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Abschrift aus der INTERIM Nr. 541 vom 10.1.2002

Antirassistisch Campen 200?

aus: Interim Nr. 542/02

Das antirassistische Grenzcamp wurde initiiert und getragen von einer autonomen Bewegung, die damit einmal im jahr bundesweit versuchte, ihr wichtige Themen aufzugreifen und ihre Vorstellungen umzusetzen. Es war - im Gegensatz zu so vielem der derzeitigen linksradikalen Politik - ein aktives Agieren und kein reagieren auf staatlichen oder faschistischen Müll. Es fand große Zustimmung bei einem breiten Spektrum von deutschen Linken bis zu Flüchtlingsselbstorganisationen. Die Teilnehmerinnen waren sich einig, das Rassismus Scheisse ist. Auf dem Wochenplan standen Auseinandersetzungen und Streit im Innern sowie vielfältige Aktionsformen nach aussen.
Die sich im Austragungsort des Camps 2002 - Hamburg oder Thüringen - abzeichnende Spaltung des Vorbereitungskreises hat dieser nicht verhindert. Als Person, die mit einer kleinen Bezugsgruppe manches Camp besucht hat, sich aber nicht in die bundesweiten Vorbereitungen einbringen wollte und konnte, habe ich gut reden. Das will ich hiermit tun.
Die Entscheidung ist für Jena in Thüringen gefallen. Hauptverantwortlich dafür waren Hamburger antirassistische Gruppen, die von einem Grenzcamp in Hamburg einen Rückschlag für ihre eigene Politik befürchteten. Näher hatten sie das nicht ausgeführt. Dies - obwohl unbegründet - reichte einigen aus, von ihrem Favorit Hamburg abzurücken und sich auf Thüringen festzulegen. Einer Auseinandersetzung mit den Hamburger antirassistischen Gruppen wollte man offenbar aus dem Weg gehen und statt dessen die Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsselbstorganistion The Voice (Die Stimme) suchen.
Die Entscheidung für Jena war eine vertane Chance, die aktuelle und im Jahr 2002 anstehende Politik aufzugreifen, darüber zu debattieren und sie selbst zu besetzen: Krieg, Hamburg-Harburg, Innere Sicherheit, Schill, Brechmittel, Abschiebeknast, Antifa und die Bundestagswahl. Statt diese Vielfalt einzunehmen, die die bundesrepublikanische Öffentlichkeit widerspiegelt, wurde ihr eine Absage erteilt sowie der Umsetzung der eigenen Politikvorstellungen die rote Karte gezeigt.
Die Entscheidung für Jena war eine Entscheidung für The Voice. Deren versuch eine Vernetzung zwischen Flüchtlingen und deutschen AntirassistInnen auf die Beine zu stellen ist trotz grosser Bemühungen bisher gescheitert. Das Camp 2002 wird ihr letzter versuch dazu werden. Wenn das Camp unter der Dominanz von The Voice stattfindet, kann die teilnehmende weisse, deutsche Linke offenbar einer ernsthaften Auseinandersetzung um Rassismus nicht mehr wie bisher aus dem weg gehen.
Wer aber Flüchtlinge für antirassistische Politik notwendig erachtet, begibt sich in eine Abhängigkeit, die in Lähmung stecken bleiben kann. Egal ob die Auseinandersetzung mit Flüchtlingen bei der Erarbeitung der eigenen Positionen eine Rolle spielte oder nicht; diese Positionen sind solange gültig, bis sie widerlegt werden. Flüchtlinge sind nicht mehr revolutionäres Subjekt als deutscshe Linke und haben genauso wenig die Lösung gepachtet. Woran die eigene Politik orientieren, wenn nicht an eigenen Ideen und Vorstellungen? An den Aussagen eines x-beliebigen Flüchtlings? An der Programmatik von Flüchtlingen die sich selbst organisieren? Oder an denen, die in einer straff organisierten Kaderpartei den weg zum Marxismus-Leninismus finden wollen? Wohl kaum.
Die Entscheidung für Jena wurde gegen die Hälfte der Camp-Struktur durchgesetzt. Die eine Hälfte hat klein beigegeben anstatt Hamburg gegen die andere Hälfte durchzusetzen und damit noch was eigenes in der Hand zu behalten, anstatt im Jahr 2002 nur Politik im regionalen zu machen und Camps zu besuchen, die man selbst nicht so wichtig erachtet, dass man sie mitveranstaltet. Die überwiegende Begeisterung dafür, in Hamburg einzufallen und dort zu zeigen, wie man Politik macht, fehlte. Die überwiegende Begeisterung für Thüringen fehlte ebenso. Die Klügeren mögen nachgegeben haben, verloren haben beide Seiten. Das "antirassistische" Sommercamp 2002 in Jena ist eine Absage an die eigene autonome Politik. So gut die Initiative der Camps war, mit der beschlossenen Spaltung wurde sie mitsamt einer bundesweiten autonomen Organisierung und Praxis auf`s Abstellgleis verfrachtet. Deshalb werden wir alle mit viel Erfolg untergehen. Die einen bei der leidvollen und politisch nicht weiterbringenden Organisationsarbeit, die anderen in ihrer regionalen Kleingartenidylle und wir Aussenstehende haben - solange nichts neues kommt - nur noch das Nichts.

Danke

Käpt`n Rotbeere

05.05.2002