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Antiamerikanismus und Kultur

Der heutige Antiamerikanismus bezieht sich nicht allein auf die ökonomischen Interessen der USA und deren Verachtung, sondern auch auf etwas ganz anderes – die Kultur.
Die kulturelle Entwicklung in Deutschland und in den USA, zeigt sich dabei verschiedenartig. Um diese zu untersuchen, lässt es sich nicht vermeiden, eine allgemeine Erläuterung des Begriffes: „Kultur“ anzuführen. Der Begriff der „Kultur“ entstammt dem lateinischen und bedeutet soviel, wie Pflege. Diese Pflege meinte die Tätigkeit des Bauern sein Feld zu bestellen und mit der Natur umzugehen und diese für sich nutzbar zu machen. Man kann demnach folgern, dass die Kultur schon immer der Bereich der Auseinandersetzung mit der Natur ist. Diese Auseinandersetzung bedeutet aber auch immer die Unterdrückung und die Beherrschung der Natur durch den Menschen. Der Mensch beherrscht dabei nicht nur die ihm äußerliche Natur, sondern auch die ihm eigene, innere. Das bedeutet, dass er sich Naturstoffe (z.B. Rohstoffe) aneignet und diese zu seinem Nutzen umformt, wie zum Beispiel Bäume, aus deren Holz er sich einen Stuhl baut, aber dass er auch sein eigenes Triebleben zu beherrschen lernt. Die Beherrschung seiner Triebe und der Umgang mit der eigenen Bedürfnisbefriedigung, regelt sich bei ihm über die Sozialisation. Sie bezeichnet die Art und Weise, wie Menschen in einer Gesellschaft aufgezogen und ihnen der Umgang mit der Welt vermittelt wird. Der Mensch genießt in der Gesellschaft eine bestimmte Erziehung, muss zur Schule gehen und später arbeiten – alles Dinge, durch die der Mensch lernt in dieser Gesellschaft für die Gesellschaft zu funktionieren.
Man kann in diesem Zusammenhang feststellen, dass Kultur auf den Menschen einwirkt und sein Denken und Handeln bestimmt. Daher kann man davon sprechen, dass Kultur die Gestaltung und Umgestaltung von Wirklichkeit bedeutet, da sie dazu anhält, praktisch in unsere Umwelt, (wozu auch Naturmaterialien zählen) einzugreifen und unsere Triebe zu reglementieren.
Gerade in Amerika setzte sich eine solche Auffassung von Kultur stetig weiter durch. So soll die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit davon profitieren, dass Ressourcen ausgeschöpft und Technik in höchstem Grade ausgenutzt wird, um Produkte des täglichen Bedarfs herzustellen. Was man bis zu diesem Punkte nicht vergessen darf, ist, dass diese erzeugten Produkte nicht allen Menschen zugute kommen können, sondern nur denjenigen, die ihre Arbeitskraft gewinnbringend verkaufen können und sich diese erzeugten Produkte, sei es ein Fernseher oder eine Barbiepuppe, leisten können, da sie Lohn für ihre Arbeit bekommen haben. Die Organisierung gesellschaftlichem Lebens, so wie wir es jeden Tag erleben, läuft also nicht darauf hinaus, dass alle Essen haben oder gut leben können. Vielmehr produzieren die Menschen ihre Güter für einen Zweck, der ihnen nur indirekt dienlich ist. Die Unternehmer produzieren, um die von ihnen gefertigten Produkte zu verkaufen und am Ende der Produktion mehr Geld verdient zu haben, als sie aufbringen mussten, um die einzelne Ware zu fertigen. Davon können sie sowohl leben, als auch die Mittel für eine erneute Warenproduktion ankaufen. Der Arbeiter hingegen steht im Lohnverhältnis zum Unternehmer, dem Kapitalisten. Vom Lohn, den er für den Verkauf seiner Arbeitskraft an den Kapitalisten erhält, kann der Arbeiter erst die eigentlich notwendigen Dinge seines täglichen Bedarfs kaufen. Für denjenigen, der seine Arbeitskraft nicht verkaufen kann, der keinen Lohn bekommt, der nichts zu tauschen hat, bedeutet dies meist den endgültigen Verlust der Möglichkeit seine grundlegendsten Bedürfnisse befriedigen zu können. Ob sich der arme Mensch auf der Straße ein Gut (z.B. einen Pullover) leisten kann oder ob er friert, spielt für die Produktion von Waren keine Rolle. Die Organisationsform der Gesellschaft folgt demnach nur rationalen Kriterien und Erfordernissen des Produktionskreislaufs, nicht aber den Bedürfnissen der Menschen, seien sie auch noch so arm. In dieser Rationalität offenbart sich gerade Irrationales. Anstatt die Missstände, die ihnen Tag für Tag ins Gesicht schlagen, aufzudecken und zu durchschauen, lassen sie diese Tag für Tag aufs neue hochleben, obwohl selbige sie immer wieder ins Verderben stürzen.
Um die Prinzipien, die notwendig sind um seine Arbeitskraft verkaufen zu können, zu verinnerlichen, spielt der allgemeine Zwang, Dinge machen zu müssen, auf die man keine Lust hat, eine entscheidende Rolle. Wenn du in die Schule gehst, steht zwar niemand mit einer Peitsche hinter dir, jedoch ist es so, dass man sich selbst zwingt zur Schule zu gehen, man Angst vorm Schwänzen hat, da man täglich mit den Übeln der Gesellschaft (Arbeitslosigkeit) konfrontiert wird. Der Zwang, dem man unterliegt, resultiert objektiv aus den Verhältnissen, man kann ihm nicht entfliehen und sich entziehen. Diese Angst, zum Beispiel die vor der Arbeitslosigkeit, führt zu einem zwanghaften Verhalten bei Menschen. Als Beispiel seien da die sogenannten „Workaholics“ angeführt, welche den Großteil ihrer Zeit arbeiten, wohl auch aus Angst ihren Job zu verlieren oder auf der Karriereleiter abzusteigen. An diesem Beispiel lässt sich ganz klar erkennen, wie sich ein Zwang auf das Leben der Menschen auswirkt, deren Persönlichkeit „gestaltet“. Die Kultur trägt dazu einen wesentlichen Teil bei. Natürlich haben sich Zwänge dieser Art weltweit ausgebreitet, doch waren sie in den bürgerlichen Nationen weiter fortgeschritten als in feudalen Gesellschaften, in denen noch unmittelbare Gewalt an Menschen verübt wurde und nicht das Recht als allgemein geltendes Prinzip, das die Menschen sowohl rechtlich vor der Staatsgewalt, als auch im Recht auf Eigentum gleichstellte. In der Feudalzeit, in der es noch ein direktes Herrschaftsverhältnis zwischen Feudalherren und Leibeigenen gab, war die Existenz des Bauern eng an die des Herren geknüpft – er stand in dessen Abhängigkeit. Ob die Reproduktion des eigenen Lebens gewährleistet werden konnte, lag demnach zu einem guten Stück im Wohlwollen des Feudalherren. Er konnte wahllos entscheiden, ob es ihm beliebte den Leibeigenen in seiner Gunst zu halten oder ihn von seinen Feldern zu vertreiben.
Mit den in der Mitte des 18. Jahrhunderts. entstandenen Unruhen in Frankreich, die 1789 in der Französischen Revolution kulminierten, ergaben sich wirtschaftliche, wie auch politische Einschnitte im Leben der Menschen. Mit der Entstehung der Nationalversammlung und der späteren Entwicklung einer konstitutionellen Monarchie – mit Verfassung – konnten dem „Dritten Stand“ mehr Rechte zugesprochen werden. Rechte wie die Gewerbefreiheit oder das Recht auf Privateigentum wurden erstmals verwirklicht. Die Erzeugung von Produkten war nicht länger an das Schicksal der Leibeigenen in der Knechtschaft unter dem Feudalherren gebunden, sondern die einzelnen Produzenten, insofern sie Land besaßen, wirtschafteten für ihre Zwecke. Was am Ende ihres Schaffens übrig blieb, musste nun nicht mehr als Abgabe geleistet werden, sondern wurde verkauft. In Folge dessen konstituierte sich ein größerer „Markt“ auf dem die Waren getauscht werden konnten. Die faktische Freiheit des Warenverkehrs, war aber dennoch an das Recht gebunden, war es auch kein feudales mehr. Das bürgerliche Recht hatte nun seinen Dienst zu leisten, der darin bestand, den Warenverkehr, der auch bestimmend für den Reichtum eines Staates war, aufrecht zu erhalten. Die Menschen folgten nun einem Prinzip, welches losgelöst von personeller Herrschaft über Menschen wirkte: dem allgemeinen Recht. Dieses galt für alle gleichermaßen. Die Abschaffung der Abhängigkeit von feudalem Recht schuf somit eine formale Gleichheit, die es dem Einzelnen erlaubte sich in noch nie gekanntem Maße zu entfalten. Nicht nur in Frankreich löste sich das feudale Recht früher als in den meisten anderen europäischen Ländern auf. England und die USA sind in diesem Zusammenhang unbedingt zu erwähnen. Die Rezeption der eigenen Rolle im geschichtlichen Lauf, so wie die Einsicht, man könne die Gesellschaft nach seinen Vorstellungen umgestalten, weist auf etwas spezifisches hin, das man sehr gut am Verhältnis amerikanischer Kultur zur Realität erkennen kann, und man wohl als das Nicht-Abfinden mit den gesellschaftlich gegebenen Tatsachen benennen kann. Das Verhältnis amerikanischer Kultur zu realen gesellschaftlichen Prozessen besteht im wesentlichen in der Umgestaltung der Wirklichkeit. Doch dieses Faktum ist auf die gesellschaftsgeschichtliche Entwicklung des Landes zurück zu führen. Amerika war seit seiner Kolonialisierung ein Land, in dem Spannungen zwischen Kolonialmächten und Siedlern offen ausgetragen wurden. So zum Beispiel während des Unabhängigkeitskriegs, bei dem sich die englischen Siedler mit Waffengewalt gegen ihre Kolonialherren durchsetzten. Nach dem Sieg der Siedler kam es im Jahr 1776 zur Unabhängigkeitserklärung und im weiteren Verlauf der Entwicklung Amerikas zur Entstehung der ersten bürgerlichen Verfassung mit liberalen Grundsätzen.
Das praktische Eingreifen in den geschichtlichen Verlauf ist daher die Grundvoraussetzung für die bürgerliche Konstitution Amerikas heute. Die gesellschaftliche Entwicklung Amerikas bis zum heutigen Tage hat ihre Grundlage in der Durchführung und Einrichtung der Gesellschaft nach bürgerlichen Maßstäben. Die Verinnerlichung liberaler bürgerlicher Werte verlief in diesen Verhältnissen direkter und demokratische Grundsätze konnten sich universell ausbreiten. Angemerkt sei hier natürlich, dass sich die demokratischen Werte nicht über Nacht in den Köpfen der Menschen einnisteten, sondern der Kampf um rechtliche Gleichstellung und Anerkennung vorm Gesetz sehr lange dauerte. Bürgerliches Recht schafft formelle Gleichheit. Damit allein ist Freiheit noch nicht gewonnen. Sie wäre es erst dann, wenn sich die Ablösung der Gesellschaft vom Zwang verwirklicht hätte. Der Zwang besteht objektiv. Würde er nicht abgeschafft werden, so bliebe auch das Versprechen der Freiheit uneingelöst.
Deutschland – Kultur als abgespaltene Sphäre

Die Entwicklung des deutschen wie auch des amerikanischen Kulturbegriffes ist auf die Geschichte des Landes zurückzuführen. Deutschland aber war nicht – wie die USA – ein Land der bürgerlichen Revolution. Die angestrebten Veränderungen innerhalb der Gesellschaft scheiterten. Als Beispiel seien die revolutionären Bestrebungen des Jahres 1848 angeführt. Sie schürten zwar große Hoffnungen, die Veränderung der Gesellschaft sei möglich, fanden aber ihr Ende in der preußischen Verfassung, die nicht nach den Interessen von liberalen Kräften gestaltet, sondern den Reformern von der Regierung aufgezwungen wurde. Durch das Gefühl der Handlungslosigkeit, beziehungsweise des „Nichts-bewegen-Könnens“ innerhalb der Gesellschaft, kam es zu einer „Vergeistigung“ gesellschaftlicher Praxis.
Die „Vergeistigung“ führte zu diesem Zeitpunkt zwar zu einer weitergehenden Entwicklung der „Geisteskultur“, aber auch zu einer „Spiritualisierung“. Mit ihr verbindet sich zunehmender Verlust der „Realität“ und deren Wahrnehmung. Die Gesellschaft erschien so, als würde sie sich automatisch entwickeln und wäre nicht von Menschen veränderbar.
Da sich bürgerliche Maßstäbe zu dieser Zeit in Deutschland nicht durchsetzen konnten, sich nicht mit ihnen identifiziert wurde, kam es auch zu keiner Verinnerlichung demokratischer Werte, nach denen die Gesellschaft handeln sollte. In Deutschland gab es einen starken Bezug zum Traditionalismus und zur „Pflege“ von „Eigenheiten“, die mit der Abgrenzung zum Neuen und Fremden einherging. Kultur in Deutschland bekam somit eine andere Note, sie unterschied sich von denen anderer industrialisierter europäischer Nationen.
Die Vermittlung von Kultur bedeutet in der kapitalistischen Gesellschaft, wie schon eingangs angesprochen, immer die Beherrschung der Natur, „Pflege“ und Nutzbarmachung von Naturstoffen (z.B. Ressourcen) und die Beherrschung des Menschen selbst.
„Pflege“ und „Beherrschung“ müssen in diesem Zusammenhang aber immer in ihrer Vermittlung gesehen werden, können nicht getrennt von einander existieren, aber auch nicht in einen Topf geworfen werden. Das Moment der „Pflege“, soll im weiteren exakter unter die Lupe genommen werden. „Pflege“ bedeutet auch die Bewahrung eines Teiles des angeeigneten Naturstoffes, seinen Fortbestand im produzierten Endprodukt. Nehmen wir einen Stuhl. Er wird aus einem Stück Holz hergestellt. Bis zu seiner endgültigen Fertigstellung durchläuft das Holz verschiedene Fertigungsverfahren. Bei diesen Verfahren wird der ursprüngliche Stoff (das Holz) immer mehr verformt. Teile werden zersägt, es werden Zusatzstoffe beigefügt und sich immer mehr vom bloßen Stoff im ursprünglichen Zustand entfernt. Wir sehen im Endprodukt nur noch den fertigen Stuhl.
Die deutsche Kultur der „Vergeistigung“ stand der Entwicklung der Produktivkräfte, bei der die Umformung der Natur immer spezieller wurde, tendenziell ablehnend gegenüber. Der industrielle Fortschritt erschien ihr im Gegensatz zur amerikanischen Gesellschaft nicht als positiv, da er eine Entfernung von Natur und kulturellen Werten implizierte. Vielmehr lag es im Geiste der deutschen Kultur, das, was scheinbar durch den Produktionsprozess neuer Güter verschwunden war, zu bewahren und „rein“ zu halten – die Natürlichkeit der Sachen. Durch Zollbeschränkungen und andere Gesetze wurde die „natürliche“ deutsche Wirtschaft vor dem „unnatürlichen“ internationalen Freihandel geschützt. So fand in Deutschland zwar eine industrielle Entwicklung statt, aber in einem anderen, auf Ursprünglichkeit von Natur und Kultur ausgerichteten, Kontext, der sich grundlegend von anderen Industrienationen unterschied.
Der Nationalsozialismus forderte später mit der Ideologie von Rasse, Blut und Boden, ganz in diesem Sinne, die Bewahrung der völkischen Reinheit und die Erhaltung und „Pflege“ der arischen Rasse und in diesem Zusammenhang wurde alles getan, um die sogenannten „Volkszersetzer“– die Juden zu vernichten. Die Momente von „Pflege“ und „Bewahrung“ dienten den Deutschen so auch zur Umsetzung des wahnhaften und geschichtlich einmaligen Programms der Ermordung von Millionen von Menschen.
Daran zeigt sich, dass diese Momente in bestimmtem Zusammenhang, den Anspruch per se gut geheißen zu werden, verlieren.1 Das Moment der „Bewahrung“ prägte auch auf diese erwähnte barbarische Weise die „Geisteslandschaft“ Deutschlands.
Geist und Denken wurden in der deutschen Gesellschaft als dermaßen absolut gesetzt, dass eine Anweisung zum Handeln weniger aus der alltäglich praktischen Erfahrung mit der Welt entsprang, sondern eher dem Geist des Volkes, der sich in der nationalsozialistischen Propaganda widerspiegelte. Geist jedoch, der sich selbst nicht mit der Realität konfrontiert und sich, im Gegensatz zur pragmatisch amerikanischen Kultur, von jedweder Praxis abgrenzt, ist keiner mehr, er möchte nichts verändern, nicht in den Weltlauf eingreifen, bleibt im Angesicht der Gefahr hilflos. Die Kultur ist in diesem Sinne keine verpflichtende, sie drängt zu keiner Realisierung, sie will keine Wirklichkeit verformen, oder in sie eingreifen. Dies muss zu der Einsicht führen, dass Kultur in Deutschland zu einer abgespaltenen Sphäre wurde. Diese Abgespaltenheit ermöglichte es sogar, dass in mitten der grausamen Realität des Nationalsozialismus selbst die grausamsten KZ-Vorsteher die Schönsten Sinfonien hören konnten, während außerhalb des Pausenraumes die Juden zu den Gaskammern geführt wurden. Auch wurden Geistesströmungen mit aller Macht bekämpft, die entgegen der völkischen Gemeinschaftsideologie eine Praxis guthießen, die verbreiteten, es sei gut den Einzelnen als Selbstständigen und Vernunftorientierten zu setzten, der sein Leben nach eigener Maßgabe einrichtet. In dieser rationalen und durchaus pragmatischen Einstellung zur Welt sah z.B. der Naziideologe Franz Böhm eine Gefahr der „Verwissenschaftlichung der Gesellschaft“, die die Entwurzelung der völkischen Ideologie vorantreiben könnte. Dagegen wurden deshalb Theorien des „Unerforschlichen“ und „Eigentlichen“ entworfen, worin der Mensch sein Handeln dem übermächtigen Schicksal von Rasse und Volk zu überantworten hatte. Fragen nach dem Lebenssinn etc. wurden so über die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und dessen schicksalhafte Rolle beantwortet. In diesem Zuge kam es auch zu einer neuen Biologisierung innerhalb der deutschen Wissenschaft. Die Abstammungslehre, welche die Aufgabe hatte, die Menschen in Rassen aufzuteilen und sie dann in diese einzuordnen, sollte dafür sorgen, die „ursprüngliche“ und „natürliche“ deutsche Gemeinschaft vor „Rassenzersetzung“ und „Verjudung“ zu schützen. Die Gemeinschaft des deutschen Volkes erschien in dieser Ideologie als schicksalhafte Vorbestimmung, der sich kein Deutscher entziehen konnte. Alle diejenigen, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehörten, wurden als Fremdkörper betrachtet, die es zu vernichten galt.

Kultur – utopisches Potential

Die Praxisbezogenheit der amerikanischen Kultur hatte in ihrer Entstehung ein wesentlich utopisches Potential. Durch die praktische Ausprägung der Kultur im Sinne wirtschaftlicher Funktionalität, konnte sich der Gedanke des „Nie mehr Hungerns“ zu Beginn der industriellen Epoche entwickeln. Durch die materielle Fülle, dem Überfluss an Waren – der zwar nicht allen dienlich sein konnte, sondern nur denen, die sich die Waren leisten konnten – konnte sich dennoch das Gefühl entwickeln, es müsse keinen Mangel mehr geben.
Dadurch, dass sich die amerikanische Kultur am kapitalistischen Betrieb orientiert, ist sie auch zeitgemäß. Sie verliert sich nicht im Gedanken daran‚ nur von „Luft und Liebe“ leben zu können. Zwar verneint sie damit ein Moment der Übersteigerung der Verhältnisse, ein Denken, das von der Existenz kapitalistischer Verhältnisse absieht, ist aber dennoch näher an der materiellen, gesellschaftlichen Basis und verspricht: Dass doch alles da ist und kein materieller Mangel herrscht, solange man nur dafür arbeiten geht. Die amerikanische Kultur spricht damit die Wahrheit über die kapitalistische Gesellschaft frei aus. Das Potential, das nach der Abstraktion von der Arbeit übrig bleibt, also die Vorstellung nichts mehr machen zu müssen und doch alles zu haben, ist also folgendes: „Es kann jeder haben was er will, jedes materielle Bedürfnis kann aufgrund der Fülle von Waren befriedigt werden“ – und das ohne die Entäußerung von Lebenszeit im Arbeitsprozess. Gleichzeitig ist dies auch ein Glücksversprechen, welches nur aus den bürgerlichen Verhältnissen heraus entstehen konnte. Erst in bürgerlichen Verhältnissen war es möglich eine Produktion zu organisieren, die es vermochte, den Gedanken von Leidlosigkeit zu entwickeln. Dass dies nur ein Versprechen von Glück ist, es damit längst nicht durchgesetzt ist, sondern Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen um am Leben zu bleiben, scheint dem Anspruch ans Glück zu widersprechen, den die Menschen haben. Selbst die schon objektiv gewordene Möglichkeit, alle Menschen ernähren zu können, durch maschinelle Fertigung weniger menschliche Arbeit zu benötigen und somit auch weniger menschliche Energie verausgaben zu müssen, weist darauf hin, dass vieles, was entfernt lag und noch liegt in greifbare Nähe rücken kann. Dies wiederum funktioniert jedoch nicht ohne menschliches Agieren und Zutun.
Unterschiedlich ist die Auffassung der deutschen Kultur. Die Ausprägung der „Geisteskultur“ führte zu einer Verbreitung einer Utopie, die auf Ideale Bezug nahm, welche unbedingt anzustreben wären. Die zuerst zu erfüllenden menschlichen Bedürfnisse waren ideeller Natur. Ideale, wie das der „ewigen Liebe“, galten als zutiefst erstrebenswert. Die Transformation der Gesellschaft, der Entwurf eines Idealbilds, oder eines Wegweisers sittlichen Strebens zum Wohle aller, war ohne Praxis nur ein Entwurf in den Köpfen. Was die deutsche Kultur mit der „Pflege“ von erstrebenswerten Idealen beweist ist ihre Unaktualität. Die Ansicht, die Kultur habe nichts mit Ökonomie zu tun und dürfe auch nichts mit ihr zu tun haben, birgt schon eine Gefahr. Sie will die Reinheit bewahren, die alle „Überfremdung“ von sich fernhält und alles, was von dieser Reinheit wegführt, vernichten möchte. So ist auch die Aufrechterhaltung der deutschen Kulturtraditionen eine Abgrenzung von allem Andersartigen – die Angst vorm Fremden, wie derzeit in der Debatte um die Deutschquote im Radio erkennbar. In der deutschen Kultur war es von jeher so, dass es einen starken Bezug zur eigenen, völkischen Gemeinschaft gab. Das Volk galt – wie zuvor schon ausgeführt – als Schicksalsgemeinschaft, der sich das Individuum unterwerfen sollte. Kultur und ihre Apologeten wurden zum Identifikationspunkt. Kultur wirkt identitätsstiftend, wie auch die Abwehr gegen ihre Feinde. Wenn man sich beispielsweise, wie so viele Deutsche, positiv auf „unseren“ Goethe bezieht, wird dieser zu einer deutschen Identifikationsfigur, auf die man doch „stolz sein“ könne. Zweifelsohne spricht Goethes Werk für sich und man kann nicht verleugnen er wäre Deutscher gewesen, doch die Kehrseite der deutschen Kultur, nämlich die Grausamkeiten, die sie auch hervorbrachte, werden häufig außer acht gelassen. Bei diesem geschichtslosen Bezug auf deutsche Geschichte, die positiver Anknüpfungspunkt sein soll, und dies aber nur durch Unterschlagung alles negativen sein kann, sieht man sich zumeist einem Nationalismus gegenüber, der sein „Deutschsein“ gerne ohne den einmaligen Massenmord der Deutschen an den Juden hätte. Doch dieser Mord war zuletzt auch begünstigt durch die deutsche Kultur.

Ressentiments

Nach der bis hierher ergangenen Erläuterung der kulturellen Unterschiede stellt sich die Frage, inwieweit sich die Kulturbegriffe (deutscher und amerikanischer) von einander abgrenzen und inwieweit antiamerikanische Ressentiments aus dem deutschen Begriff von Kultur erfolgen.
Die „Pflege“ der „Geisteskultur“ produziert ein noch heute häufig vorkommendes Vorurteil gegenüber der amerikanischen Gesellschaft: Die Kulturlosigkeit. Durch die lange deutsche „Kultur-Tradition“ erscheint es, als wären die Amerikaner das geschichtslose Volk, ein Volk dem man doch nicht glauben könne, es treffe Entscheidungen aus Vernunft heraus. Bei allem was passiere – so der deutsche Kulturidealismus –, egal wie grausam und unmenschlich es ist, sollte man doch immer noch die rückständigen Kulturen schützen, die in Wahrheit zur Reproduktion des Grauens gehören. Die Abgrenzung der „kulturellen Sphäre“, von der gesellschaftlich- ökonomischen Realität, produziert so ein weiteres gefährliches Moment. Der Vorwurf, die Amerikaner wären nur auf Macht und Geld aus, verleugnet zum einen das demokratische Grundwesen der amerikanischen Gesellschaft und zum anderen die Interessen eines kapitalistischen Staats. Der praktische Eingriff in den Geschichtsverlauf, den die Amerikaner schon öfter tätigten, wird durch die völlig unterschiedene Auffassung von Kultur in Deutschland als „Machtspiel“ der Ökonomie verstanden. Es kann von deutscher Seite her nicht verstanden werden, dass die Interventionen nach dem 11. September 2001 notwendig waren, um einer real existierenden Bedrohung Einhalt zu gebieten. Es ist keine Lüge von George W. Bush, wenn er sagt, dass dies nicht nur ein Angriff auf ein Gebäude war, sondern ein Angriff auf alle westlichen Werte, die die Amerikaner – wie vorhin erwähnt – am längsten und intensivsten verinnerlicht haben. Wohin man auch geht, vorm Ressentiment der meisten Deutschen kann man nicht fliehen. Geht man ins Kino und schaut sich den Film „Supersize me“ an, der die Auswirkungen übertriebenen Fast-Food-Konsums thematisiert, hat man es gleich in den Ohren: „Die fetten Amis mit ihrer Pommes-Kultur.“ Oder man schaltet den Fernseher ein, um coole amerikanische Sendungen zu sehen, bei denen aus alten Autos schicke „Straßenkreuzer“ gemacht werden und stößt dennoch unweigerlich auf hohle Bands wie „Rammstein“, die im „ironisch- provokativen“ Stil verlautbaren: „Amerika, Amerika = Coca Cola = Wonderbra“. Was daran schlimm sein soll, dass in diesem Land einer der bestschmeckendsten Soft Drinks überhaupt erfunden wurde und Frauen, wenn sie es wollen, schicke Unterwäsche tragen können, erscheint unplausibel. Noch merkwürdiger erscheint die ganze Geschichte aber, wenn indische Kinder zu sehen sind, die „McDonalds“ Tüten in der Hand halten oder sich schwarzafrikanische Frauen vor einen Fernseher setzen, der neben einem Feld steht und auf dem gezeigt wird, wie die erste Mondlandung von ostdeutschen Musikern nachgestellt wird. Die ganze Zeit fragt man sich, was hat das mit den USA zu tun? Die Antwort ist nicht schwer. McDonalds, ein international verbreitetes Unternehmen, gegründet in den USA, dient hier als Inkarnation eines negativen Prinzips. „Was bitte hat McDonalds dort zu suchen, wo die Menschen seit Jahrhunderten Reis essen und ‚Lassis’ trinken? Die gehören da nicht hin!“ So reagieren viele und unterstellen den USA noch nebenbei, sie würden jedem ihren Willen aufpressen und „Kultur-Imperialismus“ betreiben, wie es die Gruppe „Freundeskreis“ ausdrückte. Was nicht zu den nationalen Eigenheiten gehört, was nicht „natürlich“ gewachsen ist, das verdient es auch nicht zu leben. So viel weiß der Deutsche und hat es eigentlich schon immer gewusst.
Was das Beispiel mit der vorm Fernseher sitzenden Frau angeht, so schlägt dies zwar nicht hundertprozentig in die selbe Kerbe, wie das gerade angeführte, ist aber ein weiterer Punkt, an dem sich das schäbige antiamerikanische Ressentiment herauskristallisiert. Der Fernseher als Medium, über das ich Nachrichten aus aller Welt empfangen kann und in dem gerade amerikanische Nachrichten laufen, soll als Symbol für die von den USA kontrollierten und manipulierten Medien gelten. Die Mondlandung, so ein weit verbreitetes Vorurteil, sei ja sowieso gestellt gewesen, damit die Amerikaner ihre Dominanz und Stärke unter Beweis stellen konnten. Die wahren Requisiten der Mondlandungsinszenierung stehen natürlich, wie sollte es auch anders sein, auf der „Area 51“, auf der die Amerikaner gelandete „UFOs“ untersuchen. Alles ist nur Marionettentheater und Show, um die restliche nicht-amerikanische Welt in Schach zu halten und zu indoktrinieren. Noch bis in den letzten Winkel, so will uns die Gruppe „Rammstein“ glauben machen, werden wir verhöhnt und verschaukelt, von der übernatürlichen Weltmacht Amerika, die sich die Band herbeihalluziniert und die es so nicht gibt. Dabei waren die angesprochenen Vorurteile gegenüber Amerika nur ein kleiner Teil aus dem riesigen Repertoire antiamerikanischer Ressentiments, die „made in Germany“ sind und dort immer wieder reproduziert werden.2

Schluss

Es bleibt natürlich immer noch fraglich, ob sich die einzelnen Kulturbegriffe auf einer weiteren Ebene verteidigen lassen. So lange sich Kultur nur über den Markt vermittelt, kann sie nie allen zu gute kommen. Bleibt sie in einer einzelnen Sphäre verhaftet, kann sie nicht zu einer gesellschaftlichen Wirksamkeit streben, so ist auch das Denken unnütz. Die Frage ist, wie gerade erwähnt, ob sich die Kulturbegriffe verteidigen lassen? Sicherlich ist dies nicht allgemein möglich, jedoch kann man sie in eine Relation zueinander stellen. Der amerikanische Kulturbegriff ist gegenüber dem deutschen auf jeden Fall zu verteidigen. Vielleicht mag es sein, dass die Deutschen viele Dichter, Denker, Philosophen und Künstler hervorbrachten. Aber was durch die kulturelle Tradition hervorgebracht wurde, nämlich Abgrenzung und Deutschtum, die Entstehung der Kultur in einer abgetrennten Sphäre, in der es sogar möglich war, dass sich Barbarei und Kultur nebeneinander gut vertrugen, ist nicht zu retten. War sie nicht jene Kultur, die es nicht verhindern konnte, dass etwas wie Auschwitz entstand? War sie nicht jene Kultur, die Auschwitz begünstigte, da sie keine „Schädlinge“ an sich heran lassen wollte?
Die amerikanische Kultur ist gegenüber der deutschen zu verteidigen, vor allem weil sie nie so etwas wie Auschwitz produziert hat, im besonderen, weil sie durch ihre praktische Durchflutung in die Geschichte eingriff und die deutsche Barbarei zerschlug und nicht zuletzt, weil sie gerade heute als Schutzwall gegen neue Bedrohungen durch reaktionäre und rückschrittliche Kräfte auftritt. Eine Gesellschaft ohne Furcht und ohne Leid sollte natürlich das erklärte Ziel einer radikalen Gesellschaftskritik sein. Doch steht die Welt vorm Zerfall, sind die minimalsten freiheitlichen Werte bedroht, die es dem Gesellschaftskritiker überhaupt möglich machen Kritik an der Gesellschaft üben zu können, so muss die Möglichkeit von Kritik verteidigt werden. Verteidigung heißt in diesem Zusammenhang nicht die einfache Zustimmung zu militärischen Einsätzen, egal wo sie geschehen – wohl aber die Besinnung auf die eigenen Freiheiten, die ohnehin gering genug sind. Jedoch wird Freiheit erst dann verwirklicht sein, wenn sie in eine Gesellschaft führt, die ihre Produktion nach menschlichen Bedürfnissen organisiert und es weder Leid noch Hunger gibt. Begriffe wie „Freiheit“, die in unserer Welt nur partikular verwirklicht ist, müssen mit der Realität, der sie entspringen, konfrontiert werden. Nur so lässt sich zeigen, dass sie die Wirklichkeit nicht fassen können, menschliches oft ausgespart bleibt. Deshalb ist es letztlich auch von Nöten, sich kritisch mit der Gesellschaft auseinander zu setzen, und alles, was einem in dieser Gesellschaft vermittelt wird, genau zu hinterfragen, um die zum Himmel stinkenden Verhältnisse aufzudecken. So kann man letztlich sagen, dass es Anspruch jeder Kritik sein sollte, die falsche Gesellschaft abzuschaffen und die befreite einzurichten.


1 Es bleibt natürlich zu beachten, dass nicht allein die Kultur als Motiv der Vernichtung von sechs Millionen Juden betrachtet werden kann. Auch eine Analyse der deutschen Verhältnisse in Hinblick auf die ökonomische Situation in Deutschland und der Versuch einer barbarischen Krisenlösung müssen in eine Untersuchung des Nationalsozialismus und der Vernichtung einbezogen werden. Siehe dazu: die im Heft veröffentlichten Artikel „Antisemitismus und Rassismus“ und „Antiamerikanismus – eine Spielart des Antisemitismus?“
2 siehe auch: „Antiamerikanismus – eine Spielart des Antisemitismus?“