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Petra Rosenbaum Neofaschismus in Italien


Petra Rosenbaum Neofaschismus in Italien

Europäische Verlagsanstalt


© 1975 by Europäische Verlagsanstalt

Frankfurt/Köln

ISBN 3 434 00265 0

Umschlag: Equipe, Köln

Satz: SRM Zündorf, Köln

Druck: Elektra, Niedernhausen

Printed in Germany 1975


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis                                                                   7

I.    NEOFASCHISMUS HEUTE

1.   Neofaschismus und Krise des Systems                                         9

2.   Organisationen des Parlamentsfaschismus                                   14

3.   Außerparlamentarischer Neofaschismus                                     18

4.   Programm und Ideologie des Neofaschismus                              21

II.  GESCHICHTE UND HERKUNFT DES NEOFASCHISMUS

1.   Faschismus und Antifaschismus                                                25

2.   Italien von 1943 bis 1945                                                          26

3.   Programm des republikanischen Faschismus                               28

4.   Politische und soziale Realität der Sozialrepublik                        30

5.   Erscheinungsformen von Neofaschismus nach 1945                    33

III. NEOFASCHISMUS ALS WAHLPARTEI VON 1948 BIS 1968

1.   Entwicklung des Parlamentsfaschismus seit 1948                         39

2.   Julikrise 1960                                                                          45

3.   Auswirkungen der »Apertura a sinistra«                                      46

IV. NEOFASCHISMUS UND STRUKTURKRISEN

1.   Süditalien als faschistisches Wählerreservoir                                53

2.   Fehler und Folgen der Südpolitik                                              56


3.   Aufstand in Reggio Calabria                                                     59

4.   Neofaschismus in urbanen Krisenherden                                   64

V.  KLASSENKÄMPFE UND REAKTION VON 1969 BIS 1972

1.   Krisenentwicklung 1969 und neofaschistische Strategie                71

2.   Politische Folgen                                                                     76

3.   Sammelbecken der Reaktion                                                     79

4.   Analyse der Wahlen von 1972                                                   82

5.   Auswirkung gesellschaftlicher Fragmentierung                            84

6.   Neofaschismus und repressiver Apparat                                     88

7.   Schwarze Spur des Terrors                                                        91

ANMERKUNGEN                                                                    107

BIBLIOGRAFIE                                                                         113

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Verzeichnis der Abkürzungen

ACLI - Associazione Cristiana Lavoratori Italiani = Katholische Arbeitervereine

ANPI - Associazione Nazionale Partigiani Italiani - Partisanenverband

CGIL - Confederazione Generale Italiana del Lavoro = Allgemeiner italienischer Bund der Arbeit, von Kommunisten, Sozialisten, Sozialproletariern getragener Gewerkschaftsbund

CISL - Confederazione Italiana dei Sindacati Lavoratori = Italienischer Bund der freien Gewerkschaften, hervorgegangen aus der katholischen Arbeiterbewegung und hauptsächlich von Christdemokraten getragen

CISNAL - Confederazione Italiana Sindacati Nazionali dei Lavoratori = Neofaschistische Gewerkschaft

CLN - Comitato di Liberazione Nazionale - Kampfkomitees in der Resistenza

CTIM - Comitato Tricolore Italiani nel Mondo - Neofaschistische Gastarbeiterzentren in Deutschland, koordiniert vom MSI

DC - Democrazia Cristiana = Italienische Christdemokraten

DN - Destra Nazionale = Nationale Rechte - vgl. MSI-DN

ENAS - Ente Nazionale Assistenza Sociale = Neofaschistische Betreuungsstätten für Gastarbeiter im Ausland

ENI - Ente Nazionale Idrocarburi — Staatlicher Erdöl- und Energiekonzern

FN - Fronte Nazionale = Nationale Front, neofaschistische Kampforganisation des Fürsten Borghese

FUAN - Fronte Universitario di Azione Nazionale - Neofaschistische Studentenorganisation

IRI - Istituto di Ricostruzione d'Industria - Staatliches Institut für industriellen Wiederaufbau

Missini - gebräuchlicher Ausdruck für MSI-Mitglieder (s. MSI)

MSI - Movimento Sociale Italiano = Italienische Sozialbewegung

MSI-DN - Movimento Sociale Italiano - Destra Nazionale = Bezeichnung für gemeinsame Liste der Missini und der Monarchisten seit 1972

PCI - Partito Comunista Italiano — Italienische Kommunisten (KPI)

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PdL - Partito del Lavoro = Kurzlebige Arbeitspartei bei Kriegsende

PLI - Partito Liberale Italiano = Liberale Partei

PRI - Partito Repubblicano Italiano = Republikanische Partei

PSDI - Partito Socialista Democratico Italiano = Sozialdemokratische Partei

PSI - Partito Socialista Italiano = Sozialistische Partei

PSIUP Partito Socialista Italiano di Unitá Proletaria = Sozialistische Partei der proletarischen Einheit, Abspaltung des PSI

PSU - Partito Socialista Unitario = Vereinigte Sozialistische Partei, Zusammenschluß des PSI und des PSDI von 1966-69

RAI - Radiotelevisione Italiana = Staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalten

RSI - Repubblica Sociale Italiana = Italienische faschistische Sozialrepublik von 1943-45

SAM - Squadre di Azione Mussolini = Neofaschistische Kampfsquadren

UIL - Unione Italiana Lavoratori = Italienische Arbeiterunion, von Sozialisten, Republikanern und Sozialdemokraten getragener Gewerkschaftsbund

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I. Neofaschismus heute

1. Neofaschismus und Krise des Systems

Seit 1969 mußte Italien eine Krisenentwicklung durchstehen, wie sie in vergleichbaren europäischen Ländern in dieser gravierenden Form nicht zu verzeichnen war. Das Land der NATO-Südflanke mit dem unterentwickelten Süden und großen sozioökonomischen Risikofaktoren schien dem allgemein geläufigen Wort vom »kranken Mann Europas« mit permanent krisenhaften Zuständen in Wirtschaft und Politik zu entsprechen. Zu den Besonderheiten Italiens gehörte eine seit 30 Jahren regierende Partei, eine schwierige Wirtschaftsverfassung, eine Gewerkschaftsbewegung mit speziellen politischen Kampfformen und die mit neun Millionen Wählerstimmen mächtigste kommunistische Partei des Westens.

Italien war auch das einzige Land Europas, in dem eine Partei mit einem faschistischen Programm unter den acht maßgeblichen Parteien des Parlaments die viertstärkste Fraktion stellte. Die Versammlungen dieser Partei auf den Plätzen riefen Erinnerungen an die zwanziger Jahre wach, als uniformierte Squadristen die Städte terrorisierten und auf dem Lande die Arbeiterorganisationen zerschlugen. Auf den Rednertribünen der Neofaschisten erschienen alte Kämpfer aus der faschistischen Diktatur des Ventennio von 1922 bis 1945, organisiert in einer »Italienischen Sozialbewegung«, die 1976 ihr dreißigjähriges Gründungsjubiläum feiern kann. Zu ihrem faschistischen Credo und ihre festen Willen zur Usurpierung der Macht bekannten sich 1972 Anhänger aus allen Schichten -Jugendliche, Adelige, Industrielle, Priester, Militärs und Arbeiter. Die Sozialbewegung, das Movimento Sociale Italiano (MSI), hatte von 1969 bis 1972 ihre Wählerschaft verdoppeln können. Bei den nationalen Wahlen zum Parlament errang sie fast neun Prozent der Stimmen. Auf der Piazza del Popolo hatte das MSI in einer Massenveranstaltung 1971 bereits sein Ziel bekanntgegeben: »Wir stehen vor einem dreigeteilten Altar: dem griechischen April, dem französischen Mai und dem italie-

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nischen Juni. Europa geht nach rechts, und Italien hat es begriffen - das ist der Hintergrund unseres Erfolges.«1

Damals hatte es den Anschein, als falle auch die letzte Demokratie im Mittelmeerraum. In den Straßen lieferten sich rund zehntausend Rechts- und Linksextremisten blutige Schlachten. Auf den Mauern erschienen geisterhafte Schriften wie vivo, il fascismo und viva il duce, versehen mit faschistischen Symbolen wie Hakenkreuzen, Liktorenbündeln und Totenköpfen. Als hätte niemals eine breite Widerstandsbewegung 1945 bei Kriegsende den Faschismus hinweggefegt und eine antifaschistische Verfassung ausgearbeitet, waren wieder faschistische Gesänge in der Öffentlichkeit zu hören, Marschmusik dröhnte aus MSI-Lautsprechern, Militärs in Uniform und Zivil grüßten mit dem saluto romano und zogen mit Faschisten untergehakt durch die Straßen. Mitgeführte Transparente und skandierte Slogans forderten die Ablösung der Demokratie und der politischen Parteien durch das Militär nach griechischem Vorbild.

Gerüchteweise kamen Putschversuche rechter Ultras ans Licht. Staatsanwälte und Richter hatten eine Lawine von Attentaten aufzuklären, von 1969 bis 1974 über tausend mit faschistischer Urheberschaft. Die Polizei entdeckte paramilitärische Trainingscamps, in denen sich eine Vielzahl von Faschisten auf den Tag »X« vorzubereiten schien.3 Wirtschaft und Politik im Lande waren in einem Zustand, der den wachsenden Anhang der Faschisten und ihrer Appelle an Unzufriedene verständlich machte. Es herrschte Rezession und Inflation. 1972 betrug die Arbeitslosigkeit nach einer Untersuchung der Bank von Neapel acht Prozent. Darüber hinaus gab es versteckte Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung; in zahlreichen Klein- und Mittelbetrieben wurden keine Lohnlisten geführt und für die Nichtregistrierten keine Sozialabgaben geleistet. Mit 34 Prozent hatte Italien den geringsten Anteil Arbeitender an der Gesamtbevölkerung in Europa. Neben der expansionistischen Staatsindustrie hielten sich vorkapitalistische Formen von Zweitbeschäftigung und Heim- oder Schwarzarbeit. Nach einem Censis-Report vom Oktober 1974 war die Zahl solcherart Beschäftigter eine Dunkelziffer von fünf bis sieben Millionen. Jeder zehnte Italiener arbeitete im Ausland, die Emigranten leisteten jährlich mit rund 800 Milliarden Lire einen beachtlichen Beitrag zur Zahlungsbilanz. Diese war defizitär. 1974 betrug die Inflationsrate 24 Prozent. Italien war mit 14,2 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet; das entsprach etwa dem zehnten Teil des Bruttosozialprodukts, es verzeichnete die meisten Streiktage in Europa, massive Kapitalflucht ins Ausland von rund 30 Milliarden DM von 1971 bis 1974 sowie nachlassende In-

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vestitionsneigung der Privatwirtschaft.4 Auch in den siebziger Jahren war der EG-Südstaat bislang das Land der reichsten Reichen und der ärmsten Armen, wo fünf Prozent der Einwohner zwanzig Prozent des Einkommens hielt und der errechnete Durchschnittslohn noch bei 640 bis 800 DM lag.5

Die großen Städte waren zu urbanen Krisenherden der Vermassung und steigenden Kriminalität geworden. Privatpolizei-Einheiten wurden von verschreckten Bürgern zum Schutz vor Entführungen und Erpressungen geheuert. Raubzüge, Überfälle und Kidnapping machten Mailand zum Zentrum der unaufgeklärten Verbrechen und der organisierten Entführungen. Politischer Rechtsextremismus, anarchistische Brigaden und die von Sizilien in die lombardische Hauptstadt zugewanderte Mafia füllten mit ihren Taten täglich mehrere Zeitungsseiten. Auf der Piazza San Babila trafen sich die faschistischen Banden aus sozial Entwurzelten und gelangweilten Bürgersöhnen. Von dort aus zogen die Sanbabiliani nachts motorisiert und bewaffnet gegen den politischen Gegner. Im »Mailand des Südens«, im sizilianischen Catania, benannten sich solche Banden nach ihrem Vorbild Achille Starace, faschistischer Parteisekretär unter Mussolini. Diese Gruppo universitario fascista (GFU) betrieb in Verbrecher- und Prostituiertenvierteln ihr Geschäft. Auch an anderen Universitäten duldeten die Dozenten die Faschisten. So wurde 1970 in der Aula der Universität Messina der 25. Jahrestag von Mussolinis Tod feierlich im Schwarzhemd begangen.6

Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Staatsorgane wurde durch eine Kette von Skandalen erschüttert. Der Präsident der staatlichen Chemiegiganten Montedison, Cefis, hatte sich Presseberichten zufolge eines faschistischen Spions, Tom Ponzi, bedient, um durch illegales Abhören der Telefone Auskünfte über prominente Persönlichkeiten zu bekommen.7 Bereits in den fünfziger Jahren hatte Enrico Mattei, Christdemokrat und Chef der Ente nazionale idrocarburi (ENI) nach eigenen Worten die Faschisten benutzt, »wie man ein Taxi benutzt. Ist die Fahrt zu Ende, steigt man aus und zahlt".8 Auch der Montedison-Konzern zahlte an die Faschisten im Parlament bereits unter Cefis-Vorgänger Valerio über »schwarze Fonds«. Durch die Politik der Staatsindustrie, die sich mehr und mehr zu parlamentarisch nicht kontrollierbaren Sektoren entwickelte, sicherten sich die Staatskonzerne und ihre der Regierungspartei Democrazia Cristiana (DC) angehörende Führungsschicht Einfluß in der Politik, je mehr die zahlenmäßige Vertretung der DC zurückging.9 Die innenpolitische Szene Italiens beherrschte das »dialektische Verhältnis« der Freund-Feind-Beziehung zwischen Christdemokraten und

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Partitio Comunista Italiano (PCI). Es war in der Nachkriegszeit für den Immobilismus und die Dynamik des italienischen Parlamentarismus gleichermaßen bestimmend.10 Die linke Systemopposition war als Regierungsalternative ausgeschlossen. Die politischen Eliten des komplizierten Vielparteiensystems ohne limitierende Prozentklausel verharrten jahrzehntelang in den Führungsgremien. Der italienische Adenauer Alcide de Gasperi stellte sieben, Amintore Fanfani vier, Mariano Rumor fünf, Aldo Moro vier Kabinette, oder sie besetzten andere Fachressorts. Giulio Andreotti war rund zwanzigmal als Minister in der Exekutive. In den Parteien saß ebenfalls die erfahrene Clique jahrelang an den Schalthebeln der Macht: bei den Sozialdemokraten im PSDI Guiseppe Saragat, bei den Sozialisten im PSI Pietro Nenni, bei den Liberalen im PLI Giovanni Malagodi und bei den Republikanern im PRI Ugo La Malfa. Ihr permanenter Führungsanspruch machte aus dem kritischen Nachwuchs nichts weiter als eine bloße Gefolgschaft der Parteifürsten. Regierungskrisen dauerten bis zur Kabinettsneubildung oft Monate, in denen nicht effizient regiert, sondern nur verwaltet wurde. Das vierte Kabinett de Gaspari - 1948 - kriselte 25 Tage lang, sein siebtes - 1953 - 70 Tage, Fanfanis vierte Regierung - 1963 - 54 Tage, Rumors fünfte Regierung von 1974 51 Tage, die nachfolgende von Aldo Moro war die 37. Regierung seit Kriegsende.11

Der italienische Wähler wählte kein verbindliches Parteiprogramm, sondern katholische, laizistische, marxistische, monarchistische und faschistische Richtungen. Innerhalb der Parteien wurden Interessen gegeneinander ausgespielt, statt sich miteinander zu verbinden. Das System zweier voll entscheidungsfähiger Kammern (Camera dei deputati und Senato) begünstigte den Oligarchisierungsprozeß. Interne Parteibürokratien lasteten wie Interessengruppen auf dem Legislativapparat, wurden zu Brutstätten für Skandale und politisches Parasitentum.12 Italiens »unvollkommener Zweiparteienstaat«13 brachte Gruppierungen, Untergruppierungen und autonome Zentren hervor, die über eigene Kanäle auf Politik, Wirtschaft und Kultur Druck ausübten - ein aufgesplittertes System ohne die Möglichkeit, sich durch eine politische Alternative Kraft zu regenerieren. Erst seit 1974 wurden die Parteien durch ein Gesetz finanziell gesichert. Davor war die Geldbeschaffung Ursache vieler Skandale. Den letzten deckten Amtsricher in Genua nach der Ölkrise auf, als die Ölkonzerne für Steuervergünstigungen an die römischen Parteizentralen fünf Jahre lang sogenannte »Tangenten« von rund 20 Milliarden Lire gezahlt hatten.14

Ein weiterer Skandal in dieser Serie war mit dem Namen Michele Sindona verknüpft, der 1973 vom Club of Rome zum Mann des Jahres

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gewählt wurde. Der Bankier aus Sizilien kontrollierte mit minimalem Kapital unzählige Banken, Industrien und Finanzunternehmen, kaufte sich - auch mit Hilfe des Vatikans - in US-Unternehmen ein. Diese versuchte er über die Holding Bastogi zu majorisieren und zog sich durch derartige Transaktionen den Zorn der Großindustrie zu. Die ersten Risse erhielt sein Schneeballsystem durch den Bankkrach von Franklin National ein, im Oktober brach dann die »Karussellfinanzierung« in Italien endgültig zusammen. Zutage kamen ein kaum kontrolliertes kreditabhängiges Firmenimperium, Buchfälschungen, Verluste und Verstöße gegen die Devisenbestimmungen. Sindona wurde für die Öffentlichkeit zur negativen Symbolfigur des Systems, in dem nach Ansicht von Wissenschaftlern eine »finanzspekulierende Großbourgeoisie« bis zu 40 Prozent des nationalen Einkommens verwaltet, mit der DC eng verflochten. Sindona entzog sich den Folgen seiner Spekulation durch die Flucht.15 Das alles schadete Italien im Ausland und in der Europäischen Gemeinschaft, von der es 40 Prozent aus dem Regionalfonds zur Unterstützung strukturschwacher Gebiete beanspruchte. Dafür und für einen Kredit von 1,9 Milliarden DM aus der Gemeinschaftskasse wurden Auflagen für eine Ausgabenkontrolle gemacht, um die Fonds-Mittel nicht in den weitverzweigten Kanälen der Bürokratie versickern zu lassen. Die Regierung mußte versuchen, Defizite (1974: Haushalt 36,8 Milliarden, Außenhandel 28 Millionen DM, Tourismusrückgang um 15 Prozent) durch restriktive Maßnahmen, Notverordnungen, Steuererhöhungen und Sonderabgaben auszugleichen. An den Strukturproblemen änderten diese die kleinen Betriebe und den privaten Konsum belastenden Ausgaben wenig. Der Staat hatte rund 59 000 staatliche und parastaatliche Organisationen, in denen für die 1,8 Millionen Beschäftigten 30 Milliarden DM im Jahr aufgewendet wurden und deren Kosten in keinem Verhältnis zur Effizienz der schwerfälligen Zentralverwaltung standen. Im Postzustellungsskandal wurden der Wirtschaft hohe Verluste zugefügt durch die Fahrlässigkeit von Beamten, die Briefe, Wertsendungen, Telegramme und Postanweisungen verbrannten oder nicht zustellten. In diesem »parasitären Sektor« des Staatsdienstes drängten trotz langwierigen Bewerbungssystem und mäßiger Bezahlung die meisten der immer mehr werdenden arbeitslosen Akademiker, vor allem aus dem unterentwickelten Süden, der als inländische Dritte Welt stets die Krisensituation in Italien am deutlichsten spiegelte und zum europäischen Problem geworden war.16

Die Kommunisten unter Enrico Berlinguer machten einen Lösungsvorschlag, den sogenannten compromesso storco, durch den eine Zusammenarbeit mit reformerischen Kräften in der Christdemokratie, in den

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Gewerkschaften und in den anderen Parteien dazu führen sollte, all diese Unzulänglichkeiten zu beseitigen. Je deutlicher sich, bei wachsendem Wählerstamm und einer breiten gewerkschaftlichen Basis, dieses Konzept als durchaus reale Möglichkeit abzeichnte, desto fester formierte sich die Reaktion. Den Neofaschisten, ihrem Selbstverständnis nach die »Alternative zum System«, schlossen sich nicht nur die Ewiggestrigen an, sondern auch politisch Rechtsstehende, die ihre Position in der DC nicht mehr vertreten sahen. Nach Jahren des Schattendaseins sprachen die Neofaschisten jetzt in den Zeiten der Klassenkämpfe und Streiks mit Erfolg jene Schichten an, die der Parteienherrschaft, der Partitocrazia, müde waren und die DC für zu schwach hielten, den Vormarsch der Linkskräfte zu verhüten. Als programmatische Alternative boten die Neofaschisten ein autoritäres Staatsmodell, das Streiks unterbinden sollte und »nationale Befriedung« verhieß.17

2. Organisationen des Parlamentsfaschismus

Das MSI hatte im Jahre 1974 nach eigenen Angaben über 400 000 eingeschriebene Mitglieder; auf dem letzten Kongreß 1973 in Rom lag die Zahl offiziell um hunderttausend darunter. Parteisekretär der Bewegung ist seit 1969 Giorgio Almirante, ein Mitbegründer der Partei.18 1950 war in Rom die Fronte Universitario di Azione Nazionale - FUAN -gegründet worden, eine Studentenorganisation, die 1974 rund 20 000 Mitglieder an fast allen Universitäten Italiens zählte. Daneben existiert eine Gruppe mit dem provokatorisch von einer Partisanenbewegung im Befreiungskrieg gegen Mussolini entliehenen Namen Fronte della Gioventú. Die Fronte mit 120000 Anhängern agitiert an Schulen und Gymnasien zum Teil gemeinsam mit der Giovane Italia; ihr Führer ist Massimo Anderson im MSI, zugleich einer der wichtigsten Verbindungsleute der Neofaschisten zu gleichgesinnten Gruppen im Ausland. Das Eintrittsalter für die Jugendgruppen ist 14 Jahre. Neben den genannten existieren eine Fülle von Trikolore-Komitees und sogenannten »nationalen Freiwilligen« (volontari nazionali), die für das MSI die Ordnergruppen bei Parteiveranstaltungen stellen, meist mit Helm und Schlagwaffen ausgerüstet.19

Eng verbunden mit dem MSI ist die Altenriege des Frontkämpferbundes Unione Nazionale dei Combattenti della RSI - UNCRSI -, deren Führung aus Anhängern der faschistischen Sozialrepublik in der Kriegszeit besteht. Die UNCRSI publiziert ein eigenes Blatt, Continukà, trat

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für die Rückgabe des Mussolini-Leichnams ein und stellt bei MSI-Versammlungen ein festes Kontingent.20

Zu den offiziellen MSI-Organisationen gehört auch die Confederazione Sindacati Nazionali dei Lavoratori- CISNAL -, 1950 vom MSI-Vorstands-Mitglied und Altfaschisten Giovanni Roberti gegründet, um in zahlreichen Unterorganisationen in allen Berufsbereichen als faschistischnationalistisches Syndikat gegen die Gewerkschaften UIL, CGIL und CISL anzutreten, die allesamt von der Partei als sozialistisch bezeichnet werden. CISNAL forderte zum Streikbrechen und in den Fabriken zur Denunziation auf und unterhielt in den fünfziger Jahren im unterentwickelten Süden Büros, die an Agrarier und Unternehmer »zuverlässige«, d.h. nicht in Gewerkschaften organisierte Arbeitskräfte vermittelten.21 Sie hat etwa eine Million Mitglieder und vertritt als einzige Gewerkschaft ein faschistisches Programm; ihr Schrifttum pflegt das nationale Pathos des MSI und schwelgt in Erinnerungen an den faschistischen Korporativismus, den sie und der noch 1974 amtierende Roberti mit Almirante für eine »herrliche, praktikable und nicht zu vernachlässigende Idee« halten.22 Vertreter der anderen Gewerkschaften reagierten in einer Zeitungsumfrage auf die Thesen des schwarzen Syndikats gelassen: »Die CISNAL will Arbeiter in den Produktionsprozeß einreihen, um ihn besser und zum ausschließlichen Vorteil des Unternehmers arbeiten zu lassen.23 An gleicher Stelle erklärte Roberti: »Unsere Doktrin heißt -Förderung des Arbeiters ohne Gefährdung der Wirtschaft des Landes«, eine These, die vor allem in Süditalien gern gehört wurde. Und im MSI-Programm von 1971 hieß es: »Wir präsentieren uns dem italienischen Arbeiter als Garant für Arbeit und Produktion in Freiheit. Wir vertreten den Grundsatz, durch den allein die Ausbeutung in den Fabriken und auf dem Lande aufhört - das Prinzip des sozialen Ständestaats.« In Wirklichkeit appellierte die CISNAL an die Frustrationen gewisser Schichten, denen sie erklärte, an der Automation, an der Entfremdung und an allen Affekten der Moderne sei die technologische Entwicklung schuld. Als sich

1968  die sozialen Spannungen in Klassenkämpfe entluden, gewannen die CISNAL-Thesen für verschreckte Kleinbürger und vor allem bei bei kleinen Angestellten in der Staatsbürokratie neue reaktionäre Dimensionen. Roberti sagte selbst: »Im Mezzogiorno gibt es eine breite soziale Schicht, die sich an den Rand gedrängt, vernachlässigt und in ihren Interessen nicht vertreten fühlt. Sie fürchtet das Dreiersyndikat und seinen Machthunger. Partei und Gewerkschaft der Rechten sind also ihr einziges Protestmittel als nationalistisch gesinnte Italiener... unser Ziel ist es, den Protest zu artikulieren, ihm eine politische Dimension zu geben...« 5

1969 war diese Situation gekommen. CISNAL forderte alle zum Handeln

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auf, die »des ewigen Streikens müde, überzeugte Antikommunisten waren und dringend nach Arbeitsfrieden verlangten.« 6 Vor allem in Klein- und Mittelbetrieben, wo unter dem Motto »Hier wird nicht von Politik geredet, hier wird gearbeitet« Arbeiter eingeschüchtert wurden, konnte CISNAL mit Hilfe der Unternehmensleitung für den »Arbeitsfrieden« sorgen. Arbeiter, die aus dem schwarzen Syndikat austraten, gaben zu, daß sie in der südlichen Heimat die Wahl hatten zwischen Arbeit oder Zugehörigkeit zu einer der drei großen Gewerkschaften. Viele Süditaliener identifizierten zudem Gewerkschaften mit den Parteien und der Partitocrazia. Für zahlreiche staatsverdrossene Volksschullehrer, Rechtsanwälte und Kleinunternehmer im Mezzogiorno galt das gleiche in Bezug auf das Rom der Ministerien, auf den Norden mit seinen Privilegien, mit der freizügigen Gesellschaft dekadenter Moden, die ihren Wertvorstellungen nicht entsprachen. CISNAL operierte mit solchen Zivilisationsängsten, indem sie den Politisierungsprozeß seit 1969 und den hohen Organisationsgrad in den Großbetrieben im Norden als Vermassung verteufelte und jeden Zusammenhang zwischen Arbeiterinteresse und sozioökonimischer Situation abstritt. Wenn junge Arbeiter in den Norden wechselten, verließen sie meist das Syndikat, weil die neue Realität der Betriebe und Fabriken, die kulturelle Distanz zum Süden, die innerbetrieblichen Diskussionen und auch die neue Unabhängigkeit vom ververflochtenen Interessensystem des Mezzogiorno ihr Klassenbewußtsein weckte. Alle befragten Dissidenten der CISNAL erklärten, sie sei reaktionär, in Arbeitskämpfen abstinent und völlig ahnungslos, was die Gegebenheiten des Arbeitsplatzes betrifft.9 CISNAL forderte die reine Tarifpolitik, lehnt Strukturreformen in den Betrieben ab und setzt Provokateure gegen Streikposten ein. So blieb sie auch weitgehend von den basisabhängigen und abwählbaren Vertretungen in den Fabriken ausgeschlossen, denn sie vertritt das faschistische Programm, das die politische Lösung des Klassengegensatzes nicht vorsieht.27 CISNAL und Neofaschisten agieren auf diese Weise auch im Ausland. In achtzig westeuropäischen Städten existierten 1972 neofaschistische Zentralen, die versuchten, unter Gastarbeitern den anderen Gewerkschaften den Rang abzulaufen. MSI-Verbindungsleute für Deutschland sind in der römischen Zentrale der Parteimitbegründer Giulio Baghmo und Mirko Tremaglia. Seit 1969 wurden im Ausland verstärkt kulturelle Zentren, Trikolore-Komitees unter dem Namen Comitato Tricolore per gli Italiani nel Mondo - CTIM - und eine soziale Betreuungsorganisation Ente Nazionale Assistenza Sociale - ENAS - gegründet. Ende November 1971 kam Giorgio Almirante persönlich zur Einweihung des CTIM in Hessen. Die Frankfurter Polizei und der DGB verhinderten jedoch eine am 26. vorgesehene Kundgebung mit dem MSI-Chef, gestützt auf

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das Ausländergesetz und mit der Begründung, »öffentliche Werbung für neofaschistische Ziele« könne nicht hingenommen werden.28 In anderen Bundesländern ist man lässiger. CTIM-Lokale gibt es in Köln, Stuttgart, München, Augsburg und Wolfsburg. Unter dem Pseudonym Mario Milanese schreibt der in der Stuttgarter CTIM-Zentrale residierende Metallarbeiter bei Daimler-Benz Bruno Zoratto als Herausgeber in Oltreconfine, Organ des MSI im Ausland. Da heißt es wie einst bei Mussolini in den faschistischen Ortsgruppen der Auslandsitaliener, jeder, der sein Vaterland liebe und es nicht an die Marxisten verrate, müsse für eine »lebendige Verbindung unter den Italienern kämpfen, gegen materielles Unrecht, aber auch gegen ideelle Verwahrlosung«. Die Agitation spricht die italienischen Emigranten in den Baracken und Massenquartieren als »Bürger zweiter Klasse« an, degradiert von der Untätigkeit der römischen Zentralregierung und - wie die »Freie Stimme der Italiener im Ausland« (Oltreconfine-Untertitel) weiter verbreitete - ständig vom Kommunismus bedroht.29 Die CTIM organisiert Wahlzüge in die Heimat, sogenannte treni tricolori, verlangt das Briefwahlrecht für die Auslanditaliener, lehnt aber Mitbestimmung oder Wahlrecht in Deutschland ab, weil dadurch, so die CTIM, die Emigranten nur »Stimmvieh für die Machtkämpfe linker Organisatoren« würden. Die Propaganda erklärt, wie das MSI in Italien, alles für links und sozialistisch-kommunistisch, was nicht bei ihnen organisiert ist. 1972 waren nach MSI-Angaben 7000 Ausweise in Deutschland ausgegeben, nach den Verfassungsschutzberichten nur die Hälfte. In Stuttgart wehrte sich die Gastarbeiterzeitung »La Settimana« erfolgreich gegen Zorattos Versuche, personellen und finanziellen Einfluß zu gewinnen. Sie stellte fest, daß vor allem Süditaliener, Kalabresen und Sizilianer mit Sprachschwierigkeiten und meridionalen Ressentiments Opfer der CTIM-Agitation würden. Trotz erheblicher Mittel aus der römischen Zentrale gelang es Zoratto und seiner Organisation nicht, eine schwarze Front etwa mit Hilfe von Griechen und Kroaten zu bilden. Dennoch dienten die Büros, vor allem in München, auch den Versammlungen der internationalen Faschistenbünde, getarnt als Jugend-und Pfadfindertreffen. Die CTIM und ihre Unterorganisationen waren bei der zunehmenden Kompromittierung des MSI im Heimatland durch den Bombenterror bis zu 50 Prozent rückläufig. 1973 waren die Mitgliederzahlen auf 2800 gesunken, 1974 auf 2000. Im neofaschistischen römischen Wochenblatt Il Borghese stand zu lesen, der Grund dafür sei eine »kommunistische Zentrale«, die die Ausländerabteilungen der deutschen Gewerkschaften fest im Griff halte und eine gesteuerte Kampagne gegen Almirantes Auslandsleute führe.30

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3. Außerparlamentarischer Neofaschismus

In Italien gab es nach 1969 so viele Gruppen mitfaschistischen Programmen, daß sie zahlenmäßig nicht mehr exakt erfaßt werden konnten. Die Ziele und faschistischen Inhalte von Programm und Ideologie sind deckungsgleich mit denen des MSI, doch fordern fast alle den direkten Umsturz durch eine radikale faschistische Revolution. Die meisten Gruppen haben sich im Laufe der dreißig Jahre, die das MSI im Parlament vertreten ist, von der Mutterpartei abgespalten. Dissidenten gründeten Flügel oder Parallellgruppierungen, die ersten schon in den fünfziger Jahren, als die Faschistische Internationale von sich reden machte und faschistische Ideen vom »Europa der Dritten Kraft« noch durch Faschisten wie Adolf von Thadden, Oswald Mosley, Per Engdahl und andere in fast allen europäischen Ländern vertreten wurden. Das MSI beschickte die Internationale nur mit seinen Hilfstruppen, um in Italien dem gesetzlichen Verbot zu entgehen. Diese Verbindungen lebten in den siebziger Jahren wieder auf in Kongreßveranstaltungen mit Rechten und Faschisten aller Schattierungen aus Spanien, Portugal, Griechenland und Südamerika. In manchen italienischen Städten wie in Rom beherbergten die MSI-Parteizentralen in ihren Fluren die Untergruppierungen von squadristischen Schlägern, von denen sich die Führung öffentlich distanzierte.31

So war die kriminelle Faschistenvereinigung Avanguardia Nazionale -AN - formal vom MSI unabhängig. Ihr Führer Stefano delle Chiaie, ein mehrmals verurteilter und wegen zahlreicher Bombenattentate gesuchter Verbrecher mit dem Spitznamen il bombardiere di Roma, hatte sie 1959 als MSI-Dissident gegründet. Delle Chiaie hielt engen Kontakt zu Almirante und wechselte im Laufe der Jahre mehrfach die Gruppenzugehörigkeit, so daß 1974 sein Name in allen Untersuchungsakten über den Neofaschismus auftauchte. 1970 wurde die »nationale Vorhut« zum harten Kern der faschistischen Studentengruppe an der Universität Rom sowie in Mailand und Turin, wo sie den bewaffneten Terror entfesselte.32 Ihre Ideologie war eine konfuse antidemokratische Plattform für 2000 Mitglieder, die Flugblätter polemisierten gegen das »System der Parteien-, der parlamentarischen Demokratie und gegen den Kommunismus«, auch gegen ein liberales Bürgertum, gegen die »Neoaufklärung« und gegen den nicht näher definierten »europäischen Imperialismus«. Sie forderten die Revolution und nach der gewaltsamen Zerstörung des »bürgerlich-demokratischen Systems« laut einem Flugblatt ein Regime, in dem »Geist, Hierarchie, Gehorsam und wahre Ordnung« herrschten. Zudem war AN eindeutig antisemitisch und rassistisch?3

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Eine weitere wichtige Gruppe, Ordine Nuovo, mit Schwestergruppierungen überall in Europa, orientierte sich in Programm und Ideologie am Nationalsozialismus. Eine Splittergruppe wurde am 21.11.1973 nach einem spektakulären Prozeß gerichtlich für illegal erklärt. Auch diese »Neue Ordnung« ging aus dem MSI hervor. 1956 trennten sich die Ordonovisten nach einem turbulenten Kongreß von der Partei unter dem Rassisten Giuseppe (Pino) Rauti wegen der ihrer Ansicht nach zu wenig faschistischen MSI-Politik. Ordine Nuovo berief sich auf den faschistischen Philosophen Julius Evola und dessen 1937 erschienenes Buch»Mythos des Blutes«; sie hatte als Zeichen die Doppelaxt auf rotem Grund im weißen Kreis und als Motto das der SS: »Unsere Ehre heißt Treue.«34 1969 trat Rauti mit seiner Gruppe wieder dem MSI bei; sie wurde nun zur rassistisch-terroristischen Keimzelle im Parlementsfaschismus. Gegen diesen Wiedereintritt wehrten sich die Ordonovisten Elio Massagrande und Clemente Graziam: sie setzten sich mit einer selbständigen gleichnamigen Formation ab, die bis zu ihrem Verbot 1973 besonderen Terror ausübte. Danach gründete sie sich sofort neu als Ordine nero - Anno zero (Schwarze Ordnung - Jahr Null). Graziani hatte flüchten können, Massagrande hielt sich bis zu seiner Ausweisung 1975 als Restaurantbesitzer in Athen auf. Zu den Druckwerken der Ordine Nuovo gehörten Ausgaben von Adolf Hilters »Mein Kampf« mit Vorworten von MSI-Parlamentariern. Auf allen MSI-Parteitagen lag eine offizielle Bücherliste der Gruppe aus mit Lebensraum-Theorien faschistischer Klassiker wie Berdèche, Mosley, Rocco, Gentile und Evola bis zu konkreten Ausarbeitungen von Staatsmodellen eines künftigen »organischen Staates der Weißen und Rassisten«; Ziel der Gruppe war eine durch den »jungen Antimarxismus« durchzuführende »nationale und soziale Revolution«.36 Die Sprache der Ordonovisten ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Parteien wurden als »Krebsgeschwür der Nation« bezeichnet und die Demokratie als »tödlich für den menschlichen Geist«. Von Rauti selbst stammte das Wort von der Demokratie, die eine »Infektion des Verstandes« sei.37 Nach ihrem Wiedereintritt in die neofaschistische Partei verbreitete die Sektion Ordine Nuovo dieses »Gedankengut« in Studienzirkeln und publizierte eine Fülle von extremistischem Schrifttum wie Presenza, Civiltà neben den Werken Rautis, in denen er den Faschismus verherrlichte und die Demokratie lächerlich machte.38 Ordine Nuovo hatte in Venetien, in Kampanien und in Sizilien die militantesten Anhänger. Ihre Zahl wurde auf rund tausend geschätzt. Besonders in der Broschüre Noi Europa (Wir Europa) und in einem Pressedienst Eurafrica entwarfen die Ordonovisten die phantastisch anmutenden Thesen von einem faschistischen Europa »als dritter Kraft zwischen US-Kapitalismus

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und russischem Bolschewismus«, beherrscht von einer rassereinen kämpferischen Elite.' Die Ausarbeitungen waren sehr konkret. Es gab in diesen Staatsmodellen weder Parteien noch Rechte für Minderheiten.

Neben diesen beiden militanten Gruppen der außerparlamentarischen Rechten gab es eine dritte auf der Linie eines Faschismus militärisch-konservativer Orientierung. Die nationale Front Fronte Nazionale - FN -wandte sich an Soldaten und Offiziere mit einer nationalistisch-patriotischen Ideologie und strebte einen starken autoritären Militärstaat mit Präfektensystem und berufständischer Kammer an. Führer eines solchen Staates wollte Fürst Junio Valerio Borghese werden; er entstammte einem alten Adelsgeschlecht, das Päpste zu seinen Ahnen zählte und riesigen Landbesitz hatte. Im Faschismus war der Fürst Kommandant der Torpedo-Flotte Decima Mas gewesen, die erhebliche Abschußquoten ausweisen konnte. So galt Borghese bei Adel und Militär als soldatischer Held, der aus seiner Abneigung gegen die parlamentarische Demokratie kein Hehl machte. Er wurde Vorsitzender des Frontkämpferbundes und MSI-Ehrenpräsident, nachdem er durch eine Amnestie aus der Haft wegen Kriegsverbrechen entlassen worden war. Da er gegen Parteien war und ihm der Kurs des MSI in den fünfziger Jahren zu parlamentarisch wurde, sammelte er Faschisten aus Kultur, Justiz, Wissenschaft und Heer in elitären Zirkeln. Seine Parole hieß: »Nein zum System, ja zur Ordnung, zur Macht, zur Disziplin.« In Interviews mit der Presse40 berichtete er von einem von der FN errichteten Schattenstaat aus Getreuen in über zwanzig Städten, von Zuwendungen aus Industrie und Finanzwelt, doch bis 1970 nahm niemand in Italien ihn sonderlich ernst.

Zu den ältesten Gruppen des aktionistischen Neosquadnsmus zählten ferner die Squadre d' azione Mussolini- SAM-;auch sie sind verantwortlich für eine Reihe von Anschlägen und Überfällen in der gesamten Nachkriegszeit. Innerhalb diesen Aktionsquadren fand eine ständige Fluktuation der Mitgliedschaft statt, so etwa zur FUAN oder zu einer weiteren militanten Gruppe, Movimento di Azione Rivoluzionaria - MAR -, deren Führer Carlo Fumagalli nach dem Attentat auf die Gewerkschaftsversammlung von Brescia Ende Mai 1974 angeklagt wurde.41 Zusammenstellungen antifaschistischer Organisationen haben ergeben, daß alle Fäden stets in irgendeiner Form im MSI oder in dessen personellem Umkreis zusammenliefen, doch erst in den siebziger Jahren mit dem wachsenden Terror wurde durch gerichtliche Untersuchungen der instrumentale Charakter dieses schillernden Durcheinanders von sich stets verändernden, wieder neugegründeten und ebenso schnell verschwindenden Faschistenbünden offenbar. Die Verfilzung erstreckte sich auch auf

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anarchistische Zirkel und linksmilitante Brigaden, wie das gefundene Notizbuch des untergetauchten Faschisten Mario Merlino in Anmerkungen und Adressenverzeichnis bewies.42

Der heterogene Charakter der Kampforganisationen mit ihrer einheitlichen, gegen die demokratischen Institutionen gerichteten Zielsetzung, die sie mit den gleichen terroristischen Methoden zu verwirklichen trachteten, gestattet es, sich bei den restlichen Faschistenbünden mit einer Auswahl aus dem Spektrum zu begnügen. So gab es außer den bereits genannten in den siebziger Jahren noch die Avanguardia Rivoluzionaria, eine Falangistengruppe Cavalicri di Cristo Re in Mailand, in Catania die Cavalieri della Nazione, in Rom ein klerikalfaschistisches Centro Politico Italiano eines gewissen Mario Eichberg, der 1972 auf den MSI-Listen kandidierte, eine Sinistra Nazionale des früheren MSI-Abgeordneten Domenico Leccisi in Mailand, in Varese ein faschistisches »Notkomitee für die Öffentliche Wohlfahrt«, Komitees für die »Verteidigung der christlichen Zivilisation«, für »Nationale Verbrüderung«, für »Antikommunistischen Kreuzzug« - alle mehr kleinbürgerlicher Art, während Gruppen wie Europa Civiltà in Rom, Italia Nuova, Italia Irredenta oder einfach Gamma, AR oder Aquila paramilitärischen Charakter hatten.43

4. Programm und Ideologie da Neofaschismus

Das MSI berief sich in seinen Wahlprogrammen auf die Programmatik der faschistischen Sozialrepublik, auf Corradinis nationalen Syndikalismus und auf Giovanni Gentile. Die Programme waren Formelkataloge von Nationalismen, faschistischer Apologetik und voller Gemeinplätze. Kernpunkt der Vorstellungen war die Perspektive eines zentralisierten und autoritären Staates, mit den Worten Almirantes: »Autorität von oben zur Stärkung des Staates und Freiheit von unten.«44 Was dies konkret bedeutete und wohin das zielte, zeigten die Missini in zahlreichen Glückwunschadressen an Protagonisten der Rechtsputsche in Griechenland und Chile. Im November 1973 reisten die MSI-Deputierten Mirko Tremaglia und Giovanni Borromeo zum chilenischen Junta-Chef Augusto Pinochet, um ihm Almirantes Botschaft der »Solidarität und des Verständnisses im Namen der Italiener« zu überbringen, und Pinochet erwiderte, er fühlte sich im Namen des chilenischen Volkes sehr ermutigt. Wer da im Namen der Italiener sprach, unterhielt auch in Spanien gemeinsam mit den Ordonovisten eine ständige Delegation.45 Das politische Programm der Neofaschisten für die nationalen Wahlen

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von 1972 umfaßte folgende Forderungen: Direktwahl des Staatspräsidenten und Erweiterung seiner Kompetenzen, Direktwahl auch der Bürgermeister, Agrarhilfen für den Süden, Rehabilitation ehemaliger faschistischer Parteimitglieder, Wiedereinführung der Todesstrafe, selektionistisches Leistungsprinzip in Schulen und Universitäten, für die italienische Wirtschaft Korporativismus und Autarkie, Reglementierung des Streikrechts durch ein Gesetz, Aufstellung eines europäischen Heeres mit nuklearer Verfügungsgewalt zur Entlastung der NATO und Verbot der Kommunistischen Partei. Das MSI kämpfte ferner für die Abschaffung der Scheidung und gegen die Reform des Abtreibungsgesetzes, weil es solche Initiativen als »familienzersetzend und der natürlichen Funktion der Frau zuwiderlaufend« betrachtete.46

Faschismus wie Neofaschismus in MSI-Form lehnten in Propaganda und Ideologie jeden Gedanken an eine potentielle Gleichheit der Menschen ab, während sie Hierarchie, Disziplin und Gehorsam als notwendig und als absoluten Wert betrachteten. Romantische Kameradschaftsvorstellungen, die bereits in der Anrede camarata Ausdruck fanden sowie bedingungslose Unterordnung und Betonung der Gewalt bis zur mystischen Verherrlichung der Härte um ihrer selbst willen gingen vor allem in den MSI-Jugendgruppen um und gipfelten in einem Blut-und Todeskult von erotischer Anziehungskraft.47

Im Parlament präsentierte sich der Faschismus auch 1974 als reaktionäre Kraft: Mehr als 20 MSI-Abgeordnete meldeten sich in der Reformdebatte um den aus dem Jahre 1931 der faschistischen Ära stammenden Strafvollzug zu Wort. Das von Alfredo Rocco geschaffene Gesetz nebst Strafvollzugsordnung sollte durch eine soziale und die Rehabilitierung der Häftlinge erleichternde Regelung abgelöst werden, was vor allem nach den zahlreichen Revolten in den zum Teil antiquierten und menschenunwürdigen Gefängnissen während der siebziger Jahre dringend geboten schien. Die Missini hielten jede Orientierung an internationalen Maßstäben und an UN-Normen für abwegig und attackierten den neuen Gesetzesentwurf als »sozial gefährlich« und »politisch aufrührerisch«, er sei am »sozialistischen Positivismus orientiert« und nicht am »Staat und einer nationalen Gesellschaft«.48

Eine solche Einstellung war auch unter nicht faschistischen Konservativen weit verbreitet. Ob die inhaltlichen Vorstellungen des MSI-Programms eine große Rolle bei den Wahlerfolgen der Partei gespielt haben, läßt sich im Rahmen dieser Abhandlung nicht nachprüfen. Andererseits haben dreißig Jahre Republik für Italien statt politisch und wirtschaftlich normaler Verhältnisse, statt Arbeitsfrieden und Reformpolitik nur eine Dauerkrise gebracht,, was an sich schon eine hinreichende Erklärung für das Vorhanden-

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sein von Rechtsradikalismus bietet. Das MSI formulierte überspitzt die Ängste gewisser Klassen, die von der verantwortlichen Partei in allen Regierungen der DC, stets ebenfalls für ihre Politik mobilisiert worden waren. Die rechtsradikale Alternative lautete verkürzt: Überwindung des Klassenkampfes durch einen Produzentenstaat, in dem alle, Unternehmer und Arbeiter als Produzenten am Produktionsprozeß beteiligt sind und daher - nach MSI-faschistischer Logik - diesen nicht unterbrechen können, da sie sonst ihr eigenes nationales Gut zerstören.49 Das Wirtschafts- und Sozialmodell der »nationalen Befriedung« hat folgende Kriterien und Ordnungsvorstellungen: Priorität von Ordnung und Autorität, strenges qualitatives Selektionsprinzip; Staat und Nation sind gegebene höhere Einheiten, strikte Hierarchien ersetzen die Willensbildung durch innerparteiliche Diskussion. In diesem Schema wird das Individuum zur Agitationsfigur herabgewürdigt und der Staat fungiert als Erziehungsanstalt.50 Besonders drückt sich die Hierarchie-Ordnung in der Militarisierung und Korporierung der Miliz, der Polizei, der berufständischen Korporationen und der faschistischen Partei aus. Stellvertretend für alles neofaschistische Schrifttum, das sich mit der faschistischen »Alternative zum System« inhaltlich befaßte, können die Arbeiten von Rutilio Sermonti gelten. Der ehemalige italienische SS-Offizier, Freund Pino Rautis und Autor in dessen Reihe Civiltà, einer »Zeitschrift für (neofaschistische) Politik und Kultur«, schrieb dort 1974 über die neofaschistische Vision für Italien: »Unser Staat ist organisch. In ihm sind Individuen oder Persönlichkeit in eine feste hierarchische Bindung gestellt - einen Egalitarismus gibt es nicht. Der organische Staat ist qualitativ struktuiert nach dem Wert des Einzelnen. Die Legimitation bezieht er aus folgenden Basisprinzipien: Ehre, Treue, Glauben, Opfer, Heroismus, Liebe zum Vorgesetzten, zum Ideal, zum Wahren... Selektion ist Strukturprinzip dieses Staates... die an solcher hierarchischen Wertordnung ausgerichtete Ordnung wird durch die Streitkräfte garantiert.«51

Typisch für die autoritäre Ideologie und deren Agitationsmuster ist das Freund-Feind-Schema mit seiner strikten Zweiteilung in zersetzende und erhaltende Kräfte. Der faschistische Aktionismus leitet daraus sein Naturrecht ab, den Gegner in Politik, Kultur und Gesellschaft verbal außerhalb des menschlichen Bereichs zu stellen. So wurden in der politischen MSI-Sprache nationale Minderheiten beispielsweise als »bestia slava«, Juden als »Vampire« und Farbige als minderwertig abqualifiziert. Jeder über das Polemische hinausgehende Dialog mit dem Andersdenkenden wurde abgelehnt. Dadurch, daß die Squadristengruppen die eigene Aggressivität auf den »Feind« projizierten, wurde

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der militante Antikommunismus gerechtfertigt, der sich gegen fortschrittliche Katholiken, Sozialisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaften gleichermaßen richtete. Alle Vertreter des gesellschaftlichen und sozialen Fortschritts sind in der MSI-Diktion socialcomunisti.5 Die neofaschistische Definition des »sindacato« sieht in den Betrieben Arbeitsvertretungen vor, die sogenannte »cogestione« oder »socializzazione«, die auch die CTIM propagierte. Dies heißt nicht Mitbestimmung, nicht Sozialbindung des Eigentums oder Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Vielmehr wird durch das faschistische Syndikat der reibungslose Produktionsablauf garantiert. Rechte und Pflichten dieses Syndikats waren im Faschismus in der Carta di Lavoro von 1927 juristisch fixiert; Arbeitsgerichte legten Auseinandersetzungen auf administrativem Wege bei. Das MSI reichte 1952 einen Entwurf für die »Sozialisierung« in den großen Staatsindustrien nach diesem Muster ein; er sah zum Beispiel Exekutiventscheidungsgewalt für einen »Nationalen Rat für Wirtschaft und Arbeit« vor, der als Relikt aus der faschistischen Ära weiterexistierte, aber in der Republik nur beratende Funktion hatte. Der Antrag des MSI passierte damals nicht einmal die Parlamentsausschüsse.53 In der Propaganda wurden gewerkschaftliche Lohn- und Arbeitskämpfe folgerichtig als Schwächung von Produktion, Staat und Nation, als Destruktion und sozialistische Gleichmacherei dargestellt. Die selbständigen Arbeiterorganisationen wurden ähnlich wie die Minderheiten zu Untermenschen gestempelt und wie Kriminelle und Homosexuelle als Volksschädlinge angeprangert. Voraussetzung für das Funktionieren eines solchen Feindbildes ist die Entwicklung einer Aggressionstheorie mit klarer Kennzeichnung des innen- und außenpolitischen Gegners, um den eigenen paramilitärischen Apparat zu rechtfertigen und verunsicherte Schichten zu gewinnen. So schuf das MSI von 1969 bis 1974 in der gefährlichsten Krisenzeit Italiens eine »Strategie der Spannung«, mit Hilfe jener für den Faschismus typischen Mehrgleisigkeit aus squadristischem Terror, Vorspiegelung einer politischen Alternative und Instrumentalisierung der Krisensituation, zu der der Terror gleichzeitig wesentlich beiträgt. In dieser Strategie der Spannung ist die auffällig und offen artikulierte Polemik gegen Monopole und Kapitalismus, die MSI und Faschistengruppen geschichtlich vom Frühfaschismus und aus der späten Sozialrepublik Mussolinis beziehen, von rein taktischer Bedeutung. Ein solcher neofascismo socialisteggiante verschleiert geschickt mit einer Theorie von Produktionsprimat, daß er in der Praxis allein die Interessen des Kapitals und der Unternehmer vertritt.54

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II. Geschichte und Herkunft des Neofaschismus

1. Faschismus und Antifaschismus

Der italienische Faschismus war 1919 von dem ehemaligen Sozialisten und Chefredakteur des Parteiorgans Avanti, Benito Mussolini, zusammen mit Kriegsteilnehmern, Futuristen und nationalen Syndikalisten als »Bewegung gegen Kapitalismus und Bolschewismus« gegründet worden.1 Diese usurpierte als reaktionäres Sammelbecken und Instrument des Kapitals gegen die organisierte Arbeiterschaft 1922 die Macht und faschistisierte 1925 das Staatsgefüge. Gegen diese Entwicklung hatte es stets und von Anbeginn Widerstand gegeben. Die natürlichen Vertreter der Resistenza waren vor dem Verbot durch leggi fascistissimi Gewerkschaften und Parteien. Den Widerstand der Arbeiter zerschlugen die faschistischen Squadren als Exekutive der Großbourgeoisie und der Großagrarier. Nachdem Faschisten den sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti wegen einer antifaschistischen Rede in der Abgeordnetenkammer 1924 ermordet hatten, demonstrierten die oppositionellen Parlamentarier gegen das Regime des Duce mit dem Auszug auf den Aventin. Aber der »Aventin« war ein unwirksames Mittel und für viele seiner Vertreter die Vorstufe zum Exil, zur Inhaftierung oder zum jahrzehntelangen Dasein im Untergrund.2

Dort organisierten sich, stets bedroht durch die Geheimpolizei und einen 1926 errichteten Sondergerichtshof, Zellen der Resistenza mit losem Kontakt untereinander. Ein großer Teil der intellektuellen Elite verblieb jedoch auch unter wachsendem Druck des Regimes im Lande, äußerlich zum Faschismus bekehrt und notfalls auch im Schwarzhemd, tatsächlich aber als Verbindungsleute der antifaschistischen Emigranten und als Verteiler verbotener Schriften.3 Dabei kam Kommunisten und Sozialisten ihre straffe Organisation zugute, doch auch die Liberalen und Konservativen formierten sich in den Gruppen Giustizia e libertà und Alleanza Nazionale. Nach ihrer Rückkehr aus dem Exil gegen Kriegsende über-

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nahmen die Resistenzaführer das Kommando über die militanten Zellen im Lande, der bekannteste unter ihnen war Ferruccio Parri. Man kann den Mythos der Resistenza, der damals die auch unter den antifaschistischen Kombattanten vorhandenen ideologischen Divergenzen -etwa zwischen Katholiken, Sozialisten, Liberalen und Kommunisten -überdeckte, nicht hoch genug einschätzen. Die euphorische Aufbruchsstimmung bei Kriegsende wurde durch die Resistenza geprägt, und nach Abschluß der Friedensverhandlungen lebte sie in Politikerpersönlichkeiten weiter, auch nachdem die von ihr getragenen Kabinette der Vergangenheit angehörten. Exponenten der Resistenza im politischen Leben Italiens waren der ehemalige Staatspräsident Giuseppe Saragat, der Republikaner Ugo La Malfa und der Sozialist Sandro Pertini, stellvertretend für viele andere. Eine ganze Generation von Historikern ging aus der Bewegung hervor und schrieb das für die Nachkriegsgeschichte der Republik entscheidende Kapitel: zum Beispiel Leo Valiani, Luigi Salvatorelli und Gaetano Salvemini. In vielen Instituten wurde die Bedeutung der »Freiheitsbewegung in Italien« (Movimento di liberazione in Italia) aufgearbeitet, wissenschaftlich dokumentiert und tradiert. Im Bewußtsein, den Faschismus gemeinsam durch konkrete Aktion in ihren Brigaden überwunden zu haben, entwarfen die Vertreter der Resistenza eine Verfassung im Geiste des Antifaschismus, aber auch des euphorischen Idealismus. Am 26. April 1975 waren 30 Jahre seit der Befreiung Italiens vergangen. Die Feiern konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß trotz der Verfassungsinhalte der Faschismus auch in den siebziger Jahren virulent und daß die Resistenza und ihre Geschichte mehr schamhaft verschwiegen als tradiert worden waren.

2. Italien von 1943 bis 1945

Mussolini war im Achsenbündnis mit Deutschland 1940 in den Krieg eingetreten, überzeugt von der Überlegenheit der deutschen Wehrmacht nach deren ersten großen Erfolgen. Schlecht ausgerüstet begann Italien ein sechsmonatiges militärisches Abenteuer mit dem Angriff auf Griechenland, um der Erfolgsserie Hitlers einen Sieg des italienischen Faschismus an die Seite zu stellen. Ein Debakel wurde nur durch die deutsche Intervention verhindert. Der Mythos des Duce war bereits angeschlagen, als die zwei Schlachten bei El Alamein 1942 die Wende für Italien signalisierten. Nach einem verlustreichen Winter befanden sich die deutschitalienischen Truppen im Frühjahr 1943 auf dem Rückzug. Lybien ging verloren, und am 1.3. Mai endete der Afrika-Feldzug mit der Kapitulation

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vor den alliierten Streitkräften. Seit der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 erlebten italienische Städte massive Bombenangriffe, und im Land verbreitete sich das Entsetzen über die Gewißheit, diesen kurzen Krieg zu verlieren und Schlachtfeld zu werden.4

Die militärische Situation nach nurmehr drei Kriegsjahren läutete das Ende des Faschismus ein. Hinzu kamen im Norden eine Reihe von politisch motivierten Streiks in den Fabriken. Der erste begann in März 1943; der äußere Anlaß waren die immensen Lebenshaltung kosten und die niedrigen Löhne, doch über diese offizielle Begründung hinaus handelte es sich um die erste Manifestation politischer Natur nach langen Jahren der Abstinenz. Forderungen nach Beendigung des mörderischen Krieges und nach Abschaffung des Faschismus wurden laut. In Turin bei FIAT-Mirafiori arbeiteten kommunistisch-sozialistische Geheimzellen, die auch die nachfolgenden Streiks von Hunderttausenden in Mailand bei Pirelli, Marelli und Falck organisierten. Das Regime nahm die Herausforderung schweigend zur Kenntnis. Militärs und Industrielle begannen, ihre Haltung gegenüber dem Faschismus zu revidieren. Zunehmende Kritik an der engen Bindung Italiens an Hitler wurde vor allem in königstreuen Kreisen laut, und als Churchill den Diktator als alleinverantwortlich für den Krieg erklärte, erleichterte das die geheimen Vorbereitungen für Waffenstillstandsverhandlungen jener Kreise, die sich des Duce entledigen und die Produktionsmittel im Norden vor der Zerstörung retten wollten.5

Besonders die Briten waren für solche Überlegungen offen und vertraten die Auffassung, daß die Führung einer gefestigten Monarchie mit den konservativen Kräften gemeinsam die Garantie biete, Italien vor der Machtübername durch eine Volksfront aus Kommunisten und Sozialisten zu schützen. Roosevelt, in Unkenntnis über die Kräfteverhältnisse im Lande, schloß sich auf der Konferenz der Alliierten, die im August 1943 in Quebec stattfand, den englischen Überlegungen an. Italiens Monarch Vittorio Emanuele konnte sich bei der Entmachtung des einst von ihm selbst berufenen Mussolini auf die Königstreue des Heeres,der Leibgarde der Arma dei Carabinieri und auf den Marschall Pietro Badoglio verlassen. Wegen der vermutlichen Reaktion Hitlers wartete man jedoch damit bis zur Landung der Alliierten auf Sizilien und zum Bombenangriff auf Rom am 19. Juli 1943. Sechs Tage später wurde Mussolini im faschistischen Großrat gestürzt und verhaftet. Badoglio übernahm die Regierungsgeschäfte und handelte mit den Alliierten einen kurzen Waffenstillstand aus, nach dem der Südteil Italiens an der Seite der westlichen Verbündeten wieder in den Krieg eintrat, diesmal gegen Deutschland und den faschistischen Reststaat.7

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Vier Tage nach der Verkündigung des Waffenstillstandes, am 12. September 1943, befreite ein deutsches Hubschrauberkommando unter Otto Skorzeny den Duce aus seiner Haftstätte auf dem Berg Gran Sasso. Nach einer Besprechung mit Hitler im Führerhauptquartier und dessen Einverständnis riefen die geflohenen Faschisten über Radio München die »Italienische Sozialrepublik« (Republica Sociale Italiana - RSI) aus. Das Territorium der RSI lag in dem von deutschen Streitkräften gehaltenen Norditalien und nahm Salò am Gardasee als Regierungssitz. In einer Rede schwor Mussolini all denen Rache, die »Verrat« an ihm am Faschismus und am Bündnispartner begangen hatten.

So wurde Italien Ende 1943 zum zweigeteilten militärischen Operationsgebiet: Bis zum Sommer 1944 bildete Mittelitalien das Rückzugsfeld für die deutsche Wehrmacht und die mit ihr verbündeten Faschisten; Norditalien wurde zum Aufmarschgebiet und Versorgungsreservoir; im monarchistischen Südteil schob sich die alliierte Front von Salerno und Neapel über Monte Cassino bis nach Rom und Florenz vor. In dieser Situation entstand in den Bürgerkomitees Comitati di Liberazione Nazionale - CLN - eine dritte politische Kraft. Bereits einen Tag nach dem Waffenstillstand hatte sich in Rom ein CLN-Zentralkomitee gebildet. Im Gegensatz zu dem präfaschistischen-restaurativen Badoglio-Regime verstanden sich die Komitees als Kämpfer auch für eine institutionelle Erneuerung nach der Befreiung des Landes. Die Besatzungsmächte verfolgten diese Entwicklung und die wachsende Einheit, die sich zwischen Widerstand, Exilparteien und Komitees herausbildete, mit Mißtrauen, denn alle im CLN vertretenen Parteien (PCI, PSIUP, PdL, DC und PLI) opponierten gegen die britischen Pläne einer präfaschistischen Restauration. Schließlich wurde der vom CLN auf Badoglio ausgeübte Druck so groß, daß das Regime fast fluchtartig seinen Regierungssitz ins apulische Brindisi verlegte.9

3. Programm des republikanischen Faschismus

Von der Gründung einer faschistischen Republik erfuhren die Norditaliener im September 1943 durch die Zeitung zwischen den Nachrichten über die Kürzung der Brotrationen und die Trinkwasserverteilung. Die politischen und militärischen Ämter der Republik wurden von Mussolini ergebenen Faschisten wie Alessandro Pavolini, Roberto Farmacci, Renato Ricci und dem Marschall Rodolfo Graziani besetzt. Eiligst rekrutierte der neue Staat Truppen, stellte eine Miliz, die Guardia Nazionale Repubblicana, auf und gründete eine faschistisch-republikanische Partei.

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Partito Repubblicano Fascista. Mit Hilfe dieser Organe und reoganisiert nach dem faschistischen Prefäktensystem sollte das wertvolle Industriepotential von Mailand und Turin unter Kontrolle genommen werden.10

Dazu hielt der Spätfaschismus im November in Verona einen programmatischen Kongreß ab, nachdem er mit den Verrätern vom 25. Juli abgerechnet hatte. Am 11.1.1944 erschossen die Faschisten sechs von den 18 Mitgliedern des Faschistischen Großrates, die gegen Mussolini gestimmt hatten, darunter Graf Galeazzo Ciano, Schwiegersohn des Duce und sein einstiger Außenminister.11

Um die für das faschistische Regime so gefährlichen und unkontrollierbaren Streik zu verhindern, suchte der Parteikongreß ein Konzept zur Befriedung der für die Rüstung wichtigen Produktionsstätten. So entstand das »Programm von Verona« mit seinen Sozialrevolutionären Anlehnungen an die Zeit des Frühfaschismus von 1919, auf das sich alle nachfaschistischen Bewegungen und Parteien in Italien berieten. Das MSI nahm dabei stets Bezug auf die »Originalität« und die »Reinheit« dieses Faschismus, der etwa nach Meinung Almirantes nur duch den Druck der Ereignisse und den ungünstigen Kriegsausgang nicht zum Tragen kam.12 Das Programm umfaßte 18 Punkte, in denen die Ausleseprinzipien für die Parteihierarchie als »Organismus von höchster politischer Reinheit« festgelegt wurden. Den »Plutokratien der Welt« wurde der Kampf angesagt, und der Kapitalismus sollte abgeschafft werden. Nahezu wörtlich waren einzelne Passagen dem Frühfaschismus und dessen Programm von San Sepolcro von 1919 entnommen, das in einem Versammlungsraum an dem gleichnamigen Mailänder Platz formuliert und als fascismo delle origini bezeichnet worden war. Bereits damals waren Forderungen nach Mitbestimmung in Produktionsfragen und nach Sozialisierung der Betriebe erhoben worden, die aus dem nationalen Syndikalismus stammten. Der heterogenen Versammlung aus Futuristen, ehemaligen Sozialisten, Heimkehrern und Nationalisten schwebte 1919 ein drittes Modell zwischen Bolschewismus und Kapitalismus vor. Der vage aus Antimarxismus und Antiliberalismus gemixte Formelkatalog war bereits 1920 vergessen, als Mussolinis Politik mit dem liberalen System begann.13 1943 besann sich der Faschistenführer auf diese Ansätze eines »linken Faschismus« und ließ den Kongreß formulieren, die Sozialrepublik werde ein Produzentenstaat, in dem die Arbeit das »Hauptprinzip der Wirtschaft und die Basis des Staates« sei.14 Das Sozialprogramm sah vor, daß die Wirtschaft durch einen Zentralausschuß für Sozialisierungsfragen und ein korporatives Wirtschaftsministerium gelenkt werden sollte, bei weiterbestehender Privatinitiative und Privateigentum als »Frucht des

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Sparens«. Ferner waren Verstaatlichung nach »kollektivem Interesse« und innerbetriebliche »Vertretungen von Arbeitern und Technikern« vorgesehen, ein Modell, das sich aus den Schriften des Syndikalisten Enrico Corradini rekrutierte. Die Mitbestimmung beschränkte sich gemäß der Carla di Verona auf »Lohn- und Verteilungsfragen«, eine Zwangsgewerkschaft regelte Arbeitskämpfe gerichtlich und garantierte den reibungslosen Produktionsablauf.15

In einem solchen faschistischen Produzentenstaat mit der determinierten Priorität der Produktion gab es keinerlei autonome Betriebsorganisation außerhalb der Korporation. Der Staat verfügte über sämtliche dirigistischen Exekutivmöglichkeiten. Träger von Staat und Exekutive der RSI war nach dem Programm die faschistische Partei, die aus einer ausgewählten Elite bestand. Auf dem Papier von Verona wurde der ideale faschistische Staat entworfen, strukturiert nach Qualitativauswahl und streng hierarchisch gegliedert, mit der Miliz aus faschistischen Squadren als paramilitärischer Exekutive, mit der berufständischen Sozialordnung der Korporationen. Nur eines war orginell und neu an der RSI-Programmatik: Die Definition des »organischen Prouktionssektors« als »Sozialisierung«. Tarifverträge können nach diesem Modell zwar geschlossen, aber wegen des Produktionsprimats nicht durch Arbeitskampf verändert werden. Der faschistische Staat repräsentiert in dieser reinsten Form das kapitalistische Konzentrationsprinzip eines gut funktionierenden Unternehmens, in dem sich der Produktion und deren Ablauf alles nach- und unterordnet.16

4. Politische und soziale Realität der Sozialrepublik

Mussolini und seine Hierarchen planten mit dem Sozialprogramm eines »reinen«, also nicht durch die Monarchie und alte Strukturen kompromittierten Faschismus, die Annäherung an die Arbeiterschaft und damit an eine Schicht, die dem Faschismus stets fern gestanden und ihn nie gewählt hatte. Das Programm des späten fascismo socialisteggiante täuschte die Arbeiter nicht über den Charakter einer von Terror bestimmten Diktatur hinweg, als die sich die RSI und ihre Organe zeigten. Nominell war Mussolini Regierungschef und Außenminister und Graziani Verteidigungsminister, aber in den halbleeren Städten herrschten Wehrmacht Gestapo und SS. Der Faschist Giovanni Preziosi leitete ein Rasseamt, um den Deutschen bei Judendeportationen zuzuarbeiten. Dies war durch einen entsprechenden Passus im Verona-Programm festgelegt worden. So gehörten neben Bombardierung, Hunger und Kälte Razzien auf Juden,

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desertierte Soldaten und arbeitsfähige Männer zum Alltag der Sozialrepublik.17 Zwangsdeportierte Arbeiter büßten in Deutschland in Lagern für den Kriegsaustritt Italiens. In Norditalien selbst litt die Bevölkerung unter Nahrungsmangel. Es gab fast keinen Strom im Winter, kaum Transportmittel und keine funktionierende Post. Die deutsche Wehrmacht und die RSI-Funktionäre regierten durch Bekanntmachungen und Verordnungen, die Marschall Kesselring an sämtlichen Mauern anschlagen ließ. Das Leben des einzelnen war unerträglich reglementiert: auf Fernbleiben von der Arbeit stand Erschießung, alle Fahrzeuge wurden beschlagnahmt und am Hauseingang mußten auf einer Liste alle Bewohner aufgeführt werden, um den Häschern die Suche nach Juden oder wehrfähigen Männern zu erleichtern.18

Aber auch die Repubblichini (Republikanerchen), wie die Salófaschisten verächtlich getauft wurden, unterlagen samt ihrem kränkelnden Duce deutscher Überwachung. Die Telefone der Marionetten-Regierung wurden abgehört, und jeder Versuch, faschistische Sozialisierung in den Fabriken in die Praxis umzusetzen, von den Deutschen bereits im Ansatz unterbunden, so daß die faschistische Mitbestimmung über die Dekretierung in der Gazzetta ufficiale nicht hinauskam. Presse und Propaganda kontrollierte die deutsche Zensur, und für das Funktionieren des RSI-Apparates über das Militärische hinaus fehlten alle technischen Voraussetzungen, ein Glück für den im Untergrund operierenden Widerstand. Dieser fand wachsenden Rückhalt in der drangsalierten Bevölkerung, die die Partisanen in den Gebirgstälern und auf dem flachen Lande versteckte. In der Lombardei, im Piemont, in der Toscana und in der Poebene fanden die Brigademitglieder und Desertierten Unterschlupf und machten Besatzern und Herrschenden zu schaffen. Wer jenen in die Hände fiel, war zum Tode verurteilt. Eine Verordnung des RSI-Ministeriums für Volkskultur gab Anweisung, alle Aufgegriffenen ohne Prozeß von hinten zu erschießen, wenn sie sich bis zum 25. Mai 1944 nicht freiwillig stellten. Eine dieser Weisungen, 1972 im Archiv der Präfektur von Lucca gefunden und publiziert, trug die Unterschrift des zuständigen faschistischen Unterstaatssekretärs in jenem Ressort, Giorgio Almirante.19 Allein bei Bologna-Marzabotto wurden Ende September 1944 500 Zivilisten und 300 Partisanen erschossen.20 Und der nazifaschistische Terror wuchs mit den militärischen Rückschlägen und der zunehmenden Verunsicherung der Salòfaschisten durch die Partisanen, die mittlerweile über Brigaden von 9000 Mann und über 125 000 Aktive verfügten. Schon im März 1944 meldeten die Faschisten nach Salò, vier Fünftel der Bevölkerung seien ihnen feindlich gesinnt, apathisch und nicht begeisterungsfähig. Das Territorium der RSI selbst

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hatten die Deutschen bereits beträchtlich beschnitten. Das Voralpenland mit Trient, Bozen, Belluno und das Küstengebiet mit Triest, Udine, Görtz und Fiume waren zur Rückgliederung ins deutsche Reich bestimmt; es gab dort weder die republikanisch-faschistische Partei noch Mussolinis Präfekten. Deutsch war Amtssprache, deutsche Funktionäre wie Gauleiter Hofer in Trient betrieben die Umwandlung in deutsche Provinzen und systematisierten den wirtschaftlichen Raub. 1944 wurde ein Viertel der Nahrungsmittelproduktion, Industrieanlagen bei Ravenna und 75 Tonnen der Banca d'Italia aus diesen Gebieten abtransportiert, in denen wie überall in der RSI an die deutschen Truppen eine Besatzungssteuer von 7 Milliarden Lire monatlich zu zahlen war. Der RSI-Staat war also eine Schimäre. Seine Hierarchen, untereinander obendrein zerstritten, vollzogen ausschließlich den Willen der Besatzer. In der MSI-Publizistik wurden die RSI als die »Evolution des faschistischen Gedankens« und Mussolini als Retter des italienischen Volkes vor dem »germanischen Zorn über Badoglios Verrat« verherrlicht. Die Resistenza dagegen wurde als illegaler Aufstand gegen die legitime Regierung dargestellt, ferngesteuert durch die Zentrale des Weltkommunismus. Die Resistenza fand aber gerade in der Arbeiterschaft eine breite Basis. Bereits im November 1943 gab es in Turin Unruhen mit Toten und Verletzten, als die Deutschen trotz des Bombardements Weiterarbeit angeordnet hatten. Im Frühjahr zeigte ein Streik für pane, pace, libertà (Brot, Frieden, Freiheit) im Turiner Mirafiori-Werk von FIAT das Klima der Rebellion an. Im März 1944 folgte der erste und in Europa einzige Generalstreik unter deutscher Besatzung und nach 20 Jahren Faschismus. Er breitete sich in ganz Piemont aus. »Patriotische Aktionsgruppen« von Arbeitern hielten Deportationszüge an und sprengten gemeinsam mit der CLN Weichen und Elektroanlagen, um die Verbindungen der Wehrmacht zu kappen. Auf den Straßen wurden Faschisten und Panzer von Frauen angegriffen.

Die dritte und letzte Phase der Resistenza-Erhebung war ein im April 1945 vorbereiteter Streik, der mit dem Auszug aus den Fabriken unter dem Motto »Streik gegen Hunger und Terror« begann. Er war zugleich für CLN und Partisanen die Generalprobe für den bewaffneten Aufstand. Heimlich waren Flugblätter an alle Partisanen, Intellektuellen, Arbeiter und Sympathisantenverteilt worden. Schulkinder erhielten am 18. April die Anweisung, dem Unterricht fernzubleiben. Die Vertreter der Bewegung des »Nordwindes«, wie sich die Partisanen euphorisch nannten, vertrauten auf die Tatsache, daß Besatzer und Repubblichini schwerlich eine halbe Million Menschen einsperren konnten. Die Befreiung erfolgte am 25. April. Die Deutschen waren geschlagen, und die

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letzte staatliche Form faschistischer Herrschaft nach nur 587 Tagen Dauer zu Ende. Die Erfahrungen aus dieser Zeit des gemeinsamen Kampfes trugen zur Bewußtseinsbildung breiter Kreise in Arbeiterschaft, Bürgertum und Intelligenz des Nordens bei. Die Angehörigen der Resistenza in den fünf im CLN vertretenen Parteien bildeten die ersten Regierungen nach Kriegsende. Im Kabinett des Partisans Ferruccio Parri von 1945 war der Sozialist Pietro Nenni Vizepremier, der Katholik und Führer der neugegründeten Partei der Christdemokraten Alcide de Gasperi Außenminister und der aus dem Moskauer Exil heimgekehrte Kommunist Palmiro Togliatti Justizminister.22

5. Erscheinungsformen des Neofaschismus nach 1945

Die aus dem Widerstand hervorgegangenen Kabinette hatten ein durch Alliierte besetztes und zerstörtes Land zu verwalten. Es gab Spannungen sowohl zwischen Besatzungsmächten und Administration über die durchzuführenden Säuberungen und über die zukünftige Staatsform als auch zwischen den Resistenza-Parteien selbst. Schon bald brachen ideologische Gegensätze auf, die zunächst durch die Gemeinsamkeiten des Kampfes überbrückt worden waren.

Am 2. Juni 1946 entschieden Wahlen über die Staatsform und über die politischen Vertretungen in einer Verfassungsgebenden Versammlung. In der Volksabstimmung votierten die Italiener gegen die durch den Faschismus kompromittierte Monarchie, obwohl der König vor der Wahl zugunsten seines Sohnes Umberto abgedankt und dieser im Wahlkampf bei der Kirche Unterstützung gefunden hatte. Umberto unterlag sehr knapp mit nur zwei Millionen weniger Stimmen. Er hatte vor allem im Süden eine große Anhängerschaft, die ihm in der monarchistischen Partei gesammelt bis in die späten fünfziger Jahre treu ergeben blieb.23 In die Verfassungsgebende Versammlung waren die Vertreter der kommunistisch-sozialistischen Volksfront mit 219 und die Christdemokraten mit 207 Vertretern fast gleichstark gewählt worden. Vor allem die Volksfront glaubte, ihr günstiges Ergebnis bei nachfolgenden Wahlen halten zu können. Sie zeigte sich daher bei den jahrelangen Beratungen über die künftige Verfassung nachgiebig. Die Kommunisten stimmten sogar zu, daß die 1929 von Mussolini mit dem Vatikan geschlossenen Lateranverträge in Artikel sieben der Verfassung aufgenommen wurden, womit der klerikale Einfluß in dem neuen Staat festgeschrieben wurde. Die Verfassung war ein Kompromiß zwischen dem bürgerlichen und dem marxistischen Lager. Historiker haben sie als Dokument jenes idea-

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listischen Geistes der Resistenza aus den gemeinsamen Kampftagen betrachtet. Als sie aber am 1. Januar 1948 in Kraft trat, war der »Nordwind« längst umgeschlagen.24

Die Versammlung ratifizierte den Friedensvertrag für Italien am 31. Juli 1947. Kleinere Gebiete in den Alpen, alle Besitzungen in Istrien und Dalmatien, einige Adriainseln und sämtliche Kolonien in Afrika mußten abgetreten werden. Obwohl dies, an der Realität gemessen, angesichts der zwiespältigen Entwicklung Italiens während des kurzen Krieges ein durchaus erträgliches Ergebnis war, werteten Nationalisten und Faschisten den Frieden als unzumutbares »Diktat«. Lange Jahre kämpften ihre politischen Gruppen um die Revision des »Verzichtsfriedens« und behaupteten, allein durch die Rückkehr in die afrikanischen Besitzungen könne für Bevölkerungswachstum und Arbeitslosigkeit in Italien Erleichterung geschaffen werden.25

Die Wahlen von 1946 waren aber nicht repräsentativ für die wahren Kräfteverhältnisse im Lande. Die mangelnde Organisation der Wählerschaft und der fehlende technische Apparat stellten ein großes Manko dar. Zahlreiche Gefangene befanden sich in Lagern im Ausland. Zudem hatte die Koppelung mit dem institutionellen Referendum zu Mißverständnissen bei der Abstimmung geführt. Die Parteien sahen sich gewaltigen Schwierigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit gegenüber. Vor allem im Süden stießen sie auf Ablehnung und Mißtrauen gegen demokratische Formen und Spielregeln. Eine Fülle von Splitterparteien, teilweise mit skurrilen Namen und frondistischem Charakter schoß nach zwanzigjähriger Diktatur aus dem Boden. Es waren heterogene Bünde mit kurzlebiger politischer Motivation wie etwa eine sizilianische Unabhängigkeitsbewegung, eine Bauernpartei, eine Fortschrittsfront, eine Partei der Arbeit. Sie verschwanden bei den ersten repräsentativen politischen Wahlen ebenso aus der politischen Landschaft wie die in der Resistenza entstandene Aktionspartei des Ferruccio Parri.26

Die Faschisten der Sozialrepublik blieben vorerst im Untergrund. Die Wachsamkeit der Partisanen und ein Dekret der Partisanenadministration verfolgten faschistische Umtriebe. Doch im Süden um und in Neapel hatte sich bereits am 8. August 1945 ein reaktionäres Sammelbecken gebildet: die Fronte dell Uomo Qualunque. In dieser Front des Mannes von der Straße artikulierte sich das Unbehagen des Südens über den Nordwind. Führer der Qualunquisten war der neapolitanische Komödienschreiber Guglielmo Giannini. Er sammelte mit radikalen Parolen profaschistische und antidemokratische Wähler um sich, zuerst als Leser seines gleichnamigen Blattes, dann als Anhänger seiner rasch gegründeten und waschsenden Partei, die in die Verfassungsgebende Versammlung 1946 bereits

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30 Abgeordnete entsandte.

Der Qualunquismus und seine Pamphlete verunglimpften in Wort und Bild die Widerstandsbewegung als »Rülpser des Nordens«. Mit ähnlich drastisch-ordinären Vokabeln bedachte Giannini die Regierung Parri, de Gaspari und die Linksparteien. Ein solcher Parolenkatalog zog im wirtschaftlichen Nachkriegschaos, wo in Neapel Korruption, Prostitution und Schwarzhandel blühten, reaktionäre Splittergruppen an, eben Herrn Jedermann (uomo qualunque), der sich in seiner sozialen Verelendung betroffen fühlte.27 Zum politischen Strandgut zählten in jener Zeit auch ehemalige Faschisten, subversive Elemente und verstreute Milizgrüppchen.

Der Qualunquismus appellierte an den wirtschaftlich ruinierten Mittelstand, malte vor den Zuhörern die Vision eines kommunistischen Italiens aus und weigerte sich, den historischen Schritt vom Faschismus und von der monarchistischen Staatsform zur Parteiendemokratie und zur Republik zu rationalisieren. Der nach Kriegsende entstandenen Realität entzogen sich die Qualunquisten durch Ablehnung jeder politischen Verantwortung und durch Demagogie. Es war der Ausdruck einer typisch meridionalen Staatsverdrossenheit und Entfremdung im rüden Wortschatz Gianninis. In seinem ersten politischen "Programm forderte er einen Buchhalter als Staatsoberhaupt, der ein Jahr verwalten, die Bürger jedoch in Ruhe lassen sollte.28 Der Qualunquismus wurde, lange nachdem er als eigenständige Front verschwunden war, von der nationalen Rechten und den Neofaschisten als Propagandaform gegen die Demokratie übernommen. Er appellierte an Ignoranz und niedrige Instinkte und war besonders im unterentwickelten Mezzogiorno damit erfolgreich, zuletzt in den siebziger Jahren in einer Serie populistischer Revolten in den südlichen Städten.

Zu Gianninis Front stießen Gruppen mit offen faschistischem Charakter und druckten Blätter mit ähnlich kulturpessimistischem, negativistischem Inhalt. Neben den Qualunquisten zogen paramilitärische Verbände durch den Süden, grölten faschistische Lieder und schmierten ihre faschistischen Parolen an die Mauern. Sie nannten sich Fasci di Azione Rivoluzionaria - FAR -, geführt von den Salòfaschisten Almirante und Roberto Mieville, oder einfach Fronte Antibolscevico Italiano -FAI - und Squadre di Azione Mussolini - SAM -; diese Aktionssquadren existierten bis in die siebziger Jahre. Solche Gruppen besetzten im Februar 1946 die Radiostation auf dem Monte Mario in Rom im Handstreich und sendeten faschistische Propaganda. Zwei Monate nach diesem Zwischenfall stahl der spätere MSI-Abgeordnete Domenico Leccisi vom Mailänder Musocco-Friedhof Mussolinis Leichnam. Überall tauchten faschistische

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Schriften frisch aus der Druckerpresse auf. Für ein Blättchen namens Rataplan zeichnete ein gewisser Nino Tripodi verantwortlich, später Chefredakteur des MSI-Organs Il Secolo d'Italia. Unverhohlen wurde zur »nationalen Reorganisation« aufgerufen. Im April 1946 erschien in Rom eine Wochenzeitung La Rivolta Ideale. Wie das Blatt der Qualunquisten sammelte sie eine »Front der Italiener« um sich. Sie war gegen demokratische Parteien wie Giannini, zynisch wie dieser, antikommunistisch und vertrat die reaktionäre Mittelstandsideologie des Mezzogiorno, war aber offen faschistisch, was Zielvorstellung und personelle Besetzung betraf. Faschisten aus dem Ventennio und aus der RSI zeichneten verantwortlich für die Artikel und wüsten Karikaturen, in denen der Faschismus von 1922 bis 1945 verherrlicht wurde.29 Im Dezember verkündete das Blatt, die Sammlungsbewegung sei abgeschlossen und eine »patriotische Partei« gegründet worden, deren Führung sich aus Redaktionsvertretern und verstreuten Faschisten zusammensetzte, die zum Teil noch von den Behörden gesucht wurden. Die neue Partei hieß Movimento Sociak Italiano, und die Zeitung wies ausdrücklich darauf hin, daß das Anagramm MSI den Geist des Duce beschwor. Das erste publizierte Programm war trotz der verschleierten Formeln identisch mit dem des RSI und mit dem antidemokratischen Geist der Qualunquisten.30

Die Protagonisten der MSI-Gründungsversammlung, die am 26. Dezember 1946 in der römischen Via Regina Elena stattfand, waren altbekannte Faschisten: Arturo Michelini, ein faschistischer Vizeparteisekretär; der RSI-Journalist Giorgio Pini; Pino Romualdi, unehelicher Sohn Mussolinis und wegen Kriegsverbrechen untergetaucht; erster Parteisekretär wurde Giorgio Almirante. Vor seiner Tätigkeit als Unterstaatsekretär im RSI-Ministerium für Volkskultur hatte er das rassistische Hetzblatt Tevere und die Difesa della Razza (Verteidigung der Rasse) herausgegeben.31 Das ganze Jahr 1947 über sammelte die neofaschistische Partei die Getreuen, darunter den Marschall Graziani, den Philosophen Edmondo Cione, Augusto de Marsanich, einen altfaschistischen Syndikalisten, der in der RSI die Ämter des Präsidenten der Bank von Rom und von Alfa Romeo innegehabt hatte,32 dann den Kommandeur der RSI-Torpedoflotte Fürst Borghese, Mussolinis ehemaligen Berliner Botschafter Filippos Anfuso, den Korporationsrechtler Carlo Costamagna und den faschistischen Direktor der Turiner Zeitung La Stampa in der Sozialrepublik, Concetto Pettinato. Das MSI wählte als Parteisymbol eine lodernde Fackel in den Farben der italienischen Trikolore über einen Katafalk; das sollte die gesammelten Kameraden an Mussolinis Tod durch die Partisanen in Donge nahe der Schweizer Grenze 1945 zu erinnern.

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Eigentlich fielen alle diese Aktivitäten unter die Bestimmungen eines Gesetzes von Dezember 1947. In dessen erstem Artikel heißt es: »Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es Partei oder Bewegung oder paramilitärischer Organisation, wiedergründet und militärisch oder paramilitärisch Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft.« Bei genauer Anwendung des Gesetzes wären das MSI und seine Aktivitäten im Keim erstickt worden. Doch zur gleichen Zeit hatte Justizminister Togliatti angesichts des qualunquistischen Erfolges unter kleinen Mitläufern eine Amnestie erlassen, um das innenpolitische Klima zu entspannen, von dem viele Faschisten profitierten. Zudem vermied das MSI zunächst das Wort »Faschismus« und sprach statt dessen von der »nationalen Versöhnung der Italiener« als politischer Notwendigkeit, um Italien vor den Kommunisten zu retten. Wöchentlich meldete die Rivolta Ideale den Beitritt von Zehntausenden van Exfaschisten, die Neugründung von Sektionen und den wachsenden Zulauf aus dem Lager der Qualunquisten. Die MSI-Versammlungen auf öffentlichen Plätzen unter Leitung der altbekannten Faschisten provozierten vor allem in Nord- und Mittelitalien heftige Zwischenfälle. Im Oktober 1947 wurde Almirante wegen Verteidigung des Faschismus in der Öffentlichkeit zu Gefängnis verurteilt - und amnestiert.33

So nahmen die Neofaschisten bereits 1947 als politische Partei an den Wahlen zum römischen Stadtrat teil, und es zeigte sich im Wahlkampf, daß sie über eine beträchtliche Basis verfügten. In fast alle Regionen waren sie schon wieder organisiert, waren Jugendgruppen und Soldatenbünde gesammelt und Kundgebungen veranstaltet worden. In den römischen Rat zogen als MSI-Stadtrat der Direktor der Rivolta Ideale, Giovanni Tonelli, sowie zwei andere Altfaschisten ein; sie hatten 24903 Stimmen erhalten. Gemeinsam mit den Christdemokraten verhinderten sie zugunsten des Christdemokraten Rebecchim die aussichtsreiche Kandidatur des Volksfrontvertreters Romita zum ersten römischen Bürgermeister.34 Diese neofaschistisch-christdemokratische Aktionseinheit war nur durch den mittlerweile erfolgten Bruch zwischen Christdemokraten und Linksparteien in der Regierung möglich gewesen, den de Gasperi schon als Außenminister eingeleitet hatte. Nachdem er, nunmehr Regierungschef, von einer Amerikareise zurückgekehrt war, wurde deutlich, daß sich die Erneuerung der Institutionen und die Ablösung alter wirtschaftlicher Strukturen im Sinne der Resistenza und der Verfassung nicht durchsetzen würde. De Gasperi machte klar, daß die USA den return to normal wünschten und finanzielle Aufbauhilfe von der wirtschaftlichen Restau-

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ration, vom Abbau der Fabrikräte und von der Rückgabe des Privateigentums an die industriellen Großfamilien abhängig machten. Die amerikanische Außenpolitik forderte zugleich den kompromißlosen Kampf gegen den Kommunismus, so daß die Volksvertreter im Kabinett de Gasperi ausmanövriert wurden. Der erste »historische Kompromiß« zwischen Katholiken und Kommunisten hatte damit bereits nach zwei Jahren der Übergangsregierungen sein Ende gefunden. De Gasperis Auffassung vom Wiederaufbau an der Seite der Amerikaner traf sich mit den Vorstellungen der Liberalen, die als restaurative Kraft in seine folgenden Kabinette eintraten und vor allem für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der entscheidenden Nachkriegsphase unter Minister Luigi Einaudi verantwortlich zeichneten.35

Folge dieser von Truman ausdrücklich gewünschten Entwicklung war die innenpolitische Polarisierung zwischen Rechts- und Linksparteien, unter deren Druck 1948 auch die gewerkschaftliche Einheit in parteipolitische Einzelinteressen zu zersplittern begann.36 Bereits der römische Kommunalwahlkampf spiegelte das angeheizte Klima wider, das die Missini geschickt nutzten, um sich an der Seite der DC als »antikommunistischen Schutzwall« gegen die inneren Feinde Italiens darzustellen. Daher brauchte das MSI auch kein konkretes Programm und beschränkte sich auf einen antikommunistischen Hetzkatalog, verhöhnte die Resistenza gemeinsam mit den Qualunquisten und einem rechten »Nationalen Block«. Ein Jahr später bei den nationalen Wahlen zum ersten Parlament der Republik konnte diese Taktik im rechten Operationsfeld wiederholt werden. Das MSI entsandte 1948 einen Senator und sechs Deputierte in Senat und Kammer, darunter auch Giorgio Almirante.

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III. Neofaschismus als Wahlpartei von 1948 bis 1968

1. Entwicklung des Parlamentsfaschismus seit 1948

Das MSI erhielt 1948 über eine halbe Million Stimmen vor allem im promonarchistischen Süden. Die Christdemokraten gewannen mit 13 Millionen und 48,5 Prozent 5 Millionen Stimmen gegenüber 1946. Die Volksfront blieb mit 10 Millionen Stimmen und 31 Prozent weit hinter ihren Erwartungen zurück. Zwischen den beiden großen Blöcken war ein bereinigtes Mittelfeld aus kleineren Parteien geblieben mit Liberalen (3,8 Prozent), Republikanern (2,5 Prozent) und Monarchisten (2,8 Prozent). Mit dieser schwachen Mitte zwischen den großen Systempolen regierte die DC in der entscheidenden Phase der Entwicklung des neuen Staates bis 1953 im centrismo stabile mit Hilfe des festen Bündnisses mit der Kirche und ihren Organisationen. Italien trat dem Atlantikpakt bei und wurde als Südflanke ein wichtiger Bündnispartner im Mittelmeerraum.1

Das MSI als Wahlpartei begann gemäß der republikanisch-faschistischen Orientierung auf ein »Europa der Dritten Kraft« im Parlament mit antiatlantischer, antiamerikanischer und an faschistischen Lebensraumvorstellungen ausgerichteter Argumentation. Diese Position wandelte sich analog zum kalten Krieg zu einer überspitzt proatlantischen, proamerikansichen Haltung, die nur noch von der Begeisterung der Neofaschisten für den amerikanischen Indochina-Krieg etwa 15 Jahre danach übertroffen wurde. In Senat und Kammer spielte das MSI in der ersten Legislaturperiode eine geringe Rolle, da sich nach der Geschäftsordnung eine Partei mit weniger als acht Abgeordneten in einer gemischten Fraktion zusammenschließen mußte. Aber die starke Stimmenzahl im Mezzogiorno bot Möglichkeiten zur Machtbeteiligung in lokalen Regierungen, oft gemeinsam mit den Monarchisten. Allmählich wandelte sich auch die MSI-Führung. Almirante mußte 1950 das Präsidium an Augusto de Marsanich und eine Mannschaft aus typisch südlichen Notabein abtreten. Er bildete einen Flügel mit »sozialrevolutionärem« Selbstverständnis, aber

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der Trend zur Meridionalisierung der Partei stand gegen ihn.2 De Marsanich, bis 1954 im Amt, begann mit der festen Wählerbasis im Süden ein breites Rechtsbündnis auf kommunaler, regionaler und parlamentarischer Ebene zu planen. Er umwarb Monarchisten, Liberale und Christdemokraten mit der Idee einer »großen nationalen Rechten« und strebte Regierungsbeteiligung an. Dagegen wandten sich die Anhänger der faschistischen Revolution um Almirante mit dem Argument, auch Mussolini haben diesen Fehler gemacht. Die Salòfaschisten zogen vor allem radikale Jugendliche mit ihren Parolen und eigenständigen Publikationen an. Nach der FUAN-Gründung 1951 machten sie die Straßen von Rom und Triest unsicher. Aus den Reihen dieser Schläger stammte Almirantes Führungsmannschaft von 1969. Mario Gionfrida verlor eine Hand bei einem Anschlag auf ein Parteibüro und Pressechef Cesare Pozzo hinkte seit den neofaschistischen Einsätzen in Triest in jenen Tagen des kalten Krieges.3

Neben den innerparteilichen Flügelkämpfen vollzog sich der Legalisierungsprozeß des Parlamentsfaschismus in Süditalien. Für die honorigen Vertreter der MSI-Führung im Süden setzten sich Liberale, Christdemokraten und Kirchenvertreter ein. Meist waren sowohl der Dorfpfarrer und die lokalen Eliten als auch die Großgrundbesitzer dafür, das MSI in die gemeinsame Front gegen alle Neuerungen einzubeziehen.4 1951 gewann das MSI mit dem Wahlredner Anfuso und Themen wie »Das Mittelmeer als mediterraner Lebensraum Italiens« und Forderungen nach »Rückkehr an die Arbeit in Afrika« elf Abgeordnetensitze im sizilianischen Parlament. Das bedeutete eine entscheidende Konsolidierung der MSI-Position in einer Region mit weitgehender Selbstverwaltung. Aus den Reihen der DC in Rom wurden Bedenken gegen eine solche Konkurrenz von rechts geltend gemacht, zumal die Sozialbewegung bei weiteren lokalen Wahlen im Süden zwischen 1951 und 1953 über zweieinhalb Millionen Stimmen erhielt. Nun wurde die nach dem Innenminister Mario Scelba benannte Gesetzesvorlage eingebracht, mit dem Ziel, das MSI und seine paramilitärischen Organisationen gemäß der Verfassung aufzulösen. Ihre Verabschiedung wurde im Parlament von den Missini mit gezielter Obstruktionspolitik bis in den Wahlkampf für die nationalen Wahlen 1953 verzögert. Das verabschiedete Gesetz schließlich bot willkommenen Anlaß für eine Märtyrerkampagne. Das MSI zog in die Auseinandersetzungen mit der Anklage, die DC verfolge ihren eigenen Bündnispartner aus dem Süden, verbiete die »einzige wahre antikommunistische Partei«5 und nicht die Kommunisten. Diese Auffassung teilten vor allem auch die militanten Hilfstruppen der katholischen Kirche, die Azione Cattolica und die Comitati Civici

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sowie der Geistliche Don Luigi Sturzo von den Christdemokraten, der Gründer der Partito Popolare Italiano, DC-Vorläuferin vor dem Faschismus.6 Das Scelba-Gesetz blieb bis 1973 auf dem Papier und brachte dem MSI 1953 einen Wahltriumph mit 5,9 Prozent, 24 Deputierten in der Kammer und neun Senatoren. So regierte die Sozialbewegung in der zweiten Legislaturperiode in Kampanien und Apulien mit der DC, in Sardinien und Sizilien gaben die Neofaschisten Stützvoten. Damit war die Gelegenheit verpaßt, eine Partei zu verbieten, die seit fünf Jahren, von 1948 an, breite Wählerzustimmung fand. Zwar mußte die MSI-Führung vorerst den Plan einer Regierungsbeteiligung in Rom aufgeben, weil dort die DC die Stimmen der Monarchisten für sich gewinnen konnte, aber unter de Marsanichs Nachfolger Arturo Michelini sicherte sich das MSI Finanzquellen in der Privat- und Staatsindustrie und konnte im Parlament durch sogenannte Korridorabsprachen mit Vertretern des rechten DC-Flügels entscheidende Vorteile und Einflußbereiche gewinnen. Nach 1953 sprach auf der rechten Mitte niemand mehr von der Auflösung der MSI wegen »Wiedergründung der verbotenen faschistischen Partei« und dem Scelba-Gesetz.

Die DC war nämlich aus den Wahlen von 1953 mit 40 Prozent geschwächt hervorgegangen, und nach dem Tod de Gasperis 1954 fehlte ihr die Integrationsfigur. Rasch aufeinander folgende Minderheitskabinette machten deutlich, daß die in Correnti (Flügel) zerfallende Partei entweder die kompromittierenden MSI-Stimmen in Kauf nehmen oder sich nach links öffnen mußte. 1953 scheiterte die Regierung Pella und 1957 die Regierung Zoli an neofaschistischen Stimmen, die vom Parlament nicht anerkannt wurden. Der rasche Industrialisierungsprozeß in dieser Zeit des centrismo instabile brachte eine Verschiebung der innerparteilichen Gewichtungen in der DC von der klerikal-dogmatischen zu den Correnti auf der Linken, die pragmatisch einen Dialog zwischen Marxisten und Katholiken für notwendig hielten, um die rasch anwachsenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes zu lösen. Dieser Prozeß der apertura a sinistra, der Öffnung nach links, erstreckte sich über Jahre bis zur Einbeziehung der Sozialisten in die Regierung 1962 und verlief nicht ohne dramatische Reaktionen.7

Bei den Parlamentswahlen von 1958 waren die Missini in der Partei ebenfalls in Correnti zerfallen. Es gab die Notabeln und Traditionalisten mit dem Plan der großen Rechtskoalition mit Monarchisten und DC, es gab die Gruppe Almirante und eine dritte Gruppe aus Rassisten und Befürwortern eines faschistischen Europa. Diese verließ 1956 als Ordine Nuovo die Partei. Borghese, MSI-Ehrenpräsident bis 1952, setzte sich mit seinen Frontkämpfern ab. Einzig Almirante zog die innerpartei-

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liche Opposition der Spaltung vor. Seine radikal-faschistischen Ansichten, die er gegen Michelini und das Parteiorgan Rivolta Ideale und nach dessen Einstellung 1953 gegen Il Secolo d'Italia vertrat, waren in Gegenzeitungen wie Asso di bastoni und Meridiano d'Italia zu lesen, die in Norditalien erschienen. 1958 stimmten nur noch 4,8 Prozent für die zerstrittene Bewegung ohne Programm. 1963 konnte das MSI die erste Mitte-Links-Regierung noch einmal propagandistisch nutzen und erreichte 5,3 Prozent. Danach aber begann man allseits auf das Reformprogramm der linken Mitte zu hoffen, selbst im unterentwickelten Süden. Dort waren in den sechziger Jahren auch die Monarchisten verschwunden, deren korrupte örtliche Verwaltungen jeden politischen Kredit verspielt hatten; die Idee der grande destra von Michelini war gescheitert. 1968 erhielt das MSI bei den Parlamentswahlen nur noch 4,5 Prozent der Wählerstimmen.8

Die Neofaschisten hatten sich in den ersten vier Legislaturperioden als antikommunistische Bewegung Spielraum verschafft und waren in ihrer Taktik stets auf Honorigkeit bedacht gewesen. So war die schizophrene Tatsache zu erklären, daß die RSI-Nachfolgeorganisation mit dem faschistischen Sozialprogramm die Stimmen der Stammwählerschaft im Süden erhielt, der den Spätfaschismus der Sozialrepublik nie gekannt hat und dessen Sozialstruktur keinerlei Ansatzpunkte etwa für Almirantes Sozialisierungsideen bot. Der programmatische Kern von Salò wurde so zum ständigen Zankapfel auf den Parteikongressen reduziert, diente Almirante als revolutionäre Strategie gegen Michelinis meridionales Establishment, praktisch aber besaß er weder Bedeutung noch Mobilisierungseffekt.

Entscheidend für den Legitimierungsprozeß des Neofaschismus war die Rolle der katholischen Kirche. Diese forderte unter dem Pontifikat Pius XII. von der Kanzel aus auf, DC zu wählen. Eine Anordnung des heiligen Offiziums sah die Exkommunikation von Kommunisten und Sympathisanten vor. Besonders groß war der klerikale Einfluß auf die 1946 zum ersten Mal in der italienischen Geschichte wählenden Frauen. Sie stimmten in den nachfolgenden Wahlen zu 51 Prozent christdemokratisch, die zahlenmäßig geringeren männlichen Wähler dagegen zu mehr als drei Fünfteln kommunistisch-sozialistisch.9 Die katholische Subkultur hatte, straff organisiert, den Faschismus überstanden. Luigi Gedda, Führer der Comitati Civici, die Azione Cattolica und der im Volksmund als »Mikrofon Gottes« bezeichnete Pater Lombardi schürten auf Wahlveranstaltungen rastlos die Panik vor der angeblichen Enteignunspolitik der Linksparteien. Dieser, so die katholische Aktion, sei mit einem breiten Bündnis nationaler Kräfte zu entgegnen, zu denen auch das MSI

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gehöre. Gedda äußerte sich in ähnlicher Weise und meinte, der Faschismus sei ohnehin nur ein »Exzeß großherziger und gesunder Ideale von Patriotismus und Autoritätsgläubigkeit«10 gewesen. Die größte Genugtuung für die Neofaschisten war jedoch eine operazione Sturzo genannte Initiative vom April 1952, in der Don Sturzo eine Einheitsliste für Kommunalwahlen unter Einschluß der Monarchisten und MSI gegen die »rote Machtübernahme« vorschlug.11 Der Prestigegewinn für das MSI während dieser Aktion war vor allem im Mezzogiorno außerordentlich, da dort viele Neofaschisten gleichzeitig in der Azione Cattolica organisiert waren.

In der zweiten Legislaturperiode versuchte die MSI-Führung, diesen Prozeß der Konsolidierung auf Parlamentsebene zu wiederholen. Für seine Stimmen zugunsten schwacher DC-Kabinette erhielt das MSI Vergünstigungen, so von Pella 1953, als dieser Vertreter des schwarzen Syndikats CISNAL empfing und die faschistischen Squadren in den Straßen von Triest und in Südtirol von Innenminister Scelba unbehelligt blieben. Von Zoli erhielten die Missini die Erlaubnis, Mussolinis Leichnam nach Predappio zu überführen. Nach dem Raub durch den Missino Leccisi war er von der Polizei beschlagnahmt und in einem Kloster aufbewahrt worden. 1957 feierten alle Neofaschisten die Beisetzung im Mauseoleum der Heimatstadt des Duce als großes Nostalgie-Fest. Das Parteiorgan Secolo beschwor in schwülstigen Artikeln die faschistische Epoche und die Auferstehung der toten Helden.12 Alle zurückgekehrten Faschisten samt den Dissidenten des MSI und den Frontkämpfern defilierten in faschistischem Fez, in Schwarz- und Grünhemden, mit Liedern aus dem Ventennio und römischem Gruß an der Gruft vorbei. Doch dies Bild trog. Längst waren die Parteikongresse zu Saalschlachten geworden. Junge Radikale warfen den Parteivätern kompromißlerische Führung, Anbiederung an die Christdemokraten und rückwärtsgewandte Ideologie vor. Ohne je den Kontakt untereinander ganz zu verlieren, begannen die Spaltergruppen von Borghese und Rauti, die vorhandenen Kontakte zum Ausland zu intensivieren. Borghese stand mit dem Mussolini-Befreier Otto Skorzeny in enger Verbindung, Rauti mit dem ehemaligen Führer der belgischen Nazis, Leon Degrelle, dem Ordre Nouveau des Jean Thiriard und in der Bundesrepublik mit Nation Europa, zu deren Autoren er zählte,13 und ihrem neonazistischen Kreis. Beide, Borghese und Rauti, waren von der MSI-Führung derart enttäuscht, daß sie im Wahlkampf 1968 auf Flugblättern ihrer Anhängerschaft das MSI zu wählen abrieten. Borghese baute ein Netz von paramilitärischen Zellen aus und gab an Presse und Öffentlichkeit »Tagesbefehle« als Kommandant seiner Fronte Nazionale, die man lächelnd und mit spöt-

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tischer Geduld bis zum Ende der sechziger Jahre ertrug. Rautis Ordine Nouvo war demgegenüber mehr ideologisch befrachtet. Über seine rassistisch orientierten Europa-Ideen wurden auch in entsprechenden Kreisen im Ausland diskutiert. Oswald Mosley, einst britischer Faschistenführer, hatte bereits 1949 ein Buch mit dem Titel »Die Alternative« geschrieben, hatte gemeinsam mit MSI und Ordonovisten in der Faschistischen Internationale von Malmö gesessen und versucht, eine internationale Zusammenarbeit zwischen MSI, NPD und Auslandsrechtsextremisten wieder aufleben zu lassen. 1962 unterzeichnete er zusammen mit dem Missino Fürst Ponce de Leon, Adolf von Thadden und anderen ein Papier für ein »Europa der Dritten Kraft«,14 von dem aber nie wieder gesprochen wurde. Die Gefährlichkeit des schwarzen Kerns unter Rauti lag in der Anziehungskraft auf Jugendliche, die sich von der Theorie der »Ablösung verrotteter Schichten« durch eine bündische, jugendliche Kampfelite angesprochen fühlten. Rauti verfügte für Ordine Nuovo über genügend Geldmittel für Kontaktbüros, Kongresse und Bildungsinstitute seiner Bewegung, wo Bücher verlegt und Seminare mit ausländischen Faschisten abgehalten wurden. Rauti war ein Faschist der ersten Stunde, hatte die RSI als Siebzehnjähriger erlebt, als Freiwilliger in der Miliz gedient und war dann bei Kriegsende in einem nordafrikanischen Gefangenenlager interniert worden. Ähnlich wie Borghese, der zu seinem Prozeß im Schwarzhemd erschien und nach Urteilsverkündung ungebrochen mit römischem Gruß salutierte, kam auch Rauti die Amnestie zugute. Danach betätigte er sich als Journalist, als Verfasser historischer Bücher voll Geschichtsklitterung und als Redaktionsmitglied der rechten römischen Tageszeitung Il Tempo und bereiste Europa. 1956, nach seinem Bruch mit der MSI, verhöhnte er dessen Führung als feine, elegante gekleidete Herren, die sich scheuten, einen faschistischen Kameraden mit »Du« anzureden, und skandierte auf dem Kongreß in Mailand mit seiner Gefolgschaft im Saal: Più manganelli - meno doppiopetti! (Mehr Knüppel - weniger Zweireiher!) Nach den Wahlen 1958 setzte eine für das MSI nachteilige allgemeine Entwicklung ein. Der Industrialisierungsprozeß fand seinen Höhepunkt im »Wirtschaftswunder«, das bis 1962 andauerte. In der DC gewannen die neuen Kräfte unter Führung von Amintore Fanfani und Aldo Moro an Boden gegenüber den alten zentristischen Honoratioren. Bereits seit 1958 bereiteten sie die Öffentlichkeit darauf vor, daß dieser soziale Wandel auch äußere Konsequenzen habe, nämlich die Einbeziehung der politischen Linken in die Regierung. Das MSI befand sich in der Opposition gegen die »Öffnung nach links« an der Seite des Großbürgertums, der Privatindustrie und reaktionärer Kreise, die 1960 noch einmal das Äußerste wagten.

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2. Julikrise 1960

Die MSI-Führung stand gegen Ende der fünfziger Jahre wegen der innerparteilichen Desintegration und der sich abzeichnenden Abkehr der DC von der nationalen Rechten unter Erfolgszwang. Die DC hatte 1958 gegenüber 1953 nur geringfügig wieder an Boden gewonnen (von 40 auf 42 Prozent). Kurzlebige Kabinette unter dem Vorsitz von Fanfani oder Antonio Segni folgten und waren im Parlament auf den geringen Rückhalt bei Monarchisten und Liberalen angewiesen, während sich in der DC gezielte Angriffe gegen den eigenen Ministerpräsidenten bemerkbar machten. Der christdemokratische Staatspräsident Giovanni Gronchi und sein Freundeskreis diskutierten darüber, ob man wegen der immer schwieriger werdenden Regierungsarbeit das Präsidentenamt nicht mit erweiterter Exekutivgewalt nach französischem Modell ausstatten solle. Ein Klima der Unsicherheit herrschte in Italien, als im Februar 1960 Fernando Tambroni nach der üblichen komplizierten Regierungskrise mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Tambroni war 1943 Mitbegründer der DC gewesen und galt als Exponent der Linken im Gefolge Aldo Moros. Industriekreise, verschreckt durch die Nationalisierungspläne für die Energie-Industrie, und die Kirche, vor allem die Kardinäle Montini in Mailand (der spätere Papst Paul VI.) und Rufini in Palermo, warnten vor einer »Öffnung nach links«. Doch die Zeiten des dynamischen Zentrismus waren vorbei, und Tambroni mußte versuchen, dem Zusammenbruch des Staatsapparates entgegenzusteuern. Italien mußte auf einer anstehenden Gipfelkonferenz vertreten sein, und die Olympischen Spiele waren vorzubereiten. Die wenig glückliche Lösung eines governo amministrativo sollte das Regieren bis zum Herbst gewährleisten.15 Wie bei den schwachen Regierungen Pella und Zoli gaben die Missini demonstrativ ihre Stimmen zugunsten Tambronis ab. Als daraufhin drei christdemokratische Minister aus Protest zurücktraten, begann die Krise von neuem. Nach einem kurzen Zwischenspiel - Fanfani brachte keine Regierung zustande - wurde auf Anraten des Staatspräsidenten die Vertrauensfrage in den Senat verlegt, wo Tambroni dann auch den Haushalt verabschieden konnte.

Diese Situation nutzte die MSI-Führung zum Gegenschlag. Ein nationaler Kongreß wurde einberufen und als Tagungsort die ligurische Hauptstadt Genua gewählt. Das war eine gezielte Provokation, denn Genua war als einstigem Zentrum des Widerstandes gegen die Salòfaschisten die Medaglia d'oro für heldenhaftes Verhalten in der Resistenza verliehen worden. Unter dem faschistischen Präfekten Carlo Emanuele Basile waren 1863 Genuesen von Faschisten und Deutschen von 1943 bis 1945

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getötet, weitere 2000 deportiert worden. Und ausgerechnet dieser Mann sollte dem MSI-Kongreß präsidieren.16

Gegen diese Herausforderung konstituierte sich ein Bund aus ehemaligen Widerständlern und Antifaschisten, der von der Regierung verlangte, sie solle den Kongreß verbieten. Dies wurde abgelehnt, und so ließen die aufgebrachten Genuesen die angereisten MSI-Delegierten nicht aus ihren Hotels heraus. Tambrom schickte Truppen und Polizei, deren Jeeps die Missini zur Versammlungshalle transportieren mußten. Im Lande gab es Solidaritätskundgebungen, die in schweren Zusammenstößen mit den Ordnungskräften endeten. In Reggio Emilia schoß die Polizei in die Menge; es gab fünf Todesopfer. In allen ehemaligen Zentren der Resistenza versammelten sich die Antifaschisten zu Massenveranstaltungen und Streiks. Unter dem brutalen Eingriff der mobilen Einheiten motorisierter Polizei eskalierte die Protestwelle. Abgeordnete, die auf Kundgebungen gesprochen hatten, wurden von der Polizei mißhandelt und erschienen blutüberströmt im Sitzungssaal des Parlaments. Innerhalb weniger Tage stand das Urteil über Tambroni als »Klerikalfaschist« fest. Wegen der bürgerkriegsähnlichen Zustände auf dem Höhepunkt der Julikrise, als sich Squadristen und Antifaschisten blutige Schlachten lieferten, forderte Tambroni vom Staatspräsidenten Notstandsmaßnahmen, die dieser jedoch verweigerte, so daß schließlich der MSI-Kongreß aus Sicherheitsgründen verboten wurde. Als die Erregung der Öffentlichkeit über die Krise abgeebbt war, stellten auch gemäßigte bürgerliche Kreise fest, daß es um die Demokratie in Italien schlecht bestellt war. Denn die Vorkommnisse und die nachfolgenden Untersuchungen nach 15 Jahren Republik offenbarten ein im Grundmuster repressives System. Tambronis Sturz war unvermeidlich, und nach seinem Rücktritt geriet er auch persönlich ins Zwielicht. Der Ministerpräsident, der den Repressionsapparat gegen antifaschistische Gesinnung eingesetzt hatte, war im Faschismus Hauptmann der Miliz gewesen. In der Republik hatte er bis 1959 als Nachfolger Mario Scelbas das Innenministerium innegehabt, geheime Dossiers über Parteifreunde und ihre privaten Angelegenheiten angelegt und damit in der prüden Atmosphäre des ausgehenden Zentrismus eine wichtige Handhabe zur politischen Erpressung besessen. Es hatte dieses Bürgerkriegs im Juli 1960 und der elf Todesopfer bedurft, um den Weg für die Öffnung nach links freizulegen.17

3. Auswirkungen der »Apertura a sinistra«

Neben den Missini waren die Verlierer der sich anbahnenden Links-

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Öffnung der DC auch die Liberalen im PLI unter Giovanni Malagodi, die sich beharrlich weigerten, mit Monarchisten und Neofaschisten einen rechten Block zu bilden und damit auch die rechten Correnti, etwa die Concentrazione, aus der DC herauszubrechen. So schwand der Einfluß des MSI im parlamentarischen Bereich, nur 1962 gelang es noch einmal bei der Wahl des Staatspräsidenten, mit den vereinten Stimmen von DC-Rechten und MSI den Kandidaten der Christdemokraten Antonio Segni durchzubringen.

Ohne den internationalen Entspannungsprozeß, der nach der Cuba-Krise und dem XXII. Parteitag der UdSSR im Oktober 1961 einsetzte, wäre die Einbeziehung der Sozialisten in die Regierung nicht möglich gewesen. Unter dem Pontifikat des Reformpapstes Johannes XXIII. und während des im Oktober 1962 zusammentretenden Zweiten Vatikanischen Konzils begann kirchenoffiziell ein Dialog zwischen Marxismus und Katholizismus, und innerhalb der Kommunistischen Partei entwickelte sich die Diskussion um Togliattis theoretische Ansätze weiter, die im Polyzentrismus einen eigenen Weg zum Sozialismus aufzeigten.18 Für die Nenni-Sozialisten bedeutete die Entscheidung für eine Beteiligung an DC-Regierungen, auf lokaler Ebene bereits 1961 begonnen, den Auftakt permanenter innerparteilicher Flügelkämpfe. Die Grundsatzentscheidung für die Akzeptierung der Apertura-Foimel fiel schon auf dem Mailänder Parteikongreß der Sozialisten im März 1961. Aber Nenni hatte gegen den prokommunistischen Flügel nur 55 Prozent der Stimmen erhalten können.

Eine ähnliche Tendenz zur innerparteilichen Spaltung in Befürworter und Gegner des Centro-Sinistra fand sich in allen anderen Parteien der Mitte. In der DC hatte Moro zu Beginn der Apertura noch 80 Prozent Zustimmung für seine Mehrheitsformel gefunden. Aber die DC hatte ihre Entscheidung bei den Wahlen 1963 mit vier Prozent Verlust (von 42 auf 38 Prozent) bezahlen müssen. So begann in der Partei der Kampf der Correnti untereinander und gegen den jeweiligen Ministerpräsidenten, für diesen eine Periode des Finanssierens und Taktierern, um seine Führungsrolle zu erhalten, ein bis 1974 charakteristischer Vorgang. Jede Regierungskrise oder Staatspräsidentenwahl wurde zum Anlaß für die Correnti und ihre Kandidaten, erbittert gegeneinander zu kämpfen.20 Die uneinheitliche Situation beim Koalitionspartner PSI komplizierte diesen Vorgang noch. Denn auf administrativer und gewerkschaftlicher Ebene bestand die enge Allianz zwischen Sozialisten und kommunistischer Opposition weiter. Die Kommunisten trugen der neuen Situation mit einer Erklärung Togliattis Rechnung, den Reformbemühungen der Mitte-Links-Regierung mit einer neuartigen Oppositionsstrategie zu

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begegnen.21 Doch zeigte sich nach Chruschtschows Absetzung und Togliattis Tod 1964 dann unter dessen Nachfolger Luigi Longo auch die Tendenz zur Flügelbildung mit Giovanni Amendola auf der Rechten und Pietro Ingrao auf der Linken. Die Spaltung der Sozialisten erfolgte 1964. Der linke Flügel konstituierte sich als Sozialistische Partei der proletarischen Einheit - PSIUP. Nenni und Saragat betrieben nach der Wahl Saragats zum Staatspräsidenten 1966 die Wiedervereinigung von Sozialisten und Sozialdemokraten im PSU, ein Bündnis, das nur drei Jahre anhielt und durch ständige Meinungsverschiedenheiten über das Verhältnis zur NATO und zu den USA gefährdet wurde. Bereits 1947 war es wegen der proatlantischen Haltung der Anhänger Saragats zur Abspaltung der Sozialdemokraten gekommen, und 1969 erfolgte der Bruch unter anderem wegen heftiger Auseinandersetzungen über die amerikanische Vietnam-Politik.22

Die Republikaner waren trotz ihres geringen Wählerstimmenanteils von 1,4 Prozent für die Formel der linken Mitte ausschlaggebend. Auch in dieser kleinen Partei hatte sich durch die Linksöffnung das Gewicht verlagert: Von der alten Führung des ehemaligen Widerstandskämpfers Randolfo Pacciardi zu Ugo La Malfa, dem Finanzfachmann vieler Regierungen. Pacciardi, wegen Rechtsabweichung ausgeschlossen, machte noch einmal den Versuch, eine rechte republikanische Bewegung zu gründen, und scheute sich nicht, dies mit den Frontkämpfern und ehemaligen Faschisten zu tun, doch blieb das ein kurzes Zwischenspiel.23 Außerhalb der DC betrug der Anteil der politischen Rechten aus Liberalen, Monarchisten und Neofaschisten nach 1963 nur noch 12 Prozent. Das MSI geriet in eine tiefe Krise, weil sich der Weg des Parlamentsfaschismus als Sackgasse zu erweisen begann. Der Streit zwischen Almirante und Michelini spitzte sich zu, als der alte Führer im Parlament beim Kammerpräsidenten Protest gegen die Bezeichnung »Neofaschismus« eingelegt und empfohlen hatte, sich bei Wahlkämpfen faschistischer Vokabeln und Zitate zu enthalten. Almirante protestierte im Namen eines Flügels Rinnovamento, der die faschistische Revolution anstrebte. Um die ständigen Querelen zu beenden, wurde Almirante ins MSI-Präsidium berufen. Mit der Annahme dieses Amtes verlor er viele Anhänger, die ihn als Opportunisten schmähten. Mit der schwindenden Wählerschaft büßten die Neofaschisten auch den Rückhalt bei der Jugend ein, manche Führungskräfte wechselten zur DC. Erfolgreich mit den Monarchisten zu paktieren, war selbst im Süden inzwischen unmöglich, denn rund 20 Jahre nach der Exilierung des Königshauses besaßen sie keine programmatische Substanz, waren in sich gespalten und zerstritten und hatten ihre Machtzentren in Kampanien verloren. 1968 erreichten

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die Monarchisten nur noch 1,3 Prozent und strebten bald darauf die Fusion mit dem MSI an, um in dieser Allianz zu überleben. Insgesamt war die monarchistisch-faschistische Rechte 1968 auf ihren Stand von 1948 zurückgefallen.24

Die fünfte Wahl in der Republik von 1968 war zugleich die Entscheidung über den Reformkatalog des Centro-Sinistra und drei Kabinette Moros aus vereinigten Sozialisten und Republikanern. Das ehrgeizige Programm sah vor: zum erstenmal nach Kriegsende weitgehende Reformen für das veraltete Bildungswesen und die schwerfällige Zentralverwaltung; Abschaffung von faschistischen Gesetzen aus dem Ventennio und Durchführung des Verfassungsauftrages, der Dezentralisierung durch regionale Autonomie zum Ziel hatte. Zum Programm gehörten erstmals auch gesetzliche Maßnahmen gegen die wuchernde Bauspekulation in den Städten und die Aufstellung eines Wirtschaftsplanes. Es erwies sich aber, daß auch diese Ambitionen durch die Unbeweglichkeit des Systems, durch die Deformierung des Parlamentarismus mit seinem langsamen Entscheidungsprozeß und durch die beginnende ökonomische Krise zunichte gemacht wurden. Allzu lange war mit Reformen gewartet,war die Jugend von der politischen Partizipation ausgeschlossen und der Arbeiterschaft im wirtschaftlichen Boom Lebens- und Arbeitsqualität verweigert worden. Die Regierungen der linken Mitte versuchten wohl, nach dem raschen Industrialisierungsprozeß ohne soziale Dimension die Gleise in Richtung Wohlfahrtsstaat zu stellen, aber dies geschah bereits in der Rezessionsphase. Seit 1962 wirkten sich die Überproduktion von Konsumgütern und der Konzentrationsprozeß der Chemie- und Metallindustrie negativ aus. Gleichzeitig mit der Nachfrage nach Investitionsgütern sanken Exportzahlen und industrielle Wachstumsraten, die in den Zeiten nach Abschluß der Römischen Verträge bis zum Ende des Booms 1962 vor allem durch weit unter dem europäischen Standard liegenden Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken zustande gekommen waren. Auf überhitzte Konjunktur, Konsumexpansion und Preiserhöhungen folgten Inflation, Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit und Konsumrückgang. Für den Normalverbraucher stiegen allein die Fleischpreise von 1962 bis 1963 um 16 Prozent und die Mieten um 13 Prozent, so daß die erste geringe Lohnerhöhung seit Jahren von 1962 wegen des Kaufkraftschwundes nicht ausreichte.25 Die Regierung drosselte den Verbrauch dadurch, daß sie Autos und Benzin besteuerte sowie Kreditbeschränkungen bei Ratenkäufen einführte; dabei hatte gerade die leichte Kreditgewährung wesentlich mit zum Aufschwung beigetragen. Kapitalexport und überhöhte Einfuhr von teuren Importgütern führten zu Defiziten in der Zahlungsbilanz,

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die durch US-Kredite und Währungsfonds-Anleihen gedeckt werden mußten. Im Inland mußte die Regierung den Export forcieren und den Investitionsrückgang bremsen. Die meisten Arbeitslosen gab es im Maschinenbau- und Textilsektor. Das Centro-Sinistra trat so bereits unter schweren Bedingungen an. Neben Liberalen und der extremen Rechten übten die rechten DC-Flügel Kritik an seiner Politik, während die Linke mit dem PSIUP, den Kommunisten und Nennis innerparteilichen Kontrahenten auf die Profitakkumulation und die fehlende Kooperationsbereitschaft der Unternehmerseite hinwies, gegen die die Regierung nichts unternehme. In diesem Klima wurden kostspielige Reformprojekte undurchführbar. Der sozialistische Haushaltsminister Giolitti geriet unter den Druck der parteiinternen Linken, und die erste Koalition unter Moro scheiterte bereits 1964 an einem geringfügigen Anlaß: der Bewilligung eines Zuschusses an private Schulen.

In der zweiten Regierung Moro war das Reformprogramm nur noch auf Bekämpfung der Rezession ausgerichtet, Giolittis Wirtschaftsplan hatte lediglich konsultativen Charakter, andere Projekte wurden ganz zurückgestellt. Das politische Leben im restlichen Jahr 1964 war vom Machtkampf um die Kandidaten für das Staatspräsidentenamt in der Nachfolge des kranken Segni ausgefüllt. Da bei der Wahl die absolute Mehrheit für einen Kandidaten erforderlich war, galt die Abstimmung als Test für die Einflußmöglichkeiten von Parteien und Correnti. Zwei DC-Kandidaten, Giovanni Leone und Amintore Fanfani, scheiterten. Erst zu Weihnachten wurde Saragat nach 21 turbulenten Wahlgängen mit 646 von 937 Stimmen gewählt, darunter zwei Drittel von der DC, den Republikanern und Linksparteien mit den Kommunisten und erstmalig ohne Zustimmung der Missini. Der monatelange Parteienstreit um die Kandidaten beschleunigte den Machtverfall der Regierung. Gleichzeitig griff das Konjunkturprogramm nicht, es gab vielmehr von März bis Dezember 1964 über 112000 Entlassungen.27

Moros dritte Regierung war noch schwächer, weil die DC mittlerweile die im PSU zusammengeschlossenen Sozialisten und Sozialdemokraten als neue Kraft und Konkurrenz zu fürchten begann. Die Zeit von 1966 bis 1968 war angefüllt von heftigen Auseinandersetzungen in der Koalition über die Haltung Italiens zur Nahostfrage und zum NATO-Bündnis, innenpolitisch lebte das Südtirol-Problem mit seiner ganzen Explosivkraft und Polemik wieder auf.

Die eigentliche Krise im Inneren neben Wirtschaft und Parteien betraf jedoch die Demokratie selbst. Sie fand 1967 statt, ein Jahr vor den Parlamentswahlen. Der Espresso, ein linksorientiertes Wochenmagazin, veröffentlichte im Frühjahr eine Serie über eine Geheimdienstaffäre.

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Demnach hatte der Geheimdienst der Armee, SIFAR, mit seinem Apparat 1964 durch einen Staatsstreich versucht, die Linksöffnung rückgängig zu machen und in Italien die Präsidialrepublik einzuführen. Chef des SIF AR war General Giovanni de Lorenzo, ein enger Freund von StaatsPräsident Segni. Mit Hilfe seines Apparats und der präzisen Daten Speicherungsanlagen des Nachrichtenzentrums der Carabinieri hatte de Lorenzo mehr als 36000 Dossiers über prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gesammelt und eine Spezialtruppe der Carabinieri mit schwerer Artillerie und Panzern aufgestellt, von deren Existenz weder die Öffentlichkeit noch das Parlament Kenntnis besaßen. De Lorenzo verklagte die verantwortlichen Redakteure, eine Klage, die er erst in seinem Todesjahr 1973 zurückzog. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß gelangte jedoch 1967 zu der Feststellung, daß sich der Geheimdienst unter dem General gegen die demokratischen Institutionen mobilisiert hatte, daß es zu Rivalitäten zwischen verschiedenen SIFAR-Büros gekommen war, die Politiker wiederum ausgenutzt hatten. In mehreren Instanzen wurden weder der verworrene Tatbestand noch die Staatsstreichpläne des Geheimdienstchefs restlos aufgeklärt. Ebensowenig wurden die Anklagen des Espresso widerlegt, de Lorenzo habe angesichts der drohenden Machtbeteiligung der Sozialisten Truppen zusammengezogen, um Segni im Handstreich zum autoritären Staatsoberhaupt und Regierungschef zu machen. Die Möglichkeit dazu besaß der SIFAR durchaus; er kontrollierte die Armee, konnte die Nachrichtenzentren blockieren und über die strategischen Schlüsselpositionen im Land disponieren.28

Die SIFAR-Affäre füllte Aktenbände und verlief schließlich im Sand. Doch die Kommission zog den Schluß, daß der SIFAR reorganisiert und wieder der parlamentarischen Kontrolle zugänglich gemacht werden müsse. De Lorenzo wurde zum Rücktritt genötigt und zog 1968 über die Liste der Monarchisten ins Parlament ein. Nach deren Fusion mit den Neofaschisten zur MSl-Destra Nazionale 1972 kandidierte er erfolgreich als Missino. Auch nach der SIFAR-Affäre machte er aus seinen Ordnungsprinzipien und seiner Abneigung Parteien und einem von ihnen getragenen Staat gegenüber kein Hehl. Die Angelegenheit, zuerst von Journalisten und dann durch energische Initiative Saragats aufgedeckt, verdeutlichte das Demokratie- und Kontrolldefizit in Italien und schürte die Angst der politischen Linken vor einem governo invisibile mit einem unkontrollierten repressiven Apparat aus Militär und Polizei und Tendenz zum Staat im Staat.29

Tief geschockt über die Affäre und die Tatsache, daß sie weniger mit gebührender Nüchternheit untersucht als vielmehr zerredet worden war,

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erwarteten viele Italiener von den Wahlen 1968 klare Programme und Verhältnisse. Nicht nur bei den Linken sah man die Parallelen zu den Ereignissen in Griechenland beim Putsch der Obristen vom April 1967. Immer lauter wurden die Stimmen vor allem bei der Intelligenz nach neuen Lösungen anstelle der unerträglichen Spannungen, der politischen Zwielichtigkeit und der aufgeschobenen Reformen. Das Universitätsgesetz war wieder bis nach den Wahlen zurückgestellt worden. Das Krankenhausgesetz wurde zwar verabschiedet, hätte jedoch die Umstrukturierung des gesamten Gesundheitswesens und der regionalen Verwaltung erfordert, um tatsächlich aus dem traditionellen italienischen Wohlfahrtskonzept einen echten kontrollierten Dienstleistungsbetrieb in öffentlicher Hand zu entwickeln.

Kurz vor den Wahlen bot das Parlament ein Bild hektischer Aktivität, statt Gesetze wurden Verordnungen und kurzfristige Maßnahmen zur Befriedigung der Einzelinteressen in den Regierungsparteien verabschiedet, für Reformisten aller Richtungen ein deprimierender Eindruck, nachdem sie sich fünf Jahre lang von der Mittel-Links-Formel Neuerungen erhofft hatten. 1968 gab es allein 3,7 Millionen Erstwähler. Für die Mängel des Centro-Sinistra mußten vor allem die im PSU vereinigten Sozialisten büßen, die gegenüber 1963 einen Rückgang von einem Viertel der Wählerstimmen zu verzeichnen hatten, während die DC um 0,8 auf 39,1 und die Systemopposition (PCI) um 1,6 auf 26,9 Prozent anstieg. Nach diesem Wählerurteil zerfiel die PSU neuerlich in PSDI (Sozialdemokraten) und PSI (Sozialisten). Damit war die Mehrheitsfindung wieder schwieriger geworden. Von der ersten Wahl 1948 bis zur fünften 1968 hatten sich der Trend zum bipartitismo imperfetto und die Statik des Systems bestätigt. Trotz 90 Prozent Wahlbeteiligung und zwei großen Parteien war im Vergleich zu anderen Demokratien keine alternative Regierung möglich. Italienische Politologen bezeichneten aufgrund dieser Situation Wahlen sogar als bloßen Indikator eines Degenerationsprozesses, weil weder Programme noch Gegensätze entschieden werden konnten und die Systemarithmetik, mit der die DC sich gegen die Kommunisten absicherte, zum alleinbeherrschenden Prinzip in Italien geworden war.

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IV. Neofaschismus und Strukturkrisen

1. Süditalien als faschistisches Wählerreservoir

Im unterentwickelten Mezzogiorno gelang dem MSI die Konsolidierung in den fünfziger Jahren dank dem Rückhalt, den es bei den Großgrundbesitzern und im urbanen Kleinbürgertum der südlichen Städte hatte.1 Ab 1970 wurde das MSI zum Sammelbecken für Protestwähler aus allen sozialen Schichten außer der Arbeiterklasse und profitierte vom vehementen Ausbruch der Krise und von den Auswirkungen einer fehlgeschlagenen staatlichen Mezzogiorno-Folitik. Beide Male waren nicht neofaschistische Programmalternativen entscheidend, sondern der Zustand von Sozialstruktur und Wirtschaft. Die naturgegebene Strukturschwäche des Mezzogiorno konnte die Republik auch im Industrialisierungsprozeß nicht beheben. Das Gefälle von Norden nach Süden, ein ökonomischer Dualismus, zeigte sich in scharfen Kontrasten in der Wirtschaft, im politischen Verhalten und in der Kultur.2 Nirgends in Mittel- oder Norditalien war nach dem Kriege die Armut der unteren Klassen so groß und ihr Organisationsgrad so niedrig wie im Süden. Auf dem Lande kontrollierten ortsansässige privilegierte Schichten die öffentlichen Angelegenheiten. Latifundienbesitzer betrieben Intensivanbau ohne Investitionen in Maschinen und Geräte, und zwar meist nicht selbst, sondern durch Halbpächter, die sie über die Kanäle der Agrarmafia zu unwürdigen Bedingungen anheuerten. Unwissenheit und Analphabetentum erschwerten die Kommunikation der Unterschicht. Politische Propaganda wurde persönlich vermittelt und appellierte an fest verwurzelte traditionelle Werte. Die familienbezogene Binnenmoral wurde durch einen strengen Ehrenkodex geregelt. Laizistische Parteien waren lange Zeit außerstande, an dieser aus Religiosität, Aberglauben, Resignation und lokalpatriotischer Bindung zusammengesetzten Wertskala auch nur zu rütteln. Frühkapitalistische Strukturen ließen für den Rationalismus oder die konkreten Utopien des Nordens keinen Raum.3 Süditalien umfaßt mit seinen Regionen Sizilien, Abbruzzen-Molise,

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Kampanien, Basilicata, Apulien und Kalabrien 40 Prozent der Bevölkerung; zwei Fünftel des Staatsgebietes ist Entwicklungsland. Es entspricht dem ehemaligen Königreich Neapel und war bis nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend Agrarzone. Schon vor der Einigung Italiens 1870 hatte der Norden andere Stufen der ökonomischen Entwicklung durchlaufen und mit seiner günstigen geographischen Lage den Anschluß an Europa vollzogen, als sich die Handelsinteressen vom mediterranen Raum zu den Weltmeeren verlagerten. Das Mittelmeer war in diesem Prozeß durch die Entdeckungen und die Konzentration auf die Machtzentren Mitteleuropas als vitales Handels- und Zivilisationszentrum abgelöst und zum Binnensee degradiert worden. Den Süden hatte seine geographische Beschaffenheit mit den unzugänglichen Gebirgen, den schlechten Wasserverhältnissen und der mangelnden Bodenqualität infolge des jahrhundertelangen Holzraubbaus, den die Seefahrerreiche betrieben hatten, aus der Handelskonkurrenz geworfen. Ein unausgeglichenes Klima mit Malaria trug weiter zur Isolation bei.4

Unterschiedlich wie die Wirtschaftsverfassung von Süden und Norden entwickelten sich die Herrschaftsstrukturen: Städte, Handel und Bürgertum Norditaliens gegen Großgrundbesitz und feudale Fremdherrschaft des Mezzogiorno, in dessen Städten keine selbständige Mittelschicht als Basis für außenwirtschaftlichen Reichtum entstand. Das Kolonialreich der Anjou von Neapel und Sizilien war von Geld und Handel Norditaliens abhängig, während im Mittelmeer arabische, französische und englische Konkurrenz die Käuferschichten für Importgüter bediente. 1870 bedeutete die Einigung Italiens zugleich den Zusammenschluß dieser gewachsenen Gegensätze, ein Ergebnis außenpolitischer Machtpolitik zwischen Frankreich und Österreich, aus dem das sardisch-piemontesische Königreich Savoyen den nationalstaatlichen Nutzen zog. An der Isolation des Südens änderte das neue Großreich nichts. Vielmehr wurde das physiokratische Staatsmodell mit dem Großgrundbesitz feudalistischer Provenienz vereinnahmt und dessen Herrschaftsschicht in Rom Träger der verwaltungsrechtlichen Eingliederung. Von Rom aus setzte sie Schutzzölle und Subventionen für den Süden durch, um die überkommenen Anbauweisen extensiver Getreidekultur und traditioneller Weidewirtschaft zu bewahren. Neuartige Personalsteuern belasteten die vielköpfigen Bauernfamilien unverhältnismäßig. Während es der Agrarierklasse an Investitionseifer und Freude an Neuerungen mangelte, sank die Leistungsmotivation des Landvolks immer mehr ab. Landarbeiter- und Bauernklasse waren geprägt durch die in vielen Entwicklungsländern bestehende Werthierarchie mit dem Familienclan als Mittelpunkt zum Schutz gegen die privilegierte Klasse.5

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Das Königreich bezog so einie Mehreinnahmen an Personalsteuern einer Gegend, wo eine zahlenmäßig große Bevölkerung in einer Agrarstruktur lebte, die nur geringe Erträge zuließ, so daß die Kleinbauern verelendeten. Die industrielle Aktivität - Eisenhütten in Kalabrien, kampanische Seidenweberei, Papierfabrikation und Töpferei - erlahmt, als die binnenländischen Zollschranken gegenüber dem freihändlerischen Norden nach der Einigung fielen. Die Folge war ein wachsendes Kapital gefälle, einsetzende Binnenwanderung und Emigrationswellen, die ganze Landstreiche entvölkerten.

Der Faschismus und seine Kriege verstärkten diesen Stukturverlust. Das 1936 verkündete Autarkieprogramm Mussolinis sah Urbarmachung der Sümpfe und Bauernansiedlung vor, aber die Ankurbelung der Produktivkraft - in der faschistischen Propaganda bekannt als »Weizenschlacht« -baute auf den vorhandenen unzulänglichen Strukturen auf. Weder die Latifundien noch die Lage der Bauern wurden verändert, Kapitalhilfen in Form von Agrarkrediten fanden bei den analphabetischen Kleinbauern wenig Resonanz.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Mezzogiorno alliiertes Aufmarschgebiet und als königliches Südreich letzte Bastion des Hauses Savoyen. Der Grad der Zerstörung war dreimal so groß wie im Norden, gleichzeitig hatte sich die Bevölkerungszahl während der zehn Jahre von 1937 bis 1947 um 2,6 Millionen erhöht.7 Im Chaos des Kriegsendes verlieh Giannini mit den Qualunquisten den Frustrationen, dem Elend und der Introvertiertheit des Mezzogiorno mit den Worten Ausdruck, in denen sich jahrhundertelang die Entfremdung der Randgruppen gegenüber den Herrschenden artikuliert hatte: »Keine Regierung ist besser als irgendeine.« Nach den Qualunquisten appellierten die Neofaschisten im Süden in gleicher Form an die Instinkte und Emotionen. Nach dem Faschismus wurde das Rom der Parteien und der schwerfälligen Zentralverwaltung mit dem gleichen staatsverdrossenen Mißtrauen bedacht. Es schien unmöglich, den im unpolitischen ethnozentristischen Kirchturmsdenken verharrenden Bewohnern des Süden das komplizierte Funktionieren eines Parteienstaates nahezubringen. Da Wahlerfolge im Süden immer am einfachsten zu erzielen waren, wenn lokale Honoratioren und Patriarchen im Namen einer Partei, meist DC, Monarchisten, Liberale oder MSI, das tradierte Selbstverständnis in Dörfern und Kleinstädten ausnutzten, um an Irrationalität und an die gottgewollte Ordnung zu appellieren, unterblieben solche Versuche seitens der politischen Elite weitgehend.8

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2. Fehler und Folgen der Südpolitik

Gegen Ende der sechziger Jahre wurde der Mezzogiorno zum politischen Pulverfaß. Alle durch den uneinheitlichen soziokulturellen Prozeß im Nachkriegsitalien bedingten Störungen hatten spezifische Folgen für den Süden. Die ersten zentristischen Regierungen begannen zur Überwindung der historischen Ungleichheit kapitalistische Mittel einzusetzen, nämlich die Gelder aus dem Marshallplan. Die südliche Agrarstruktur sollte verändert, das Latifundiensystem abgeschafft und enteignetes Land an selbständige Bauern verteilt werden. Dies war Wahlkampfthema in der ersten Restaurationsphase, doch dann erhielt der industrielle Aufbau im Norden Priorität vor dem Projekt der Bodenreform, bis 1949/50 Bauernaufstände gegen den wirtschaftlichen Immobilismus im Süden aufbrachen. Tagelöhner und Landarbeiter besetzten bei Melissa unbebautes Land und wurden vom Exekutivapparat des Innenministers Scelba gewaltsam vertrieben.9

Die Empörung im Lande über die Todesopfer von Melissa beschleunigte weniger die als sozialistisch verschriene Bodenreform, sondern vielmehr die Verabschiedung von Teilgesetzen und punktuellen Urbarmachungen. Ferner entstand eine Südkasse, die sogenannte Cassa per il Mezzogiorno. Es handelte sich dabei um eine Investitionsgesellschaft zur Verteilung von Geldern, die bis 1960 1000 Milliarden Lire in Projekte zur Infrastrukturverbesserung pumpte.10

Gleichzeitig sollte ein ehrgeiziges Industrialisierungsprogramm die Umwandlung des Südens vom Agrar- zur Industriestaat einleiten. Die Staatsindustrie übernahm den Aufbau der Grundstoffindustrien. Der Privatinitiative, durch die Cassa gefördert, blieb es nach diesem Programm überlassen, Zulieferer- und Weiterverarbeitungsbetriebe rund um die Schwerindustriezentren zu erstellen; förderungswürdige Projekte erhielten Zuschüsse bis zu 75 Prozent der Investitionskosten. So entstanden ab 1960 riesige Industriezonen bei Bari, Salerno, Tarent und Catania, aber die Anwendung des Gießkannenprinzips bei der Kapitalverteilung erwies sich als schwerer Fehler. Denn in der Restaurationsphase unter dem liberalen Wirtschaftsminister Luigi Einaudi hatte der Zentralismus der unternehmerischen Privatinitiative freie Hand gelassen. Der ökonomische Aufschwung fast aller Industriezweige im Norden war das Ergebnis freier Marktwirtschaft, die aber auch zu einer zunehmenden Entfremdung von Wirtschaft und Politik führte.11 Die DC-Regierungen erfüllten die Forderungen der Industrie nach Schutz vor Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschaften und ließen sie in Investitionsfragen gewähren, eine Aufgabenverteilung, die die classe politica dieser Jahre

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akzeptierte. Spätestens zu Beginn der sechziger Jahre entsprach diese Auseinanderentwicklung durch Gewaltenteilung nicht mehr den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft, die Konzertierung und gemeinsame Prüfung in allen Einzelbereichen verlangt. So kam es in Italien zur dualistischen Volkswirtschaft, in der das Ultramoderne neben dem Traditionellen und Primitiven stand.12

Für den Süden ergab sich daraus folgendes: An den ungünstigsten Standorten fand sich die Staatsindustrie meist als einziger Investor, ohne daß lebenswichtige Bedingungen für eine gesunde Infrastruktur und rationalisierte Landwirtschaft zustande kamen. Naturbedingte Vorteile - etwa landschaftlicher Art für den Tourismus - wurden außer acht gelassen oder sogar durch die »Kathedralen in der Wüste«, wie man die Industriegiganten bald nannte, zerstört. Die Privatinitiative zur Schaffung eines Ballungsgebietes mit weiterverarbeitender Industrie und Arbeitsplatzangebot war ausgeblieben. Dabei hatte es an warnenden Stimmen vor der »Eisenkur« einer focierten Industrialisierung für Süditalien nie gefehlt. Die Wirtschaftsexpertin Vera Lutz kritisierte schon früh den an ein starres Exportsystem gekoppelten Prozeß; statt der riesigen Investitionen in die Schwerindustrie und der Zerstörung unersetzlicher Kulturlandschaften schlug sie vor, die Klein- und Mittelindustrie zu fördern und die Landwirtschaft zu modernisieren. Tatsächlich hätte es für Möbelfabrikation sowie für Bekleidungs- und Elektroindustrie weder Absatzmangel noch Transportschwierigkeiten gegeben, sondern vielmehr Käufer am Ort.1 Das Hauptargument der planungsfeindlichen Befürworter großer Industriezentren unter staatlicher Pionierrolle, nämlich die angebliche Anziehungskraft auf die Verarbeiter und Zulieferer, war durch die Praxis widerlegt worden. Die staatlichen Zentren hatten bei minimaler Amortisation erhebliche Unkosten, weil ihre Einrichtungen nach rund zehn Jahren veraltet waren und erneut finanziert werden mußten. Der italienische Staat hat von 1950 bis 1973 durch die Südkasse etwa 22 000 Milliarden Lire ausgegeben. Zur Verteilung der Gelder entstanden zahlreiche Unterorganisationen und Bürokratien (IASM, ISVEIMER, IRFIS, CIS, FINAM, INSUD usw.) mit allen Gefahren manipulierter Kostenberechnungen.14

Betrachtet man den Erfolg der Südpolitik für die Menschen im Mezzogiorno, ergibt sich ebenfalls ein negatives Bild. Gegen Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Auswanderung hatte sie wenig ausgerichtet. 1974 arbeitete noch jeder zehnte Italiener im Ausland. Die Italienerviertel in New York, in Lateinamerika sind ebenso von Süditalienern bevölkert wie die Gettos an der unwirtlichen Peripherie Turins. Das Industrialisierungsprogramm der Südpolitik ließ ganze Dörfer im

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inneren Mezzogiorno der verkarsteten Weiden veröden; Greise, Kinder und Frauen bildeten meist die Dorfgemeinschaft um Kirche, Pfarrer und Carabiniere. Auch in den siebziger Jahren hatte die Landflucht noch krankhaftes Ausmaß: Über 1,5 Millionen Kalabresen und Sizilianer verließen im letzten Jahrzehnt die Felder, um in den Norden zu ziehen oder aber um sich rund um die südlichen Industriezentren anzusiedeln, in der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz. Dort hausten sie meist ohne ausreichende Versorgung und verelendeten arbeitslos und unterbeschäftigt in den Baracken. Die industrielle Gewaltkur war von der naiven Überlegung ausgegangen, man könne den Süden und seine Menschen einfach an die europäische Entwicklung anschließen, ohne ihre besondere politische Kultur und die durch die erwähnten Abhängigkeitsverhältnisse geprägte Mentalität zu berücksichtigen. Das staatliche Gesetz vom Juli 1957 war von einer bald erreichten Vollbeschäftigung ausgegangen, die nicht eintrat. Süditalien blieb mit 21 Prozent hinter dem übrigen Land (79 Prozent) zurück. Daten des Ministeriums für den Mezzogiorno15 zeigten ferner, daß die Beschäftigungsziffer 1972 mit drei Prozent noch unter der von 1961 lag. Das Durchschnittseinkommen pro Kopf war halb so groß wie in Zentralitalien (683.700 gegenüber 1.266.330 Lire im Jahr), die Bevölkerungszahl hatte sich im Süden von 1951 bis 1971 um rund 1,2 Millionen erhöht, obwohl ein Viertel 1951 der dort Ansässigen ausgewandert war, meist hochqualifizierte Arbeitskräfte im Alter zwischen 20 und 35 Jahren. In den Jahren der Rezession seit 1962 wurde die Allgemeine Krise in Industrie und Landwirtschaft, die mit Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum im Süden einherging, vor allem in den Städten sichtbar. Nach dem zunehmenden Exodus vom Land in südliche Ballungsgebiete bildete sich dort ein urbanes Subproletariat, wobei Infrastruktur, Dienstleistungen und Gesundheitsfürsorge nicht ausreichten, um angemessene Lebensbedingungen zu schaffen.

Im apulischen Bari etwa vegetierten die Bewohner der Altstadt in Schmutz, Resignation und qualunquistischer Rebellion. Noch 1973 war es dort keine Seltenheit, wenn zwölf Personen in einem engen und feuchten Raum zusammengepferchte hausten. Über dieser Altstadt leuchteten die Lichtreklamen der großen Renommierausstellung Fiera di Levante im modernen Teil Baris. Doch im alten Teil mit den Häusern ohne Elektrizität und sanitäre Anlagen spielten die Kinder mit den Ratten aus den vorbourbonischen Abzugskanälen. Diese wurden wie einst durch den Carrettino gereinigt, statt des Pferdewagens von damals transportierte nun ein Dreiradmotorwagen den Unrat von der offenen Straße ab. 1973 griff die napolitanische Cholera rasch auf Baris übervölkerte Alt-

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Stadt über. Doch auch in den Neubauvierteln wie dem CEP und dem genauso schnell und seelenlos aus dem Boden gestampften Borgo San Girolame, einer öden Wohnwüste mit windschiefen Fenstern und bröckelnden Wänden, machte sich die Bevölkerung mit Wutausbrüchen gegen die Herrschenden Luft, wie sie früher zu spontanen Bauernrevolten geführt hatten. Einmal in einem Jahrzehnt besetzte sie dann das Rathaus, zündete es an und hängte die Verantwortlichen, um sich danach festnehmen zu lassen und resigniert in die Gefängnisse zu gehen. Baris Altstadtbewohner und die Landflüchtigen und Arbeitslosen im CEP-Viertel zeigten den gleichen qualunquistischen Haß auf die Machtcliquen der Stadt. Umfragen unter ihnen zeigten, daß die Hälfte der Baresen Parteien für überflüssig und schädlich hielt (positiv nur 26 Prozent). 40 Prozent verurteilten die Lokalregierung als eigennützigen Interessenclub und nannten als meistgehaßte Gruppe neben den Bürokraten die Ärzte und die Politiker der Stadt - eine Folge der Tatsache, daß das Krankenhauspersonal wegen der schlechten Bezahlung korrupt geworden war. Die Ärzte vergaben Betten in den überbelegten Kliniken gegen Bestechung und organisierten gemeinsam mit der örtlichen Mafia einen Zwischenhandel mit teuren und seltenen Blutkonserven.16

3. Aufstand in Reggio Calabria

Bereits 1970 war in Kalabrien eine Zeitbombe explodiert - Reggio Calabria wurde zum Modellfall für urbane Krisenherde und für qualunquistische Revolten, die von Neofaschisten zu ihren Gunsten ausgenutz werden konnten. Im Aufstand von Reggio kristallisierten sich die aufgezeigten Entwicklungstendezen der ökonomischen Bedingungen Süditaliens deutlich heraus, mit allen typischen Interdependenzen zwischen Armut, egoistischer Interessenpolitik von Parteien und nationaler Nichtidentifikation der Bevölkerung dieser meridionalen Großstadt. 1970 hatte die römische Mitte-Links-Regierung begonnen, die seit 20 Jahren vorgesehenen Regionalstatute zu beraten, um verfassungsgemäß zu dezentralisieren und die regionale Selbstverwaltung gesetzlich zu regeln (Verfassung Artikel 114 bis 132). Das MSI war stets dagegen gewesen, mit dem Argument, die Dezentralisierung zerstöre die ohnehin schwache nationale Einheit, schaffe auf regionaler Ebene weiteren Partikularismus, neues Parteiengezänk um Pfründen, Posten und Geld. Ein parlamentarisches System, so das MSI, das bereits in Rom nicht funktioniere, sei für die Regionen des Südens in ihrer prekären Lage schon gar nicht geeignet.17 Das zweite Argument war, daß solche Regionen mit

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Selbstverwaltung den Vormarsch der Linksparteien im System sanktionierten. Dies war eine Befürchtung, die auch in DC-Kreisen lange gehegt worden und mit für die jahrzehntelange Verschleppung der Dezentralisierung verantwortlich war.

Kalabrien hatte im Süden von jeher das Schlußlicht gebildet.18 Von seinen drei großen Städten Reggio, Catanzaro und Cosenza hielt Reggio 1970 geographisch und infrastrukturell die schwächste Position. Cosenza hatte 93 000, Catenzaro 80 000, Reggio jedoch 170 000 Einwohner, davon rund 31 Prozent Analphabeten. Etwa 12 000 Menschen bewohnten alte, nach dem Erdbeben von 1908 errichtete Baracken. Die Arbeitsmarktlage war schlecht. Fast 80 Prozent waren in der Landwirtschaft der Umgebung beschäftigt, zum großen Teil als Gelegenheitsarbeiter bei der Ernte von Oliven, Jasmin und Zitrusfrüchten.19 Im Hinterland von Reggio gab es vorwiegend Großgrundbesitz, und ein Viertel der Anbaufläche wurde von Zwergbetrieben mit weniger als 12 Hektar bewirtschaftet. Die Halbpacht (mezzadria) regelte die Agrarmafia im Einvernehmen mit den Großgrundbesitzern und den lokalen Politikern eines Agrarierblocks im Stadtrat von Reggio, eine im Süden übliche Praxis.20 An nennenswerter Industrie gab es in der kalabresischen Stadt lediglich ein von der Südkasse errichtetes Werk zu Fertigung schwerindustrieller Teile mit nur 300 Arbeitsplätzen, gegenüber 20000 in der städtischen Verwaltung. Dieser administrative Wasserkopf stand wie in anderen an Ämterpratronage und Bürokratie kranken Südstädten im krassen Gegensatz zu den öffentlichen Dienstleistungen im Krankenhaus- und Schulwesen.

Auf diesem nichtindustriellen Ballungsgebiet mit seiner schwachen Infrastruktur lasteten noch Nachbargemeinden mit einer Viertelmillion Einwohner. Reggio, am Fuße des Berges Aspromonte Sizilien gegenüber gelegen, war in langgestreckte, einzeln gereihte Rioni (Stadtviertel) gegliedert. Nach Messina auf der anderen Seite der Meerenge bestand nur eine Fährverbindung. An der dortigen Universität, die auch Reggini besuchen mußten, waren 70 Prozent der Studenten Kalabresen und deren studentische Organisationen alle schwarz: ein Fronte Goliardico und der MSI-FUAN. Im medizinischen Institut herrschte Professor Saverio d'Aquino, MSI-Deputierter in Rom und enger Freund Almirantes, über Klinik und Fakultät. Eine Anstellung auch in untergeordnete Position war dort wegen des starken Konkurrenzkampfes - rund zweitausend Bewerber je Stelle - unmöglich.21

In Wahlkämpfen hatte es seitens der Regierungsparteien viele Versprechungen für eine bessere Zukunft Reggios gegeben. Immer wieder war von der Fertigstellung der Autobahn Neapel-Reggio die Rede gewesen,

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oder von einer möglichen Brücke über die Meerenge, ein Projekt, das sich aber noch in der technischen Planung befand. Reggio war eine eigene Universität und ein Schwerindustriezentrum der staatlichen IRI in Aussicht gestellt worden, und nach erfolgter Verabschiedung des Regionalstatutes für Kalabrien sollte es regionale Hauptstadt werden. Mehr als das damit verbundene Prestige lockte die Aussicht auf Arbeitsplätze in der Schwerindustrie und in der neuen Selbstverwaltung. Aber alle diese Hoffnungen zerschlugen sich 1970 eine nach der anderen. Zuerst erhielt Cosenza den Zuschlag für die Universität, dann wurde Catanzaro zur Regionalhauptstadt erklärt, und zuletzt stellte die IRI Reggio wegen mangelnder natürlicher Gegebenheiten als Standort für ein Schwerindustriezentrum in Frage. Bürger und Stadtverwaltung fühlten sich getäuscht und waren überzeugt, daß Korridorabsprachen zwischen den Regierungsparteien in Rom gegen Reggio entschieden hatten. Denn mit dem Sozialisten und Minister für Öffentliche Arbeiten, Giacomo Mancini, saß ein Cosentiner in der Regierung. Catanzaros Sache in Rom vertrat der dort gebürtige ehemalige Unterrichtsminister Misasi, der einem DC-Flügel mit viel Einfluß im römischen Entscheidungszentrum angehörte.22

Reggio, regiert von einer Mitte-Links-Koalition im Rathaus unter DC-Bürgermeister Battaglia, sah sich von Sozialisten und Christdemokraten in der Hauptstadtfrage hintergangen. Battaglia, ein Anhänger Fanfanis, stützte sich auf die katholische Gewerkschaft ACLI. Mit einer solchen schwachen Basis konnte er gegen Rom und dessen Enscheidungen nichts ausrichten. Vielmehr bedeutete ihm Fanfani selbst, Reggio möge sich abfinden. Doch Battaglia, inzwischen mit seinen sozialistischen Ratsmitgliedern zerstritten wegen der vermuteten Ministerabsprachen, initiierte Bürgerversammlungen und Protestkundgebungen, mit denen die Revolte ihren Anfang nahm. Er selbst forderte die Bürger zur direkten Aktion gegen das Urteil aus Rom auf und sprach gemeinsam mit dem MSI-Stadt rat Fortunato Aloi von einer »sozialistischen Verschwörung« gegen Reggio. Dabei hatten beide die Agrarierfront der Großgrundbesitzer auf ihrer Seite. Die Gewerkschaften riefen einen Proteststreik aus, der von allen befolgt wurde.23

Dies geschah am 5. Juli 1970. Sieben Tage später beschloß die Volksversammlung der Protestierenden Reggini, keine Regionalräte aus Reggio zur ersten Regionalversammlung nach Catanzaro zu schicken. Nach dieser gemeinsamen Boykott-Aktion kam es zu Sachschäden auf den Straßen, und der Aufstand entwickelte bei lebhafter Beteiligung von Jugendlichen Eigendynamik, die Battaglia benutzte, um in Telegrammen nach Rom über das »Pulverfaß Reggio« zu berichten. Auf den Straßen wurden

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Barrikaden errichtet, die Polizeiposten mußten die Kommunisten schützen, weil sie die Regionalversammlung in Catanzaro nicht boykottiert und den Regionalstreik als sinnlose Maßnahme gegen die Regionalordnung bezeichnet hatten. Mittlerweile hielt Aloi lokalpatriotische Reden und forderte Rom auf, die Hauptstadtentscheidung zurückzunehmen; die Sozialisten seien als Hauptschuldige aus Kommunal- und Provinzregierungen auszuschließen. Battaglias übertriebene Berichte an die römische Zentrale bewirkten, daß man von dort aus nach Catanzaro und Cosenza Anweisung zur Entsendung von Polizei- und Truppeneinheiten gab, die bei ihrem Eintreffen scharf angegriffen wurden. Die Protestler gerieten immer mehr unter den Einfluß der MSI-Fußtruppen und unter die Führung des örtlichen CISNAL-Funktionärs Francesco (»Ciccio«) Franco. Dieser wiegelte erfolgreich zum weiteren Barrikadenbau gegen die »Repressalien der sozialistischen Dirigenten« und ihrer Polizei aus den kalabresischen Konkurrenzstädten auf, wobei sich die Trupps strategisch günstig in den einzelnen Stadtvierteln verbarrikadieren und von dort aus die Eisenbahnlinie und die Straße sperren konnten. Flugblätter und Mauerinschriften propagierten Parolen von der »sozialkommunistischen Verschwörung der Parteienclique in Rom«. Die Sozialkommunisten, hieß es, hätte nur das Ziel, in Reggio die Macht an sich zu reißen. So stand es auch bereits am 16. Juli im MSI-Partei-Organ Secolo und Franco skandierte als Motto des Aufstandes: »Reggio Hauptstadt - ein Henker, wer nachgibt« (Reggio capoluogo - boia chi molla!). Es folgte eine Vielzahl von Schriften mit qualunquistischen Antistaatsparolen, mit Forderungen nach Sezession Reggios zur autonomen Provinz und vieles mehr. Die Gewerkschaften ACLI, CISL und CGIL hatten anfangs, als Agrarier, Industrielle mit einem reichen Kaffeeröster und einem Reeder an der Spitze gemeinsam mit Arbeitern und Bürgern die Gleise der Bahn besetzt und Züge blockiert hatten, noch positiv zum Aufstand Stellung genommen. Die ACLI erklärte, es handle sich um einen »grandiosen Akt direkter Demokratie und Partizipation in einer Gesellschaft, die sich der Trägerschaft der Macht bewußt wird« und schloß aus der »direkten Präsenz der gesellschaftlichen Kräfte« ... auf einen »Kampf der Jugend und der arbeitenden Klasse«.24

Die Analyse erwies sich schnell als falsch, je mehr der Aufstand unter die Kontrolle der neofaschistischen Trupps unter Franco geriet und sich gemäßigte Bürger von der Straße zurückzogen. Auf den Schnellzug Rom-Messina wurde ein Anschlag verübt, der sechs Tote und 50 Verletzte forderte. Ein Aktionskomitee unter Vorsitz von Franco koordinierte die einsetzende Serie von Gewalttaten gegen Personen und Anschlägen auf

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Parteibüros von Christdemokraten und Linksparteien. Mit Hilfe einer aufgebrachten Meute von zehntausend Leuten setzte Franco Arbeitsniederlegungen gewaltsam durch, nachdem Gewerkschaften einen von ihm ausgerufenen Generalstreik für illegal erklärt hatten. Den ganzen Monat August ging es mit Bränden, Attentaten, Sprengungen und Bomben weiter. Die Presse des MSI war auf Unterstützungskurs eingeschwenkt, nachdem sie zu Beginn der Unruhen zunächst noch von einem »Aufruhr der Kanaillen und Schlampen«25 gesprochen hatte, wie sie es bei Streiks und Arbeitskämpfen im Norden zu tun pflegte. Dann aber erkannte das MSI, nach eigener Definition eine ordnungsliebende Partei, den großen Instrumentalwert der Revolte und sprach von einem »Volksaufstand der Geknechteten«.26 Es erging die Anweisung, in anderen Städten ähnlich zu verfahren; gleichzeitig sprachen die Missini im Parlament vom Betrug der Parteien an Reggio. Noch im September war die ganze Stadt blockiert, Postämter und Büros brannten, und auf faschistischen Handzetteln wurde jedermann aufgefordert, zu den Waffen zu greifen. Dies zog endlich die Verhaftung Francos als Rädelsführer und Aufrührer nach sich. Aber die faschistischen Squadren hatten in der Stadt längst ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Aus den paramilitärischen Übungslagern in den Bergen und bei Tropea waren die Truppen der Ordonovisten und der Fronte nazionale Borghese unter Führung des Großgrundbesitzers Marchese Felice Zerbi in Reggio zusammengekommen, um den Aufstand als Krieg weiterzuführen, auch als die Reggini ihn längst müde waren. Noch lange, nachdem die Polizei ihn unter Kontrolle gebracht hatten, zogen die Provokateurgruppen zu Strafaktionen in die Außenbezirke und bis nach Cosenza und Catazaro aus.27

Für das MSI und Almirante hatten die Vorkommnisse von Reggio mit ihren sinnlosen Materialschäden und den Toten und Verletzten großen politischen Effekt. Almirante zog mit Systemkritik an Regionen und Parteien durch das Land. Für den Regionalkampf 1971 präparierte er seine Leute mit einem Katalog, der an Emotionen und den »gerechten Volkszorn« im Süden appellierte, um in anderen Städten vergleichbare Erfolge zu erzielen. In Neapel und Catania kam es unter Führung von MSI-Stadträten und CISNAL-Funktionären zu ähnlichen Vorkommnissen, doch war die allgemeine Situation dort anders. Almirante und Borghese erhielten bei Wahlauftritten in Reggio 1971 Ovationen, wenn sie vom »Diktat der Mächtigen des Sozialkommunismus« und von nicht eingehaltenen Versprechen für den Mezzogiorno sprachen. Almirante bezeichnete Franco und die Squadristenbanden als »couragierte junge Menschen aus dem Volke«. In der Kammer lehnte die MSI-Fraktion

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das Regionalstatut für Kalabrien mit der Begründung ab, es sei nur im Sinne der Regierungsstrategie, den Nord-Süd-Konflikt dadurch zu verschärfen, daß man arme Regionen an den Rand dränge und sich selbst überließe.28

Opfer der MSI-Demagogie in Reggio waren arbeitslose Feldvermesser, Buchhalter, die mit Schreibarbeiten 60 Mark monatlich verdienten, Juristen und Geisteswissenschaftler auf ebenso unterbezahlten Posten und unterbeschäftigte Lehrer geworden; Adlige und Honoratioren bezahlten die Barrikaden, um ihre Privilegien zu verteidigen.29 Da hatte kein klassenbewußtes Proletariat revoltiert, sondern eine Schicht enorm angewachsenen meridionalen Kleinbürgertums, die durch den Urbanisierungsprozeß zur »hungrigen Aspirantenschicht« geworden war und in entscheidenden Momenten zur Subversivität nach rechts neigte. Das Kleinbürgertum konnte sich nicht mehr ernähren, weigerte sich aber gleichzeitig, manuelle Arbeiten zu verrichten. Gemeinsam mit dem Subproletariat erhob es sich gegen den materiellen und geistigen Hungertod. In diesen Schichten errang das MSI in den Wahlen von 1971 und 1972 die meisten Stimmen.

4. Neofaschismus in urbanen Krisenherden

Die Agitation des MSI in Kalabrien hatte den instrumentalen Charakter und die Doppelgleisigkeit der Propaganda zwischen dem Phrasenkatalog von Ruhe und Ordnung und faschistischer Subversivität gezeigt. Seit 1969 wurde die Instrumentalisierung von Revolten im Süden und Klassenkämpfen im Norden immer leichter für das MSI, das einerseits das kommunistisch-sozialistische Zerrbild mit Gewerkschaftsmacht ausmalte und andererseits die Süditaliener als »Ausgeschlossene und Betrogene des Systems« ansprach; es reichte hin, sich 1971 als Parlamentspartei mit der Parole darzustellen: »Mit der Nation für den Mezzogiorno im Kampf für gerechte Behandlung.« So hatte Almirante volle Plätze und erhielt Beifall für seine Schilderung eines schwachen Staates mit einer ratlosen, in sich zerstrittenen Regierung, die es abzulösen gelte.30 Ein Blick auf andere Städte zeigte ähnliche Zusammenhänge zwischen sozialen Bedingungen, Entfremdung und Radikalisierungsprozeß wie Reggio. Die Cholera-Epedemie von 1973 war auch das Ergebnis verantwortungsloser Administration und mangelnder öffentlicher Hygiene. Zu Beginn des Jahres 1974 erschienen in allen großen Zeitungen Anzeigen mit der Überschrift »Die Ratten danken«. Der Text unter einer Abbildung fressender Ratten appellierte an die Bürger, ihrem Bürgermeister einen

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Abschnitt mit der Aufforderung einzusenden, er solle sich intensiver für die Abfallbeseitigung in seiner Stadt einsetzen, denn »Abfälle sind eine Fabrik für Krankheiten«, wie es weiter hieß.31 Die Bürgerinitiative, die diese Anzeigen veranlaßt hatte, wußte, wovon sie sprach. So war die neapolitanische Cholera zwar von Nordafrika eingeschleppt worden, wäre aber ohne die Verschmutzung der Stadt und des Golfes in Grenzen zu halten gewesen. Die Hafenbecken waren durch ungeklärte Abwässer verunreinigt. Mitten darin waren zwar illegale, durch behördliche Vetternwirtschaft aber dennoch unter der Hand genehmigte Muschelkulturen gezüchtet worden. Die Cholera in Neapel forderte 15 Todesopfer und 120 Erkrankte. Es gab einen Skandal um diese Vorgänge, DC-Stadträte waren zudem in eine Müllverbrennungsaffäre verwickelt, und schließlich mußte Bürgermeister Gerardo de Michele zurücktreten. Das MSI, allen voran der Stadtrat Abbatangelo, und die Jugendgruppen an der Universität und in der CISNAL heizten in jenem Sommer das Klima durch Straßenterror an und hetzten die um knapp gewordenen Impfstoff in endlosen Schlangen vor den Krankenhäusern anstehenden Neapolitaner zu Verzweiflungstaten auf. CISNAL, obschon sonst Streikgegner und Streikbrecher, ließ die bei ihr organisierten Müllarbeiter in den Ausstand treten, so daß über der Stadt bei brütender Hitze tagelang der Gestank der Abfälle lag. Dieser unglaubliche Vorgang veranlaßte den Christdemokraten Flaminio Piccoli in einer Parlamentsdebatte zu dem erbosten Zuruf an die faschistische Fraktion: »Ihr seid die Partei, die auf dem Zusammenbruch gedeiht, die Partei der Cholera und des >je schlimmer desto besser« - die einzige Partei, die von solchen Dingen profitiert!«32 In Neapel kam das MSI 1972 auf 18,7 Prozent und 187000 Stimmen (DC 192 000, PCI 188 000). Es waren zum Teil Proteststimmen, zum Teil die verbliebenen Stammwähler des ehemaligen Monarchistenführers Achille Lauro, der 1972 auf der Faschisten-Liste MSl-Destra Nazionale erfolgreich für das Abgeordnetenhaus kandidierte. Der reiche Reeder und Besitzer einer lukrativen Öltankerflotte hatte 1956 bei Kommunalwahlen die absolute Mehrheit errungen und war Bürgermeister von Kampaniens Hauptstadt geworden. Während seiner Amtszeit häuften sich die Bauskandale, für die sein mit der Mafia verfilztes Klientelsystem verantwortlich war. Während sich auf den ehemals schönen Hügeln Neapels Wolkenkratzer türmten, herrschte Lauro wie der letzte Bourbonenfürst. Der Laurumo jener Jahre übertraf den übrigen Mezzogiorno, was Vetternwirtschaft und schwindendes Verantwortungsbewußtsein bei den Machthabern anging. De Gasperi hatte sich in der Restaurationsphase der Wählerschaft von Lauro bedient, um dadurch den Pakt zwischen norditalienischem Industriekapital und süditalienischem Agrarbürgertum

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zu festigen und die vorfaschistischen Besitzverhältnisse wiederherzustellen. Lauro ließ sich dafür von der DC riesige Summen für den Wiederaufbau der Stadt zahlen und erhielt Steuererleichterungen, bis Amintore Fanfani DC-Parteisekretär wurde und den historischen Block im Vorfeld des Centro-Sinistra dadurch auflöste, daß er den Laurismo wegen administrativer Unregelmäßigkeiten durch das Innenministerium liquidieren ließ.33 Lauro war typisch für jene Spezis von süditalienischem Politiker zwischen autoritärem Patriarchen und populärem Lokalmatador. Der Mentalität der fatalistischen Neapolitaner kam er mit einer Mischung aus Folklore mit Sängerfesten und vergangenheitsorientierter Ideologie entgegen. Noch 1974 beeinflußte Lauro, inzwischen über 80 Jahre alt, die veröffentlichte Meinung in der Stadt zugunsten des MSI mit seiner Tageszeitung »Roma«, deren einziger Gegenspieler der mit dem Centro-Sinistra sympathisierende Il Mattino war. Nach Lauros Sturz übernahm der politische Klan des Christdemokraten Antonia Gava im Stadtrat von Neapel das Ruder. Politische Kontrolle in öffentlichen Angelegenheiten blieb schwierig, solange der Clan über Investitionen der öffentlichen Hand befand: In dem verfilzten System von Staat, Staatsindustrie und DC, das allein in Neapel über mafiaähnliche Kanäle zu 95 Aktiengesellschaften, Banken und Immobilienbüros lief, lagen hier die Schlüsselpositionen der Macht.35

Die Zweiteilung der faschistischen Aktionsschemata zwischen Ausnutzung von Elend und Mißwirtschaft einerseits und offenem Terror andererseits war auch für Neapel charakteristisch. Von April 1973 bis März 1975 gab es, der Dokumentation eines aus Gewerkschafts- und Parteienmitgliedern zusammengesetzten »Rates gegen den Faschismus in Neapel« zufolge, 136 faschistische Gewalttaten auf offener Straße; 85 davon gegen Lehrer, Schüler, Arbeiter und Polizisten; in 116 Fällen war Anklage erhoben worden.35 Am 31. Dezember 1972 hatte während einer Terrorwelle eine faschistische Bombe die Redaktionsräume des Mattino zerstört, wenige Tage, nachdem Almirante Neapel zur »moralischen Hauptstadt der nationalen Rechten« ernannt hatte. Den ganzen Dezember über waren täglich Überfälle, Strafexpeditionen, Messerstechereien, Brandbombensätze in Betriebsversammlungen, davon eine in Fuorigrotta mit vier Schwerverletzten zu verzeichnen.36 Unter den Protagonisten wurden Söhne von MSI-Stadträten, Deputierten und Senatoren erkannt. Ciccio Franco, der Anführer von Reggio und seit den nationalen Wahlen im Frühjahr faschistischer Senator in Rom, hielt im November im neapolitanischen Vorort Portici eine Versammlung ab, nach der maskierte Faschisten mit Revolvern und Messern die Passanten auf der Piazza zum Skandieren faschistischer Parolen zwangen. Zwei

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Wochen zuvor war MSI-Stadtrat Abbatangelo wegen Tätlichkeiten während einer Sitzung verhaftet worden. Als der Fall erörtert wurde, erschienen 50 bewaffnete Squadristen drohend im Saal und konnten erst von MSI-Stadtrat Rastrelli in militärischer Formation hinausgeführt werden.37

Ein weiterer urbaner Katastrophenfall war die Hauptstadt Rom, Sitz der Zentralregierung und Mekka der Touristen aus aller Welt. Rom besaß keine nennenswerte Industrie. Jährlich zogen etwa 70000 Süditaliener in die Stadtrandgebiete und suchten meist vergebens Arbeit. Diese Randzonen schoben sich ungehindert in die Campagna hinein mit Neubauten, doch standen davon an die 30000 leer - mit einer Monatsmiete von 40000 Lire (160 Mark), für die Mehrzahl zu teuer. Im Zentrum der Hauptstadt und in den alten Vierteln wurde saniert. Doch nicht wie in der Musterstadt Bologna mit dem Ziel, ein Funktionszentrum zu schaffen für Wohnen, Handel und Verkehr, sondern für die Luxusbedürfnisse der Oberschicht. Das Haushaltsdefizit der von der DC verwalteten Stadt war 1975 auf 1000 Milliarden Lire angewachsen, die Infrastruktur entsprechend mangelhaft und für die Auszahlung der Gehälter von 27000 Städtischen Angestellten wurden Kredite aufgenommen. Dem aufgeblähten bürokratischen Feudalapparat war die in der Privatindustrie des Nordens übliche Rationalisierung fremd. In der Hauptstadt repräsentierte dieser von italienischen Wissenschaftlern als »parasitäre Schicht«38 bezeichnete Ämterdschungel von staatlichen und parastaatlichen Funktionären besonders deutlich das unproduktive Italien. Das Zentrum mit den alten Palazzi war voll von Behörden, Banken, Gesellschaften (Enti) und Vereinigungen, Symbole des fragwürdigen zentralistischen Verwaltungssystems und des aufgeblähten Dienstleistungsgewerbes.39

Die Klassengegensätze Roms verhinderten den gesellschaftlichen Aufstieg der Unterprivilegierten. In den Stadtrandgebieten aus" dem Süden lebten etwa 100000 der zugewanderten Süditaliener in Baracken. 1974 kam es zu Hausbesetzungen. Die Bewohner der aus Wellblech, Büchsen und Pappe gezimmerten Hütten zogen auf das Kapitol und kampierten vor dem Sitz der Stadtverwaltung aus Protest gegen diese Zustände wochenlang unter freiem Himmel.40

In den städtischen Wohnvierteln herrschten ebenfalls krasse Gegensätze; es gab einmal die des Subproletariats und zum anderen die der Reichen eines quartiere snob. Der Neofaschismus fand in der Nachkriegszeit stets Anhänger sowohl unter der erstgenannten Kategorie als auch unter den Reichen, Adeligen und Gelangweilten Roms. In den fünfziger Jahren zogen die Söhne des Bürgertums im Gefolge von Giulio Caradonna,

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Borghese oder des faschistischen Grafen Vanni Teodorani in Banden durch die Stadt, um Parteibüros und Büchereien der Linken zu demolieren. Die populistisch-qualunquistische Variante des Neofaschismus entstand im Bandenkampf der ideologischen Gruppen gegen die außerparlamentarische Linke in den Subvierteln während der sechziger Jahre. Das MSI, Ordine Nuovo und andere sammelten Jugendliche in Turnhallen zur Ausbildung und schickten sie dann aus gegen das Lumpenproletariat im Viertel, gegen Anarchisten, Maoisten, Trotzkisten in ihren Zirkeln.41 Im Stadtrat konnte sich das MSI als Wahlpartei in dreißig Jahren Nachkriegszeit durch das Votum von kleinen Angestellten aus den zahlreichen Verwaltungsstellen und aus der entocrazia behaupten. Schon die Qualunquisten Gianninis hatten 1946 vor der MSI-Gründung in Rom mehr Stimmen als de Gasperis DC erhalten (105 000 gegen 102 000). Danach blieb das MSI hinter DC und PCI immer drittstärkste Partei im Stadtrat, auch in Zeiten der innerparteilichen Zersplitterung und des allgemeinen Niedergangs. Der FUAN und seine Führer an der Universität, damals der heutige Abgeordnete Caradonna, ab 1969 Massimo Anderson und andere, wurden in Rom nie von der Polizei gestört, wenn sie Parteizentralen verwüsteten oder Passanten überfielen. Im Kampftagebuch Caradonnas42 waren die Einzelheiten nachzulesen. Die römische DC regierte, anders als im Parlament, dreißig Jahre lang unkomprommitiert mit den Stimmen der MSI-Stadträte.

So hatte der Squadrismus in Rom schon Tradition, bevor der neofaschistische Terror 1969 wieder im ganzen Land virulent wurde. Die Partisanenvereinigung ANPI, eine antifaschistische Institution und Dokumentationsstelle seit den Tagen der Resistenza, legte 1974 einen Sammelband über faschistische Attentate vor, die nach diesem Zeitpunkt stattgefunden hatten. Danach wurden in den fünf Jahren seit 1969 pro Woche mehr als zwei Gewalttaten der Rechtsextremisten aller Richtungen registriert, insgesamt fast 700 Überfälle auf Gewerkschafter, Frauen, Studenten, Schüler, Passanten. Die Squadren pflegten ihre Opfer zu zeichnen oder ihnen nach dem historischen Vorbild der zwanziger Jahre gewaltsam Rizinus einzuflößen. Zum Schlagen und Stechen wurden Messer, Ketten, Flaschen und Eisenstangen benutzt, Fahrzeuge des politischen Gegners wurden in Brand gesteckt.43

Das Viertel Primavalle war bezeichnend für die Situation in allen anderen, in denen Bandenkrieg stattfand. Es gab zwei Kinos, wo gegen 400 Lire Eintrittsgeld alte Filme gezeigt wurden; in Primavalle konnte sich kaum einer 2000 Lire für einen Kinobesuch im teuren Zentrum leisten. Es gab keine Bibliothek, keine Bücherei und keine Sporthalle. Diese Bürger zweiter Klasse, fern von der vornehmen Via Condotti, zeigten wenig

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Tendenz, aus dem Getto auszubrechen. Die Jugend war für Irrationales, für fumetti (Comics) und Fotoromane empfänglich und hatte viel Zeit zum Herumlungern in Cafebars. Im Viertel lebten 60 Prozent alte Leute, Frauen und Kinder. Die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zwang zur Abwanderung; Arbeit hatten zehn Prozent, und mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 300000 Lire (1200 Mark) lag Primavalle noch unter dem Armenhaus Kalabrien. Dort wuchs also eine Jugend ohne Perspektive und Kreativität herumlungernd auf und beteiligte sich bereitwillig an den sportlichen Übungen der neofaschistischen Jugendgruppen, unterwarf sich der aktionistischen Doktrin und bejubelte die Führer. In den urbanen Gebieten hatte schon Mussolinis Faschismus das squadristische Reservoir für eine Handvoll Lire gefunden. Almirantes MSI benutzte sie ebenfalls, um das Chaos zu erzeugen, aus dem er die Nation zu retten versprach.44

In Rom wie in anderen Städten wies der Terror die gleichen Grundmuster auf und eskalierte vor nationalen Ereignissen, vor Wahlen bei Regierungskrisen und Streiks. Das Beispiel Rom war auch besonders charakteristisch für den Terror an Gymnasien und Mittelschulen, gegen den sich Schüler und Lehrer vergeblich wehrten. So betraten nichtfaschistische Schüler das Gymnasium Augusto im Viertel Tiburtino-Tusculano aus Vorsicht nur in geschlossenen Gruppen, Nachzügler fielen oft in die Hände der vom MSI-Büro in der nahen Via Noto ausschwärmenden Faschisten und wurden blutig geschlagen, oft vor den Augen der teilnahmslos verharrenden Polizei.45 Daher suchten die Schüler im nahegelegenen Busdepot Unterstützung. Sobald die Squadren heranrückten, holten sie Schaffner, Maurer und Straßenarbeiter zu Hilfe. Auch in den Vierteln Prenestino, Balduina und Parioli kam es zu ähnlichen Zwischenfällen: Passanten, die sich nicht zum Faschismus bekannten, wurden verprügelt, Ladenbesitzer, die sich weigerten, ein faschistisches Plakat aufzuhängen, bestrafte man nach Mafiapraxis mit der Demolierung ihrer Schaufenster, und in einigen Vierteln war es sogar riskant, den Kauf des feilgebotenen MSI-Organs Secolo abzulehnen. Im vornehmen Viertel Parioli gab es für die Jugend nur eine einzige Organisationsmöglichkeit: die MSI-Gruppe. In dieser Wohngegend hoher Offiziere und Staatsbeamter trat der MSI-Faschismus honorig im Zweireiher auf. Almirante traf sich in eleganten Salons mit der rechten Intelligenz der Hauptstadt zum Gedankenaustausch. 1972 erhielt seine Partei in Parioli 7000 Stimmen, nur 100 weniger als die Christdemokraten.

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V. Klassenkämpfe und Reaktion von 1969 bis 1972

1. Krisenentwicklung 1969 und neofaschistische Strategie

Die Krise des Mezzogiorno und der großen Städte mit der sozialen Umschichtung der Klassen und dem Anwachsen des reaktionär-frustrierten Kleinbürgertums war nicht allein ausschlaggebend für den Erfolg des Neofaschismus. Zum entscheidenden Faktor im Entwicklungsprozeß wurde vielmehr der gesamtitalienische Verlauf der 1969 einsetzenden Arbeitskämpfe und die Politisierung vor dem Hintergrund der ständigen Regierungskrisen.

Das Regierungslager war 1969 zerstritten, die Christdemokratie in drei Flügel und acht Correnti zerfallen, die Interimszeiten zwischen den Kabinettsbildungen hatten sich immer mehr verlängert. Bei den Sozialisten gab es fünf Correnti, so daß beide Koalitionspartner mit einer Mannschaft regierten, die innerparteilich oft keine Mehrheit fand. In den Fabriken hatte man das unerschöpfliche Arbeitskräftepotential der Zuwanderer aus dem Süden als Lohndrücker benutzt und die Arbeitsintensität durch Erhöhung der Bandgeschwindigkeit forciert. Im piemontesischen Ivrea streikten bereits 1967 die Olivetti-Arbeiter, danach kam es in Monfalcone und Triest zu spontanen Streiks und vielerorts gegen den Willen der Gewerkschaften zu Fabrik- und Hausbesetzungen. Im Norden lautete die Forderung: Arbeitsplatzbeschaffung und Verbesserung der Bedingungen in den Fertigungsstellen; im Süden revoltierten Arbeiter im kalabresischen Capo Rizzuto, um eine Angleichung der Getreidepreise an die EWG-Norm zu erreichen.1 Punktuelle Streiks, Produktionsverlagerungen und Solidaritätskundgebungen fanden ihre Entsprechung, woraus sich später ein Zusammengehen entwickelte, im Kollektivverhalten der Studenten, die ebenfalls 1967 in der Universität Trient begonnen hatten, gegen überfüllte Universitäten sowie fortschreitende Abwertung der Examina zu revoltieren, eine Bewegung, die auf ganz Italien übergriff.2 Auf Demonstrationen und Manifestationen reagierte die Mitte-Links-

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Regierung wie unter Tabroni und Scelba mit dem Einsatz des repressiven Apparats und beantwortete die Forderungen nach sozialen und politischen Reformen nicht anders als die Rechtskabinette des Zentrismus mit Polizeieinsätzen, Verhaftungen und Prozessen.3 Mit dem Aktionsmittel, auf die Straße zu gehen, knüpfte die Bewegung an alte Traditionen des politischen Kampfes an. Eine große Rolle spielte dabei die außerparlamentarische Linke, die sich seit dem sowjetischen Einmarsch in Prag 1968 in heftiger Kontroverse mit den Kommunisten befand. Diesmal fand sich eine breite Basis bei der Intelligenz und der Jugend, die dem statischen politischen System und dessen repressivem Charakter die politische Partizipation abtrotzen wollten.4

Der Zufall wollte es, daß der alte MSI-Führer Michelini im Sommer vor diesem heißen Herbst 1969 starb. Sein Traum von der Bildung eines großen Rechtsblocks hatte sich nicht erfüllt, zuletzt hatten die Missini nur noch verbale Angriffe gegen Regierung und Demokratie geführt. Die Führungsriege im Parlament und im Parteipräsidium war überaltert und gebrauchte bei Wahlkämpfen ein verstaubtes Vokabular, das aus kolonialen und faschistischen Zeiten stammte und im Industriestaat der sechziger Jahre nur lächerlich wirkte. Untereinander waren die Vertreter der MSI-Hierarchie verfeindet, der Frontkämpferbund gespalten und Almirantes Flügel machtlos. Trotzdem war er nicht zurückgetreten, weil er so für die Dissidenten in der Sozialbewegung und im Parlament ideeller und organisatorischer Mittelsmann bleiben konnte. Er galt als echter Faschist, hatte einen hervorragenden Ruf als polemischer Redner und als Autor von Schriften, in denen die Inhalte der Doktrin von Salò interpretiert und in den Studienkreisen der kleinen linksfaschistischen Zirkel tradiert wurden.5 Die Faschistengruppen druckten kapitelweise Auszüge aus einen Büchern als Flugblätter nach. Als Extremist und faschistischer Aktivist in der RSI war er für viele akzeptabel, die sonst das MSI für eine zu konservative und systemfreundliche Kraft hielten.5

Almirante wurde Nachfolger Michelinis und bewies sofort seine Integrationskraft: Pino Rauti und der größte Teil der Ordonivisten kehrten in die Partei zurück. Der neue Führer entwarf programmatische und taktische Richtlinien, um die Randgruppen dadurch zu assimilieren, daß er sie zum Exekutivorgan der respektablen Parlamentspartei machte. Sie sollten auf den Straßen das schmutzige Geschäft besorgen, während ihr Führer geschickt mit den Schwächen des Systems operierte. So entstand unter Almirante im heißen Herbst der Klassenkämpfe die »Strategie der Spannung«: Jugendliche Squadristen der Missini und anderer außerparlamentarischer Faschisten provozierten bei Versammlungen und

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Streiks Zwischenfälle, Schlägereien und Straßenschlachten. In den Fabriken wurde die CISNAL wieder als Streikbrecher und Denunziant aktiv. In den MSI-Blättern formulierte Almirante das Feindbild vor: Die MSI-Jugend müsse sich als neue Avantgarde gegen die »Marxistische Verseuchung aller Informationsorgane und der gesamten Kultur« durch die von Kommunisten beherrschten Parteien und Gewerkschaften wenden, die Italien durch Streiks schwächen und ins Chaos stürzen wollten. Alte Schlagworte des Faschismus bekamen neue Aktualität. In Schulen und Universitäten sollten junge Faschisten den Kampf gegen die Gleichmacherei der Linken aufnehmen und dieser die »selektive und elitäre Funktion der Schule« entgegensetzen. Auch in anderen Bereichen wurde nur mit Schlagworten operiert, die jedoch in der aktuellen Situation ihre Wirkung nicht verfehlten: »Für die Emigranten - gegen die Emigration« hieß es bei den Gastarbeitern, bei den Arbeitern im Lande mußte wieder einmal die Idee faschistischer Sozialisierung herhalten. Immer offener forderte Almirante zur physischen Gewaltanwendung auf und lieferte den Aktionisten die Argumentationshilfen im Secolo.7 Dabei kam ihm der Verlauf der Arbeitskämpfe zustatten. Die neu entstandene Lage veranlaßte die Gewerkschaften von den herkömmlichen Tarifverhandlungen abzugehen; statt dessen diskutierten sie auf Kongressen über Strukturveränderungen, Arbeitsplatzbedingungen und Mitbestimmungsfragen, die weitgehend die Wirklichkeit in den Fabriken zu verändern begannen.8 Zum erstenmal seit dem Auseinanderbrechen der Gewerkschaften 1948/49 in parteiorientierte Richtungen wurde die Einheit von UIL, CGIL und CISL wieder angestrebt und erörtert. Die Arbeitgeberseite und der Unternehmerverband Confindustria reagierten auf die Kämpfe wegen der hohen Exportverpflichtungen mit harten Maßnahmen und Druck auf die Regierung. Anfang September 1969 wurden bei FIAT-Mirafiori 35 000 Arbeiter ausgesperrt, Verhandlungen scheiterten. Die Arbeiterschaft stellte ihre Forderungen direkt an die Regierung - Reform des Gesundheitswesens, der Steuergesetzgebung, des Wohnungsrechts - und suchte dafür Bündnispartner in der öffentlichen Meinung. Am 24. September wurde mit einem 24stündigem Streik und Protestzügen durch viele italienische Städte auf die Schließung der Pirelli-Fabrik reagiert. Am Tag darauf streikten in Turin 70000 Metallarbeiter aller drei Gewerkschaften, was die Confindustria als Attentat auf die Wirtschaft des Landes bezeichnete. Rumors schwache Mitte-Links-Regierung ordnete Polizeieinsätze an, was harte Gegenreaktionen auslöste. Dabei kam am 19. November der Polizist Annarumma in Mailand ums Leben - durch einen Unfall, wie sich später bei der Untersuchung herausstellte.8

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Doch durch den Tod des Ordnungshüters wandte sich die öffentliche Meinung gegen Arbeiter und Studenten in den Demonstrationszügen. Das Secolo Almirantes erschien bereits am Tag nach dem Zwischenfall mit der Schlagzeile: »Sie haben einen Jungen in Uniform ermordet.«9 Die bürgerliche Presse forderte im Namen der schweigenden Mehrheit Ruhe und Ordnung, eine wiederum von den faschistischen Organen unterstützte Kampagne, wirksam unterstrichen durch den Aufmarsch der MSI-Jugend am 21. November zum Begräbnis Annarummas; der Geleitzug der Faschisten im Verein mit den fackeltragenden Frontkämpfern des Salò-Soldatenbundes provozierte neue Zwischenfälle, bei denen 28 Personen verletzt wurden.

Damit hatte die Serie der Gewalttätigkeiten ihren Anfang genommen. In der gespannten Atmosphäre explodierte am 12. Dezember 1969 eine Bombe im vollen Kassenraum der Mailänder Landeswirtschaftsbank an der Piazza Fortana. Das forderte 17 Tote und 88 Schwerverletzte. Wieder schrieb das Secolo am Tag darauf: »Die Kommunisten sind die Mörder! Schluß mit dem kommunistischen Terror!« Das MSI-Exekutivkomitee in Rom forderte die Todesstrafe für »Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit«. Vier Tage später meldete die Faschistenpresse, ein Kommunist sei verhaftet worden. In Wirklichkeit hatte die ratlose Polizei nach vagen Zeugenaussagen Pietro Valpreda festgenommen, einen in anarchistischen Zirkeln verkehrenden Tänzer. Das angespannte Klima verschärfte sich weiter durch Bombenattentate in Rom, Messina, Palermo - immer wurden die kaum organisierten Anarchisten als Urheber bezeichnet. So ging die Nachricht unter, daß die Front Borgheses bereits am 7. und 8. Dezember im Rathaus von Reggio Calabria Bomben gelegt hatte. In Bologna wurden immer mehr Faschisten gesichtet, die »Nationale Freiwillige« und den MSl-Giovane Italia in Trainingslagern zu Guerilla ausbildeten; mit Waffen aller Art und Sprengstoff waren sie gut ausgerüstet, ihr Vertrauensmann war der MSI-Deputierte Pietro Cerullo. Im Secolo vom 22. Dezember hieß es, nun müsse man der Systemkrise begegnen und eine Situation schaffen, die die Italiener bewege, auf die Straße zu gehen und im Bürgerkrieg mitzukämpfen.10 Am 3. Januar machte ein Leitartikel auf der ersten Seite die Strategie Almirantes noch klarer: »Die historischen Bedingungen für unseren massierten Vormarsch sind da... es ist an uns, wie damals die Gelegenheit zu ergreifen!« Während die Squadristen auf den Straßen dem Aufruf wie in den zwanziger Jahren Folge leisteten, wiederholten die Missini im Parlament täglich die Forderung nach energischem Durchgreifen, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, verlangten mehr Exekutivgewalt für die Polizei gegen Demonstranten und Streikende sowie gesetzliche Streikreglementierung.

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Unterdessen hatte Almirante den Parteiapparat gestrafft und reorganisiert. Das MSI verzeichnete einen stetigen Mitgliederzuwachs von verschreckten Bürgern und jugendlichen Schlägern. Almirante hielt einen ersten Kongreß in Rom ab, auf dem er der Partei das Programm für die siebziger Jahre verkündete: Die Kommunisten und Sozialisten seien politisch überholt, ein »neuer, revolutionärer Impetus im MSI« sei ihnen weit voraus, und in Anspielung auf die Entwicklung in Griechenland und in der Türkei stellte er fest, 1970 sei das Jahr einer weltweiten Bewegung nach rechts, die Ideale von morgen hießen Patriotismus und Nationalismus.11

Almirante ließ die verstaubte politische Sprache des MSI durch Übernahmen aus dem Skandierkatalog der extremen Linken aufforsten und empfahl pseudorevolutionäre Phrasen wie »Kampf dem Imperialismus der destruktiven Elemente« und »MSI - Sehnsucht nach der Zukunft« oder althergebrachte wie »Wiederherstellung der europäischen Zivilisation«. Mit diesen Schlachtrufen zog die Rechte gegen die Linke auf die Straßen, angefeuert vom MSI und seinem rechtfertigenden Kernsatz: »Die Demokratie ist unfähig zur Verteidigung Italiens - also verteidigen wir es.«12 Rastlos reisten Almirante und sein neu organisiertes Präsidium durchs Land; sogar in Florenz mit seiner Resistenza-Tradition verkündete er auf der Piazza Signoria die Thesen des Salòfaschismus und rief aus: »Korporationen, Mitbestimmung, Sozialisierung - aber keine rote!« Der Schauplatz erinnerte die Florentiner an den Wahlkampf von 1948, als der MSI-Führer Almirante vor der aufgebrachten antifaschistischen Menge unter Polizeischutz in den Palazzo Vecchio flüchten mußte. Wie viele Versammlungen 1970 und 1971 endete auch diese in Tumulten und Schlägereien.

So bestritt das MSI im Frühjahr 1970 den ersten kommunalen Wahlkampf mit seiner Strategie der Spannung. In dieser Zeit scheiterten in einer 47 Tage andauernden Regierungskrise sowohl Fanfani wie Moro bei Koalitionsverhandlungen. Ende März endlich, mitten im Wahlkampf, brachte der kompromißbereite Rumor sein drittes Mitte-Links-Kabinett zustande, während die Gewerkschaften wieder Streiks angekündigt hatten. Das MSI zog gegen das Regionalisierungsgesetz zu Felde, über das sich die Koalition gerade mühsam geeinigt hatte, und die CISNAL veranstaltete einen tumultösen »1. Mai unter der Trikolore gegen die roten Streiks«.13 Bei einer MSI-Kundgebung in Genua kam ein faschistischer Provokateur ums Leben. Seine Bestattung wurde wieder zum Fanal hochstilisiert, und Almirante sprach vor Journalisten vom geplanten Staatsstreich der Linken, richtete Apelle an Armee und Polizei, sich der erwachenden Rechten anzuschließen, und bezeichnete auf Fragen den Ein-

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satz der MSI-Squadristen als »kreativen Nationalismus gegen den Bürgerkrieg der Linken«.14

In einer seiner zahlreichen Pressekonferenzen wies er ständig auf die drohende Machtübernahme der Kommunisten hin und erklärte: »Andere Völker haben sich davor mit Gewalt gerettet, und auch Italien muß Gewalt anwenden, um sich von der kommunistischen Bedrohung zu Befreien.« Gegenüber Amerika betonte er die enge Verbundenheit des MSI mit den Streitkräften und der NATO, was besonders in den Berichten römischer Korrespondenten von US-Blättern ein positives Echo fand. Luigi Turchi, MSI-Abgeordneter und Sohn des ehemaligen Secolo-Direktors, reiste zum Präsidentschaftswahlkampf nach New York, um dort als nationalistischer Abgeordneter in den Italienervierteln Wählerstimmen für Nixon zu mobilisieren.15 In Italien gründeten Missini durch angeblich unabhängige Sympathisanten Freundeskreise für die Armee, so die Amici delle Forze Armate (Freunde der Streitkräfte) und den »Bund des italienischen Soldaten«; Vorsitzender beider Organisationen waren der RSI-Offizier Elios Toschi und Generalsekretär Dr. jur. Gino Ragno, ein ehemaliger Führer des Ordine Nuovo und des MSl-Giovane Italia in Rom. Danach organisierte er in den Zirkeln Vortragsveranstaltungen, die um das Militär warben und auf denen der frühere NATO-Befehlshaber Süd, Admiral Gino Birindelli, Pino Rauti und der ehemalige SIFAR-Chef General de Lorenzo auftraten.

2. Politische Folgen

Bei den Kommunalwahlen vom 7. Juni 1970 erreichte das MSI 5,2 Prozent (Parlamentswahlen 1968: 4,5 Prozent). Almirantes Kommentar zu diesem leichten Aufwärtstrend lautete, das MSI habe sich als moderne nationale Partei dargestellt und konkret Vorstellungen von einem geordneten Staatswesen eingebracht; gleichzeitig sei es eine Bewegung, die der roten Subversion auf den Straßen Einhalt gebieten könne. Nach diesem Anfangserfolg mit der Strategie der Spannung straffte das Präsidium die Sektionen und ermunterte schläfrige Außenstellen in den Provinzen zur »Stimulierung der Jugend«, die in die Zentralen geholt und dort in Faschismus-Doktrin und Waffengang geschult werden solle. Neben dem Fitnesstraining in getarnten Pfadfinderlagern gab es ein stufenweises Unterrichtsprogramm mit folgenden Themen: Korporativismus, Geschichte der faschistischen Bewegung, Aktionsidee und Strategie gegen den politischen Gegner. Ähnlich wie die Kommunisten starteten die MSI-Jugendvertreter verstärkte Verkaufskampagnen für die

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MSI-Zeitungen und reisten gruppenweise ins faschistische Ausland, nach Spanien und Griechenland. Eine eigene Koordinationsstelle in Rom übernahm die Aufgabe, in der Bundesrepublik unter Gastarbeitern Anhänger zu werben. Züge mit MSI-Fahnen (Treni tricolori) brachten zum erstenmal bei den Wahlen 1970 Gastarbeiter aus Deutschland zur Stimmabgabe nach Italien; Der erste Zug kam am 30. Mai an, und zwei weitere trafen bis zum 5. Juni in Bozen und Como ein.17

Am 13. Juni 1971 standen wichtige Regionalwahlen an, bei denen das MSI seine konzertierte Taktik auf der Straße und im Parlament neuerlich erproben konnte. Inzwischen verfügte Almirante über weitere propagandistische Mittel: Die Auswirkungen der Klassenkämpfe auf die beunruhigten bürgerlichen Kreise und die populistische Revolte von Reggio mit ihren politischen Folgen. Das genügte, um ordnungsliebende »schweigende Mehrheiten« zu gewinnen, Druck auf die Regierung auszuüben und die rechten Correnti gegen die Mitte und die Linke zu mobilisieren. In den katholischen Gewerkschaften, vor allem in der ACLI, hatte es seit den Klassenkämpfen einen spürbaren Linksruck gegeben, und sie stellten zum erstenmal bei Wahlempfehlungen frei, auch für die marxistische Linke zu votieren. Im Parlament stand die Abstimmung über die Scheidungsgesetze bevor, gegen die Faschisten gemeinsam mit katholischen Ultras einmütig wie 1973 zu Zeiten Don Sturzos Sturm liefen. Das MSI bezeichnete das nach den Initiatoren benannte Fortuna-Baslini-Gesetz als familienzersetzend und kommunistisch; in der DC kam es darüber zur tiefgreifenden Spaltung, und Rumor scheiterte schließlich mit seiner Koalition.

Im Lager der Linken wuchs die Beunruhigung über die faschistischen Umtriebe und die Nachrichten von der Entdeckung zahlreicher paramilitärischer Lager in allen Landesteilen: bei Cervarezza, in Bardonecchia, in Barni, in den Ruinen des alten Forts Foint an der französischen Grenze, in den Abruzzen, im Appenin und in Kalabrien bei Tropea, Stützpunkt der Faschisten beim Aufstand in Reggio.18 Mitten im Wahlkampf explodierten die Bomben weiter: Im Februar gab es in Catanzaro einen Toten und 14 Verletze. Am 16.2. überfielen Schwarzhemden das Rathaus, ein Studentenheim und ein Gymnasium in Palermo. Am 18.2. explodierte eine Bombe im römischen Kongreßzentrum EUR und eine in Mailand. In Casalpusterlengo verhinderte die Polizei eine faschistische Brandstiftung in der Camera di Lavoro; zwei Molotowcocktails wurden in die Wohnung des Bürgermeisters von Pavia geschleudert, nachdem er den Neofaschisten ein Kundgebungslokal verweigert hatte. Zur Chronik des Monates Februar 1971 gehörten auch Brandanschläge auf das Polizeipräsidium und das DC-Parteibüro von Trient. Gerüchte wie

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zu Zeiten Tambronis oder der SIFAR-Affäre schwirrten durchs Land, die von einem Putschversuch Borgheses im Dezember 1970 wissen wollten. In l'Aquila versuchten Faschisten, den Aufstand von Reggio zu wiederholen, allerdings mit geringem Erfolg.

Um der unerträglichen Spannung entgegenzuwirken, schlossen sich Vertreter von Politik und Intelligenz und alte Antifaschisten aus der Resistenza zusammen. Die bürgerliche Presse, an der Spitze der Mailänder Corriere della Sera und die Turiner La Stampa begann in der Berichterstattung, das MSI statt als Destra Nazionale klar und eindeutig als Neofaschisten zu bezeichnen. Und als Almirante sich am 18. März im Fernsehen selbstherrlich zum »geeigneten starken Mann für schwere Zeiten« ernannt hatte, schrieb der Antifaschist und Schriftsteller Ignazio Silone im Corriere, die Nation solle sich weder provozieren noch vom neuen Faschismus irre machen lassen, denn die Wachsamkeit der Antifaschisten und die gewerkschaftliche Kampfkraft ließen eine Wiederholung der Ereignisse von 1922 nicht zu.20

Doch die Verhaltensmuster waren am Vorbild der faschistischen Machtübernahme unter Mussolini orientiert. Almirante erläuterte vor dem Zentralkomitee des MSI am 24. April 1971 die Taktik: Man müsse durch Unruhen die »Regierungsachse nach rechts verschieben«, so daß die »antifaschistische Fronde ... mit gebrochenen Knochen aus ihrer Wahlniederlage humpelt.. .«.21 Die DC habe keine Mehrheit und die Arbeitnehmer gegen sich. Es gelte, rechte DC-Kreise zu gewinnen, und selten seit den bürgerkriegsähnlichen Zuständen unter Tambroni sei die Situation für die Missini so günstig gewesen, habe die Partei soviel »Gärstoff für die Jugend« bieten und gleichzeitig »Sammelbecken für die öffentliche Meinung« sein können. Die alte Konditionierungsstrategie für die zerstrittene DC schien sich bei der Wahl des Staatspräsidenten zu bewähren. Der Christdemokrat Giovanni Leone erhielt - nach einem peinlichen Kandidatenkarussell und endlosen Abstimmungskämpfen - erst im 23. Wahlgang mit den MSI-Stimmen die erforderliche Mehrheit. Bei den Regionalwahlen 1971 waren 8,2 Millionen Wähler in 158 Kommunen zur Stimmabgabe aufgerufen, damit entschied ein Fünftel der Bevölkerung über die politische Situation im Lande. Die DC erlitt eine schwere Niederlage. Allein in Sizilien büßte sie sieben Regionalmandate ein. Das MSI stellte 15 Abgeordnete (vorher acht), errang in Palermo-Stadt 19,5 Prozent, in Catania 27, in Rom 15,2 Prozent und erreichte selbst in Genua mit seiner antifaschistischen Tradition 5,5 Prozent (vorher 3,2 Prozent) - insgesamt waren das bei den Teilwahlen, auf den nationalen Durchschnitt umgerechnet, 13,9 Prozent, die zu Lasten der traditionellen Rechtsparteien DC und PLI gingen. Im sizilianischen Parlament wurde

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die MSI-Fraktion zur drittstärksten nach den Christdemokraten mit 29 und den Kommunisten mit 24 Sitzen.23 In Rom mit seinem skizzierten lokalen Faschismus hatten Streiks neben gezielter örtlicher MSI-Agitation einen beachtlichen Erfolg gebracht: Außer der Fluggesellschaft Alitalia hatten vor den Wahlen Straßenkehrer, Post, Krankenhäuser gestreikt, sogar die Toten im Leichenschauhaus waren unbestattet geblieben. Die Missini veranstalteten am Tag nach der Wahl Freudenfeiern mit faschistischen Gesängen und römischem Gruß. Die Öffentlichkeit war schockiert über das Ausmaß dieser Protestwahl.

Die Mitte-Links-Regierung brach unter dieser Belastung auseinander. Inzwischen waren auch die erforderlichen Unterschriften (eine halbe Million) für ein Referendum über die Abschaffung des Scheidungsgesetzes gesammelt, so daß die Verunsicherung der Christdemokraten nach der Wahlniederlage noch zunahm, als die parteiinternen Rechten das Trommelfeuer auf die Reformisten eröffneten.

3. Sammelbecken der Reaktion

In diesem Klima mußte, da in der DC und im PSI keine Übereinstimmung über die Realisierbarkeit von Reformen zu erzielen war, die in der italienischen Nachkriegsgeschichte oft praktizierte Zwischenlösung eines administrativen Minderheitskabinetts herhalten, nachdem Emilio Colombos Centro-Sinistra durch den Austritt der Republikaner gescheitert war. Das Los traf Giulio Andreotti, der mit den Liberalen Malagodis bis zu vorzeitig ausgeschriebenen Neuwahlen die Geschäfte führte. Andreotti, eine schillernde Persönlichkeit, Schüler und politischer Zögling de Gasperis, galt als geschickter Taktierer, der den nötigen Zynismus für die autoritäre Handhabung des Staats- und Wirtschaftsapparates bis zur Wahlentscheidung besaß. Er hatte sich nie als Antifaschist exponiert, sondern stets den Dialog mit der Rechten gesucht. So 1953, als er auf dem Landsitz von Marschall Graziani in Arcinazzo auf einer Versammlung ehemaliger faschistischer Prominenz erschien und den Marschall umarmte; so auch mit Almirante bei freundschaftlichen Gesprächen im Fernsehen. Das Präsidium des MSI begrüßte es daher lebhaft, daß das Regierungspendel wieder nach rechts ausgeschlagen war.24 Im Februar 1972 beschlossen die Moribunden Monarchisten, darunter die einstigen rivalisierenden Führer Lauro und Alfredo Covelli, unter dem Siegel MSI-DN zu fusionieren. Covelli und Lauro waren im Süden immer noch geachtete Honoratioren mit viel Geld und Einfluß. Ihre Kandidatur auf der faschistischen Liste sicherte dem MSI im Mezzogiorno

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traditionelle Wählerschichten im gebräuchlichen Klientelsystem, da Italiens Wahlgesetz die Abgabe von personellen Präferenzstimmen vorsah.25

Die Kandidatenliste von MSI-DN zeugte 1972 tatsächlich von einem bemerkenswerten Konzentrationsprozeß auf der Rechten. Der Anführer von Reggio Calabria, Ciccio Franco kandidierte erfolgreich für den Senat. Giorgio Pisanò war Herausgeber der radikalen Rechtspublikation Candido, die in hoher Auflage erschien. Die faschistische Wochenschrift Il Borghese hatte ebenfalls großen Anteil an der MSI-Kampagne gegen Parteien und Gewerkschaften; das geschah mit einer Fülle von Qualunquismen und geschickt verbrämter Pornographie, mit zweideutigen Bildmontagen, in denen vorgeblich der Verfall von Sitten und Kultur angeprangert wurde, und bediente sich in bester Tradition Gianninis einer rüden, zynischen Sprache. Ihr Herausgeber und Direktor Mario Tedeschi wurde wie Pisanò MSI-Senator. Armando Plebe, der für den Senat kandidierte, war ein ehemaliger Kommunist und lehrte Philosophie in Palermo. In philosophischen Traktaten versuche er, eine Synthese herzustellen, die als Filosofia della reazione dem rechten Einheitsblock einen theoretischen Unterbau geben sollte. Doch diese Reaktionsphilosophie samt ihrem Anspruch, zwischen Marxismus und Klassik gleichwertig zu bestehen, blieb auf pseudodialektische Wortspiele beschränkt, wurde von seriösen Wissenschafter nur belacht.26 Gastone Nencioni war, wie schon unter Michelini, Fraktionsführer im Senat und Verbindungsmann zu Industrie und Finanz. Unter den nichtgewählten Kandidaten fanden sich Namen bekannter Dissidenten aus früheren Jahren: Aurelio Languasco, Vorsitzender der Frontkämpfer, und Gino Ragno von den Armeefreunden, inzwischen Leiter einer Gesellschaft für deutsch-italienische Freundschaft (Associazioneper l'amicizia italo-tedesca), die Kontakte von MSI und Ordine Nuovo zu Gleichgesinnten in Deutschland pflegte. Zum MSI waren auch honorige Professoren gestoßen, die sich durch die Studentenbewegung an den Universitäten hatten schrecken lassen. In Seminaren und kulturellen Zirkeln des MSI wurde das Konzept für eine organische Rechtskultur entworfen, die Aktionismus, faschistische Revolution, rechtskatholischen Traditionalismus und Soldatisch-Heroisches mit den Philosophien der griechischen Klassik verschnitt und sich als Antwort auf die vorwiegend linksorientierte Kultur in Italien verstanden wissen wollte.27 In den Aufsatzsammlungen der Rechtskultur kam ein Mischmasch schlechtverdauter Ideen zum Vorschein; daneben wurden alte faschistische Lehrmeister wie Evola, Bardeche und Oswald Mosley wieder aufgelegt, von Missini kommentiert und eingeleitet. Serien sollten Zusammenhänge zwischen MSI und Pierre Drieu la Rochelle, Giovanni Gentile,

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Alfredo Rocco, Giuseppe Mazzini und der katholischen Soziallehre herstellen, um dadurch traditionelles Denken von Neumitgliedern wie Admiral Birindelli und die verblasenen sozial-populistischen Theorien der Squadristen ideologisch zu verbinden. Almirante hoffte, mit einem solchen verschwommenen, breit gefächerten Ansatz Unentschiedene, die sich im Freiraum zwischen der marxistisch-rationalen Linken und dem laizistisch-aufgeklärten Bürgertum bewegten, in einem großen arco di destra der Reaktion zu sammeln. La destra hieß auch eine neuerscheinende Zeitschrift mit wissenschaftlichem Anspruch, die als Plattform für rechte Intellektuelle gedacht war;28 darin wurden Aufsätze oder Nachdrucke von Thomas Molnar, Erzbischof Höffner, Barry Goldwater, Mircea Eliade, Mosley und vielen anderen veröffentlicht. Finanziert wurden solche Vorhaben von Industriellen wie dem Zuckermagnaten Attilio Monti und dem Verleger Rusconi. Beide kauften Zeitungen auf und brachten sie auf MSI-Kurs, und Rusconi publizierte eine Taschenbuchreihe mit MSI-Schriften. Rauti saß als Redakteur in der römischen Tageszeitung H Tempo, gemeinsam mit seinem Gesinnungsfreund Ragno; Rauti edierte den parteioffiziellen Bücherkatalog mit Werken von Hitler und rassistischen Schriften, hatte eine eigene Schriftenreihe, ein eigenes Studieninstitut und einen Sitz im MSI-Präsidium.29

So verfügte das MSI über ein großes publizistisches Potential, das auf reichlich fließende Geldmittel hindeutete. Neben dem offiziellen Organ Il Secolo (Auflage 80000), neben Candido (40000) und Borghese (70000) setzten sich für MSI-Positionen Lauros Zeitung Roma ein; Il Tempo, Lo Specchio und weniger offen; Il Resto del Carlino in Bologna sowie eine Fülle kurzlebiger kleiner Faschistenblätter mit altbekannten Namen aus den Tagen nach dem Krieg; ferner entstand die Rivolta Ideale als Beilage für die Jugend wieder im Secolo. Unermüdlich wiederholte dieser Presseclan, worin er die Ursprünge der Zustände in Italien sah - in der »zivilisatorischen Krise an den Schulen ... in der Mißachtung von Arbeit und Produktion,... im Verrat der linken Gewerkschaftsführung«.30 Almirantes Programm für die Wahlen hieß einfach, den Bürgern die Botschaft von der Ordnung zu übermitteln, wörtlich eine »Ordnung aus gerechter Hierarchie der Rechte und Pflichten«30, den Unternehmern und Arbeitern das korporative Beteiligungsmodell als »Garant für den sozialen Frieden« nahezubringen und zu unterstreichen, daß dies nur durch Gemeinsamkeit zu erreichen sei; ferner müsse der Jugend ein gewisser irrationaler Freiraum gewährt werden, den ihr die technisierte Gesellschaft verweigere. Gegen die Gefahren der Vermassung habe der Faschismus einen überzeugenden Mythos anzubieten, um die Jugend

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von den Idolen einer korrupten Zeit abzubringen und zu den Idealen der Auslese als neuer Qualität jeglichen menschlichen Seins zu bekehren.31

Diese schwammige Gemeinschaftsideologie war die Alternative des MSI zum System. Seine abgedroschenen Gemeinplätze richtete Almirante in allen Wahlveranstaltungen je nach Bedarf an die Adresse der Industrie und des Kleinbürgertums: Statt Gleichmacherei »monarchistischer und laizistischer Traditionalismus, katholischer Konservatismus, korporative Beteiligung und eine mediterrane EG«.32 Aber nicht die Phrasen griffen, sondern die Appelle an kleinbürgerliche Verunsicherung, die genüßliche Darstellung des Verfalls zivilisatorischer Werte in Italien, gleichgesetzt mit allem, was den Missini dekadent erschien, darunter Jazz, Rock, Blue Jeans und Sexualität. Über 4335 Sektionen, 102 Provinzbüros, 53 Regionalabgeordnete, 146 Provinzräte, 2479 Stadträte und 32 Bürgermeister heizten die Atmosphäre mit dieser schwülstigen Programmatik inmitten des Bombenterrors an, bauten auf Ignoranz und Halbbildung des Subproletariats im Süden und gaukelten den kleineren Unternehmen dort vor, der Faschismus sei das einzige Mittel zur nationalen Befriedung und gegen Zustände wie im Norden.

4. Analyse der Wahlen von 1972

Das Wahlergebnis vom 7. Mai 1972 entsprach Befürchtungen und Erwartungen gleichermaßen. Die monarchistisch-faschistische Liste erhielt 2,9 Millionen Stimmen, das heißt 8,9 Prozent und damit 56 Abgeordnetensitze in der Kammer. In den Senat, für den das aktive Wahlalter

25  Jahre betrug, wurden bei 9,2 Prozent und 2,8 Millionen Stimmen

26  MSI-Kandidaten gewählt - darunter Lauro, Plebe, Tedeschi und Franco.33

Die Gewinne des MSI gingen zu Lasten der industriefreundlichen und gewerkschaftsfeindlichen Liberalen Malagodis und der DC. Scheinbar hatten die Missini ihren Erfolg des Jahres 1953 weit übertreffen können, als sowohl das MSI wie die Monarchisten, damals noch mit getrennten Listen, die größten Stimmgewinne ihrer Parteingeschichte verbucht hatten. Aber die vergleichende Analyse der Wahlen von 1953 und 1972 zeigt das Gegenteil: Die DC hatte 1948 durch Frauenstimmen und Wahlhilfe der Kirche 48,4 Prozent erhalten; regionale und lokale Zwischenwahlen hatten signalisiert, daß sich dieses Ergebnis wahrscheinlich nicht wiederholen würde, worauf die DC sich mit einem Wahlgesetz die Mehr-

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heit sichern wollte, nachdem bei einer bestimmten Stimmenzahl der Mehrheitsliste zwei Drittel der Mandate als Bonus zufallen sollten. Durch diese Manipulation, zu der ihr damals nur 57 000 Stimmen fehlten, verscherzte sich die DC viele Sympathien, die Kommunisten erzielten ebenso Gewinne wie die Neofaschisten. Insgesamt hatte die Rechte der Monarchisten 1953 mit den Missini 12,7 Prozent, das heißt 69 Sitze in der Abgeordnetenkammer - 1972 waren es nur noch 56. Da in Italien Gemeinschaftslisten rechnerisch begünstigt werden, relativierte sich also der Wahlerfolg der inzwischen verbündeten Rechten beträchtlich.34 . Allerdings war es gelungen, in Neuland einzubrechen, das außerhalb des traditionellen Bereichs lag.

Das Wählerverhalten in Italien wurde stark durch unterschiedliche Einflußfaktoren geprägt und von Wahlsoziologen entsprechen geographisch aufgeschlüsselt. Im Nordwesten lag die Zone I mit den Industriegebieten Piemonts, Liguriens, der Lombardei mit straff organisierter Industriearbeiterschaft. Zone II im Nordosten von Trient, Heimatstadt de Gasperis und DC-Hochburg mit katholischer Tradition, mit Udine und Triest in Venetien, insgesamt ein mittleres Industriegebiet und wegen des klerikalen Einflusses auch »weiße Zone« genannt. Zone III umfaßte Mittelitalien von Brescia bis Marken und Viterbo nördlich von Rom und war seit dem 19. Jahrhundert »rot«, in der Tradition beeinflußt von Guiseppe Mazzini, den geistigen Vater der italienischen Einigung; im roten Herzen der Emilia, Romagna und der Toscana war auch die Heimat der antiklerikalen Bewegung und des seit Bakunin anarchistisch gefärbten frühen italienischen Sozialismus. Zone IV war für die Wissenschaftler dem klientelistischen Verhalten nach der Mezzogiorno des Festlandes mit den ehemaligen Hochburgen der Monarchisten und Qualunquisten. Inselitalien, vom Entwicklungsstand her ökonomischsoziologisch dem Süden zugeordnet und mit ähnlicher Agrarstruktur, stellte mit Sizilien und Sardinien einen Sonderfall für die Wahlforschung dar.35

Die regionale Verteilung der MSI-DN-Stimmen erbrachte eine Bestätigung für das monarchistische Erbe in Kampanien, ebenso für die neofaschistischen Bastionen im Latium um Rom. Im Norden gab es in Ligurien und in der Lombardei der Zone I Zunahmen von zwei bis drei Prozent und zum ersten Mal seit Bestehen des MSI Senatorensitze in Piemont, Venetien, Emilia-Romagna und Sardinien; in Turin erzielte der Kandidat Plebe 7,3 Prozent. In Neapel und Reggio erreichten die Faschisten 20, in Palermo 15 und in Catania 23 Prozent. Von den Kandidaten der neuen nationalen Rechten erhielten Birindelli 166000, Almirante 200000 und Ciccio Franco 38000 Präferenzstimmen. Das

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hohe Wahlergebnis im Senat zeigte jedoch, daß nicht die Jugend, sondern Wähler über 25 Jahre überwiegend neofaschistisch gestimmt hatten.36

Indessen war die Protestwahl zugunsten der Missini in Wirklichkeit eine Bestätigung des bipartitismo imperfetto und ein Erfolg für die Linksparteien gewesen. Die ideologischen Blöcke PCI (Zuwachs um 2,7 Prozent) und DC (Rückgang auf 38,8 Prozent) waren bestätigt, trotz der sozialen Spannungen und der Eigenlisten der ACLI neben der DC und der PCI-Spaltung von Manifesto auf der äußersten Linken. Die gesamte italienische Linke, PSIUP und Sozialdemokraten theoretisch einbezogen in den arco di sinistra von Sozialisten und Kommunisten, hatte von 1946 bis 1972 ihren Stimmenanteil von 41 auf 44 Prozent erhöht. Diese Tatsache war in der Systemarithmetik ohne praktischen Wert, zeigte aber nach dem Rückgang der Liberalen auf 4 Prozent, daß es mit der alten Zentrismus-Formel, von der DC-Kreise der Rechten immer noch sprachen, endgültig aus war. Die Bildung einer »sauberen Rechten«, einer destra pulita ohne Neofaschisten, war angesichts des Stimmenanteils von nur 42,7 Prozent für DC und PLI gemeinsam unmöglich; eine Rechte aus PLI, DC und MSI-DC hätte zwar über 51,4 Prozent verfügen können, war jedoch politisch ausgeschlossen. Für die Centro-Sinistra-Formel der vier Parteien PRI, PSI, DC und PSDI gab es eine Mehrheit von insgesamt 56 Prozent, für die DC die einzig mögliche Form zu regieren, so daß die parlamentarische Situation, gegen die starke Opposition in schweren Zeiten mit einer heterogenen Parteien-Mannschaft antreten zu müssen, nach der Wahl 1972 unverändert weiterbestand.

5. Auswirkungen gesellschaftlicher Fragmentierung

Die Wähler des MSI kamen aus folgenden Schichten: etwa 14 Prozent aus dem Bürgertum, aus dem Kleinbürgertum der Angestellten 13, der Händler und Handwerker 4, der Lohnempfänger nur 2,6 und aus Militär und Klerus 20 Prozent. Bei Aufgliederung der Wählerstimmen entfielen über 40 Prozent auf die kleinen Angestellten, ein absoluter Schwerpunkt gegenüber allen anderen Parteien und begründet in der enormen zahlenmäßigen Expansion dieser sozial heterogenen und politisch instabilen »Beinahe-Klasse«37, um deren Wählergunst seit der Modifizierung von Sozialkonflikten und Klassenkämpfen von links und rechts ein Wettlauf begonnen hatte. In der Analyse der Wählerschaft und der politischen Elite nach ihrem Bildungsstand zeigten sich tiefe Gegensätze zwischen

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der Klassischen Bildung der Führungscliquen mit Universitätsabschluß im Parlament, der Halbbildung bei den mittleren Chargen und der Ignoranz der Konsumenten qualunquistischer Heftchen. Umfragen bei Schülern und Studierenden der Rechten ergaben ein undifferenziertes Geschichtsbild, bezogen aus dem Secolo, dem Borghese und den hektographierten Skripten der Jugendgruppen mit ihren Geschichtsklitterungen, die wiederum auf die gezielten historischen Verfälschungen Almirantes oder Rautis zurückgingen.38

Allerdings galten diese Feststellungen auch für Extremistengruppen der Linken. Besonders im Süden war es nicht gelungen, durch eine Grundschulreform zu Qualifikationsvoraussetzungen zu kommen, die den Teufelskreis von Armut, Unwissenheit und Arbeitslosigkeit unterbrachen. Die Bemühungen der Südpolitik in dieser Richtung scheiterten vielfach am Widerstand der Eltern, die zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage Kinderarbeit dem Schulbesuch vorziehen mußten. 1972 arbeiteten trotz gesetzlichen Verbots über 130000 Kinder auf Baustellen, in Tischlereien und Autowerkstätten. Das Übel, von dem die Öffentlichkeit durch zahlreiche Unfälle erfuhr, grassierte vor allem in Apulien, Lukanien und Sizilien, wo Kinder für 250 Mark monatlich täglich zehn Stunden das Vieh hüteten, oder in Rom und anderen Städten, wo sie den Kaffee aus den Bars in die Büros schleppten.39 Als 1975 ein dreizehnjähriger Sizilianer auf einer Baustelle in Trapani tödlich verunglückte, stellte sich heraus, daß er dort für umgerechnet 110 Mark ohne Sozial- und Krankenversicherung gearbeitet hatte, um die Familie zu ernähren. Eine Untersuchung in Palermo ergab, daß Kinder ab sechs Jahren als Boten, Kellner und Handlanger in Fischverwertungsbetrieben beschäftigt waren; von hundert befragten Sizilianern hatten nur 37 die Schule besucht, sieben von zehn im Armenviertel von Palermo konnten weder lesen noch schreiben.40

An dem Gefälle im Bildungsstand von Ober- und Unterschicht hat sich in der Nachkriegszeit trotz überfüllter Universitäten und Institute wenig geändert. Auch in den siebziger Jahren ist für 55 Prozent der Italiener der Volksschulabschluß nach fünf Jahren noch die Norm. Damit besteht für sie kaum eine Chance, aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen. Die politische Sprache ist derart abstrakt, daß sie sogar zwei Dritteln der Bevölkerung verschlossen bleibt. In der Politik, ohnehin ein stark dogmatisch geprägter Bereich, hat sich die Fachsprache zum reinen Insider-Idiom verselbständigt. Nur Eingeweihte können den Anspielungen, dem Ritual unpolitisch anmutender Floskeln, den Verschleierungen und Wortspielen folgen, die in der italienischen Politik zum Finassieren und Taktieren hinter den Kulissen dienen. Das Staatsfern-

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sehen tut das Seine: Der Zuschauer erlebt die agierenden Minister ohne Originalton, während der Nachrichtensprecher die regierungsamtliche Zusammenfassung verliest. Ebenso monoton verlaufen Diskussionssendungen in Wahlzeiten.

Dennoch existiert eine kritische Öffentlichkeit, die - wie in westlichen Demokratien üblich - ihre Kontrollfunktion ausübt, und zwar in Gestalt einer mit scharfen journalistischen Waffen kämpfenden Presse. Doch setzt auch deren Stil und Aufmachung eine Lesekultur voraus, über die nur ein kleiner Kreis Informierter und Gebildeter verfügt. In Italien stand 1975 auf Platz eins der Bestsellerliste ein Buch mit dem Titel »Wie man eine Zeitung liest«.41 Aber nur jeder zehnte Italiener ist Zeitungsleser, wenn man die Fülle von Groschenheften, Fotoromanen und Comics außer acht läßt. Die bürgerliche Presse bedient sich in ihren politischen Leitartikeln der Eingeweihtensprache, die den zahlreichen halbgebildeten Sportzeitungslesern unverständlich bleibt und sie nicht interessiert.42

Presse und Schrifttum der Rechten ist in Italien zwischen katholischer und marxistischer Kultur und Wissenschaft angesiedelt, die beide dank der Organisation und der Macht von DC und PCI den Markt beherrschen. Die neofaschistisch-qualunquistische Rechte ist, an bildungsbürgerlichen Wertmaßstäben gemessen, kulturpessimistisch. Das hat mehrere Ursachen: Angst vor dem Übergang zur industriell-wissenschaftlichen Zivilisation, die gleichgesetzt wird mit Untergang, sozialem Abstieg, undurchschaubaren Kräften, vor Urbanisierung, Entfremdung und Vermassung. An diese ungesteuerten Emotionen appellierte der Neofaschismus erfolgreich, da ihm der Zustand einer fragmentierten Gesellschaft zu Hilfe kam. Jahrzehntelang war die DC fest in der agrarischen Gesellschaft des Südens verankert und stellte Ordnungspartei und Machtapparat für Ober- und Mittelschicht dar, bis die Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung mit Industrialisierung, Rezession und sozialer Umschichtung den Klientelismus als politisches Mittel unwirksam machten. Wie in anderen Industrieländern wurde die Integrationskraft des Katholizismus zugunsten der Staatspartei abgeschwächt; sozial absteigende Mittelschichten straften die DC mit Kreditenzug. Das MSI brauchte in dieser Situation nicht anders zu operieren als in der Vergangenheit und konnte sich als Parlamentspartei den Rechtsradikalismus jeder Spielart zu nutze machen. Die MSI-Dialektik von 1972, seine Selbstdarstellung als Partei voll jugendlicher Dynamik, die sich an die Enttäuschten und Zurückgesetzten wandte, war nichts anderes als die geschickte taktische Ausnutzung des Dilemmas, in dem sich die DC befand. Die Regierungspartei verstand sich als antikommunistisch-katholischer Schutzwall, als

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Arbeitnehmerpartei und zugleich als Interessenvertreterin von Adel, Großbürgertum, Staatsindustrie - ein Konzept, das unbrauchbar geworden war, zumal ohne die Zustimmung des ehemaligen politischen Gegners PCI nicht mehr regiert werden konnte. Die konstruktive Opposition der Kommunisten, die für die Verabschiedung der Reformgesetze wie im Fall der Ehescheidung erforderlich war, weckte im Land die Befürchtung, es könnte künftig zu Annäherung zwischen Katholizismus und Marxismus auf praktisch-politischer Ebene kommen. Schon vor der Ankündigung des PCI, die Probleme des Landes seien nur durch einen solchen »historischen Kompromiß« zu lösen, war diese Diskussion in den Kreisen der Intellektuellen geführt worden und erinnerte die Gegner einer solchen großen Koalition an die Zeit, in der auf das Centro-Sinistra in ähnlicher Weise geistig vorbereitet worden war.43

Als sichtbare Reaktion auf derartige Zukunftsperspektiven formierte sich die schweigende Mehrheit in Gestalt von 88 DC-Abgeordneten, Neofaschisten, Intellektuellen und Militärs. Sie marschierten durch die Straßen von Turin und Mailand. Am 14. März 1971 gab es in Rom einen Marsch zum Altar des Vaterlandes oberhalb der Piazza Venezia. Arm in Arm mit der MSI-Prominenz zeigte sich die Reaktion mit Ragno, Caradonna, de Lorenzo, Adeligen, aktiven Offizieren und Priestern. Gemeinsam wurde skandiert: »Ankara, Athen - nun ist Rom an der Reihe!« Man sah Schilder »Wir Arbeiter wollen sozialen Frieden - laßt uns in Ruhe arbeiten«, und die Freunde der Armee intonierten: »Schluß mit dem Bordell Italien, wir wollen die Obristen!« Das Fußvolk der Squadristen rief: »L'Aquila und Reggio - in Rom wird es noch schlimmer!« sowie »Gegen das Einverständnis mit Kommunisten schicken wir Panzer und Fallschirmjäger«.44

Die Minderheitsregierung Andreotti glaubte 1972, dem Jahr der vorgezogenen Wahlen, sich diesem Dilemma mit einem Schlag entziehen zu können. Sie lancierte die Theorie von den einander entgegengesetzten Extremisten (opposti estremismi), die es als Links- und Rechtsextremisten gleichermaßen zu bekämpfen gelte und als deren erbitterter Feind sich Andreotti präsentierte, um so der DC die lebenswichtige Vormachtstellung im politischen System zu sichern. Sie stellte sich als Partei dar, die Extremismus in jeder Form verabscheute und bekämpfte, obwohl Justiz und Polizei die Wahrheit über die Terroraktionen nicht enthüllten. Zudem schürte der Exekutivapparat das Gemunkel über die Vorkommnisse, um die These von den Opposti estremismi wirksam zu unterstützen. Am 15. März 1972 starb der Verleger Giangiacomo Feltrinelli an einer Hochspannungsleitung in Segrate bei Mailand durch Sprengstoff. Er habe, so die Verlautbarung offizieller Stellen, in enger Verbindung

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mit der außerparlamentarischen Linken gestanden, sie finanziert, mit Waffen versorgt und sei bei dem Versuch ums Leben gekommen, die Stromzufuhr für Mailand lahmzulegen.

Die Umstände seines Todes waren 1975 noch nicht geklärt. Die Apo-Linke nahm dies zum Anlaß, die verschleppte Aufklärung aller Terroranschläge seit der Explosion in der Mailänder Landwirtschaftsbank als taktisches »Staatsverbrechen« (strage di stato)45 zu interpretieren. In einem umstrittenen Buch wurde die These aufgestellt und belegt: Valpreda sei unschuldig, die anarchistischen Kreise seien faschistisch unterwandert, ein wichtiger Zeuge sei von der Polizei aus dem Fenster gestürzt und damit ausgeschaltet worden, weil - so das Autorenkollektiv - die tatsächliche und alleinige faschistische Urheberschaft an den Attentaten den Herrschenden nicht ins politische Konzept gepaßt hätte. Tatsächlich stellte sich später heraus, daß die Anklage gegen Valpreda in vielen Punkten wenig stichhaltig war. Zeugen verstarben, von denen nur ein Geständnis vorgelegt wurde, das die Polizei nach dem Gedächtnis verfaßt hatte. Mitglieder der für die Attentats- und Entführungsserien verantwortlichen und als Rote Brigaden zeichnenden Linksextremisten hatten zuvor neofaschistischen Kreisen angehört. Und schließlich lag paradoxerweise für Valpredas Delikt von 1969 an der Piazza Fontana sehr viel größeres Beweismaterial gegen die Faschisten Franco Freda und Giovanni Ventura aus Padua vor, die gemeinsam mit Pino Rauti ebenfalls wegen des Attentats im Gefängnis saßen. Rauti entzog sich der Haft durch seine erfolgreiche Kandidatur für das Parlament. Die spektakuläre Berichterstattung der Presse mit immer neuen angeblichen Enthüllungen vergiftete die Atmosphäre vollends und machte die richterliche Untersuchung zu einem makabren Schauspiel im Kompetenzdschungel der veralteten Justizmaschinerie. Inzwischen konnten sich bekannte Faschisten, darunter Borghese, Clemente Graziani von den Ordonovisten und Elio Massagrande ins Ausland absetzen.46 Im Parlament herrschte die gewohnte Gleichgewichtsspielerei, nachdem Andreottis Minderheitskabinett durch eine Mitte-Links-Regierung abgelöst worden war, in der der Christdemokrat als Verteidigungsminister und oberster Dienstherr des Geheimdienstes SID saß, dem Nachfolger des SIFAR.

6. Neofaschismus und repressiver Apparat

Die sechste Legislaturperiode nach 1972 brachte wachsenden Terror. Die Sozialisten in der Regierungskoalition mußten sich nicht nur gegenüber

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der DC profilieren, sondern auch das beharrliche Streben der Kommunisten nach der Macht verhindern und zugleich Reformpolitik machen -ein Balanceakt, den die Sozialisten vorerst nur verbal vollbrachten. Sie sprachen von »vorgeschobenen Gleichgewichten« (equilibri più avanzati) und lieferten damit ein Musterbeispiel unklarer Programmformeln, um einerseits Profil als Reformpartei in der Regierungskoalition zu gewinnen, andererseits den engen Kontakt zu den Kommunisten und den gewerkschaftlichen Rückhalt nicht zu verlieren.47

Unterdessen hatten die ständigen Appelle des MSI an Polizei, Carabinieri und Armee Früchte getragen; die seit dem Mailänder Attentat eskalierende subversive Tätigkeit der Faschisten nahm weiter zu, und zugleich trat die Entwicklung des italienischen Kapitalismus im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise in eine neue Krisenphase - ein Zustand, dem die herrschende Klasse wiederum nicht gewachsen war. Bereits in früheren Jahren hatte es für das MSI in Fallschirmjägerkasernen Abstimmungsergebnisse bis zu 99 Prozent gegeben. Pino Rauti und Guido Giannettini, vor seinem Eintritt in den Geheimdienst der Armee Redakteur des Secolo, hatten ein Pamphlet verfaßt, das in Kasernen unter hohen Offizieren kursierte und den Titel »Rote Hände auf der Armee« trug. Diese Schrift über die angebliche rote Unterwanderung der Streitkräfte zirkulierte, bis das Verteidigungsministerium sie nach Zahlung einer Entschädigungssumme an die Autoren zurückziehen ließ.48 Mit der Propaganda, die die Faschisten vor allem nach zahlreichen Reisen nach Griechenland noch verstärkten, richtete sich dieser Teil der Strategie der Spannung an frustrierte Offiziere als »Säulen der Nation, Träger und Retter des Vaterlandes« (Birindelli und Almirante).49 Auf der MSI-Liste von 1972 kandidierten außer Birindelli und de Lorenzo aktive Generäle, Obersten und Offiziere, vor allem aus der Marine. In gewissen Kreisen der Armee, das stellten auch wissenschaftliche Untersuchungen der Linken fest,50 herrschte Depression. Die Streitkräfte hatten Ruhm und Ansehen von einst verloren und stießen in der Öffentlichkeit auf wenig Interesse. Prunkvolle Paraden in Rom bei Staatsempfängen konnten gewisse Degenerationserscheinungen nicht verdecken. Die politische Linke wiederum hatte jahrelang weniger eine analytisch fundierte Alternative angeboten als vielmehr die Verteufelung eines angeblichen Militarismus in der Armee betrieben.

Bei den Klassenkämpfen hatte die Konfrontation von Armee- und Polizeieinheiten mit Demonstranten zu blutiger Eskalation geführt, weil die Repression der Ordnungskräfte in Italien eine traurige Tradition hatte. Die Polizei war nach dem Faschismus unter Scelba systematisch unter großem ideologischen Druck paramilitärisch ausgebildet und zum Schutz

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der restaurativen Maßnahmen des Zentrismus gegen Gewerkschaften, Landbesetzer und Fabrikräte eingesetzt worden. Scelba ließ bei Demonstrationen schießen oder die mobilen Polizeieinheiten in die Menge hineinfahren, ohne sich um die Toten und Verletzten zu kümmern. Die überkommene faschistische Präfektengesetzgebung förderte die Bildung der autoritätsorientierten Polizei als Staat im Staat, die sich gegen Antifaschisten intolererant, gegen squadristische Umtriebe jedoch überaus duldsam verhielt.51 Die berüchtigste Formation der Polizei war die Celere der dem Innenministerium als Exekutivorgan unterstellten Pubblica Sicurezza von 30000 Mann, die ehemalige faschistische Schutzpolizei, die stets einsatzbereit war und der Weisungsbefugnis der Provinzquästur unterstand. Scelba machte sich auch die vorhandenen Sondergesetze zunutze und erklärte bereits 1949 Journalisten gegenüber, wenn man in Italien eine Diktatur errichten wolle, brauche man gar keine neuen Gesetze, es genüge völlig, die vorhandenen in einer bestimmten Richtung auszulegen.52

So gab es keinerlei demokratischen Geist in den Kasernen. Die Celere bildete bei ihren Einsätzen einen Ring aus Motorrädern und Jeeps, die dann zum Angriff vorrückten. Diese Taktik wurde bereits 1947 gegen Fabrikarbeiterversammlungen im Norden angewandt und unter fünf de-Gasperi-Kabinetten fortgesetzt. Bei den Landbesetzungen von Melissa starben 1949 drei unbewaffnete Tagelöhner, und bis 1969 gab es zahlreiche weitere Tote. Die repressive Mentalität der Polizisten wurde durch die Struktur der Einheiten, die sich aus den ärmsten Schichten Süditaliens rekrutierten, und durch die antidemokratische Ideologie gefördert. So war es verboten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, obwohl dies verfassungswidrig war. 85 Prozent der Polizisten kamen aus dem Süden, um so dem Emigrantenschicksal zu entgehen. Als Preis für Entpolitisierung, scharfe Disziplin und Kasernierung erhielten sie eine Uniform, ein bescheidenes Gehalt mit Pensionsanspruch und ein klares Feindbild, das alle Systemveränderer beinhaltete; Kommunisten und Sozialisten, die sich ohnehin nicht zur Polizei drängten, wurden durch ein strenges Ausleseprinzip ausgeschlossen.53 Der undemokratische Korpsgeist wurde noch durch die geistigen Schulungsinhalte verstärkt. Dies galt auch für die Einheiten der Carabinieri, die Spitze der komplizierten Polizeihierarchie und als Teil der Armee zugleich eine guttrainierte oberste Kaste.54 Die 86 000 Mann der Arma dei Carabinieri unterstehen der Militärgerichtsbarkeit, als ehemalige königliche Garde sind sie mit ihren prächtigen Uniformen auch äußerlich noch als Elitetruppe zu erkennen. Organisatorisch wurde das durch die Machtkonzentration in diesem Armeebereich deutlich, die sich schon in der SIFAR-Affäre als gefährlich erwies: Alle

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anderen Polizeieinheiten müssen dem SID (Servizio Informazione Difesa), früher SIFAR, mit Ministerien und Präfekturen zuarbeiten. Das Ethos der Carabinieriwäx staatstreu, parteineutral, vergangenheitsorientiert. Wie das MSI identifizierten sie sich mit dem starken Staat, nicht aber mit Parteienpluralismus und den sich daraus ergebenden Komplikationen.55 So fiel die Agitation des MSI durch Armeefreunde und Sympathisanten des militärischen Hierarchiegedankens wegen der mangelnden Demokratisierung der Streitkräfte auf fruchtbaren Boden. Viele Militärs betrachteten die Diskussion um NATO und Mittelmeerpräsenz als unwürdig und schädlich, das Sozialprestige der Armee als geschmälert und die Truppen selbst als ungenügend ausgerüstet. Tatsächlich verfügten Streitkräfte nach dem Faschismus nur über weitgehend veraltetes Material und waren mehr zur Lösung interner Konflikte eingesetzt als auf die Verteidigung für den militärischen Ernstfall vorbereitet worden. Der Verteidigungshaushalt war undurchsichtig, die parlamentarische Kontrolle gering. Während der Kaste der hohen Militärs demokratischer Geist fremd blieb, entwickelte sich die Armee in den sechziger Jahren zu einem gewaltigen bürokratischen Wasserkopf, der ähnlich wie andere staatliche und halbstaatliche Sektoren sein Personal aus dem Mezzogiorno bezog. Effizienz und Größenordnung divergierten beträchtlich, es gab kaum eine Stelle, vom General, Admiral und Obersten angefangen, die nicht außerplanmäßig mehrfach besetzt worden war, ohne daß entsprechende Truppenkapazitäten für die Kommandos vorhanden waren. Mit der zunehmenden Zahl der Militärs und dem abnehmenden Prestige wuchs die Unzufriedenheit Die MSI-Propaganda tat ein übriges und schlachtete das angeschlagene Selbstbewußtsein der Militärs und die Beschwerden der Soldaten über den geringen Wehrsold von 58 Pfennig pro Tag weidlich aus. Admiral Birindelli, trotz seiner schwachen Geistesgaben ein hochdekorierter Soldat von großem Ansehen, faßte die MSI-Apelle 1973 wirksam zusammen in einem Vortrag, in dem er darlegte, die Armee habe sich darauf vorzubereiten, ihre nationale Aufgabe zu erfüllen und bei einer weiteren Linksentwicklung die politische Verantwortung zu übernehmen.56

7. Schwarze Spur des Terrors

Nach den Wahlen von 1972 begann sich die Strategie der Spannung deutlich abzuzeichnen. Almirante hatte das MSI mit seinen zwei Gesichtern zu Achtbarkeit und Ansehen geführt, aber sein Hauptziel, nämlich einen Rechtsruck oder die Regierungsbeteihgung, nicht erreicht. Freilich nutzte

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es wenig, für Militärs, Ex-Botschafter und Fürsten attraktiv zu sein, ohne daß konkrete Aussichten auf Änderung bestand. Almirante gebrauchte starke Worte, um von der Tatsache abzulenken, daß seine Führung trotz Verunsicherung, trotz Bombenterror und trotz der Unfähigkeit der Justiz bei der Aufklärung dem gesteckten Ziel der Machtübernahme nicht nähergekommen war. Im Gegenteil hatte sich die antifaschistische Wachsamkeit in Gewerkschaften und Parteien verstärkt. Im Juni 1972 bereitete der Faschistenführer auf einer Versammlung in Florenz seine ungeduldige Anhängerschaft auf ein baldiges Zuschlagen vor: »Wenn der Staat seinen Aufgaben nicht nachkommt, sind wir hier, um den Staat zu ersetzen. Unsere Jungen müssen sich auf den frontalen Zusammenstoß mit den Kommunisten gefaßt machen. Damit meine ich auch den physischen Zusammenstoß.«57 Diese Aussage, trotz geschlossener Versammlung mitgeschnitten und publiziert, brachte den Stein ins Rollen. Neben Almirante wurde gegen Rauti, gegen die MSI-Abgeordneten Servello, Petronio und Cerullo als Rädelsführer, Aufwiegler und wegen Übertretung des Scelba-Gesetzes Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität gestellt. Gegen Rauti waren 24 Verfahren anhängig, unter anderem wegen Attentaten, Sprengstoffbesitz, Waffenhandel und Beleidigung. Langsam kristallisierte sich der schwarze Kern der Ereignisse von 1969 bis 1974 heraus:

Die Attentate des Jahres 1969 begannen am 15. April um 22.45 Uhr mit der Explosion einer Bombe im Büro des Rektors der Universität Padua, zwei weitere gingen am 25. April in Mailand hoch, nochmals drei mit dem gleichen Zünder konnten in Rom und Turin rechtzeitig entschärft werden. Am 8. und 9. August kam es zu Anschlägen auf vollbesetzte Züge und am 12. Dezember zur Katastrophe in der Landwirtschaftsbank. Verhaftet und für die Serie verantwortlich gemacht wurden: Giovanni Ventura, MSI-Mitglied bis 1956, danach aus Protest gegen Michelinis Parteiführung Mitglied in Rautis Ordine Nuovo, Verleger und Autor antisemitischer, an Hitler orientierter Schriften, die er in einer Buchhandlung in Padua feilbot, in der die gesamte außerparlamentarische Faschistenprominenz verkehrte; Franco Freda, Expräsident des FUAN von Padua, MSI-Mitglied bis 1958, sodann Ordine Nuovo und Anführer von Aktionssquadren in Padua, von Beruf Anwalt. Seine neonazistischen Schriften, die er noch aus dem Gefängnis an seine Freunde herauszuschmuggeln wußte, waren die Ausgeburt von Rassenwahn, seine Vorbilder Hitler und Mao Tse-tung; Pino Rauti und Guido Giannettini, bis 1966 Redakteur im Secolo d'Italia, sodann nach Unstimmigkeiten mit der Direktion des MSI-Parteiorgans Mitarbeit als Militärexperte in einschlägigen Zeitschriften, 1967 Mitarbeiter und Spitzel des SID. Er

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hatte Kontakt mit Gino Ragnos Armeefreunden, mit Rauti, mit der Avanguardia Nazionale der Faschisten Stefano delle Chiaie und Mario Merlino gehalten, die beide untergetaucht waren, und 1972 als Direktor des MSI-Propagandastabs den Pressewahlkampf geleitet.58 Am 17. Mai 1972 wurde Kommissar Calabresi mitten am Tag auf der belebten Mailänder Via Cherubini von zwei Pistolenkugeln tödlich getroffen. Als mutmaßliche Täter wurden angeklagt: Giovanni Nardi, MSl-Giovane Italia und bis 1968 Fallschirmjäger in Livorno, des öfteren verhaftet wegen Waffenbesitz und engen Kontakten zu den Sauadre di Azione Mussolini, und Bruno Stefano von der Avanguardia Nazionale, gegen den die gleiche Anklage erhoben worden war. Beide waren flüchtig.

Am 12. April 1973 sollte in Mailand eine MSI-Versammlung mit dem Redner Ciccio Franco stattfinden, Anführer der kalabresischen Faschisten aus Reggio und mittlerweile MSI-Senator. Sie wurde im letzten Moment untersagt, die Faschisten provozierten Zwischenfälle und griffen die Polizei mit Schlagstöcken und Ketten an. Um halb sieben Uhr abends wurde der Polizist Antonio Marino durch eine Bombe aus Armeebeständen getötet. Angeklagt wurden insgesamt 135 Faschisten, von denen die meisten im jugendlichen Alter waren und aussagten, die MSI-Parteileitung habe Anweisung zu bewaffneter Provokation durch Almirante und dessen Mailänder Abgeordneten Francesco Servello gegeben. Die Bombe auf den Beamten hatte der Sohn des bekannten Boxers und Missino Duilio Loi, Vittorio, geworfen, Mitglied im MSl-Giovane Italia bis 1971, danach hatte er sich den auf der Piazza San Babila herumlungernden Squadristen angeschlossen. Ein Kamerad Lois, zwanzig Jahre alt und wie dieser arbeitslos, hatte am gleichen Tag zwei weitere Sprengsätze geworfen und Passanten verletzt: Maurizio Murelli war Mitglied im Fronte della Gioventù und hatte nach seinen Aussagen im Prozeß 1972 an einem MSI-Trainingslager auf der Insel Korfu teilgenommen.59 In die Kette der Ereignisse und der MSI-Drahtzieher im Parlament gehörte ferner ein Vorfall, bei dem im Oktober 1972 ein Ordonovist und ehemaliger Fallschirmjäger eine Fokker F 27 auf dem Militärflugplatz von Triest entführen wollte und von der Polizei erschossen wurde. Organisationsleiter der Aktion waren der MSI-Sektionsleiter Carlo Cicuttini, ein Freund von Freda und Ventura, und der Missino Vincenzo Vinciguerra.

Am 7. April 1973 schloß sich Nico Azzi auf der Toilette im Schnellzug Turin-Rom ein, um die Zündung einer Bombe vorzubereiten, die um 12.25 Uhr in der Unterführung del Bracco detonieren sollte, was eine Katastrophe bedeutet hätte. Durch einen Ruck des Waggons explodierte

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sie vorzeitig und verletzte Azzi. Ein Genueser Gericht verurteilte ihn im Juni 1973 mit vier anderen Faschisten, die den gleichen bezeichnenden Lebenslauf hatten: Azzi war im Giovane Italia und im Ordine Nouvo gewesen, seit 1971 arbeitete er in der Redaktion eines Faschistenblattes, das nach dem Symbol der griechischen Obristen La Fenice (»Der Phönix«) benannt war und vom Mailänder Ordine Nuovo herausgegeben wurde; Azzi wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Giancarlo Rognoni, MSI-Mitglied und Ordonovist zugleich, Herausgeber von La Fenice, war flüchtig und wurde in Abwesenheit zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt. Mauro Marzorato von der MSI-Fronte della Gioventù und Verbindungsmann von La Fenice zu den französischen Neonazis des Ordre Nouveau, an deren Kongressen er mit den Mitangeklagten teilgenommen hatte, wurde ebenfalls verurteilt; der vierte Faschist, Francesco de Min, war für die Polizei als Rechtsextremist ein unbeschriebenes Blatt. Am 28. Mai 1974 explodierte in der norditalienischen Stadt Brescia auf der Piazza della Loggia mitten in einer Protestversammlung gegen den Terror der Faschisten, zu der die Gewerkschaften aufgerufen hatten, eine Bombe mit einem Kilo Tritol, die Unbekannte in einer Mülltonne auf dem Platz versteckt hatten. Das Attentat forderte sechs Tote und 80 Verletzte. Zwei Tage danach erschoß ein Carabinieri den Faschisten Giancarlo Esposti, der vom MSI zur Avanguardia Nazionale übergetreten war und sich in Begleitung von zwei anderen wohlbekannten Rechtsextremisten aus dem Dunstkreis der Sanbabiliani befand. Sie hatten in einem Zelt im Wald bei Rieti gelagert und den Carabiniere beim Näherkommen mit Waffen bedroht. Bei der Untersuchung des Vorfalls stellte sich heraus, daß Esposti ein wertvoller Zeuge gewesen war, der nun nicht mehr über die Verfilzungen von Avanguardia, Ordine Nuovo, MSI und anarchoiden Splittergruppen aussagen konnte. Immer mühsamer wurde es für die Gerichte, anhand persönlicher Kontakte der Terroristen untereinander und durch Verhöre von Freunden und Verwandten die enggeknüpften Fäden zu entwirren. Am 4. August 1974 detonierte eine starke Bombe im Rom-Brenner-Express Italicus; sie war für die Zündung auf dem um die fragliche Tageszeit sehr belebten Bahnhof Bologna programmiert gewesen. Nur durch die verfrühte Explosion kamen nicht mehr als 12 Menschen ums Leben. Auf einem Flugblatt zeichnete die Faschisten-Organisation Ordine Nuovo - Anno Zero verantwortlich, ebenso zynisch wie für das Attentat von Brescia, und wieder waren die wenigen Verhafteten typisch für den brodelnden schwarzen Untergrund: Italo Bono, nach der Mitgliedschaft in der Fronte della Gioventù zur Nachfolgeorganisation Ordine Nuovo gestoßen; Emanuele Bartoli, erstmalig 1973 bei einer Strafexpedition gegen Schüler in Bologna noch als Mitglied

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der Fronte della Gioventù festgenommen; ein weiterer mit Namen Geatano Casaroli hatte 1972 auf Kandidatenlisten der MSI-DN gestanden.60 Almirante präsentierte nach dem Attentat der Staatsanwaltschaft einen Zeugen, dessen Aussagen die Urheberschaft der Linken an dem Anschlag beweisen sollte. Doch bald gestand er, die MSI-Führung habe ihn unter Druck gesetzt, und nach seiner Weigerung sei er von Almirantes Leibwächter Angelino Rossi mit der Drohung erpreßt worden, man würde andernfalls seine Kinder umbringen lassen.61

Trotz der Langsamkeit der italienischen Gerichte veränderte sich die Situation zuungunsten der Faschisten, denn nun konnten sich auch Polizei, Geheimdienst und DC nicht mehr die öffentliche Anklage leisten, es gebe in Italien ein Governo invisibik aus Drahtziehern, die im Auftrag gewisser Kreise das Chaos inszenierten. Zugleich fanden sich junge, couragierte Richter und Staatsanwälte, die das reichhaltige Indizienmaterial zusammentrugen und versuchten, die Mühlen der Justiz in Gang zu setzen. Da gab es alte faschistische Richter, die nach den Kategorien der RSI urteilten, Akten verschwinden oder den Inkriminierten einen Tip zukommen ließen, damit sie untertauchen konnten. Und da gab es Antifaschisten wie die Staatsanwälte Stiz aus Treviso oder Bianchi d'Espinosa aus Mailand, die Aktenstöße sammelten, frühzeitig auf die schwarze Kernzelle Rauiti-Freda-Ventura aufmerksam machten und im entscheidenden Augenblick ihr Material im Kompetenzdschungel verschwinden sahen. 1975, sechs Jahre nach dem Attentat auf der Piazza Fontana, war in der Untersuchung mehr verschleppt, verwirrt und aus politischen Gründen zerredet als aufgeklärt worden. Der Prozeß, der am 15. Dezember 1969 mit Valpredas Verhaftung begonnen hatte, spiegelte die Unfähigkeit des ganzen Systems. Valpreda, obwohl kränkelnd und geistig eher minderbemittelt, war der Öffentlichkeit als rote Bestie und anarchistisches Terrorgenie dargestellt worden. Ein Taxichauffeur identifizierte ihn als den Fahrgast, den er vor der Tat zur Piazza Fontana gebracht hatte, allerdings nicht im üblichen vergleichenden Vorführverfahren, sondern nach einer vorgelegten Fotografie. Parallel zu Valpredas Verhaftung und den gerichtlichen Untersuchungen in Treviso, Mailand, Rom und Padua hatte der Geheimdienst SID die neofaschistische Spur aufgenommen, doch gelangten die Ergebnisse nicht zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden. Vielmehr wurden die gesamten Akten auf Weisung aus Rom dorthin geschickt, um 500 Kilometer vom Tatort entfernt vom römischen Gericht weiterbearbeitet zu werden. Längst hatte ein Professor aus Treviso ausgesagt, er habe bei seinem Freund Ventura in dessen Buchhandlung Tatortskizzen von verschiedenen Bombenanschlägen gesehen und auf den Versuch der Paduaner

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Neonazis hingewiesen, die Anarchisten und Linksextremisten zu unterwandern. Diese Spur wurde zunächst nicht verfolgt und im April 1971 gegen Valpreda Anklage erhoben. Am 16. Juli verstarb der Hauptzeuge der Anklage, der Taxifahrer Rolandini, ohne seine Aussage schriftlich niedergelegt zu haben.62 Der Valpreda-Prozeß begann erst im Februar 1972, bereits während des Wahlkampfes. Am 22. Juli 1972 übergab die Treviser Staatsanwaltschaft ihre Dokumentation über das gesamte schwarze Netz im Veneto um Padua den Gerichten in Mailand. Von da an lief der Valpreda-Prozeß auf zwei Gleisen: Im Oktober 1972 verlegte der Kassationshof auf Empfehlung der Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren nach Catanzaro in Kalabrien, wo man sich wiederum weigerte, es durchzuführen. Valpreda, inzwischen im Lande zur Symbolfigur für die vorsätzliche Repression des Systems und die Agonie der Justiz geworden, wurde im Dezember 1972 nach drei Jahren Haft aufgrund einer von der Deputiertenkammer unter dem Druck der Öffentlichkeit verabschiedeten Lex Valpreda voübergehend auf freien Fuß gesetzt. Als im Februar 1974 endlich die Geschworenen gewählt waren, wurde Antrag gestellt, die Prozesse Freda-Ventura und Valpreda zusammenzulegen, da die Anklage gleich laute. In Mailand lehnte man das mit der Begründung ab, daß die Untersuchung im Falle Freda-Ventura noch nicht abgeschlossen sei. Während im März 1974 in Catanzaro der Valpreda-Prozeß zum zweitenmal anlief, schloß der Mailänder Untersuchungsrichter Gerardo d'Ambrosio die Akten der Faschisten, ohne zu endgültiger Klarheit gekommen zu sein. Erbittert über die Gerichte zog die Tochter eines der Todesopfer von 1969 ihre Nebenklage zurück. Dann, im April 1974, entschied wiederum der Kassationshof für eine Zusammenlegung der Prozesse; von neuem begann das Warten in dieser von allen Beteiligten mit großer Irrationalität geführten Untersuchung, die gigantische Ausmaße angenommen hatte: 50000 engbeschriebene Seiten umfaßte das Aktenmaterial, zwölf Angeklagte auf der roten Seite, der »Pista Valpreda«, 13 auf der »Pista nera« Freda-Ventura, über 600 Zeugen, darunter Minister wie Giulio Andreotti, der ehemalige und inzwischen wegen Begünstigung einer faschistischen Verschwörung des Fürsten Borghese inhaftierte SID-Chef General Vito Miceli sowie dessen Rivale im Amt, General Gian Adelio Maletti vom Büro D des SID, und prominente Faschisten aus dem Parlament und dem schwarzen Fußvolk63 - Zeugen und Angeklagte, die sich nach sechs Jahren voller Enthüllungen in der Presse kaum an wahre Tatbestände erinnern konnten oder wollten. 1974 hatten Journalisten und Wissenschaftler umfangreiches Material zusammengestellt, aus dem sich ein Bild vom weitverzweigten Netz der »Pista nera« ergab. 1974 war auch die These von den entgegengesetzten

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Extremismen für die DC nicht mehr zu halten, die Innenminister Paolo Emilio Taviam offiziell am 13. August im Parlament widerrief. Wörtlich erklärte er, ein erbitterter Gegner aller Linken wie seine Vorgänger im Amt, Gui und Restivo, die Fakten hätten die Theorie von den opposti estremismi als falsch erwiesen, der Terror habe schwarze Wurzeln, die Brigate rossi seien nur ein untypischer Kern von Asozialen. Und am Ende des Monats nach dem Attentat auf den Italicus begründete er diese verhängnisvolle These politisch in einem Interview mit dem Hinweis auf die schwierige Position der Mitte, die die DC halten müsse, um den Kontakt zu irgendeinem Flügel niemals ganz zu verlieren.64 In den Jahren 1972 bis 1974 war nämlich eine Menge geschehen, was diese Theorie widerlegte und sie als politisches Manöver entlarvte. Mehrere Putschversuche und mysteriöse Vorkommnisse hatten das antifaschistische Italien in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Ähnlich wie in der SIFAR-Affare de Lorenzos von 1964 tauchten 1974 Gerüchte und wilde Spekulationen auf über einen versuchten faschistischen Staatsstreich, der 1970 stattgefunden haben sollte. Die phantastischen Einzelheiten kamen zur gleichen Zeit ans Licht, als Andreotti, inzwischen Verteidigungsminister und oberster Dienstherr des SID in der Mitte-Links-Koalition Rumor, dem Parlament von neuen Unregelmäßigkeiten im Geheimdienst berichtete. Dessen ehemaliger Chef, General Miceli, wurde kurz vor seiner Beförderung zum Befehlshaber der III. Armee in Norditalien unter der Anklage verhaltet, subversive Bestrebungen mit dem Ziel eines Staatsstreichs von rechts begünstigt und die Regierung nicht darüber informiert zu haben. Zugleich erfuhr die erstaunte Öffentlichkeit, daß rund 10000 der Dossiers aus der de Lorenzo-Affäre nicht gemäß Parlamentsbeschluß vom 4. Mai 1971 verbrannt worden waren, sondern mit ihren erpresserischen Inhalten weiterexistiert hatten - zu wessen Nutzen, war nicht zu erfahren.65

Junio Valerio Borghese, der schwarze Fürst, ehemals MSI-Ehrenpräsident der fünfziger Jahre, Vorsitzender des Frontkämpferbundes und danach Gründer der Nationalen Front, hatte mit seinen rund 5000 Anhängern die Gründung eines militärischen Schattenstaates geplant; Ziel war die nationale Befreiung mit Hilfe getreuer Militärs, und überall wurden Aufrufe plakatiert, die sich gegen Drogen, Pornographie und Demokratie richteten. Die Frontisten galten in den Augen normaler Bürger als verrückte Nostalgiker; aber bei den jugendlichen Squadristen genoß der unterdessen über sechzigjährige Fürst als kämpferische Symbolfigur noch größeres Ansehen als Almirante und Rauti. Er konnte auf eine volle Piazza rechnen, wenn er mit den Schwarzhemden in Reggio oder Catania auftrat, und seine Front hatte im Süden feste Standquartiere und treue

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Gefolgsleute. Mosaikartig rekonstruierten die Zeitungen 1974 einen Putschversuch, der in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember 1970 stattgefunden hatte:66 Um 22.30 Uhr rückten etwa 50 Gefolgsleute der Frontisten bei strömenden Regen auf den Viminal-Hügel in Rom vor, den Sitz des Innenministeriums, wo sich im ersten Stock eine Telefonzentrale befand. Diese wurde blockiert, während Borghese in seinem Hauptquartier auf die verabredete Vollzugsmeldung wartete und danach über den Rundfunk zur Nation sprechen wollte. Dann aber sei, den Presseberichten zufolge, um halb ein Uhr nachts im Viminal die ganze Aktion telefonisch abgeblasen worden. Es wurde nie klar, wie sich die Putschisten Zutritt zum Innenministerium hatte verschaffen können. Das Ganze schein ein Spuk, doch erging gegen Borghese im Februar 1971 Haftbefehl, nachdem man sein Telefon im Hauptquartier des Fronte abgehört hatte. Er setzte sich nach Spanien zu Freunden ab. Die Erinnerung an Borgheses faschistischen Schattenstaat beschäftigte die Phantasie der Italiener neuerlich im November 1973, als die Nachricht an die Öffentlichkeit belangte, eine Organisation Rosa dei Venti (Windrose) mit dem Untertitel »18. Italienische Legion« habe einen Putschversuch unternommen. Rosa dei Venti war in einschlägigen antifaschistischen Dokumentationen des öfteren erwähnt worden, weil sie Drohbriefe verschickt hatte. Nun offenbarte Paolo Porta-Casucci, ein Arzt aus Padua, den Plan einer faschistischen Legion zur »nationalen Wiedererweckung« der ihm unheimlich geworden war: In jeder Provinzhauptstadt verfüge die Legion über Vertrauensmänner, die mit der Organisation schwarzer Aufbauzellen befaßt seien, je kleiner und ideologisch konfuser, desto besser. Diese sollten an einem Tag X die Präfekturen besetzen, Brände in allen Städten gleichzeitig legen und die Elite des Landes anhand einer detaillierten Liste mit 1617 Namen ermorden, darunter Politiker wie Taviani, Luigi Longo, Enrico Berlinguer, Giulio Andreotti, Sandro Pertini, Gewerkschafter wie die Führer der UIL, CGIL und CISL, Richter, Journalisten und Künstler wie Alberto Moravia und Pier Paolo Pasolini. Nach der Exekution der Elite in ihren Häusern sollte der faschistische Militärstaat errichtet und Borghese Staatsoberhaupt werden. Verstört fragte sich die Nation, ob die Armee, allgemein oder teilweise, tatsächlich faschistisch verseucht war und zu solchen Staatsstreichen benutzt werden könnte, oder ob es sich bei derartigen Plänen um Hirngespinste eines alten, kranken RSI-Kämpfers handelte. Jedenfalls war die Liste der Inkriminierten im Falle der Windrose lang und umfaßte Militärs, Missini und Industrielle:

Remo Orlandini war Bauunternehmer und hatte als Sergeant im faschistischen Griechenlandfeldzug gedient. Giovanni de Rosa, designierter

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Finanzminister des Schattenstaates und wie Orlandini geflüchtet, vertrat beruflich die Mailänder Rüstungsindustrie; Giuseppe Casero, General im Ruhestand; Mario Rosa, Vertreter der Italtecnobeton, Koordinator der Nationalen Front auf Provinzebene; Giuseppe Lo Vecchio, Luftwaffenoberst im Ruhestand; Stefano delle Chiaie, Führer der Avanguardia Nazionale, alle flüchtig wie Eliodoro Pomar, Borgheses Freund und Kerningenieur im europäischen Atomzentrum Ispra, verdächtig des Diebstahls von Plutonium, mit dem das Trinkwasser großer Städte verseucht werden sollte, um in der daraus entstehenden Paniksituation zuzuschlagen.67 Zu den Verhafteten Verschwörern gehörten: Salvatore Pecorella, Oberst der Carabinieri, der unter dem Verdacht stand, die Waffen der Frontisten aus der Podgora-Kaserne besorgt zu haben; Major Enzo Capanna, Kommandant der 11. mobilen Einheit der Pubblica Sicurezza Bari; Luciano Berti, Ex-Kommandant der Fortpolizeischule von Cittàducale, der bereits beim ersten Putschversuch 1970 mit 200 Männern seiner Kompanie das Rundfunkgebäude in Rom umstellt haben sollte, damit der Fürst seine Rede an die Nation ungestört halten könne; Francesco Lombardi, ehemaliger Fallschirmjäger wie sein Freund Sandro Saccucci. Saccucci war Chef der römischen Fallschirmjäger und Organisator von Trainingslagern am Turaner See bei Rieti, wo es von Squadristen wimmelte. Er konnte nicht verhaftet werden, da er seit 1972 für die Neofaschisten als Abgeordneter im Parlament saß. Bis der Antrag auf Aufhebung seiner Immunität gestillt wurde, was mit langwierigen Anhörungsverfahren verbunden war, hatte Saccucci erstaunlicherweise wie Rauti im Verteidigungsausschuß gesessen, der diese wie andere Vorfälle im Aktionsdreieck Faschismus-Militär-SID zu behandeln hatte. Die Windrose hatte ihren Hauptsitz mitten im schwarzen Veneto gehabt, genauer in der neofaschistischen heimlichen Hauptstadt Padua, außerdem Sektionen in La Spezia, Verbindungen zur Schweiz über Rüstungsgeschäfte, nach Frankreich, Spanien und in die Bundesrepublik durch Import-Export-Agenturen, Pressebüros und Nachrichtenzentralen. Alle Verbindungen, auch der Windrose zu anderen Gruppen, liefen über die Kanäle der alten Faschistischen Internationale mit den Achsen Lissabon, Madrid, Genf, Rom und München. Personell bestand eine enge Verzahnung von den Sanbabilani des MSI-Deputierten Servello bis zu den schwarzen Büchereien Paduas und den Hinterzimmern vornehmer römischer Kulturzirkel der Rechten, von Freda und Ventura über Rauti zu Ragnos deutschitalienischen Kontakten und Journalistenreisen nach Deutschland. Die Faschisten konnten stets das Etikett wechseln, einmal als Abgeordnete, dann als Präsidenten irgendwelcher Gesellschaften, oder als Zeitungsleute reisen wie der Faschist Giannettini, der zugleich Journalist, militärischer

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Berichterstatter und Spitzel des SID war. Nach den Ereignissen um die Windrose bekam die Öffentlichkeit am 27. Januar 1974 einen weiteren Schock: In den Kasernen war Alarm gegeben worden, im Land wurden Truppenbewegungen beobachtet, Armeeeinheiten riegelten Ministerien, RAI und Fernmeldezentralen ab, marschierten vor Häusern von Politikern auf, die Funktionäre der römischen Parteizentrale des PCI wagten sich in dieser Nacht nicht nach Hause, niemand konnte Auskunft über die Ursache des Alarms geben. Die verantwortlichen Politiker einschließlich des Innenministers verbrachten das Wochenende außerhalb von Rom, wegen der Ölkrise bestand, ausgenommen für Polizei- und Armeefahrzeuge, Fahrverbot. Tags darauf stellte sich heraus, daß es sich um einen militärisch-technischen Übermittlungsfehler und ein Mißverständnis gehandelt hatte; die Zeitung Roma, Blatt des MSI-Deputierten Achille Lauro, triumphierte: »Sie sind voller Angst vor dem Putsch, weil sie das Gefühl haben, sie hätten ihn verdient!«

Demokraten riefen sich die Namen auf den Listen der Faschisten ins Gedächtnis zurück und die Tatsache, daß sich sämtliche Putsch- und Mordpläne bei aller Absurdität auffallend ähnelten. 1972 hatte der General der Fallschirmjäger Berardini, Sprecher von 46 Soldaten- und Frontkämpferbünden, bereits geschrieben, jetzt sei nicht Zeit für Worte und Abwarten, sondern für Mobilisierung, beim Frontalzusammenstoß stünden die Frontkämpfer auf der Seite der Ordnung. Das war der Ton der MSI-Presse und Birindellis. Während sich der Chef des Generalstabs, Admiral Eugenio Henke, zu versichern beeilte, daß die Streitkräfte demokratisch und weder ein vereinzeltes Korps noch eine isolierte Bastion antidemokratischer Gesinnung seien,68 fragte sich die Öffentlichkönnten, wenn deren antifaschistischer Inhalt in den Schulungskursen könnten, wenn deren antifaschistischer Inhalt in den Schulungskursen gar nicht behandelt würde. Geisteshaltung und politische Dummheit der Militärs offenbarten sich am deutlichsten bei Birindelli, der gegenüber der Presse seiner Frustration Ausdruck gab, die Terroranschläge als von Moskau ferngesteuerte Verschwörung bezeichnete und für die Unschuld Almirantes und seiner Missini die Hand ins Feuer legte. So mußte er 1975 konsequenterweise das MSI verlassen, als sich die Wahrheit offenbarte. Birindelli versuchte, eine »saubere Rechte« ohne faschistisch-squadristischen Anstrich zu gründen, was aber mißlang. »Er war ein Spinner und mystifizierter Idiot«, schrieb die Mailänder Zeitung Il Giorno über ihn, und der Admiral bestätigte diese Ansicht des Chefredakteurs unfreiwillig, als er nach Erscheinen des Artikels mit Adjutant in der Redaktion erschien und den Schreiber zum Duell forderte. Birindellis

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Mentalität war geprägt durch Ordnungsvorstellungen, die von demokratischen Parteien nicht vertreten wurden, jedoch im Ordnungskatalog des MSI auftauchten und Anziehungskraft auf Militärs ausübten, bis sie dann feststellten, daß sie sich in die Höhle des terroristischen Löwen vorgewagt hatten.

Bei aller Beschränktheit der faschistischen Protagonisten von Putschversuchen wie dem der Windrose zeigte die stufenweise Planung doch geniale konspirative Züge: Stufe eins diente der Geldbeschaffung durch Industrielle, Raubzüge und Entführungen, von kleinen Gruppen durchzuführen; Stufe zwei umfaßte die Entwicklung des Psychoterrors und die Spannungserzeugung durch Attentate unter dem Etikett von Linksgruppen; Stufe drei sah Überfälle auf Parteizentralen und Bürgerkrieg, Stufe vier das Eingreifen von bestimmten, vorbereiteten Einheiten des Heeres vor; nicht sympathisierende Truppenteile waren durch Unterbrechung der Kommunikationsmittel zu neutralisieren; Stufe fünf bedeutete die Ermordung der Elite und sechs die Errichtung des Staates auf den Grundlagen von Salò. Der Arzt Porta-Casucci, der diesen auf engbeschriebenen Seiten niedergelegten Plan verraten hatte, war nach Aussagen seiner Mitbürger ein Verrückter. Er hatte sich eine Naziuniform mit den entsprechenden Orden aus dem Dritten Reich auf dem Trödelmarkt gekauft, die er in aller Öffentlichkeit in La Spezia trug, und sein kleines Motorboot im Hafen militärisch umgerüstet. Psychopatische Züge wiesen auch andere Mitverschworene auf: Eugenio Rizzato aus Padua, in der RSI Kommandeur der Schwarzen Brigaden, verurteilt wegen Partisanenmords zu dreißig Jahren, von denen er sieben abgesessen hatte; Roberto Cavallaro von der Windrose, ein CISNAL-Funktionär, liebte es, in der Öffentlichkeit als Militärrichter verkleidet aufzutreten; und schließlich nahm die Polizei noch die Paduaner Santo Sendona und Eugenio Rampazzo fest, zwei rechtskräftig verurteilte und teilweise unzurechnungsfähige Diebe.

Der italienische Geheimdienst bezeichnete die Windrose und ihren Plan als »Phantastereien von Dilettanten«, trug aber zur Aufklärung der Angelegenheit wenig bei. Im Veneto wurden riesige Waffenlager aus NATO-Beständen gefunden. Die Windrose hatte Kontakt zu Offizieren der dort stationierten Einheiten. Vor allem zu Major Arnos Spiazzi, MSI-Sympati-sant und Autor der Zeitschrift La Destra. Er war nicht verrückt, erklärte aber wiederholt, daß er bei einer weiteren Linksentwicklung mit der Maschinenpistole in die Berge gehen würde. Bei seiner Verhaftung fand die Polizei im Hause eine Sammlung von rund 200 intakten Schußwaffen. Er war ein begeisterter Leser der Werke Rautis und Mitglied einer der Organisatoren der Schweigenden Mehrheit, Movimento Nazio-

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nah di Opinione Pubblica (Nationale Bewegung der Öffentlichen Meinung) sowie des rechten Traditionalistenbundes mit soldatischem Charakter, Arditi d'Italia. Seine rasche Karriere hatte den Sohn eines Obersten im ehemaligen Heer Badoglio ins Büro I, Psychologische Kriegsführung, geführt, eine Informationsabteilung des SID mit der Aufgabe, insbesondere über die politische Gesinnung der Militärs Kartei zu führen.

Andere Angeklagte der Windrose, wie der flüchtige Bersaglieri-General im Ruhestand, Francesco Nardella, wurden ebenfalls als ungewöhnliche Fälle bezeichnet; mittlerweile waren auch die Kommunisten nach der chilenischen Erfahrung zu rigorosen Demokratisierungsforderungen übergegangen, statt wie bisher die gesamte Armee als repressiven Apparat zu charakterisieren. Kontrolle war das einzige Gegenmittel gegen die subversiven Bestrebungen der Faschisten im Veneto. In dieser Region befanden sich NATO-Stützpunkte mit 30000 Soldaten und Raketenabschußbasen der amerikanischen Südflotte, konzentriert rund um das schwarze Venetien mit Padua, Vicenza und Verona.70 Als letzte gerieten Vertreter der bis 1972 noch honorig »schweigenden Mehrheit« durch die veränderte Bewußtseinslage 1974 ins Zwielicht. Adamo degli Occhi wurde verhaftet, Führer der Einheitsliga Italia Unita aus Christdemokraten, Monarchisten, Aristokratie und Hochfinanz, die sich unter dem Motto »Ehre, Tradition, Religion, Familie, Arbeit, Staat« zusammengefunden hatte in einer gemeinsamen Reaktion auf die Klassenkämpfe. 1974 lautete die Anklage auf Anstiftung zum Bürgerkrieg, politische Verschwörung und Angriff auf die Verfassungsinhalte mittels konspirativer Vereinigung. Degli Occhi war das lange gesuchte Bindeglied zwischen schwarzem Terror und respektabler Rechten im Parlament, in der Justiz, im Bürgertum.71

Damit schloß sich der Kreis neofaschistischer Aktivitäten, der von La Fenice, Ordine Nuovo, Ordine Nero, Movimento di Azione Rivoluzionaria über die Nazifaschisten Freda und Ventura zu den Attentaten von 1969 reichte; Windrose und Missini hatten Armeekreise durchsetzt, General Ugo Ricci wanderte ins Gefängnis, und der SID hatte von allem gewußt, denn peinlicherweise stellte sich der Spitzel Gianettini 1974. Da der SID von der Geheimhaltung im Staatsinteresse profitierte, war die Öffentlichkeit wieder vor ihre alten Fragen gestellt: Wem nützt es, warum wurde es so spät aufgedeckt, und wer hat was und warum mit welchem politischen Ziel so spät aufgedeckt? Die Spitze des Eisbergs war zum Vorschein gekommen, Faschisten standen nach 30 Jahren im Parlament unter Anklage, Militärs waren in Haft, der Geheimdienst-Chef war suspendiert. In seiner Zeitung L'astrolabio schrieb der ehemalige Partisanenführer,

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Gründer der Aktionspartei gegen die Salòfaschisten und Vorsitzender des Resistenzakabinetts 1946, Ferruccio Parri, Ehrensenator auf Lebenszeit, 1974 erbittert über die immer noch jeder demokratischen Kontrolle entzogenen Machenschaften des Geheimdienstes: »Wem antwortet der SID? Wem gehorcht er? Ist er nicht Teil der Demokratie, der Armee, der NATO? Ist er unter griechischem Einfluß auf das Gleis faschistischer Abenteurer geraten?«72

Zusammenfassung und Schluß

Die italienische Republik hat die Versäumnisse der Nachkriegszeit mit schweren Krisen bezahlt. Alle noch ungeklärten Ereignisse des faschistischen Umtriebes von Militär, Geheimdienst, Anarchisten, Entführern, Mördern und Squadristen haben eine gemeinsame Wurzel in dem tiefen Haß gegen die Demokratie, in der Neigung zu gewaltsamen Lösungen gesamtgesellschaftlicher Probleme, in der unmodernen, vergangenheitsorientierten Ideologie und in einem reaktionären militaristischen Geist -ein Defizit an Demokratie, das in den Zentren der Reaktion beheimatet und wegen Partikularinteressen oder ideologischer Blockbildung trotz vorhandener legaler Mittel nicht beseitigt worden ist. Bis 1969 war der Parlamentsfaschismus im System zwar eine unbedeutende Partei der Rechten, aber zugleich auch verfassungswidrig, und die Herrschenden versäumten es, sich seiner zu entledigen. Ohne Begünstigungen durch Teile der Konservativen und der politisch-wirtschaftlichen Reaktion, der Vertreter der Staatsindustrie hätte der Faschismus nicht überleben können, weil die Herrschenden in Politik, Industrie und Kirche ihn als Bundesgenossen gegen die Mitbestimmungsforderungen der Arbeitnehmer einspannten.

Zielscheiben und Opfer des Faschismus waren Gewerkschaften, Parteien, Antifaschisten, die jahrzehntelang für bessere Arbeitsbedingungen, für Kontrolle und Demokratisierung, für Mitbestimmung und gesellschaftlichen Fortschritt gegen ein starres System gekämpft haben. Nicht der schwarze Fürst, nicht seine fanatischen Anhänger und die psychopathischen Militärs, nicht Almirante mit seiner Riege aus Salòfaschisten und frustrierten Schlägern aus den Elendsvierteln im Parlament der Italienischen Republik repräsentieren den wahren Charakter des Faschismus. Seine Figuren und Personen sind austauschbar wie in Bertold Brechts Arturo Ui-Paradigma. Denn Borghese, de Lorenzo, de Marsanich und Michelini sind tot, den Missini im Parlament drohen Prozesse, in denen sie bestenfalls als Verbrecher bestraft und ihre Ver-

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einigungen verboten werden. Ihre Proselyten werden wiederkehren, wie auf die RSI das MSI, wie auf Ordine Nuovo Ordine Nero folgte. Der Faschismus, gleich in welcher äußeren Erscheinungsform, ist solange virulent, wie er die instrumentale Funktion der Reaktion in einem kapitalistischen System erfüllen kann.

Die Zeiten für die Reaktion in Italien sind 1974 schlecht gewesen. Die Bevölkerung hat bei Regionalwahlen und Referendum politische Mündigkeit bewiesen und gegen die herrschende Klasse gestimmt: Die Sarden reagierten im Juni auf eine 30 Jahre währende Mißwirtschaft der DC-administration, die den anderthalb Millionen Hirten und Bauern großzügig geförderte Luxusherbergen des Aga Khan im Norden der autonomen Insel bescherte, aber keine Absatzmöglichkeiten in der Europäischen Gemeinschaft für sardische Agrarprodukte, von denen die Mehrheit lebt. Sardische Prestigeobjekte sind im Süden der Insel die auf dem kargen Boden errichteten Raffinerien und Äthylenfabriken, wiederum ohne weiterverarbeitende Industrie und Ballungsraum. Diese wenigen Arbeitsplätze haben nichts an der Tatsache geändert, daß 300000 Sarden auf dem Festland arbeiten müssen, kaum etwas an den Eigentumsverhältnissen im Großgrundbesitz trotz 13 DC-Kabinetten in Cagliari seit 1969. Auch der Ausgang des Ehescheidungs-Referendums richtete sich gegen die Reaktion und ihre unheilige Allianz mit den Missini. Die Italiener entschieden für eine moderne Gesetzgebung ohne Bevormundung.

Trotz des Terrors war Italien 1974 weit entfernt von einer Situation ähnlich der von 1920 bis 1922. Der Antifaschismus war im Bewußtsein breiter Schichten verankert und organisiert, und. die Lage im Mittelmeer nahm entgegen allen Hoffnungen der Missini, des griechischen Regimes und fanatischer Militärs keine Entwicklung nach rechts, sondern Richtung auf Entfaschisierung und Demokratisierung. Damit brachen außeritalienische Positionen der Faschistischen Internationale zusammen, besonders nach dem Umsturz in Portugal.

Die Lösung für Italien? Welcher Beobachter könnte Analyse und Prognose besser zusammenfassen als Sandro Pertini, Präsident der italienischen Abgeordnetenkammer 1975, Sozialist und ehemaliger aktiver Partisan: Er wies auf die Unterschiede zwischen 1922 und 1974 hin. Die Arbeiterbewegung stelle keine maximalistischen Forderungen mehr, sondern sei realistischer geworden, konkreter orientiert, es sei keine Kriegszeit und die Verfassung ein gutes Instrument, deren tote Buchstaben es mit Leben zu erfüllen gelte. »Wir haben«, so Pertini über die Fehler seit 1946, »die Landflucht nicht verhindert, im Wirtschaftswunder keine Umverteilung der Lasten vorgenommen und keine gerechte Gesell-

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schaft nach den Idealen der Resistenza geschaffen, deren Inhalte in Schulen im Lande noch heute nicht gelehrt werden. Die Resistenza war keine Revolution, sondern eine soziale Erneuerungsbewegung für ein verändertes Italien. Heute, als Kammerpräsident, sage ich, daß wir damals keine Erneuerung, sondern im Namen der Kontinuität des Staates eine Restauration erlebten und somit die letzte Schlacht verloren haben. Die italienische Geschichte ist eine kontinuierliche Folge von Restaurationen, von faschistischen Bürokratien, von tradierter präfaschistischer Classe Politica, von Niederlagen der Arbeiterklasse, der aus gemeinsamer Angst vor Neuerungen das Mitspracherecht verweigert wurde, von versäumten Reformen. Wenn sie uns gesagt hätten, damals in den faschistischen Kerkern oder im Exil, daß wir 30 Jahre danach in Italien Faschismus, Patienten in Krankenhauskorridoren, Chaos in den Schulen, Baracken statt Häuser haben würden - wir hätten es nicht geglaubt.«73 Italien braucht in der Krise die Solidarität und Hilfe Europas, sekundär in Form von Geld zur Lösung der drängenden Südfrage, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und von Existenzbedingungen, die einem Industrieland und seinem Lebensstandard entsprechen. Aber dies kann nicht ohne die Veränderung der herrschenden Machtstrukturen geschehen, sondern nur durch konsequente Demokratisierung von Gesellschaft und Staat mittels Kontrolle der Institutionen. Die DC, verantwortlich für dreißig Jahre Nachkriegspolitik, hat weder demokratisiert noch entfaschisiert. Während ihr Einfluß auf Wähler abnahm, baute sie ihre Herrschaft in der Staatsindustrie aus, durch die sie administrativ und technokratisch über die Wirtschaft, das Geld und die echten Entscheidungen verfügt. Solange diese Monopolisierung der Macht in den Händen einer einzigen Partei nicht durchbrochen wird, ist Demokratisierung in Italien unmöglich.

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Anmerkungen

KAPITEL I

1   Giorgio Almirante, Rede abgedruckt im Secolo dTtalia vom 8.5.1971

2   Rapporte sulla violenza fascista. S. 145 ff.

3   FAZ, 9.3.1975

4   La Stampa, 28.3.1975

5   Wirtschaftswoche, 22.11.1975

6   Rapporto sulla violenza fascista, S. 31 ff.

7   Panorama, Mailand, 16.1.1975

8   Frankel, Mattei

9   Vgl. Scalfari-Turani, Razza padrona

10   Galli, Sinistra italiana

11   Aufstellung überblickhaft bis 1970 bei Beyme, Politisches System, S. 159

12   La Palombara, Interessengruppen, S. 420

13   Ausdruck von Galli, Bipartitismo imperfetto

14   Süddeutsche Zeitung, 28.3.1974

15   Vgl. Panerai, II Crack

16   Farneti, Sistema politico, S. 211 ff.

17   Almirante-Palamenghi, II MSI, S. 119 ff.

18   Gaddi, Neofascimo, S. 30 ff.

19   Sassoli, Destra in Italia, MSI-Statuten im Anhang

20   Corriere della sera 11.1.1973 und 16.. 1.1973 Artikelserie über CISNAL

21   Turone, Stona del sindacato

22   Almirante-Palamenghi, II MSI, S. 120 ff.

23   Interview CISL-Funktionär, Corriere della sera, 16.1.1973

24   MSI. Direttive e orientamenti di Propaganda. Wahlschrift für die Regionalwahlen April 1971

25   Corriere, 11.1.1973

26   Farneti, Sistema, Beitrag Pizzorno, S. 117 ff.

27   Gaddi, Neofascismo, S. 32

28   Süddeutsche Zeitung, 9.12.1971

29   Koordination der Auslandsarbelt unter Almirante in: MSI - Un anno di lavoro

30   Vgl. Verfassungsschutzbericht 1974

31   Überblick bis 1967 bei Del Boca-Giovana, Fascism Today

32   Aufstellung aller Gruppen und über Fluktuation in Rapporto, S. 360 ff.

33   Zitiert nach Pansa, Borghese, S. 157

34   Vgl. Evola, Gli Uomini, und Pansa, Borghese, S. 178 ff.

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35   Rauti, Italienische Jugend

36   Ebda. S. 181 Vgl. Civiltä, Rivista die Dottrina politica e di Cultura, herausgegeben von Rauti, März/April 1974

37   Zit. nach de Simone, Pista nera, S. 28

38   Zusammenstellung im Rapporto, S. 369

39   Evola, Cavalcare la tigre. Sermonti, Valori corporativi.

40   Ausführlich in Pansa, Borghese, S. 51 ff.

41   Corriere della sera, 12.9.1974

42   La strage di Stato, S. 60 ff.

43   Aus den Rapporto und dem Anhang von Pansa, Borghese, S. 155 ff.

44   Almirante-Palamenghi, II MSI, S. 123

45   La Stampa, 20.11.1973, und Vorwärts, 3.10.1974

46   Wahlerklärung von 1972, MSI-Sektion, Rom

47   Vgl. Moore, Ursprünge, S. 513. Bilddokumentation im Rapporto

48   Corriere della sera, 6.9.1974

49   MSI, IX. Kongreß, Rede Almirantes

50   Tedeschi, Destra Nazionale

51   Sermonti, Civiltà, n. 4, 1974, S. 12

52   Vgl. Kühnl, Faschismus

53   Almirante-Palamenghi, II MSI, S. 132 ff.

54   Vgl. Priester, Faschismus, über Charakter des nationalen Syndikalismus

KAPITEL II

1   Salvatorelli-Mira, Storia del fascismo

2   Zangrandi, Viaggio attraverso il fascismo

3   Fascismo e antifascismo

4   Mammarella, Italia, S. 51 ff.

5   Kirckpatrick, Mussolini

6   Mammarella, Italia, S. 23

7   Chabod, Entstehung des neuen Italien

8   Geschichte der RSI aus Sicht eines Sympathisanten Cione, Storia della RSI

9   Catalano, L'Italia

10   Pansa, L'esercito di Salò

11   Deakin, Congres de Verone

12   Almirantes RSI-Interpretation in Almirante-Palamenghi, S. 12 ff.

13   Rumi, Programma die San Sepolcro

14   ders. Fascismo delle origini

15   Corradini, La marcia

16   Almirante, La destra avanza

17   Ferrara, Chronache

18   Pansa, L'esercito

19   Text abgedruckt im Corriere della sera, 4.7.1973

20   Mammarella, L'Italia, S. 80 ff.

21   Cione, RSI und Almirante, a.a.O.

22   Chabod, Enstehung

23   Kogan, History of Postwar Italy

24   Vgl. Bonomi, Preludio alla Costituente

108


25   Scopa, Dizionario

26   Meynaud, Parties Politiques

27   Programma dell' Uomo qualunque, Napoli (Broschüre von 1946)

28   Pallotta, II Qualunquismo

29   La Rivolta Ideale, erschien in Rom von 1946 bis 1953

30   La Rivolta Ideale, Dezember 1946

31   MSI - Nota informativa über Almirante

32   Gaddi, S. 15 ff.

33   Ferrara, Chronache

34   Giovana-Del Boca, Fascism today

35   Woolf, La ricostruzione

36   Turone, Sindacato

KAPITEL III

1   Spreafico-La Palombara, Elezioni

2   Franza, MSI in Senato

3   Almirante-Palamenghi, II MSI

4   Galli, Difficile governo

5   MSI dal secondo congresso

6   Falconi, La chiesa

7   Dogan-Petracca, Partiti politici

8   Spreafico-La Palombara, Elezioni

9   Dogan, Unterschiede

10   Falconi, Gedda

11   Ferrara, Cronache

12   II Secolo, August 1957

13   Rauti, Italienische Jugend

14   Mosley, Weg und Wagnis

15   Nilsson, Italy's Opening

16   Murgia, Luglio 1960

17   d'Orsi, Potere repressivo

18   Gorresio, L'Italia

19   Galli, Difficile Governo

20   Farneti, Sistema politico

21   L'Umtà, 4.3.1962

22   Galli, Sinistra Italiana

23   Del Boca-Giovana, Fascism Today

24   Ipsevich-Zampetti, Elezioni

25   Klassenkämpfe in Italien, rororo-aktuell

26   Mammarella, L'Italia

27   Klassenkämpfe. Kursbuch

28   L'affare SIFAR

29   Galli, Governo invisibile

30   Galli, Bipartitismo

109


KAPITEL IV

1   Capecchi, Comportamento elettorale

2   Clough, Economic History

3   Banfield, Backward Society

4   Vöchting, Italienische Südfrage

5   Otto, Südfrage-Entstehung

6   Schinzinger, Mezzogiornopolitik

7   Otto, Strukturwandlungen

8   Meynaud, Classe Dirigeante

9   d'Orsi, Potere repressivo

10   Correre della sera, 25.11.1973

11   Lutz, Italy

12   Schinzinger, Mezzogiorno-Politik

13   Interview Lutz, Corriere della sera, 26.7.1973

14   Veröffentlicht im Corriere, 25.11.1973

15   Corriere della sera, 26.11.1973

16   Corriere della sera, 27.9.1973

17   Adams-Barile, Government, S. 122

18   Compagna in Cuisinier, Problemes

19   d'Agostini, Reggio

20   Vgl. Pantaleone, Mafia

21   Corriere della sera, 10.1.1973. Panorama, 19.7.1973

22   Ferraris, Hundert Tage

23   La Gazzetta del Sud, Monat Juli

24   Zitiert nach d'Agostini, Reggio

25   II Borghese, 12.7.1970

26   Nino Tripodi, MSI, vor der Abgeordneten-Kammer, 16.10.1970, Sonderdruck MSI aus dem Secolo »La Rivolta di Reggio«, Milano (1972)

27   Rapporto, Kapitel über Reggio, S. 67 ff.

28   Tripoldi, zitierte Rede vor der Kammer

29   Farneti, Sistema politico, S. 83

30   II Secolo, 18.10.1971

31   Anzeige u.a. im Corriere, 23.1.1974

32   Parlamentsbericht Corriere, 15.11.1973

33   Allum, Postwar Naples

34   Interview Bürgermeister Milanesi, DC, Corriere, 16.4.1975

35   Corriere, 4.3.1975

36   Rapporto, Kapitel Napoli, S. 117 ff.

37   II Giorno, 2.1.1973

38   Galli, Difficile governo

39   Allum, Italy

40   La Stampa, 15.9.1974

41   Vgl. Del-Boca-Giovana, Fascism Today

42   Caradonna, Diano

43   Libro nero (Hrsg. ANPI), Rom 1974

44   Reportage Corriere, 2.3.1975

45   Rapporto, Kapitel Roma e Lazio, S. 145 ff.

110


KAPITEL V

1   Klassenkämpfe, rororo-aktuell, S. 109 ff.

2   Farneti, Sistema, S. 381 ff.

3   d'Orsi, La Polizia

4   Galli, Difficile governo, S. 249 ff.

5   Giovana, Dismitted MSI

6   Almirante, La destra avanza

7   Zusammengefaßt in: Un anno dl lavoro

8   Galli, Diffidle governo

9   IlSecolo, 20.11.1969

10   IlSecolo, 22.12.1969

11   IlSecolo, 4.3.1970

12   IlSecolo, 6.4.1970

13   IlSecolo, 1.5.1970

14   IlSecolo, 6.6.1970

15   Rapporto sulla violenza fascista

16   IlSecolo, 8.7.1970

17   Un anno di Lavoro

18   Zusammenstellung im Rapporto

19   Pansa, Borghese

20   Corriere della sera, 21.3.1971

21   Sonderdruck Rede Almirante, MSI, 1971

22   Galli, Difficile governo, S. 233

23   Corriere und Stampa, Juni 1971

24   Gaddi, Neofascismo, S. 17

25   Wahlsystem in Sternberger-Vogel, Wahl des Parlaments

26   Plebe, Filosofia

27   Vgl. Galli, Destra internazionale

28   La Destra. Mensile internazionale di Cultura e Politica. Nummer 1, Dezember 1971 ff.

29   de Simone, Pista nera

30   IlSecolo, 20.3.1972

31   Almirante, La destra avanza

32   IlSecolo, 2.5.1972

33   Ipsevich-Zampetti, Elezioni

34   Vgl. Speafico-La Palombara, Elezioni

35   Capecchi, u.a. Comportamento elettorale

36   Giovana, MSI Gains

37   Farneti, Sistema, Tabelle S. 100

38   Rapporto, Zusammenstellung faschistischer Blätter S. 369 ff.

39   Corriere della sera, Bericht über Untersuchung der römischen Universität Pro Deo, 4.7.1972

40   Deutsche Presse Agentur, 4.5.1975 über eine regierungsamtliche Untersuchung in Palermo

41   Murualdi, P., Come si legge un giornale, Bari 1975

42   Bütler, Provinz im Pressewesen

43   Nicola Matteucci, Grande coalizione, in: II Mulimo XX, 1971, n. 213, S. 3 ff.

44   II Messagero di Roma, 15.3.1971

45   La strage di Stato (anonym)

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46   Corriere della sera, 14.7.1972

47   Tamburrano, G., Cronaca e storia del Centrosinistra, Milano 1971

48   de Simone, La pista nera

49   Almirante, La destra avanza

50   d'Orsi, La polizia

51   Del Boca-Giovana, Fascism Today

52   Corriere della sera, 1.9.1949

53   Bellavita, Cinque polizie

54   De Benedetti, Potere militare

55   Farneti, Sistema, S. 463 ff.

56   Zitiert nach Tempo, a. 34. n. 16,13.4.1972

57   Corriere della sera, 4.6.1972

58   Corriere, 19.4.1974

59   Prozeßbericht Corriere, 11.4.1975

60   Corriere 12.9.1974. Gaddi, Neofascismo. La Stampa, 21.11.1973, Prozeßbericht gegen Ordine Nuovo

61   Espresso, 15.9.1974. La Stampa, 7.9.1974

62   La strage die Stato

63   Chronologie zusammen gestellt im Corriere, 15.6.1974

64   Corriere, 14.8.1974

65   La Stampa, 20.6.1974

66   Corriere, 12.9.1974

67   Panorama, 15.11.1974

68   Corriere, 22.11.1973. Panorama, 31.1.1974

69   Corriere, 24.1.1974

70   Ebda.

71   Corriere, 20.7.1974

72   L'Astrolabio, 31.5.1974

73   Interview Pertini La Stampa, 20.4.1975

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In der EUROPÄISCHEN VERLAGSANSTALT erschienen George W. F. Hallgarten / Joachim Radkau

Deutsche Industrie und Politik

von Bismarck bis heute 1974 • 576 Seiten

Die Autoren belegen unter Verwendung umfangreichen wissenschaftlichen Materials - einschließlich vieler bisher unbekannter Archivmaterialien - den bis heute ungebrochenen Einfluß der Industrie auf die Politik. Sie beweisen, daß die Konzerne am Zustandekommen des 1. Weltkrieges ebenso entscheidend beteiligt waren wie an der Machtergreifung Hitlers und an der Restauration der alten Machtverhältnisse im Verlauf der Nachkriegsgeschichte. Empirische Forschung und theoretische Reflexion sind in diesem Werk, das in einer wissenschaftlichen und zugleich allgemeinverständlichen Sprache abgefaßt ist, eng miteinander verknüpft.

Ernst Fraenkel

Der Doppelstaat

Ein Beitrag zur Theorie der Diktatur

Aus dem Amerikanischen rückübersetzt von Manuela Schöps 1974 • 254 Seiten

Ernst Fraenkels „Doppelstaat" ist eine der großen Analysen des faschistischen Herrschaftssystems in Deutschland. Die Unterscheidung zwischen „Normenstaat" und „Maßnahmenstaat" ermöglicht eine differenzierte und theoretisch fundierte Untersuchung der Rolle von Recht und Justiz im Nationalsozialismus. Klar herausgearbeitet werden die historischen, sozialen und ökonomischen Grundlagen und die Rechtstheorie des Doppelstaates. In allen Teilen des Buches wird offenbar, welch hohes Maß an Verantwortung gerade Rechtswissenschaftler und praktische Juristen für die Entfaltung des Nationalsozialismus in Deutschland getragen haben.

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Zum Thema Faschismus erschienen u.a. in der EVA: basis Studienausgaben

Faschismus und Kapitalismus

Theorie über die sozialen Ursprünge und die Funktion des

Faschismus

Herausgegeben von Wolfgang Abendroth

Eingeleitet von Rüdiger Griepenburg, Jörg Kammler und

Kurt Kliem

1972 • 17.-19. Tsd. 1974 • 188 Seiten ■ kartoniert

Der Faschismus in Deutschland

Analysen der KPD-Opposition aus den Jahren 1928-1933 Eingeleitet und herausgegeben von der Gruppe Arbeiterpolitik

1973 • 220 Seiten • kartoniert

Leo Trotzki

Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?

Eine Auswahl aus den Schriften über Deutschland Eingeleitet von Ernest Mandel Herausgegeben v. Helmut Dahmer 1971 • 300 Seiten ■ kartoniert

Modelle für den politischen und sozialwissenschaftlichen Unterricht

Anneliese K. Schuon-Wiehl Faschismus und Gesellschaftsstruktur

Am Beispiel des Aufstiegs des Nationalsozialismus Modell 5 • 1970 ■ 3. Auflage 1973 ■ 104 Seiten • kartoniert

Lutz Krauß, Michael Imhof

Das Rechtskartell in der Bundesrepublik

Modell 17 ■ 1972 • 125 Seiten und 2 Klapptafeln ■ kartoniert

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Demokratischer Sozialismus in Theorie und Praxis

Herausgegeben von Günter Grass, Eberhard Jäckel und Dieter Lattmann.

Willy Brandt, Bruno Kreisky, Olof Palme Briefe und Gespräche 1972 bis 1975

1975 • kartoniert ■ ca. 200 Seiten

Drei führende europäische Sozialdemokraten legen hier das Dokument eines

mündlichen und schriftlichen Gedankenaustausches vor.

Volker Hauff, Fritz W. Scharpf Modernisierung der Volkswirtschaft

Technologiepolitik als Strukturpolitik 1975 • kartoniert • ca. 180 Seiten

Horst Heimann Theoriediskussion in der SPD

Ergebnisse und Perspektiven 1975 • kartoniert • ca. 200 Seiten

Als weitere Veröffentlichungen der Reihe sind u.a. vorgesehen

Freimut Duve Soares-Mitterrand-Mangakis

Ein Interviewband zu den Grundwerten des Sozialismus

Heinz Rappe, Helmut Schieber Was ist der Wert des Geldes wert?

Marie Schlei, Dorothea Brück Wege zur Selbstbestimmung

Sozialpolitik als Mittel der Emanzipation

Anke Riedel-Martiny, Otfried Klein Markt und Manipulation

Der Verbraucher als Objekt zwischen Wirtschaft und Werbung

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Die Autorin stellt Geschichte, Programmatik und Organisationsformen des Neofaschismus dar. Untersuchungsobjekt ist das faschistische Movimente Sociale Italiano (MSI), seit 1972 viertstärkste Partei im italienischen Parlament. Es wird aufgezeigt, wie das MSI mit ausgeklügelter Aktionsideologie, scheinbar honoriger Parlamentsvertretung und gleichzeitiger Kumpanei mit bombenlegenden Terroristen das Land durch eine »Strategie der Spannung« verunsichert. Dabei beruft sich der offizielle Parlamentsfaschismus auf Mussolinis späte faschistische Republik. Die politische und institutionelle Krise kommt ihm entgegen. Zu den Charakteristika des Systems und den gesellschaftlichen Antagonismen zählen die ungelöste Südfrage, aus der das MSI Kapital schlägt, die ungesunde Wirtschaftsstruktur, die schwerfällige zentralistische Bürokratie, ein unmoderner und realitätsferner repressiver Apparat in Polizei und Armee, schwierige Mehrheitsfindung sowie die ideologische Polarisierung zwischen Katholizismus und Kommunismus.

Über die Autorin:

Petra Rosenbaum studierte Geschichte, Politische Wissenschaft, Italianistik und Kunstgeschichte. Sie arbeitet zur Zeit als freie Journalistin und Bonner Korrespondentin des Mailänder Nachrichtenmagazins »Panorama«.