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Strassenmedizin
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Original auf http://www.freilassung.de/

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Wir dokumentieren im folgenden die Broschüre

WENN DIE SACHE IRRE WIRD - WERDEN DIE IRREN ZU PROFIS

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft aus dem Jahr 1988.

Diese Broschüre, die im Rahmen der Aussageverweigerungs - Kampagne nach den Angriffen der Staatsschutzbehörden im Jahre '87 auf politische Zusammenhänge im Rheinland entstanden ist, dokumentiert einiges an wichtigen Diskussionen und Auseinandersetzungen um Aussageverweigerung und Beugehaft. Wir halten die Auseinandersetzung um diese Fragen gerade im Anbetracht der aktuellen Situation nach den Angriffen des BKA und der BAW vom 13.6. auf linke Strukturen und Zusammenhänge und der Verurteilung von Ulf zu 5 Monaten Beugehaft (weil er der Aufforderung der BAW zur Denunziation von GenossInnen nicht gefolgt ist) für äußerst dringend und haben schon vor einiger Zeit eine Broschüre der Roten Hilfe - die zum selben Thema geschrieben wurde - hier im Netz verbreitet.

Projekt ID-SH

WENN DIE SACHE IRRE WIRD - WERDEN DIE IRREN ZU PROFIS

Vorneweg

Spätestens seit den Schüssen an der Startbahn mit den nachfolgenden Festnahmen und Verhören von Beschuldigten und Zeuginnen, bei denen es zu Aussagen und Belastungen en masse gekommen ist, gibt es die Diskussion um Aussageverweigerung. Dabei schien den meisten linken/linksradikalen Menschen die Forderung "Keine Aussagen - Keine Kooperation mit dem Staatsschutz" politisch klar zu sein.

In dem Moment jedoch, als die Staatschutzbehörden mit der Anordnung von Beugehaft, d.h. Knast bis zu sechs Monaten, zum härstesten möglichen Strafmittel gegen aussageunwillige Zeuglnnen griffen, wurde die Forderung nach konsequenter Aussageverweigerung relativiert, wurde eine Vielzahl von Argumenten in die Diskussion eingeführt, warum das Festhalten an der Forderung angesichts der Drohung mit Knast falsch sei, warum im individüellen Fall Aussagen oder die Berufung auf eine mögliche Selbstbelastüng nach § 55 StPO sinnvoll sein könnten. Es tauchte die Frage auf, ob Knast nicht ein zu hoher Preis für Aussageverweigerung sei. Zumal die theoretische Erkenntnis, daß nur nichts zu sagen, wirklich sicher ist, die betroffenen Zeuglnnen nicht"automatisch" auch zu einem entsprechendem Verhalten veranlaßte.

Schließlich blieben von den acht Zeuglnnen, die vor die Alternative: "Knast oder Aussagen" gestellt wurden, ja auch nur die beiden Bochumerinnen bei ihrer Aussageverweigerung. Daß die beiden nach sieben- bzw. zweiwöchiger Haft wieder draußen sind, löst das Problem nicht. Vielmehr werden Zeuglnnenvorladungen und sonstige Verhörversuche durch die Organe des Staatsschutzes mit dem Ziel weitergehend uns einzuschüchtern und zu spalten, unsere politischen und persönlichen Zusammenhänge auszuforschen und zu zerstören, und Einzelne von uns gezielter zu verfolgen.

So wurden gerade erst vier Leute aus Köln als Zeugen vor das OLG Düsseldorf zitiert. Sie sollten Aussagen in einem § 129a Verfahren gegen "unbekannt", wegen Unterstützung einer nicht näher bezeichneten "terroristischen Vereinigung" machen. Die Fragen, die ihnen gestellt wurden, bezogen sich auf Personen, Zusammenhänge, Aktionen und Veranstaltungen rund um die besetzte Weißhausstraße in Köln. (Die Zeugen verweigerten die Aussagen; drei von ihnen erhielten Ordnungsgelder in Höhe von 200 Mark.)

Ähnliches wird es in anderen Städten geben; und wir sollten uns darauf vorbereiten, daß der Staatsschutz in Zukunft verstärkt zum Druckmittel der Beugehaft greift. Gerade auch als Antwort auf ein - hoffentlich - zunehmendes Aussageverweigerungsverhalten unsererseits. Deshalb wollen wir mit dieser Broschüre versuchen, die Diskussionen um Aussageverweigerung und Beugehaft, wie sie in den persönlichen und politischen Zusammenhängen im Ruhrgebiet geführt wurden, öffentlich zu machen und unsere Erfahrungen damit zu "sozialisieren". Denn wir sind davon überzeugt, daß bei zukünftigen Beugehaftanordnungen die Probleme, die sich uns gestellt haben, so oder ähnlich auch an anderen Orten, in anderen Gruppen und Bündnissen auftreten werden.

Mit anderen Worten: Diese Broschüre soll dazu -beitragen, die nach unseren Erfahrungen bei der Bedrohung mit Beugehaft auftretenden Probleme und Diskussionen rechtzeitig anzugehen, damit Ihr in Zukunft besser vorbereitet seid als wir es waren!

Dementsprechend dokumentieren wir weder den Verlauf der Aussageverweigerungskampagne bzw. der Aktivin gegen Beugehaft hier im Ruhrgebiet, noch versuchen wir eine politische Einschätzung der Ereignisse im Zusammenhang bzw. in der Folge der Razzia am 18.12.1987. D. h. die vorliegende Broschüre enthält nicht die Vielzahl von Flugblättern, Presseerklärungen, Artikeln, Aktionen, Solidaritätserklärungen, usw., die zum Thema "Aussageverweigerung" bzw. "Beugehaft" in der Region und bundesweit produziert worden sind. Und sie problematisiert auch nicht den politischen Zusammenhang, in dem Zeuglnnenvorladungen bzw. die Beugehaftbeschlüsse stehen.

Wir haben uns stattdessen aus den oben genannten Gründen auf das Problem der Aussageverweigerung bei im Raum stehender Haftandrohung beschränkt. Nach einem Informationsteil, der einen chronologischen Abriß der Ereignisse, eine Beschreibung der Vernehmungssituation durch die Bundesanwaltschaft und eine Zusamrnenfassung der uns bekannten Fragen und Antworten bei verschiedenen Verhöranlässen enthält, benennen wir in einem zweiten Teil noch einmal die Gründe für eine konsequente Aussageverweigerung und stellen drei unterschiedliche Positionen dar, die sich mit der Frage beschäftigen: Aussageverweigerung trotz Beugehaft? Sie umreißen das Spektrum, das in unseren Diskussionen eine Rolle spielte.

Welche Faktoren - jenseits der rationalen Einsicht in die Notwendigkeit der Aussageverweigerung - angesichts der drohenden Beugehaft bei betroffenen Zeuglnnen eine Rolle spielen und ihre Entscheidung wesentlich mitbeeinflussen, und wie schwierig es ist, eine kollektive Auseinandersetzungsform zu finden, in der diese Faktoren berücksichtigt werden, ohne die Zeuglnnen unter falschen Druck zu setzten, und ohne ihnen die Entscheidung mit allen Folgen allein zu überlassen, soll der dritte Teil \/erdeutlichen. Dazu gibt es den Bericht einer Zeugin, die aus sehr persönlicher Sicht beschreibt, wie sie die Dinge erlebt hat. Und zvvei nicht minder subjektiv gefärbte Beiträge, die vom entgegengesetzten Standpunkt, also aus der Position politisch arbeitender Zusammenhänge, versuchen, die Schwierigkeiten und Fehler im Verlauf des Auseinandersetzungsprozesses nachvoliziehbar zu machen.

In einem vierten Teil schließlich reißen wir die Frage nach dem politischen Stellenwert der Aussageverweigerung bzw. einer weiteren Kampagne dazu an. Wir haben in diese Richtung bislang kaum diskutiert, weshalb wir uns auf die Dokumentation eines Artikels aus der Nr.2 der NICHT ZU FASSEN und eines Papiers der Redaktion von AUFRUHR, einer Bochumer Szene-Zeitung, beschränken.

Abgesehen von einer kleinen "Literaturliste" zum Thema findet ihr am Schluß der Broschüre ein Interview mit den beiden Frauen, die in Beugehaft saßen. Wir haben es -aufgenommen, weil sich viele von uns bis zur Inhaftierung der Beiden mit Knast nie intensiv auseinandergesetzt hatten. Dementsprechend haben Knasthorror und Spekulationen über die Bedingungen von Beugehaft unsere Diskussionen sehr stark geprägt. Das Gespräch mit Gabi und Gaby zeigt, daß ein großer Teil der Ängste und Befürchtungen (Isolationshaft, 24-Punkte-Programm) überflüssig waren.

Schickt uns Eure Kritik an der Broschüre und setzt die Diskussion fort! Wir verabschieden uns bis auf weiteres.

Solidarische Grüße aus einem sonnigen Ruhrgebietsgärtchen im Juli 1989

Was passiert ist

Der vermeintliche "Schlag gegen die RZ", die Durchsuchung von 33 Wohnungen und Arbeitsplätzen am 18. Dezember 1987, hat neben

* der Verurteilung von Ingrid Strobl,
* den Haftbefehlen gegen vier Menschen,
* den Fahndungen nach weiteren Leuten,
* den nach wie vor laufenden Ermittlungsverfahren gegen rund zwei Dutzend Personen,
u.a. auch eine Welle von Zeuginnenvorladungen nach sich gezogen. Abgesehen von den EMMA-Frauen, die alle Aussagen machten und diese im Prozeß gegen Ingrid Strobl wiederholten, sind uns rund 25 Fälle von Vernehmungen bzw. Vernehmungsversuchen bekannt. Allerdings muß davon ausgegangen werden, daß es weitere Fälle gibt, die bislang nicht öffentlich wurden.

Die massenhaften Ausforschungsversuche begannen im August/September 1988. Damals erhielten innerhalb weniger Wochen über 20 Leute aus Hamburg und dem Ruhrgebiet Termine zu Vernehmungen durch die Bundesanwaltschaft. Mehrheitlich handelte es sich bei den geladenen Zeuglnnen um ehemalige WG-Mitglieder bzw. Arbeitskolleginnen der per Haftbefehl Gesuchten.

Fast alle verweigerten die Aussage ohne Angabe von Gründen und wurden dafür mit Ordnungsgeldern bis zu 400 Mark belangt. Im Ruhrgebiet machten lediglich ein TAZ-Mitarbeiter und zwei frühere Wohnungsgenosslnnen einer Essener Beschuldigten Angaben zur Sache. Letztere allerdings auch nur bedingt, indem sie die Antwort auf eine Reihe von Fragen unter Berufung auf eine mögliche Selbstbelastung nach § 55 StPO verweigerten.

Informationen aus Hamburg, wo das Problem der Zeuglnnenvorladung als privates gehandelt wird, fließen nur spärlich. Doch soweit wir wissen, gab es in der ersten Vernehmungsrunde auch dort nur einen Fall, in dem Aussagen gemacht wurden. Dieser Zeuge, ein ehemaliger Bochumer, wurde im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen eine gesuchte Frau aus Bochum befragt. (Zum Inhalt der Vernehmungen, soweit wir davon Kenntnis haben, gibt es auf den folgenden Seiten einen Extrabericht.)

Nach dieser ersten Vorladungswelle schien die Sache erstmal ausgestanden zu sein - bis, Anfang Dezember letzten Jahres, eine Frauenwohngemeinschaft in Bochum durchsucht wurde. Die offizielle Begründung lautete "Sicherstellung von Beweismitteln gegen Dritte" und bezog sich auf die Ermittlung gegen einen Mann aus Köln, dem im "Komplex 18.12." Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der RZ's vorgeworfen wird und dessen Aufenthaltsort den Behörden offensichtlich nicht bekannt ist.

Mitgenommen wurden u.a. Flugblätter, Plakate und sonstiges Intomaterial zur Razzia vom 18.12., zu den vorausgegangenen Zeuglnnenvorladungen und zum Thema der Aussageverweigerung. Zudem erhielten zwei der vier Wohhungsbewohnerinnen erstmalig Ladungen als Zeugin zur Bundesanwaltschaft.

Beide Frauen verweigerten die Aussage, erhielten Ordnungsgelder und - im Unterschied zu den vorher geladenen, aussageunwilligen Zeuglnnen - innerhalb kürzester Zeit einen zweiten Vernehmungstermin. Ohne sich auf einen der gesetzlichen Ausnahmegründe, also die mögliche Selbstbelastung oder ein verwandtschaftliches Verhältnis zum Beschuldigten, zu beziehen, schwiegen sie weiterhin. Mit dem Ergebnis, daß die Bundesanwaltschaft die Anordnung von Beugehaft durch den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof beantragte.

Bis dato hatte niemand ernsthaft mit dem Einsatz dieses Zwangsmittels gerechnet. Zumal zwischenzeitlich bekannt geworden war, daß aufgrund des bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmten Materials 129a-Verfahren wegen Unterstützung bzw. Werbung für die RZ's sowohl gegen die beiden Zeuglnnen selbst als auch ihre Mitbewohnerinnen eingeleitet worden waren. (Begründung der Staatsschutzbehörden: Die Bereitschaft zur Aussageverweigerung zu wecken oder zu bestärken, sei geeignet, das Vertrauen der RZ's in eine "breite solidarische Verschwiegenheit der Szene" zu stärken, und sie auf diesem Wege zu einer Fortsetzung ihres "strafbaren Tuns" zu motivieren.)

Solchermaßen selbst beschädigt, hätte den beiden Bochumerinnen ein generelles Recht auf Assageverweigerung zugestanden werden müssen. Daß stattdessen "Erzwingungshaft" - wie, es im Juristendeutsch heißt - gegen sie beantragt wurde, sorgte dementsprechend bis in bürgerlich-liberale Kreise hinein für Empörung. Gleichzeitig enstand jedoch auch Angst.und Unsicherheit unter denjenigen Zeuglnnen, die bei ihrer ersten Vernehmung keine Aussage gemacht hatten, und die - sollten sie wie die beiden Frauen aus Bochum im Fall einer zweiten Ladung weiterhin schweigen - ebenfalls mit Beugehaftdrohung rechnen mußten.

Prompt kamen dann auch, kaum daß der erste Beugehaftantrag gestellt worden war, zweite Zeuglnnenladungen für nicht alle, aber einen Teil der Leute aus Hamburg und dem Ruhrgebiet, die bei der ersten Runde den Mund gehalten hätten. Prompt hielten auch zwei Frauen dem Druck nicht mehr stand und machten Aussagen. Und genauso prompt erhielten aus dem Kreis derjenigen, die auch in der zweiten Runde schweigsam blieben, weitere sechs Leute Anträge auf Beugehaft ins Haus geschickt.

Von den insgesamt acht Anträgen auf die Verhängung von Beugehaft, die damit beim Bundesgerichtshof anhingen, wurde sieben vom zuständigen Ermittlungsrichter Gerlach Anfang März stattgegeben. Die achte Entscheidung, die eine der beiden Frauen aus Bochum betraf, verzögerte sich aus terminlichen Gründen um einige Wochen, unterschied sich im Ergebnis jedoch nicht von den übrigen.

Die sieben zunächst Betroffenen, drei Männer aus Hamburg und vier Frauen aus Duisburg, Oberhausen bzw. Bochum, wurden für den 16. März zu einer dritten, letzten und im Unterschied zu vorher in Karlsruhe angesetzten Vernehmung zitiert. Derart vor die Alternative gestellt, wider eigenes Wollen endlich doch Aussagen zu machen oder bis zu einem halben Jahr in Haft genommen zu werden, beantworteten fünf von ihnen erstmalig einen Teil der Fragen und beriefen sich bei den restlichen auf ein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO. D.h. sie praktizierten eine Mischung aus Selbstbezichtigung und Teilaussage; die dazu führte, daß sie bislang - abzuwarten bleibt, ob auch letztendlich - vor weiteren Repressalien geschützt bleiben.

Eine sechste Zeugin konnte am 16., März aus Zeitgründen nicht mehr vernommen werden, schloß sich jedoch bei ihrer auf den 3. April verschobenen dritten Vernehmung dem Mehrheitsverhalten an. D.h. auch sie verweigerte unter Hinweis auf eine mögliche Selbstbelastung nur noch einen Teil der gewünschten Angaben. Lediglich die siebte Zeugin, Gabi Hi. aus Bochum, verweigerte weiterhin jede Aussage. Im Unterschied zu vorher allerdings unter genereller Bezugnahme auf § 55 StPO; die angesichts ihres Beschuldigtenstatus grundsätzlich vorhandene Möglichkeit einer Selbstbelastung.

Dennoch blieb die Bundesanwaltschaft bei ihrer Forderung nach Aussagen und verbrachte die Bochumerin im direkten Anschluß an ihre Vernehmung, also noch am 16. März, in die JVA Bühl. Ein von ihrer Anwältin sofort eingelegter Antrag auf richterliche Überprüfung dieser Maßnahme wurde - wie nicht anders zu erwarten - zugunsten der Bundesanwaltschaft entschieden.

Ebenfalls erwartungsgemäß wurde rund zwei Wochen später dem letzten noch ausstehenden Antrag auf Beugehaft stattgegeben; wie gehabt mit der Aufforderung verbunden, zu einer dritten Vernehmung in Karlsruhe anzutreten. Die betroffene Frau, Gaby Ho. aus Bochum, folgte der Ladung nicht, da die Bundesanwaltschaft eine Terminverschiebung verweigert hatte, obwohl sich der Anwalt der Zeugin zum betreffenden Zeitpunkt im Ausland aufhielt.

Eine versuchte Zwangsvorführung der Zeugin scheiterte; in der Folge erhielt sie eine Frist zum "freiwilligen" Antritt der Beugehaft in der JVA Bühl zugeschickt, dem die Frau am 20. April Folge leistete. D.h. sie ersparte sich einen dritten Vernehmungsversuch und blieb bei ihrer prinzipiellen Aussageverweigeung, ohne einen rechtlichen Grund dafür zu benennen.

Gabi Hi. und Gaby Ho. saßen eine Woche in einer Zelle, bevor letztere auf Anweisung aus Karlsruhe und ohne ersichtlichen Grund nach Heidelberg verlegt wurde. Für beide Frauen galt der sogenannte "Normalvollzug". Sie wurden im Auftrag der Bundesanwaltschaft zweimal in der Woche von der Knastverwaltung gefragt, ob sie mittlerweile zu Aussagen bereit seien. Doch geschah dies quasi nebenbei, ohne daß Druck ausgeübt worden wäre. Und auch ansonsten blieben die Frauen von besonderen Schikanen oder Repressionsversuchen verschont,

Am 3. Mai wurden die Bochumerinnen nach sieben bzw. zweiwöchiger Haft entlassen. Der 3. Strafsenat des BGH hatte - entgegen seiner in einer Entscheidung aus dem Jahre 1981 vertretenen Auffassung - die Haftbeschwerde im Fall von Erzwingungshaft für generell zuIässig befunden und im vorliegenden Zusammenhang auch. positiv beschieden. Dabei beziehen sich die Richter im Kern auf den Umstand, daß gegen die betreffenden Zeuginnen eigene Ermittlungsverfahren im fraglichen Kontext laufen. Zwar wird ihnen nicht grundsätzlich ein Beschuldigtenrecht auf Aussageverweigerung zugestanden, immerhin wird jedoch die Möglichkeit eingeräumt, daß Aussagen für ihre eigenen Verfahren relevant sein könnten. Weshalb - so die Argumentation der Richter - der besonders schwere Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte, wie ihn eine Inhaftierung darstelle, nicht verhältnismäßig sei. Und zwar unabhängig davon, ob eine Berufung auf § 55 StPO erfolgt sei oder nicht.

D.h. die Beugehaftbeschlüsse gegen die beiden Bochumerinnen wurden aufgehoben, nicht jedoch die gegen sie verhängten Ordnungsgelder. Und vor allem: Die juristische

Begründung für die Freilassung der Zeuginnen ist nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragbar Denn die in der vorliegenden Entscheidung des BGH vorgetragenen rechtlichen Bedenken wenden sich nicht grundsätzlich gegen die Durchführung von Beugehaft, sondern lediglich gegen den Einsatz dieses Zwangsmittels im zu prüfenden Spezialfall der beiden.Frauen.

Hätten Sie's gewußt? - Die BAW fragt

Zur Verhörsituation bei der Bundesanwaltschaft

Allgemein ist zu sagen, daß die einzige Person, die auf deiner Seite dem Verhör beiwohnen kann, dein Rechtsbeistand, d.h. eine Anwältln ist. Bei den Vorladungen am 16.3. und 3.4.89 saßen den Verhörten jeweils 1 Staatsanwalt, 2 Typen vom BKA und eine protokollierende Schreibkraft gegenüber.

Die erste Hälfte der Befragung erfolgte durch den Staatsanwalt. Der zweite Teil der Fragen wurde von einem BKA'Ier gestellt. Es wurde immer nur eine Frage gestellt und nach ihrer Beantwortung die nächste. Es war also nicht möglich den Fragenkatalog vorher einzusehen.

Die Verhördauer lag jeweils zwischen 1 - 3 Stunden.

Alle Fragen, die sich auf dritte Personen bezogen und ein Teil der Fragen,die sich auf die Befragten selbst bezogen, wurden, soweit es uns bekannt ist, mit Hinweis auf den §55 nicht beantwortet. Die Verweigerung der Aussage wurde dabei nicht in allen Fällen vom Staatsanwalt anerkannt. Trotzdem blieben die Befragten in diesen Fällen bei der Aussageverweigerung. Soweit wir wissen, betrug der Anteil der so verweigerten Auskünfte im Verhältnis zum gesamten Fragenkatalog zwischen 1/4 und 1/5. Im Laufe der Verhöre ist über nachhakende Fragen ab und zu versucht worden, eine Gespächsebene herzustellen.

In welche Richtung gingen die Fragen?

Bei den Vernehmungen durch die BAW am 16.3. und am 3.4. sowie sonstigen, uns bekannten Verhören variierte die Zahl der Fragen zwischen 5 und 50. Dabei zählen wir jede Nachfrage, jedes Nachhaken oder Konkretisieren als gesonderte Frage. Inhaltlich handelte es sich um
* Fragen, die sich auf die Gesuchten bezogen (Kleidungsgewohnheiten; Hobbies, wie z.B. basteln, löten, wandern; Berufstätigkeit; Krankheiten; Eigenheiten; Abwesenheitszeiten von zu Hause; Aufenthaltsorte während der Abwesenheit; Verbleib von Eigentum der Gesuchten; Fragen nach "konspirativem Verhalten")
* Fragen, die sich auf das Verhältnis anderer Personen zu den Gesuchten bezogen (Zu welchen Personen hatte X regelmäßigen Kontakt, wer war bei X zu Besuch, wie war der Kontakt zu den Eltern zu den Geschwistern)
* Fragen, die sich auf das Verhältnis der Befragten zu den Gesuchten bezogen (Zeitraum des Zusammenwohnens und der Bekanntschaft miteinander, Fragen nach dem letzten Zusammentreffen mit den Gesuchten und nachd er Art des Verhältnisses zu den Gesuchten)
* Fragen, die sich auf die Befragten bezogen z.B. ob sie im September '87 bei dem bundesweiten Treffen der Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechniken in Essen dabei waren
* Fragen, die sich direkt auf die Razzia vom 18.12.87 und die darauffolgenden Tage bezogen (wer mit wem telefoniert hat; wie Benachrichtigte reagiert haben, überrascht oder nicht; wer sich um Eigentum und Regelung von Verwaltungskram der Gesuchten nach dem 18.12. gekümmert hat)
* Es wurde eine Bildermappe vorgelegt, auf der neben Bildern von Personen auch Kleiderpuppen abfotografiert waren.

Im Großen und Ganzen wurden bei den Verhören also Fragen nach persönlichen Verhältnissen gestellt. Bei den beiden Verhörterminen am 16.3..und 3.4. war unseres Wissens die einzige, direkt auf politische Zusammenhänge zielende Frage, die folgende:

"Ist Ihnen konspiratives Verhalten derjenigen Teile der Frauenbewegung bekannt, die gegen Gen- und Reproduktionstechnologien kämpfen?"

Auf die Nachfrage, was denn "konspirativ" sei, erwiderte der Staatsanwalt, daß hierzu z.B. das Abschütteln observierender Personen zähle. Desweiteren gehörte nach Auffassung der BAW dazu, wenn eine Person einen Ort angibt, wo sie sich während ihrer Abwesenheit von zu Hause aufhalten will, sich diese Person aber dann an einem anderen Ort aufhält. Außerdem sei es konspirativ, wenn jemand eine zweite Wohnung hat, ohne anderen davon zuerzählen.

Gründe für die Aussageverweigerung

Mit dem Druckmittel der Beugehaft zur Aussageerpressung werden wir es wohl in Zukunft vermehrt zu tun bekommen. Nach den Erfahrungen im Ruhrgebiet und im Startbahnwiderstand, wo Zeuginnen sehr unterschiedlich reagierten, liegt die Notwendigkeit zu einem kollektiven, politischen Vorgehen gegen die Denunziationspflicht auf der Hand. Rein individuelle, taktische Überlegungen können keine Basis für uns sein.

Klar will keine/ r den Staatsschutzbehörden Informationen über persönliche und politische Zusammenhänge liefern, die dazu dienen, den Beweismittelnotstand der Karlsruher Ermittler zu verdecken und Anklagekonstruktionen gegen die Beschuldigten zu erleichtern. Schließlich begründet die BAW selbst in einem ihrer Beugehaftanträge die Notwendigkeit von Zeuglnnenaussagen damit, daß "im derzeitigen Stadium kaum noch andere Beweismittel (gegen die Beschuldigten) erbracht werden können."

Was sind darüber hinaus die Ziele der Staatsschützer, die sie mit der Erzwingung von Aussagen erreichen wollen?
* Da ist sicher zunächst das bereits genannte Ermittlungsinteresse. Sie brauchen einfach dringend konkrete Informationen in bestimmten Verfahren, in denen die Beweislage außerordentlich dünn ist.
* Gleichzeitig ist diese Vorgehensweise darauf gerichtet, die Scene zu verunsichern und ihre Struktur zu durchleuchten und zu erfassen. (Wer kennt wen? Wer arbeitet in weichen politischen Zusammenhängen?)
* Ein weiteres Ziel ist die generelle Einschüchterung und Spaltung von politischem Widerstand. Sie reicht vom Herauspicken Einzelner zu Zeuglnnenvorladungen bis zur Kriminalisierung der Diskussion um die Aussageverweigerung. Dies zeigen z.B. die Ereignisse in Bochum, wo bei einer Hausdurchsuchung gefundene Plakate und Flugbätter über dieses Thema zu Ermittlungsverfahren führten.

Unsere Interessen dagegen sind:
* niemanden zu verpfeifen oder zu belasten,
* politische Zusammenhänge zu schaffen, in denen Verläßlichkeit und Vertrauen existieren und offene Diskussionen möglich sind,
* mit dem Staatsschutz keine Kooperation einzugehen.

Vor diesem Hintergrund werden hier nochmal die Gründe für die generelle und konsequente Aussageverweigerung dargestellt. Sie stehen im Gegensatz zur Berufung auf den §55 (Selbstbelastung) und der Vorstellung, es gäbe entlastende Aussagen oder aber "Gedächtnisschwund" wäre eine Lösung.

Es gibt keine entlastenden Aussagen

Es gibt keine entlastenden Aussagen. Das Interesse der Bundesanwaltschaft besteht gerade darin, nur Belastendes zu finden. Anscheinend entlastende Aussagen können schnell in ihr Gegenteil verkehrt werden. Zumal es kaum absehbar ist, welche Informationen von der BAW zu Indizien gemacht werden können in Verfahren, in denen es häufig noch nicht einmal einen konkreten Tatvorwurf gibt. Die BAW ist sehr phantasievoll in dieser Hinsicht!

Es gibt keine harmlosen Aussagen

Schon aus der Begründung laufender Ermittlungsverfahren wird ersichtlich, daß es kaum Unverdächtiges in den Augen der Staatsschützer gibt. So müssen z.B. als Indizien herhalten:
* das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, obwohl ein eigenes Auto vorhanden ist,
* die Beschäftigung mit sog. anschlagsrelevanten Themen,
* das Treffen im Hinterzimmer einer Kneipe ohne am Telefon ausdrücklich den Zweck des Treffens zu nennen,
* die Bekanntschaft mit Personen, die ihrerseits eines dieser sog. Vergehen bezichtigt werden.

In der Begründung einiger Beugehaftanträge hieß es, daß "Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich" beweiserheblich seien, daß "durch persönliche, berufliche oder gesellschaftliche Interessen erklärbares Verhalten der Beschuldigten ermittelt werden muß, um es von Verhaltensweisen zu unterscheiden, die ihre Erklärung in dem Engagement der Beschuldigten für die terroristische Vereinigung RZ / Rote Zora finden." Welches Verhalten wozu diente, wird natürlich von den Ermittlungsbeamten entschieden. So ist es doch eine "Erkenntnis" des BKA, daß es gerade die Strategie der Roten Zora ist, sich auf Demonstrationen, öffentlichen Veranstaltungen, z.B. Kongressen zu tummeln.

Auch im privaten Bereich, z.B. dem Zusammenwohnen in einer WG, wird es schwierig mit harmlosen Antworten. Auf Fragen nach Freundinnen, Bekannten, Aufstehgewohnheiten, Krankheiten, Lese- und Telefoniergewohnheilen der beschuldigten Person zu antworten, daß diese Dinge nicht bekannt seien, legt für das BKA den Schluß nahe, daß diese Person konspirativ gehandelt haben muß.

Beispiel: Telefongespräche

Eine Zeugin wird gefragt, ob ihre Mitbewohnerin X mit Y bekannt ist. Im Bemühen möglichst schwammig und unverbindlich zu antworten, sagt die Zeugin: "Ich weiß nicht". Nun hat aber das BKA die Person X schon länger bespitzelt und ein Telefongespräch zwischen X und Y abgehört. Auf diesem Hintergrund, der der Zeugin nicht bekannt ist, wird die Aussage "ich weiß nicht" zur relevanten Information. Verheimlicht die Zeugin die Beziehung, weil sie ihr heikel erscheint, oder hat gar X selbst gegenüber der Zeugin die Beziehung zu Y verheimlicht? Beides deutet auf eine möglicherweise konspirative Beziehung zwischen X und Y hin.

Beispiel: Rasterfahndung

Auch scheinbar banale Aussagen können zur Aufstellung von Rastern dienen. Die harmlose Eigenschaft, Leser der Süddeutschen.Zeitung zu sein, ließ Rolf Pohle in das Fangnetz des BKA laufen. Durch Observierung der Zeitungskioske in Athen wurde er beim Kauf einer solchen erwischt.

Im Rahmen der Rasterfahndung ergeben dann auch Fragen nach Krankheiten, Angewiesensein auf bestimmte Medikamente, Allergien, Kontaktlinsen einen Sinn.

Es gibt keine banalen Fragen

Auch scheibar banale Fragen und solche, auf die es amtliche Antworten gibt, erfüllen ihren Zweck!!! Prinzipiell gilt, daß die BAW keine dummen Fragen stellt.

Beispiel: Verhörsituation

Die BAW stellt eine Reihe Fragen wie: "wo hat X zu einem bestimmten Zeitpunkt gewohnt?" - Natürlich wo er gemeldet war -, "wo hat X gearbeitet?" etc.

Die Zeugin überlegt angestrengt, welche Frage ihr relativ harmlos erscheint, welche nicht. Ihr Zögern, Ausweichen, ihre schnelle Antwort können der BAW Hinweise auf sie möglicherweise interessierenden Punkte in der Biographie der gesuchten Person geben.

Zeuglnnenbefragungen finden in der Regel als Frage und Antwort-Spiel statt. D.h. die Zeuglnnen bekommen nicht einen Fragenkatalog vorgelegt, wo sie von vornherein einen Überblick über die einzelnen Fragen und deren mögliche Bedeutung haben und eventuell in Ruhe entscheiden können, welche Frage sie beantworten. Die BAW bemüht sich um die Atmosphäre eines Gespräches. Blockiert eine Zeugin an einzelnen Punkten dieses Gespräches, muß sie dies häufig begründen.

Diese zermürbende Situation hat z.B. im Falle eines Hamburger Zeugen 3 Stunden gedauert. Die wenigsten Zeuglnnen werden sich nach einer solchen Prozedur noch erinnern können, welche Informationen sie dem Staatsschutz gegeben haben.

Für den eigenen Schutz!

EinE Zeugln ist schnell BeschuldigteR

In 129a-Verfahren können Zeuglnnen im Nu selbst zu Beschuldigten werden, da die Bekanntschaft mit einer verdächtigen Person jede und jeden selbst in den Kreis verdächtiger Personen kommen läßt. Dies ist in der Vergangenheit schon häufig geschehen (in RAF-Verfahren).

Insbesondere mit der Verweigerung der Aussage unter Berufung auf den §55 belastet man/frau sich selbst. Im Kern besagt dieser Paragraph, daß Antworten, die eine mögliche Selbstbelastung beinhalten, verweigert werden können.

Diese Selbstbelastung kann durchaus von BKA und BAW für künftige Verfahren erwünscht sein.

Außerdem sieht das Gesetz vor, daß jeder Bezug auf den §55 erstmal begründet werden muß. Eine schizophrene Situation, weil das heißt, daß mit der Begründung warum solch eine Aussage etwas mit der eigenen Person zu tun hat und belastend sein könnte, jede Menge Informationen geliefert wird.

Ob die BAW bei der jeweiligen Frage den §55 akzeptiert, hängt von ihrer Willkür ab; wurden viele andere Fragen beantwortet, lassen sie vielleicht einige unbeantwortete zu.

Ist eine Zeugin bereits Beschuldigte in einem anderen 129a Verfahren, so ergibt sich daraus noch nicht automatisch das Recht auf Aussageverweigerung nach §55. Denn auch in diesen Fällen behalten sich die Ermittlungsbehörden die Entscheidung darüber vor, ob ein Zusammenhang zwischen den Verfahren und damit ein Aussageverweigerungsrecht besteht. Im schlimmsten Fall faßt die BAW die Berufung der Zeugin auf den §55 als Bestätigung der gegen sie erhobenen Vorwürfe auf.

Für die Zukunft ist noch vermehrt zu befürchten, daß die Bekanntgabe von Ermittlungsverfahren solange hinausgezögert wird, bis die Zeuglnnen ihre Funktion erfüllt haben.

Aussagen schützen nicht vor weiteren Vorladungen

Die Zeuglnnenvorladungen im Zusammenhang mit den Schüssen an der Startbahn West in Frankfurt zeigen: Auch Aussagen schützen nicht vor weiterer Verfolgung. Bei signalisierter Aussagebereitschaft kann eine Person immer wieder vorgeladen werden. Nach unseren Informationen wurden in Frankfurt einzelne mehrfach vorgeladen, mit neuen Fragen bedrängt und jedesmal neu dem Druck zur Zusammenarbeit mit den Staatsschutzbehörden ausgeliefert.

Das eigene Gewissen

Jede/r wird sich die Frage stellen: Habe ich mich so verhalten, wie ich es richtig finde?

Bei Aussagen kann man/frau sich nie sicher sein, möglicherweise doch jemanden belastet zu haben.

Immer bleibt die Aussicht, bei einem späteren Prozeß Aussagen wiederholen zu müssen, die der angeklagten Person möglicherweise Knast einbringen.

Läßt sich die Beugehaft überhaupt gegen den politischen Schaden und dem Vertrauensverlust in der Scene aufrechnen, den Aussagen anrichten können?

Aufgrund all dieser Argumente meinen wir:
* Nichts sagen, nur das ist sicher
* Keine Aussagen
* Keine Kooperation mit dem Staatsschutz

Gedankenfragmente

Die Frage, wie mit den Zeuginnenvorladungen umzugehen sei, ist bislang rigoros auf die generelle Aussageverweigerung reduziert worden.

Die Leichtigkeit, mit der Aussageverweigerung propagiert wurde, und deren Konsequenzen nicht diskutiert wurden, erinnert eher an die VoBo-Debatte. Dies scheint die erste gravierende Fehleinschätzung gewesen zu sein.

Es geht in diesem Fall um die Verfolgung von flüchtigen Personen, die der Mitgliedschaft in der RZ und konkreter Taten beschuldigt werden. Die Beweisnöte und Schwierigkeiten bei den Ermittlungen sind offensichtlich. Also ist eigentlich davon auszugehen, daß BKA und BAW bei der Verfolgung von "Terroristlnnen" jeden Spielraum, der ihnen durch Gesetze, StPo u. ä. geboten wird, auch nutzen.

Die Repressionsmöglichkeit der Beugehaft trifft jede Einzelne in ihrer gesamten Lebenssituation:

Sie ist nicht nur mal eben ein halbes Jahr weg vom Fenster, sondern sie hat weitreichende Konsequenzen zu tragen. An diesem Punkt stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen dem Preis, der für die Verweigerung zu zahlen ist, (nämlich Knast,) und dem Schaden, den eine Aussage anrichten kann. Es gibt kein.Patentrezept, was diese Frage eindeutig lösen könnte, denn jede Zeugin ist in einer unterschiedlichen Situation, was ihre persönliche Lebenssituation und den möglichen, von ihr gestifteten Schaden angeht.

Diese Auseinandersetzung ist für die einzelne Zeugin eine ganz entscheidende. Die Fixierung auf Aussageverweigerung als einzig mögliche Verhaltensweise hat eine rechtzeitige und gründliche Auseinandersetzung aber eher unmöglich gemacht. Deshalb unmöglich gemacht, weil niemand (außer den Betroffenen?) diese Frage ernsthaft zulassen wollte.

Mit den Widersprüchen haben sich die Betroffenen geplagt, wobei diese jedoch nicht zur Diskussion gestellt wurden - Welchen Sinn macht eine solche Forderung (Auss.Verw.) an das Verhalten jeder einzelnen Zeugin, wenn dies dazu führt, daß sie allesamt in den Knast wandern? Ist denn tatsächlich die politische Situation so, daß eine Chance gesehen wird, dies verhindern zu können? Ist es ein sinnvoller Akt der Solidarität mit den §129a Verfolgten, selbst in den Knast zu gehen? Wird sich daran der große gesellschaftliche Aufschrei entzünden?

Eine solche Herausforderung kann nur dann sinnvoll sein, wenn eine ernsthafte Möglichkeit gesehen wird, auch gewinnen zu können oder selbst wenigstens keinen großen Schaden zu erleiden. (wie beispielsweise beim VoBo). Trotzdem von allen Zeuglnnen weiterhin ein Gleichverhalten (generelle Aussageverweigerung bis in den Knast) zu fordern heißt: entweder die realen Machtverhältnisse zu ignorieren oder nicht wahrhaben zu wollen, oder aber durch die Schaffung von "Heldlnnen" weiterhin eine Ideologie hochzuhalten, die einer realen Basis entbehrt.

Dies führt zu einer Situation, die nur das Verhalten der Zeuglnnen in den Mittelpunkt rückt und nicht mehr deutlich macht, wer denn eigentlich Menschen zu Zeuglnnen machen kann, wer denn eigentlich den Allzweckparagraphen 129a mit welchen Zielen einsetzt, welches Instrumentarium zur Verfügung steht, politische Gegnerschaft als "Terorrismus" zu definieren und zu verfolgen.

Nur wenn alle Seiten/Standpunkte in der Diskussion zugelassen werden, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Zeuglnnenvorladungen möglich.

Kollektives Handeln kann nicht zum Ziel haben, ein einzig mögliches Verhalten für alle als Ideal zu propagieren, sondern muß sich vielmehr an den Möglichkeiten der Einzelnen orientieren und diese zur Diskussion stellen.

Außerdem:

Die Zeuglnnenvorladung ist nur eine Methode, Informationen zu gewinnen. Dies sollte bei der ganzen Diskussion nicht außer Acht gelassen werden.

Aufruf zur Aussageverweigerung ist eine politische Sackgasse

Leider sehen wir uns als "Gesamtorganisation" nicht in der Lage, eine schriftliche (unsere) Einschätzung der bisherigen Kampagne gegen die Beugehaft abzugeben. Wir wollen aber Euer Vorhaben, eine Dokumentation mit mehreren verschiedenen Positionen dazu zusammenzustellen, damit unterstützen, indem ich versuchen will, einige Anmerkungen über Verständnis und Motivation meinerseits dazu zu machen. Sie geben damit einen Teil der Diskussionen im Zusammenhang der Mitarbeiterlnnen der lnfostelle wieder, sind aber von der inhaltlichen Aussage her allein von mir zu verantworten.

Unsere Beteiligung an der Kampagne war sehr zögernd und individuell von einigen Mitarbeiterlnnen. Das erklärt sich einerseits aus dem Mandat der Südostasien-Informationsstelle als entwicklungspolitische Bildungsorganisation zu Ländern in der Region, zum anderen in der Art und Weise wie auf den jeweiligen Veranstaltungen und Versammlungen diskutiert wird und mit welchem politischem Verständnis. Erst nebenstehender Plakatentwurf zwang uns als Infostelle, Stellung dazu zu beziehen. (1) Wir schrieben daraufhin u. a.:

"Wir halten es für begrüßenswert, eine möglichst breite Öffentlichkeit für die Unterstützung des Kampfes gegen die Kriminalisierung der Beschäftigung mit Themen wie z. B. Gentechnologie, Flüchtlingspolitik oder Sextourismus erreichen zu wollen. Deshalb sollte unseres Erachtens auch der Schwerpunkt des Entwurfes auf den Inhalten liegen, die für ein unbedarftes Publikum näher ausgeführt werden müßten d. h. auch, daß die momentane Anwendungspraxis des §129a und die Beugehaftandrohungen stärker in den inhaltlichen Kontext eingebettet werden müssen." (... )
"Bei den Forderungen haben wir starke Bedenken und finden es auch politisch falsch, Aussageverweigerung zum alleinigen Mittel des Widerstandes zu erklären und damit zum Kriterium für solidarisches Verhalten zu machen. Wir denken, daß eine differenzierte Taktik durchaus diskussionswürdig wäre, denn Aussageverweigerung ist unseres Erachtens selbst nicht ein politisches Mittel, sondern muß von Fall zu Fall entschieden werden."

Dies war und ist sehr knapp ausgedrückt unsere grundsätzliche Haltung zu der Kampagne. Was den endgültig veröffentlichten Plakataufruftext angeht, so haben wir uns genau deshalb geweigert, ihn mit zu unterschreiben, weil er Aussageverweigerung als einziges "Kampf" -Mittel und Aussagen als "Kooperation mit dem Staatsschutz" hinstellt, was sowohl in der Endparole ("Nur gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand können die Verfolgungswelle des Staates stoppen!") als auch im vorletzten Absatz ("Vor diesem Hintergrund hat sich die Mehrzahl derbislang in dem Gesamtkomplex zu Vernehmungen geladenen Zeuglnnen entschlossen, jede Kooperation mit dem Staatsschütz zu verweigern, d. h. sie machen keinerlei Aussagen, da [. . . ] ".) deutlich zum Ausdruck kommt. Wir haben Formulierungsalternativen angeboten (Streichung der Endparole und Änderung des vorletzten Absatzes in "[... ] Zeuginnen entschlossen, keinerlei Aussagen zu machen, da [... ]."), die nicht berücksichtigt wurden. Eine - für uns - erstaunlich große Anzahl von Gruppierungen hat denn den Aufruf unterschrieben.

Ich halte ihn trotzdem für eine politische Sackgasse, was meines Erachtens nach der Inhaftierung von Gabi einerseits und den Aussagen einiger andererseits mehr als deutlich wurde.

Die neue Situation nach dem 16.3. mit Gabi im Knast bedeutete für uns, unabhängig von anderen Aktivitäten im Rahmen unserer Möglichkeiten und unseres politischen Verständnisses zu handeln.

Wir haben einen eigenen Aufruf an über 300 Personen und Organisationen im In- und Ausland.verschickt, der auch in verschiedenen Zeitschriften abgedruckt wurde. Es haben daraufhin - soweit uns bekannt - 15 Organisationen aus dem Ausland (5 aus Südostasien) und 12 aus der BRD, darunter 15 MdB der Grünen, reagiert und meist an Justizminister und Ermittlungsrichter geschrieben.

Ich bin der Auffassung, daß die ganze Beuge- oder besser noch "Erzwingungshaft" immer nur eng im Zusammenhang mit dem (Gesinnungs-) Paragraphen 129a StGB gestellt werden muß. Der. §129a beschneidet eklatant die Bürgerrechte in einem demokratischen Rechtsstaat, wie im übrigen auch eine Reihe von anderen Gesetzen. Es kann uns m. E. in der heutigen politischen Situation vorerst nur darum gehen, jede Einschränkung der demokratischen-Grundrechte im Rahmen dieses Rechtsstaates abzuwehren und sich für eine extensive Auslegung dieser Grundrechte für die breite Bevölkerung einzusetzen. "Die Herrschenden" haben immer versucht, den Beherrschten einmal zugestandene Rechte rückgängig zu machen oder einzuschränken im Namen ihres Verständnisses von Staatsräson. Demokratische Grundrechte mußten und müssen immer wieder aufs Neue erkämpft oder durchgesetzt werden.

Im Zusammenhang mit dem § 129a bedeutet das, offensiv gerichtet an eine breite, demokratische Öffentlichkeit nicht nur an die alternative und pseudorevolutionäre Szene - die Konsquenzen dieses Gesinnungsparagraphen in jeder Hinsicht hervorzuheben und sich um dessen Abschaffung in einem politischen Bündnis mit möglichst vielen Kräften einzusetzen. Mit den sogenannten "anschlagsrelevanten Themen" in der Sprachterminologie der Bundesanwaltschaft wird jedem demokratisch denkenden Menschen die Gesinnungsverfolgung deutlich. Außerdem bedeutet es, tatsächlich auch eine radikale Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu entwickeln und öffentlich zu führen, die ja gerade durch die Paragraphen kriminalisiert werden soll, wobei eine Übereinstimmung mit einer solchen Kritik nicht zur Voraussetzung für ein Bündnis gegen den Paragraphen 129a gemacht werden darf.

Das allgemeine Lamentieren einiger selbsternannter "Revolutionäre" im linken Spektrum darüber, daß der Staat - wer immer dabei im einzelnen gemeint sein mag - uns sowieso nur ausplündern und unterdrücken will, reicht nach meinem Verständnis nicht aus und hat mit radikaler und ernstzunehmender Gesellschaftskritik, die die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung im Auge hat, wenig zu tun, wie auch die Aktionen des sogenannten "militanten Widerstandes" von RAF, Rote Zellen u.ä. nicht. Versuche (radikale) Veränderungen unserer Gesellschaft ohne Unterstützung in großen Teilen der Bevölkerung durchzusetzen sind m. E, nicht möglich und nicht erstrebenswert. Meines Erachtens bietet unsere gesellschaftliche Wirklichkeit genügend Anhaltspunkte für den menschenverachtenden Charakter des ihr zugrundeliegenden Systems, um früher oder später eine Mehrheit für ihre Veränderung zu gewinnen.

Wenn wir schon etwas aus den erfolgreichen Befreiungskämpfen der Völker der 3. Welt lernen wollen, so doch die Tatsache, daß subjektiv oder zumindest objektiv die große Mehrheit der Bevölkerung hinter den Befreiungsbewegungen und -Organisationen gestanden hat. Daß dabei noch lange nicht immer eine sehr viel bessere Alternative herausgekommen ist, wie sich häufig gezeigt hat, heißt für uns doch, daß sich konkrete Veränderungsvorstellung zu Gunsten der Mehrheit der Bevölkerung nur auf Grundlage radikaldemokratischer Verhältnisse entwickeln können.

Mitarbeiter der Südostasien-Informationsstelle, Bochum

(1)

Verhindern wir die Beugehaft!

Acht Männer und Frauen aus Duisburg, Oberhausen und Hamburg sollen zur Erzwingung von Aussagen in Beugehaft genommen werden. Dies ist ein in der Justizgeschichte der Bundesrepublik bislang beispielloses Vorgehen.

Hintergrund der Maßnahme ist die bundesweite Razzia vom 18.12.1987. Damals durchsuchten Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft 33 Wohnungen und Arbeitsstätten in Köln, Hamburg und im Ruhrgebiet. Die Behörden begründeten ihre Aktion mit Ermittlungsverfahren gegen mehr als zwei Dutzend Personen. Sie alle sollen angeblich Mitglieder bzw. Unterstützerlnnen der "Revolutionären Zellen" oder "Rote Zora" sein.

Unter den Beschuldigten ist auch die Kölner Journalistin Ingrid Strobl, die zur Zeit in Düsseldorf vor Gericht steht. Und dazu zählen vier weitere Personen, nach denen seit über einem Jahr öffentlich gefahndet wird. Die Betroffene sind als radikale Gegnerlnnen der Gen- und Reproduktionstechniken, staatlicher Flüchtlingspolitik und des Sextourismus bekannt.

Diese Themen wurden von der Bundesanwaltschäft zu "anschlagsrelevanten Themen" erklärt. Damit ist die Grundlage geschaffen, jeden entschiedenen Widerstand gegen die herrschende Politik in den genannten Bereichen nach §129a zu verfolgen.

Der Gesinnungsparagraph 129a sichert dem Staatsschutz eine Art Ausnahmezustand, der jede Bespitzelung, Beschattung, Abhör- und Durchsuchungsaktion, Vorladung und Datensammlung, die Beschneidung von Rechten der Beschuldigten und der Verteidigung, verschärfte Haftbedingungen, wie Isolationshaft, ermöglicht. Seine Anwendung soll einschüchtern, spalten und unseren Diskussions- und Handlungsraum in den staatlich erlaubten Rahmen zwingen.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Mehrzahl der bislang in dem Gesamtkomplex zu Vernehmungen geladenen Zeuglnnen entschlossen, jede Kooperation mit dem Staatsschutz zu verweigern. D. h. sie machen keinerlei Aussage, da in 129a-Verfahren selbst die kleinste, scheinbar noch so unbedeutende Information zur Konstruktion von Beschuldigungen herhalten kann.

Jetzt sollen acht dieser Zeuglnnen in Beugehaft genommen werden, um die gewünschten Aussagen mit Gewalt zu erpressen. Für die Betroffenen kann dies bis zu einem halben Jahr Knast bedeuten.

Wir fordern:
Keine Beugehaft!
Einstellung aller Fahndungen und Ermittlungen nach § 129a!
Freiheit für Ingrid Strobl!
Weg mit dem Gesinnungsparagraphen 129a!>
Nur gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand können die Verfolgungswelle des Staates stoppen!

Trotz Beugehaft:
Keine Aussagen - keine Kooperation

Wenn Ermittlungs- und Justizbehörden Informationen sammeln, dann tun sie dies in einem Interesse, das unserem entgegengesetzt ist. Sie wollen diesen -Staat schützen; wir wollen ihn angreifen. Also kann es für uns grundsätzlich auch nur eine richtige Antwort auf die vielfältigen Formen ihrer Ausforschungspraxis geben: Den Widerstand dagegen organisieren. Und das heißt im Fall von ZeugInnen"vorladungen": Aufrufen zu einer kompromißlosen Aussageverweigerung.

Daß diese Position, die in der Vergangenheit von einem (relativ) breiten politischen Spektrum getragen wurde, heute zunehmend in Frage gestellt wird, ist Ausdruck einer Verunsicherung, die mit Verhängung der ersten Beugehaftbeschlüsse einsetzte. Zwar herrscht - von Ausnahmen abgesehen - noch immer die Überzeugung vor, daß konsequentes Schweigen die einzig sichere Verhaltensweise ist, sich den Aushorchungsversuchen des Staatsschutzes zu entziehen. Doch im Unterschied zu früher wird daraus nicht mehr die unbedingte politische Konsequenz gezogen, offensiv zur Aussageverweigerung aufzurufen. Der Grund hierfür ist eine Diskussion, die nach dem exemplarischen Einsatz von Beugehaft zur Disziplinierung aussageunwilliger "Zeuglnnen" ihren Anfang nahm, und die sowohl die individuellen als auch die politischen Folgen der Aussageverweigerung neu thematisiert.

Bevor die Bundesanwaltschaft zum Zwangsmittel der Beugehaft griff, waren "die Betroffenen" und damit die subjektive Problemstellung der Aussageverweigerung kein Thema. Dagegen spielte ihre politische Bedeutung eine umso größere Rolle. Anna und Arthur wurden zum Symbol des Widerstandes gegen politische Denunziation und Gesinnungsschnüffelei. Die Verweigerung, der geforderten Kooperation mit dem Staatsschutz galt als Dokumentation unseres Widerstandes gegen die Bespitzelung, Erfassung und Kontrolle von politischer Opposition. Und schließlich versprach die kollektive Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsperspektive zur Verhinderung massenhafter "Zeuglnnen"-Vorladungen bzw. zur Blockierung laufender Ermittlungsverfahren zu eröffnen.

Seit jedoch die Beugehaft als ernstzunehmende Bedrohung im Raum steht, wird über die politische Funktion der Aussageverweigerung kaum noch geredet; im Extremfall wird sie neuerdings sogar geleugnet. Dagegen ist eine Debatte in den Vordergrund gerückt, die an unterschiedIichen Punkten ansetzt, im Kern allerdings stets um die Frage kreist, ob das Absitzen von Beugehaft nicht ein zu hoher Preis für die Aussageverweigerung ist. Wobei alle möglichen Überlegungen zur Entscheidungsfindung herangezogen werden: die eigene Angst vor dem Knast; der mögliche Verlust von Arbeitsplatz und Beziehung; die Sorge um Kinder oder anstehende Prüfungen; die Einschätzung, daß die Mehrheit "der Betroffenen" den Schritt in die Beugehaft sowieso nicht tut; die Befürchtung, "Märtyrerlnnen" oder "Heldlnnen" zu produzieren. Nur ein Gedanke fällt völlig unter den Tisch. Die Erwägung der politischen Konsequenzen nämlich, die ein Standhalten bzw. Nachgeben gegenüber dem Zwangsmittel der Beugehaft mit sich bringt.

D h. die augenblickliche Diskussion orientiert sich nicht mehr am Ziel der Aussageverweigerung und den politischen Interessen, die wir damit verbinden. Vielmehr macht sie die allgemeine Angst vor Inhaftierung, unsere politische Schwäche und natürlich vorhandene Erpressbarkeit zur Richtschnur des weiteren Handelns. Mit dem Ergebnis, daß die Entscheidung für oder gegen Aussagen zum persönlichen Problem wird, auf das es keine politische Antwort, sondern nur noch individuelle Reaktionen gibt.

Dem Entgegenzuwirken, setzt vorraus, die Diskussion um die Beugehaft vom Kopf auf die Füße zu stellen. Was zunächst einmal bedeutet, sich an die Gründe uns Zielsetzung der Aussageverweigerung zu erinnern, und diese zur erneuten Grundlage der Auseinandersetzung zu machen. Bestimmen wir sie im ursprünglichen Sinn, d.h. als Teil unseres Widerstandes gegen politische Erfassung und Kontrolle, und wollen wir uns selber ernst nehmen, kann daraus nur die offensive Aufforderung zur Aussageverweigerung und zur Inkaufnahme der Beugehaft folgen. Alles andere wäre ein Zurückweichen hinter die eigene Einsicht in die politische Notwendigkeit; eine Kapitulation vor der willkürlichen von der Gegenseite bestimmenden Schmerzgrenze "Knast"; ein Aufgeben der eigenen Interessen sobald ihre Verteidigung unsere ganze Person erfordert.

Eine derartige öffentliche Positionsbestimmung zum Thema der Aussageverweigerung erfordert allerdings eine entsprechende Bereitschaft, sich sowohl mit den eigenen als auch den Schwächen, der im Einzelfall direkt betroffenen "Zeuginnen", zu konfrontieren. D. h. wenn uns die Aussageverweigerung das Risiko einer Inhaftierung wert ist, reicht es nicht, dies politisch zu vertreten, sondern wir müssen in einem zweiten Schritt, von uns und anderen, ein demgemäßes Verhalten einklagen.

Das geht aller Erfahrung nach - insbesondere in der Auseinandersetzung mit "Zeuglnnen" - nicht ohne Heulen und Zähneklappern über die Bühne. Schließlich wollen wir alle lieber in der Sonne liegen, mit Freundlnnen in der Kneipe sitzen, mit dem oder der Liebsten ins Bett gehen, statt im Knast zu hocken. Und natürlich sind wir alle nur zu gerne bereit, unser bißchen Freiheit hier draußen mit allen Mitteln zu verteidigen. Trotzdem bzw. gerade deshalb gilt es, die politischen Interessen, den persönlichen Bedürfnissen entgegenzusetzen.

Anders als oft unterstellt wird, bedeutet ein solches Vorgehen keinesfalls, die Ängste und Schwierigkeiten, die angesichts einer drohenden Inhaftierung auftauchen, zu leugnen oder gar als "bürgerliche Kacke" einfach abzutun. Es geht vielmehr darum, sie nicht zur Grundlage der Debatte zu machen und damit den Anschein zu erwecken, als sei das jeweilige Verhalten von "Zeuginnen" Ergebnis ihrer psychologischen Disposition bzw. persönlichen Lebensumstände. Denn ob sich jemand entscheidet, in Beugehaft zu gehen oder mit sogenannten "begrenzten Aussagen" den Weg zur Kooperation zu beschreiten, ist in erster Linie eine Frage des politischen Kopfes. Und so muß das Ganze - bei allem Verständnis für die menschlichen Schwierigkeiten und ungeachtet des Wissens um die eigene Erpressbarkeit - auch diskutiert werden.

Dies ist im Ruhrgebiet bisher nicht gelungen und beweist sich im Nachhinein als entscheidender Fehler. Denn durch die mangelnde politische Auseinandersetzung und fehlende Konfrontation der "Zeuglnnen" mit kollektiven Anforderungen existierte kein Korrektiv zum Versuch, ihre Verweigerungshaltung mit Hilfe der Beugehaft zu brechen. Statt kritischer Solidarität und aktiver Unterstützung, dem Erpressungsversuch zu widerstehen, wurde den Frauen lediglich Mitgefühl und die eigene Verunsicherung entgegengebracht. Daß sich im Ergebnis die Mehrheit von ihnen aussagebereit gezeigt hat, ist also zumindest zum Teil unserer Unfähigkeit geschuldet, den "Zeuglnnen" eine Entscheidung abzuverlangen, deren politischer Charakter zutage getreten wäre und die entsprechend auch hätte diskutiert werden können.

Zum Schluß noch ein Wort zu der Behauptung, das kompromißlose Vertreten der Aussageverweigerung und die Bewertung jedes Aussageverhaltens als Kooperation mit dem Staatsschutz würde angesichts der Drohung mit Beugehaft "Märtyrerlnnen" schaffen: Damit wird unterstellt, daß "Zeuglnnen" sich zu Opfern ihnen aufoktroierter Ziele machen ließen, was nicht nur eine entsprechende Absicht behauptet und damit ein ungeheuerliches Mißtrauen gegenüber der Szene ausdrückt, sondern gleichzeitig bedeutet, daß den "Zeuglnnen" keine eigene Entscheidungsfähigkeit zugetraut wird.

Ähnliches ist zur Befürchtung zu sagen, daß die Bestimmung jedes Aussageverhaltens als politische Kooperation den Verratsvorwurf impliziere. Denn spätestens seit den Auseinandersetzungen um die massenhaften Aussagen und Belastungen haben wir gelernt, zwischen praktischem Verrat und politischen Interessensverkauf zu unterscheiden. Nicht zufällig hat daher auch die Verratsdebatte im Zusammenhang mit der Beugehaft noch keine Rolle gespielt.

Erfahrungsbericht einer Zeugin

Im Großen und Ganzen habe ich für mich das Gefühl, richtig gehandelt zu haben, indem ich Aussagen gemacht habe. Zweifel bleiben, kommen auch immer wieder auf. Es scheint notwendig zu sein darzustellen, daß ich keine Aussagen gemacht habe, die dritte Personen belasten bzw. in diese Geschichte verwickeln könnten.

Wie ich mit der Verhörsituation umgegangen bin, habe ich dort erzählt, wo ich das Gefühl habe auch offen damit umgehen zu können. Ich habe das auch zu dem Zweck gemacht, damit diese Leute wiederum gegenüber anderen klarstellen können, daß die Aussagen, die in Karlsruhe und Essen gemacht wurden, eine andere Qualität haben als die, die im Zusammenhang mit den Startbahnschüssen zunächst gelaufen sind.

Ich wurde dazu gezwungen, Aussagen zu machen. Meine Einstellung zur Aussageverweigerung schlechthin hat sich dadurch aber nicht von einem Tag auf den nächsten verkehrt. Nach wie vor finde ich es richtig, Aussagen im Zusammenhang mit Verfahren nach dem §129a zu verweigern. Trotzdem können wir in dieser Haltung nicht verharren, ohne zu diskutieren, wie wir damit umgehen, wenn der Druck auf die Einzelnen, z.B. unter der Androhung von Beugehaft, zu groß wird. Gibt es in so einer Situation Wege, möglichst wenig zu sagen, eben um nicht mit dem Staatsschutz zu kooperieren?

Ich habe gelernt, daß es faktisch kein kollektives Vorgehen gibt, jedenfalls nicht in der Form, daß alle zum Schluß in der gleichen Art und Weise handeln. Trotzdem ist das sich-zusammen-hocken und austauschen, heulen und lachen, gemeinsam nach Lösungen suchen ein wichtiger Prozeß. Uns als Gruppe der Vorgeladenen unter Ausschluß anderer Leute zu treffen, war absolut notwendig. Wir haben allerdings den Fehler gemacht, die Diskussionen um unsere Ängste, unsere labile emotionale Situation, unsere ökonomischen und beziehungsmäßigen Probleme nur unter uns zu führen. Aus Angst, der Statsschutz könnte unsere Schwächen mitkriegen und genau in diese Kerben hauen, haben wir davon noch nicht mal was in die uns direkt unterstützenden Kreise fließen lassen. Außerdem hat aus juristisch-taktischen Gründen keine von uns vorher offengelegt, wie sie sich nun genau bei ihrer 3. Vorladung zu verhalten gedenke, d. h. wie die Strategie der Einzelnen aussieht.

Das hatte fatale Folgen. Auf allen Flugblättern, in allen veröffentlichten Publikationen, auf Plakaten und in politischen Diskussionen ging es nur um die Aussageverweigerung bis in die letzte Konsequenz, nämlich für ein halbes Jahr in den Bau zu wandern. Die unterstützenden Leute fühlen sich jetzt teilweise benutzt und verarscht, weil die meisten von uns doch Aussagen gemacht haben. Sie hatten angenommen, wir alle würden im Zweifelsfall für die Aussageverweigerung in den Knast gehen.

Wir müssen also offener diskutieren. Der Anstoß und das Bemühen darum muß meiner Meinung nach aber genausogut von den UnterstützerInnen kommen. Es ist naiv zu glauben, daß da 8 Leute sind, die diese Situation für sich mal ganz locker wegstecken und mal eben für einen Frühling und Sommer lang im Knast verschwinden. In der Theorie habe ich auch gesagt, Aussageverweigerung bis in den Knast. Als die Bedrohung spürbar war, hatte ich oft das Gefühl an der Schizophrenie kaputtzugehen. Noch nie zuvor habe ich so intensiv gefühlt, wie ich mich nach dem Frühling, nach Sonne, Wärme, bunten Blüten und schönen Gefühlen sehne. - Trotzdem, jedesmal wenn ich die Sicherheit hatte, mit den anderen zusammen ein gemeinsames Vorgehen gefunden zu haben, ging es mir gut. Sobald alles wieder schwankte, ging es mir total beschissen. Ein Grund dafür war, daß ich nur dann einen Sinn darin sah in den Knast zu gehen, wenn wir es gemeinsam getan hätten, um zu zeigen, daß wir uns nicht kleinkriegen und spalten lassen und in der Hoffnung, daß das Vorgehen des Staatsschutzes Empörung bis in die liberale Öffentlichkeit hinein auslösen würde. Der Druck der Öffentlichkeit hätte dann vielleicht bewirkt, daß der Staatsschutz die 6 Monate Beugehaft nicht hätte durchziehen wollen.

Zu erfahren, daß einige Leute für sich entschieden hatten, einige Aussagen zu machen und andere nach §55 zu verweigern, veränderte die Situation für mich. Deshalb mußte ich mich nochmal mit den wenigen Handlungsalternativen, die ich hatte, auseinandersetzen. Mir wurde immer klarer, daß ich letztendlich meine individuelle Entscheidung treffen und tragen mußte. Das hieß, ich mußte die Spekulationen über ein gemeinsames Vorgehen aufgeben, zumindest im Zusammenhang mit meiner Entscheidungsfindung.

Ich habe also nochmal intensiver im Knastratgeber gelesen, um mir die Knastsituation zu vergegenwärtigen. Dann habe ich mit einem geredet, der selbst mal gesessen hat. Auf der anderen Seite habe ich fiktive Verhörfragen aufgeschrieben und mich hingesetzt, um sie zu beantworten. Irgendwann habe ich den Kuli in die Ecke geschmissen und beschlossen die Aussage zu verweigern; es ist zu riskant und zu kompliziert mich auf deren Logik einzulassen.

Dann bin ich in den Park gegangen, hab eine Frau getroffen, die mir sagte, daß sie und andere finden, ich solle nicht in den Knast gehen. Also habe ich mich wieder an die Fragen gehockt und mich auf deren Beantwortung eingelassen. Nach einer Weile habe ich sowas wie einen Sog verspürt, der den Effekt hatte, daß ich mir nach und nach immer weniger bei der einzelnen Frage überlegt habe, ob ich sie überhaupt beantworten will. Ich merkte, daß ich sehr damit beschäftigt war, nur noch zu überlegen, wie ich diese Frage beantworten sollte, um so wenig wie möglich mit dieser Antwort auszusagen. Das war also eine Gefahr, in die ich bei einer Vernehmung geraten könnte für den Fall, daß ich Aussagen machen würde.

Die Entscheidungen sahen letztlich so aus , daß Einige weiterhin die Aussage verweigern wollten. Andere wollten zunächst die Aussage verweigern und sehen, wie sie mit der Knastsituation klarkommen würden. Daran gemessen wollten sie ihr weiteres Vorgehen bestimmen. Im Hinterkopf bei uns war dabei, wenn wir alle jede Aussage nach dem §55 verweigern, dann können sie uns nicht sofort einknasten, weil die Begründung für den Beugehaftbeschluß sich auf unserere juristisch nicht begründete Aussageverweigerung bezieht. Zumindest würde sich der Haftantritt verzögern, weil unserer Meinung nach ein neuer Beugehaftbeschluß gemacht werden mußte, der sich auf die veränderte Situation bezieht. Also gut, angenommen wir würden sofort eingeknastet, so wäre der Ermittlungsrichter bestimmt "froh", nach ca. 3 Wochen eine grundsätzliche Aussagebereitschaft von uns signalisiert zu bekommen. Wir nahmen an, es könnte einen Kompromiß geben, sozusagen bis zu 5 Fragen gestellt zu bekommen, die nicht so "heikel" sind, auf deren Beantwortung wir uns einlassen können.

Mit diesen Überlegungen im Kopf sind wir am 16.3. nach Karlsruhe gefahren. Spätestens als klar war, daß die BAW gegen Gabi in absoluter Härte vorgegangen ist, war auch klar, daß unsere schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen wurden.

Es war klar, wenn ich jetzt in den Knast gehe, gibt es keine Kompromisse mehr. Entweder ich bleibe dann das halbe Jahr drin oder ich komme nur raus, wenn ich die ganze Tortur der Befragung über mich ergehen lasse. Konsequenz: entweder ich gehe jetzt rein und das für ein halbes Jahr; oder ich bleib draußen in der Hoffnung, daß sie mich nach einmaliger Befragung in Ruhe lassen.

Gedanken um Gabi: wie geht es ihr jetzt?

Ich fühle mich beschissen, spüre, daß der Druck wiederkommt, daß ich mich neu entscheiden muß unter neuen Umständen. Meine Gedanken schwanken zwischen "Gabi nicht alleine lassen" und der Angst als "Hardlinerin" in den Augen der Staatsschutzbehörden dazustehen und im Anschluß an die Beugehaft weiter mit Mitteln wie Strafvereitelungsverfahren und / oder §129a Verfahren verfolgt zu werden.

Ich habe dann Aussagen in Kombination mit dem §55 gemacht. Die Verhörsituation war anstrengend. Mich dazu zu zwingen jede Frage dahingehend zu prüfen, ob ich sie überhaupt beantworte, ist mir nicht immer gelungen. Hinzu kam, daß ich mit meiner Nervosität zu kämpfen hatte. Den Körper unter Kontrolle zu kriegen, um nicht offensichtlich zu zittern.

In so einer Verhörsituation ist es wichtig auf bestimmte Sachen zu achten:

Zu jeder Frage rausgehen, damit der Gesamteindruck nicht hängenbleibt, zu welchen Fragen man/frau sich erstmal mit Rechtsbeistand beraten muß, und welche Fragen spontan beantwortet werden. Außerdem gebe ich mir damit die Zeit, in Ruhe über die gestellte Frage nachzudenken und meine Möglichkeit damit umzugehen. Wenn ich dann noch die Fragen und Antworten protokolliere, kann ich nachsehen, ob mir diese Frage nicht schon einmal in einer anderen Variante gestellt wurde. Es ist wichtig, das Protokoll denen zur Verfügung zu stellen, die ebenfalls "betroffen" sind, sei es von Vorladungen oder von Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang.

Jetzt komme ich zu meinen Erwartungen, die ich den Leuten gegenüber habe, die sich mit Aussageverweigerung beschäftigen. Setzt euch solidarisch mit den Vorgeladenen auseinander. Versucht die Situation, in den Knast zu gehen, emotional so weit es geht, an euch heranzulassen. Guckt, ausgehend von eurem eigenen Standort, was es bedeutet, folgende Sachen in eure Entscheidung einzubeziehen:
* die eigene politische Einschätzung
* die ökonomische Situation - evtl. Verlust von Wohnung, Arbeitsplatz, Anspruch auf Ärbeitslosenhilfe usw. - Schulden, die sich nach einem halben Jahr Beugehaft in Höhe von 7000,- bis 11000,- DM angesammelt haben (Merke: der Knastaufenthalt ist selbst zu bezahlen!)
* die emotionale Situation - im Herbst ist es leichter in den Knast zu gehen als im Frühling - wie ist meine psychische Konstitution?
* die soziale Situation - wie ist das mit meiner Liebesbeziehung und meiner WG zu vereinbaren? - Die meist ziemlich nervende Auseinandersetzung mit der Familie nicht zu vergessen.
* die Zweifel, ob ich mit der Knastsituation und den Leuten dort klar komme.
* die Zweifel, ob ich mit der Verhörsituation und den Folgen klarkomme, ich kann jeder Zeit wieder vorgeladen werden; der Beugehaftbeschluß wurde nur ausgesetzt, d. h. ich stehe bei einer erneuten Vorladung wieder vor der Knastbedrohung;

ich kann nur hoffen, nicht mal in einem Prozeß zu sitzen und da miterleben zu müssen, wie meine Aussagen in einem BAW-Konstrukt auftauchen.

Die Anti-Beugehaft - Kampagne

Ein Szenetheater in vier Akten

Die Akteure: Grüne und Studis, Autonome und Freizeitalternative, diverse Initiativlerlnnen und versprengte Liberale, ja selbst einige Karteileichen, einzelne Vormals-Linke. Sie alle treten plötzlich auf die Bühne. Empört über die Androhung von Beugehaft. Entschlossen zum Widerstand gegen diese jüngste Variante staatlicher Repression. Gemeinsam fordernd:

Keine Aussagen!>
Keine Beugehaft!
Lauter Annas und Arthurs.
Scheinbar

1. Akt: Friede auf Erden

Diskutiert wurde zunächst mal nicht. Es ging um Informationsverbreitung und Protestaktionen. Die Versammlungen wurden von praktischen und organisatorischen Problemen bestimmt. Ein Manko, das erkannt, hier und da auch benannt, jedoch nicht ernsthaft thematisiert wurde. Denn in der ersten Zeit herrschte tatsächlich weitgehende Einigkeit darüber, daß praktisches Handeln das Gebot sei. Auf die Offensive der Bundesanwaltschaft, die in dieser Form und im konkreten Zusammenhang erstmalige Androhung von Beugehaft, sollte schnell und öffentlichkeitswirksam reagiert werden.

Es gab Flugblätter, Plakate und Aufkleber, Pressemitteilungen, Veranstaltungen und Kundgebungen, Graffitis, Solidaritäts- und Spendenaufrufe, eine Fülle größerer und kleinerer Aktionen. Das Ganze, obwohl im wesentlichen auf's Ruhrgebiet beschränkt und im Grunde ein unreflektiertes Sammelsurium unterschiedlichster Aktivitäten, hieß .sehr schnell "Anti-Beugehaft-Kampagne" und erfreute sich erstaunlich breiter Unterstützung. Bis hin zu Leuten, die nicht politisches Interesse, sondern die persönliche Bekanntschaft mit den Betroffenen motivierte.

Zwar wußte letzlich niemand zu sagen, warum gerade diese und keine andere Aktion gemacht wurde. Zwar existierten unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Öffentlichkeit mit welchen Mitteln und welchem Ziel anzusprechen sei. Zwar gab es Erfahrungen mit VertreterInnen von Kirchen-, Friedens- und Dritte-Welt-Gruppen, die Aussageverweigerung richtig, eine Aufforderung dazu jedoch politisch falsch fanden. Zwar kannten alle die Kneipengespräche, in denen nach einem dritten Weg zwischen Aussagen und Knast gesucht wurde. Und schließlich wußten nicht wenige von den Unsicherheiten, Ängsten und Zweifeln der Zeuglnnen.

Doch von alledem drückte sich in den regelmäßig stattfindenden Versammlungen nichts aus. Politische Differenzen und Widersprüche, sofern sie denn Überhaupt mal angedeutet wurden, verschwanden in Windeseile wieder unter dem Szeneteppich. Alle sonnten sich in ihrer vermeintlichen Solidarität und Stärke. Und die wenigen Mißtrauischen, die den schönen Schein mit lästigen Fragen nach der jeweiligen Motivation bzw. politischen Zielsetzung der AktivistInnen anzukratzen suchten, ernteten bloß Schweigen.

Alles in allem feierte das längst überholt geglaubte Motto "Einheit geht vor Klarheit" fröhlich Urstände. Bis dann den Anträgen auf die Verhängung von Beugehaft stattgegeben wurde und sich damit bestätigte, was angeblich vorher klar war: Konsequente Aussageverweigerung bedeutet im Zweifelsfall Knast!

Zwischenspiel: Krieg bricht aus

So locker dieser Satz zuvor im Mund geführt worden war, so plötzlich verwandelte er sich nun in die unliebsame Erkenntnis, daß mangelnde Kooperation mit diesem Staat tatsächlich ihren Preis hat. Sehr zum Entsetzen derjenigen, die die gerade produzierten Aufkleber "Bedenke: Der Feind ist unendlich gemein!" so ernst denn doch nicht gemeint hatten. Mit dem Ergebnis, daß sich die über Wochen verdrängten politischen Unterschiede nun schlagartig Bahn brachen.

In einer hitzigen Diskussion kam erstmalig alles auf den Tisch, was zuvor so sorgfältig druntergehalten worden war: Die Unsicherheit über die grundsätzlich politische Funktion von Aussageverweigerung. Zweifel an ihrer Bedeutung in der aktuellen Situation. Kriminaltechnische Überlegungen, welche Aussagen der Gegenseite nützlich sind und welche nicht. Die Frage nach der eigenen Entscheidung, wäre mensch selbst betroffen. Die Überzeugung, daß nichts auf der Welt eine Einknastung wert sei. Und schließlich der irrationale Horror vor dem Knast ganz generell.

Natürlich nannte kam jemand das Kind beim Namen. Heraus kamen vielmehr Behauptungen wie: "Wir (!) können es nicht verantworten, Leute in den Knast zu schicken." Oder: "Gehen die freiwillig (!) in den Knast, bleiben sie auch nach dem halben Jahr drin." Und: "Das ganze ist die Sache nicht wert." Bzw: "Zur Aussageverweigerung bis zum Letzten ist die politische Situation noch nicht reif." Und besonders interessant: "Die Anti-Beugehaft-Kampagne ist gescheitert. Eine Aussageverweigerungskampagne haben wir nie gemacht!"

2. Akt: Täuschen und Tarnen

Doch wer denkt, die endlich aufgebrochene Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung hätte zu längst überfälligen Debatten geführt, der unterschätzt die Verdrängungskünste, Diskussionsunfähigkeit und Auseinandersetzungsängste der Szene ganz gewaltig. Schon zwei Tage nach dem mit ach so viel Engagement, persönlicher Betroffenheit und politischem Verantwortungsgefühl geführten Streit, herrschte Schweigen wie gehabt. Ganz so, als hätte sich nicht gezeigt, wie tief die politischen Gräben zwischen den an der "Kampagne" beteiligten Aktivistlnnen sind.

Da konnten selbst die betroffenen ZeugInnen vorbeischneien und vermelden, daß sie ungeachtet der Beugehaftbeschlüsse auch weiterhin keine Aussagen zu machen, sondern - wennïs denn sein müsste - in den Knast zu gehen gedächten. Es wurde nicht mal nach einer Begründung für diese Entscheidung gefragt. Sie weder, was angesichts der eigenen Bedenken und Ängste nur konsequent gewesen wäre, politisch in Frage gestellt noch als Lippenbekenntnis eingeschätzt. Und schlimmer noch: Alle diese Versäumnisse wurden informell, in privaten Gesprächsrunden nachgeholt, ohne das die Ergebnisse dieser Küchentischkultur in irgendeiner Form für die politische Auseinandersetzung fruchtbar gemacht worden wären.

Derweil wurde nach außen hin, auf Flugblättern und in Redebeiträgen, weiterhin und scheinbar ungebrochen für eine Aussageverweigerung ohne Wenn und Aber agitiert.

Gemessen an den öffentlich vertretenen Positionen und angesichts der erklärten Schweigeabsicht zumindest der Zeuglnnen aus dem Ruhrgebiet hätte also der Umstand, daß sich letztendlich doch sechs von acht Zeuginnen zu Aussagen erpressen ließen, als politische Schwäche gewertet werden müssen. Stattdessen wurde das Geschehen am 16. März in Karisruhe tabuisiert.

Aus unterschiedlichen Gründen allerdings: Von "gebeugten" Zeuginnen aus Unfähigkeit, mit dem eigenen Verhalten umzugehen. Von jenen, die sowieso im Ruf der "HardlinerInnen" stehen, aus Angst, eine Kritik am praktischen Aussageverhalten könnte ihnen als Verratsvorwurf ausgelegt werden. Und von denjenigen schließlich, die dem Mehrheitsverhalten der ZeugInnen insgeheim Beifall klatschten, aus mitleidiger Rücksichtsnahme den in Haft sitzenden "Märtyrerinnen" gegenüber.

3. Akt: Das Ablenkungsmanöver

Ersatzweise wurde eine Diskussion eingeführt, die gekonnt von den eigentlichen Fragen ablenkt. Hieß es doch auf einmal: Aussageverweigerung sei zwar richtig, doch eine entsprechende Kampagne könne nicht an den Betroffenen vorbei geführt werden. Womit nicht etwa gemeint war, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Sich in Zukunft offener, ehrlicher und gründlicher mit (potentiellen) Zeuginnen auseinanderzusetzen. Ihnen nach Kräften den Rücken zu stärken und eine Entscheidung zu ermöglichen, die diesen Namen auch verdient. Sie die Konsequenzen ihres Verhaltens, sei es die Einknastung oder seien es die politischen und persönlichen Folgen der Aussagebereitschaft, nicht alleine tragen zulassen.

Nein. Der Hinweis auf die berühmten Betroffenen meint im Gegenteil, sich nicht einzumischen. Das eigene Verhalten von dem ihren abhängig zu machen. Zwar wirft ein solches Vorgehen die ZeugInnen auf sich slebst zurück. Doch hat es unschätzbare Vorteile für beide Seiten. Die Betroffenen müssen sich nicht rechtfertigen. Egal was sie tun, es ist akzeptiert. Und die anderen brauchen keine politische Position zu beziehen. Sie können bei ihrem "Ja" zur Aussageverweigerung und "Nein" zum Knast bleiben, ohne das eine oder ander zu Ende denken zu müssen.

4. Akt: Der Untergang

Ergebnis ist, was beim Jeinsagen immer herauskommt und hierzulande "Realpolitik" genannt wird: Die mehrheitlich getroffene Entscheidung der Betroffenen wird zum Maßstab des Machbaren erklärt. Ganz nach dem Motto: Wenn 75% der KandidatInnen das Klasssenziel nicht erreichen, müssen die Anforderungen gesenkt werden. Oder wie es auch formuliert wurde: "Wir dürfen die Latte nicht so hoch hängen, daß niemand mehr drüber springen kann." Im Klartext heißt das: Die eigene Schwäche wird zur politischen Linie gemacht.

Noch 'ne Einschätzung

Seit die beiden Bochumerinnen aus dem Knast raus sind, ist es zu einem rapiden Schrumpfen der Diskussion um Aussageverweigerung und Beugehaft gekommen. Verständlich, zumal sich diese hauptsächlich anläßlich der zunächst drohenden, dann eingetretenen Beugehaft entzündet hat.

Aber mit der Freilassung der beiden Frauen ist letzendlich nur die Zuspitzung des Konflikts - und das vermutlich nur für eine begrenzte Zeit - ausgesetzt worden. Wenn wir es mit unserer eigenen Einschätzung der Funktion von Zeugenaussagen im Rahmen von §129a Verfahren ernst meinen, dann befinden wir uns nicht am Ende einer Aussageverweigerungskampagne, sondern mittendrin (am Anfang?).

Wir halten daher eine Zwischenbilanz der Aussageverweigerungskampagne im Ruhrgebiet für notwendig, zum einen um die Fehler, die gemacht wurden zu diskutieren und zum anderen, um die Diskussion nach der Perspektive einer Aussageverweigerung weiterzuführen.

Zu Beginn ein kurzer Rückblick auf die Aussageverweigerungs / Anti-Beugehaft-Kampagne / im Ruhrgebiet:

nach der Razzia vom 18.12.87 war klar, daß es zu einer Menge ZeuglnnenVorladungen kommen würde. Nach den Erfahrungen mit Zeuglnnenaussagen im RheinMain-Gebiet sollte ein ähnliches Desaster hier vermieden werden.

Die meisten ZeugInnen verweigerten ohne Angaben von Gründen die Aussage, nur wenige machten Aussagen oder verweigerten nach §55. Bei den direkt Betroffenen und in der linken Szene herrschte scheinbar weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit und die Bedeutung von Aussageverweigerung. Diese Situation setzte sich auch noch in einer Veranstaltung vom 11. 12. 88 fort, die u. a. das Ziel hatte, die Aussageverweigerung mit allen möglichen Konsequenzen in einem über die Betroffenen hinausgehenden Rahmen zu diskutieren. Auch da schien noch alles klar: konsequente Aussageverweigerung, keine Kooperation mit dem Staatsschutz! Zu diesem Zeitpunkt zogen jedoch noch wenige in Betracht, daß dies u. U. Knast bedeuten kann, obwohl es theoretisch möglich war.

Nachdem die Staatsanwaltschaft den ersten Antrag auf Beugehaft gestellt hatte, schreckte die Szene auf. Es bildeten sich Anti-Beugehaft-Plena, die es sich als Ziel gesetzt hatten, die Beugehaft zu verhindern.

Auch zu diesem Zeitpunkt stellte kaum jemand die weitere konsequente Aussageverweigerung in Frage. Verschiedene Aktionen zur Informierung der Öffentlichkeit wurden durchgeführt, es wurde versucht, die Diskussion um Aussageverweigerung und Beugehaft in ein möglichst breites linkes/linksliberales Spektrum reinzutragen.

Als die Beugehaft dann angeordnet wurde und sich für die Betroffenen die harte Alternative Aussage oder Knast stellte, da geriet mit einem Schlag die bisherige scheinbare Klarheit bezüglich Aussageverweigerung nicht nur bei einigen Betroffenen.ins Schwanken. Angesichts der jetzt kaum noch abwendbaren Realität Knast, brach die Diskussion um konsequente Aussageverweigerung, Perspektive und Durchführbarkeit einer Aussageverweigerungskampagne, individuelle Zumutbarkeit, Bedründung der Aussageverweigerung etc.heftigst aus. (Argumente siehe diese Broschüre)

Diese Diskussion wurde jedoch im wesentlichen informell geführt, d. h. sie fand kaum öffentlich statt. Ein wesentlicher Grund dafür war die Tatsache, daß nach Bekanntgabe der Beugehaftanordnung von Betroffenen, berichtet wurde, daß sie auch in Karlruhe bei der 3. Vernehmung die Aussagen verweigern bzw. sich gegebenfalls auf §55 berufen würden. Angesichts dieser scheinbar getroffenen Entscheidung wollte niemand die grundsätzliche Diskussion aufwerfen, um die Betroffenen nicht in Zweifel zu stürzen und um ihnen nicht in den Rücken zu fallen. Zudem befürchteten einige, daß eine grundsätzliche Diskussion ein weiteres Handeln blockieren würde. Öffentlich und kontrovers wurde die Diskussion erst dann wieder geführt, nachdem die erste Bochumerin in Beugehaft saß und nachdem in Karlsruhe Aussagen gemacht worden waren.

Fehler, die gemacht wurden:

Die Trennung zwischen politischen Unterstützerlnnengruppen und konkret Betroffenen konnte nur im Falle der Bochumerinnen teilweise aufgehoben werden. Sonstige Unterstützerlnnengruppen haben von Dikussionen und Zweifeln der Betroffenen zu wenig mitgekriegt, mit der Folge, daß das Kräfteverhältnis und die Entschlossenheit der Einzelnen falsch eingeschätzt wurden. Dieses hat letztendlich dazu geführt, daß die Aussagen in Karisruhe für viele überraschend kamen und bis zuletzt Ratosigkeit darüber bestand, wie mit dieser Tatsache umzugehen sei. Diese vor Karlsruhe bestehende Trennung konnte nach dem 16.3. erst recht nicht aufgehoben werden, d. h. es hat bis heute keine gemeinsame Diskussion über den 16.3. gegeben.

Die Diskussion über individuelle und politische Gründe zur Aussageverweigerung bzw. welches die Ursachen sind, daß Aussagen bislang die Regel und nicht die Ausnahme sind, wurde nie gründlich geführt.

Es wurde zwar öfter die unterschiedliche persönliche und politische Vorstellung der Menschen, die von ZeugInnenvorladungen betroffen sind als wichtige zu berücksichtigende Größen genannt, es ist jedoch nur in Ansätzen gelungen, die diversen Faktoren, die diese Unterschiedlichkeiten ausmachen, zu konkretisieren und die jeweils daraus folgenden Konsequenzen für das Verhalten zu diskutieren.

Angesichts der Tatsache, daß auch im Ruhrgebiet letzten Endes deutlich mehr Aussagen und / oder - Berufung auf den §55 als konsequente Aussageverweigerungen stattgefunden haben, stellt sich die Frage nach dem Erfolg und der Perspektive der Aussageverweigerungskampagne. Polemisch gefragt: War / ist die Kampagne richtig, nur die Menschen haben versagt?

Der Erfolg der Kampagne läßt sich nicht an Zahlenverhältnissen festmachen.

Im Rahmen der Aussageverweigerungskampagne wurden bis jetzt mehrere Dinge erreicht:

* Die Problematik und Gefahr von Zeuglnnenaussagen ist in das Bewußtsein einer relativ breiten linken Öffentlichkeit gedrungen.
* Die prinzipielle Aussageverweigerung (ohne juristische Grundlage) als eine mögliche kollektive politische Antwort auf den Angriff der Statsschutzbehörden ist für viele linksradikale/linke Menschen vorstellbar und machbar (?) geworden.
* Der Angriff auf die linksradikale/linke und feministische Szene im Ruhrgebiet, der mit dem 18.12.87 offen eingeleitet wurde, konnte zumindest teilweise abgewehrt werden. Es hat keine Aussagewelle gegeben! Die Aussagen, die letztendlich gemacht wurden, wurden in dem klaren Wissen um ihre möglichen Auswirkungen und dementsprechend überlegt gemacht. Von den allermeisten ZeugInnen der ersten Verhörrunde wurden keine Aussagen gemacht. Und beim Großteil der "KanditatInnen" der zweiten Runde mußte die BAW immerhin zu ihrem härtesten Druckmittel Beugehaft greifen, um von den Leuten Aussagen zu erpressen.
* Die Androhung und Anwendung der Buegehaft hat zu einer Verbreiterung der Diskussion um Aussageverweigerung geführt. Dieser Effekt war sicherlich von den Staatsschutzbehörden nicht vorgesehen. Auch der Versuch, die Diskussion um Aussageverweigerung zu kriminallisiern (mit Hilfe des §129a) hat nicht die gewünschte Entsolidarisierung oder Distanzierung bewirkt.

Wir meinen, daß die Aussageverweigerungskampagne fortgesetzt werden muß. Das Ziel muß bleiben:

Keine Kooperation mit dem Staatsschutz!
Keine Aussagen!

Voraussetzung für eine möglichst breite Verankerung der Kampagne ist jedoch auch, daß die immer wieder auftretenden Zweifel, Bedenken und Gegenargumente innerhalb der damit befaßten Szene offen und solidarisch diskutiert werden und auf die noch offenen Fragen Antworten gefunden werden. Solche Fragen sind z. B.:

Gibt es eine "weiche Linie" der Aussageverweigerung für Menschen, die prinzpiell von der Aussageverweigerung überzeugt sind, jedoch aus bestimmten (politischen, persönlichen) Gründen nicht Knast dafür in Kauf nehmen wollen? Wo beginnt die" Kooperation" mit dem Staatsschutz? Wo beginnt Denunziation? Welches sind die Kriterien, anhand derer wir gemachte Aussagen be- oder verurteilen?

Und es muß weiter diskutiert werden, mit welcher politischen Zielsetzung die Kampagne verbreitert werden kann, damit Aussageverweigerung als "alltägliches" und "massenhaft" praktiziertes Verhalten durchgesetzt werden kann.

Laßt sie im Trüben fischen

Diskussionspapier zur Kampagne für Aussageverweigerung

Am 16.03.1989 bekam Gabi H. aus Bochum für ihre Weigerung, der "Denunziationspflicht" nachzukommen, sechs Monate Beugehaft aufgebrummt. Im Vorfeld zu den Zeuglnnenvorladungen nach Karlsruhe im März kam es aufgrund der Tatsache, daß einige der Vorgeladenen aussagen würden, dazu, daß die Kampagne zur Aussageverweigerung in Frage gestellt wurde. Die Palette der Argumente reichte vom Vorwurf, daß die Betroffenen gar nicht anders handeln könnten, als zu schweigen, da sie durch den Druck der Ansprüche in der Szene nur die Wahl zwischen Märtyrerin oder Verräterin hätten bis hin zu der Auffassung, die Kampagne wäre nicht "politisch".

Trotzdem - oder gerade deshalb - weil wir das für eine fatale Entwicklung halten, wollen wir den Versuch starten, die politischen Dimensionen und Voraussetzungen für das Gelingen einer solcher Kampagne zu. thematisieren, denn mit der Beugehaft haben unsere Verfolger eine neue Waffe erprobt.

Diese Waffe hat sich gegen uns bewährt, die Aussageverweigerung konnten wir nur vereinzelt erreichen. Man muß kein Wetterfrosch sein, um zu wissen, woher der Wind weht; um zu wissen, daß mit der neuen Waffe Beugehaft in Zukunft vermehrt zu rechnen ist, bei der Fahndung gegen militante Gruppen, bei der Kriminalisierung von Veranstaltungen, bei der Verfolgung unserer Publikationen, bei der Konstruktion neuer "terroristischer Vereinigungen".

Keine HeldInnen, keine Märtyrerlnnen! Der Ruf nach größerer Entschlossenheit, nach Konsequenz und Opferbereitschaft vergrößert nicht unseren Schutz, sondern produziert nur unsere "Verräterlnnen". Wenn umgekehrt der Umgang mit der Denunziationspflicht nur eine persönliche Entscheidung der Betroffenen ist, wenn unser Umgang mit staatlichen Nachforschungen nur taktisch und nicht politisch bestimmt ist, dann untergraben wir die Basis jeglichen politischen Handelns, dann zerstören wir unsere Solidarität untereinander. Wie wir unsere Kämpfe kollektiv führen wollen und sollten, so muß auch unser Umgang mit der Repression ein kollektiver sein.

Das soll nicht heißen, daß DER Verhaltenscodex entwickelt wird. Gleiches Verhalten ist ungleich für ungleiche Menschen, die in unterschiedlichen Lebenssituationen leben und unterschiedliche politische Auffassungen haben. Wir können politische Grundpositionen, die Richtung, in die unsere politische Intiative, die massenhafte Aussageverweigerung, zielt, gemeinsam entwickeln, aber nicht detailliert die einzelnen Handlungen.

Wenn wir die Kampagne, auf einen realistischen Boden stellen und verbreiten, brauchen wir ein Konzept, das von allen (potentiell) Betroffenen gemeinsam getragen werden kann. Die Unterschiedlichkeit und Breite dieses Spektrums müssen wir dabei genauso berücksichtigen, wie die unterschiedlichen Lebenssituationen der jeweiligen Betroffenen!

Trotz der Teilerfolge im Rhein-Main-Gebiet und im Ruhrgebiet, die Kampagne Aussageverweigerung greift noch nicht überzeugend. Aussagen sind die Regel, Aussageverweigerung die Ausnahme. Die - auch bei Linksradikalen - hohe Aussagebereitschaft wird in Diskussionen, Analysen, Kritiken und Rechtfertigungen mit vier Faktoren erklärt:

* Viele meinen, mit größerer persönlicher Entschlossenheit ließen sich die Probleme mit der, Kampagne lösen. Größere Entschlossenheit ist natürlich auf jeden Fall eine gute Sache, doch Skepsis ist angebracht, ob sie allein ausreichen wird. "Die Aussagen waren und sind nicht (nur) Ausdruck individueller Schwächen und fehlender persönlicher Standfestigkeit; in ihnen spiegeln sich vor allem gravierende Fehler einer gesamten Bewegung wider. Militante Überheblichkeit und Arroganz, patriarchale Strukturen, Fluktuation und fehlende Eigenverantwortlichkeit, die sich besonders immer wieder in der Nichteinhaltung von gemeinsamen Absprachen gezeigt hat - dies sind Fehler, die schon länger diskutiert wurden, ohne daß dies jedoch zu ernsthaften Konsequenzen geführt hätte" (Zitat aus der Plattform zum Startbahn-Prozeß). Unter anderem auch die mangelnde Bereitschaft, sich auch auf der persönlichen, alltäglichen Ebene (halt auch Ängste uns Schwierigkeiten) mit der Bedrohung Knast auseinanderzusetzen. Bevor sie uns trifft, unterschätzen wir ihre Gewalttätigkeit, nachdem sie uns getroffen hat, unterschätzen wir unsere Kraft und Widerstandsmöglichkeiten.
* Politisch ist die Aussageverweigerung mit dem Kampfverhälfnis zum Staat begründet worden. Viele der Strömungen, die eine Kampagne mittragen müßten, haben aber gar kein solches Verhältnis zum Staat - weder die Grünen, noch Journalistlnnen von taz bis Emma -. Darüberhinaus: auch viele Linksradikale verhalten sich entgegen ihren eigenen Analysen, als hegten sie im Stillen die Hoffnung, sich taktisch geschickt der Bedrohung entziehen zu können. Eine entsprechende Unterwerfungsgeste ist die Berufung auf den juristisch-taktisch ziemlich unbrauchbaren §55 StPO. Wenn unsere Verfolger konkret an etwas interessiert sind, verzichten sie wegen einer Unterwerfungsgeste nicht auf Repressalien; sie lassen erst ab, wenn sie haben, was sie wollen oder wenn wir ihnen gezeigt haben, daß sie nicht kriegen werden, worauf sie aus sind und ihnen der politische Preis zu hoch wird.
* Die Bereitschaft zu Aussagen ist umso größer, je mehr Distanz zu den verfolgten Taten und / oder Inhalten besteht (siehe Startbahn): Die Aussageverweigerung wird umgekehrt bestärkt, wenn neben der Solidarität mit den verfolgten Menschen und Inhalten (die ja, je nach Strömung unterschiedlich stark ausgeprägt ist) ein gemeinsamer Inhalt die Aussageverweigerung mitbegründet und mitmotiviert: der Kampf gegen den §129a.
* Besonders fatal sind die Konsequenzen des individuellen Herangehens an die Zeugniserpressung. Aussagen werden gemacht in dem (in der Regel irrigen) Glauben, sie würden nicht schaden: "Ich weiß ja nichts, warum soll ich also Zwangsgeld und Beugehaft in Kauf nehmen?" In dieser Haltung versteckt ist die Bestärkung zweier Vorwürfe und Vorurteile: Zum einen ist sie der heimliche Vorwurf des "Märtyrertums" an die Leute, die bereit sind Aussagen generell zu verweigern und die Beugehaft auf sich zu nehmen, zum anderen bestärkt sie die in dieser unserer Denunziantenrepublik weit verbreitete Haltung, daß "wer nichts zu verbergen hat, auch aussagen könne" und entsprechend "wer nicht aussagt, hat auch was zu verbergen". So richtig und wichtig konsequente und generelle Aussabeverweigerung ist: eine Kampagne zur Aussageverweigerung muß einen gangbaren Weg zwischen zu hohen Ansprüchen und taktischer Beliebtheit (Berufung auf §55, Teilaussagen, Gedächtnisschwund) finden.

Unser Vorschlag dazu ist eine öffentliche Absichtserklärung, grundsätzlich jedes.129a-Verfahren zu blockieren, zu verzögern und zu behindern. Und dies u.a. durch Verweigerung jeglicher Aussage - auch entlastender Aussage - zu tun.

Das Ziel der Kampagne, die kollektive Aussageverweigerung, wird auch erreicht über das Verständnis und die Solidarität legaler, linker, politischer Gruppen bis hin zum Lager des politischen Liberalismus und sie dazu zu bewegen, sich hinter diese Absichtserklärung zu stellen.

Für den Kampf gegen den §129a ist das Ziel der Kampagne, die Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsmöglichkeit, die über die hilflose Aufforderung an unsere Feinde hinausführt, den von ihnen als Waffe gegen uns eingeführten §129a wieder zu streichen.

In Verfahren nach diesem Gesinnungs- und Ermittlungsparagraphen, der insbesondere ja auch soziale Beziehungen kriminalisiert (die Kontaktschuld ersetzt mangelhafte Tatvorwürfe) kommen ZeugInnenaussagen eine besondere Bedeutung zu. Um nicht mißverstanden zu werden:

Es geht NICHT um eine Relativierung des Ziels kollektiver Aussageverweigerung!

Es geht um eine Diskussion auf möglichst breiter Ebene, von Verständnis, Solidarität bis hin zum konsequenten Einsatz der Aussageverweigerung und darum, dieses Zusammenwirken als Mittel gegen den verordneten Denunziantenzwang durchsetzen.

Laßt uns nicht die Abschaffung des §129a fordern, sondern Aussageverweigerung und Solidarität als eine Möglichkeit einsetzen, um ihn wirkungslos verpuffen zu lassen.

Die "Auf-Ruhr" zur Anti-Beugehaft-Kampagne

Der § 129 a richtet sich als Angriff gegen
* militante feministische und linksradikale Gruppen (Rote Zora, Amazonen / RZ) und
* gegen Leute, die zu "anschlagsrelevanten" Themen radikale Positionen vertreten (Zeitungen, Veranstaltungen, Gruppen ... ).

Beide Zusammenhänge werden verfolgt, weil eine Wechselwirkung besteht, d.h. Konflikte werden initiiert durch Militante (z.B. Angriff auf Lufthansa) daraus folgen dann Diskussionen. Öffentlichkeit (hier Flüchtlinge/Sextourismus) oder andersherum Veranstaltungen, Kampagnen etc. werden gemacht (z.B. IWF), daraus folgen und beziehen sich Anschläge zu beteiligten Objekten/ Personen.

Die Funktion von, Beugehaft in diesem Rahmen:

Aussagen erzwingen, um die o. g. Zusammenhänge zu durchleuchten (d.h. bestimmte Mitglieder rauszufinden, einknasten), kriminalisieren, einschüchtern um Widerstand zu spalten, d.h. Menschen, die legal von radikalen Positionen aus zu bestimmten Themen arbeiten, sollen sich entweder zur Kooperation mit dem Staatsschutz entscheiden müssen oder dazu, solidarisch zu den betroffenen Zusammenhängen zu sein und verstärkte Repression zu riskieren. Damit ist die Aussageerzwingung ein Mittel der vorbeugenden Aufständsbekämpfung.

Was haben wir damit zu tun?

Wir als Zeitung verstehen uns als Bestandteil der Zusammenhänge, die versuchen, eine offene Diskussion über radikale/systemfeindliche Ansätze und Aktionen zu fördern/führen. Wir wollen Widerstand verbreitern und finden zur Verschärfung der Konflikte militante Aktionen notwendig. U.E. sind diese wichtig, um erstens bestimmte Auseinandersetzungen ins Bewußtsein zu heben (z.B. Shell-Aktionen), was dann aber verbreitert und diskutiert werden muß. Zweitens sind militante Aktionen notwendiger Bestandteil bestimmter Kampagnen:

so ist die Parole "Verhindern wir den IWF-Kongreß" nur im Zusammenhang mit Aktionen sinnvoll gewesen, die die Verhinderung auch als Ziel hatten (Angriffe auf Hotels, Infrastruktur etc.)

Zur Kampagne gegen Beugehaft:

Sie hat nicht verhindert, daß zwei Frauen in Haft gehen mußten. Aber Beweis dafür, daß die Kampagne gegriffen hat ist die Tatsache, daß die BAW von der ursprünglichen Forderung nach Aussagen runterschrauben mußte auf die Forderung nach rechtskonformem Verhalten ("Bei der Anordnung von Erzwingungshaft geht es nicht unbedingt darum, einen Zeugen zu einer Sachaussage, sondern zu einem gesetzmäßigen Verhalten anzuhalten, das darin besteht, die Aussage nicht ohne gesetzlichen Grund zu verweigern. (Zitat aus einem Beugehaftbeschluß)

Zudem hat es eine relativ breite - über die engere Szene hinausgehende - Diskussion um Aussageverweigerung und zum Verhältnis zu staatlicher Verfolgung gegeben (gerade auch in Verbiridung mit dem Strobl-Prozeß). Ein weitergehender politischer Druck der Öffentlichkeit (zur Freilassung der beiden Frauen) konnte nicht geleistet werden.

Zu kritisieren ist, daß die Diskussion zu losgelöst von den Betroffenen geführt wurde. D.h. um die Lücke zwischen abstrakter politischer Bestimmung und persönlicher Konsequenz zu schließen, wäre eine Debatte über Knast und das persönliche Umgehen damit angesagt gewesen. Gefehlt hat die Auseinandersetzung, von welchem politischen Standpunkt aus sich die Aussageverweigerung als Konsequenz ergibt (wobei verschiedene Positionen nebeneinander stehen können, wie "prinzipielle Antistaatlichkeit" oder "aus eigener politischer Arbeit an bestimmten Themen / Inhalten"...) Aussageverweigerung ist von vielen Positionen aus sinnvoll, ein Austausch über diese nötig. Nochmal: es geht nicht darum, eine bestimmte politische Anschauung als die einzig richtige durchzukämpfen!

Wie weiter?

* halten wir es für wichtig, daß die Menschen die Teilaussagen gemacht haben, sich dazu äußern, wie es in der Situation dazu gekommen ist und wie sie zur Kampagne stehen.

Das hat den Sinn:
* zu klären, wo wir als Zusammenhang den Betroffenen nicht genug Rückhalt gegeben haben;
* die Unsicherheit zu beseitigen, die sich in verschiedenen Beurteilungen der Aussagen und der Stellung der Zeuglnnen dazu niederschlägt (von "Teilaussagen sind gar nicht so schlimm" bis "nahe dran an Verrat"). Es geht uns nicht darum, den "Verratsvorwurf" zu erheben, sondern darum, die Verhörsituation besser zu verstehen und zukünftig die Kampagne offener und kollektiver zu führen.
* Wir wollen eine Spaltung verhindern in Leute, die Teilaussagen gemacht, nach §55 verweigert oder grundsätzlich verweigert haben und diejenigen, die die Kampagne politisch unterstützt und getragen haben.
* Zur Weiterführung der Kampagne ist eine Auseinandersetzung mit Knast unumgänglich. Nicht nur weil die beiden im Knast sitzen -, sondern weil eine Konsequenz aus unserer politischen Arbeit verschärfte Kriminalisierung und Repression ist. Das würde auch die oben beklagte Lücke zwischen abstraktem politischen Richtigfinden der Aussageverweigerung und persönlichem Handeln schließen helfen. Dazu gehört u. E. auch die Auseinandersetzung und Solidarität mit Kämpfen und Widerstand, die im Knast stattfinden, wie dem Hungerstreik der politischen Gefangenen und dem der Frauen in Plötzensee.
* Anknüpfend an die Erfahrungen aus Frankfurt halten wir es für richtig, daß die Aussageverweigerung in möglichst vielen Szenen und Städten thematisiert wird, weil wir denken, daß Zeuginnenvorladungpn und Beugehaft in Zukunft verstärkt angewandt werden, um feministische / linksradikale Zusammenhänge auszuforschen.

Nur durch gemeinsame Diskussion darüber, was wir politisch wollen und wie wir unserem Ziel näher kommen und durch Klarheit darüber, daß "der Feind unendlich gemein ist" ,jede Information über uns gegen uns benutzt (daraus ergibt sich als logische Folge kollektive Aussageverweigerung) wird es uns möglich sein, Strukturen aufzubauen, die der Gegenseite den Zugriff auf unsere Zusammenhänge so schwer wie möglich machen.

Die "Aufrührer"

Interview mit Gabi und Gaby

Knast erinnert an Fabrik - nur daß du bei Regelverstößen nicht rausfliegst!

F:

Gabi, du hast bei der dritten Vorladung deine Aussageverweigerung zum ersten Mal begründet, indem du dich wegen des gegen dich laufenden Ermittlungsverfahrens auf ein generelles Aussageverweigerungsrecht nach §55StPO berufen hast. Hast du damit gerechnet, trotzdem vom Fleck weg verhaftet zu werden?

A:

Ich habe es schon für möglich gehalten, in Beugehaft zu kommen. Jedoch nicht auf der Stelle. Ich dachte vielmehr, vor dem Haftantritt nochmal nach Hause zu können, um ein paar Sachen zu regeln. Dementsprechend ging es mir in den ersten Tagen auch nicht so besonders. Doch wenn du dich erstmal darauf eingestellt hast, drin zu sein, holt dich der Knastalltag schnell ein. Du fängst an, dir dein Knastleben zu organisieren.

F:

Wie läuft so ein Knastieben denn ab?

A:

Wir saßen ja im sogenannten" Normalvollzug". Das hieß in Bühl: Um 7 Uhr Wecken und Frühstück. Von 8 bis 9 Uhr Hofgang für alle zusammen. Von 9 bis 14 Uhr Einschluß. Unterbrochen durch's Mittagessen und an bestimmten Tagen durch Duschen, Besuch der Bibliothek, Gang zur Wäscherei. Von 2 bis 5 Uhr gab's Umschluß. D. h. du konntest Mitgefangene "besuchen", indem du dich in deren Zelle hast einschließen lassen. Und von 18 bis 22 Uhr war dann Aufschluß, d. h. alle Zellen wurden aufgemacht. Du kannst dann auf deinem Flur rumlaufen, Fernseh gucken usw. Danach hattest du dann nur noch eine Stunde, bis um 11 Uhr das Licht ausgemacht wurde.

A:

In Heidelberg war es vergleichbar. Mit einem entscheidenden Unterschied. Während in Bühl rund zwei Dutzend Frauen auf einem Flur saßen, du also verschiedene Kontaktmöglichkeiten hattest, sich unterschiedliche Gruppen von Frauen bilden konnten, es kein großes Problem war, wenn die eine mit der anderen nicht konnte, da es stets Ausweichmöglichkeiten gab, war ich in Heidelberg mit nur fünf Frauen zusammen. Zum Teil saßen sie schon länger zusammen und hatten sich ein soziales Leben organisiert, bestimmte Verhaltensweisen und ein Regelsystem für den Umgang miteinander entwickelt, dem du dich als Neue erstmal unterwerfen mußt, willst du nicht isoliert werden bzw. für Konflikte sorgen. Es war ein bißchen wie in der klassischen Kleinfamilie. Eng, eintönig und sozial kontrolliert. Jedenfalls habe ich, obwohl jeweils nur eine Woche in Bühl und Heidelberg gewesen, sehr schnell begriffen, warum sich Gefangene gegen den Wohngruppenvollzug wehren, bzw. umgekehrt, welche Vorteile die Einrichtung von Kleingruppen für die Vollzugsverwaltung hat.

F:

Und ihr selber? Wie habt ihr euch da eingefügt?

A:

Also bei mir war es so, daß sich nach einiger Zeit eine Zweiteilung des Tages ergeben hat. Der Vormittag gehörte mir bzw. den Kontakten nach draußen. Ich habe im Knast so viele Briefe geschrieben wie noch nie. Der Nachmittag und Abend war dann dem Leben drinnen vorbehalten. Ich habe viel mit den anderen geredet, mir ihre Geschichten angehört, geholfen, Briefe zu schreiben. Manchmal war es mir fast zu viel. Jede ist nur mit sich selbst beschäftigt, den Problemen mit Freund, Ehemann und Kindern, der Sehnsucht nach Drogen, der Ungewißheit, was wird nach dem Knast, ohne Geld, ohne Arbeit, ohne Wohnung. Naja, daneben haben wir oft Karten gespielt, in die Glotze geguckt und auch viel gelacht. Es gibt eine besondere Sorte von Knasthumor. Du hast oft einfach auch deinen Spaß gehabt.

A:

Ich war ja nur zwei Wochen drin und habe auch wenige mit den anderen Frauen zu tun gehabt. Die meiste Zeit habe ich schon mit mir selber zugebracht. Aber es war kein Problem. Ich habe mich nicht einen Moment gelangweilt oder wirklich mies gefühlt. Also insgesamt glaube ich schon, daß du es für ein halbes Jahr ganz gut aushalten kannst. Das entmündigt, eingeschlossen, alleine sein, ist halb so schlimm. Mehr Probleme hatte ich damit, erfahren zu müssen, daß ein Wehren gegen die vielen kleinen alltäglichen Unsinnigkeiten, Ge- und Verbote, manchmal auch Schikanen nicht möglich ist. Oder besser: Mir nicht möglich war. Es ist mir immer wieder passiert, daß ich mich von der allgemeinen Knastatmosphäre habe einlullen lassen, die eben nicht von Konfrontation und Widerstand geprägt ist, sondern bestimmt wird vom reibungslosen Mechanismus des immer gleichen Tagesablaufs, einem eingeschliffenen Verhalten von Gefangenen und Schließerinnen, das nur selten und für kurze Zeit mal durchbrochen wird. Mit dem Ergebnis, daß ich es sehr schwer fand und ständige Konzentration gebraucht hätte, mich da zu wehren, wo es angesagt gewesen wäre. Oft ist es mir einfach nicht gelungen, habe ich automatisch funktioniert und dann hinterher gedacht: Warum hast du das eigentlich mitgemacht?

F:

Und wenn du noch mal zurückblickst? Ist es dir wie deiner Freundin ergangen?

A:

Also ich habe die Zeit im Knast auch nicht als besonders schlimm empfunden. Ich denke, ich hätte schon noch einige Monate länger sitzen können, ohne besonderen Schaden zu nehmen. Natürlich hat's mich genervt, eingesperrt zu sein, nicht tun zu können, was ich wollte, liebe Leute zu vermissen. Und dann der Zwang, sich unsinnigen Vorschriften unterwerfen zu müssen. Ich habe 10 Jahre in der Fabrik gearbeitet, da war es auch so. Nur in der Fabrik bist du rausgeflogen, wenn du dir Regelverstöße geleistet hast. Im Knast leider nicht. Doch die Mitgefangenen, ihre Art, mit Konflikten umzugehen, war mir von früheren Arbeitskolleginnen her vertraut. Und die Schließerinnen sind wie Vorarbeiterinnen. Sie spielen ihr Fitzelchen Macht bei jeder Gelegenheit aus. Was mir geholfen hat, mit dem Ganzen zurechtzukommen, waren die vielen Blumen und Briefe, die ich bekommen habe. Zu merken, daß die Leute draußen an dich denken. Trotzdem ist es mir so gegangen, und andere Frauen haben das für sich auch so beschrieben, daß ich mir verboten habe, zu intensiv an Leute draußen zu denken, die ich vermisse. Mir vorstellen, was Freunde und Freundinnen draußen gerade machen, mich an schöne Situationen zurückerinnern... Alles das ging nur bis zu einem gewissen Grad. Läßt du dich darüberhinaus auf solche Gedanken ein, macht es dich fertig.

Literatur zum Thema

AUFRUHR Nr 5, Zeitung c/o Fahrradladen, Kortumstr 5, 4630 Bochum 1

BRUCHSTÜCKe: Nr. 2, Autonomes Knastbüro, c/o BiBaBuZe, Aachener Str 1, 4000 Düsseldorf 1

CLOCKWORK 129a, c/o Konkret Verlag, Osterstr 124, 2000 Hamburg 20 (erscheint wöchentlich zum Strobl-Prozeß)

DURCH DIE WÜSTE, Antirepressionsgruppe, c/o Umweltzentrum, Scharnhorststr 57, 4400 Münster (Buch)

NICHT ZU FASSEN, c/o Prozeßbüro für Ingrid Strobl, Maastrichstr 49, 5000 Köln 1 (unregelmäßiges Erscheinen)

RHEIN-MAIN-INFO, Info, c/o Nicaragua-Komittee, 3.WeltHaus, Friesengasse 13, 6000 Frankfurt 90

TEXTE ZUR AUSSAGEVERWEIGERUNG, Knastinfotelefon, c/o Babylonia, Cuvrystr. 20, 1000 Berlin 36