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ein weiterer text für das extrameeting am 12.4.

zum verhältnis von refugees-nonrefugees

im folgenden einige gedanken, die für die diskussion am 12. april in jena formuliert sind. der text ist -aus dem blickwinkel eines nonrefugees- in ich-form geschrieben, weil die zeit nicht reichte, genauer daran zu diskutieren, um jetzt rechtzeitig ein kollektives ergebnis einzubringen. die einschätzungen und überlegungen kommen allerdings aus langjährigen erfahrungen in einer antirassistischen initiative, in einem flüchtlingscafe und in einer kleinen karawanegruppe.
ein pragmatischer ansatz war beabsichtigt, also das verhältnis von refugees und nonrefugees vor dem hintergrund unmittelbarer erfahrungen zu thematisieren (in gegensatz oder besser in ergänzung zum theoretischeren text "colonial images"). es geht zunächst um fragen von gleichheit und differenz, in einem zweiten teil, der (hoffentlich) demnächst folgen soll, um die sexismusdebatte.
gruß,
h. von ag3f

gleichheit und differenz, "wir und sie"

bei einer begleitung auf die ausländerbehörde stellte die behörde meiner bekannten die frage nach "urlaub mit ihrem ehemann". meine bekannten hatten bald 5 jahre zusammengelebt, an urlaub war nie zu denken gewesen... da fiel mir wieder mal auf: ich bin ja kein reisefreak, aber wo ich in den letzten 5 jahren jeweils einige tolle tage verbracht hatte ...

wir (ag3f, hanau) betreiben seit vielen jahren ein flüchtlingscafe für direkte "soziale" unterstützung gegenüber den ämtern, wir sind in reichlich "politische" antirassistische initiativen eingespannt. doch wir können - theoretisch - morgen aufhören, uns einem anderen "thema" zuwenden oder gar, wie es oft so nett selbstgerecht heißt, "endlich mal nur für sich selbst arbeiten oder sich ausbilden".

flüchtlinge und migrantInnen in ungesicherten aufenthaltsverhältnissen können das nicht, vielleicht nie, weil sie der rassistischen diskriminierung immer wieder ausgesetzt sind, in dieser oder jenen form.
"wir" hingegen sind diesbezüglich eindeutig privilegiert, "wir haben die wahl", ob und wieviel wir uns gegen rassistische gewaltverhältnisse stellen wollen.
insofern ist ein mißtrauen von refugees bezüglich der ernsthaftigkeit von nonrefugees nicht nur nachvollziehbar sondern in vielen fällen begründet. jedenfalls sind die ausgangsbedingungen völlig different.

umgekehrt gibt es die regelmäßige, doch auch oft enttäuschende erfahrung, daß flüchtlinge, die einen ungesicherten status haben oder gar von abschiebung bedroht sind, zwar gegen dieses unrecht ankämpfen, oft aber nur solange, bis sie einen besseren status besitzen und sich dann, im gegebenen (abgestuft diskriminierten) rahmen, hocharbeiten können. jobs und geldverdienen werden dann immer wichtiger, die frühere "gemeinsame politische arbeit" verliert an bedeutung, wenn sich nichts alsbald sogar gänzlich zurückgezogen wird.
wie vielen flüchtlingen geht es letztlich doch auch nur um den "traum vom mercedes"? also um immer größere, gesicherte teilhabe an einem konsummodell?

nicht zu vergessen: sehr oft wird ja geld an die verwandten in den herkunftsländern geschickt, was zweifellos auch einen beitrag zur gerechteren einkommensverteilung darstellt. aber die meist familiär geprägte motivation beinhaltet kaum mehr eine direktere politische auseinandersetzung.

die ausbeutungssituation wird, auf einem niedrigeren level durchaus vergleichbar mit der deutschen durchschnittsbevölkerung, individuell gemanagt, sich eben eingerichtet in der bestmöglichen situation. "betroffenheit" von refugees, die ja oft kämpferisch oder sogar radikal auftritt, bleibt in ihrer längerfristigkeit häufig leider mit vorsicht zu genießen, ein mißtrauen bezüglich perspektivischer gemeinsamkeiten kommt dann bei "uns nonrefugees" schon auf ...

doch scheint dabei vergessen oder verdrängt, daß dies bei "uns" oft ganz ähnlich läuft: politisierung an eigenen, oft kurzfristigen betroffenheiten, eventuell einige jahre durchlauf durch verschiedenste initiativen, und danach der mehr oder weniger schnelle rückzug ins private.

migration ist (u.a.) eine soziale aneignungsbewegung, viel existenzieller aber im grunde doch vergleichbar mit gewerkschaftlichen forderungen oder auch mit hausbesetzungen, also aneignungen in anderen bereichen. flüchtlingsproteste tragen insofern zwar potentiell die möglichkeit eines längerfristigen, umfassenderen und vor allem internationalen kampfes in sich, werden aber keinesfalls automatisch dazu.

gegenseitige erwartungen sind also schnell gegenseitig enttäuscht, wenn refugees keine dauerhafte unterstützung bekommen bzw. nicht im erhofften (manchmal überfordernden) maß. oder wenn nonrefugees bei den flüchtlingen kein revolutionäres subjekt finden.
auf politischer ebene fühlen sich im schlechtesten falle beide seiten funktionalisiert. die nonrefugees als vor den karren gespannte unterstützerInnen, die mit der opferkarte in die pflicht genommen werden. die refugees als autonome bewegungsmasse, die die mangelnde verankerung der linken wettmachen sollen.

von kolonialen "erblasten" war noch gar keine rede (siehe aber den anderen text über "koloniale bilderwelten.."), nur von alltäglichern politischen kluften, die allein schon verdeutlichen, daß einfache gleichmacherei den unterschiedlichen situationen nicht gerecht wird. "zusammen kämpfen" ist und bleibt ein ziel, aber kein einfacher ausgangspunkt.

vielleicht gibt es in der differenz kompensierende parallelen bezogen auf unterdrückungserfahrungen: frauen sind mit sexistischen gewaltverhältnissen konfrontiert, politische aktivistInnen mit repression, die überwachung, festnahmen oder gar gefängnis bedeuten kann. solcherlei erfahrungen können einiges überbrücken aber nichts einebnen.

ich habe kein interesse, trennungslinien nachzuzeichnen und finde eine vermittlung antirassistischer ansätze in andere gesellschaftliche felder zentral. doch ich bleibe mißtrauisch, wenn zu schnell von "gleichen interessen" gesprochen wird. der auseinandersetzungsprozeß erscheint mir komplexer.
das statement, "wir kämpfen mit flüchtlingen, nicht für sie" ist zwar richtig, erscheint mir aber häufig vereinfachend und eher selbstvergewissernd. ich stehe auch zur "supporting-work".
ich verstehe und sehe mich bewußt in einer doppelrolle: als unterstützer sowie als aktivist! als antirassist, der der situation und den forderungen von flüchtlingen einen besonderen stellenwert gibt, der (zugespitzt formuliert) letztlich eine abhängigkeit der antirassistischen bewegung von der selbstorganisierung der migrantInnen sieht. der aber gleichzeitig unabhängige initiativen betreibt, im antira-bereich wie darüberhinaus. ich kämpfe insofern "für" flüchtlinge und "mit" ihnen.

balance ist gefragt zwischen unterstützung oder empowerment gegen die ungleichen ausgangsbedingungen einerseits und der gleichheitsforderung gegen die aufspaltungen andererseits.

"differenzdebatte", immer noch, immer wieder, ein bleibendes spannungsverhältnis, das herausfordert, sich zu bewegen: für "uns nonrefugees" zwischen unterstützung, "funktionalisieren lassen" bis zu "positivem rassismus" auf der einen seite, und der entwicklung "ganz eigener politikformen" und der "verweigerung der differenzen" auf der anderen seite.

05.05.2002