Am Sonnabend demonstrierten in Berlin rund 1 500 Menschen
friedlich gegen einen vom Berliner Neonazikader Steffen
Hupka angemeldeten rechten Aufmarsch durch die
Innenstadt. 1 800 Polizisten aus mehreren Bundesländern
sollten für den ungestörten Ablauf der Naziveranstaltung
sorgen.
Zunächst versammelten sich zahlreiche Antifaschisten
gegen 11 Uhr nahe des S-Bahnhofes Friedrichstraße - dem
späteren Sammelpunkt der Neonazis - zu einer Kundgebung
gegen rechts. Dazu aufgerufen hatte ein Bündnis u.a. aus
PDS, der Antifaschistischen Aktion Berlin, der IG Medien,
dem Bund der Antifaschisten Berlin sowie mehreren
unabhängigen Antifagruppen.
Die zuständige Pressestelle der Polizeidirektion Aue
verwies auf Nachfrage von junge Welt nach dem Ursprung
der Erkenntnisse an den Bürgermeister. Auf Nachfrage bei
diesem, wer einen denn nun für dumm verkaufen wolle und
was das für »Erkenntnisse« seien, gab der zu, als
Bürgermeister gleichzeitig der Chef der örtlichen
Polizeibehörde zu sein, gleichwohl die »Erkenntnisse« nicht
aus erster Hand zu haben, auch nicht von Polizisten vor Ort
und ebensowenig von der zuständigen Polizeidirektion. Von
ganz oben also, und da bleiben, wie er gegenüber junge Welt
bestätigte, nicht mehr viele Möglichkeiten. Ob die
»Erkenntnisse« vom Landesamt für Verfassungsschutz
stammten, woran man ja dann wohl denken müsse, dazu
wollte er sich nicht äußern, nur, daß es »Erkenntnisse« aus
zwei Bundesländern gäbe, aus Sachsen und aus Baden-
Württemberg. Also zwei Landesämter?
So versammelten sich gegen 11.45 Uhr auch etwa tausend
Nazianhänger, viele angereist mit Bussen aus dem gesamten
Bundesgebiet. Mit S-Bahnen wurden sie in die Innenstadt
befördert; die Busse fuhren zuvor, wie mit der Polizei
abgestimmt, zu den sogenannten Schleusungspunkten Tegel
und Schönefeld.
In Berlin-Tegel versammelten sich nach jW-Informationen
knapp 150 Rechte, unter denen sich auch Hupka selbst
befand. Auf dem S-Bahnhof Friedrichstraße führte die Polizei
zahlreiche Vorkontrollen durch, wobei mehrere Neonazis
wegen Tragens verfassungsfeindlicher Symbole oder
Beamtenbeleidigung festgenommen wurden.
Das Spektrum des Nazi-Aufmarsches, der sich durch die
Berliner Innenstadt in Richtung Rotes Rathaus bewegte,
umfaßte neben Anhängern sogenannter »autonomer
Kameradschaften« auch Strukturen der NPD. Zudem zeigten
sich der Berliner Naziaktivist Oliver Schweigert und der NPD-
nahe Rechtsanwalt Horst Mahler. Dabei auch mehrere Kader
des inzwischen verbotenen Blood-&-Honour-Netzwerkes und
der neofaschistischen Rockervereinigung »Die Vandalen«.
Der Naziaufmarsch geriet mehrfach ins Stocken.
Zahlreiche Antifaschistinnen und Antifaschisten hatten sich
Unter den Linden in der Höhe der Humboldt-Universität den
Rechten in den Weg gestellt.
Mehrere am Unigelände befestigte Transparente mit
Aufschriften wie »Meinung? Verbrechen!« oder »Nazis
auslachen!« verärgerten so manchen Braunen und motivierten
wiederum deren Gegnerinnen und Gegner. Nach gut zwanzig
Minuten gelang es der Polizei jedoch, die Protestierenden
Richtung Alexanderplatz abzudrängen. Zur Abschreckung
wurden zahlreiche Wasserwerfer und Räumfahrzeuge
aufgefahren. Nahe des Berliner Doms kam es zu regelrechten
Jagdszenen auf beinahe alles, was sich nicht dem Nazimob
angeschlossen hatte.
Unterstützung erhielten die Antifaschisten von vielen
Bürgerinnen und Bürgern, die lauthals »Nazis raus«
skandierten, als der Zug an ihnen vorbeizog. Verärgert
äußerten sich Passanten über das Verhalten der Polizei
gegenüber Linken und bekundeten ihr Unverständnis über den
Schutz der Neonazis.
Am Neptunbrunnen vor dem Rathaus versuchten die
Rechten dann, begleitet von Pfiffen und Protestrufen, ihre
Abschlußkundgebung durchzuführen. Nicht ganz reibungslos
verlief die Abfahrt der Neonazis. Ihnen wurde schließlich noch
eine weitere Stunde zugebilligt, auf dem Alexanderplatz
Parolen zu brüllen und Linke zu provozieren. Erst gegen 15
Uhr setzten sie sich zu ihren Schleusungspunkten in
Bewegung.
Ein Polizeisprecher zeigte sich am späten Samstag abend
gegenüber jW über den Ablauf der Demonstrationen
zufrieden. Den Vorwurf, unverhältnismäßig gegen Linke
vorgegangen zu sein, akzeptierte er nicht. Im Verlaufe des
Tages seien 19 Personen - angeblich ausschließlich Rechte -
festgenommen worden. Dies widerspricht Berichten von
Augenzeugen gegenüber jW, wonach dies auch mindestens
drei Personen aus den Reihen der Gegendemonstrantinnen und
-demonstranten betraf.
Andreas Siegmund-Schultze