e-mail

home

zurück zur Artikelübersicht

Neofaschismus
in Italien


aus: DER RECHTE RAND Nr. 84 Sep./Okt. 03, S.22-23

Demontage der Demokratie

Gäbe es ein Rating für die Demokratie, Italien würde in die B-Liga absteigen. Denn seitdem Silvio Berlusconi mit seiner Unternehmens-Partei „Forza Italia“ im Mai 2001 die Wahlen gewonnen hat und gemeinsam mit der rechtspopulistischen „Lega Nord“, den Postfaschisten von „Alleanza Nazionale“ sowie der rechtskonservativen DC-Nachfolgepartei „Unione di Centro“ regiert, schneidet er Tag für Tag ein Stück Demokratie ab.
Von Günther Pallaver

Kennzeichen liberaler Demokratien sind nicht nur freie Wahlen, sondern auch die Anerkennung von Grund- und Freiheitsrechten, Gleichheit vor dem Gesetz, Unabhängigkeit der Justiz, eine pluralistische Gesellschaft - wozu auch die Medien gehören - sowie die Kontrolle der Streitkräfte durch eine demokratische Regierung.

Berlusconi, der jeden politischen Gegner als Kommunisten denunziert und ständig betont, die liberale Demokratie vor dem totalitären roten Zugriff gerettet zu haben, setzt seit seinem Machtantritt genau jene Mittel und Methoden ein, die er den Gegnern angeblich entrissen hat, um Italien vor dem Untergang zu retten.

In Italiens Verfassung, aber genauso in der UNO-Charta oder in Zukunft auch in der EU-Verfassung ist das Prinzip der freien Wahlen verankert. Frei bedeutet, dass es bei der Wahlentscheidung eines jeden Einzelnen zu keiner wie immer gearteten Beeinträchtigung kommen darf. Aber die Wahlen in Italien waren nicht frei, weil das mediale Übergewicht Berlusconis den Wählerwillen einseitig beeinflussen konnte. Es herrschte keine Gleichheit der politischen Informationsmöglichkeit. Aber genauso wie in den europäischen Ländern der Konsument geschützt wird und nicht der Produzent (zumindest formal), weil er das schwächere Glied in der Kette ist, genauso müsste der Wähler als Konsument vor einseitiger politischer Information geschützt werden. In Italien hingegen wird der Produzent solcher Informationen geschützt.

Allein schon aus diesem Grund wäre es berechtigt zu behaupten, dass die elektorale Demokratie in Italien aus den Angeln gehoben worden ist. Aber schauen wir uns auch noch die anderen Grundprinzipien liberaler Demokratien an, wie etwa die Gleichheit vor dem Gesetz. Gegen dieses Prinzip hat Berlusconi seit Anbeginn verstoßen. Gegen ihn sind eine Reihe von strafrechtlichen Verfahren anhängig, die mit seinen vielen Geschäften zusammenhängen. Dank seiner breiten Mehrheit im italienischen Parlament hat er für sich und seine Mitstreiter eine Reihe von Gesetzen verabschieden können, die ihm heute völlige Straffreiheit garantieren. So ist es neuerdings verboten, gegen einen amtierenden Regierungschef ein Gerichtsverfahren einzuleiten.

Das Gesetz wirkt sogar rückwirkend. Solange Berlusconi Regierungschef ist, könnte selbst dann nicht gegen ihn vorgegangen werden, wenn er vor seiner Amtszeit ein Gewaltverbrechen begangen hätte. Um dem Gesetz den Anspruch eines allgemeinen Prinzips zu verleihen, wurden in dieses Privileg auch noch der Staatspräsident, die beiden Präsidenten von Kammer und Senat sowie der Präsident des Verfassungsgerichtshofes miteinbezogen.

Auch die Unabhängigkeit der Justiz steht in Italien auf dem Spiel. Die Politik greift immer öfter, immer unverschämter in den Justizbereich ein. Richter und Staatsanwälte werden politisch eingeschüchtert, parlamentarische Kommissionen sollen Urteile von angeblich „aufwieglerischen Richtern“ überprüfen, denn die (angeblich kommunistische) Mehrheit von ihnen würde aus rein politischen Gründen gegen Berlusconi und seine Mitstreiter vorgehen. Die ständige politische Einmischung und Einschüchterung verletzt dadurch den von der Verfassung festgelegten Grundsatz der Gewaltenteilung, aber auch den Instanzenzug der Justiz.

Von der Beeinträchtigung des WählerInnen-Willens durch die Medien war bereits die Rede. Nicht genug damit, die derzeit anstehende Reform der staatlichen Rundfunkanstalt RAI sieht eine weitere Liberalisierung im TV-Sektor vor. Bis heute dürfen die Eigentümer der drei gesamtstaatlich ausstrahlenden TV-Anstalten (wie Berlusconi), keine Tageszeitung besitzen. Außerdem gibt es ein Limit für Werbeeinnahmen. Dies soll nun abgeschafft werden. In Zukunft wird Berlusconi mit den Gewinnen aus seinen Fernsehanstalten auch die großen, zum Teil noch kritischen Zeitungen aufkaufen können. Und schließlich werden auch die Werbelimits fallen.

Als sich im Juli 2001 in der Hafenstadt Genua die Regierungschefs der G8-Gruppe trafen, kam es zu Ausschreitungen zwischen den Polizei- und Streitkräften und der Noglobal Bewegung. Ein Aktivist wurde von einem Polizisten (aus Notwehr?) erschossen. Die Ordnungskräfte provozierten Verhaftungen durch selbstgelegte Bomben, wüteten unter den friedlichen Demonstranten und setzten ihre Grundrechte außer Kraft. Amnesty International klagte Italien an, elementare Menschenrechte verletzt zu haben. Aber anstatt die verantwortlichen Polizei- und Streitkräfte zur Rechenschaft zu ziehen, verteidigte die Regierung Polizei und Militär, nicht aber die eigenen Bürger.

Berlusconis Politik eines „italienischen Wunders“ bleibt reine Ankündigung. Die Wirtschaftsdaten sacken ständig weiter ab, statt Aufschwung gibt es Rezession. Hinter den leicht verbesserten Arbeitslosenzahlen verstecken sich Gelegenheitsarbeiter ohne soziale Absicherung. Das Pensions- und Sozialsystem wird demontiert und privatisiert. Das Bildungssystem wird ausgehungert, die Kultur ausverkauft und versilbert, die Umwelt vermarktet.

Die restriktive Einwanderungspolitik ist desaströs. In Italien macht sich immer mehr ein liberalistischer Sozialdarwinismus breit. Berlusconi betreibt in Italien eine Politik, die hin zu einem sanften, opulenten TV-Autoritarismus führt.