land in sicht ordnungswidrige aktionstage 16. bis 22. august 2002 in hamburg

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Bericht vom Rhein-Main-Treffen am 01.03.2002 zum Land-In-Sicht-Camp (Schill-Y-out-days)

06.03.2002 - Frankfurter Vorbereitungskreis

Zu dem Treffen in Frankfurt wurde über mailing-listen eingeladen sowie gezielt Menschen und Gruppen angesprochen, die bereits Interesse an dem Land-In-Sicht-Camp bekundet hatten. Es wurde noch nicht größer und öffentlich eingeladen, weil das Stattfinden des Camps noch nicht 100% gesichert war. Auf dem Treffen waren 15 Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet, weitere haben grundsätzliches Interesse bekundet, aber aus Zeitgründen ihr Kommen abgesagt.

Berichtet wurde über die Entstehungsgeschichte der Idee eines Land-In-Sicht-Camps und über die drei weiteren in diesem Jahr stattfindenden Camps. Berichtet wurde vom ersten Land-In-Sicht-Treffen in Hamburg und den dort stattgefundenen Diskussionen (von diesem Treffen gibt es ein Protokoll). Daraus entwickelten sich Diskussionen über Schill, das besondere oder gar-nicht-besondere an ihm und über die Motivationen zu einem Camp nach Hamburg zu fahren. Dies wird ausschnittsweise nachfolgend wiedergegeben.

Thesen und Diskussionen

Einmalige Wahlerfolge von rechten/rechtspopulistischen Parteien bei Landtagswahlen mit 10-25% sind nichts außergewöhnliches. Etwas besonderes an Schill ist, dass bei ihm der demokratische Konsens, mit rechten Parteien keine Regierung zu bilden, aufgebrochen wurde. Schill hat die Möglichkeit sich als Innensenator und mit seiner Partei längerfristig zu etablieren (ähnlich wie die Lega Nord in Italien?), also ggf. wiedergewählt zu werden. Die Chancen dazu wurden dennoch eher schlecht eingeschätzt. Sein Wahlerfolg war und ist in der Debatte - eine Auseinandersetzung mit dem Wahldebakel der linken Regenbogenfraktion gab es im Gegensatz dazu nicht.

Ein-Mann-Parteien scheinen etwas Hamburg-spezifisches zu sein. Vor der Schill- gab es dort die Statt-Partei. Ein-Mann-Parteien stehen und fallen mit der Person. Bei Haider ist es nicht anders. Was steckt dahinter, wenn Menschen einen solchen autoritären Typen wählen?

Schill wurde gewählt von der Mittelklasse. Dies ist ein Indiz für die These "Je weniger man hat, desto weniger Bullen/Sicherheit braucht man zur Bewachung des eigenen Portmonees". Schills Wähler wohnen größtenteils im so genannten Speckgürtel in den Außenbezirken Hamburgs -, also in den spießigen Gegenden, wo jedes Haus eine Alarmanlage hat, wo es in den letzten Jahren fast keine Diebstähle und keine Kriminalität (die, gegen die Schill antrat) gab. Diesem Klientel und seinen vollen Kühlschränken sollten wir während des Camps einen Besuch abstatten.

Schill hat kein gesamtgesellschaftliches Programm wie die etablierten Parteien. Schill besitzt keine Programmatik beispielsweise zu Wohnen, Schule, Sozialpolitik, nichts zu gesellschaftlicher Organisation, sondern nur "law and order" und gegen Filz und Korruption der 40 Jahre lang regierenden Hamburger Sozialdemokratie. Schill bietet einfache Lösungen an. Damit verbreitet und stabilisiert er reaktionäres Gedankengut.

Schill ist der Schimanski-Typ, der auch mal über die Stränge schlagen darf. Er braucht nicht moderat zu sein, denn er befindet sich - anders als andere Parteien - nicht in einem Spannungsverhältnis, indem er Vor- und Nachteile abwägen muss. Er kann rücksichtslos seine Linie fahren. Und dabei agiert er schnell. Er kann das, weil er im Gegensatz beispielsweise zur SPD keinen Parteiapparat hat, der erst angeworfen werden muss und sich meist nur langsam bewegt. Schill wurde deshalb mit einem Schnellboot verglichen. Die großen Volksparteien dagegen liegen schwer und nicht so leicht manövrierbar im Wasser. Die Volksparteien (die sich - nach Politologenmeinung - in der Krise befinden) treiben solche Schnellboote vor sich her. Schnellboote können aber auch schnell sinken, indem sich die Partei von selbst auflöst oder die etablieren Parteien deren Positionen übernehmen. Aber die etablierten Parteien haben solche Schnellboote nicht unbedingt nötig. Sie können das, was beispielsweise Schill auszeichnet, genauso gut. Zur hessischen Landtagswahl war es Roland Koch, der mit der Unterschriftenkampagne gegen Einwanderung einen nicht weniger rassistischen Wahlkampf betrieb.

Über Schill wird in der Linken debattiert. "Schill-out-days" ist ein Titel, der die Linke anspricht, aber ist Schill so wichtig? Gibt er überhaupt etwas her für linke Politik? - Rot-Grün hat im letzten halben Jahr 100 Gesetzesverschärfungen durchgesetzt. Dagegen gab es von linken, außerparlamentarischen Kräften kaum Proteste, bzw. diese haben nichts hinterlassen. Rot-Grün betreibt den Sicherheitsstaat und damit einhergehend Repression. Die rot-grüne Regierungspolitik kommt gut weg, wenn Schill in den Mittelpunkt gestellt wird. Rot-Grün sind übrigens - um den schwammigen Begriff nochmal zu benutzen - nicht weniger populistisch, auch sie setzen alles dran, um Wählerstimmen zu holen.

Themenschwerpunkte, Interessen und Motivationen

An Hamburg kristallisiert sich vieles. Mit oder ohne Schill drängt sich der Überwachungs- und Sicherheitsdiskus als Thema auf. In Hamburg wohnten die, die das WTC zum Einsturz gebracht haben. In Hamburg wohnen Fascho-Größen (z.B. Worch). Mit dem Hafen hat Hamburg auch eine Grenze, die ein weiterer Schwerpunkt des antirassistischen Camps werden soll. In unmittelbarer Nähe der Hamburger Sex-Meilen können eine Debatte über Sexualität (anknüpfend an die guten Teile der Diskussionen auf dem Frankfurter Camp 2001) und Überlegungen an neuen Formen antipatriarchaler Praxis in Aktionen aufgehen. Herausgehoben wurde auch der Großstadtflair. Hamburg verspricht großes Publikum und ein großes Diskussionsbedürfnis unter den Teilnehmenden zu allem möglichen. Als Großstadt bietet Hamburg - ähnlich wie Frankfurt 2001 - für uns die Möglichkeit zu irritieren, die Chance den Alltag zu durchbrechen / zu unterbrechen sowie die Aussicht den Normalzustand anzugreifen. In der Metropole, wo die Widersprüche aufeinanderkrachen, kann das Camp kurzzeitig die Situation auf den Kopf stellen.

Auch sollen Diskussionen und Aktionen in den Wahlkampf eingreifen. Stoiber ist nicht Strauß. Eine Kampagne kann heute nicht an "Stoppt Strauß" anknüpfen. Die Parteien, die sich innerhalb des bürgerlichen Rahmens bewegen können, unterscheiden sich unmerklich. Die derzeitige Politik der Bundesregierung wird fortgesetzt werden, entweder von Schröder/Schily/Fischer oder von Stoiber & Co.

In Hamburg können wir eine Auseinandersetzung mit der rassistisch-unterlegten Rauschgiftkriminalisierung/-Repression, dem Umgang mit Dealern und dem Verhältnis der Linken dazu führen; somit auch mit der Verdrängung der Dealer in bestimmte Viertel und die damit einhergehende Bedrohung der Flora durch Repression wegen Dealer und Stimmungsmache der Bevölkerung.

Die Stadtpolitik in Frankfurt unterscheidet sich im übrigen nicht viel von der in Hamburg. Auch die CDU-SPD-FDP-Grüne-Koalition im Römer spricht sich beispielsweise für Sicherheitsdienste und Kameraüberwachung aus. Großes Thema in Frankfurt ist zur Zeit die kontrollierte Heroinabgabe. Bürger/innen, die in unmittelbarer Nähe der geplanten Einrichtung wohnen, äußern offen und in Lynch-Stimmung ihr Missfallen gegen die Verantwortlichen der Stadt, wozu auch die CDU und OB Roth gehören. Es ist genau die Stimmung, die Rechtspopulist Schill aufgreift.

Eine Kontaktaufnahme zu skandinavischen Ländern (auch in Dänemark gibt es eine nicht untätige rechtspopulistische Partei) wurde angeregt.

Es geht weiter...

Schließlich geht es aber auch darum, nicht nur auf die existierende Scheiße zu reagieren, sondern auch zu schauen, was wir wollen. Sowohl theoretische Auseinandersetzung als auch daraus resultierende praktische Handlungsansätze sollen auf dem Hamburger Camp ihren Platz finden. Dort sollen auch eigene Vorstellungen von Politik-Machen, von Organisierung und Selbstbestimmung entwickelt und gelebt werden. Dazu vielleicht nächstes Mal mehr.

Ein Land-In-Sicht-Camp in Hamburg wurde von allen Anwesenden begrüßt. Alle sprachen sich am Ende für die Fortführung des rhein-main-weiten Land-In-Sicht-Treffens in etwa monatlichen Abständen aus. Die Land-In-Sicht-Vorbereitungstreffen versprechen ein Ort der inhaltlichen Auseinandersetzung - und weniger der organisatorischen Vorbereitung - zu werden. Der nächste Termin ist Freitag 5. April, 20 Uhr, im Dritte-Welt-Haus, Falkstraße 74, Frankfurt.

Kontakt: mainfrankfurt@gmx.de