land in sicht ordnungswidrige aktionstage 16. bis 22. august 2002 in hamburg

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Aktionscamp gegen autoritäre Formierung. Bericht und Interview

24.09.2002 - swing

Bis zu 130 Zelte auf dem erkämpften schönen 1000qm-Sandstrand-Gelände im Hamburger Freihafen, bis zu 400 Aktivist/inn/en in der Stadt bei Aktionen unterwegs, über 500 Menschen sind während den 5 Tagen über den Platz, in zahlreiche gut besuchte abendliche Plena, unzählige Veranstaltungen und Workshops gegangen, 90.000 Euro hatten "die Chaoten" laut BILD-Zeitung bereits nach vier Tagen den Steuerzahler gekostet.

Das Camp bestand, wie die fünf Grenzcamps der Jahre 1998 bis 2002, aus einer gesunden Mischung von Diskussionen und Aktionen. Manche mußten in der Vorbereitung regelrecht erkämpft werden. Beispielsweise der Workshop zu Sexualität, in dem gesellschaftliche und persönliche Fallstricke, die mit dem Thema verbunden sind und die Nähe zu Sexismus und Gewalt thematisiert wurden, und unter anderem diskutiert wurde, ob es eine wie auch immer "befreite" Sexualität geben könne oder ob Sexualität immer eine komplizierte Angelegenheit sei, da es ein Bereich ist, in dem mensch psychisch und körperlich sehr berühr- und verletzbar ist.

Beispielsweise auch eine Anti-Kriegs-Aktion in der Fußgängerzone und an einem Kriegerdenkmal in Hamburg-Harburg. Neben solchen kleineren, den Teilnehmenden viel Spaß bereitenden Aktionen gab es auch welche, die in zeitlichem und inhaltlichen Zusammenhang mit dem Camp standen, aber leider nicht mit der Masse des Camps durchgeführt wurden bzw. werden konnten. So gab es ein Fäkalien-Verspritzen gegen Brechmitteleinsätze in einem Gourmet-Restaurant, ein Besuch bei einem der ranghöchsten militärischen Führer der Bundeswehrauslandseinsätze, Flottillenadmiral Gottfried Hoch, dessen Haus und Auto mit Farbe bedacht und demoliert wurden, sowie eine Kundgebung mit Farbbeuteln bei dem SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel, dem Henker von Genua.

Aktionsformen, die sich dadurch auszeichnen, dass man mit vielen aktiv unterwegs ist und zu gegebener Zeit Situationen auch zuspitzt, beschränkten sich auf den antikolonialistischen und antirassistischen Stadtspaziergang sowie die Auftaktkundgebung mit anschließendem Zug durch St. Georg zum Hauptbahnhof, wo innenstädtische Kontrollen und die Privatisierung des öffentliches Raums durch bunte Aktivitäten, beispielweise Federballspielen im Bahnhof, angeprangert wurden. Zu wenig wurden im Vorfeld und auf dem Camp Aktionen gemeinsam vorbereitet und diskutiert. Die Chance durch Aktionen Situationen zuzuspitzen wurde - obwohl sie sich dank Zurückhaltung der Ordnungshüter anbot - womöglich mangels eigener Erfahrungen, Ideen und Vorstellungen nicht genutzt. Gerade die Camps bieten die Möglichkeit, mit Hunderten etwas selbst zu praktizieren, was man bisher nur aus Erzählungen alter Stadtbahn-Aktivist/inn/en kennt.

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Mehrere AktivistInnen geben ein Interview Über Camps in Jena, Strasbourg und Hamburg

1.) eure camps haben eine geschichte. wo seht ihr die zentralen Punkte an denen die entstehung eures jeweiligen camps anknüpft?

Jena: die entstehung der idee, das 5.antirassistische grenzcamp in thüringen zu machen, ist eng verschränkt mit der geschichte der beteiligung von flüchtlingsselbstorganisationen an den camps. in rothenburg beim ersten grenzcamp 1998 waren wir eigentlich ein nahezu rein "weißes" camp. aber schon beim zweiten camp in zittau sind dann selbstorganisierte flüchtlinge dazugestossen. über die kommenden drei jahre wurde die beteiligung größer, aber es gab auch zunehmend kritik am umgang miteinander. nach dem frankfurter camp äußerten die teilnehmenden flüchtlingsorganisationen scharfe kritik. sie hätten sich häufig ausgegrenzt gefühlt, die kommunikation zwischen refugees flüchtlingen) und "nonrefugees" (nichtflüchtlingen) außerhalb von workshops oder veranstaltungen sei mehr oder weniger zusammengebrochen, sie seien nicht wirklich einbezogen gewesen in die strukturen und vorbereitung des camps. aus dieser kritik heraus formulierten sie einen eigenen vorschlag für ein grenzcamp in thüringen. thüringen, weil dort die selbstorganisationen relativ stark sind und sie sich ausrechneten, dort mehr flüchtlinge mobilisieren zu können. schon in der diskussion um diesen vorschlag, der klar auch einen schwerpunkt für das camp setzte, wurde schnell klar, dass der versuch ein wirklich "gemischtes" camp zu machen schon an sich eine neue herausforderung sein würde.

strasbourg: die grenzcampidee wurde ja bereits in den vergangenen jahren auch von gruppen aus anderen ländern aufgegriffenund damit internationalisiert. im sommer 2001 gabs eine kette von camps in südspanien, in ostpolen, in slowenien und in frankfurt. über strukturen des europaweiten antirassistischen netzwerks noborder wurde versucht, inhaltliche und praktische quervebindungen herzustellen und zudem die mobilisierung nach genua, das lag ja mittendrin, miteinzubeziehen. der vorschlag für strasbourg als erstem gemeinsam organisiertem internationalen camp wurde damals ja auch schon verbreitet und fand immer mehr zustimmung. auch über das noborder-netzwerk hinaus gab es schnell weitere gruppen, die sich an der vorbereitung bzw. mobiliserung beteiligt haben.

hamburg: Das Hamburger Land-In-Sicht-Camp knüpft an den antirassistischen Grenzcamps der vergangenen Jahre an, die wiederum für einige eine Fortsetzung des Autonomie-Kongresses 1995 bedeuteten. Insbesondere das letztjährige Grenzcamp im Rhein-Main-Gebiet, das Flair der Großstadt, die durchgeführten Aktionen und die dort geführten Diskussionen, machten uns und anderen Lust auf mehr. Konkret sollen hier zwei Auseinandersetzungen aus dem Camp 2001 in Kelsterbach angeführt werden, die für Teile von uns - der Frankfurter Vorbereitung - Ausgangspunkte waren: Zum einen die Legalisierungskampagne, die Kanak Attak auf dem Camp vorstellte, weil in den folgenden Diskussionen darüber ein antirassistischer Ansatz formuliert wurde, der Interessen von MigrantInnen und die der deutschen Linken am Punkt gemeinsamer Interessen zu verbinden versuchte. Zum anderen der Streit um die Anlaufstelle für Betroffene sexistischer Übergriffe und darin die Frage, wie mensch sich in der gemeinsam verbrachten Woche zusammen vergesellschaften will, also die Diskussion um die sogenannte "Binnenstruktur".

Anlass für die Einladung zu einem ersten Sondierungstreffen für "antirassistische Schill-Y-out -days in Hamburg" waren verschiedene Aspekte: Auf einem Nachbereitungstreffen des Frankfurt-Grenzcamps fiel eine knappe Mehrheitsentscheidung, das 5.Grenzcamp 2002 unter flüchtlingspolitischem Fokus in Jena/Thüringen stattfinden zu lassen. Neben Jena stand Hamburg als Austragungsort zur Diskussion. Ronald Schill zog mit seiner Partei in das Hamburger Stadtparlament ein und wurde Innensenator. Auf den 11.September mit seinen innen- und außenpolitischen Folgen hatten wir keine befriedigenden Antworten, wollten uns aber auch nicht allein auf die Suche danach begeben. Aus diesem Sondierungstreffen im Februar 2002 entstand die Vorbereitung für das Land-In-Sicht-Camp.

2.) was war der schwerpunkt eures camps? und was macht den unterschied zu den anderen camps aus, die diesen sommer stattfanden?

Jena: inhaltliche schwerpunkte waren zum einen die abschaffung der residenzpflicht verbunden mit der zentraleren forderung nach "freedom of movement", die lagerunterbringung und soziale ausgrenzung, die in thüringen nochmal verschärfter als z.b. in hessen stattfindet. die zusammenarbeit mit antifas vor ort klappte wieder recht gut, es war ja auch ein schritt zurück in die "provinz", was für die entscheidung im letzten jahr ein camp in frankfurt zu machen eines der wesentlichen gegenargumente gewesen war. ein weiterer aktionsschwerpunkt bezog sich auf die jenaer betriebe carl zeiss und jenoptik, die optronisches gerät für militär und grenzraumüberwachung herstellen - woran sich exemplarisch die verknüpfung von krieg und abschottung aufmachen ließ. die größte herausforderung stellte sich aber wie vorhin schon angedeutet an der gemeinsamen organisierung von refugees und non-refugees. wir hatten uns in der vorbereitung zweimal einen ganzen tag zeit genommen, um die frage von differenzen, enttäuschungen, verschiedenen sozialen backgrounds verknüpft mit der überlegung, wie kann trotz allem eine gemeinsame organisierung aussehen, was sind gemeinsame perspektiven und was wollen wir eigentlich voneinander, ausführlicher zu diskutieren. aus der überlegung, wie diese debatten ins camp rein verlängert werden könnten, resultierte ein sehr gut vorbereitetes eröffnungsplenum, das - statt sich in organisatorischem zu verlieren - großen wert drauf legte, die ganzen fragestellungen, die in diesen extra-meetings im vorfeld aufgekommen waren, allen zugänglich zu machen.

Strasbourg: der wesentliche inhaltliche bezugspunkt in sachen grenzregime war natürlich der sis-bunker in strasbourg, also die zentrale einer europaweiten fahndungsdatei, die vor allem auf illegalisierte flüchtlinge und migrantInnen zielt. aber wichtiger erschien mir die idee, einen internationalen treffpunkt und einen gemeinsamen diskussions- und aktionsraum zu schaffen, das "laboratorium kretaiven widerstandes", wie es im aufruf genannt war. die internationalität ist schon auch der zentrale unterschied zu allen früheren camps in deutschland, wo zwar auch einzelne internationale "gäste" anwesend waren, aber niemals diese form der vorbereitung zu stande kam. auch die themen waren von anfang an vielfältiger ausgerichtet, also von "freedom of movement" und dem widerstand gegen das grenzregime wurden verbindungslinien zu einigen anderen feldern gezogen, sei es zu globalisierungsfragen oder zum internetaktivismus.

Hamburg: Die Vorbereitung des Land-In-Sicht-Camps war fast ausschließlich von inhaltlichen Diskussionen bestimmt, vor allem über Schill und Rechtspopulismus, Innere Sicherheit und Kriminalisierung, 11.September, Krieg und Menschenrechte, Rassismus, Antisemitismus und der Konflikt zwischen Israel und Palästina, außerdem Sexualität und Sexismus. Die Inhalte unserer Debatte konnten wir - kurz gesagt - unter den Überbegriffen "Autoritäre Formierung" und "Ordnungssysteme" zusammenfassen. Das Äußern unseres Protestes dagegen in "ordnungswidrige Aktionen" war zugleich eine Demonstration unserer Utopie: Fünf Tage Vergesellschaftung im Ferienkommunismus. Dabei haben wir uns bereits in der Vorbereitung von einem ausschließlich antirassistischen Schwerpunkt wegbewegt, hin auf viele Themenfelder der radikalen Linken. Vom Publikum her war Hamburg ein eher deutsches bzw. weißes Camp. Das empfanden viele als Verlust gegenüber Frankfurt, aber man muss auch akzeptieren, dass Migrant/inn/en, auch aufgrund ihrer Lebenssituation andere Bedürfnisse haben als die autonome Linke und dass die linksradikale Szene für viele Migrant/inn/en in Deutschland nicht die attraktivste ist, wenn sie sich nicht ganz direkt Forderungen von Flüchtlingen oder Migrant/inn/en zu eigen macht. Antirassismus spielte - allerdings nicht verstanden als Solidarität mit (Forderungen von) Flüchtlingen - dennoch auf unserem Camp eine große Rolle. Es gab mehrere Aktionen gegen die rassistischen Brechmitteleinsätze, die Rolle der Uni-Klinik Eppendorf wurde thematisiert, es gab eine gute Aktion direkt dort im Rahmen der antirassistischen/ antikolonialistischen Stadtspiele. Eine gut besuchte Veranstaltung von Kanak Attak setzte sich mit der Legalisierungskampagne auseinander. Außerdem gab es eine Kundgebung vor der Ausländerbehörde und eine vor dem Abschiebeknast Glasmoor. Darüber hinaus hatte der gemeinsame Aktionstag des Camps, die "Stadtspiele", sich intensiv mit der Kolonialgeschichte und Rassimus in Hamburg befasst, Denkstrukturen aufgezeigt und Ort benannt, besucht und - oft eher symbolisch - angegriffen, die in der Tradition dieser ausbeuterischen Geschichte stehen.

3.) inwieweit haben sich eure ansprüche umsetzen lassen? wo hat's gehakt? und wo seht ihr punkte an denen sich in zukunft anknüpfen liesse?

Jena: der versuch das camp in praktischen belangen gemeinsam vorzubereiten ist im grunde fehlgeschlagen. es ist nicht gelungen, logistische aufgaben, wie küche, infozelt, schutz... wirklich gemeinsam zu organisieren und auch die mobilsierung von flüchtlingen war nicht so gross wie erwartet. zum einen hat die zersplitterung in so viele projekte in diesem sommer eine große rolle gespielt. dabei war die karawane das projekt, wo wahrscheinlich die meisten energien drinsteckten, die dann in jena fehlten. für die schwächer als erwartete beteiligung von flüchtlingen überhaupt am camp war zum anderen mit sicherheit die kontrollwut der jenaer bullen verantwortlich sowie die massive einschüchterung der leute z.b. im wohnheim in jean-forst, denen erzählt wurde eine beteiligung am grenzcamp würde sich negativ auf das asylverfahren auswirken. darauf haben wir politisch keine antwort gefunden, obwohl die zeichen erstmal nicht schlecht standen, als gleich am ersten abend einer der hauptaktivisten von voice kontrolliert und nachdem er sich mit der begründung er halte diese form von kontrolle für rassistisch geweigert hatte papiere zu zeigen für mehrere stunden festgehalten wurde. abgesehen davon wären wir aber auch logistisch (bereitstellen von zelten und schlafsäcken) überhaupt nicht auf 200 flüchtlinge eingestellt gewesen, die mit uns hätten zelten wollen. die letzte hälfte des camps war von einem heftigen sexistischen übergriff überschattet. zunächst schienen die reaktionen auf den rausschmiss der zwei täter für einen so gemischten zusammenhang sehr ruhig, überlegt und verständnisvoll. im verlaufe eines tages kippte die stimmung zunehmend, die glaubwürdigkeit der betroffenen frau wurde in frage gestellt... es fällt mir schwer so kurz die stimmung danach zu beschreiben. überraschend fand ich, wie bemüht immer wieder vermittelnde einzelgespräche gesucht wurden und wie auch in ganz heftig polarisierten auseinandersetzungen immer noch ganz viele bereit waren, sich immer wieder aufeinander zuzubewegen. die pole bildeten sich zum glück (?) über alle grenzen hinweg. männer verhielten sich z.t. ganz klasse, frauen ober-beschissen, genauso gab's keine polarisierung an der grenze von refugees - non-refugees. gerade an dieser stelle bedürfte es mit sicherheit einer intensiveren gemeinsamen nachbereitung.

Strasbourg: also die erwartungen in sachen mobilisierung und zusammensetzung der campteilnehmerInnen haben sich voll erfüllt. regelmäßig waren bis zu 2000 leute auf dem camp und das aus allen möglichen ländern und verschiedenen zusammenhängen. die zahllosen informellen kontakte und viele der kleineren workshops haben sicher sehr viel positive spuren hinterlassen. doch zum einen gelang es in größeren veranstaltungen selten, wirkliche cross-over-debatten herzustellen, dass also leute mit verschiedenem background tiefergehend diskutieren. es gab zuviel nebeneinander-repräsentation. zum anderen gab spätestens ab mitte der woche ein großes strukturelles problem. die eigentlich gute idee, sich im camp in kleineren "barrios", also verschiedenen campbereichen rund um fünd volxküchen zu organisieren, und sich dann in einem übergreifenden interbarrio zu koordinieren, war erst nur zäh und dann fast gar nicht mehr umzusetzen. die vorbereitunsggruppe war letztlich zu klein und völlig überfordert, und dann gabs ja auch eine ständige fluktuation von leuten, die mit zum teil sehr unterschiedlichen ansprüchen bzw. herangehensweisen angereist sind. die kommunikations- und entscheidungsstruktur konnte auch deshalb keine verbindlichkeit gewinnen und ist späterhin weitgehend zusammengebrochen. entsprechend wurden dann weitere aktionen nebeneinander her vorbereitet, alles lief dann sehr unkoordiniert. es wurde sich aber auch einfach zuviel vorgenommen bzw. gehofft, dass sich das im camp schon noch wird organisieren lassen. an der barriostruktur läßt sich dennoch anknüpfen, wenn vorher verbindlichere absprachen getroffen werden. und inhaltlich sowie praktisch sollte sich die vorbereitung meines erachtens auf wenigere und dann aber klarere inhaltliche und praktische projekte konzentrieren.

Hamburg: Wir sind mit dem Anspruch angetreten, Auseinandersetzungen, die derzeit in der radikalen Linken geführt werden, während des Land-In-Sicht-Camps aufzugreifen, um sie ernsthaft mit vielen gemeinsam zu führen und den Streit von Angesicht zu Angesicht auszutragen. Streit gab es im Vorfeld und auf dem Camp, exemplarisch in der Diskussion "57 Jahre nach dem Holocaust leben (und politisch handeln) in Deutschland". Dort wurde versucht, die Ebene der Grabenkämpfe Antideutsche versus Antiimperialist/inn/en aufzubrechen und zu einer Fragestellung wie im Titel benannt zu gelangen. Sich dieser Frage zu stellen musste, wie eine Verantstalterin meinte, zwar "notwendig scheitern", eine so rasche Positionierung bezüglich der eigenen Praxis gelang wenigen. Der Erfolg dieses Versuchs lag aber darin, die Bezugnahme auf die deutsche Geschichte als Fragestellung in der eigenen Politik wieder präsenter zu haben und die Auseinandersetzungen weg vom Bekenntnishaften wieder inhaltlicher werden zu lassen.

Die Veranstaltungen und Workshops waren zum großen Teil sehr produktiv. Es hätte aber noch mehr Streit und offen ausgetragene Auseinandersetzungen geben können. Die linke Streitkultur müssen wir weiter verbessern, wäre eine Folgerung aus dem Camp.

Es sind viele Aktionen und Aktiönchen vom Camp ausgegangen, zum Teil sehr fantasievoll, zum Teil sehr defensiv dafür, dass uns die Bullen ziemlich in Ruhe ließen. Es wäre also auch auf diesem Gebiet mehr Ordnungswidrigkeit, Zuspitzung und Militanz drin gewesen.

Es gab mehrere Mankos, von denen manche noch auf der noch ausstehenden Nachbereitung reflektiert werden: Schill war kaum mehr Thema, ebenso wenig die Auseinandersetzung um "Innere Sicherheit". Die Frage "Wie erreicht man größere Teilhabe aller am Campgeschehen, wie werden politische Entscheidungen gefällt?" haben wir unbeantwortet mit nach Hause genommen. Den Hamburger/inn/en ist es nicht gelungen, die Linke vor Ort ausreichend zu mobilisieren und von dem Projekt zu überzeugen. Somit hat die Szene in der Stadt eine Chance verpasst, sich politisch auseinanderzusetzen und sich auch in der eigenen Stadt mal offensiver bewegen zu können.

Gelungen fanden wir den Versuch - und sei es symbolisch wie bei der Stadt-Rallye, die Gebäudenutzungen umwidmete - einen emanzipativen, utopischen Ansatz in linksradikaler Politik wieder stark zu machen. Wir haben versucht, über das Bekämpfen des Bestehenden hinaus, wenn nicht Antworten zu finden, so doch die richtigen Fragen zu stellen und ich denke, das ist uns gelungen.

4.) wie geht's weiter? 1,2,weiterhin vielfältig und zersplitterte camps 2003? oder lieber ganz was anderes?

Jena: ...hm... bis jetzt finde ich das noch schwer zu sagen. es gibt den vorschlag ein gemeinsames treffen nach den verschiedenen einzelnachbereitungen der 4 camps zu machen und eigentlich auch die tendenz, allgemein dran zu überlegen, wie die verschiedene projekte - also zum beispiel auch karawane oder die diversen größer angelegten antira-demos in diesem sommer - sinnvoller zu koordinieren wären. ich denke, so zersplittert wie in diesem sommer kann es nicht weiter gehen, da verheizen wir uns in der organisatorischen vorbereitung und es war sowohl in jena, strasbourg als auch hamburg spürbar, dass da große lücken entstanden sind. was dabei dann rauskommt - keine ahnung. als erfahrung aus jena fände ich es aber wichtig weiterzugehen in richtung gemeinsamer organisierung über unsere engen szene-grenzen hinaus, auch wenn das an bestimmten stellen vielleicht auch ein langsamer werden von strukturdiskussionen bedeutet und ein wesentlich genaueres zuhören gefragt ist und immer wieder mal auch anstrengend sein mag. wenn wir uns an solche herausforderungen nicht dranwagen, schmoren wir im eigenen saft.

Strasbourg: das läßt sich noch schwer einschätzen. der eindruck aus ersten nachbereitungspapieren und kleineren treffen läßt vermuten, dass bei aller kritik doch viele an einem folgeprojekt interessiert sind. es war ja der erste versuch, in dieser zusammensetzung und größe ein camp zu organisieren und ich persönlich würde schon auch gerne wissen, ob und wie wir aus den erfahrungen lernen und was ähnlich internationales weiterentwickeln können. jedenfalls war das potential klasse, was in strasbourg zusammengekommen ist, und daraus ließe sich viel mehr machen als jetzt in strasbourg passiert ist. die frage der zersplitterung trifft in der form ja auch nur auf die situation in der brd zu mit den insgesamt vier camps. in den meisten anderen ländern gabs ja keine andere campmobilisierung oder höchstens noch eine, wie z.b. in polen. spätestens anfang dezember wird es eine entscheidung geben und ich hoffe sehr, dass ein neues projekt im ähnlichen rahmen angezettelt wird.

Hamburg: Das Land-In-Sicht-Camp war bereits in den Ansätzen etwas anderes als die bisherigen Grenzcamps. Neue Ideen wurden umgesetzt, andere Schwerpunkte gesetzt und somit andere Diskussionen geführt. Das gleiche gilt für Jena und Strasbourg. Gewisses wurde auch bewusst weitgehend ausgeblendet, weil es uns nicht so zentral erschien wie den Genossinnen und Genossen der anderen Campvorbereitungen. So bestand für alle die Möglichkeit auf den verschiedenen Camps die Schwerpunkte zu vertiefen. Die Vielfalt der Camps dieses Jahr war gut, um unterschiedlichen Ansätzen Raum geben zu können.

Aktivist/inn/en, die über die vollzogene Trennung zu zwei Camps in der BRD nicht unglücklich waren, regen heute an , durch einen antirassistischen Ratschlag oder ein Nachbereitungstreffen aller drei Camps, sich wieder an einen Tisch zu setzen, zu reflektieren und zu gucken, ob und wie es zusammen gehen kann. Wir sind daran interessiert, die verschiedenen Ansätze und Erfahrungen der Camps wieder zusammen zu bringen, und sozusagen "neu zu mischen"; sind uns aber nicht sicher, ob ein gemeinsames Projekt nächstes Jahr gelingt und ob das wieder in Form eines Camps ist. Wenn aber die inhaltlichen Differenzen zu groß sind, gehören sie wenigstens in die gemeinsame Diskussion.

Die Camps sind heute das, was für eine Generation davor beispielsweise Hüttendörfer waren. Sie bieten die Struktur dafür, dass man über mehrere Tage je 24 Stunden lang mit Hunderten zusammen redet, streitet, Aktionen macht und einen anderen Alltag lebt. Camps bieten derzeit eine der Möglichkeiten diese wichtigen, eindrucksvollen Erfahrungen zu erleben, das müssen wir jedenfalls weiter nutzen.

Wir danken für dieses Gespräch.