e-mail

home

 

Partisanen kommen...!!

partisanInnen

junge welt
31.03.2005

Arrivano i partigiani!
Die Partisanen kommen!

 
Auf Einladung des Antifa-KOK und der VVN fand am 14. März im Zakk die Veranstaltung “Arrivano i partigiani! Die Partisanen kommen!” mit ca. 120 BesucherInnen statt. Die Terz sprach vor der Veranstaltung mit Luigi Borgomaneri, Historiker am Mailänder Institut der Widerstandsgeschichte und Arbeiterbewegung, (heute ISEC), Gutachter bei Kriegsverbrecherprozessen, in Italien sowie Autor mehrerer Bücher über die Verbrechen der Nazis in Italien und die Resistenza (Widerstand). Er kam ohne die angekündigten aktiven Widerstandskämpfer von damals. Diese konnten aufgrund einer Grippe die Reise leider nicht antreten. Borgomaneri selbst wuchs in einer Partisanenfamilie auf. Sein Vater, Mitglied der Garibaldi-Brigade, wurde beim Versuch, die deutschen Truppen vor Mailand zu stoppen getötet.
 
TERZ: Du selbst beschäftigst dich als Historiker seit vielen Jahren mit dem Thema Faschismus und Widerstand. Woher kam deine Motivation zu dieser Tätigkeit?

B: Also, meine Kindheit, meine Kultur, meine Erziehung, meine Werte waren geprägt vom Widerstand. Als ich heranwuchs, habe ich begonnen, mich mehr damit zu beschäftigen, und ich beschäftige mich nun seit dreißig Jahren als Historiker, als Forscher damit.

TERZ
: Zwei der eingeladenen Partisanen waren aktiv in den GAP-Brigaden: Carlo Talamucci war Organisator und Mitglied der ersten GAP-Gruppen in Sesto/Mailand, Onorina Brambilla war im Kommandostab der 3. GAP-Garibaldi-Brigade. Wie kann man sich die Aktivitäten der GAP vorstellen?

B: Die GAP waren die ersten bewaffneten Strukturen, die von der kommunistischen Partei sofort nach der deutschen Besatzung geschaffen wurden. Es wurden die Erfahrungen aufgegriffen, die einige Italiener gemacht haben, die bei den internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten und nach dem Sturz der spanischen Republik bei der Resistance im Süden Frankreichs aktiv waren. Nach der Besatzung herrschte in der italienischen Bevölkerung Angst. Die GAP hatten eine explosive Funktion: die Stagnation durchbrechen, verhindern, dass die Besatzung Normalität würde.


TERZ
: Wie organisierten sich die Leute in den GAP?

B: Es waren kleine Gruppen mit sehr wenigen Mitgliedern, die ihre Familie, ihre Arbeit, alles verlassen mussten – in der Theorie, in der Praxis liefen die Dinge nicht immer so. Es gab große Unterschiede zwischen den GAP in Mailand, in Rom oder in Bologna: es sind alles Kommunisten, aber mit einer anderen sozialen Zusammensetzung, einer anderen Arbeitsweise. Zum Beispiel die GAP in Mailand sind immer ganz wenige, höchsten zehn bis 15 Personen. In Emilia hingegen sind es Dutzende. Es sind andere Vorgehensweisen, abhängig von der Situation, dem Kontext, dem Kommandanten und seinen Erfahrungen.


TERZ
: Waren die GAP-Gruppen eine Stadtguerilla, vergleichbar mit Gruppen in Lateinamerika?

B: Ja. Die GAP waren diejenigen, die die Aufgabe hatten, Spione, Verräter, feindliche Offiziere zu eliminieren, Bombenattentate zu verüben...


TERZ
: Die eingeladene Partisanin Onorina Brambilla war Mitglied der Frauenverteidigungsgruppe und Mitglied einer Unterstützergruppe für die Partisanen. (unparteiische Gruppen), Annun­ziata Cesani war aktiv im Apeninabschnitt Toscana/ Emiglia-Romagna. Wie war die Rolle der Frauen im Partisanenkampf?

B: Die Frauen hatten eine sehr große, wichtige Funktion. Man kann sagen, dass der Widerstand mit den Frauen beginnt. Als sich die italienische Armee am 8. September ergibt, fliehen die jungen italienischen Soldaten aus den Kasernen, um nicht deportiert zu werden. Und es sind die Frauen auf dem Land, die ihnen helfen, die sie mit zivilen Kleidern ausstatten... und dies ist sicherlich eine “präpolitische” Entscheidung. Es hatte etwas mit Menschlichkeit in einer bäuerlichen Welt zu tun, auch mit so etwas wie “mütterlichem Geist”: “ich helfe diesem Jungen, und vielleicht gibt es in diesem Moment irgendwo in Europa eine andere Mutter, die meinem Sohn hilft...” Ein Zusammenspiel von Motivationen. Die Frauen waren extrem wichtig. Der Faschismus wusste, dass die Frauen gefährlich sind. In Italien wurden während des Krieges weniger Frauen in den Fabriken beschäftigt, weil Mussolini sie dort nicht wollte. Die Männer konnte man damit unter Druck setzen, dass sie an die Front geschickt werden konnten – das ging bei den Frauen nicht. Und man erinnerte sich noch an die großen Demonstrationen des ersten Weltkrieges, als in den Fabriken vor allem Frauen beschäftigt wurden, die die Männer ersetzten, die an der Front waren. Diese Frauen rebellierten und streikten. Und in der Resistenza hatten die Frauen eine große Rolle.


TERZ
: In Italien gab es schon wesentlich früher als in Deutschland einen Historikerstreit: bedeutende italienische Historiker wie Renzo De Felice setzten den Partisanenkampf mit dem Terror der Faschisten gleich. Welches Bild von den Partisanen hat sich heute in Italien durchgesetzt?

B: Es ging De Felice zunächst weniger darum, die Wichtigkeit des Partisanenkampfes zu schmälern, als vielmehr um eine Aufwertung des Faschismus. Während frühere Angriffe gegen die Resistenza vulgär, plump waren, verlagerte sich in den 70er Jahren der Diskurs auf das Terrain der Historiker. Und diese Debatte wurde vor allem von De Felice forciert, einem Mann, der kein Dummkopf ist, sondern sehr fähig, auch wenn man diskutieren kann, wie er die Quellen benutzt hat, über gewisse quasi manipulative Vorgehensweisen... Das Bild des  Faschismus, das De Felice zeichnet, ist ein relativierter Faschismus, der nicht alle Schuld trägt, der auf den Konsens vieler Italiener baute. Und auf diesem Weg wurde dann weitergegangen, er wurde genutzt für die Angriffe gegen die Resistenza, um heute zu der Ansicht zu kommen: Partisanen, Faschisten... alle gleich. Alle hatten sie ihre Gründe, alle hatten ihre Fehler.


TERZ
: Und dies ist das Bild des Partisanenkampfes, das heute verbreitet ist?

B: Dies ist das Bild, das zum Beispiel von den Medien verbreitet wird. Du weißt, in Italien gibt es das Problem, dass die Hälfte der Fernsehsender direkt von Berlusconi kontrolliert werden, die andere Hälfte indirekt. Dazu kommt, dass der Antifaschismus der Italiener zu einem großen Teil an der Oberfläche geblieben ist, der Faschismus ist nicht gänzlich ausgerottet worden. Als sich das politische Klima gewandelt hat, sind die Faschisten wieder das geworden, was sie waren. Vor zwanzig, dreißig Jahren hättest du niemanden getroffen, der den Mut gehabt hätte, herumzulaufen und zu sagen: “Ich bin ein Faschist.” Das ist heute anders. Der MSI, die alte faschistischen Partei, die ihren Namen geändert hat, die ihre Fassade geändert hat, die sich als demokratische Rechte präsentiert, hat dazu beigetragen. In Italien wird dieses Jahr zum ersten Mal in der Geschichte das Gedenken zum Jahrestag der Befreiung nicht von der Regierung finanziert. Kein Euro. Und das am 60. Jahrestag! Stattdessen wird ein neues Gesetz verabschiedet, dass den italienischen Faschisten die gleiche Stellung einräumt wie den antifaschistischen Partisanen. Und die Linke schenkt dieser Entwicklung zuwenig Aufmerksamkeit. Es gibt Massendemonstrationen gegen den Krieg und gegen den Sozialraub, aber leider nicht gegen die Aushöhlung des antifaschistischen Charakters der italienischen Verfassung.


TERZ
: Mit Gianfranco Fini ist nun ein Faschist der Nachkriegszeit in Italien Außenminister. Der Regierungschef Berlusconi hingegen ist das Paradebeispiel für einen “modernen” Rechtspopulismus. Siehst du Gemeinsamkeiten zwischen dem historischen Faschismus Mussolinis und der aktuell in Italien herrschenden Rechtskoalition?

B: Nein. Der historische Kontext ist ein anderer, der europäische Kontext ist anders. Was wir heute in Italien mit der Rechten Berlusconis haben, ist quasi eine “Mediendiktatur”. Seine große Stärke liegt außerdem darin, antagonistische Kräfte zusammenzuführen. Stell dir vor, die Alleanza Nazionale von Fini, die vom Vaterland, der Einheit des Landes spricht, zusammen mit der Lega Nord, die den Norden Italiens abspalten will. Die Rechte hat daraus gelernt, dass sie sich gespalten und verloren hatte. Die Linke hat nicht daraus gelernt. Sie streitet sich über Nebensächlichkeiten, über Parteiinteressen.


TERZ
: Wie stellt sich aktuell die Linke dem historischen Erbe des Partisanenkampfes gegen den Faschismus und dem aktuellen Rechtsruck in Italien?

B: Ich sehe diese Linke nicht als Erbin des Partisanenkampfes, nicht als kohärente Erbin dieser Werte, auch wenn es innerhalb der Linken sicherlich Persönlichkeiten gibt, die eine ehrliche Verbundenheit damit haben. Man hat in so vielen Situationen bei den Angriffen gegen die Resistenza gesehen, dass sie nur sehr oberflächlich verteidigt wurde.


TERZ
: Vielleicht müssen wir klären, auf wen wir uns beziehen, wenn wir von “der Linken” sprechen.

B: In erster Linie spreche ich von der DS...


TERZ
: Gibt es nicht eine Linke außerhalb der Parlamente, die...

B: Ja, es gibt die Linke der Bewegungen, und das ist sicherlich die Linke, die mit der Erinnerung an die Resistenza am meisten verbunden ist. Aber in gewisser Weise unpolitisch, mit einer großen Naivität und einer Mytholo­gi­sierung der Resistenza, ohne deren Widersprüche zu sehen. Alles war schön, alles war gut. Auch die Widersprüche und die Fehler der Resistenza zu sehen nimmt ihr nichts von ihrer Wichtigkeit.


TERZ
: Die italienischen Geschichtsrevisionisten behaupten u.a., dass die Angriffe der italienischen Partisanen auf die deutschen Besatzer zu hohen Opfern unter der Zivilbevölkerung - vor allem durch die deutschen “Vergeltungsmaßnahmen” - geführt habe und deshalb unmoralisch und kontraproduktiv gewesen seien. War der bewaffnete Widerstand der italienischen Partisanen legitim und sinnvoll?

B: Natürlich! Zunächst ist festzuhalten, dass jede Bevölkerung das Recht hat, sich zu verteidigen. Jeder, der aufgrund eines Partisanenangriffs Repressionen gegen die Bevölkerung in Gang setzt, ist ein Verbrecher. Und sieht man sich die Geschichte der deutschen Besetzung in Europa an, so erkennt man, dass es den Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung auch ohne Partisanenaktivitäten gegeben hat. Bei der Besetzung Italiens hatte die Wehrmacht bereits aus den Erfahrungen bei ihren Massakern in der Sowjetunion und Osteuropa gelernt.

Wir haben es in Italien nicht mit einem Vernichtungsfeldzug wie gegen die Sowjetunion zu tun, wohl aber mit hunderten von Massakern von Sizilien bis Norditalien. Es gab drei Arten von deutschen Massakern: Zunächst den Terror gegen die Zivilbevölkerung, um zu verhindern, dass sich eine organisierte Widerstandsbewegung überhaupt entwickelt. Dann ab Sommer 44 die Massaker, um sich den Rücken freizuhalten. Und schließlich die “Massaker der letzten Tage”, als bereits klar war, dass der Krieg verloren ist. Am 30. April 1945 werden z.B. in der Nähe von Turin 56 Zivilisten ermordet, am 2. Mai 1945 in der Nähe der österreichischen Grenze 71 Menschen. Allein in der letzten Woche wurden schätzungsweise 1000 Zivilisten Opfer von Massakern der deutschen Wehrmacht. Es ist verlogen, wenn jemand sagt, dass die Massaker eine Reaktion auf das Handeln des italienischen Widerstandes gewesen seien!

www.terz.org - 31.03.2005