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Geschichte »Pflicht nach rechts« Nazis und »Nationale Sammlung«: Die FDP in den fünfziger Jahren Im Sommer 1950 trafen sich der nordrhein- westfälische FDP-Landtagsabgeordnete Ernst Achenbach und Werner Naumann, Mitarbeiter einer Düsseldorfer Import/Export-Firma zu einem konspirativen Treffen. Beide hatten während des Nationalsozialismus Karriere gemacht. Achenbach, der mittlerweile eine Rechtsanwaltskanzlei führte, war während des NS in hohen Positionen im diplomatischen Dienst tätig gewesen. Naumann hatte es sogar zum Staatssekretär im Propagandaministerium gebracht.
 
Nach Kriegsende 1945 tauchte der SSHauptsturmführer daher für die folgenden vier Jahre unter. Dennoch verfügte Naumann offenkundig weiter über umfangreiche Kontakte zu ehemaligen Funktionsträgern des NS-Regimes. An diesen Verbindungen nun zeigte sich Achenbach während des Treffens sehr interessiert. Den Inhalt des Gesprächs notierte Naumann in seinem Tagebuch. Demnach plante der Rechtsanwalt folgendes: »Um den Nationalsozialisten [...] einen Einfluß auf das politische Geschehen zu ermöglichen, sollen sie in die FDP eintreten, sie unterwandern und ihre Führung in die Hand nehmen.« Mit nur 200 Mitgliedern sei es möglich »den ganzen Landesverband zu erben«. Naumann zeigte sich angetan von Achenbachs Plänen und hatte schon ähnliche Überlegungen angestellt. Tatsächlich sollte die Unterwanderung der nordrhein-westfälischen FDP durch ehemalige NS-Funktionäre derart dramatische Formen annehmen, dass sich die britische Militärverwaltung Anfang 1953 zum Eingreifen genötigt sah. Naumann und einige seiner Kameraden wurden von britischen Sicherheitsoffizieren festgenommen. Die Ereignisse wurden als »Naumann-Affäre« bekannt. Die Bezeichnung gibt mit ihren personalisierenden und verschwörungstheoretischen Implikationen die vergangenheitspolitische Bedeutung dieser Vorgänge aber nur unzureichend wider. Die »Naumann-Affäre« war weit mehr als lediglich Versuche von Nazi- Kadern, den Landesverband der nordrhein- westfälischen FDP zu »unterwandern«.
 
Nationale Sammlung
 
Die FDP zerfiel zu Beginn der fünfziger Jahre in zwei Flügel. Einerseits in eine liberale Fraktion, die ihre Basis in den südwestdeutschen Landesverbänden und Hamburg hatte. Andererseits formierte sich in Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, später auch in Schleswig-Holstein ab 1948/49 ein nationalistischer Flügel, der das Erscheinungsbild der Partei bis zur »Naumann-Affäre« prägen sollte.
 
Die Exponenten dieses »nationalliberalen « Kurses wollten eine Massenpartei rechts von der Union aufbauen. Die FDP sollte Dachorganisation derjenigen sein, die durch den Zusammenbruch des NS angeblich marginalisiert worden waren. Der nationale Flügel der Partei sah sich als Sprachrohr von Arisierungsprofiteuren, Vertriebenen, ehemaligen Wehrmachtsangehörigen und NS-Funktionären. Mit unverhohlener Aggressivität wurde gegen die Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten und gegen Entschädigungszahlungen für NS-Opfer agitiert. Speerspitze der »nationalen Sammlung « wurde der nordrhein-westfälische Landesverband. Dessen Vorsitzender, Friedrich Middelhauve, bediente sich einer extrem nationalistischen Rhetorik und begann zudem, die Partei gezielt für (ehemalige) Nazis zu öffnen. Eine zentrale Rolle spielte dabei Ernst Achenbach. Von seiner Essener Anwaltskanzlei aus koordinierte er gemeinsam mit dem ehemaligen SS-Ideologen Werner Best eine Kampagne, die eine Generalamnestie für Kriegsverbrecher durchsetzen sollte. Auch deshalb verfügte Achenbach über umfangreiche Kontakte zu rechtsextremen Gruppen und Einzelpersonen.
 
Die Naumann-Gruppe
 
So kamen auch die Verbindungen zum Zirkel um Werner Naumann zustande, dem einige ehemalige Gauleiter, HJund Studentenführer angehörten. Die Gruppe plante, vor allem die kleinen Parteien rechts der Union - z.B. die Deutsche Partei (DP), den Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) - oder die FDP zu beeinflussen bzw. zu unterwandern, um somit nationalsozialistisches Gedankengut in den politischen Diskursen der BRD zu verankern.
 
Ob die Protagonisten des Naumann- Kreises gezielt auf eine zweite »Machtergreifung« hinarbeiteten, dürfte jedoch zweifelhaft sein. Dem Historiker Ulrich Herbert zufolge ging es ihnen zunächst um eine »Rehabilitierung des Nationalsozialismus im allgemeinen« sowie »der eigenen Person im besonderen«. Die politischen Vorstellungen beinhalteten die Wiedererrichtung eines autoritären deutschen Machtstaates. Besonders darin trafen sich die Interessen der Gruppe um Naumann mit denen des nationalen FDP-Flügels. Naumann, Middelhauve und Achenbach träumten vom Aufbau einer Sammlungsbewegung, die gewissermaßen eine Neuauflage der »Harzburger Front« darstellen sollte, in der sich am Ende der Weimarer Republik führende republikfeindliche, nationalistische und rechtsextreme Kräfte vereint hatten. Die Tatsache, dass ehemalige Nazi- Kader nun vermehrt Schlüsselpositionen vor allem im nordrhein-westfälischen aber auch im niedersächsischen Landesverband der FDP besetzten, war eine Entwicklung, die sich mit der ausdrücklichen Billigung, ja zuweilen gar auf Initiative der jeweiligen Parteiführungen vollzog. In Nordrhein-Westfalen war dies spätestens Ende 1952 unübersehbar. Bis zu 90 Prozent der hauptamtlichen Mitarbeiter des Landesverbandes hatten während des NS Karriere gemacht. So war Landesgeschäftsführer Heinz Wilke HJ-Führer und Chefredakteur der HJ-Zeitschrift »Wille und Macht« gewesen. Siegfried Zoglmann, der als »Schriftleiter« der von Middelhauve herausgegebenen extrem rechten Wochenzeitschrift »Die deutsche Zukunft « fungierte, hatte den Rang eines SS-Obersturmführers bekleidet und in der Reichsjugendführung mitgearbeitet. Der persönliche Referent Middelhauves, Wolfgang Diewerge, war bis 1945 als antisemitischer Publizist tätig und hatte die Abteilung »Rundfunk« im Propagandaministerium geleitet. Auch Werner Best pflegte enge Kontakte zur nordrheinwestfälischen FDP, als Rechtsberater erstellte er Gutachten und Denkschriften im Kontext von Entnazifierungsfragen oder NS-Verfahren.
 
Das »Deutsche Programm«
 
Die Nazis in der FDP und deren Umfeld übten großen Einfluss auf die sich radikalisierende Programmatik des Landesverbandes aus. Dies geschah durchaus in Kooperation mit der Parteispitze. Im Sommer 1952 präsentierte Middelhauve auf dem Landesparteitag in Bielefeld das so genannte »Deutsche Programm«, das vermutlich von Diewerge, Naumann und Best entworfen worden war. Es stellte den Höhepunkt der nationalen Sammlungsbestrebungen dar. Die Begriffe »liberal« oder »demokratisch « kamen nicht vor. Vielmehr ließ der Text aggressiv antimarxistische und autoritäre Staats- und Gesellschaftsvorstellungen erkennen und beklagte die »Willkür« der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges.
 
Middelhauve stellte das Programm auf dem Bundesparteitag der FDP im November 1952 zur Diskussion. Es wurde zwar nicht auf Bundesebene übernommen, da die Protagonisten der »Nationalen Sammlung« eine dadurch drohende Spaltung der FDP vermeiden wollten. Dennoch ging die nationale Fraktion gestärkt aus dem Parteitag hervor, Middelhauve wurde zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Außenstehende stuften den Rechtskurs der FDP als bedenklich ein. Die Frankfurter Rundschau charakterisierte die Vorgänge auf dem Bad Emser Parteitag als den »innerparteilichen 30. Januar der FDP«; die französische Le Monde stellte fest, dass die FDP auf dem Wege sei, sich in eine »nationalistische und reaktionäre Bewegung der äußersten Rechten« zu wandeln.
 
Die Festnahmeaktion und die öffentlichen Reaktionen
 
Auch die britische Hohe Kommission, die bis zur vollständigen Souveränität der BRD im Jahr 1955 berechtigt war, in innenpolitische Vorgänge einzugreifen, verfolgte sehr besorgt die Radikalisierung der nordrhein-westfälischen FDP. Wiederholt versuchten die Briten, Bundesregierung und den FDP-Bundesvorstand auf die »Unterwanderung « des nordrhein-westfälischen Landesverbandes hinzuweisen. Einzelnen Pressevertretern wurden Erkenntnisse des britischen Geheimdienstes zugespielt, um darüber Druck auf die Partei auszuüben.
 
Nachdem diese Strategie durch die deutsche Untätigkeit scheiterte, griff die Hohe Kommission selbst ein. In der Nacht zum 15. Januar 1953 wurden Naumann sowie fünf seiner Kameraden festgenommen, »damit festgestellt werden kann, in welchem Umfang die Tätigkeit dieser Männer innerhalb und außerhalb der BRD im gegenwärtigen Augenblick eine Bedrohung der Sicherheit der alliierten Streitkräfte darstellt«.
 
Die öffentliche Empörung über den angeblichen Eingriff in die bundesdeutsche Souveränität war groß. Der Grund für die Aktion, die gezielte »Unterwanderung« der FDP durch ehemals führende Nazis, wurde kaum thematisiert. Laut einer Umfrage des Allensbacher Instituts vom Februar 1953 fanden 47 Prozent der Deutschen, man müsse gegen die Festnahmeaktion der Briten protestieren. Nur ein Fünftel der Befragten sah keinen Grund für Protest. Auch etliche Mitglieder der Bundesregierung äusserten sich verstimmt. Angesichts der Untätigkeit, mit der die deutsche Seite auf die britischen Hinweise auf eine »Unterwanderung« der FDP reagiert hatte, war eine gewisse Skepsis der Alliierten hinsichtlich der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD durchaus berechtigt. Zudem veröffentlichte die New York Times etwa zeitgleich Umfrageergebnisse, wonach 44 Prozent der Deutschen am Nationalsozialismus »mehr Gutes« erkennen wollten. Bundeskanzler Konrad Adenauer bemühte sich, die Bedeutung der »Naumann- Affäre« und die Umfrageergebnisse herunterzureden, denn Westintegration und angestrebte Wiederbewaffnung schienen dadurch gefährdet zu sein. Zugleich kam der Schlag gegen die nordrhein-westfälische FDP dem Bundeskanzler ganz gelegen. Das Projekt einer nationalen Massenpartei hatte kurz vor der Bundestagswahl im Herbst 1953 einen schweren Rückschlag erlitten. Tatsächlich gelang es CDU und CSU, in den fünfziger Jahren das rechte Wählerpotenzial von DP, BHE und FDP für die Union zu gewinnen.
 
Nachspiel
 
Im März 1953 übernahm der Oberbundesanwalt die Ermittlungen gegen Naumann und seine Kameraden. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) sollte ein Verfahren wegen »Bildung einer verfassungsfeindlichen Vereinigung« und »Geheimbündelei« eingeleitet werden. Dazu kam es aber nicht. Die Bundesanwälte ermittelten äußerst nachlässig, im Juli 1953 wurde Naumann aus der Haft entlassen, das Ermittlungsverfahren eingestellt. Dennoch war die politische Karriere des ehemaligen Goebbels-Staatssekretärs weitgehend beendet. Naumann wollte zwar bei der Bundestagswahl als Spitzenkandidat der rechtsextremen Deutschen Reichspartei antreten. Ende August stufte ihn das nordrhein- westfälische Innenministerium per Entnazifizierungsbescheid aber als »belastet« ein, womit er das aktive und passive Wahlrecht verlor. Dagegen sahen sich Middelhauve und Achenbach nicht mit nennenswerten Konsequenzen konfrontiert. Middelhauve blieb Landesvorsitzender der FDP. Von drei Mitarbeitern des Parteiapparates abgesehen, konnten sämtliche ehemaligen NS-Kader ihre Posten behalten. Der nordrhein-westfälische Landesverband blockierte ein vom Bundesvorstand eingeleitetes Ausschlussverfahren gegen Achenbach. Im Jahr 1957 zog der Rechtsanwalt sogar für die FDP in den Bundestag ein. Dort vertrat er, wie der Historiker Norbert Frei urteilt, bis Mitte der siebziger Jahre die »vergangenheitspolitischen Interessen der SS«. So verschleppte er als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages jahrelang die Ratifizierung des deutsch-französischen Überleitungsvertrages für Kriegsverbrecher. Der Vertrag sollte die Basis schaffen, NS-Täter, die von französischen Gerichten in Abwesenheit verurteilt worden waren, auch in der BRD den Prozess machen zu können. Erst als Beate und Serge Klarsfeld im Jahr 1974 nachwiesen, dass Achenbach als Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris an der Deportation von Juden beteiligt gewesen war, erhielt Achenbachs Karriere erstmals einen Schlag. Da war es freilich fast zu spät. Seine »Pflicht nach rechts« hatte Achenbach jedenfalls bis zum Ende weitgehend unbehelligt, ganz im Sinne Naumanns und seiner Kameraden erfüllen können. Und »Kameraden« gab es viele.