R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N.

junge Welt Inland

6.11.2000
Hetzjagden auf Nazigegner
Aufstand der Unanständigen

Während andernorts über die Liebe zur heimatlichen Scholle sinniert wird, engagierten sich am Samstag mehrere Bundes- und Landtagsabgeordnete der PDS zusammen mit Antifagruppen im sächsischen Delitzsch gegen den rechten Alltag im neuen Deutschland. Unter dem Motto »Gegen Nazis in Delitzsch und Umgebung« war zu einer Demonstration in der Kleinstadt, die sich den Ruf eines »neuen Wurzen« erarbeitet, mobilisiert worden. Die Überfälle auf Linke, Ausländer und nichtangepaßte Jugendliche hatten die Medien, auch junge Welt (12. September) zu Reportagen veranlaßt. Die Verhältnisse in dem Ort waren durch Behörden und Kommunalpolitiker noch verschärft worden. Sie spielten Tatbestände herunter und wollten den Rechten als Resozialisierungsmaßnahme zudem einen Jugendclub verschaffen. Sozialarbeiter sollte dort ein bekannter Neonazi werden.

Bereits im Vorfeld der Demonstration kam es zu Klagen seitens des Landrats gegen den Anmelder Falk Neubert (PDS) und eine Leipziger Antifa-AG. Letztere hatte unter dem Motto »Den Pakt von Nazis und Behörden angreifen!« mobilisiert, was aus Sicht der Kläger nicht nur eine Beleidigung, sondern ein Aufruf zur Gewalt sei.

Trotz versuchten Verbotes und schikanöser Vorkontrollen fanden sich am Sonnabend 700 Personen ein, um gegen die Delitzscher Verhältnisse, also auch gegen den »Pakt« zu demonstrieren. Am Freitag abend waren 550 Beamte aufgefahren worden, die zeigen sollten, wer im Freistaat die Definitionshoheit über Engagement gegen Rechts hat. Anfangs kam es zu üblichen Rangeleien und Provokationen, dann wurde auf halber Wegstrecke der Lautsprecherwagen von der Polizei eingekesselt. Daß die Polizeistrategie auf Auseinandersetzungen hinauslief, deren Ziel die Diskreditierung von Antifaschisten sein sollte, zeigte sich nach Ende der Demo. Wie auf Stichwort zogen behelmte und bewaffnete Polizisten pöbelnd und schlagend durch die Menge auf dem Bahnhofsvorplatz. Die darauf folgenden Reaktionen, wie Dosenwerfen, wurden genutzt, um mit Brutalität wahllos gegen eingekesselte Personen vorzugehen. Dabei wurden Demonstranten verletzt. Der Einsatzleiter, der zu den Übergriffen der Polizei befragt werden sollte, war nicht zu sprechen. Elf Personen sollen festgenommen worden sein.

Wie die Polizei die Vorgänge darstellen wird, fünf verletzte Beamte soll es gegeben haben, war am Abend einem Gespräch von vier Polizisten zu entnehmen. Ein Kollege erzählte: »Er hat mich getroffen, aber mir tut nichts weh. Da mach' ich auf 'ne versuchte Körperverletzung.«

Zu hoffen bleibt, so Antifaschisten, die das Engagement der sächsischen PDS ausdrücklich begrüßten, daß sich die Parteimitglieder Strategie und Taktik der Polizei genau angesehen haben. Denn ein Sinn der Übung bestand wohl darin, die Partei an ihrem staatsbürgerlichen Gewissen zu packen und ihr eine Kooperation mit »Extremisten von links« unterzuschieben.

Zur selben Zeit fand im ostsächsischen Pirna eine Kundgebung »Zeichen gegen Rechts« der »Aktion Zivilcourage« statt. Unterstützt u.a. von der Dresdner Jüdischen Gemeinde, der AWO und dem DGB, sollte gegen die rechtsextremistischen Aktivitäten in der Sächsischen Schweiz, wie den Skinheads Sächsische Schweiz oder der NPD in Gemeinde- und Kreisparlamenten, gehandelt werden.

Im Gegensatz zu Delitzsch, wo sich kaum Rechte sehen ließen, wurde die Veranstaltung von Anfang an von Nazis begleitet. Immer wieder provozierten sie die 500 Demonstranten. So wurde von rund 100 Personen versucht, die Wegstrecke zu blockieren, später kamen Nazis bis auf 25 Meter an den Zug heran, warfen Steine und Flaschen und zeigten vor Polizisten den Hitlergruß. Vor einem türkischen Imbiß, der in den letzten Monaten mehrfach angegriffen worden war, riefen die Rechten »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« und warfen Steine. Die Inhaber bekamen keinen Hilfe der Polizei und zeigten ebenfalls zum wiederholten Male eine spezielle Form von Zivilcourage, indem sie sich wehrten. »Zu ihrem Schutz« wurde eine Türkin von einer Beamtin daraufhin zu Boden geworfen. Kurz vor Ende der Demonstration hatten die Nazis den Zug überholt und warfen mit Steinen aus den Gleisbetten des Bahnhofs, wobei eine Sanitäterin verletzt wurde.

Alexa Anders, Delitzsch/Anselm Kröger, Pirna

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