Tina Modotti(1896-1942)


Irland unter faschistischer Militärdiktatur
Die Geschichte der britischen Herrschaft in Irland ist ein klassisches Beispiel imperialistischer Kolonialpolitik. Seit dem 17. Jahrhundert ist Irland der Schauplatz brutalster Unterdrückung und schlimmster Ausbeutung durch die englische herrschende Klasse, die die eingeborene Bevölkerung dezimierte, sie ihrer Existenzquellen entblößte, die Entwicklung der Industrie, die mit dem "Mutterlande" konkurrieren konnte, in jeder Weise abdrosselte,. und die sich niemals scheute, zu Metzeleien und grausamstem Terror zu greifen, und jede Bewegung niederzuhalten, die ihre Herrschaft bedrohte.
Es genügt, darauf hinzuweisen, daß die 3 Millionen Einwohner, die der "Freistaat" Irland heute zählt, nur die Hälfte der Einwohnerzahl dieses Landes vom Jahre 1859 bilden. Die gällische Sprache, die Nationalsprache Irlands, wurde von der britischen Kolonialpolitik in so brutaler Weise verfolgt, daß heute der größte Teil der Bevölkerung sich der englischen Sprache bedient. Im 17. Jahrhundert hat die englische Regierung eine Verordnung erlassen, wonach jeder Irländer einen englischen Namen seinem irischen zufügen mußte.
Obwohl Irland, mit Ausnahme der sechs nördlichen Grafschaften, seit 1921 formal als Freistaat gilt, so ist es doch im wesentlichen ein englisches Dominion. Die Politik der irländischen Großgrundbesitzer, Bankiers, Handels und Industriebourgeoisie ist auf die Aufrechterhaltung engster Verbindung mit dem Britischen Reich auf der Grundlage des gegenwärtigen Dominion Status gerichtet.

Die breiten Massen der irischen Bevölkerung, die kleinen und armen Bauern sowie die städtischen Mittelschichten und die Arbeiter haben niemals aufgehört, gegen die Unterdrückung, unter der sie schon seit Jahrhunderten leiden, zu kämpfen. Das Jahr 1913 und die Kriegsjahre waren eine Zeit der stürmischsten Ereignisse und der heldenhaftesten Kämpfe der irischen nationalrevolutionären Bewegung . Im Jahre 1916 erfolgte die Hinrichtung von James Connolly, des größten irischen Revolutionärs, durch die britische Regierung.
Auch Irland befindet sich schon seit Jahren in den Krallen der Agrar- und überhaupt der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise. Unter der Cosgrave Regierung, die zeitlich mit der Macdonald Regierung in England zusammenfällt, verschärfte sich die innere Wirtschaftskrise Irlands infolge der Abhängigkeit von England.
Der starke Preisfall der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die das Hauptprodukt des Landes sind, hat bereits Tausende werktätiger Farmer zu großen Steuer und Pachtzinsrückständen gezwungen, hat unter den Landarbeitern der großen Güter Erwerbslosigkeit und Unzufriedenheit hervorgerufen. Die Hauptindustrieunternehmungen in Irland -die Textil und Schiffsbaufabriken- sind eingestellt. 60 Prozent der 100.000 Erwerbslosen haben keinerlei Erwerbslosenunterstützung. Allein der Ford Betrieb in Cork hat bei seiner Stillegung 6.000 Arbeiter aufs Pflaster geworfen. Der allgemeine Rückgang im Handel und die landwirtschaftliche Krise haben auch im Eisenbahnwesen große Störungen herbeigeführt. Eine Reihe von Nebenbahnen hat ihren Betrieb eingestellt und eine Reihe von Lokomotivwerkstätten hat ein Drittel ihrer Arbeiter entlassen.

Die wirtschaftliche Auswanderung aus Irland, die als "beste Industrie des Landes" bezeichnet wurde, hat infolge der Millionenerwerbslosigkeit in USA usw. aufgehört. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß im Laufe der ersten sechs Monate 1931 nur 476 Personen Irland verlassen haben, anstatt der 8.468 im ersten Halbjahr 1930. Andererseits sind im Laufe derselben sechs Monate 1931 1.080 irische Emigranten unter dem Einfluß der Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten wieder nach Irland zurückgekehrt. Diese furchtbare Lage drängt die Arbeiter und armen Bauern zur revolutionären Lösung ihres langjährigen Kampfes. Die armen Bauern organisieren "Aktionskomitees" gegen die gewaltsame Eintreibung von Steuern. In den Städten, besonders in den Industriezentren, gruppieren sich die Arbeiter um die "Revolutionären Arbeitergruppen" (Vorläufer der irländischen Kommunistischen Partei), deren Einfluß von Tag zu Tag wächst. Diese "Arbeitergruppen" zerstören die von den "Republikanern" verbreiteten Illusionen über Erreichung einer Scheinunabhängigkeit und leiten die Bewegung in die Bahnen des Klassenkampfes. Diese Radikalisierung der breiten Massen hat die Republikaner gezwungen, die alte Losung "Freies Irland" fallen zu lassen und einige revolutionäre Losungen der Arbeiterklasse, wie "Irland eine Arbeiter und Bauernrepublik" zu mißbrauchen, um die breiten Massen der Arbeiter und armen Bauern in ihren Reihen zu behalten. Die terroristischen Aktionen, die immer typisch für den Kampf der Republikaner gegen die englischen Agenten in Irland waren, sind jetzt eine häufigere Erscheinung geworden und haben kühneren Charakter angenommen. Dieser Kampfmut der hungernden Arbeiter, deren Lohn unaufhörlich gekürzt wird, und die drohende Haltung der Brot und Arbeit fordernden Erwerbslosen haben die Cosgrave-Regierung, die überall als Werkzeug des britischen Imperialismus verachtet wird, alarmiert.

Darum hat das irische Parlament am 20. Oktober nach dem Diktat seiner britischen Herren den "Public Safety Act" (Gesetz der öffentlichen Sicherheit) herausgegeben, das schlimmste arbeiterfeindliche Gesetz, das je in der irländischen Gesetzessammlung Platz gefunden hat. Wir geben die wesentlichsten Punkte dieses Gesetzes wieder:

"Ein fünfgliedriger militärischer Gerichtshof verhandelt gegen Personen, die der Zuwiderhandlung gegen das vorstehende Gesetz angeklagt sind. Gegen die Urteile des Gerichtshofes kann keine Berufung eingelegt werden.
Geschworenengerichte sind für politische Vergehen aufgehoben. Der militärische Gerichtshof ist berechtigt, jede Art von Strafe, inklusive Todesstrafe, für Übertretung dieses Gesetzes zu verhängen.
Das Gesetz hat rückwirkende Geltung, und Personen, gegen die in der der Veröffentlichung des Gesetzes vorhergehenden Zeit politische Prozesse schweben, können jetzt vor den militärischen Gerichtshof gestellt werden.

Polizeibefugnisse:
Die Polizei ist befugt, bei allen Personen, die verdächtigt werden, daß sie ein Vergehen gegen das Gesetz begangen haben oder beabsichtigen, Haussuchungen vorzunehmen, sie festzunehmen und in Haft zu behalten.
Zeugenaussagen der Polizei können nicht zurückgewiesen werden, und Gegenbeweis ist nicht erlaubt. Der Besitz von irgendwelchen Veröffentlichungen "ungesetzlicher" Gesellschaften ist ein Vergehen, für das das Militärgericht jede Strafe nach Belieben verhängen kann. Das Militärgericht hat das Recht, jedes Buch, jede Zeitschrift und jedes Presseorgan, jede Flugschrift, jedes Plakat oder jedes andere Dokument zu verbieten, das es als aufrührerisch betrachtet. Auf Anordnung des Militärgerichts können sämtliche Räume, die zu "widergesetzlichen Zwecken" benutzt werden oder wurden, geschlossen werden.
Die Gerichtsverhandlungen finden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Eine Zeitung, die darüber Bericht erstattet, hat (zum erstenmal) eine Geldstrafe von 1.000 Pfund zu gewärtigen.

"Ungesetzliche Gesellschaften":
Falsche Angaben oder Verweigerung von Angaben ist Zuwiderhandlung gegen das Gesetz. Personen, die wegen Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz verhaftet sind, können 72 Stunden ohne Vorlegung einer bestimmten Anklage in Haft behalten werden.
Drucklegung, Veröffentlichung oder Verbreitung von Dokumenten im Auftrage oder im Namen "ungesetzlicher Gesellschaften" werden vom militärischen Gerichtshof abgeurteilt, der jede Art von Strafe verhängen kann.
Der Generalgouverneur ist berechtigt, Mitglieder des "Dail" und des Senats unter gewissen Umständen zu ernennen, sowie die beiden Körperschaften für höchstens einen Monat zu vertagen."

Auf Grund dieses Gesetzes sind bereits 12 revolutionäre Organisationen als "ungesetzlich" erklärt worden, darunter zwei Frauen Organisationen, die Freunde der Sowjetunion und "irische Liga zur Vereinigung der Arbeit" ( die irische Sektion der IRH).
Dies bedeutet nichts anderes als ein legalisiertes Mordsystem, um dem britischen Imperialismus mit Hilfe einer Militärdiktatur eine noch größere Ausbeutung Irlands zu ermöglichen. Zugleich bedeutet dies eine Förderung des imperialistischen Krieges, denn Irland ist immer noch an Großbritannien gebunden, nicht nur durch den Tribut, den es an England in Form von Schulden und Annuitäten zu zahlen hat, sondern auch durch andere aus dem Vertrag des Jahres 1921 entspringende Verpflichtungen. Die Verteidigung des Irischen Freistaates ist z.B. Pflicht Britanniens. In Kriegszeiten oder in Zeiten „gespannter" Beziehungen muß Irland Unterkunft sowie alle andere Hilfe, die die britische Regierung verlangt, gewähren.
"Scotland Yard", die britische Geheimpolizei, arbeitet fieberhaft an der Verfolgung der Revolutionäre, Hand in Hand mit der irländischen Militärdiktatur. Es sind bereits Vereinbarungen getroffen worden in bezug auf Überwachung aller bekannten irischen Revolutionäre, die angesichts des Ausbruches des weißen Terrors nach England geflohen sind.
Da das Gesetz zum "Schutz der öffentlichen Sicherheit" rückwirkend Kraft hat, so stehen bereits etwa 12 Revolutionäre, die im Gefängnis von Mountjo Dublin eingekerkert sind, wegen "Verbrechen", die sie bereits vor Veröffentlichung dieses Gesetzes begangen haben, vor ihrer Übergabe an das Militär Tribunal.

Die katholische Kirche macht, wie nicht anders zu erwarten, von ihrer Autorität den weitestgehenden Gebrauch, um die neue Diktatur zu unterstützen. Ein Hirtenbrief, unterzeichnet vom Kardinal Maxrory, Haupt der irländischen Kirche" sowie von 3 Erzbischöfen und 24 Bischöfen, wurde in sämtlichen katholischen Kirchen des Freistaates und Nordirlands bekanntgegeben. Er richtet sich direkt gegen das, was er als "teuflische kommunistische Tendenzen" bezeichnet. Die Jugend wird feierlich gewarnt, sich den "ungesetzlichen Gesellschaften" anzuschließen, und die Pfarrer werden angewiesen, ihren ganzen Einfluß in diesem Sinne geltend zu machen.
Am Tage der Veröffentlichung des "Gesetzes zum Schutze der öffentlichen Sicherheit" ist die ganze Tagesausgabe der Zeitung "An Phoblacht", Organ der nationalrevolutionären Republikaner, beschlagnahmt worden. Im Laufe der ganzen Woche konnte für die Herstellung der "Workers Voice", Organ der revolutionären Arbeitergruppe, kein Drucker gefunden werden. "Daily Worker", Organ der KP Englands, ist bereits seit einiger Zeit für Irland verboten. Vor einigen Monaten wurden in Irland mehr als hundert Bücher verboten, darunter einige Werke von Maxim Gorki. Der ganze Polizeiapparat ist im Laufe der letzten Wochen verstärkt worden. Die Häuser der verdächtigen revolutionären Arbeiter und der bekannten Republikaner werden immer durchsucht und geplündert. Es gibt Fälle, wo ein und dieselben Häuser vier oder fünfmal am Tage durchsucht wurden. Mit anderen Worten: die Regierung hat alle Maßnahmen getroffen, und das ganze Aufgebot bewaffneter Kräfte steht bereit, um die leiseste Protestaktion der werktätigen Massen mit eiserner Faust niederzuschlagen.

Diese unerhörten Unterdrückungsmaßnahmen in Irland sind nur ein Teil der brutalen Reaktion gegen die revolutionäre Bewegung in den Dominions, z. B. in Kanada, wo vor kurzem die Kommunistische Partei verboten wurde, wo die schamlosesten Maßnahmen gegen die ausländischen Arbeiter und Erwerbslosen zu ihrer Ausweisung aus dem Lande angewandt, und wo Schreckensurteile gegen revolutionäre Arbeiter gefällt werden. All diese Terrormaßnahmen sind ein Teil des "Rettungsprogramms" der englischen "National Regierung".
Und darum sind die letzten Ereignisse in Irland von internationaler Bedeutung, und darum ist jetzt die Schaffung einer breiten Front internationaler Kampfsolidarität der unterdrückten werktätigen Massen aller Länder, vor allem Englands, mit denen Irlands, Kanadas, Indiens und der anderen englischen Domonions und Kolonien notwendiger denn je.
Innerhalb Irlands ist es Aufgabe der irischen RH Sektion -obzwar sie jetzt illegal ist- , doch Wege zu finden, um sich in den Massen der irischen Werktätigen zu verankern.

Erschienen in MOPR, Berlin, 111932