Das Ende der Geschichte ist gemacht, es gibt doch eine Alternative!

 

1989 konnten wir feststellen, dass das Ende der Geschichte erreicht schien. Mit dem Zusammenbruch der „Systemalternative“ zerbrach für viele die vage Hoffnung, es könne doch ein Leben jenseits des Kapitalismus geben. Der endgültige Sieg des Kapitalismus in Gestalt des Neoliberalismus schien sich anzubahnen und der Niedergang der Linken war eine fast schon selbstverständliche Folge dieser Prozesse. Vor 89 konnten wir noch über die Mauer blicken und da einen mächtigen Feind des Kapitalismus ausmachen, den manche von uns, wegen der gemeinsamen Feindschaft, als Freund betrachteten. War er das wirklich? War nicht das, was sich jenseits der Mauer abspielte, ebenso verlogen, unfrei und würdelos, wie das, was in unseren eigenen vier Wänden geschah.

Heute können wir das bestätigen und öffnen damit den Weg für eine Perspektive jenseits aller bekannten Unterdrückungssysteme und Strukturen. Der Blick könnte jetzt frei sein, auf dass, was allen Träumen, Utopien und Ideologien zu Grunde liegt: die Bedürfnisse und die Würde des Menschen.

Viele Menschen haben nicht mehr die Phantasie und den Mut sich eine radikal andere Gesellschaft vorzustellen. Das Bild einer anderen Welt überfordert die Vorstellungskraft, weil es scheinbar so viele Dinge zu bedenken und zu bestimmen gibt. Es ist aber gar nicht notwendig ein komplexes Bild solch einer Gesellschaft zu haben, bevor wir uns von der Stelle bewegen können.

Die Alternative zu bestehenden Gesellschaften und zur kapitalistischen Weltordnung kommt nicht in Gestalt eines allgemeingültigen Diktates daher, sondern als Prozess, der die Unterschiedlichkeit der Menschen als Ausgangspunkt hat. Und mit Respekt und Toleranz, die aber nicht grenzenlos ist, eine Entwicklung in Gang setzt, deren Ziel die größtmögliche Erfüllung aller Träume und Wünsche ist. Kein Traum ist dabei schöner, kein Wunsch stärker als ein anderer. Die einzige Voraussetzung ist zunächst, das kein Individuum auf den Schultern eines anderen steht und keine Struktur Macht über eine andere hat. Das bedeutet eine Absage an die Manifestation von Machtverhältnissen, die wir zwar als existent wahrnehmen, aber auf unserem Weg immer wieder hinterfragen und versuchen zu bekämpfen, damit am Ende die Freiheit übrig bleibt.

Folgerichtig präsentiert sich unsere Politik nicht als Lösung der Probleme, sondern als Verfahren, wie diese Probleme überhaupt erst angegangen werden können, unter Beteiligung möglichst vieler Menschen, die das möchten und unabhängig von ihrer Ausgangssituation. Manche von uns haben eine lange gemeinsame politische Praxis. Für die Zukunft dieser Praxis soll die Vernetzung der Unterschiedlichkeiten und nicht die Vereinheitlichung unter dem Dach eines Zentralkomitees, der erste Schritt sein, zur Entwicklung eines Gesellschaftsmodells, das die Unterschiede nicht egalisiert, sondern ihnen gerecht wird.

Die Gesellschaft zu verändern, bedeutet die Alltagspraxis einer jeden von uns zu verändern. Das ist ein langfristiges Projekt, da es eben nicht den einen Punkt gibt, an dem wir einen Hebel ansetzen könnten, um die Welt aus ihren Angeln zu heben und sie auf eine andere Bahn zu befördern. Das zu tun hieße auch, einen Glauben an einen einzigen richtigen Weg zu haben, was wieder nur in der Unterdrückung der Ungläubigen enden kann. Unsere Politik ist eine langfristige Prozedur, sie wird oft widersprüchlich sein und langsam voranschreiten. Doch darin liegt die Garantie für ihr Gelingen. Wir begreifen Politik als einen Prozess, in dem alle Menschen ihre eigenen Angelegenheiten gemeinsam und eigenverantwortlich in die Hand nehmen unter Respektierung ihrer Unterschiedlichkeiten. Die dauerhafte Repräsentation der eigenen Interessen durch andere Menschen oder Institutionen lehnen wir ab, da sie nachweisbar nicht zum Wohle aller Menschen beiträgt. Und nur was du selbst tust, von dem kannst du sicher sein, dass es getan wird.

 

Preguntando caminamos – fragend schreiten wir voran

Das wird euch spanisch vorkommen. Im Wortlaut ist es das, als Ausdruck einer Idee, die wir zapatistisch nennen können, aber nicht müssen. Viele unserer Ideen sind in den letzten Jahren von den Zapatistas in Chiapas / Mexiko neu formuliert, aber nicht erfunden worden. Ihre Formulierung jedoch bringt einige Dinge auf den Punkt, die wir als Grundlage unseres Handelns ebenso benennen. Der Zapatismus, wenn wir von ihm reden, ohne uns nach ihm zu benennen, ist keine Ideologie. Wie heißt es so schön: ...el zapatismo no existe, der Zapatismus existiert gar nicht.

So gibt es kein Lehrbuch, dem wir uns verschreiben, weil alle Lehrbücher nur kleine Aspekte der Wirklichkeit zu einer bestimmten Zeit beschreiben können. Der Zapatismus, oder sagen wir einfach unsere Politik, ist eine Brücke, die den Weg eröffnet auf eine andere Seite. Wir wissen aber nicht, wie es da aussieht. Wir wissen, dass sich mit unserer Ankunft dort, alles Gewesene schon wieder verändert, da es ohne uns nur in der Vorstellung existiert und wir erst sehen werden, wie wir uns dort zurecht finden, wenn wir angelangt sind. Selbst die Brücke verändert sich, wenn wir sie betreten. Sie wird schwanken und sich verformen unter uns und  vielleicht versetzen wir sie ja auch.

An ein Dogma zu glauben, heißt auch glauben, dass die Welt statisch ist.

Wir wollen uns keiner neuen Ideologie verschreiben, auch wenn das manchmal eine leichtere Orientierung bietet.

Die Welt und ihre Strukturen sind wesentlich tiefgreifender, als das sie auf einfache Fragen und Antworten reduziert werden könnten.

Preguntando caminamos! Wir stellen viele Dinge fest, die uns ungerecht vorkommen und uns wütend machen. Die Dinge, die uns losgehen lassen, sind vor allem die, die unser Herz berühren, nicht nur den Kopf. Was uns wütend macht, versuchen wir zu beschreiben. Dabei bleibt so vieles offen, weil wir die ganze Komplexität dieser Welt nicht in Worte fassen können. Dennoch wollen wir nicht warten, bis wir alles verstanden haben. Wir gehen los. Mit unseren vielen Fragen. Während wir gehen, werden wir die ein oder andere Antwort finden und noch mehr Fragen. Die Antworten finden wir nur, weil wir gehen, weil wir unserer Position verändern und nicht auf dem beharren, von dem wir gar nicht wissen können, ob es richtig ist. Wir werden dabei viele Fehler machen, weil wir nicht wissen, was richtig ist.

Fragend gehen, das bedeutet: unsere Fragen zu formulieren, ohne Angst, dass andere sie für dumm halten. Es bedeutet, die Fragen der anderen ernst zu nehmen, wie die eigenen, so absurd sie auch erscheinen. Es bedeutet aber auch, unsere Antworten selbstbewusst vorzutragen, weil sie einen Punkt unseres Weges markieren, sie aber auch als das zu begreifen. Als Punkt, der schon im nächsten Moment in einer Fülle von Punkten verschwimmt, wie die Sterne am Himmel, als Beitrag zu einer gemeinsamen Suche nach Antworten. Das verlangt von uns, uns und unsere Antworten weniger wichtig zu nehmen als die gemeinsame Suche und vor allem nicht die anderen von unseren Antworten überzeugen zu wollen.

 

Todo para todos – nada para nosotros

Für alle alles, für uns nichts. Das sagen die Zapatistas. Es soll nicht heißen, dass wir barmherzige Samariter sind, die nur für das Leben der anderen arbeiten. Es meint vielmehr, dass wir nur ein kleiner Teil von allen sind und für uns keine besondere Stellung in Anspruch nehmen. Dass wir nicht glauben, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und andere damit beglücken müssen. Dass wir die Macht nicht wollen, um unsere Träume zu leben, weil unser Traum von Freiheit erzählt. Wir kämpfen nicht um die Macht, nicht als Netz, nicht als Gruppe, nicht als Mensch. Wir wollen gleichberechtigt mit allen anderen leben und uns unserer Träume erfüllen.  

Unsere Gegner kämpfen um das größte Nichts in der Geschichte der Menschheit, eine Gesellschaft, in der der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen und aus allen Zusammenhängen herausgelöst ist, keinen Wert mehr hat und keine Würde. Unsere Gegner können wir nicht einfach als Kapitalisten benennen. Zu Ihnen gehören alle, die die Welt, ob sie nun die ganze oder ihre eigene kleine Welt, das Land, die Firma, die Familie, die Gruppe meinen, lieber zu ihrer  ausschließlich eigenen Zufriedenheit ordnen und damit die Erfüllung von Träumen und Hoffnungen der anderen bekämpfen. Zu Ihnen gehören auch die, die auf ihren Befehl hören oder die, die die bestehenden Verhältnisse zu ihrem Vorteil nutzen. Ein Teil des Gegners steckt somit in jeder von uns und macht es notwendig uns selbst zu verändern, um die Welt verändern zu können.

 

Für eine Welt der vielen Welten

Wir haben eine Vorstellung von der Welt in der wir leben möchten. So eine Vorstellung existiert in jeder von uns und doch gibt es darin viele Unterschiede. Was dem einen wichtig erscheint, ist für die andere nur eine Randnotiz. Was die eine gelb möchte, will der andere grün. Schon in einer kleinen Gruppe finden wir so verschiedene Träume und wenn wir darüber hinaus sehen, wird ihre Anzahl unendlich groß. So unterschiedlich wie die Lebensbedingungen unter denen die Menschen auf unserer Welt leben müssen, sind auch ihre Hoffnungen. Wie könnten wir jemand, den wir noch nie gesehen haben, mit der wir noch nie geredet haben, vorschreiben, in dieser oder jener Welt zu leben? Wir möchten nicht, das irgend ein Mensch ihre Träume aufgeben muss, damit ein gemeinsamer Weg beschritten werden kann. Die Welt von der wir träumen, ist eine Welt in der alle diese unterschiedlichen Vorstellungen einen Platz finden. Eine Welt der vielen Welten.

Diese Welt besteht aus einer Vielzahl kleiner oder größerer Gemeinschaften von Menschen, die einen gemeinsamen Weg und eine gemeinsame Perspektive entwickeln. Wie diese Gemeinschaft gestaltet wird, entscheiden ausschließlich die Menschen, die sich daran beteiligen, sie sind vollkommen autonom. Die einzige Bedingung, die zu erfüllen wäre, ist, dass keine dieser Gemeinschaften auf Kosten einer anderen lebt und dass alle Menschen frei wählen können, in welcher Gemeinschaft sie leben möchten. So gibt es keine Grenzen und die Gemeinschaften, die den Menschen kein würdevolles Leben ermöglichen, werden sich auflösen, wenn  niemand in ihnen leben möchte. Alle Gemeinschaften, entscheiden ohne Zwang ob und wie sie sich vernetzen möchten, um übergreifende Dinge zu regeln und Waren, Informationen oder Menschen den Weg über die Welt zu ermöglichen.

Das ist natürlich nur ein sehr grobes Gerüst. Bis zur  Realisierung dieser Welt der vielen Welten müssen wir einen langen Weg gehen. Diese Welt kann nicht erobert werden, wir müssen sie neu erschaffen. Und damit können wir schon heute beginnen. Wir organisieren unser Leben so, dass es einen Beitrag auf dem Weg zu dieser Welt leistet und setzen ihre Prinzipien, Autonomie, Würde und Solidarität  schon heute in die Tat um. Und wir laden alle Menschen ein, sich uns anzuschließen.

Wir sind nicht viele, aber wir sind Menschen die voranschreiten, gegen die Unterdrückung und für die Globalisierung der Würde.