Tina Modotti(1896-1942)

Berichte über die Lage in Lateinamerika

Die IRH in den Ländern Südamerikas und der Karibik
Bevor ich mit der Schilderung der Arbeit der IRH in den Ländern Südamerikas und der Karibik beginne, muß ich einige Worte über die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen sagen, unter denen sich die Brudersektionen der Roten Hilfe dort zu arbeiten gezwungen sehen. Südamerika und die Karibik umfassen viele sogenannte "unabhängige" Republiken, deren Einwohnerzahl zwischen 25 Millionen (Brasilien) und 500.000 (Kuba) schwankt.
Dank des Naturreichtums sind diese Länder von enormer Bedeutung für die Imperialisten, besonders für die Engländer und Amerikaner, denen sie als Profitquelle und als Märkte für Kapitalanlagen dienen. Es genügt zu sagen, daß mehr als 44,04% der Kapitalanlagen der USA die Länder Südamerikas und der Karibik entfallen. In diesen "unabhängigen" Republiken wird ständig ein interner Kampf der Imperialisten um das Monopol an den Bodenschätzen dieser Länder geführt. Ein kennzeichnendes Resultat sind der häufige Wechsel der Regierungen dieser Länder und die bewaffneten Zusammenstöße zwischen verschiedenen politischen Parteien, die den einen oder den anderen Imperialisten dienen. Ein Beispiel dafür ist der Krieg zwischen Paraguay und Bolivien um den Besitz der Provinz Chaco. Dieser Krieg, hat das Leben Zehntausender von Arbeitern und Bauern gekostet und wird ausschließlich im Interesse der englischen und amerikanischen Imperialisten geführt, die nach dem Monopol am Ölreichtum des Chacogebietes streben.
Der unglaubliche Preissturz für Produkte der Landwirtschaft und des Bergbaus hat zu einer entsetzlichen Verarmung der arbeitenden Massen geführt. Besonders schwierig war die Lage in Kuba, wo der Anteil des Zuckers am Export 80% betrug. Der Sturz der Zuckerpreise und die Reduzierung der Zuckerindustrie in Kuba sind eine große Last auf den Schultern der werktätigen Massen. Dies war auch der Antrieb für die Entfaltung der revolutionären Befreiungsbewegung. Die Streikenden haben den Diktator Machado gestürzt und Fabriken und Werke besetzt.
Die unerträgliche Ausbeutung der Arbeiter in den Ländern Südamerikas und der Karibik ist begleitet von blutigem Terror und von der Verfolgung der Arbeiter beim kleinsten Versuch, sich zu organisieren und für ihre ökonomische und nationale Unabhängigkeit zu kämpfen. Die Regierungen sind willige Marionetten ausländischer Imperialisten; sie haben ein System zügellosen Terrors eingeführt und rechnen dabei mit der Unterstützung durch die Imperialisten. Blutige Abrechnungen mit Bauern, die um ihr Land kämpfen, Folterungen an Revolutionären in den Zuchthäusern, bewaffnete Überfälle auf Straßenkundgebungen und Märsche der Erwerbslosen, all dies sind alltägliche Erscheinungen.

Im vergangenen Jahr, während der Massenstreiks in Panama, wurden aus Flugzeugen Bomben auf die Streikenden abgeworfen, und es war der Verteidigungsminister der USA, der der panamerikanischen Regierung die Flugzeuge und auch die Piloten zur Verfügung stellte. Im Augenblick konzentriert die amerikanische Regierung ihre Militärs an den Stränden Kubas, um den wachsenden antiimperialistischen und Klassenkampf zu unterdrücken.
Viele Sektionen der IRH (so die argentinische, uruguayische, mexikanische, brasilianische und salvadorianische) sind noch vor 1930 gegründet worden. Seit 1930 existieren in den meisten Ländern Südamerikas und der Karibik Rote Hilfe Organisationen, deren Popularität, ungeachtet ihrer noch schwachen Organisation, unter den Arbeitern und Bauern ständig wächst. Daran ändern auch die monströsen Verfolgungen nichts, und auch nicht die Umstände der Illegalität oder die Verhaftungen der Aktiven. Wegen der Zugehörigkeit zur IRH oder wegen aktiver Teilnahme an ihrer Arbeit drohen dieselben Strafen wie für die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei.
Besonders schnell entwickeln sich die Organisationen der IRH in den Ländern der Karibik. Folge der Tätigkeit des Karibischen Sekretariats der IRH war die Gründung von IRH Sektionen in Kuba, Panama, Honduras, Ecuador und Kolumbien. Ende 1931 war es sogar in Venezuela, das einer mittelalterlichen Festung gleicht, möglich, einige Komitees und Gruppen zu gründen. Hier regiert seit fünfundzwanzig Jahren Vicente Gömez, der blutigste Diktator Südamerikas. Die Foltern, denen in Venezuela 5.000 politische Gefangene ausgesetzt sind, erinnern in ihrer Grausamkeit an die Folter im alten China. In Venezuela ist es extrem schwierig, Rundschreiben. Flugblätter oder anderes Material der IRH in Umlauf zu bringen.

Unter großen Schwierigkeiten ist es der IRH gelungen, sich in Peru und Brasilien durchzusetzen, aber die außerordentlichen Schwierigkeiten und die Unkenntnis illegaler Methoden der ME Arbeit haben in diesem Ländern die Entwicklung der IRH unter den werktätigen Massen behindert.
Die IRH Sektionen in den Ländern Südamerikas und der Karibik führen einen heldenhaften Kampf gegen den weißen Terror und für die Unterstützung seiner Opfer. Sie haben große Agitationsarbeit geleistet und entlarven vor den werktätigen Massen die Verbrechen der einheimischen Regierungen und der Imperialisten. Sie decken die Ursachen für Verhaftungen, Morde, Folterungen und unmenschliche Behandlung in den Gefängnissen auf und prangern die Ausweisungen ausländischer Revolutionäre an. All diese Tätigkeit hat dazu beigetragen, daß die Massen für den aktiven Kampf gegen die blutrünstigen Regierungen und gegen die Imperialisten -die wahren Eigentümer der "unabhängigen Republiken"- mobilisiert werden konnten.
Der Kampf der mexikanischen Sektion der IRH gegen die von den Gebietsbesitzern eingerichteten Blutgerichte gegen arme Bauern hat den Namen der IRH unter den Bauern Mexikos so populär gemacht, daß ungebildete Bauern nicht seiten die größten Schwierigkeiten überwinden und ins Zentrum kommen, um die IRH über neue Ermordungen und Verhaftungen von Genossen oder über Zwangsmaßnahmen der von den Gutsbesitzern bezahlten bewaffneten Banden zu informieren.
Die Sektionen der IRH organisieren oftmals Straßendemonstrationen oder Blitzmeetings vor Fabriken, in Schächten, auf den Plantagen usw. Demonstrationen werden nicht nur im Zusammenhang mit dem einheimischen Terror organisiert, sondern auch im Rahmen internationaler IRH Kampagnen wie zum Beispiel Scottsboro, gegen den deutschen Faschismus, gegen die Verbrechen der japanischen Imperialisten in China usw.

Das Gefühl der Internationalen Solidarität, das Mitgefühl mit dem internationalen Proletariat, der Haß auf die Imperialisten bieten große Möglichkeiten der Vereinigung großer Arbeitermassen in den Ländern Südamerikas und der Karibik. Selbst wenn die Demonstranten damit begrüßt werden, daß man das Feuer auf sie eröffnet, kommt es immer wieder zu Massenansammlungen.
Der Weltkongreß der IRH hat einen großen Ansporn gegeben, daß sich die Sektionen der IRH in breite Massenorganisationen verwandelten. Nach diesem Weltkongreß sind die Organisationen der IRH noch kampfbereiter geworden. Sie haben versucht, die auf dem Kongreß gewonnenen Erfahrungen für ihre alltägliche Arbeit auszuwerten. Die Beschlüsse des Kongresses über die Nutzung legaler Möglichkeiten wurden in die Praxis umgesetzt. So wurden beispielsweise in Mexiko und Kuba Komitees von Familienangehörigen politischer Gefangener gegründet und es wurden Wettbewerbsverträge zwischen einzelnen IRH Gruppen abgeschlossen. Die Sektionen beteiligen sich auch aktiv an den ökonomischen Kämpfen der Arbeitermassen. Das betraf vor allem die Teilnahme der IRII Sektion an den Streiks von 20.000 Arbeitern der kubanischen Zuckerindustrie im Jahre 1933 und am Streik der Ölarbeiter in Argentinien. Die Sektionen entfalten auch eine aktive Arbeit innerhalb der Massenorganisationen. So wurden zum Beispiel in der Gewerkschaft der Seeleute Uruguays IRH Gruppen gründet. Ebenfalls verstärkt wurde der Kampf gegen den imperialistischen Krieg und zur Verteidigung der UdSSR; es wurden Artikel und Flugblätter verbreitet und ein Briefwechsel mit IRH-Zellen in der Sowjetunion begonnen.
Ein Brief aus der UdSSR ist für politische Gefangene und für Mitglieder der IRH Organisationen ein großes Ereignis. Er dient als Ansporn für die Entwicklung der IRH Sektionen innerhalb der Massenorganisationen der Länder Südamerikas und der Karibik und für die aktive Teilnahme der IRH an der antiimperialistischen und revolutionären Bewegung.

Maria

Erschienen in Internationalnij Majak, Organ der Roten Hilfe der UdSSR (MOPR), 1934