Infos/Artikel zu Mumia Abu­Jamal

Beitrag von Mumia Abu­Jamal für die
5. Rosa­Luxemburg­Konferenz am 8. Januar 2000 in Berlin

Dankeschön für die Einladung zur Rosa­Luxemburg­Konferenz in Berlin.
Dies ist mein Beitrag zu den Fragen des Kapitalismus im 21. Jahrhundert.

1. Zur Frage des Einflusses, den Neoliberalismus und Sozialabbau auf die Arbeiterklasse der USA haben:

Die Politik des Kapitals im neuen Jahrtausend muß gesehen werden vor der wachsenden Globalisierung des Handels, die gleichzeitig die Handlungsfähigkeit der Werktätigen schwächt. Im Zusammenhang mit den Klassenformationen in den USA kann man zwar von der „Arbeiterklasse“ sprechen, aber man kann von ihr nicht als einer organisierten, wirklich unabhängigen, gesellschaftlich aktiven Kraft sprechen, weil es in den USA – anders als in Frankreich, Großbritannien, der ehemaligen DDR etc. – keine „labor party“, keine Arbeiterpartei, keine überregionale politische Kraft (mit Ausnahme der Gewerkschaften) gibt, die den ureigensten Klasseninteressen der Werktätigen Zusammenhang verleihen könnte. Demgemäß folgen viele Gewerkschaften der Demokratischen Partei, die, wie uns die Geschichte gezeigt hat, die Partei des NAFTA (North American Free Trade Agreement) ist. In ihrem Verhältnis zur Demokratischen Partei ähneln sie dabei eher einem Juniorpartner, statt daß sie das Handeln bestimmen, und oft genug werden ihre Interessen verraten.

2. Zur Frage, ob und von wem es Widerstand dagegen gibt:

Es gibt Widerstand gegen den Neoliberalismus und die Verwalter des Kapitals, aber dieser Widerstand tendiert dahin, fast in seiner Gesamtheit unpolitisch oder zutiefst legalistisch zu sein. Diesem Widerstand mangelt es an einer Klassenanalyse und er drückt sich in den Aktivitäten von Gruppen aus, die sich für den Umweltschutz oder Gemeindebelange einsetzen.

3. Zur Frage, ob es in den Gewerkschaften Fraktionen von afro­amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeitern gibt:

Obwohl einige Gewerkschaften afroamerikanische Fraktionen in ihren Reihen haben, geht von diesen Strukturen nur ein begrenzter Einfluß auf die Gewerkschaftspolitik aus – und so auch auf die allgemeine gesellschaftliche Politik. In einigen Bereichen gibt es Ausnahmen von dieser Regel, so zum Beispiel in der Krankenhauswirtschaft und im Gesundheitswesen oder im Transportwesen (TWU/Transport Workers Union New York City), wo die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder afroamerikanischen oder latino Ursprungs sind. Im allgemeinen jedoch sind die meisten US­Gewerkschaften in Allianzen mit der Demokratischen Partei verstrickt und dösen politisch dahin.

4. Zur Frage, ob die von Weißen dominierten Gewerkschaften eine fortschrittliche Rolle spielen können:

Nur wenn diese Gewerkschaften in der Lage sind, sich über die Täuschungen durch die weißen Priviliegien hinwegzusehen und ihre eigenen Interessen und die gemeinsamen aller Werktätigen (und der Mehrheit der Gesellschaft) zu erkennen. Zum Beispiel setzte Ronald Reagan einen raffinierten, codierten Rassismus ein und gewann so bei seiner Wahl bemerkenswerte Unterstützung durch Arbeiterkreise. Seine Angriffe auf sogenannte „welfare queens“, also alleinerziehende Mütter mit vielen Kindern, die von der Sozialhilfe leben, fanden viel Anklang bei weißen Arbeitern, die das Gefühl hatten, diese in Armut lebenden Frauen würden „etwas ohne Gegenleistung bekommen“. Viele dieser weißen Arbeiter, die vor den von der herrschenden Klasse geschürten Klassen­ und Rassenwidersprüchen auf die Knie gingen, begriffen nicht, daß das, was dort angegriffen wurde, in Wirklichkeit gerade ihre Position stärkte, indem den Frauen die Sicherheit eines sozialen Netzes gewährt wurde, durch das niemand fallen sollte, um so die Schrecken der Arbeitslosigkeit zu mildern.

Reagans Aufstieg war die gesellschaftliche und politische Bestätigung für den Vorstoß, die Sozialhilfe in das Licht einer schlimmen Sache zu rücken, und – und das ist wichtig – dann war es schließlich eine von den Demokraten unter Clinton geführte Regierung, die die Sozialhilfe abschaffte und das ganze auch noch als „Reform“ verkaufte.

Auf diese Weise wurde durch die Manipulation von Klassen­ und Rassengegensätzen und die Verblendung der weißen Arbeiterschaft das Kapital gestärkt und die Werktätigen wurden geschwächt.

5. Zur Frage, wo die fortschrittlichen Kräfte dann zu finden sind:

Man „findet“ diese fortschrittlichen Elemente in den Gewerkschaften nicht, man muß sie vielmehr entwickeln durch radikales Handeln, durch die Entmysthifizierung der Klassenrolle der bürgerlichen politischen Parteien und durch die Analyse der realen Lage der Klasse. In dem Maße, wie solche fortschrittlichen Elemente bereits existieren, ist es notwendig, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um sie zu einer klareren politischen Perspektive zu bringen.

6. Zur Frage, warum man gerade in der US­Armee und in den Knästen so viele Schwarze findet und wie sich das Verhältnis von Unterdrückung und Widerstand ausdrückt:

Niemand, der die Geschichte der USA kennt, kann ernsthaft bestreiten, daß die afroamerikanische Bevölkerung unterdrückt wird. Die Tatsache, daß sie überproportional in der US­Armee und in den Gefängnissen vertreten ist, reflektiert die dieser Situation zugrundeliegende ausbeuterische Natur des neoliberalen kapitalistischen Staates.

Im ersteren Fall sind sie in ihrer Gesamtheit entbehrliche Individuen, die den Interessen der nationalen Sicherheit des Staates dienen und dadurch die Interessen einer Elite schützen. Im letzteren Fall sind sie ebenfalls entbehrliche Personen, die zu einer Ware des Gefängnis­Industriekomplexes werden. In beiden Fällen dienen sie den Interessen des Staates, sind Kanonen­ oder Maschinenfutter. Ihre Lage reflektiert in beiden Fällen, zu welchem Spottpreis schwarzes Leben zu haben ist.

Was den Widerstand betrifft, so darf man nicht die Fähigkeit des Staates vergessen, Terror durch seine Repressionskräfte verbreiten zu lassen, um den schwarzen Widerstand im Keim zu ersticken, und den relativ niedrigen Preis, den der Staat dafür zahlen muß.

Denkt an den Fall des von der Polizei im Bett erschossenen Fred Hampton von der Black Panther Party in Illinois. Könnt ihr nur einen Namen eines Polizisten nennen, dem der Strafprozeß für diesen geplanten Mord gemacht worden ist? Und was war mit dem Massaker an der Move Family etwas mehr als zehn Jahre später? Dieselbe Situation. Daß es angesichts eines solch ungeheuerlichen Staatsterrors überhaupt Widerstand gibt, ist in der Tat bemerkenswert.

7. Zur Frage, warum meine Gegner mich hinrichten wollen, und was so viele Menschen in verschiedenen Ländern und Kontinenten dazu bringt, sich gegen Rassismus und Todesstrafe zusammenzuschließen:

Wie schon oben ausgeführt, toleriert der neoliberale, kapitalistische und auf weißer Vorherrschaft basierende Status quo keinerlei Widerstand. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der elektrische Stuhl (als Symbol für die Todesstrafe) nur eine andere Methode desselben Grundmusters von Staatsterror, ein Cousin des Baumes, an dem Schwarze gelyncht wurden, ein direkter Nachfahre des Henkerstricks, ein Zwillingsbruder der Gewehrkugel und ein Bruder der Bombe.

Was uns vereint, ist das Leben, unsere Menschlichkeit. Was könnte internationalistischer sein als die Atemluft, die wir teilen?

In Europa, das von uns durch Raum, Zeit und durch andere Verhältnisse getrennt ist, begreift man die Todesstrafe als einen Handlung, die so barbarisch ist wie das Lynchen. In Amerika (vor allem unter Weißen) sieht man sie als „normal“ an.

Dennoch, die gerade geschlagene „Schlacht von Seattle“ ist verheißungsvoll. Dort machten Menschen aus den Gewerkschaften, aus Umweltschutzgruppen, Gegnerinnen und Gegner der Todestrafe, Anarchistinnen und Anarchisten und Studierende gemeinsame Sache gegen das Übel der neoliberalen World Trade Organization. Das war ein guter Anfang. Wir haben gemeinsame Interessen. Und wenn das Kapital die Globalisierung vorantreibt, dann wird auch derWiderstand global handeln!

Ona Move!
Long live John Africa!
Mumia Abu­Jamal ­ aus dem Todestrakt


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