Während andernorts über die Liebe zur heimatlichen Scholle
sinniert wird, engagierten sich am Samstag mehrere Bundes-
und Landtagsabgeordnete der PDS zusammen mit
Antifagruppen im sächsischen Delitzsch gegen den rechten
Alltag im neuen Deutschland. Unter dem Motto »Gegen Nazis
in Delitzsch und Umgebung« war zu einer Demonstration in
der Kleinstadt, die sich den Ruf eines »neuen Wurzen«
erarbeitet, mobilisiert worden. Die Überfälle auf Linke,
Ausländer und nichtangepaßte Jugendliche hatten die Medien,
auch junge Welt (12. September) zu Reportagen veranlaßt. Die
Verhältnisse in dem Ort waren durch Behörden und
Kommunalpolitiker noch verschärft worden. Sie spielten
Tatbestände herunter und wollten den Rechten als
Resozialisierungsmaßnahme zudem einen Jugendclub
verschaffen. Sozialarbeiter sollte dort ein bekannter Neonazi
werden.
Bereits im Vorfeld der Demonstration kam es zu Klagen
seitens des Landrats gegen den Anmelder Falk Neubert (PDS) und
eine Leipziger Antifa-AG. Letztere hatte unter dem Motto »Den
Pakt von Nazis und Behörden angreifen!« mobilisiert, was aus
Sicht der Kläger nicht nur eine Beleidigung, sondern ein
Aufruf zur Gewalt sei.
Trotz versuchten Verbotes und schikanöser Vorkontrollen
fanden sich am Sonnabend 700 Personen ein, um gegen die
Delitzscher Verhältnisse, also auch gegen den »Pakt« zu
demonstrieren. Am Freitag abend waren 550 Beamte
aufgefahren worden, die zeigen sollten, wer im Freistaat die
Definitionshoheit über Engagement gegen Rechts hat.
Anfangs kam es zu üblichen Rangeleien und Provokationen,
dann wurde auf halber Wegstrecke der Lautsprecherwagen
von der Polizei eingekesselt. Daß die Polizeistrategie auf
Auseinandersetzungen hinauslief, deren Ziel die
Diskreditierung von Antifaschisten sein sollte, zeigte sich nach
Ende der Demo. Wie auf Stichwort zogen behelmte und
bewaffnete Polizisten pöbelnd und schlagend durch die Menge
auf dem Bahnhofsvorplatz. Die darauf folgenden Reaktionen,
wie Dosenwerfen, wurden genutzt, um mit Brutalität wahllos
gegen eingekesselte Personen vorzugehen. Dabei wurden
Demonstranten verletzt. Der Einsatzleiter, der zu den
Übergriffen der Polizei befragt werden sollte, war nicht zu
sprechen. Elf Personen sollen festgenommen worden sein.
Wie die Polizei die Vorgänge darstellen wird, fünf verletzte
Beamte soll es gegeben haben, war am Abend einem
Gespräch von vier Polizisten zu entnehmen. Ein Kollege
erzählte: »Er hat mich getroffen, aber mir tut nichts weh. Da
mach' ich auf 'ne versuchte Körperverletzung.«
Zu hoffen bleibt, so Antifaschisten, die das Engagement der
sächsischen PDS ausdrücklich begrüßten, daß sich die
Parteimitglieder Strategie und Taktik der Polizei genau
angesehen haben. Denn ein Sinn der Übung bestand wohl
darin, die Partei an ihrem staatsbürgerlichen Gewissen zu
packen und ihr eine Kooperation mit »Extremisten von links«
unterzuschieben.
Zur selben Zeit fand im ostsächsischen Pirna eine
Kundgebung »Zeichen gegen Rechts« der »Aktion
Zivilcourage« statt. Unterstützt u.a. von der Dresdner
Jüdischen Gemeinde, der AWO und dem DGB, sollte gegen
die rechtsextremistischen Aktivitäten in der Sächsischen
Schweiz, wie den Skinheads Sächsische Schweiz oder der
NPD in Gemeinde- und Kreisparlamenten, gehandelt werden.
Im Gegensatz zu Delitzsch, wo sich kaum Rechte sehen
ließen, wurde die Veranstaltung von Anfang an von Nazis
begleitet. Immer wieder provozierten sie die 500
Demonstranten. So wurde von rund 100 Personen versucht,
die Wegstrecke zu blockieren, später kamen Nazis bis auf 25
Meter an den Zug heran, warfen Steine und Flaschen und
zeigten vor Polizisten den Hitlergruß. Vor einem türkischen
Imbiß, der in den letzten Monaten mehrfach angegriffen
worden war, riefen die Rechten »Deutschland den Deutschen,
Ausländer raus« und warfen Steine. Die Inhaber bekamen
keinen Hilfe der Polizei und zeigten ebenfalls zum
wiederholten Male eine spezielle Form von Zivilcourage, indem
sie sich wehrten. »Zu ihrem Schutz« wurde eine Türkin von
einer Beamtin daraufhin zu Boden geworfen. Kurz vor Ende
der Demonstration hatten die Nazis den Zug überholt und
warfen mit Steinen aus den Gleisbetten des Bahnhofs, wobei
eine Sanitäterin verletzt wurde.
Alexa Anders, Delitzsch/Anselm Kröger, Pirna
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