land in sicht ordnungswidrige aktionstage 16. bis 22. august 2002 in hamburg

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Ein Nachbereitungspapier

16.09.2002 - Anonym

Rückblickend sind meine Eindrücke des Camps ausgesprochen widersprüchlich. Selbst in einzelnen Bereichen fällt es mir schwer, von Scheitern, Erfolg oder Misserfolg zu sprechen. Vielleicht können ja die folgenden - persönlichen und nicht für irgendeine Gruppe oder gar »die Vorbereitung« sprechenden - vorläufigen Überlegungen ein paar Anknüpfungspunkte für Diskussionen auf dem Nachbereitungstreffen liefern.

1. Rechtspopulismus

Mit dem Camp ist es uns nicht gelungen, eine nennenswerte Mobilisierung gegen den Rechtspopulismus im allgemeine oder auch nur die Schill-Partei in Hamburg auf die Beine zu stellen. Während des Camps gab es eine Abendveranstaltung zum Rechtspopulismus, die allerdings darunter gelitten hat, dass die gewünschte internationale Zusammensetzung des Podiums aufgrund von Unzuverlässigkeiten in der Planung nicht zustande gekommen ist. Diese Unzuverlässigkeit ist im Übrigen ein ganz eigener Punkt der Kritik am Camp: Nicht nur bei der Rechtspopulismus-Veranstaltung hat sich gezeigt, dass Zusagen von Einzelnen oder Gruppen, sich um einzelne Dinge zu kümmern, nicht eingehalten worden sind, und Aktionen und Veranstaltungen nur zustande gekommen sind, wenn einzelne eine verlässliche Koordinierung, zu der auch ständiges Nachhaken gehörte, übernommen hatten. Die Rechtspopulismus-Veranstaltung lieferte zwar streckenweise sehr interessante Interpretationen des österreichischen Falls, auch konnte sich auf der begrifflichen und theoretischen Ebene locker mit einem guten Soziologie-Seminar mithalten. Die eigentliche Idee der Veranstaltung, einen Austausch über die unterschiedlichen Praxisformen gegen die jeweils national unterschiedlichen Mobilisierungsformen des Rechtspopulismus anzuregen, konnte allerdings noch nicht einmal im Ansatz umgesetzt werden. In der Camp-Zeitung wurde dann ja zudem noch die Kritik der männlichen Dominanz sowohl des Podiums als auch der Diskussion formuliert. Mein Eindruck war zudem, dass es überhaupt nur eine sehr schwache Beteiligung an einer Diskussion gegeben hat. Vieles waren Nachfragen, die sich eher auf Erläuterungen oder weitergehende Informationen bezogen haben. Ich denke, auf der Veranstaltung wurde deutlich, dass es zum Thema Rechtspopulismus und allgemeiner zum Thema autoritäre Formierung bisher nicht nur keine gemeinsame Position, sonder auch bisher kaum individuelle Gedanken, Thesen und Überlegungen gibt. Diese Wahrnehmung wird auch dadurch gestützt, dass ich mit meinen sehr vorläufigen Rechtspopulismus-Thesen in der Vorbereitung rasch zum hier und dort gerne eingeladenen Experten mutierte und gleichzeitig überhaupt keine Reaktionen, Stellungnahmen oder Kritiken auf die Thesen kamen. Dieser letzte Punkt ist m.E. auch wesentlich dafür verantwortlich, dass es vom Camp aus zu keiner einzigen Aktion zum Thema Rechtspopulismus oder autoritäre Formierung gekommen ist. Die ursprünglich einmal angedachte Aktionsidee ein Frühstück bei Schill zuhause zu veranstalten, um dessen Äußerungen, »die Ausländer verfrühstücken unseren Wohlstand« zu skandalisieren, ist konkret wohl an der Arbeitsüberlastung einzelner in der Camp-Vorbereitung gescheitert. Der Ausfall einzelner Personen konnte allerdings von der Campstruktur nicht kompensiert werden, so dass das Problem doch wieder eher ein kollektives, als ein individuelles ist. Das große Interesse and er Abendveranstaltung, die kleine AG am folgenden Tag und einzelne Nachfragen nach dem Thesenpapier verweisen immerhin auf ein gewisses Bildungsinteresse in diesem Bereich. Rechtspopulismus und autoritäre Formierung haben sich auch außerhalb der Campvorbereitung als wenig mobilisierungs- oder anschlussfähig erwiesen. Im Gegensatz zur Anti-Abschiebe-Kampagne letztes Jahr in Frankfurt, gibt es weder vor Ort in Hamburg noch überregional Gruppen oder Zusammenhänge, die zum Thema Rechtspopulismus oder autoritäre Formierung arbeiten oder sogar schon in eine Kampagne verstrickt sind. In Frankfurt konnte auf die kontinuierliche Arbeit der »deportation.class« Kampagne, von «kein mensch ist illegal«, mehrere kleinere Gruppen und, nicht zuletzt, auf die seit längerem kontinuierliche kritische Berichterstattung in der FR zurückgegriffen werden. Das Thema Abschiebung und Flughafen bot einer ganzen Reihe von AktivistInnen die Möglichkeit, einfach ihre bisherige Arbeit weiterzumachen und in den Kontext des Camps zu stellen. Eine ähnliche Situation bestand in Hamburg nicht. In der Stadt kann nicht von einem nennenswerten Widerstand gegen den Rechtspopulismus Schills gesprochen werden. Zwar gab es vor der Wahl und am Wahlabend Ansätze der Mobilisierung, aber seit die Schill-Partei an der Macht ist, ist von diesen Ansätzen nichts geblieben. Die einzigen nennenswerten Mobilisierung gab es im Zuge der Stellenkürzungen bei den Frauen- und Sozialprojekten und (deutlich größer) gegen die angedrohten Kürzungen im Bildungsbereich. Anlass der Proteste war in beiden Fällen der (drohende) Wegfall von Arbeitsplätzen und nicht eine Opposition gegen die autoritäre Politik des Schwarz-Schill-Senats, auch wenn die in den Protesten angesprochenen Themen über den Bereich der Beschäftigungspolitik hinaus gegangen sind. Auch überregional gibt es bisher keine Kampagnen oder Politiken gegen die vorerst nur Hamburgische Variante des Rechtspopulismus. Das Camp hätte also eine Mobilisierung in diesem Bereich selbst anschieben müssen. Dies ist uns nicht gelungen. Es wurde aber auch kaum versucht. Irgendwie gingen wir wohl davon aus, dass genügend Leute das Thema schon von sich aus für wichtig genug halten würden; im Nachhinein eine kuriose Haltung, hätte uns doch auffallen müssen, dass selbst in der Vorbereitung viele andere Themen für wichtiger gehalten haben (Sexismus/Sexualität, 11.9., Innere Sicherheit). Dabei gilt für den Bereich »Innere Sicherheit«, dass diejenigen, die deren Wichtigkeit behauptet haben noch nicht einmal die Abendveranstaltung dazu auf die Reihe gekriegt haben.

2. Strukturen

Auf der Ebene der Organisations- und Entscheidungsstrukturen bestimmte das Camp und seine Vorbereitung ein Konflikt, der aus soziologischer Perspektive höchst interessant, und aus politischer Perspektive streckenweise lähmend, unproduktiv und in jedem Falle zu diskutieren ist. Die Campvorbereitung war von einem partiellen Widerspruch zwischen der bundesweiten und der lokalen Hamburger Vorbereitung geprägt. In der bundesweiten Vorbereitung waren vor allem AktivistInnen mit meist längerer bewegungspolitischer Erfahrung präsent, die mehr oder weniger klare, in jedem Fall aber offensiv eingebrachte Wünsche, Ideen und Vorstellungen mit dem Projekt Land in Sicht verbunden haben. Die Vorstellungen waren weder einheitlich noch klar regionalen oder sonst welchen Fraktionen zuzuordnen. Insgesamt war es aber so, dass der größte Teil der Leute, die an den bundesweiten Treffen teilgenommen haben, mit dem Camp ein politisches Projekt verwirklichen wollten. In Hamburg stelle sich die Situation anders dar: Schon beim ersten Treffen wurde klar, dass hier zumindest zwei ganz verschiedene Projekte vorbereitet werden sollten. Ein Teil der Leute, die an der Hamburger Vorbereitung teilnahmen, wollte in erster Linie - mit teilweise unterschiedlichen politischen Schwerpunktsetzungen - ein Camp inhaltlich vorbereiten. ein anderer Teil sah das Camp in erster Linie als Möglichkeit in der Hamburger Szene einen Mobilisierungsschub zu erreichen. Für letztere Position standen vor allem zwei bis drei Gruppen, erstere Position wurde vor allem von interessierten Einzelpersonen vertreten. Diese beiden Typen sind hier jetzt sehr idealtypisch dargestellt, und wie immer bei solchen Idealtypen treffen sie die komplexere Realität nur teilweise. Grundsätzlich denke ich aber schon, dass man sagen kann, dass die Gruppen primär an Vernetzung interessiert waren, wohingegen es den Einzelpersonen stärker um das politische Projekt ging. Diese Beobachtung wird auch dadurch gestützt, dass die Gruppen bis zuletzt immer wieder darüber geklagt haben, dass sie das Camp nach »außen« nicht wirklich inhaltlich verteidigen und begründen könnten, sie also nie wirklich inhaltlich hinter dem Camp standen. Nebenbemerkung zu den Gruppen: Die Gegenüberstellung von Gruppen und Einzelpersonen stimmt auch nur formal. Faktisch war es so, dass hinter den »Gruppen« oft nicht mehr Leute standen, als hinter den vielfach vernetzten Einzelpersonen und den daran hängenden Freundeskreisen. Unterschiedlich war vor allem das Auftreten. Die Gruppen bestanden darauf, zwischen Diskussion und Entscheidung noch einmal die Möglichkeit zu haben, erst in der Gruppe zu einer Entscheidung zu kommen. Genau an dieser Stelle, bei der Frage wie und von wem Entscheidungen getroffen werden sollten, wurde m.E. im Verlauf der Campvorbereitung ein Widerspruch deutlich, der von weitreichender Bedeutung ist. Gruppen vs. Einzelpersonen - unterschiedliche »Demokratiemodelle« Das traditionelle, seit den 1980er Jahren in der linksradikalen Szene eingebürgerte Modell beruht auf der vorherrschenden Existenz fester Gruppen. Diese Gruppen bilden sowohl den politischen als auch den sozialen Zusammenhang der einzelnen AktivistInnen. Entstanden sind diese Gruppen historisch als basisdemokratisches Gegenmodell zu den hierarchischen Organisationsstrukturen der K-Parteien und -Gruppen der alten und neuen Linken. In den späten 1970er und 1980er Jahren setzten sich auf Basis- oder Bezugsgruppen aufbauende Organisationsstrukturen in allen der damals entstehenden sozialen Bewegungen durch. Egal ob Friedens-, Anti-AKW-, Bürgerinitiativ- oder Dritte-Welt-/Internationalismus-Bewegung, überall bildeten Gruppen das organisatorische Fundament, und das nicht nur in der BRD, sondern auch in den sozialen Bewegungen in vielen europäischen Ländern und in den USA. Die Ende der 1970er/Anfang 1980 entstehenden Autonomen bildeten hier keine Ausnahme. Das basisdemokratische Gruppenmodell ging in der Regel mit einem konsensuellen Entscheidungsmodell einher, das ebenfalls in Abgrenzung zu den von Fraktions- und Geschäftsordnungskämpfen geprägten Mehrheitsmodellen der Nicht-Bewegungslinken entstanden ist. Ganz unzweifelhaft hat das basisdemokratische Konsensmodell wesentliche Vorteile gegenüber dem traditionellen Mehrheitsmodell. Es kann beispielsweise inhaltliche Diskussionen fördern, denn um einen Konsens zu erreichen, müssen alle überzeugt werden. Es verringert in der Regal auch die Formaldiskussionen und taktischen Abstimmungstricksereien, weil über viel weniger Formalien entschieden wird. Das Modell hat allerdings auch gewichtige Nachteile: Es ist erstens strukturkonservativ, weil immer erstmal davon ausgegangen wird, dass das Bestehende der Konsens ist. Um das Bestehende zu ändern, muss sich nicht nur eine Mehrheit, sondern ein neuer Konsens finden - was nur sehr selten möglich ist. Zweitens verlagert es die Verantwortlichkeit (qua imperativem Mandat) weg von den an gemeinsamen Diskussionen Beteiligten hin in oft undurchschaubare Gruppen. Oft ist es schwer nachvollziehbar, ob hinter der Aussage »wir als Gruppe haben beschlossen«, tatsächlich mehr Personen als der/die unmittelbare SprecherIn stehen. Das Verhältnis von Gruppen und Einzelpersonen stellte in vielen autonomen Zusammenhängen - mindestens seit den 1990ern - ein permanentes Problem dar. Die Rote Flora hatte beispielsweise immer wieder mit dem Problem zu kämpfen, dass die engagiertesten AktivistInnen keine Gruppe (mehr) hinter sich hatten, und dadurch immer wieder das Plenum selbst zu einer Gruppe für diese »Einzelpersonen« wurde. Andere Bewegungen kennen dieses Problem auch: Der BUKO hatte beispielsweise Zeit seines Bestehens mit dem ungelösten Verhältnis von Einzelpersonen und Gruppen zu kämpfen. In der Campvorbereitung manifestierte sich ein Trend in der autonomen Bewegung, den man als das Verschwinden der Gruppen bezeichnen könnte. Auf den bundesweiten Vorbereitungstreffen traten nur noch ganz wenige als VertreterInnen von Gruppen auf. Die große Mehrheit äußerte sich - unabhängig von ihrer möglichen lokalen Eingebundenheit in Gruppenstrukturen - als Einzelperson, die für das von ihr Gesagte und Vertretene unmittelbar selbst verantwortlich ist. Sie begriffen die Campvorbereitung als gemeinsames Diskussionsforum und als den Ort, an dem gemeinsame Entscheidungen getroffen werden sollten. Dies stimmte für die wenigen GruppenvertreterInnen so nicht. Sie sahen nach wie vor ihre Gruppe als eigentlichen Ort der Entscheidungsfindung und das Plenum als den Ort, an dem die Gruppenentscheidungen miteinander vermittelt werden sollten. Diese Konstellation führte zu dem, was von einzelnen aus den Gruppen mit »Hinterherhecheln« beschrieben worden ist. Die Gruppen mussten über die Entscheidungen der bundesweiten Vorbereitung erst noch einmal in der Gruppe diskutieren. Dieses »Vertagen auf nächstes Mal« wollten aber viele der nicht Gruppengebundenen nicht akzeptieren. Schließlich hatte man ja schon gemeinsam diskutiert und brauchte vor der Entscheidung keine Bedenkzeit mehr. Dieses allgemeine Dilemma wurde aufgrund des spezifischen Auftretens zweier Hamburger Gruppen noch verstärkt. Beide Gruppen wollten eine von einzelnen anderen vorgeschlagene große Diskussionsveranstaltungen zum Thema Sexualität verhindern und eine Gruppe wollte eine weitere Veranstaltung zum Thema Antisemitismus in der Linken verhindern. In beiden Fällen fanden sie für dieses Ansinnen keinen Konsens und - ich würde das vermuten, auch wenn wir nie abgestimmt haben - auch keine Mehrheit. Im Plenum wurde über die beiden vorgeschlagenen Veranstaltungen diskutiert und letztlich hatte wohl eine deutliche Mehrheit ein Interesse daran - oder zumindest nichts dagegen - die Veranstaltungen durchzuführen. Die Gruppen standen jetzt vor dem Problem, ihre Position nicht ad hoc revidieren zu können. Stattdessen waren sie bis zum nächsten bundesweiten Treffen mit einer Diskussion beschäftigt, die für die meisten anderen schon längst abgeschlossen war. Ich denke, dieser Mechanismus führte - neben offensichtlichen politischen Differenzen - zu meinen Eindruck, die Gruppen würden nur blockieren und zum Eindruck der Gruppen, die Entscheidungen würden an ihnen vorbei getroffen.

3. Verändert sich die Szene?

Jenseits der abstrakten Organisationsprobleme stellt sich nach dem Camp für mich die Frage, welche Bedeutung in der Vorbereitung und auf dem Camp gemachten Erfahrungen eigentlich haben. Kann man vielleicht nicht nur organisatorisch, sondern auch politisch von einem Ende der Gruppen sprechen? Sind die Basis- und Bezugsgruppen eventuell ein Phänomen, das mit einer ganz spezifischen Phase der Bewegungsmobilisierung der 1980er und 1990er Jahre verbunden war, einer Phase, in der Politik und Lebensstil so eng miteinander verbunden waren, dass das Eine praktisch vom Anderen nicht zu trennen war? Oder handelt es sich schlicht um ein Generationsproblem, das die Autonomen später als andere Bewegungen erfasst hat? Welche politische Bedeutung haben solche Zusammenschlüsse von Bewegungsintellektuellen, die letztlich die Organisation des Land in Sicht-Camps getragen haben? Oder anders gefragt: Welchen Platz haben Einzelne, die nicht den Abgang in Parteien, Verbände, Privatismus oder Sozialarbeit vollziehen wollen, die aber jenseits einer identifikatorischen Lebensstilpolitik bestimmten Elementen der autonomen Bewegung verbunden bleiben, in dieser Bewegung? Das Entstehen eines nicht auf einen autonomen Lebensstil fixierten und diesem in der Regel kritisch gegenüberstehenden politischen Zusammenhangs steht für mich als Positivbilanz des Camps. Dieser Zusammenhang wird von einigen - und auch das zeigte das Camp - als frontale Kampfansage gegen eine Position der »Klarheiten« verstanden. Dass allerdings die Position der »Klarheiten« im Gegensatz zum Autonomiekongress keine unhinterfragte Hegemonie mehr beanspruchen konnte, zählt vielleicht als kleiner, wenn auch letztlich wohl unbedeutender, da nur aus einer Binnenperspektive relevanter, politischer Erfolg des Camps.