Freies Radio Wüste Welle
Tübingen/Reutlingen e.V.
Info-Politik-Redaktion Lauschangriff
Hechingerstr.203,
72072 Tübingen
UKW 96,6 MHz,
Kabel 97,45 MHz
Tel: 07071/760337
Fax: 07071/760347
Email:
info@wueste-welle.de
lauschangriff@wueste-welle.de
internet: www.wueste-welle.de

Interview mit einem Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) Berlin zur Verhaftung ihres Mitarbeiters Harald G. wegen angeblicher Mitgliedschaft bei den Revolutionären Zellen.

 

 

 

 

Das Interview ist Teil eines Radiobeitrags, der neben zusätzlichen Informationen zu den aktuellen Vorgängen auch noch Zitate aus dem Durchsuchungsbefehl der BAW, aus einer Erklärung der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration nach der Razzia und der Verhaftung, aus dem Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg (über die RZ) und aus einer Anschlagserklärung der RZ von 1989 beinhaltet. Textfassung des gesamten Beitrags auf Anfrage bei der Redaktion Lauschangriff (Email s.oben)


Erstausstrahlung: Do, 30.12.99, 19-20 Uhr Wdh: 31.12., 10-11 Uhr, 1.1.2000, 1-2 Uhr Autor: Andreas Linder
(Der Beitrag wurde mittlerweile auch schon von den Freien Radios in Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg ausgestrahlt)

Frage: Kannst du bitte unseren HörerInnen schildern, was vergangene Woche im Mehringhof geschehen ist?

FFM: Das kann ich auf jeden Fall tun. Also, am Sonntag, den 19.Dezember hat im Mehringhof, das kann man nicht anders sagen, eine gewaltige Staatsschutzaktion stattgefunden, mit tausend Polizeibeamtinnen und -beamten, von allen nur erdenklichen Sonder-Polizeieinsatzgruppen, also GSG-9, Bundesgrenzschutz, SEKs, Berliner Polizei, Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt und Generalbundesanwaltschaft. Die sind hier mit der bedeutenden Zahl von tausend Leuten eingelaufen im Mehringhof und haben ab sechs Uhr in der Früh angefangen, alle Türen aufzubrechen mit einem Durchsuchungsbefehl, in welchem drin stand, dass sie hier nach Sprengstoff und Waffen suchen sollten. Sie haben diesen Großangriff, diese Erstürmung des Mehringshofs durchgeführt ohne vorherige Ankündigung und ohne die Möglichkeit genutzt zu haben, die Verwaltung des Hauses zu informieren, dass die vielleicht einfach die Schlösser aufsperren könnten. Auf diese Weise haben sie fünfzig Schlösser kaputt gemacht. Sie haben sich überall Zugang verschafft, Hohlräume aufgestemmt und insgesamt einen Sachschaden von hunderttausend Mark angerichtet. Diese Aktion hat sich über den ganzen Tag hingezogen. Es hat den Anschein, und das ist auch von einem der Einsatzleiter geäussert worden, dass es sich auch ein bisschen um eine Art Übung gehandelt hat, also dass durchaus hier auch Nachwuchskräfte im Türen Aufsprengen geschult werden sollten und sowas. Es waren natürlich Sprengstoffhunde im Einsatz und alles, was man sich nur vorstellen kann.

Frage: Aber ist es nicht absurd, mit tausend Beamten nach Sprengstoff zu suchen? Hat da nicht auch noch etwas Anderes dahinter gesteckt?

FFM: Also ich gehe ganz fest davon aus, dass das auch ein politischer Akt gewesen ist, hier so einen Aufruhr und so eine Riesen-Aktion zu veranstalten. Also, der ganze Block, in dem sich der Komplex des Mehringhofs befindet, war hermetisch abgeriegelt. Selbst Leute aus den Nachbarhäusern konnten nur unter Vorzeigen ihres Ausweises in ihre Wohnungen gehen. Wir selbst konnten überhaupt nicht in unsere Büros, in unsere Räume rein. Und ich denke mal, dass damit auch gezeigt werden sollte: Leute, das eigentliche Problem, das wir haben, sind nicht etwa die Rechtsradikalen in Ostdeutschland, sondern das ist nach wie vor der Linksterrorismus, in Anführungszeichen von mir natürlich immer gesetzt. Und dann auch hier sich eine gute Atmosphäre zu schaffen im Zusammenhang mit erwarteten Millenniums-Anschlägen und sowas, also was alles super lächerlich und an den Haaren herbeigezogen ist in Anbetracht dessen, was für Ergebnisse erzielt wurden. Vielleicht noch ergänzend: Es hat eine Party gegeben am Samstag im Mehringhof, da waren Leute immer noch da. Die hat bis sechs Uhr in der Frühe einfach gedauert und es sind dann noch zwanzig Leute über sechs Stunden lang festgehalten worden unter wirklich übelsten Bedingungen. Die durften überhaupt keinen Kontakt aufnehmen zur Aussenwelt. Die durften auch nichts trinken, nicht auf die Toilette gehen. Und ein Teil der Leute sind auch sofort in Abschiebehaft genommen worden, zwei von ihnen sitzen nach wie vor in Abschiebehaft und sind unmittelbar von Abschiebung einerseits nach Weissrussland, andererseits nach Bolivien bedroht. Und natürlich die andere Seite: Gleichzeitig, zwischen halb sechs und sechs Uhr in der Früh sind halt zwei von unseren Kollegen und Freunden in ihren Privatwohnungen von Rollkommandos, möchte ich mal sagen, überfallen worden. ...

Frage: Die Bundesanwaltschaft begründet die Legitimation für die Razzia und die Festnahmen mit den Aussagen des Kronzeugen Tarek M. Dieser war selbst im Mehringhof als Kampfsportlehrer tätig und soll selbst Mitglied der RZ gewesen sein. Was könnt ihr zu Tarek M. sagen?

FFM: Also, im Grunde können und wollen wir auch nicht viel zu Tarek sagen. Die Jüngeren von uns kennen ihn nicht mehr und ansonsten, die Leute, die ihn kennen, wissen auch nichts damit anzufangen. Wir wissen auch nicht, ob es tatsächlich wahr ist, dass er derjenige ist, der diese Staatsschutzaktion ausgelöst hat. Das wird zwar behauptet, aber wir wissen im Grunde nichts Konkretes über das, was er ausgesagt hat. Es gibt da eine Menge Gerüchte, eine Menge Spekulationen darüber, wie er womöglich dazu gebracht worden sein könnte, dass er was gesagt hat und was er gesagt hat. Wir wissen es nicht und wir sagen deshalb auch möglichst wenig dazu. Es ist aber so, dass davon ausgegangen werden kann, dass er im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung hier noch begüngstigt wird im Sinne von Aussagen, aber was da jetzt konkret gesagt wurde, ist nicht klar. Wieviel seine Angaben, wenn er sie denn tatsächlich gemacht hat, wert sind, kann man daran sehen, dass im Mehringhof nichts, aber auch gar nichts gefunden worden ist im Hinblick auf Waffen oder Sprengstoff, was er behauptet hat, angeblich.

Frage: Na gut, das war dann eben der Vorwand, der dazu nötig war, um den Mehringhof zu durchsuchen.

FFM: Richtig.

Frage: Es sind ja aber auch die Anschläge, die den Festgenommenen vorgeworfen werden, größtenteils schon längst verjährt.

FFM: Nicht größtenteils, sie sind alle verjährt.

Frage: Das heißt als Anklagepunkt bleibt eigentlich "nur" noch die Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" nach §129a übrig. Stimmt das so?

FFM: Ja, das stimmt so. Es scheint so zu sein, das kann man der Presseerklärung der Generalbundesanwaltschaft und auch dem Durchsuchungsbeschluß für den Mehringhof entnehmen, dass sie ein Ende der Revolutionären Zellen so zwischen 1992 und 1995 datieren, also, da wäre eine Verjährung der Mitgliedschaft quasi verschoben. Tatsache ist aber, dass im Grunde genommen hier alle von dieser Aktion insofern überrascht worden sind oder irritiert dastehen, weil die Revolutionären Zellen einfach Geschichte sind.

Frage: Nun gut, dann kann man ja die Frage stellen, was sollte das Ganze?

FFM: Tja, was sollte das Ganze? Ich denke mal, auf der einen Seite, das kann man noch nicht mit ganzer Klarheit sagen, aber dass dahinter steckt, dass auf jeden Fall Flüchtlingsunterstützungsarbeit kriminialisiert werden soll, ist zumindest mal ein plausibler Gedanke. Das andere ist, dieses ewige Auf-Etwas-Herumreiten, was es gar nicht mehr gibt. Es ist einfach schon immer Politik gewesen, etwas wie "Linksterrorismus" hochzuspielen und mit diesem Hochspielen auch von anderen Sachen abzulenken. Es gäbe genügend andere Themen als etwas, was auch in unseren Augen definitiv Geschichte ist.

Frage: Euer Mitarbeiter Harald ist ja Mitbegründer der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration und bis in die Gegenwart aktives Mitglied in Projekten und Aktionen gegen die Flüchtlingspolitik der BRD. Seht ihr denn die Razzia und die Festnahme auch als Aktion gegen eure Aktivitäten, gegen die gegenwärtige antirassistische Bewegung in der BRD im Allgemeinen?

FFM: Wie ich gerade schon gesagt habe, dieser Gedanke ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Andererseits möchte ich uns auch nicht zu wichtig nehmen. Ich denke, dass das, was antirassistische Arbeit und FlüchtlingsunterstützerInnenstrukturen leisten, ist leider Gottes sehr wenig. Wir sind ja zahlenmäßig sehr sehr wenige Leute in ganz Deutschland. Aber es scheint auf jeden Fall so zu sein, dass zumindest sich auch hier nochmal informiert wurde innerhalb des Mehringhofs: Was sind hier überhaupt für Gruppen tätig? Und es ist ja nicht nur die Forschungsgesellschaft hier tätig, sondern auch noch andere - das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe, MigrantInnenselbstorganisierungsgruppen und sowas. Ich denke, dass die auf jeden Fall getroffen werden sollten davon.

Frage: Ich hab da so eine Liste gesehen, ich weiß nicht, von der BAW oder so, was alles durchsucht werden sollte, das waren ja über zwanzig, dreissig Projekte. Wurden die alle durchsucht?

FFM: Alle. Zumindest sind Beamte immer rein gegangen und haben die Computer angemacht und reingeguckt, wobei man fairerweise auch dazu sagen muss: Sie haben keine Computer mit genommen. Ich schätze mal, dass sie das alles ganz gut verwanzt haben, das ganze Haus, aber ansonsten...

Frage: ... haben sie nur Sprengstoff gesucht.

FFM: Richtig, genau.

Frage: Konntet ihr denn jetzt schon Kontakt zu Harald und den anderen Gefangenen aufnehmen?

FFM: Es gibt erste Kontakte, aber das gestaltet sich alles relativ zäh, natürlich, weil die Post ja über die Generalbundesanwaltschaft an die Anstalten weiter geleitet wird und offensichtlich hat derjenige Staatsanwalt, der damit beauftragt ist, die Post zu lesen, noch nicht angefangen, zu arbeiten. Das heißt, bei dem stapeln sich Briefe für Axel, unseren Mehringhof-Hausmeister und Harald, unseren FFM-Mitarbeiter zur Zeit gerade. Aber wir haben erste Nachrichten aus dem Gefängnis. Wir haben einen Brief von Harald bekommen und es geht ihm den Umständen entsprechend ganz gut.

Frage: Haben sie sich denn schon zu den Anschuldigungen geäußert?

FFM: Nein. Ich denke, dass jetzt die ersten Gespräche mit ihren Anwältinnen und Anwälten geführt werden und sie haben sich dazu definitiv noch nicht geäußert.

Frage: Stichwort Solidarität - was ist denn bisher gelaufen?

Es hat zwei, eine spontane und eine geplante Kundgebung dazu gegeben, in Berlin. Es hat in der Zwischenzeit eine ganze Menge Solidaritätserklärungen gegeben aus ganz Deutschland vor allen Dingen aus dem antirassistischen Spektrum. Ansonsten gestaltet sich das alles natürlich eher etwas zäh, weil wir natürlich sehr ratlos sind erstmal, wie wir was machen sollen und was wir machen sollen, aber langsam kommt es in die Gänge. Wir kommen jetzt langsam zu einer Öffentlichkeitsarbeit und wollen natürlich erstmal ganz viele Soliveranstaltungen machen, um auch Geld zu sammeln, denn das wird sehr sehr teuer, unsere FreundInnen im Gefängnis vertreten zu lassen von AnwältInnen. Dann sind sie natürlich nicht in Berlin inhaftiert, sondern Axel ist in Wuppertal, Harald in Düsseldorf. Das heißt, es kommen immense Reisekosten auf Anwälte, Angehörige und Freunde zu. Das heißt, wir müssen Geld sammeln.

Frage: Wie kommen denn diese Haftorte zu Stande?

FFM: Keine Ahnung. Keinen blassen Schimmer, warum das so ist und warum die Leute dort sitzen. Der Tarek zum Beispiel, den du vorhin genannt hast, der sitzt in Köln, die in Frankfurt festgenommene Frau, Sabine, für deren Freilassung wir uns auch stark machen, sitzt meines Wissens in Frankfurt, ich weiß es allerdings nicht ganz genau. Der Prozeß selber, wenn es denn zu einem kommen sollte, wird dann aber in Berlin sein. Das heißt, da wird es dann ein bisschen einfacher, die Prozessbeobachtung zu machen. Aber, um nochmal auf die Solidarität zu sprechen zu kommen: Wir wollen natürlich auch, dass von uns unterstützenden Gruppen bundesweit das Thema aufgenommen wird und dass Veranstaltungen dazu gemacht werden. Wir sind gerade dabei, Infopakete zusammen zu stellen, damit die Leute auch wissen, worum es geht. Was waren die Revolutionären Zellen? Was hat das mit uns heute zu tun? Denn, ich meine, wenn die Leute schon die ganze Zeit vom Rechtstaat reden, dann sollen sie bitte auch in Betracht ziehen, dass diese vorgeworfenen Taten einfach alle verjährt sind, was die Generalbundesanwaltschaft auch klar stellt. Natürlich ist es so, dass wir hier alle die Bücher rausgezogen haben, die "Früchte des Zorns", die Erklärungen der Revolutionären Zellen / Rote Zora und dass natürlich ein verstärktes Interesse an Diskussionen besteht. Was waren das damals für bewaffnete, militante Aktionsformen? Aber, wir sehen uns im Moment auch noch nicht veranlasst, konkret etwas dazu zu sagen. Immerhin, ein Effekt der Staatsschutzaktion ist auf jeden Fall, dass hier eine verstärkte Diskussion, ein verstärktes Interesse an RZ-Geschichte entstanden ist.

Frage: Der übliche Nebeneffekt. Die Frage ist dann aber natürlich, ob es auch zu einer starken Mobilisierung kommt oder ob das auch wirklich den Gefangenen was nützt, oder?

FFM: Ja, das ist natürlich einer der Hauptpunkte, die hier gerade diskutiert werden. Inwieweit soll man überhaupt auf diese Vorwürfe eingehen, inwieweit soll man überhaupt etwas dazu sagen? Sich hier von Repressionsseite ein Thema aufzwingen zu lassen, ein Thema, das uns seit mindestens zehn Jahren nicht mehr so umtreibt unbedingt. Ich meine, wir machen alle Flüchtlings- und MigrantInnenarbeit und wir wissen, dass sich die Situation seit den Aktionen der Revolutionären Zellen extrem verschlimmert hat, die Situation der Flüchtlinge und MigrantInnen in Deutschland oder auch in den Transitstaaten und weltweit. Ich nenne nur die Stichworte: Aktionspläne, Regionalisierung von Flucht und Migration, Lagerpolitik gegen Flüchtlinge, Militarisierung der Flüchtlingsabwehr. Das sind alles Themen, mit denen wir zu tun haben und zu denen ich ohne Probleme eine Stunde Radio-Interview machen könnte.

Frage: Und zu denen natürlich die RZ vor über zehn Jahren vielleicht die ersten waren, die sich auch auf eine massivere Weise damit befasst haben.

FFM: Richtig. Man muss ja schon immer klarstellen, das sie sich nicht nur mit Flüchtlingspolitik beschäftigt haben, dass aber diese vorgeworfenen Anschläge auf den Bundesrichter Korbmacher, auf den Ausländerbehördenleiter Harald Hollenberg und auf die zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber, sich natürlich auf die Flüchtlingspolitik bezogen haben, nicht aber zahllose andere Aktionen von RZ-Gruppen.

Vielen Dank für das Interview.



Hauptseite