Editorial
Sozialproteste /
Landtags-Wahlen
Antifa Infoblatt #64 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! Auf ein neues...
 
Hatten wir redaktionsintern bereits vor der Sachsenwahl diskutiert, ob wir ein Cover mit der Schlagzeile »Jetzt kommt der Winter der Anständigen« in Bezugnahme auf das zu erwartende Wahlergebnis der NPD auswählen sollten, so wurden wir bereits eine Woche nach der Wahl förmlich dazu gezwungen, auf diesen Titel zu verzichten. Bereits am Wahltag wurde deutlich, dass ein Ergebnis von 9,2% für die NPD niemanden mehr so richtig schockiert. Da ist es schon besser, wenn man gleich die Stimmenanteile von NPD und PDS auf satte 30% zusammenaddiert und einen Trend in Richtung Extremismus anprangert. Konsequenterweise werden dann natürlich auch die selben Analysen und Konsequenzen aus dem Abschneiden der DVU in Brandenburg und der NPD in Sachsen gezogen. Besonders ärgerlich für uns ist dabei vor allem, dass diese verblödende Ignoranz quer durch die deutsche Medienlandschaft geht. Einig scheinen sich alle Medien, bis auf einige wenige Ausnahmen, dass es nun darum gehen müsse, »die Rechten zu entzaubern«. Entzaubern? Wie aber will man eine Partei wie die NPD, die hauptsächlich aufgrund ihrer neofaschistischen Programmatik und ihrer rassistischen Einstellung gewählt wurde, entzaubern? Immerhin geben in Umfragen immer wieder um die 20% der Sachsen rechtsextreme Einstellungsmuster zu erkennen. Gilt es ihr also nachzuweisen, dass sie an sich gar nicht wirklich rassistisch und gar nicht so doll antisemitisch ist? Wohl kaum! Und wie will man eine Partei wie die DVU entzaubern? Eine Partei die sich bereits eine ganze Legislaturperiode im Brandenburger Landtag selbst entzaubert hat, indem sie größtenteils auf das aktive Betreiben von öffentlich wahrnehmbarer Politik verzichtet hat und auch keinerlei Strukturen vor Ort aufgebaut hat. Auf diese Fragen geben aber die JournalistInnen und PolitikerInnen, die am lautesten nach einem Entzaubern schreien, keine Antwort. Vielleicht dauert es auch bis zur nächsten Wahl in Sachsen, bis gemerkt wird, dass das »Konzept Entzaubern«, was eigentlich bloß »das Problem wegschieben« meint, einfach nicht so recht funktionieren wollte. Wenn es bis dahin die NPD geschafft hat, ihre Strukturen in Sachsen noch weiter auszubauen, finanziert mit monatlich weit über 100.000 Euro staatlichen Fraktionsgeldern und Aufwandsentschädigungen, und noch mehr über Jahre lang politisierte Jugendliche das Wahlalter erreicht haben. Dann wird die eigentlich schon lange entzauberte NPD ihre Ergebnisse noch weiter ausgebaut haben und weiter auf eine erneute Entzauberung durch Medien und Politik warten. Vielleicht werden es dann engagierte Politiker und Medienvertreter aber auch merken, dass sich die NPD einfach nicht entzaubern lassen wollte und wir werden dann in großen Buchstaben sowohl auf Regierungspressemitteilungen als auch auf den Titelseiten von Spiegel, Bild & co lesen: "Wann kommt das NPD-Verbot?".
 
Bis dahin bleibt uns und anderen AntifaschistInnen aber immer noch genug Zeit, vehement auf das Problem von rassistischen, antisemitischen und autoritären Einstellungsmustern in der Gesellschaft hinzuweisen. Dabei war und ist es natürlich nie unser Konzept gewesen, die WählerInnen von NPD & Co. darüber aufzuklären, wen sie da eigentlich wählen und unterstützen. Uns kommt es weiterhin darauf an, AntifaschistInnen vor Ort durch Einschätzungen und Fakten bei einem aktiven Kampf gegen die Einstellungen zu unterstützen. Nach dem, in anbetracht der rassistischen und nationalistischen Regierungs«olitik, von vorneherein zum Scheitern verurteilten »Aufstand der Anständigen« und der in dieser Zeit massiv gestärkten extremen Rechten sollte es an sich auch jeder Provinzpolitiker und jede Provinzpolitikerin verstanden haben, dass eine Stärkung von nicht rechter Jugendkultur und eine Unterstützung von Initiativen vor Ort dringend geboten ist. Doch wenn bereits am Wahlabend durch Angela Merkel PDS und NPD zu einer einzigen "extremistischen Gefahr" addiert werden, beisst sich an dieser Stelle die Katze in den Schwanz. Anstelle der Stärkung einer linken Gegenkultur werden wohl eher wieder unpolitische Programme gegen »Gewalt und Extremismus« aufgelegt, die als Adressaten eine, im Osten kaum vorhandene, Zivilgesellschaft haben.