß es wesentlich von dem Umfang abhängt, in dem sich Gefangene mit ihren Bildern/Texten etc. beteiligen und in dem Kontakt mit Leuten draußen aufgenommen werden kann. Als ersten Schritt brauchen wir verbindliche generelle Zusagen von Gefangenen, die sich beteiligen. Dies ist der Grund, warum wir Dir jetzt schreiben. Wenn Du Dich an diesem Projekt beteiligen willst, nimm bitte schriftlich, telefonisch oder über Dritte zu folgender Adresse Kontakt auf:Mary Taylor164 Lexington Ave.Jersey City, NJ 07304(201) 435-3244Wenn Du Dich an Mary wendest, teile ihr bitte mit, ob Du diesen Aufruf mitunterzeichnen willst und womit Du Dich voraussichtlich beteiligen wirst. Laß sie bitte auch wissen, ob es irgendwelche Leute draußen gibt, die eventuell mitarbeiten würden. Auf jeden Fall: Wenn Du Schauspieler, Musiker, Rapper etc. kennst, die mitmachen könnten, nimm zu ihnen Kontakt auf und bringe sie mit Mary in Verbindung.Wir wollen noch einmal klarstellen, daß dies ein Projekt von uns Gefangenen ist für Mumia und alle anderen Gefangenen in den Todestrakten dieses Landes. Was wir wollen, ist nicht ein Zusammenschluß von Organisationen, sondern eher eine Arbeitsgruppe von Einzelpersonen, die unseren gemeinsamen Versuch, gehört zu werden, unterstützen. Die Grundlagen dieser Arbeitsgruppe sind: 1. für das Leben Mumias, 2. für die Abschaffung der Todesstrafe. Alle, die auf dieser Grundlage zusammenarbeiten wollen, sind willkommen. Alle anderen politischen Unterschiede sollten außen vor gelassen werden.Wir haben gerade mal genug Geld, um die ersten Portokosten zu decken, und es werden noch andere Kosten anfallen. Wir bitten alle Gefangenen, seinen/ihren UnterstützerInnenkreis dazu aufzufordern, Spenden zu sammeln, Feten und Tombolas zu organisieren etc. Das könnte auch mit dazu beitragen, dieses Projekt in andere Städte zu tragen.Wir bitten Euch auch, das Konzept für dieses Projekt bei anderen politischen Gefangenen und politisch interessierten Gefangenen, die daran ein Interesse haben könnten, zu verbreiten.Viele Leute draußen haben die Illusion, daß Pennsylvania Mumia nicht hinrichten wird - daß irgendetwas passieren wird, irgendjemand eingreifen wird. Andere, auch einige von uns hinter Gittern, haben sich der scheinbaren Zwangsläufigkeit unterworfen, daß der Staat tut, was er tun will. Wir wissen, daß es jederzeit soweit sein kann, wenn sie nicht merken, daß es langfristig nicht in ihrem Interesse liegt, Mumia hinzurichten. Wir können nicht auf irgendetwas oder irgendjemanden warten. Wir stellen dieses Projekt vor als eine kollektive Sache, die wir für ihn tun können. Es wird nur laufen, wenn die Gefangenen dafür sorgen. Wir müssen alle selbst bestimmen, was möglich ist, was in unseren Kräften steht.Bitte teile uns Deine Ideen, Deine Alternativen, Deine Kritik und Deine Vorstellungen so bald wie möglich mit. Und bitte teile Mary auch mit, ob wir Deinen Namen unter diesen Aufruf setzen können, und eine ungefähre Vorstellung davon, was Du glaubst, beitragen zu können.Solidarische GrüßeAlberto Rodriguez, Kojo Bomani Sababu, Jihad Abdul Mumit, Hanif Shabazz Bey, Larry Giddings, Abdush Shakur, Ricardo Jimenez, Tim Blunk, Sundiata AcoliIrmgard Möller, Hanna Krabbe, Christine Kuby, Adelheid Schulz, Sieglinde Hofmann, Helmut Pohl, Rolf-Clemens Wagner, Rolf Heißler, Eva Haule, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Manuela Happe

Beginn des Antifa-Prozesses in Berlin

In Berlin begann am 20. September 1994 der Prozeß gegen sieben Antifas, die Mehrzahl von ihnen junge türkische und kurdische Immigranten, denen "gemeinschaftlicher Mord" an Gerhard Kaindl, Funktionär der "Deutschen Liga für Volk und Heimat", vorgeworfen wird. Der erste Prozeßtag war geprägt von Verzögerungen und Unterbrechungen, die vor allem durch überzogene Sicherheitsvorkehrungen verursacht wurden.Insbesondere die Einlaßkontrollen waren vollkommen überzogen. Jede/r BesucherIn mußte die Schuhe ausziehen, ihre Kleidung wurde durchwühlt, sogar Papier und Bleistift wurden einbehalten, auch die Personalausweise der BesucherInnen wurden kopiert. Aus anderen Staatsschutzverfahren ist bekannt, daß die Daten an die Polizeibehörden weitergeleitet werden. Es entstand der Eindruck, daß die Sicherheitsvorkehrungen zur Einschüchterung und Ausspionierung der FreundInnen und UnterstützerInnen dienen sollten.Dies stellte einen massiven Einschüchterungsversuch der Öffentlichkeit dar. Die Anwälte haben daher den Antrag gestellt, die überzogenen und den Grundsatz der Öffentlichkeit verletzenden Kontrollen einzustellen.Aufgrund der nervenaufreibenden Kontrollen erreichten die ZuschauerInnen erst mit mehrstündiger (!) Verspätung den Verhandlungssaal, wo bereits elf bewaffnete Polizeibeamte saßen.Die Pressebänke waren mit zahlreichen JournalistInnen voll besetzt, die internationalen ProzeßbeobachterInnen waren ebenfalls auf den Pressebänken plaziert. ()Während des Prozesses stellte sich folgendes heraus: Einige Tage zuvor hatte der Staatsschutz die Schöffen, Richterin und Staatsanwältin zu einem ominösen Anlaß eingeladen. Sie wurden u.a. über die Früherkennung von Briefbomben aufgeklärt und ermahnt, mehr auf ihre Umgebung zu achten. Ab sofort seien mehr Streifenwagen in der Umgebung der "Betroffenen" unterwegs. Die Tatsache, daß weder die Angehörigen der Gefangenen noch die AnwältInnen zu den "Betroffenen" gehörten, läßt vermuten, aus welcher Ecke die Staatsschützer die "Bedrohung" gesehen haben möchten.Der Prozeß kam über die Feststellung der Personalien nicht hinaus. Der Prozeßtag mußte gegen 14.30 Uhr, kaum daß er offiziell eröffnet war, wegen Verhandlungsunfähigkeit von Erkan abgebrochen werden. Erkan ist dem Augenschein nach in einer psychisch desolaten Verfassung: er machte den Eindruck, daß er mit starken Psychopharmaka behandelt wird. () aus: Herzschläge Bulletin Nr.1

Am zweiten Prozeßtag folgten die Anklageverlesung und die Prozeßerklärungen von Abidin und Fatma, letztere drucken wir stellvertretend ab.Der Tag vor dem Prozeßbeginn wurde zu einem internationalen Aktionstag, zu Solidaritätsaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen kam es nicht nur in der BRD, sondern auch in Holland, England, Norwegen, Finnland, Spanien, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Polen und in den USA.

Prozeßerklärung von Fatma BalamirWir stehen hier heute vor Gericht und werden des "gemeinschaftlichen Mordes" an einem faschistischen Kader sowie wegen sechsfacher gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Zur Begründung des schweren Vorwurfs heißt es in der Anklageschrift, daß das Motiv "politisch motivierter Haß" sei. Gestützt auf die Aussagen eines 17jährigen, der sich seit längerem in einer Nervenheilanstalt befindet. Allein diese Tatsache zeigt, daß es einzig im Interesse des Staatsschutzes und der Staatsanwaltschaft ist, uns als aktive Antifaschistinnen, Migrantinnen zu kriminalisieren, einzuschüchtern und abschreckende Urteile zu erwirken, die stellvertretend für all diejenigen geltend gemacht werden sollen, die sich als Migrantinnen, Flüchtlinge, Obdachlose und Behinderte mit ihrer Opferrolle nicht abfinden wollen. Wir stehen hier in erster Linie als Immigrantinnen und gleichzeitig als aktive Antifaschistinnen vor Gericht, uns als Betroffenen von Brandstiftungen, Morden, Pogromen durch rassistische Totschläger und Neonazis wird das Motiv "politisch motivierter Haß" zugrunde gelegt. Von einem Gericht, das eine Nebenklage zuläßt, die damit begründet ist, daß die betreffende Person "seelischen Schaden" davon gegen hätte, von einer Person, die durch ihre Aktivitäten in der faschistischen Partei Deutsche Liga verantwortlich ist für mehr als 60 Tote (Morde) und Tausende von Angriffen auf Flüchtlinge und Immigrantinnen. Von einer Person, die durch ihre Propaganda, Hetzschriften und menschenverachtende Politik nicht nur dafür sorgt, daß wir Immigrantinnen, Flüchtlinge von den Angriffen, Ereignissen "seelischen Schaden" davon tragen, sondern nicht mehr unseres Lebens sicher sind. Von einer Justiz, die nur aus Deutschen besteht, weder dem Rassismus in diesem Land ausgesetzt ist noch sich jemals durch die Ereignisse und dem Klima bedroht fühlt, doch seiner deutschen Tradition treu die Verhältnisse in diesem Land umdreht, aus uns eine brutale Mörderbande zu konstruieren versucht und aus den Nazis arme Opfer macht, mit Urteilen wie im Falle des Auschwitz-Leugners Deckert auch auf der juristischen Ebene Angriffe, Pogrome, Morde an uns Immigrantinnen und Flüchtlingen legitimiert, somit die gesellschaftlichen Bedingungen für uns völlig ausblendet. Wir leben in einem Land,- in dem es seit der Wiedervereinigung mehr als 60 Tote (Morde) und mehr als 10000 gewalttätige Angriffe auf Migrantinnen, Flüchtlinge, Obdachlose und Antifaschistinnen gibt.- in dem Naziaufmärsche, Veranstaltungen geduldet und durch die Polizei, Justiz und die Politiker unterstützt werden.- in dem Menschen wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft von rassistischen Totschlägern auf der Straße gejagt und zu Tode getreten werden, Hunderte von Menschen bzw. Deutsche daneben stehen und die Angreifer begeistert beklatschen und bejubeln.- in einem Land, in dem wir tagtäglich auf Behörden, Schule, Arbeit und auf der Straße diskriminiert, angepöbelt und bedroht werden, die Grenzen für Menschenwürde, Recht und das Recht auf Leben seit langem nicht mehr existieren.- die traurigen und zugleich erschrekkenden Bilder, für viele Menschen, doch für uns Immigrantinnen, Flüchtlinge eine real existierende Bedrohung, in Rostock, Hoyerswerda, Mölln, Solingen, wo Menschen im Schlaf angezündet und ermordet werden, wo eine Horde von Neonazis und rassistischen Totschlägern mit einer großen Zustimmung eines Teils der Bevölkerung tagelang versucht, mehr als hundert Flüchtlinge im Feuer zu begraben.- eine Polizeihundertschaft, die schweigend und im stillen Einverständnis mit den Mördern sich zurückzieht und zuschaut. Die gleiche Polizei, die, wenn es um antifaschistische Demonstrationen, Veranstaltungen geht, sehr wohl ihre Macht demonstrieren kann, indem sie eine Menschenmenge knüppelschwingend auseinanderhauen kann und dies in der Presse als einen Erfolg gegen sog. Linksextremisten und Chaoten verlauten läßt.- die Reaktion dieses Staates, der Politik und Medien, öffentlich um Verständnis für die Éngste und sozialen Probleme der Angreifer, Mörder, Brandstifter zu werben, das Asylrecht zu verschärfen bzw. abzuschaffen und im Ergebnis die Opfer aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit zu den eigentlichen Tätern erklärt.- in dem etablierte Parteien diese rassistischen-faschistischen Ereignisse zum Anlaß nehmen, wie mit Parolen "das Boot ist voll", "Asylantenschwemme" und "wir sind auch gegen das Wahlrecht für Ausländer", für deutsche Wählerstimmen zu werben.Rassismus und Gewalt gegen Minderheiten haben in diesem Land viele Gesichter, sie fängt mit Diskriminierung, Ausländergesetzen, Asylantengesetzen durch die Politik dieses Staates an und endet mit rassistischen Pöbeleien auf der Straße, Behörden, Schule, Arbeit und bedroht unser Leben. Jeder, der/die in diesem Land lebt und diese Ereignisse schweigend hinnimmt, billigt und unterstützt auch die militanten, rassistisch-faschistischen Angriffe in Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und vielen anderen auf Flüchtlinge, Immigrantinnen, auf unser Leben, Würde und erklärt uns als lebensunwert.So sieht unsere Realität aus, mit einer Gewalt in der Politik und auf der Straße konfrontiert, die keine Grenzen mehr kennt, ist es für uns Migrantinnen, Flüchtlinge und für alle anderen Minderheiten wichtig und lebensnotwendig, uns zu organisieren.In einem Klima der zunehmenden Gewalt von rechts, der Rechtlosigkeit für Minderheiten, Ausgrenzung, Diskriminierung und der Bedrohung unseres Lebens hat sich die Initiative Antisist Genclik (Antifaschistische Jugend) gegründet. Gegründet von Menschen verschiedener Generationen, in der auch ich (Fatma) aktiv bin. Antifasist Genclik ist eine offen und legal agierende Initiative, sie ist weder hierarchisch strukturiert noch gibt es Menschen, die sich als Anführer begreifen oder es in dem Sinne praktizieren. Der Schwerpunkt unserer antifaschistischen Arbeit liegt darin, durch eine längerfristige politische Arbeit mit Migrantinnen, antifaschistischen Initiativen, allen humanitär und demokratisch eingestellten Menschen gemeinsam, unsere sozialen und politischen Interessen zu verteidigen und sie durchzusetzen. Antifasist Genclik versucht durch eine gezielte politische Arbeit, speziell die Probleme der hier lebenden Migrantinnen, unserer Eltern, Familien, Jugendlichen aufzugreifen und sie beim Namen zu nennen, eine breite Öffentlichkeit zu organisieren, die mit uns zusammen unsere Forderungen nach doppelter Staatsbürgerschaft, Wahlrecht für Immigrantinnen, Gesetze gegen Diskriminierung und Ausgrenzung durchzusetzen, indem wir Veranstaltungen, Demonstrationen organisieren und eine Zeitschrift herausgeben. Neben Demonstrationen und Veranstaltungen finden wir es wichtig und notwendig, nicht länger bereit zu sein, sich zu verstekken, wenn Neonazis auf der Straße marschieren, Veranstaltungen abhalten und ihre menschenverachtende Politik verbreiten, sondern gemeinsam hinzugehen, sie zu stören und es zu verhindern. Denn wir haben früh genug lernen müssen, daß nur ein entschlossenes Entgegentreten im Vorfeld die Ausbreitung faschistischer Orsierung und Angriffe verhindern kann/wird.Wir begreifen uns als einen Teil der antifaschistischen Bewegung in Deutschland. Weder die antifaschistische Bewegung in Deutschland noch die eigenständige und unabhängige Initiative Antifasist Genclik haben es sich zum Ziel gesetzt, propagiert oder entsprechende Aktionen durchgeführt, die bewußt zum Tode eines Neonazis führen sollten, jeder Tod eines Menschen ist nie ein angestrebtes oder auch nur gebilligtes Resultat von antifaschistischen Aktionen.- Wir lehnen mit aller Härte die gemeinschaftliche Mordtheorie der Staatsanwaltschaft und des Staatsschutzes ab, eine Theorie, die durch manipulierte Aussagen und unter dubiosen Umständen zustandegekommen ist. Diejenigen, die uns heute hier als Mörder und Gewalttäter verurteilen wollen, verurlen alle Menschen, Antifaschistinnen, die für ein Leben kämpfen, in der jeder, egal welcher Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht leben kann, ohne Auszung, Diskriminierung und Angst.- Wir hoffen, daß die Interessen von StA, Staatsschutz und Politik uns für Jahre in den Knast zu stecken, nicht aufgehen werden,- daß eine breite, antifaschistische Öffentlichkeit uns in unseren Forderungen und der Legitimität des antifaschistischen Kampfes nicht allein lassen und unterstützen wird.- Und wir sagen noch einmal: Der Kampf gegen Faschismus, Sexismus und Rassismus ist gerecht und notwendig!- Wir grüßen alle Menschen, Anschistinnen, Initiativen, die uns seit Monaten nicht allein gelassen haben und uns unterstützt haben, unsere Freilassung gefordert haben und werden!Fatma Balamir, September 1994(aus: CL-Netz Hamburg)

Erklärung der internationalenProzeßbeobachterInnenWir sind von weit her nach Deutschland gekommen, um dieses Verfahren zu beobachten, weil wir der Meinung sind, daß die sieben Angeklagten angesichts der gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge, aus denen heraus dieses Verfahren zustandegekommen ist, kein gerechtes Verfahren erwarten können.Unsere ursprünglichen Sorgen bestätigten sich in einem Gespräch mit einem Vertreter der Rechtsanwälte der Angeklagten, der uns über folgendes informierte:1. Obwohl die Ermittlungsbehörden zugeben, daß keiner der sieben Angeklagten den Mord an G. Kaindl begangen hat, werden alle sieben Angeklagten trotzdem mit Hilfe des höchst fragwürdigen Konzepts der "kollektiven Schuld" wegen dieses Vergehens angeklagt, ohne daß für diese Anklage eine ausreichende faktische Grundlage existiert. Kurz, die Mordanklage ist unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt und von großer Härte. Diese Anklage spiegelt die politischen Motive derjenigen wieder, die dieses Verfahren vor Gericht gebracht haben.2. Die Beweisführung der Staatsanwaltschaft beruht auf einer erzwungenen Aussage eines der Angeklagten, dem damals 17jährigen Erkan S. mit einer Geschichte von psychischer Erkrankung. Erkan S. wurde zwei Wochen lang ohne rechtlichen Beistand durch die Polizei verhört. Diese Verhöre wurden nicht angemessen protokolliert. Wir fragen uns, was die Polizei durch dieses Vorgehen zu verbergen und zu konstruieren versucht. Die Art und Weise des Verhörs und der Dokumentation stellt einen eindeutigen Mißbrauch des Rechtssystems dar.Alle Seiten - das Gericht eingeschlossen - haben zugegeben, daß Erkan S. aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, wahrheitsgetreue Angaben über Ereignisse zu machen oder auch nur die Bedeutung der polizeilichen Verhöre zu erfassen. Wir haben Erkan S. im Gerichtssaal beobachtet und stimmen dieser Einschätzung zu.Unsere Besorgnis hat sich noch weiter verstärkt, als das Gericht am ersten Verhandlungstag seine Sitzung nach der Anhörung eines medizinischen Gutachters beenden mußte. Dieser bestätigte, daß dieser junge Mann psychisch so sehr krank ist, daß er den Vorgängen im Gerichtssaal trotz der Anwesenheit seiner Anwälte und eines Arztes nicht folgen kann.Wir kamen auch nicht umhin, wahrzunehmen, daß trotz der Tatsache, daß die Vorsitzende alles versuchte, um den ordnungsgemäßen Fortgang der Verhandlung zu ermöglichen, die übermäßigen Sicherheitsmaßnahmen der Polizei in diesem Verfahren den Verlauf des Verfahrens verzögern und stark beeinflussen. Wir müssen darauf hinweisen, daß es uns unter diesen Umständen nicht möglich zu sein scheint, Recht zu sprechen. Denn auf welche Weise kann die Präsenz von bewaffneten Polizeibeamten im Gerichtssaal der Wahrheitsfindung dienen.Auch über die Art und Weise, wie die Angeklagten durch die Sicherheitsbeamten im Gerichtssaal und in den Untersuchungsgefängnissen behandelt werden, sind wir besorgt. Die Angeklagten erhielten während der Mittagsprozeßpause z.B. keine Getränke, und wir mußten erfahren, daß einer der Angeklagten immer noch in 23stündiger Einzelhaft festgehalten wird.Darüber hinaus konnten wir keinerlei Beweise für eine Verbindung zwischen der Gruppe Antifasist Genclik und der PKK finden. Wir halten es für dringend notwendig, daß diese Tatsache nicht nur von der Richterin, sondern auch von der Staatsanwaltschaft und den Medien zur Kenntnis genommen wird.Wir sind davon überzeugt, daß in einem fairen und gerechten Verfahren alle sieben Angeklagten von dem Vorwurf des "gemeinschaftlichen Mordes und der gemeinschaftlichen sechsfachen schweren Körperverletzung" freigesprochen würden.Gloria Echeveste, MLN-Tupamaros Uruguay; Julio Peralta, MLN-Tupamaros, Uruguay; Mike Luft, Searchlight-Magazine, Beauftragter für Glynn Ford (MdEP), Großbritannien; Len Weinglass, Rechtsanwalt, USA; Yüksel Hos, Rechtsanwalt, Internationaler Menschenrechtsverein (IHD), Türkei(aus: Herzschläge Bulletin Nr.1)

300 Festnahmenin BremenBremen glich am Wochenende einer belagerten Stadt. Angesichts der Staatsfeierlichkeiten zum "Tag der deutschen Einheit" waren kurzerhand nicht nur alle Demonstrationen, sondern auch alle Veranstaltungen ersatzlos verboten worden. Bei Razzien im Infobüro für die Demonstration beschlagnahmte die Polizei alle Kommunikationsmittel (Fax, Telefone, Lautsprecheranlage, Plakate, Flugblätter). Als am 3.10. morgens die über 600 DemonstrantInnen in Richtung Kongreßzentrum zogen, wurden sie von der Polizei eingekesselt; Trotzdem bildeten sch immer wieder neue Demonstrationszüge, teilweise auch mit Transparenten wie "Freiheit für alle politischen Gefangenen aus der RAF, dem antiimperialistischen und antifaschistischen Widerstand". Insgesamt gab es über 300 Festnahmen und mehrere Verletzte auf beiden Seiten. (d.Red.)

Nach Verbot des Marsches der Kurdinnen:

die Eskalation des Konflikts

Unter dem Motto "Für ein friedliches Kurdistan und gegen den schmutzigen Krieg des türkischen Staates" ist ein langer Marsch von kurdischen Frauen von Mannheim nach Straßburg zum Sitz des Europaparlaments organisiert worden, um die Öffentlichkeit auf den schmutzigen Krieg der Türkei gegen das kurdische Volk zu informieren, zur Solidarität aufzurufen und den türkischen Staat wegen seines Vernichtungskrieges vor dem Europaparlament anzuklagen. Die nachfolgende Chronologie der Ereignisse zeigt, daß - nachdem ihnen bereits das Recht auf kulturelle und politische Betätigung, u.a. durch das Verbote ihrer Vereine und Organisationen - jeder Versuch von Kurden, sich an die offizielle Öffentlichkeit zu wenden, mit Polizeischlägen beantwortet wird.

Am 25. August 94 wird von dem "Internationalen Frauenzentrum e.V. Köln" und "YEK-KOM Bochum" ein Frauen- Solidaritätsmarsch beim Ordnungsamt Mannheim angemeldet. Der Marsch soll am 26. September in Mannheim beginnen und am 3. Okober in Straßburg enden. Der Marsch ist für jede Straße und jeden Ort genau festgelegt. Die Veranstalterinnen haben für den reibungslosen Ablauf (z.B. Schlafquartiere auf Campingplätzen oder in Sporthallen) gesorgt.Am 20. September wird der Marsch durch das Ordnungsamt Mannheim verboten. Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof weisen eine Klage dagegen am 23. und 24.9. ab.Am 26.9. sind in Mannheim 900 Polizisten konzentriert, um das Verbot durchzusetzen. Ab 10 Uhr versammeln sich etwa 200 Kurdinnen auf dem Paradeplatz. Sie tanzen und halten Reden, aber machen unmißverständlich deutlich: Wir wollen marschieren. Oberbürgermeister Widder und der Polizeieinsatzleiter verlangen bis 13.15 Uhr die Auflösung der Versammlung, ansonsten werde die Polzei eingreifen. Inzwischen haben sich neben den Marschiererinnen auch viele andere Menschen versammelt. Um 13.15 Uhr formieren sich die Kurdinnen zu einem geschlossenen Demonstrationszug. Die Polizei stellt sich den Kurdinnen mit Pferden und in Stellung gehenden Bereitschaftspolizisten und Sondereinsatzkommandos entgegen. Wasserwerfer fahren von hinten auf. Die Kurdinnen und inzwischen auch Kurden werden eingekesselt. Es zeichnet sich eine von der Polizei gewollte Eskalation ab. Kartoffeln und Zwiebeln werden aus den Reihen der Frauen geworfen. Von irgendwoher wird eine Benzinflasche geschmissen, angeblich soll auch ein Polizist mit Benzin bespritzt worden sein. Die Waswerfer werden eingesetzt. Die Polizei greift hart und brutal durch. Es gibt mehrere Verletzte. Einem Kurden wird der Arm gebrochen. Eine schwangere Frau verliert ihr Kind.Etwa 200 Kurdinnen und 130 Kurden werden festgenommen, gefesselt und abtransportiert. Vor dem Abtransport liegen sie wie Vieh gefesselt auf der Straße herum. Die meisten der Festgenommenen sind im Verlaufe der Nacht und des nächsten Tages wieder auf freien Fuß gesetzt worden.27.9. Etwa 70 Kurdinnen gehen in das Rathaus, um vom Oberbürgermeister die Erlaubnis des Marsches zu fordern. Der lehnt ab und fordert sie auf, das Haus zu verlassen. Die Frauen bleiben, die Polizei verhindert angeblich eine Selbstverbrennung. Mit Schlagstockeinsatz werden die Kurdinnen und 100 vor dem Rathaus wartende Kurden festgenommen. In diesem Verlauf entreißt ein Kurde - wohl panikartig in einer verzweifelten Situation - einem Polizisten den Revolver. Beim anschließenden Gerangel wird ein Kurde angeschossen. Dieser Schuß wird dem Kurden angelastet. Es soll nun gegen ihn wegen Mordversuch ermittelt werden. (M.E. ist es gar nicht sicher, daß der Kurde geschossen. Es stellt sich auch die Frage, ob der Revolver gesichert war.)An diesem Tag werden in der ganzen Stadt kurdische Personen überprüft, erkennungsdienstlich behandelt und festgenommen. Das Gebäude des Kurdisch- Deutschen-Freundschaftsverein wird umstellt. Autos mit angeblichen "PKK-Propagandamaterial" oder "Waffen", wie Stöcke oder Benzinkanister, werden beschlagnahmt. 12 Kurden sollen angeblich versuchen, die Post zu stürmen. Zeitweise bis zu 400 Kurdinnen und Kurden werden in Polizeigewahrsam genommen. Die Polizei prüft die Ausdehnung der Gewahrsamnahme auf 14 Tage, die allerdings richterlich bestätigt werden muß.In Baden-Württemberg kommt es zu verschiedenen Brandanschlägen vor allem auf Polizeiposten, wo allerdings meist nur geringer Sachschaden entsteht. In Ludwigshafen werden zwei Polizeiautos angezündet. Bei einer Ringfahndung wird ein Kurde gefaßt, der sich zu diesem Brandanschlag bekennen soll.28.9. In der Stadt herrscht gespannte Ruhe. Es finden keine größeren Auseinandersetzungen statt. Jedoch wimmelt es von Polizisten und Kontrollen. Ab Mittag bis zum Vormittag des nächsten Tages verhandeln die Kurdinnen (laut OB "mißbrauchtes Werkzeug einer straffen PKK- Organisation") mit Oberbürgermeister und Landespolizeipräsident. Die Athmosphäre ist feindselig. Der OB droht mit weiterer Eskalation und mit der sofortigen Räumung des Kurdisch-deutschen Freundschaftsverein. Die Kurdinnen forden die Zulassung des Marsches. Auf eventuelle Reaktionen der kurdischen Seite bei einer Aufrechterhaltung des Verbots hätten sie keinen Einfluß.29.9. Schließlich kommt es dann doch noch zu einem Ergebnis. Die Kurdinnen können ab Achern ihren Marsch fortsetzen.1.10. Das "Aktionsbündnis gegen Rassismus" ruft auf zu einer Demonstration gegen das Verbot des Marsches und gegen die Kriminalisierung der KurdInnen. Es sprechen u.a. ein Rechtsanwalt, Rebecca Pini von medico international und eine Person vom Vorstand des Kurdisch-Deutschen Freundschaftsverein. Um die Situation nicht zu verschärfen, beteiligen sich fast keine Kurden an dieser Demonstration, an der etwa 350 Menschen teilnehmen.

Am 1. Oktober erreichten die 200 bis 250 marschierenden kurdischen Frauen die deutsch-französische Grenze in Kehl. Dort ließen sie die französischen Behörden entgegen früherer Zusagen nicht über die Grenze. Die Kurdinnen bestanden auf ihrem Recht, vor dem Europarat ihre Forderungen vorzutragen.Am Sonntag, 2. Oktober, demonstrierten auf französischer Seite des Grenzübergangs ab 13 Uhr rund 150 Kurdinnen und Kurden. Frankreich schloß die Grenze. Auf deutscher Seite standen die Kurdinnen und weitere rund 150 unterstützende Kurden wieder am Grenzübergang. Bundesgrenzschutz blockierte den Rheinübergang. Seitlich des Grenzübergangs setzten sich die kurdischen Frauen auf die Straße. Es begann eine über 22stündige Demonstration für die Rechte der kurdischen Frauen und des kurdischen Volkes, gegen den Völkermord und die deutsche Unterstützung des türkischen Militärs sowie für Solidarität mit der kurdischen Befreiungsbewegung PKK. Die Behörden in der Bundesrepublik setzten auf Zermürbung, sie hofften, die Frauen würden aufgeben. Es wurde ein Tag und eine lange und regnerische Nacht, in der gesungen, getanzt und immer wieder in Parolen das Recht des kurdischen Volkes auf menschenwürdiges Leben eingeklagt wurde. Deutsche oder französische Europaparlamentarier ließen sich nicht an der Grenze blicken, die zu den europäischen Menschenrechtsinstitutionen führt. Einzig eine Landtagsabgeordnete der Grünen aus Rheinland-Pfalz kam zur Unterstützung. Am Spätabend kamen Parlamentarier der in der Türkei verbotenen Demokratiepartei und unterstützten den kurdischen Frauenmarsches.Am Montag, 3. Oktober, wollten die Frauen ab 9 Uhr Termine und Einladungen aus dem Europaparlament wahrnehmen. Die Grenze war aber immer noch geschlossen. In Frankreich demonstrierten mittlerweile 400 Kurden. Bundesgrenzschutz-, SEK- und GSG9-Einheiten marschierten auf, Wasserwerfer wurden auf den Übergang gefahren. Über 1000 Beamte zogen auf. Erneute Verhandlungen mit deutschen und französischen Behörden brachten das Ergebnis: Alle Frauen mit gültigem Paß - ca. 130 - konnten mit Bussen zum Europarat. Dort wurden sie empfangen, um ihre Resolutionen und Eingaben vorzutragen. Die ganze Sitzungswoche des Europarates über werden Gespräche stattfinden. Auf einer Pressekonferenz erklärten die Frauen: "Zwei Tag mußten wir im Regen vor der Grenze stehen, um nach Straßburg zu kommen. Trotz aller Schwierigkeiten seit Mannheim: Die kurdischen Frauen haben bewiesen, sie sind eine Kraft."(aus: Politische Berichte 20/94)

Adelheid Schulz undBirgit Hogefeld verlegtAdelheid Schulz ist nach dem Ende des Prozesses gegen sie, in dem sie erneut zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, wieder nach Köln-Ossendorf zurückverlegt worden.Birgit Hogefeld, deren Prozeß im November in Frankfurt beginnen soll, ist inzwischen endlich nach Frankfurt-Preungesheim verlegt worden. Den genauen Prozeßbeginn und die nachfolgenden Termine werden wir hoffentlich in der nächsten Ausgabe ankündigen können.

Prozesse gegen KurdenHeilbronn. Das Heilbronner Landgericht verurteilte in einem ersten Prozeß am 2.9. vier kurdische Jugendliche zu drei mal acht und einmal sechs Monate auf je drei Jahre Bewährung. Vorgeworfen wurde ihnen Landfriedensbruch, 500fache Nötigung, Körperverletzung. Sie sollen gemeinsam mit anderen aus Protest gegen das Verbot der Newroz-Veranstaltungen die Bundesautobahn A8 bei Heimsheim blockiert haben. 500 Autofahrer sollen im Stau gestanden haben. Dafür hatte die Staatsanwaltschaft zweijährige Bewährungsstrafen und 100 Tage gemeinnützige Arbeit gefordert.Sie saßen bis zum Prozeß im Gefängnis Heimsheim in Untersuchungshaft, wo sich noch weitere acht Kurden befinden, gegen die vom 11. bis 13. Oktober vor dem Heilsbronner Landgericht verhandelt wird. Diese werden als "Rädelsführer" angeklagt. Zusätzlich zu den Anklagepunkten des ersten Prozesses verlangt die Staatsanwaltschaft bei ihnen wegen "versuchtem Totschlag" eine Aburteilung. ()In Baden-Württemberg sitzen zur Zeit 40 Kurden in Untersuchungshaft wegen solcher oder ähnlicher Vorwürfe. ()aus: Kurdistan Rundbrief 19/94

Augsburg. Am 30.9. ist ein 24jähriger Kurde vom Landgericht Augsburg zu einer 19monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Er soll an der Autobahnblockade bei Augsburg im März diesen Jahres beteiligt gewesen sein, mit der Hunderte von Kurdinnen und Kurden gegen das Verbot ihrer Newroz-Feiern protestierten.(nach einer Meldung in der Süddeutschen Zeitung - d.Red.)

Hungerstreiks und Angriffeauf politischeGefangene in KurdistanIm Gefängnis Erzurum, in dem 900 Gefangene inhaftiert sind, wurden bei Überfällen von Schlägertrupps in dieser Woche 150 Gefangene schwer verletzt. Vor allem die Frauenzellen wurden mehrmals überfallen. Kadriye Alptekin und Hatice Aktas wurden ständig gefoltert. Allen Gefangenen wurden die Köpfe kahlgeschoren und ihre Habe verwüstet. Sie bekamen kein Wasser und durften nicht duschen. Aus Protest gegen die Überfälle zündeten sich die Gefangenen Arap Köseoglu und Selami Zoro selbst an, Resul Gerez versuchte, sich zu erhängen. Sie wurden aber alle gerettet.Am 13. September wurden 30 im PKK- Massenprozeß angeklagte Gefangene im Gerichtsflur des Staatssicherheitsgerichts Diyarbakir von Soldaten angegriffen und schwer verletzt. Sie erklärten vor Gericht, daß sie auf Transporten zu den Verhandlungen ständig gefoltert werden und am 14.9. in einen unbefristeten Hungerstreik treten, bis sich die Bedingungen bessern.Die politischen Gefangenen im Gefängnis Maras wurden am 39. Tag ihres Hungerstreiks am 1.9. bei einem Angriff der Spezialteams auf ihre Zellen schwer verletzt.Die Dev-Sol-Gefangenen im Gefängnis Buca (Türkei) traten am 14.9. in einen dreitägigen Solidaritätshungerstreik gegen die Angriffe auf die politischen Gefangenen in Kurdistan und gegen den täglich sich steigernden schmutzigen Krieg. aus: Kurdistan Rundbrief 19/94 (Quelle: Özgür Ülke, 16.9.)

Hungerstreikerklärung der

baskischen Gefangenen

Wie wir bereits vor zwei Ausgaben berichtet haben, sind die baskischen Gefangenen seit dem 4.9. im Hungersteik. Mit einer mehrseitigen Erklärung haben sie sich an die baskische Öffentlichkeit gewandt. Aus Platzgründen können wir nicht ihre vollständige Erklärung abdrucken, sondern nur den letzten Teil, in der es um ihre spezielle Situation, um das staatliche "Wiedereingliederungsprogramm" geht.

Auf der anderen Seite bereiten die, die als unsere Schlächter wirken, bereits neue Angriffe gegen uns vor, in den letzten Tagen haben sie in den Medien eine verlogene Debatte über die sogenannte Wiedereingliederung initiiert. Jede und jeder, der die Situation und die Ziele des Kollektivs der baskischen politischen Gefangenen wissen möchte, hat es leicht; man muß nichts anderes tun, als sich an uns zu wenden und unsere Antwort zu hören. Unsere Kraft ist die Einheit, und wir wollen keine Wiedereingliederung/Abschwören, in keiner Weise. Wir bereuen weder, was wir getan haben, noch was wir tun oder was wir tun werden. Wir sind ein Teil von Euskal Herria (Baskenland), und wir brauchen keine Wiedereingliederung. Wir wollen die Freiheit von Euskal Herria, denn beide Freiheiten - unsere und die unseres Volkes - gehören zusammen und weil die eine ohne die andere keinen Sinn macht. Sie sind es, die sich wiedereingliedern müssen, die der Gesellschaft entfremdeten Politiker, die "Techniker" der PNV (Nationale Baskische Partei), die die Schläge gegen uns planen, die Verantwortlichen der PSOE (Sozialistische Partei Spaniens), die sie ausführen, die Ertzainas (Baskische Polizei), die die Bürger und Bürgerinnen von Euskal Herria schlagen, die korrupten Chefs, die sich in die Parlamente von Gasteiz und Irunes flüchten In Euskal Herria haben wir den Feind im Blick, wir erleiden täglich seine "Behandlung", und wir unterscheiden schnell, wer uns zerstören möchte und wer uns helfen möchte. Die Verantwortlichen der gegen uns gerichteten Angriffe in den letzten Jahren haben Vor- und Nachnamen. Es sind viele Schlächter, die schmutzige Arbeit gemacht haben, aber unter ihnen möchten wir besonders herrn Aviles nennen, denn wir müssen immer wieder seine Erpressungen, Strafen und weiße Folter erleiden. Aber gleichzeitig ist uns bewußt, daß er nicht auf eigene Rechnung arbeitet, sondern daß seine Funktion wie die jedes anderen Schließers die ist, die repressive Politik, die in den Zentralen der PSOE und PNV gezeichnet wird, in die Praxis umzusetzen. Es ist nicht unsere Intention, der PNV die Rechnung dessen zu präsentieren, was wir erlitten haben, aber die PNV muß dem Volk den Schaden zahlen, den sie angerichtet hat.Wir sagen, daß sie neue Angriffe und neue Manöver gegen uns vorbereiten, und beim "Bedingungen vorbereiten", um diese umzusetzen, habne die Erklärungen und Überlegungen einiger Ex-Genossen in den Medien großes Echo gefunden.

Die RohheitEs wirkt wirklich beschämend, wenn die PSOE und besonders die PNV diese Fälle als tatsächliche Errungenschaften präsentieren wollen. Wenn wir das mit ihren eigenen Maßstäben messen würden, schiene es einfach traurig, daß von 600 Gefangenen nur ein Dutzend ihre Überzeugung verraten haben nach allem, was wir durchgemacht haben. Allerdings geht das Problem sehr viel weiter, schon weil sie glücklich sind, weil nach den langen Jahren von Aggressionen und Folter einige wenige umgefallen sind. Wie es scheint, sind sie stolz darauf, diese als Menschen und als Kämpfer und Kämpferinnen ausgelöscht zu haben, und davon leiten sie ab, daß sie weitermachen müssen, uns zu erdrücken Mutige Angeberei! Seit Jahren greifen sie uns an, und weil einige zusammengebrochen sind, wollen sie das als große Nachricht präsentieren! Sie sind glücklich angesichts einer Rohheit, die es wert wäre, vor jedem internationalen Tribunal verurteilt zu werden. Auf jeden Fall aber rechtfertigt diese Rohheit von PNV und PSOE nicht das Verhalten, das diese Ex-Genossen gezeigt haben. Es ist begreiflich, daß sie zerschlagen sind, nachdem sie so viele Strafen durchlaufen mußten, es ist verständlich, daß sie sich nicht stark genug fühlen, weiterzumachen, aber von da bis hin dazu, dem Feind verschiedene Ebenen der Kollaboration anzubieten mit der Intention, rauszukommen, klafft ein tiefer Abgrund. Diese Ex-Genossen haben einen Weg gewählt, im Tausch zu persönlichen Vorteilen den anderen Gefangenen zu schaden, und das ist keinesfalls zu akzeptieren. Aber das Problem ist noch tiefer, denn dem Kollektiv zu schaden heißt, daß der Prozeß der Befreiung geschädigt ist, und in der letzten Instanz ist es unser Volk, das den Tribut dafür zahlt. Es gibt keinen Ausdruck dafür, daß ein Mensch, der sich selbst als Abertzale und Kämpfer begreift, so handelt.Wir müssen mit dieser Überlegung, die wir veröffentlichen, zum Ende kommen und wollen unsere Verpflichtung, für Euskal Herria weiterzukämpfen, bekräftigen.Allerdings werden wir nicht bei guten Worten bleiben, und wir rufen die baskische Gesellschaft auf, einen neuen Schritt vorwärts zu tun. Angesichts der Situation, die Euskal Herria erlebt, und der Angriffe, die wir erleiden, haben wir uns entschieden, einen Hungerstreik zu machen. Von Mitternacht des 3. September an wird die Hälfte des Kollektivs den Hungerstreik beginnen, die andere Hälfte wird ihn später weiterführen.Jo ta ke irabazi arte!(aus: egin, 4.9.94)

ProzeßtermineAntifa-Prozeß in BerlinDer Prozeß gegen fünf Antifaschisten und eine Antifaschistin wegen des Todes des faschistischen Funktionärs Kaindl findet statt im Kriminalgericht Moabit, Turmstraße, Saal 500, Beginn jeweils 9.00 Uhr. Die bisher feststehenden Prozeßtermine (jeweils dienstags und freitags): 7.10., 11.10., 18.10., 21.10., 25.10., 28.10., 1.11., 4.11., 8.11., 11.11., 15.11., 18.11., 22.11., 25.11., 29.11., 2.12., 6.12.

Prozeß gegen Stefan aus NürnbergAm 13.10. um 13.30 Uhr findet im Amtsgericht Nürnberg/Fürth im sog. Sicherheitssaal 619 ein Prozeß gegen Stefan statt. Er ist wegen Körperverletzung (er soll einem Polizisten in den kleinen Finger gebissen haben) und Widerstand angeklagt. Das bezieht sich auf eine Nacht im November 1993, kurz nach dem Verbot der kurdischen Organisationen und Vereine, als in Nürnberg der kurdische Verein "zurückbesetzt" wurde. Draußen waren die ganze Nacht relativ viele Leute, und wegen eines kleinen Lagefeuerchens wurde die Straße von der Polizei ein Stück geräumt.Am 25.10. läuft gegen Stefan ein weiterer Prozeß, Beginn 9.00 Uhr, Ort siehe oben. Am 23.6.93 wurde Stefan wegen angeblichen Rufens einer Parole "BRD- Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt" vom Nürnberger Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen Óa 30,- DM verurteilt. Den Straftatbestand des @90a (Verunglimpfung des Staates) sah das Amtsgericht erfüllt. Jetzt, eineinhalb Jahre später, läuft der Berufungsprozeß.

TermineStuttgart. 9.10., 19.00 Uhr, Clara-Zetkin- Heim, Gorch-Fock-Straße, S-Sillenbuch, Veranstaltung mit Hans Gasparitsch (Mitglied der VVN): gezeigt wird sein Film Micha. Ein Film über KZ und antifaschistischen Widerstand mit anschließender Diskussion.Wiesbaden. 14.10., 14.00 Uhr, Mauritiusplatz, Kundgebung im Rahmen der Aktionskette "Freiheit für alle politischen Gefangenen".Kiel. 5.11., Asmus-Bremer-Platz, 12.00 Uhr, Demonstration für die Freilassung von Irmgard Möller.

Köln: Wanderausstellung Marc Rudin(Jihad Mansour) Plakate aus Palästinavon 1979 bis 1991Alle Plakate von Marc Rudin werden ausgestellt vom 7.10. bis 9.10. im: Rhenania, Theaterraum, Bayenwerft.Die Ausstellung wird begleitet von den noch folgenden Diskussions- und Informationsveranstaltungen:7.10., 20.00 Uhr, Rhenania, Veranstaltung: MitarbeiterInnen der Schweizer Ausstellungsgruppe erzählen über die Geschichte und die Arbeit von Marc Rudin; 8.10., 18.00 Uhr, Rhenania, Informations- und Diskustung zur aktuellen Situation nach dem Gaza-Jericho-Abkommen mit einem Genossen aus Palästina, anschließend palästinensische Live-Musik mit Marwan aus Wien; 10.10., 21.00 Uhr, LC-Cafe, Videofilm (ca. 70 min) zu Sabra und Shatila; 21.10., 20.00 Uhr, Ökobildungswerk, Veranstaltung: Gaza-Jericho-Abkommen - Ein Jahr danach. Der Journalist Abed Othman zieht Bilanz.

Solidaritätstage zum Antifa-Prozeß in Berlin13.10., 18.00 Uhr, TU-Gebäude, Lesung mit Nanni Belestrini; 31.10., 18.00 Uhr, vorauss. Roter Salon der Volksbühne, Lesung mit Mauricio Rosencof aus seinem neuen Roman.

Angehörige Kinder malenfür politische GefangeneWir werden in der nächsten Zeit viel Geld für die Prozeßarbeit brauchen, sind aber in der gücklichen Lage, nicht einfach um Spenden bitten zu müssen. Wir haben die bunten Postkarten als Gegenleistung. 16 Stück 20 DM einschl. Porto. 3 Serien und mehr 18 DM je Serie plus 5 DM Porto. Bitte Vorauskasse oder Scheck. Bestellungen an: Angehörige der potischen Gefangenen, PLK 050205, 65929 Frankfurt a.Main.

N Zur Situation von Christine Kuby, Gefangene aus der RAFN Beginn des Antifa-Prozesses in Berlin: Bericht, Prozeßerklärung von Fatma Balamir, Erklärung der internationalen ProzeßbeobachterInnenN Nach dem Verbot des Marsches der Kurdinnen: Eskalation eines KonfliktesN Aus der Hungerstreikerklärung der baskischen Gefangenen

"Das Unsägliche geht, leise gesagt, übers Land: schon ist Mittag." (Ingeborg Bachmann)

Zur Situation von Christine Kuby,

politische Gefangene in Lübeck

hristine Kuby ist seit über 16;/2 Jahren gefangen.Christine ist in den letzten Jahren schwer erkrankt: Sie hatte mehrere Bandscheibenvorfälle, die von Mal zu Mal schlimmer werden. Ihre gesundheitliche Situation ist seit drei Monaten so zugespitzt, daß wir jetzt an die Öffentlichkeit gehen.Im Januar 1978 wurde Christine verhaftet und später zu lebenslänglicher Haft verurteilt wegen "versuchten Mordes" an zwei Polizisten. Keiner der Polizisten war ernsthaft verletzt worden; Christine lag mit einer Schußverletzung am rechten Arm wochenlang im Knast-Krankenhaus. Die damalige politische Situation war geprägt von der Konfrontation zwischen der RAF und dem Staat, die '77 in der Schleyer-Entführung und dem Tod der Stammheimer Gefangenen aus der RAF eskalierte. Die RAF stellte die Machtfrage an der Frage der Gefangenen. Der Staat schuf nach der Niederlage der RAF in dieser Konfrontation ein Klima, das unter dem Namen "Deutscher Herbst" in die Geschichte eingegangen ist. Gegen die Illegalen der RAF wurde eine Hetze betrieben, sie seien unpolitische Killer, die nur drauflosballern wollten: Damit wurden die Todesschüsse gegen Elisabeth van Dyck, Michael Knoll, Willy-Peter Stoll vorbereitet; Rolf Heißler überlebte schwer verletzt. In dieser Situation verhaftet zu werden, bedeutete, erschossen zu werden. Christine hatte den Vorteil, daß sie nicht gleich erkannt wurde ()Christine gehörte zu denen, über die die Legende verbreitet wurde, sie wären wegen der Gefangenen - aus Empörung über die Folter - in die Illegalität gegangen. (Die in der DDR verhafteten ehemaligen RAF-Mitglieder, die heute mit ihren Aussagen dafür sorgen, daß ein Teil der politischen Gefangenen mit kalten Todesurteilen belegt wird, wie zuletzt Heidi Schulz, haben dieser Legende in den letzten Jahren Nahrung gegeben.) Dies trifft bei keiner und keinem derer zu, die nicht abgeschworen haben. Christines Entscheidung kam aus einer Analyse der faschistischen Kontinuität in der BRD und aus dem Begriff, daß der Faschismus mit imperialistischer Machtpolitik zu tun hat. Die Entscheidung zum bewaffneten Kampf war bestimmt aus der Einsicht, daß der Imperialismus ein weltweites System ist, dem eine internationalistische Bewegung in der Metropole nur etwas entgegensetzen kann, wenn sie sich auf die Befreiungsbewegungen im Süden bezieht und auf einen gemeinsamen Kampf aus ist. In der aus ihrem Internationalismus und Antifaschismus entwickelten umfassenden Vorstellung von Befreiung gehört die Freiheit der Gefangenen selbstverständlich dazu. Christine soll auch weiter im Knast bleiben, weil sie an diesem politischen Begriff festhält.Die Justiz hat in dieser Auseinandersetzung zwischen dem Staat und Gefangenen die Funktion, die Auseinandersetzung zu entpolitisieren und die Kriegsführung des Staates zu verschleiern. Nach 15 Jahren stellte Christine zusammen mit anderen Gefangenen aus der RAF, die seit über 15 Jahren gefangen waren, im November '92 einen Antrag auf Haftentlassung. In der Anhörung wurde eine besondere "Schwere der Schuld" festgestellt, sie sollte 16 Jahre sitzen. Die sind mittlerweile auch verstrichen, weil sie - wie die anderen politischen Gefangenen - eine psychiatrische Begutachtung nicht mitmachen will. Sie soll vollständig ihre Überzeugungen ablegen. Christine selbst sagt dazu: "Gegen alle von uns laufen Verfahren, die einen haben die Kronzeugenprozesse, die anderen die Entlassungsverfahren - beides mit dem Ziel, uns zu vernichten, wenn wir nicht kooperieren."Im Oktober '93 unterschrieb Christine zusammen mit 11 anderen Gefangenen die Erklärung zum Bruch mit den in Celle einsitzenden Gefangenen aus der RAF und mit der RAF. Die Gefangenen sind nicht bereit, sich und ihre Politik in Verhandlungen mit dem Staat zu verkaufen.Christine befindet sich seit dem Tag ihrer Festnahme in Isolationshaft. Nach zwei Jahren Einzelisolation kam sie nach Lübeck in die Kleingruppe, wo sie heute mit Irmgard Möller und Hanna Krabbe zusammenlebt. Christine war also die längste Zeit in Kleingruppenisolation, die eben auch Isolation ist und massive Folgen für den Organismus hat. Auch Irmgard ist nach 22 Jahren Sonderhaftbedingungen am Ende ihrer körperlichen Ressourcen. Die Folgen der Isolation sind unterschiedlich; es gibt zwar ähnliche, aber nicht vollkommen gleiche Reaktionen des menschlichen Organismus.1991 hatte Christine den ersten massiven Bandscheibenvorfall. Ein Arzt stellte damals eine vorzeitige Alterung des Bandscheibengewebes fest, was eine Folge der Haftbedingungen ist. Seitdem verschlechtert sich ihre gesundheitliche Situation fortlaufend, trotz ihrer ganzen Anstrengung, dagegen alle ihre Kräfte zu mobilisieren; trotz aller Behandlungsmethoden, die eine Eskalation ihrer Krankheit nur verzögern, aber nicht verhindern konnten, weil sich am Wesentlichen - der Streßsituation in der Sonderhaft - nichts geändert hat.Das allerdings ist nicht Zufall, sondern Ziel der Haftbedingungen, die spätestens seit 1972 den Charakter eines ausgeklügelten Programms haben, um die Gefangenen zu brechen. In den ganzen Jahren ist das nicht gelungen, und es entspricht dieser Vernichtungslogik, an den Folgen der Haft erkrankte Gefangene nicht freizulassen. Es geht dabei nicht nur um die langen Jahre für Christine, Irmgard, Hanna, Lutz (Taufer), Knut (Folkerts), Karl- Heinz (Dellwo) und Stefan (Wisniewski) - die 15 Jahre haben in diesem Jahr auch Rolf-Clemens (Wagner) und Rolf (Heißler) erreicht, und im nächsten Jahr Sieglinde (Hofmann), die dann nicht freikommen soll, sondern auch per Kronzeugenverfahren ein faktisches Todesurteil kassieren soll. Die Logik der Jahre berücksichtigt nämlich nicht das Ziel der Haft: die Vernichtung des politischen Gegners. Zusammen sitzen die drei Frauen in Lübeck über 58 Jahre im Knast und haben ihr Bewußtsein und ihre Entscheidung für den Kampf um Befreiung verteidigen können. Die Isolationshaft fragt nicht nach den Jahren. Die Folgen treten schnell und massiv auf: Zu Beginn des Stammheimer Prozesses waren die Gefangenen nach drei Jahren Haft verhandlungsunfähig - der Prozeß fand trotzdem statt.So wird Christines Krankheit von staatlicher Seite auch konsequent dazu genutzt, Druck auf sie auszuüben, damit sie abschwört. So war ihre gesundheitliche Situation zur Zeit der Anhörung im Januar '93 bekannt, und es war klar, daß sich bei einer Fortsetzung der Haft ihre Situation so zuspitzen würde, wie es jetzt eingetreten ist. Aktuell ist die Gefahr von Lähmungen akut, wobei es dann sofort zu einer Notoperation kommen müßte. Unter Knastbedingungen schlagen die Maßnahmen, die bisher ihre Erkrankung verlangsamten, nicht mehr an. Bestimmte Medikamente haben zum Teil keine Wirkung mehr, dafür aber neue Nebenwirkungen. Christine nimmt zur Zeit starke Medikamente, die sie in ihrer Konzentrationsfähigkeit so stark beeinflussen, daß sie keiner Aktivität mehr kontinuierlich nachgehen kann. Gehen kann Christine seit Monaten fast nur auf Krücken; sitzen kann sie nur auf einem Gymnastikball; die meiste Zeit liegt sie. Nach einer Stunde Besuch ist sie tief erschöpft. Je länger sie jetzt noch im Knast bleibt, desto schwieriger und komplizierter wird ihre Rehabilitation in Freiheit. Hinzu kommt bei ihr, wie den anderen politischen Gefangenen, daß ihre physischen Reserven einfach zu Ende sind, der gesamte Organismus so durcheinander ist, daß die dauernde Anstrengung und Anspannung durch die extremen Knastbedingungen und die Krankheit sich gegenseitig potenzieren. Das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, daß bestimmte Medikamente und Behandlungsmethoden nicht mehr anschlagen.Auch nach Aussagen der von uns befragten MedizinerInnen und der behandelnden Érzte ist eine Rehabilitation im Knast oder durch eine Haftunterbrechung, nach der sie wieder in den Knast müßte, gar nicht möglich. Eine entsprechende Therapie dauert Jahre, und - wie ein Arzt es ausdrückte - "die Lebensumstände müssen dauerhaft geändert und die Möglichkeit zur Lebensumstellung auf Jahre garantiert sein". Schon um überhaupt herauszufinden, welche Therapie nachhaltig etwas zum Besseren verändert, muß Christine freigelassen werden. Ihre Freilassung ist nach Aussagen der Mediziner die erste Voraussetzung, um überhaupt eine Rehabilitation einleiten zu können.Daß Christine noch nicht draußen ist, obwohl ihre Situation den Behörden bekannt ist und sie wissen, daß eine adäquate Behandlung im Knast nicht möglich ist, ist Ausdruck der gleichen Strategie, wie sie auch gegen Heidi und Irmgard und andere Gefangene gefahren wird: Durch die Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung wird bei ihnen verhindert, daß es überhaupt zu einer Diagnose bzw. einer adäquaten Behandlung kommt, mit dem Ziel, ihre gesundheitliche Situation immer weiter zu eskalieren, um sie mit der gesundheitlichen Zerstörung erpressen zu können. Es ist bekannt, daß alle politischen Gefangenen an den gesundheitlichen Folgen der Sonderhaftbedingungen zu tragen haben.Die Eskalation der Situation von Christine ist Ausdruck des gesamten Vorgehens des Staates gegen die Gefangenen. Diese Dialektik politisch zu begreifen und zu nutzen, wird unsere Aufgabe sein.Diese Dialektik ist im konkreten oft ein Widerspruch, denn ein Durchbruch für alle Gefangenen, der notwendig wäre, um Christine, Heidi, Irmgard und alle anderen herauszubekommen, ist zur Zeit nicht in Sicht. Die andere Seite des Widerspruchs ist jedoch, daß Christines Situation unerträglich und gefährlich ist. Fakt ist, daß Irmgard und Hanna Christine in dieser zugespitzten Situation kaum noch übers Konkrete hinaus helfen können und auch die MedizinerInnen für Christine, solange sie noch im Knast ist, nichts mehr tun können.Notwendig ist Christines sofortige und bedingungslose Freilassung.Nach den ganzen Jahren der Isolation kann es um nicht mehr und nicht weniger gehen, als die physische Desintegration der Gefangenen zu verhindern und dafür zu kämpfen, daß sie lebend aus dem Gefängnis kommen! Bis dahin müssen die Gefangenen zusammenkommen können, damit ein minimaler Schutz gewährleistet ist.Ende September '94, Tjark Kunstreich

Herausgeber: Angehörige und FreundInnen politischer Gefangener in der BRD, Postgerkarte 050205, 65929 Frankfurt/M. Erscheint vierzehntäglich bei GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein/Hamburg m.b.H., Palmaille 24, 22767 Hamburg. V.i.S.d.P.: Jeannette Hülbig. Redaktionsschrift und Bestellungen: GNN-Verlag, Palmaille 24, 22767 Hamburg, Tel.: (040)381393, Fax: (040)3898331 (mit Empfängervermerk). Einzelpreis: 1,20 DM. Ein Halbjahnement kostet 28,60DM, ein Halbnement 39DM, Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei einer Bestellung ab 3 Stück 30% Rabatt, ab 50 Stück das Heft zu 0,75 DM, jeweils plus Versandkosten. Bei Bestellungen bitte Einmacht beifügen oder Überweisung auf das folgende Verlagskonto: Hamburger Sparkasse, BLZ 20050550, Konto-Nr. 1330/110055. - Herstellung und Drucklegung: GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein/Hamburg m.b.H.Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist das Angehörigen-Info so lange Eigentum des Absenders, bis es dem Gefangenen ausgehändigt wird. "Zur-Habe-Nahme" ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info dem Gefangenen nicht perlich ausgehändigt, ist es dem Absender mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken.Spendenkonto der Angehörigen: Sonderkonto Kiener, Landesgirokasse Stuttgart, BLZ 60050101, Kt.-Nr. 5454194.