Jedem das Seine

Dieser Spruch steht am Eingang des Konzentrationslagers in Buchenwald bei Weimar. Damit "begrüßten" die deutschen Herrenmenschen die Opfer ihrer menschenverachtenden Phantasien und Praktiken zu ihrem letzten Märtyrium.

"Jedem das Seine" ist der überaus geschmackvolle Titel des Werbeplakates des Coburger Convents (CC) und der Stadt Coburg für eine "gute Partnerschaft mit langer Tradition". Am Pfingstwochenende hielten die schlagenden Verbindungen der im CC organisierten Turner- und Landsmannschaften den alljährlichen Haupt-Convent zum 130. Male in Coburg ab. Ausrichterin des diesjährigen Spektakles war die Hamburger Landsmannschaft Hammonia-Marko Natangia. Das Motto lautete: "Der freie Bürger - Gestalter der offenen Gesellschaft". Dies mag sich beim ersten Hinschauen ganz nett lesen. Doch bei der sich immer noch steigernden Qualität des Geschichtsrevisionismus im wertkonservativen Spektrum, dem Auswerten der Inhalte und dem praktischen Wirken der sog. Eliten läßt sich die Bedeutung der Phrase auf den "berühmten" deutschen Punkt bringen (Näheres dazu in den Anti-CC-Blättern Nr. 3; erhältlich ab 1.Juli 1998 über Gruppe Archiv, Postfach 2704 in 96416 Coburg, für DM 5 + Porto - Reinerlöß geht in die Prozeßkasse!!).

Nach fünf Jahren Pause wurde den Korporierten unter der Losung: "Wir brauchen keine Eliten, sondern gleiche Bedingungen für ALLE!" demonstrativ begegnet. Wie nicht anders zu erwarten war, gängelten die vorauseilenden Gehorsamen des Ordnungsamtes die AnmelderInnen der Demonstration. Obwohl die Anmeldung bereits Wochen vor Pfingsten erfolgte, erging der Bescheid der Stadt Coburg erst einen Tag vor dem Demo-Termin. Die Route wurde empfindlich eingeschränkt, eine Zwischenkundgebung vor dem Verlag des rechtsextremistischen Theorieorgans Nation und Europa des Peter Dehoust (Deutsche Liga für Volk und Heimat; früher NPD) verboten, sowie alle anderen Beschränkungen wie keine Seitentransparente usw. festgeschrieben. Zum Reperoire der Gängelei gehörte die Nötigung zu einem "Koordinationsgespräch" mit den beiden Ordnungsamtbütteln und drei Polizeiverantwortlichen. Hier wurden die AnmelderInnen massiv aufgefordert, die Demo-Anmeldung zurückzunehmen. "Sie verderben sich ihren weiteren Lebensweg ... Sie verschulden sich wegen der Wiedergutmachung der zu erwartenden Schäden .." usw. Zwanzig OrdnerInnen mußten mit Namen und Anschrift gemeldet werden. Die RednerInnen und die Inhalte der Beiträge sollten benannt werden. Dies konnte als einziges abgewehrt werden. Nach dem mißlungenen Versuch noch ein paar "Spaltpilze" im Demo-Bündnis "einzupflanzen", wurde seitens des Ordnungsamtchefs Behrwind als letzte Verhinderungswaffe die Gebührenkeule eingesetzt. Er veranschlagte DM 200 als Meldegebühr und wies darauf hin, daß der Kostenrahmen noch nicht ausgeschöpft wäre.

Trotz Nichterwähnung der regionalen Medien (die in den vergangenen Jahren ein Fehlen der Anti-CC-Demostration beklagten), beliebiger Mobilisierungsaufrufe in den sog. linken Medien (bis auf ein paar Ausnahmen wie GNN-Verlag oder was lefft, Erlangen) und div. Wolkenbrüche versammelten sich am Pfingstsamstag ca. 250 Menschen (hauptsächlich aus dem antifaschistischen Politikspektrum) zum Protest. Hunderte von PolizeibeamtInnen wurden unter der Einsatzleitung des hiesigen Polizeidirektors Siegfried Mühldorfer (CSU) zur Unterstützung der berüchtigten Coburger Einheiten zur alljährlichen Notstandsübung zusammengezogen. Die Provokationen gegen die anreisenden Linken liefen von Anfang an. So wurden z.B. ankommende Zugreisende auf die Bahnhofstoilette verschleppt, wo sie sich bis auf die Unterhose ausziehen mußten. Hier gab es auch gleich die erste Festnahme. Bei einem Ankommenden wurde zur Vermummung geeignetes Material beschlagnahmt. Gut bewacht zogen die DemonstrantInnen spürbar kräftig der "verkehrs- und sicherheitstechnisch vertretbaren" Route entlang. Genehmigte Zwischenkundgebungen wurden abgehalten. Die Redebeiträge erregten Unmut bei den nicht-links sympathisierenden Demo-BeobachterInnen, konnte befriedigend festgestellt werden. Ein Stau konnte zu einer weiteren Kurzkundgebung genutzt werden, da mensch sich zufällig gerade auf der Höhe des Hauses befand, in dem der rechtsextreme Verleger und Multi-Funktionär Peter Dehoust wohnt. Dies geschah zum Mißfallen des Ordnungsamtgewaltigen. Ein Ordnungsverfahren gegen die Anmelderin soll eingeleitet werden. Ferner soll sie auch für das "Nichtunterbinden" des Rufens "beleidigender" Parolen belangt werden. Mittlerweile liegt eine Vorladung des Staatsschutzbeamten M. Kellner vor.

Nach der Schlußkundgebung formierten sich ca. 50 AntifaschistInnen und InternationalistInnen zu einer Spontan-Demo. Die Menschen wollten mit einer Kundgebung vor einem der örtlichen Nazi-Treffs (ein Bistro in der FußgängerInnen-Zone) öffentlich machen, was von diesem Treffpunkt aus für Un- und Straftaten ausgehen. Außerdem war beobachtet worden, daß rechte Gewalttäter dorthin mobilisiert hatten (auch überregional). Etliche hatten sich bereits dort versammelt und heizten sich für angekündigte "deutsche Aktionen" auf. Auch darüber sollte geredet werden. Doch dazu kam es nicht. Bereits kurz nachdem die zur Spontan-Demo Versammelten los liefen, war über Polizeifunk zu hören: "Da kommen wir ja heute doch noch zu einer Übung". Die begann dann vor dem genannten Bistro. Ca. 20 Faschos pöbelten herum und die OrdnungshüterInnen drängten die DemonstrantInnen unter Gewaltanwendung ab. Die Wut eines Betroffenen war so groß, daß er ein Werbeschild in den offenen Eingang der Kneipe warf. Schaden wurde keiner angerichtet. Außer durch die Verhaftung und die damit verbundene Auseinandersetzung zwischen den prügelnden Beamten und den sich schützenden Linken. Zwei Zugreifer hatten den vermeintlichen Werfer bereits verhaftet, als weitere Freunde und Helfer dazu eilten. Einer sprang den Verhafteten von hinten an. Der fiel zu Boden und hob die Hände. Es wurde geprügelt, getreten und am Boden entlang gezerrt, in Richtung Bus. Er wurde durch die halboffene Tür gestoßen und stürzte wieder. Die Beine hingen noch heraus. Beamte rissen ihn nochmals hoch und warfen ihn wieder in den Bus. Damit war für den Gefangenen die üble Farce allerdings noch nicht beendet. Doch dazu später.

Die Randale-Geilheit diverser Beamter erregte nicht wie sonst einen schalen Beigeschmack, sondern Ekel und Wut. Durch willkürlich in die Menge geführte Tonfa-Hiebe und -stiche erhielten etliche Menschen Verletzungen. Ein anwesender Arzt attestierte dies. Ein Beamter verletzte sich ebenfalls. Die örtlichen Medien berichteten von einem Stein- bzw. Flaschenwurf. ZeugInnen für diese Darstellung konnte der EA nicht ausfindig machen. Die Medien allerdings auch nicht.

Ein Berichterstatter der Jungen Presse Bayern e.V. (JPB), der die Geschehnisse per Fotokamera dokumentierte, wurde umgerissen, in Handschellen gelegt und abgeführt. Der Gefesselte wollte im Polizeibus verbal zur Klärung der Angelegenheit beitragen. Mit den Worten: "Haltīs Maul", schlug der Zugriffsbeamte J.M. (CSU; Arbeitskreis Polizei der CSU) den Fotografen ins Gesicht und verletzte ihn. Der Vorsitzende der JPB erstattete mittlerweile Anzeige. Nach der "Übung" wurde noch ein Vertreter der Roten Hilfe in der Innenstadt verhaftet. Tatvorwurf: Körperverletzung, begangen an einem Zivilbeamten des Staatsschutzes. Alle hier nur kurz angerissenen Vorfälle wurden vom EA dokumentiert. Die Aussagen wurden entsprechenden RechtsanwältInnen überstellt. Die Prozeßgruppe Coburg wurde für künftige (Re-)Aktionen reaktiviert. Eine Broschüre (die schon erwähnten Anti-CC-Blätter Nr. 3) für Unkosten ist in Arbeit.

Bis auf den schwer drangsalierten vermeintlichen Werfer wurden die Verhafteten nach ED-Mißhandlung usw. wieder entlassen. Mit ihm wurde das Schnellverfahren "geübt". Nach einer richterlichen Vorführung (Vorwurf: Landfriedensbruch, Widerstand, Sachbeschädigung usw.) am Sonntag in Coburg (keine Verhaftung bei der Spontan-Demo im Gericht!) wird Haftverlegung in die JVA Kronach angeordnet. In Kronach ist dann auch am Mittwoch die Verhandlung. Kein Landfridensbruchvorwurf mehr dabei - Urteil: Eine Woche "Jugendarrest". Dieser hebt sich gegen die fünf Tage Schnellverfahrenshaft auf. Der Gefangene kann mit den UnterstützerInnen abziehen.

Es gab noch mehr eklatante Vorfälle über das Wochenende, wie z.B. die Festnahme eines jungen Mannes am Pfingstmontag (10.30 Uhr) durch den Beamten J.M. Dieser vermutete, daß der Verhaftete evtl. eine der CC-Veranstaltungen stören könnte und ließ gegen ihn "Unterbindungsgewahrsam" anordnen. Das dauerte dann bis zum nächsten Morgen (5.00 Uhr). Während dieser Zeit gab es für den Eingesperrten dreimal ca. 0,1 l Wasser (später mußte aus der Toilette getrunken werden) und zwei Wurstbrote am Abend. Das Essen mußte mit DM 8 bezahlt werden.

Die sog. Mahnstunde des CC am Montag Nacht wurde von über 100 DemonstrantInnen gut gestört. Der Redebeitrag muß deshalb erstmal in den CC-Blättern nachgelesen werden, bevor wir darüber berichten können.

Am Pfingstdienstag feiert der CC mit einem Massenbesäufnis ("Marktfest mit der Coburger Bevölkerung") den Abschluß des Kongresses. An diesem Tag sammeln sich wieder Fascho-Skins in dem erwähnten Bistro, saufen sich in "Stimmung" und streifen dann pöbelnd durch die Innenstadt. Vor dem örtlichen McKotz setzen sie eine Gruppe türkischer Jugendlicher unter Druck. Die wehren sich allerdings gut, so daß die Faschos mit zwei stark Verletzten abziehen müssen. Am späten Abend versuchen die Nazis, nachdem sie von außerhalb als Verstärkung noch ca. 40 Rechtsextreme mit Hunden und Waffen mobilisieren konnten, ein türkisches Lokal zu überfallen. Dies wird tatsächlich durch einen Polizeieinsatz verhindert.

Es ist schwierig, in kurzer Fassung eine Gesamtdarstellung rüberzubringen. Deshalb machen wir auch eine Broschüre draus. Wir gehen dann nochmal auf das Pfingstwochenende ein, das Schnellverfahren und was wir so weiter vorhaben.

liebe grüße, gruppe archiv, juni 1998