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Neofaschismus
in Italien


Aus: Der Rechte Rand Nr.28, Mai/Juni 1994, S. 22-23

Andrea Colombo
Italien: Die letzte Wende des MSI


Gianfranco Fini:
„Für Italien ist der Föderalismus ein zu großes Risiko." Aber die Basis des neuen MSI erliegt der Faszination Bossis

Nachfolgender Artikel erschien am 30.1.94 in der unabhängigen kommunistischen Tageszeitung „il manifesto". Er zeigt die Widersprüche der offiziellen Politik des Parteiführers Gianfranco Finis und der Basis des MSI auf.
Ende März 1994 kam es zum triumphalen Wahlsieg des Bündnisses aus Forza Italia, Lega Nord und der MSI-Nachfolgeorganisation Alleanza Nazionale. Der italienische Leo Kirch, der Medienzar Silvio Berlusconi ist somit der neue Ministerpräsident Italiens. Eine historisch einmalige Situation wurde geschaffen: Das erste Mal nach Ende des 2.Weltkrieges führt eine gewählte Rechtskoalition, die nicht aus dem bürgerlichdemokratischen Spektrum stammt, eine europäische Regierung. Ohne übertrieben reagieren zu wollen, muß doch darauf hingewiesen werden, daß der historische Faschismus in Italien seinen Anfang genommen hatte. Die Zukunft wird erweisen, inwieweit Italien auch diesmal  wieder Modellcharakter für Europa haben wird.

Rom - Die neue Rechte weist den Föderalismus zurück. Auf dem Bankett des Verlagshauses Settimo sigillo (Siebtes Siegel) tritt „Contro la Lega"-Autor Lillo Ragno hervor. Gianfranco Fini stimmt ein: „Italien", erklärt er auf der Pressekonferenz," hat keine ausreichend solide nationale Identität." Zwischen „Föderalismus und verschärftem Zentralismus" schlägt er deshalb eine Vermittlung vor: Weg mit den Regionen und Provinzen, maximale Bedeutung für die Kommunen und Schaffung eines „territorial homogenen" Bereiches.

Unter die Vorrechte dieser Letzteren würde die Möglichkeit zurückkehren, Steuern einzuführen und aufzuerlegen - unter der Bedingung, daß die lokale Steuermacht dabei nicht in eine Erhöhung der Steuerschuld umschlägt. Richtig betrachtet ist die Tür mehr angelehnt als verriegelt, auch weil Gianfranco Fini darüber besorgt ist, einen weitergehenden Tadel zu lancieren. „Der Föderalismus", erklärt er, „ist vor allem beim Fehlen eines Kittes wie eines starken Präsidenten gefährlich." Wie um zu sagen, daß das lokalistische Schlachtroß der Nordischen (= Lega Nord + Anhänger/d.Ü.) und das präsidentialistische der Neo-MSI'ler sich eines Tages treffen könnten.

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Umberto Bossi, Chef der Lega Nord

Aber trotz des nach unten zeigenden Daumens gegen den „Conducator" (Lega- Chef Umberto Bossi /d.Ü.) scheint den Jugendlichen der post-MSI-Basis der Carroccio (= das Lega-Symbol /d.Ü.) durchaus nicht zu mißfallen, weder jenen die mit Begeisterung in die neue Gruppierung (Alleanza nazionale /d.Ü.) übergegangen sind, noch den zahlreicheren, die ihre reichlich vorhandenen Zweifel kaum verbergen. „AN ist in Ordnung, aber unter der Bedingung, daß es nicht der Pol der Moderaten und der Konservativen wird", erklärt Roberta Angelillo, Provinz-Sekretärin der Fronte della gioventu (Jugendfront) in Rom, das Keltenkreuz um den Hals und ansonsten nichts, was sie von einer Militanten der Linken unterscheiden würde. Sie ebensowenig wie die vielen anderen Mädchen, die den letzten Kongreß des MSI füllen.

„Jetzt", fährt sie fort, „spricht auch Fini von Überwindung des Neofaschismus und von Solidarität. Das was wir seit Jahren sagen und bis jetzt nicht sonderlich erhört worden ist." Für sie ist der lombardische Barbar sehr viel eher ein potentieller Verbündeter als ein gefährlicher Antagonist. (Antagonismus = die Position, daß es unüberbrückbare Widersprüche gibt /d.Ü.) "Ich glaube nicht, daß er wirklich drei Kleinstaaten will; und was die Solidarität anbelangt, die darf sicher nicht durch Assistenzialismus (= staatlicher Beistand im sozio-ökonomischen Bereich; bedeutet in Italien maximal aber auch: korrupte Gefälligkeitswirtschaft /d.Ü.) gekennzeichnet sein."

„Im Norden", erklärt ein anderer Militanter der Fronte, „ist die Lega für die Unsrigen ein Problem. Sie hält sehr direkte Reden mit großer Aufprallwirkung an die Leute, ein bißchen so wie wir es hier in Rom gemacht haben."

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Alessandra Mussolini

Auch ihn begeistert die Alleanza nazionale nicht. „Aber nunmehr", schließt er, „sind wir drinnen und wir werden hierbleiben, ohne darauf zu verzichten unsere Themen ein-/ rüberzubringen." Auf die Frage, ob er sich unter dem Etikett „moderate Rechte" wohlfühlt, ist die Antwort ein von Herzen kommendes 'Nein'.

Das Unwohlsein des MSI wird nicht ans Tageslicht kommen, aber es regt sich untergründig und hat verschiedene Seelen. Jene der
Jungen, die in den vergangenen Jahren den Traum eines rechten Antikapitalismus verfolgt haben, haben ihre Schlachten gegen die politische Gefangenschaft geführt und in den Kleidern eines italienischen Chirac (= der Chef der französischen gaullistischen Partei RPR /d.Ü.) fühlen sie sich eingeengt. Und jene der gewöhnlich, aber nicht immer, bejahrten Nostalgiker. Massimo z.B. ist erst 21 Jahre alt und Sekretär der Fronte in der Nähe von Salerno. Er versteht alle politischen Gründe des Sekretärs (Fini /d.Ü.) „aber diese AN", schwört er betrübt/verbittert, „könnte ich weder unterstützen noch wählen. Ich bin Faschist, wenn auch nicht gewalttätig. An den MSI hatte ich sehr geglaubt, er ist jedoch wie die anderen.

Es gibt das Mehrheits Wahlrecht? Egal. Lieber hundert, aber wahre!" Jugendlicher Enthusiasmus. Für die alten MSI'ler bedeutet das Wahldiktat - und wie! Sie machen sich Luft, indem sie in Ovationen ausbrechen als der legendäre Tassi spricht, dunkelblaues Hemd anstelle des üblichen groben Wollzeugs, aber die schwarze Krawatte gut sichtbar, und er zieht gegen Feinde und mögliche Verbündete - die Legisten im Hinterkopf - zu Felde. Tassi schließt mit dem gehobenen rechten Arm und einem schallenden „Viva l'Italia". Die ex- MSI'ler applaudieren frenetisch, als ein Fotograf das aufnimmt, verdunkelt ein Junge vom Ordnungsdienst schnell das Objektiv, wodurch er den verständlichen Zorn des Kameraden Italo Ortolani heraufbeschwört.

„Tassi ist ein MSI'ler", ruft er, „und ich bin seit 40 Jahren im MSI. Aber sind wir denn alle verrückt geworden mit dieser Alleanza
nazionale?" "Aber ja", gibt Marco Marsilio, Leiter der Fronte für den Bereich Schule und Stadtrat (des MSI /d.Ü.) in Rom, zu, „einige Beunruhigung gibt es, dieselbe die der PCI (= die ital. KP /d.Ü.) zu Zeiten seines Bologneser Parteitages erlebte (als die Mehrheit der Partei 1990 dem Kommunismus endgültig abschwörte und sich in Demokratische Partei der Linken, PDS, umbenannte /d.Ü.). Für die Identität ist das Mehrheitswahlrecht eine Gefahr, auch deshalb wollten wir es nicht. Es hat jedoch einen Vorteil: Es zwingt uns aus dem Gehäuse/der Hülse herauszukommen.

Und im MSI sind viele, die im Gehäuse der Nostalgie und des Veteranentums/Frontkämpfertums gelebt haben, einige ziehen daraus auch persönliche Vorteile." Es wird zwar einen Bologneser Parteitag von rechts geben, eine neofaschistische Neugründung (Rifondazione neofascista = Anspielung auf die 1990 entstandene Rifondazione comunista, die jetzt bei den Parlamentswahlen landesweit 6% erreichte und der „il manifesto" nahesteht /d.Ü.) ist jedoch nicht zu befürchten. Der Lorbeer für Tassi ist der maximale Dissens, den die Basis sich erlaubt. Alessandra Mussolini kehrte an das Rednerpult zurück, erwärmte das Publikum indem sie proklamierte, daß die Regierungsallianz nicht den Preis der Identität kosten kann, dann bezog sie die Position des Sekretärs (Fini /d.Ü.). Auch Pino Rauti wird heute nicht weitergehen.

Während die Nostalgiker schnauben, wenn von Bossi die Rede ist, denken die Pasdaran (= die iranischen Revolutionswächter /d.Ü.) der Allianz stattdessen in der Substanz genau wie die Jungen von der Fronte. Ferdinando, blonder Schnur- und Spitzbart, saß auf der Bank des „Zirkel Neue Rechte für AN". „Wir haben uns", erzählt er, „sofort nach dem ersten Wahlgang der letzten Kommunalwahlen (im November 1993 /d.Ü.) formiert.

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Anhänger des MSI bei einer Großdemonstration in Rom im Oktober 1992

Vorher waren wir nicht im MSI aktiv und viele waren überhaupt nicht aktiv. Jetzt sind wir ungefähr 80, fast alles junge Leute. Und aus Zirkeln wie diesem in Rom sind mehrere entstanden." Über Föderalismus kann man seiner Meinung nach diskutieren, wenn nur klar ist, daß es sich nicht um Sezession handelt.

Eine Sache ist sicher, auch wenn nicht alle es eingestehen: Bossi ist hier populärer als (der neue Ministerpräsident /d.Ü.) Silvio
Berlusconi. „Es hat mir nicht gefallen, als er begonnen hat, in die Politik zu gehen", sagt Roberta Angelillo, „und es gefällt mir auch
jetzt nicht besonders, auch wenn es mir ehrlicher und weniger gekünstelt als bei vielen anderen erscheint." Ansichten wie ihre kann man an der Jugendbasis, der aktivsten und militantesten, nach Belieben sammeln. Fini verteidigt zum Ausgleich den wahrscheinlichen Verbündeten mit gezücktem Schwert.

„Ich bin nicht der Ansicht, daß er von der Mami begünstigt worden ist, daß er nur einen faktischen Zustand wahrgenommen hat (um
reich zu werden /d.Ü.). Man kann Berlusconi nicht kritisieren, wenn er weitblickender und mutiger als die Anderen gewesen ist." Was die ehemaligen Christdemokraten um Mastella und Casini angeht (die sich dem Bündnis Lega - Forza Italia - Alleanza nazionale - Radikale Partei von Panella, als kleinster Partner, ebenfalls angeschlossen haben /d.Ü.), verspricht Fini, daß seine Formation keinen, gegen den ermittelt wird, unterstützen wird. Einige Umfragen geben der kaum formierten Mannschaft (von Alleanza nazionale /d.Ü.) um die 10%, er betrachtet die Angabe als unterschätzt (und hat Recht behalten: 13,4% bei den Wahlen! /d.Ü.): „Wie auch immer, das ist erst der Start." Für die Ankunft zählt der Koordinationssekretär der AN auf etwas substanzielleres. Und wenn er es erreicht, wird ihm kein Unwohlsein mehr Sorgen machen.