Tina Modotti(1896-1942)


Die Kinder und die Rote Hilfe
In dem in allen kapitalistischen und Kolonialländern wütenden Klassenkampf sind die armen proletarischen Kinder ein zweifaches Opfer der herrschenden Klasse; sie leiden unter den direkten Verfolgungen, Mißhandlungen (in den Schulen, Werkstätten und, wenn sie revolutionär gesinnt sind, unter der Verfolgung wegen ihrer antireligiösen, antipatriotischen usw. Einstellung) sowie auch indirekt unter den Verfolgungen und dem Terror gegen ihre Eltern (wenn letztere verhaftet, ermordet, ausgewiesen usw. werden).

Die Einbeziehung der Kinder in den kapitalistischen Produktionsprozeß nimmt immer mehr das Ausmaß der Heranziehung der Frauen an. Für die Kapitalisten ist die Kinderarbeit die idealste Grundlage für maximale Ausbeutung: niedrigere Löhne, Anstellung ohne gegenseitige kontraktmäßige Verpflichtungen, Verbot für die Kinder an Streiks teilzunehmen usw. Das Verhältnis der Zahl der arbeitenden Kinder zur Gesamtzahl der Werktätigen in den Kolonialländern war stets ein riesiges, und die unmenschliche Behandlung derselben setzt niemand in Erstaunen. Eine große Sensation wurde unlängst durch den Bericht über die Kinderarbeit in Ägypten hervorgerufen, der in der "Review" des Internationalen Arbeitsamtes von Adelaide Anderson veröffentlicht wurde, welche im Laufe von 24 Jahren Inspektorin der englischen Fabriken war. Der Bericht schildert klar, was sie mit eigenen Augen in den Baumwoll- und Seidewebereien in Ägypten gesehen hat: "Kinder in zartestem Alter, manchmal von 5 Jahren an, werden in den Betrieben beschäftigt. Mit Sirenengeheul und Eisengerassel werden die Mädchen und Jungen wachgehalten... " Weiter heißt es in dem Bericht: "Mit Schmerz sah ich in verschiedenen Betrieben die fast automatische Mißhandlung der Kinder mit Stöcken und Peitschen durch die Aufseher, die einfach beim Vorübergehen die Kinder auf diese Art antrieben. In einigen Fällen wurden sie auf den Kopf geschlagen, was wirklich eine gefährliche Mißhandlungsart ist." Wir können uns leicht vorstellen, wie schrecklich die Behandlung sein muß, wenn selbst eine bürgerliche Zeitung wie das Organ des Internationalen Arbeitsamtes darüber empört ist. Laut Bericht ist die Hälfte der Arbeiter in den Baumwoll-Egrenier-Betrieben unter 15 Jahre, viele sind unter 9, und in einigen Fabriken wurden von unangemeldeten Besuchern kleine Kinder im Alter von 5 Jahren angetroffen, die wie "rapide Maschinen" arbeiteten und in ihren Gesichtszügen nichts Kindliches mehr hatten.

Im Schritt mit der wirtschaftlichen Ausbeutung und unmenschlichen Behandlung der Kinder in der Produktion geht die Verfolgung und Bestrafung der Kinder- aus dem proletarischen revolutionären Organisationen (Rote Pioniere usw.) vor sich. Es würde genügen, die Polizeiattacken, die brutale Mißhandlung und die verschiedenen Repressionen gegen den zweiten Internationalen Kinderkongreß anzuführen, der in Berlin im Sommer des Jahres 1930 tagte. Über 100 Kinder wurden in diesen Tagen in Berlin verhaftet; die Polizei überfiel selbst die Arbeiterwohnungen, wo die ausländischen Pionierdelegierten untergebracht waren: der sozialdemokratische Polizeipräsident in Halle verbot die Abhaltung des Kinderkongresses in diesem Ort auf Grund einer "hygienischen Gefahr". Die Einreise der russischen Delegierten nach Deutschland war verboten und der bayrische Unterrichtsminister erteilte entsprechende Instruktionen, die die Teilnahme an dem Kinderkongreß strengstens untersagten. In anderen Ländern sind die Verhältnisse nicht besser. In den USA wurde ein Sommerlager der Roten Pioniere von den Ku-Klux-Klan-Leuten mit Unterstützung der öffentlichen Behörden überfallen. Der wildgewordene Pöbel riß die von den Kindern aufgehißte rote Fahne herunter- und forderte die Hissung des amerikanischen Sternenbanners. Da die zwei jungen Mädchen Mabel Husa und Ailene Holmes zusammen mit den Kindern tapfer und fest sich weigerten, dieses zu erfüllen, wurden beide verhaftet. Eine Strafe von 3 Monaten Gefängnis wurde über sie verhängt. während das Kinderlager gänzlich zerstört und die Kinder vertrieben wurden. In Indien, Bombay, wurde ein Urteil von 4 Monaten gegen einen 1Ojähriuen Jungen, Harbans Lal, Mitglied der "Bal Bharat Sabha" - revolutionäre Jugendorganisation - verhängt, weil er, wie es in der Anklageschrift lautet, Poeme in politischen Meetings in Sialkot vorlas, wodurch er absichtlich aufrührerisches Material verbreitete oder zu verbreiten versuchte.

Das Drangsal der Kinder infolge der Verfolgungen und des weißen Terrors gegen ihre Eltern bedarf keiner weiteren Beschreibung. Die IRH widmet besondere Aufmerksamkeit der Unterstützung der Waisen der Opfer des Klassenkampfes (RH-Kinderheime, materielle Hilfe usw.) Diese Waisen und die Kinder, deren Väter im Gefängnis sitzen oder ausgewiesen sind, haben somit nicht nur ihren Ernährer verloren, sondern sind auch den schändlichsten Schikanen ausgesetzt. Es wird eine Atmosphäre der Verachtung von den Lehrern in den Schulen und von den Nachbarn um sie gebildet; sie werden von den übrigen Kindern von oben herab betrachtet und erfreuen sich keines Vertrauens bei ihnen, weil ihre Väter im Gefängnis eingekerkert sind. Der moralische Effekt solcher Plackereien auf die Waisen und Kinder der Opfer des Klassenkampfes kann sehr gefährlich werden, sie könnten einem Gefühl der Minderwertigkeit ausgesetzt werden, wenn die Kinder noch nicht stark genug vom revolutionären Geist durchdrungen sind. Und hier kommt nun allen RH-Organisationen die direkte Aufgabe der Mobilisierung dieser Kinder zu. Es ist nicht nur die Pflicht der IRH, diese Kinder materiell zu unterstützen, sie muß auf für ihre moralische Erziehung verantwortlich sein. Wir dürfen nicht zulassen, daß die Waisen der Opfer des Klassenkampfes in die Hände der Bourgeoisie fallen, wie das mit den Waisen der ermordeten Ella May in Gastonia der Fall war.
Wie sind nun die Kinder durch die IRH zu mobilisieren und wie ist die IRH-Arbeit für sie interessant zu gestalten? Um gute Resultate auf diesem Gebiet zu erzielen, muß vor allen Dingen eine Kinderabteilung unter der Leitung eines Genossen (eventuell einer Frau, die am besten für die Arbeit unter den Kindern geeignet ist geschaffen werden. Man muß mit der Hineinziehung der Kinder der IRH-Mitglieder, der Kinder der Ermordeten, Eingekerkerten, Verfolgten, Ausgewiesenen usw. in die entsprechende Organisation beginnen. Darauf sind Kindergruppen zu schaffen, die jedoch nicht einfach ein Gegenbild der Gruppen für Erwachsene sein dürfen-, die Kindergruppen müssen genügend elastisch sein, um eine höchst bewegliche vielförmige Gruppierung nach dem Alter, den Eigentümlichkeiten der verschiedenen Schichten zu ermöglichen. Die Arbeit muß anziehend und der Mentalität der Kinder angepaßt sein: Kindersport, Spiele, Ausflüge, haben einen Teil des Programms zu bilden, wobei es sich erübrigt zu erwähnen, daß der Kulturarbeit die größte Aufmerksamkeit zu widmen ist. (Vorlesungen, konstruktive Kinofilms, revolutionäre Lieder usw.)

Bei allen internationalen Tagen und RH-Kampagnen können die Rote-Hilfe-Kindergruppen zu verschiedenen Zwecken ausgenützt werden, und zwar als Kinderdelegationen zum Besuch der politischen Gefangenen in den Kerkern, an den Gräbern der im Klassenkampf gefallenen revolutionären Märtyrer, Delegationen für Geldsammlungen und zur Verbreitung spezieller Unterschriftenlisten für verschiedene Zwecke. An allen öffentlichen revolutionären Demonstrationen müssen die RH-Kindergruppen in Massen mit speziellen RH-Kinderlosungen teilnehmen.
Die RH-Kinderabteilungen haben auch unter den bestehenden Kinderorganisationen zu arbeiten und RH-Gruppen in letzteren, wie z.B. in den Roten Pionier-, Sportorganisationen, Schul- und wirtschaftlichen Vereinen, zu schaffen, wobei der Hauptzweck der ganzen RH-Kinderarbeit in der Durchdringung aller Kinder mit dem Geist der Klassensolidarität und im Kampf gegen den Chauvinismus und gegen die Rassenvorurteile bestehen muß, die den Kindern von ihren bürgerlichen Eltern und den kapitalistischen Schullehrern eingeimpft werden.
Vom 1. bis zum 14. Mai wird die internationale Kinderwoche stattfinden. Alle RH-Organisationen müssen die Zeit bis dahin ausnutzen, um die Grundlage für eine Arbeit zu schaffen, die von allen unseren Organisationen schon zu lange aufgeschoben und unterschätzt worden ist. obwohl gerade die Kinder die größte Reserve der revolutionären Bewegung der Zukunft bilden,

Erschienen in MOPR, Berlin, Nummer 411931