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Offener Brief an The Voice

Hallo, Ihr Leute in Jena,

Eine Freundin hat uns darüber informiert, dass Ihr uns zu einem Tag der Diskussion eingeladen habt. Entschuldigt, dass wir heute nicht da sind, um unsere Kritik vorzutragen. Wir freuen uns auf jeden Fall über Euer Interesse an einer Debatte um unterschiedliche politische Konzepte und die Schwierigkeiten, die daraus entstanden sind. Worüber wir sprechen werden, sind die Erfahrungen und Probleme mit einer der Gruppen, die das Camp in Jena vorbereitet. Dies ist also ein offener Brief an The Voice Afrika Forum:

Der allgemeinste Kritikpunkt bezieht sich auf das instrumentelle Verständnis von Solidarität, mit dem Ihr arbeitet (zumindest denen gegenüber, die ihr als UnterstützerInnen betrachtet). Dies bedeutet nicht, das politische Ziel Eurer Kampagne für Free Movement in Frage zu stellen, dass wir aus einer humanitären Perspektive mehr als legitim finden. Auch in einem umfassenderen politischen Sinn hat diese Idee einiges zu bieten, um autoritäre Mechanismen des Power-Keeping in sich globalisierenden Nationalstaaten zu verstehen und zu knacken. Wir unterstützen Eure Kampagne und respektieren, dass Ihr Euch als Flüchtlinge organisiert, um Eure Situation zu verbessern. Wir denken auch, dass praktische Zusammenarbeit nicht warten kann, bis wir gelernt haben, uns nicht mehr gegenseitig zu funktionalisieren. Für die Vergangenheit gibt es da sicherlich auch auf Seiten anderer Gruppen der Grenzcampvorbereitung einiges zu kritisieren. Wenn sich Leute von Euch zu einem öffentlichen Nachweis migrantischer Beteiligung bei unseren Aktionen degradiert fühlten, so hätte das in der weiteren Vorbereitung zum Thema werden müssen. Dass dem nicht so war, hat allerdings auch eine Vorgeschichte.

Einige Worte zum Hintergrund unserer Position. Als Teil der Vorbereitungsgruppe kamen wir mit Eurer Gruppe nach dem ersten Grenzcamp in Rothenburg in Kontakt. Zu diesem Zeitpunkt versuchte unsere Gruppe in Berlin einige Diskussionen innerhalb der Gruppen loszutreten, die das nächste Grenzcamp vorbereiten. Diese Diskussionen fanden wir notwendig, um den Weg zu einer antirassistischen Politik einzuschlagen, der es gelingt Traditionen paternalistischen Helfens und romantizistischen Idealismus zu beenden (d.h. ein revolutionäres Subjekt in die am meisten Unterdrückten zu projizieren, anstatt die Möglichkeiten als weniger Unterdrückte zu nutzen, um gegen die Unterdrückung zu kämpfen). Eine Schlüsselfrage in dieser Debatte war die, wie wir uns an die Bevölkerung wenden wollen. Suchen wir ihre Unterstützung, indem wir sie informieren und sie mit den Widersprüchlichkeiten ihrer Lebenssituation Tür an Tür mit elementarer Ungerechtigkeit konfrontieren oder sprechen wir sie als die Verantwortlichen für Rassismus an. Die andere Frage war die nach unserer Position als AktivistInnen gegenüber, für und mit Flüchtlingen. Wir dachten, dass Klarheit über unsere Motivationen in diesem Kampf zu erlangen wichtig ist, um nicht blindlings die alten vorherrschenden Strukturen zu reproduzieren. Die Diskussion scheiterte, was seither ein Bündel von Entwicklungen im Schlepptau hat. Eine davon war eine Art undiskutierte Alles-ist-möglich-Linie politischer Konzepte auf den folgenden Camps, bis zu dem Punkt, an dem die Kommunikation zusammenbrach und die Konzepte begannen, einander im Weg zu stehen. Auf der letzten Demonstration am Flughafen in Frankfurt versuchten einige die Öffentlichkeit zu informieren und den Inhaftierten zu zeigen, dass wir da sind, während andere das Gefängnis angreifen wollten und eine dritte Gruppe Verwirrung stiften wollte, um öffentlichen Druck zu erzeugen.

OK. So weit ist das nichts, was Euch als Gruppe in der Lobby-Arbeit stören muss. Was also ist unser Punkt? Soweit wir sie erlebt haben, bestanden Diskussionen mit Eurer Gruppe aus aufklärenden Berichten mit anschließenden dringenden Aufrufen, Euren Kampf zur Verbesserung Eurer gegenwärtigen Situation zu unterstützen. Das war´s. Eine Ausnahme, auf die wir hingewiesen wurden, bildete Euer Stand auf dem Nahrendorfer Anti-Castor-Camp im März 2001, wo Ihr Euch positiv auf den Atomwiderstand bezogen und ihn mit Eurem Kampf in Zusammenhang gestellt habt. Unsere persönliche Erfahrung ist eine andere. Als uns ein um´s andere Mal die äussere Verpackung Eurer Kampagne präsentiert wurde, wie es jedermann und jederfrau auf jedem Marktplatz präsentiert wurde, fragten wir uns, was wir damit anfangen sollen. Da wir über Eure Kampagne informiert waren, konnte euer Ziel nicht sein, uns immer und immer wieder zu informieren. Auch konnte es nicht sein, dass Ihr Leute überzeugen oder aktivieren wolltet, die bereits aktiv sind. Daher haben wir den Schluss gezogen, dass ihr darüber redet, um zumindest mit uns nicht über anderes zu reden - dass Ihr Eure Hoffnungen und Träume, Motivationen und Perspektiven nicht mit uns diskutieren wollt. Eure Strategie ist nun mal, derzeit ausschliesslich für die Abschaffung der Residenzpflicht zu kämpfen, weil Ihr diese Forderung für erreichbar haltet. Als Strategie stellt Ihr das für uns nicht mehr zur Diskussion. Das ist legitim, aber wir würden es vorziehen, offen damit konfrontiert zu werden.

Vor ungefähr einem Jahr gab eine Person Eurer Gruppe bei einer Veranstaltung in der Volksbühne einige Begründungen, warum er denkt, dass Weisse die Kampagne unterstützen sollten und das war auf eine Art eine Konfrontation. Das Argument baute auf der historischen Schuld der KolonialistInnen und der daher rührenden Privilegien auf. Durch das Leben mit diesen Privilegien sei noch immer jedeR EuropäerIn schuldig. Wenig überraschend an einem Ort wie der Volksbühne murmelten die meisten Leute ihr Einverständnis. Dieser Sprecher Eurer Gruppe verstand es sehr gut, auf den Typ der Diskurse, die die Linke von der protestantischen Kirche übernommen hat, aufzubauen. Leider haben diese hier wie dort hauptsächlich die Funktion, wirkliche Veränderungen zu vermeiden. Langfristig wird diese halb-herzige, einem schlechten Gewissen entspringende Unterstützung Euren Interessen nicht sehr dienlich sein, da sie nur ein weiteres Mal die kolonialen Rollen in neuem Kleid präsentiert: unpolitische Blitzlicht-HelferInnen, die imperialistische Kriege begleiten und unkritische Lippenbekenntnisse ohne jeden praktischen Ausfluß, ausser dem, sich selbst im Morgenspiegel zu gefallen. Darüber hinaus muss diese Art der Unterstützung jedes Mal auf´s Neue angespornt werden und wird bereits dem leisesten Druck nachgeben.

An diesem Punkt steht Ihr vor einer Entscheidung, wie ihr Euch gegenüber weissen AktivistInnen positionieren wollt, vergleichbar mit derjenigen, die wir zu Beginn unter dem Stichwort "Verhältnis zur Bevölkerung" angerissen haben. Entweder habt Ihr zumindest ein bißchen Hoffnung, dass es möglich ist, über Grenzen hinweg zu kommunizieren, um gemeinsam zu einer besseren Gesellschaft zu kommen oder ihr habt diese Hoffnung nicht. Wenn ihr nicht glaubt, dass Weisse gute Gründe haben können Reichtum zu teilen und Privilegien für die Befreiung aller einzusetzen, warum redet Ihr dann überhaupt mit uns TräumerInnen? Auch wenn es in Eurem Kampf in vielen Fällen erst mal um´s nackte Überleben geht: unsere Unterstützung könnte viel kraftvoller werden, wenn wir auch darüber reden, wie wir für ein gutes leben kämpfen können während wir versuchen die Bedingungen zu beenden, die dieses verhindern. Versteht uns nicht falsch: wir werfen Euch nicht vor, dass Ihr nicht die Fragen aufgreift, die zu diskutieren die Linke in diesem Land seit geraumer Zeit unfähig zu sein scheint. Unser Problem mit Eurer Organisation ist vielmehr, dass Ihr Euch verhaltet, als ob die einzige Wahl darin bestünde, lange Blablas über Utopien abzuhalten, während Menschen in der Zwischenzeit reibungslos deportiert werden oder unmittelbare Aktion ohne jede Diskussion. Die unhinterfragbare Setzung Eurer Strategie, die Sachzwanglogik, mit der Ihr andere Debatten beiseite schiebt, machen eine Zusammenarbeit mit Eurer Gruppe schwierig, wenn man nicht unkritisch hinterherlaufen möchte. Wir denken, dass dies keine gute Form der Zusammenarbeit ist. Den Tunnelblick auf die eigene politische Linie kennen wir sehr wohl, aber gerade, um daran etwas zu ändern wünschen wir uns eine offene Debatte ohne Schuldzuweisungen. Wir denken, dass wir auch in unseren Strukturen versuchen sollten zu lernen, uns anders als in blöden Machtbeziehungen zu organisieren. Wir sollten auf selbstgefälligen Politikerhabitus ebenso verzichten wie darauf, uns gegenseitig in irgendwelche Schubladen zu stopfen – ob diese nun vorgestellterweise mit Rasse oder Klasse oder Religion oder Geschlecht oder Schuhgrösse oder was auch immer etikettiert sind. Auf einem dieser anderen Terrains fanden wir die Positionen einiger Leute von Euch etwas unreflektiert, gelinde gesagt.

Im Konflikt, den ihr mit den Frauen aus Weimar hattet, reagierte Euer Sprecher auf die Beschuldigungen in derart klassischer Manier, die er garantiert in einem Konflikt, der sich an Hautfarbe aufhängt auf´s Schärfste kritisiert hätte. Wir reden hier nicht über Richtiges und Falsches der tatsächlichen Beschuldigung. Worüber wir reden ist die Über-Verallgemeinerung und diffamierende Art und Weise, in der von diesem Sprecher noch Wochen und Monate später ein neurotisches "Anti-Sexist Movement" herbeipolemisiert wurde. Dieser Mangel an Analyse und Bereitschaft, verschiedene Kämpfe in Beziehung zueinander zu setzen brachten ebenfalls eine Distanz zu Eurer Organisation hervor.

Dies ist nicht das Ende der Welt und nicht das Ende der Kooperation, und vielleicht zieht Ihr diese eingeschränkten Beziehungen ja auch vor. Was Ihr gebt ist was Ihr bekommt, so einfach ist das dann. Solange Ihr Euch für uns nicht als potentielle GenossInnen interessiert, sondern nur als UnterstützerInnen werdet Ihr für uns genau das sein, keine GenossInnen sondern nur die, die wir unterstützen.

Uschi & Sandra

05.05.2002