GRENZCAMP 2001   FRANKFURT/M AIRPORT

 
4. antirassistisches Grenzcamp vom 27. Juli bis 5. August 2001 beim Flughafen Frankfurt/Main
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"Die Grenzen anders sichtbar machen"

Jungle World 25.07.2001
von Interview: ivo bozic - - 28.07.2001 21:09

Ein Gespräch mit Rosa Kemper und Kerstin Göttsche, die das Camp in Frankfurt/Main mit vorbereitet haben

Dieses Jahr findet das antirassistische Grenzcamp erstmals nicht an der deutschen Ostgrenze statt. Warum?

Kerstin Göttsche: Die Aktionsformen haben sich nicht mehr weiterentwickelt. Es fehlte die Kreativität, neue Ansatzpunkte zu finden. Auch inhaltlich begannen wir, uns im Kreis zu drehen. Ein anderer Grund ist, dass eine Verlagerung der Schengen-Außengrenze weg von der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen hin zur polnisch-ukrainischen und weißrussischen Grenze stattfindet. Das haben wir bereits vor zwei Jahren bei dem Camp in Zittau gemerkt, als wir fast ohne jede Grenzkontrolle über Wanderwege nach Tschechien gehen konnten. Im ersten Moment denkt man, hier gibt es kaum noch einen materiellen Ausdruck des Grenzregimes. In Wirklichkeit wird die Grenze territorial nur immer weiter vorverlagert. Da haben wir angefangen zu überlegen, ob man Grenzen nicht auch anders sichtbar machen kann. Und der Flughafen in Frankfurt am Main erscheint mir ein gutes Betätigungsfeld.

Ein Thema, welches sich in Sachsen und Brandenburg aufdrängte, war in den letzten Jahren auch Antifa. Aktionen gegen Nazistrukturen gehörten zum Programm, auch die Zusammenarbeit mit örtlichen Antifagruppen. Ist das nach dem Sommer der staatlichen Antifa im letzten Jahr kein Thema mehr für euch?

Rosa Kemper: Unser Ansatz war ja vor allem, linke und alternative Strukturen vor Ort zu unterstützen und mit aufzubauen. In Görlitz hat das 1998 ganz gut funktioniert, Antifas von dort machen noch heute bei der Grenzcamp-Vorbereitung mit. In Zittau aber hat das gar nicht geklappt. Zwar waren neun Tage lang die Straßen nazifrei, und darüber freuten sich die linken Jugendlichen dort natürlich. Aber als wir weg waren, stellte sich der alte Zustand wieder ein. Wir haben kein Rezept gefunden, wie wir dies künftig verhindern könnten.

Göttsche: Wir arbeiten auch in Frankfurt mit Antifas aus dem Rhein-Main-Gebiet zusammen. Wir wollen weiterhin mit dem Camp Antifa und Antirassismus verbinden, wie wir es vor vier Jahren übrigens als eine der ersten Initiativen schon gemacht haben. So langsam kommt ja auch in den letzten Ecken der Antifa-Szene die Erkenntnis an, dass der gesellschaftliche und staatliche Rassismus ein zentraler Hintergrund der Nazi-Mobilisierung ist, und man die Themen gar nicht trennen kann.

Im kleinstädtischen, provinziellen Grenzgebiet in Ostdeutschland hatte man es mit einer besonders rassistischen, fremdenfeindlichen und denunziationsbereiten Bevölkerung zu tun. Dies war auch immer ein Thema der Grenzcamps. Ist in der Metropolenstadt Frankfurt am Main nur noch der staatliche Rassismus ein Thema?

Kemper: Hessen ist das Land, in dem die CDU ihre rassistische Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft geführt hat. Es gab über eine Millionen Unterschriften. Der gesellschaftliche Rassismus ist also auch dort fest verankert. Außerdem ist Frankfurt auch die Geburtsstadt des positiven Rassismus in Form von Multikulti. Hier wurde schon sehr früh, übrigens von den Grünen, der nützliche Ausländer erfunden.

Im Osten Deutschlands findet man als Linker in der Regel kaum Bündnispartner. Allenfalls die PDS bot sich noch als Unterstützerin an. Ist das in Frankfurt anders?

Göttsche: Ja, aber das ist nicht der Grund, weshalb wir jetzt nach Frankfurt gehen. Wir arbeiten dort mit NGO wie medico, Pro Asyl, Kirchengruppen und dem Flüchtlingsrat zusammen und sogar mit der Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung. Außerdem arbeiten wir mit selbstorganisierten Flüchtlingsinitiativen zusammen wie z.B. The Voice. Es haben sich bereits über 250 Flüchtlinge zum Camp angekündigt. Die Ausgangslage ist natürlich nicht vergleichbar mit Sachsen, wobei ich sagen muss, dass ich die Verhältnisse in Forst in Brandenburg letztes Jahr auch gar nicht so schlecht fand.

Wird diese Bündnisarbeit den bisher eindeutig linksradikalen Charakter des Grenzcamps verändern?

Kemper: Ich denke nicht. Aber es wird natürlich spannend sein, zu sehen, wie sich die NGO verhalten, wenn wir unsere klaren Positionen formulieren und mit entsprechenden Aktionen untersetzen. Wir haben nicht vor, wegen der Bündnisarbeit Kompromisse zu machen.

Warum habt ihr den Rhein-Main-Flughafen als Ziel ausgesucht?

Göttsche: Es ist der Abschiebeflughafen Nummer eins in Deutschland. Außerdem hat er ein exterritoriales Internierungslager, in dem unmenschliche Zustände herrschen. Flüchtlinge, die auf dem Flughafen ankommen, betreten nicht wirklich deutschen Boden, wenn sie in dieses Transitlager gesperrt werden. Außerdem symbolisiert der Flughafen die Schengen-Außengrenze, weil man wegen der Drittstaatenregelung nur noch auf dem Luftweg die Chance hat, in Deutschland erfolgreich einen Asylantrag zu stellen.

Die Belagerung des Flughafens wird das Flughafenverfahren in den Mittelpunkt des Grenzcamps rücken, das ja bisher weniger ein Thema der Camps war. Ist dies eine bewusste inhaltliche Verschiebung?

Kemper: Wir wollen, dass das Internierungslager geschlossen und das Flughafenverfahren abgeschafft wird. Wir wollen auch zeigen, dass Schengen überall ist, auch auf den Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Der zweite inhaltliche Schwerpunkt wird jedoch die aktuelle Einwanderungsdebatte sein. Da werden wir auch die Gewerkschaften angehen, die sich bisher nur für ihre Klientel einsetzen. Es gibt rund eine Million Illegale in Deutschland, die als billige Arbeitskräfte gerne ausgebeutet werden. Für die haben sich die Gewerkschaften bisher gar nicht interessiert. Oder wenn, dann als unerwünschte Schwarzarbeiter, als Konkurrenz zum guten, deutschen Arbeiter.

Eure Belagerung des Flughafens reiht sich ein in eine Kampagne gegen die inhumane Abschiepraxis. Mit der Kampagne »Deportation Class« sollte die Lufthansa dazu bewegt werden, auf Abschiebungen zu verzichten. Ist das Camp Teil dieser Kampagne?

Kemper: Genauso wie es geklappt hat, die Olympia-Bewerbung in Berlin durch eine Image-Beschmutzungskampagne zum Scheitern zu bringen, haben wir auch bei der Lufthansa Erfolge zu verzeichnen. Die Lufthansa versucht, vom Image als Abschiebe-Gesellschaft wegzukommen und lehnt Abschiebungen gegen den Willen der Flüchtlinge inzwischen ab. Das motiviert doch, wenn man sieht, dass sich Widerstand lohnt. Vielleicht schaffen wir es, dass sich keine Fluggesellschaft mehr findet, die bereit ist, Abschiebungen zu vollziehen. Das wäre eine richtig wirksame Sabotage der staatlichen Abschiebepolitik. Ähnlich ist es übrigens mit dem Flughafen selbst. Wir wollen die Zustände des Internierungslagers öffentlich machen und das Image dieses Airports ankratzen.

Es ist aber schon eine inhaltliche Verschiebung des Grenzcamps, wenn Rassismus vor allem als Produkt staatlichen Handelns dargestellt wird.

Göttsche: Gut, diese Denunziationstätigkeit wie an der Ostgrenze haben wir in Frankfurt nicht. Aber wir werden Aktionen machen, bei denen auch die Bürger mit ihrem Rassismus konfrontiert werden. Etwa wenn es um Kontrolle, Sicherheitsbedürfnisse und die Ängste der Bevölkerung geht, oder um die Prostitution illegalisierter Frauen. Wir wollen keinesfalls den Eindruck erwecken, irgendwelche bösen Männer im Herrschaftsapparat oder die gemeinen Kapitalisten würden sich den Rassismus ausdenken und alle anderen sind bloß die unschuldigen Zuschauer oder Opfer. Die gesellschaftliche Basis verlieren wir nicht aus dem Blick, aber wir müssen andere Formen finden, dies zu thematisieren, als an der Ostgrenze.