Selbstversorgung angestrebt

Keimzeilen einer Wirtschaft der Intifada

Folgte man den Presseberichten und den Bildern des Fernsehens, besteht die Intifada wesentlich aus einer Aneinanderreihung von Demonstrationen, Streiks, Toten, Steinwürfen und brennenden Autoreifen. Das - Abschüttelnd ("Intifada") der israelischen Militärherrschaft ist jedoch nur ein Teil des Volksaufstandes auf dem Weg zum unabhängigen Staat. Ein in der Form zwar anderer, aber nicht minder wichtiger und langwieriger Kampf wird geführt um die Überwindung der strukturellen - administrativen, ökonomischen, infrastrukturellen - Abhängigkeit der besetzten Gebiete von Israel.

Das Ziel der Besetzungspolitik auf wirtschaftlichem Gebiet war es seit 1967, jede unabhängige ökonomische Entwicklung des palästinensischen Sektors zu verhindern, in den besetzten Gebieten einen unbegrenzten Absatzmarkt für israelische Produkte zu schaffen und sich der Palästinenser als eines billigen und weitgehend rechtlosen Arbeitskräftereservoirs zu bedienen. "Die wirtschaftliche Integration", schrieb Meran Benvenisti 1984, habe den Palästinensern in Westbank und Gasastreifen "individuelle Vorteile gebracht: Der Abstand zwischen ihrem verfügbaren Einkommen und dem der Israelis hat sich fast um 50% verringert (...) Der Nährwert ihrer Lebensmittel ist der höchste in der arabischen Welt (...) Die Motorisierung hat sich in zehn Jahren verdreifacht, und der Analphabetismus sank von 48% im Jahr 1970 auf 29% im Jahr 1980 (...) Der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Palästinenser als Gemeinschaft hat die Integration allerdings den Todesstoss versetzt". Diese Diagnose beschreibt zwar zutreffend die Absicht der israelischen Besetzungspolitik, nicht aber das Ergebnis. Mit der allmählich weichenden Resignation und Lähmung der Palästinenserinnen in den besetzten Gebieten seit Ende der siebziger Jahre, mit den ersten Versuchen einer breiter angelegten Selbstorganisierung entstanden erste, wenn auch kleine wirtschaftliche Projekte. Beginn der 80er Jahre wurde u.a. das Palästinensische Landwirtschaftliche Hilfskomitee gegründet, in dem eine grosse Anzahl von Fachleuten die palästinensischen Bauern unterstützen. Mit dem Ausbruch der Intifada ist das Bestreben zur (Wieder-) Erlangung der Selbstversorgung zur Initiative der Massen geworden.

Daoud Kutfab stellt einige Elemente dieser Entwicklung einer eigenständigen Wirtschaft vor.

Boom trotz starker Repression

Es ist nicht übertrieben, wenn man von einem gewaltigen wirtschaftlichen Druck spricht, dem die besetzten palästinensischen Gebiete seit Beginn der Intifada vor mehr als 21 Monaten ausgesetzt sind. Streiks, Boykottaktionen, Massenrücktritt der - Zivilverwaltung und der allgemeine Aufstand haben die Palästinenser - in Verbindung mit starken israelischen Beschränkungen des Kapitalflusses aus dem Ausland - dazu gezwungen, den Gürtel enger zu schnallen.

Und doch - Ironie des Schicksals - boomen einige Bereiche der Wirtschaft in der Westbank und dem Gazastreifen, da der Drang, sich von der israelischen Wirtschaft zu lösen und auf lokale Selbstversorgung umzusteigen, Raum greift. Seit Jahren fristete die palästinensische Industrie ein Dasein am Rande, da sie der Konkurrenz mit den qualitativ oft besseren und billigeren israelischen Waren nicht gewachsen war. Da die meisten palästinensischen Geschähe und Unternehmen in Familienbesitz sind und keine eigenständigen Banken existieren, die Langzeitkredite gewähren können, hielt sich das Wachstum der lokalen Wirtschaft in engen Grenzen. Strenge israelische Genehmigungsverfahren, Steuerlasten und administrative Hürden taten ihr Übriges, um die Situation noch zu verschärfen. Nach offizieller israelischer Lesart liess sich die Besatzung nur dann vorteilhaft fortsetzen, wenn man die Westbank und den Ghaza - Streifen in ein Reservoir billiger Arbeitskraft für die israelische Wirtschaft verwandelt. Die israelische Industrie genoss volle Rückendeckung von Seiten der Regierung, die Sonderkredite und andere Privilegien bereitstellte, um neue Fabriken zu subventionieren.

Das Ende des "geschützten" Marktes

Für Israel waren die besetzten Gebiete in mehr als einer Hinsicht ein geschützter Markt. Israelische Produkte hatten unangefochten unbeschränkten Zugang, der zu einer Monopolstellung der israelischen Waren führte. Vorder Intifada, so schätzten Wirtschaftswissenschaftler, verkaufte Israel Waren im Wert von 800 Millionen Dollar pro Jahr in die Westbank und den Ghaza - Streifen. Die Besetzten Gebiete waren - nach Europa - der zweitwichtigste Exportmarkt Israels.

Diese ökonomische Strangulierung wurde mit dem Beginn der Intifada im Dezember 1987 abrupt unterbrochen. Plötzlich weigerten sich palästinensische Geschäfte, israelische Waren in ihr Sortiment aufzunehmen; die Kunden suchten nach Alternativen und waren oft eher bereit, nichts zu kaufen als auf Waren der Besatzungsmacht zurückzugreifen. Der nationale Aufstand wurde von dem Bewusstsein begleitet, dass es notwendig sei, ein gewisses Mass an Selbstversorgung zu erreichen, das die Grundlage für den kündigen palästinensischen Staat bilden sollte, für den die gesamte Gemeinschah kämpft.

Als der Boykott israelischer Waren Fuss fasste, machten sich die Palästinenser individuell oder in Gruppen daran, Mittel und Wege zu suchen, um - oft mit eher bescheidenen Mitteln - alternative Produkte herzustellen.

Kleingewerbe

Issa Shumali, ein Fahrlehrer aus Beit Sahour, ist einer der Intifada - Unternehmer. Mit Hilfe seines Bruders, der in Jordanien lebt, begann er, in geringem Umfang, mit der Produktion von Konfekt, Snacks und Fruchtsaftkonzentraten. Obwohl er seine "Fabrik" erst im April eröffnete, kommt er mit der Produktion seiner abgepackten Kartoffelchips, die er nach dem Vorbild eines ähnlichen israelischen Produktes herstellt, nicht mehr nach. Auch die Sähe aus seiner Produktion finden reissenden Absatz.

Viele Betriebe, die bereits vor der Intifada existierten, konnten ihren Umsatz beträchtlich steigern. Der Rechtsanwalt Kamal Hassouneh begann 1973 damit, Elektroden zu produzieren. Seit dem Aufstand hat er seine Produktion erweitert. Er stellt jetzt auch Nägel jeder Grösse her und hat seine Elektrodenproduktion erweitert. Er produziert heute neuartige Erzeugnisse, die in keinem Land des Nahen Ostens - mit Ausnahme Israels - hergestellt werden. Sogar unter den schwierigen Bedingungen des Aufstands ist seine Bilanz positiv, da er über Jordanien in die arabische Welt exportiert. Auch andere kleine Gewerbe hoben durch den mit der Intifada verbundenen Boykott israelischer Produkte einen Aufschwung erlebt. Viele Schneidereien, die zuvor nur als Vertragswerkstätten israelischer Firmen existieren konnten, verkaufen heute ihre eigenen Produkte auf dem lokalen Markt.

Landwirtschaft

Der wichtigste Anstoss für die Selbstversorgung aber kommt aus der Landwirtschaft, die dazu übergegangen ist, lokale Produkte auch zu verarbeiten und zu vermarkten.

Plakat

 

Plakat zum Boykott israelischer Produkte

 

In Jericho hat Eid Issowi zusammen mit vier Partnern ein landwirtschaftlich orientiertes Unternehmen gegründet, das sich auf die Verarbeitung von Datteln spezialisiert hat. Mit Hilfe von Ingenieuren hat er mehrere Maschinen für seinen Bedarf umgerüstet, die er wegen der israelischen Importbeschränkungen nicht hätte kaufen können: Er besitzt jetzt eine Sortiermaschine, ein Schüttelband, ein Gerät, das zur Entsteinung von Datteln dient und sie zu einer Paste verarbeitet sowie eine Anlage zum Trocknen der Früchte. Er hat darüberhinaus eine Technik entwickelt, um den Ertrag der 1.000 Dattelpalmen, deren Früchte er verarbeitet, zu steigern: Es handelt sich um eine neue Methode, die Bäume zu beschneiden und die Zweige so zu binden, dass weniger reife Datteln auf den Boden fallen. Er konnte dadurch den Ertrag um 40% steigern. Issowi hat ehrgeizige Pläne. Er will Dattelpralinen und "ajweh" herstellen, eine Dattelpaste, die in der traditionellen palästinensischen Festtagsbäckerei benötigt wird. Beim letzten Fest mussten die Palästinenser ohne "Ajweh" auskommen, weil nur israelische Firmen diese Paste produzierten. Im Herbst hofft Issowi, die lokale Produktion der Paste und attraktiv verpackter Dattelprodukte aufnehmen zu können.

Bauern, deren Gemüseernte früher in Israel weiterverarbeitet wurde, arbeiten heute mit einer lokalen Fabrik zusammen, die Gemüse einlegt und Tomaten konserviert. Viele Fruchtsäfte aus palästinensischer Produktion sind heute zu haben, und eine Firma in der Westbank plant, Milchpulver abzupacken und zu vermarkten.


Aussichten

Der Prozess der Wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht einfach. Israelische Beschränkungen machen die Gründung neuer Firmen problematisch, viele verwaltungstechnische Hürden sind zu nehmen, wenn Palästinenser versuchen, Maschinen oder Rohstoffe zu importieren. Aber die Palästinenser finden Mittel und Wege, das System zu umgehen. Einige bestechen Israelische Beamte, anderen wenden sich an freundlich gesinnte Israelis, und viele machen einfach ohne die Genehmigung der Besatzungsbehörden weiter. Vergeltungsschläge des israelischen Militärs scheinen die Intifada - Unternehmer nur wenig zu schrecken.

Und doch gibt sich kaum jemand in den besetzten Gebieten der Illusion hin, dass solche relativ kleinen Initiativen unter den harten Bedingungen der Besatzung zur vollständigen Selbstversorgung führen oder alle israelischen Produkte ersetzen könnten. Der Fortschritt ist, dass sich die Palästinenser immer mehr des Umfangs ihres eigenen unabhängigen wirtschaftlichen Potentials bewusst werden, das dann an Bedeutung gewinnen wird, wenn sie von den Zwangsmassnahmen der Besatzung und dem wirtschaftlichen Konkurrenzdruck, den die Besatzungsmacht ihnen aufzwingt, befreit sind.

Mideast Mirror (7.9.89) - nach der Übersetzung in "Palastina Bulletin" Nr. 37/89