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Kotzt es euch an?!!
Uns auch!!!

Wenn man sich mal das Leben anschaut, das von vielen geführt wird, oftmals auch von einem selber, fällt einem zwangsläufig ins Auge, dass man letzen Endes einem einseitigen Alltag immer wieder begegnet. Sowohl Nazis als auch Punker, sowohl Hippies als auch Popper führen diesen Alltag. Man geht zur Schule, man arbeitet, wohnt bei den Eltern oder auch alleine, man geht Hobbys nach, geht schlafen, steht wieder auf und von vorn noch einmal. Man kann es reduzieren auf das Jeden-Morgen-aus-dem-Bett-Rauskommen. Mit letzen Endes ist gemeint, dass man natürlich auch das Wochenende hat zum „Erholen“, die Möglichkeit, zu verreisen, quasi mal dem Alltag zu entfliehen und einfach was anderes zu machen. Zunächst findet man Gefallen daran, doch nutzt man die „Freizeit“ nur dafür, sich für Arbeit bzw. Schule wieder fit zu machen. Man „arbeitet“ in der sogenannten Freizeit darauf hinaus, wieder effektiv zu sein für Arbeit und Schule. Weiterhin versucht man krampfhaft die freie Zeit zu nutzen, da man weiß, dass man nur zwei Tage zur Verfügung hat. Wozu also erholen? Noch mal: um wieder arbeiten zu können. Für die meisten Menschen (Eltern, Verwandte, Lehrer mit inbegriffen) ist dieser sich ständig wiederholende Tages-, Wochen-, Monats- und sogar Jahresablauf kein Problem. Sie erscheinen denjenigen, denen die Eintönigkeit des geführten Lebens auffällt, gar als glücklich und zufrieden mit der Lebenssituation. Man fragt sich, warum denen das gar nix ausmacht. Dann gibt es auch solche, denen es etwas ausmacht, die es dann aber auch noch rechtfertigen. Sie rechtfertigen es als „natürlich“, „normal“ oder sonst was, das nicht zu ändern ist. Dennoch gehen sie Lotto spielen, um sich Träume zu erfüllen, obwohl die Realität doch so natürlich und normal ist oder bleiben soll. Zeigt man ihnen auf, wie ihr Leben ausschaut oder ausgeschaut hat oder ausschauen wird, nämlich zuerst Schule, dann Ausbildung und/oder Studium, Beruf, zwischendurch noch Heirat, vielleicht Kind/er, weiter so bis zur Rente, sind sie nicht nur glücklich. Nein, sie sind so dreist, dass sie einem dann sagen: Du wirst auch so ein Leben führen, wenn du nur alt genug geworden bist. Wer sind diese Leute? Die Mitschüler, die oben schon genannten Eltern und Verwandten, Lehrer, für Studenten dann die Mitstudierenden, für Azubis die Mitauszubildenden, für arbeitende Personen die Arbeitskollegen. Ja, sogar die lieben Freunde sind genervt, wenn man immer und immer wieder davon anfängt, wie scheiße eigentlich dieses Leben ist. Überhaupt die Möglichkeit alternativer Betrachtung von gewissen Lebenssituationen wird nicht zugelassen bzw. als kindliche Spinnerei abgetan. Man kann abkotzen über Notengebung in der Schule, zu wenig Geld, Nazis. Wenn man aber etwas dagegen tun will, bleibt man alleine. Die Leute scheinen sich nicht drum zu kümmern, sie haben sich schon damit abgefunden. Aber so stimmt das auch nicht. Sie haben sich nämlich nicht einfach so damit abgefunden. Sie können sehr genau erklären, wer denn schuld an Missständen in der Welt ist. Sie haben viele Feindbilder. Vielleicht sind es die Regierenden, vielleicht die Reichen, vielleicht die Armen, vielleicht die Ausländer, vielleicht die Banken, vielleicht die Amerikaner, manchmal gar konkret genannt die Juden. Vielleicht liegt’s am Diesseits, und im Jenseits wird alles anders. Man muss es nur ertragen, dann kommt man auch ins Paradies. Manchmal sind im Diesseits dann die Ungläubigen schuld, die im heiligen Krieg vernichtet werden müssen. Irgendwie hat immer jemand Schuld. Eine Menschengruppe. Personell bestimmbar. Manchmal ist es aber auch die Verschwörung (z.B. die Weisen von Zion, die Illuminaten oder die CIA). Vielleicht denkt man, das wären nur die ganz Durchgeknallten, die man selten trifft. Selten trifft man sie in der Tat. Da trifft man öfter auf den sinngebenden „Stammtisch“. Der Stammtisch muss nicht immer in der Kneipe und nur von alten Männern besetzt sein. Er kann sich auch in der Mittagspause, auf der Tribüne eines Sportplatzes, beim Parteisitzungsabend, beim Abendessen mit der Familie zu Hause abspielen. Es können alte wie auch junge Menschen sein, die Mutter, Genossen, Freunde, eigentlich alle. Und dort läuft’s genauso ab, wie man sich’s bei diesem Wort „Stammtisch“ vorstellt. Hier wird gesagt, was man tatsächlich denkt. Hier kann man es auch, es dringt nicht nach außen. Man baut sich sein Weltbild zusammen. Man fängt an „nachzudenken“. Nachdem der Stammtisch dann aufgelöst ist, hört man wieder auf mit dem „Nachdenken“, geht man wieder dem Alltag nach und findet sein Feindbild bzw. sich bestätigt.
Nun gibt es die Möglichkeit, sich selbst zufrieden zu geben mit einem solchen Leben. Nicht nachzudenken, oder nur so viel, wie es der Stammtisch erfordert. Man kann damit auch sehr zufrieden sein. Man schaut halt nicht über den eigenen Tellerrand.
Aber es soll ja auch solche geben, die sich dagegen wehren. Die nach anderen Möglichkeiten suchen, die nicht in ihrer eigenen Scheiße ersticken wollen. Nicht die Faust in der Tasche ballen, sondern raus damit, Mittelfinger rausstrecken und die ganze Frustration in die Wüste jagen. Jetzt erwartet man vielleicht ein Konzept, wie das denn gehen soll, die Dinge umzuwälzen. Und ob es von heut auf morgen geht. Viele Menschen in der Geschichte, die die Welt verbessern wollten, hatten schon verschiedene Ansätze. Sie erzählten dann vielleicht von der Erfüllung der menschlichen Möglichkeiten oder dem Reichtum des Lebens. Aber meistens kamen sie nicht darüber hinaus, Dünnes zu labern, und nur selten wurden wirkliche Verbesserungen erzielt. Oft hatten solche Umstürze den „faden Beigeschmack“, dass sinnlos Menschen umgebracht wurden. Es kam auch vor, dass selbst vor den eigenen Reihen nicht halt gemacht wurde. Dass es zu solch sinnlosen Tötungen kommen konnte, lag unter anderem an dem Unvermögen, zu verstehen. Viele wollten gar nicht verstehen, gar nicht so sehr nachdenken. Nachdenken über den Zustand, der sie dazu veranlässt, zu revolutionieren. Verstehen, worauf denn der Zustand, mit dem sie Probleme haben, eigentlich aufbaut. Man kann Revolutionären in der Geschichte schon nachsagen, dass sie sich über die Probleme, die sie mit den Verhältnissen hatten, im klaren waren. Jedoch kann man ihnen auch nachsagen, dass sie sich nicht tiefergehend mit den Verhältnissen, die sie kritisierten, auseinandergesetzt haben und z.B. angefangen haben, loszuschießen. Man verlor dabei das zum Ziel Gesetzte, überspitzt gesagt, völlig aus den Augen. Was hat man denn zum Ziel, wenn man von Problemen redet, wenn man sich an Dingen stößt, sie verwerflich findet, als grausam umschreibt. Worum geht es denn im zarten Sinne? Ist es nicht im Gröbsten beschrieben der Zustand, in dem keiner, aber auch keiner mehr hungert? Ist dies nicht die Minimalforderung?
Nun ist die Frage, ob man das zum Ziel hat. Das muss man für sich selbst entscheiden. Wenn man für sich selbst entschieden hat, ist man schon weiter gekommen als viele andere Menschen. Wenn man sich nun für den Zustand, in dem keiner mehr hungert, als Ziel entschieden hat, sollte man sich darüber Gedanken machen, was einen daran hindert, diesen Zustand zu erreichen. Ist es, abgesehen von Kapitalismus und freilaufenden Nazis, so etwas wie Verhaftetsein in Ideologien, Leichtgläubigkeit, keine Lust zum Selber-Denken, Nachplappern, Angst zu widersprechen und Posen?
Die Überlegenheit des Menschen ist doch Wissen. Damit nicht gemeint ist das Wissen, das man sich zum Beispiel in der Schule aneignen kann, sondern die Fähigkeit, kritisch zu denken. Wissen heißt z.B. nicht, neue Erkenntnisse in starre Gedanken umzusetzen und an diesen für die nächsten zehn Jahre festzuhalten, sondern seine eigene Denkweise ständig zu hinterfragen auf Grund von neuen Erkenntnissen. Warum also nicht einfach das Wissen nutzen? Das Wissen nutzen gegen die Gefahr, im gesellschaftlichen Treibsand zu versinken und für die Hoffnung, auf der Wiese zu liegen und friedlich in den Himmel zu schauen. Kann man es sich überhaupt vorstellen, auf der Wiese zu liegen und friedlich in den Himmel zu schauen?
Glücklich ist man ja sicherlich, wenn man sich mit all diesen guten Gedanken, die man hat ( z.B. keiner soll hungern) nicht alleine gelassen fühlt. Aber damit man auch nicht alleine bleibt, sollte man sich informieren über andere schon bestehende Gruppen, Strukturen und Organisationen. Diese bieten einem meist eine Anlaufstelle.
In diesem Sinne: einer für alle und all for one. Lasst euch nicht ohnmächtig machen und verschafft euch eine Einsicht in diese Gesellschaft. Versteht sie, und kritisiert sie – verändernd. Es ist notwendig, um eine Menschlichkeit zu leben. Die Zeit ist schon kanpp genug.

David Defoe