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Sozialraub pur -
der Angriff auf die ArbeiterInnenklasse



Anlässlich des 1. Mai beschäftigen wir uns in dieser Ausgabe mit einem Thema, das in den vergangenen Monaten viel zu kurz gekommen ist. Während sich der Blick aller auf den Krieg nach außen konzentrierte, konnte in aller Ruhe der Angriff nach innen reibungslos über die Bühne gehen. Unser Schwerpunkt beschäftigt sich deswegen ausführlich mit dem Abbau des Sozialstaates, wie er durch die Hartz- und Rürup-Kommissionen momentan vollzogen wird. Leider gibt es für zwei Seiten wieder einmal viel zu viel zu sagen. Aus diesem Grund müssen wir uns in diesem Beitrag auf die Fakten, die uns Hartz und Rürup liefern, beschränken. Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema sind jedoch einige Diskussionen aufgetaucht, die sich aus einer linksradikalen Analyse der Thematik ergeben. All diejenigen, die eine kritische Auseinandersetzung mit dem Sozialstaat, dem Fetisch Arbeit und den Hintergründen neoliberaler Einsparungspolitik sowie dem Aufzeigen konkreter Widerstandsformen beim Lesen hoffentlich vermissen werden, möchten wir aus Platzgründen auf die nächsten Ausgaben vertrösten.

Das alte Spiel: Wer hat uns verraten …

Die sozialdemokratisch/grüne Regierung hat wieder einmal geschafft, was für jede andere Partei in dieser Form ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Ebenso wie die Durchführung des ersten bundesdeutschen Angriffskriegs auf Jugoslawien oder den Ausbau des Überwachungsstaates durch die Verabschiedung der Anti-Terrorgesetze konnte nur die SPD einen derartigen Angriff auf die Klasse der Lohnabhängigen durchdrücken. Sie allein kann sich der Hörigkeit ihrer gewerkschaftlichen Organisationen gewiss sein und damit jeglichen massenhaften Widerstand vermeiden. Die Agenda 2010 bestimmt nun die Debatte, mit der die SPD u.a. massive Einschnitte im Kündigungsschutz, dem Arbeitslosengeld, der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, sowie im Renten- und Gesundheitssystem gleichzeitig durchführen will. So rasant und offensichtlich haben sich die Gewerkschaften den neoliberalen Angriff wohl nicht vorgestellt, besser noch, sie werden nicht einmal noch danach gefragt, die Veränderungen abzunicken. Während jetzt Protestrufe laut werden, hatten sie bisher brav an den “Reformen” mitgewirkt.

Die Kommissionen

Die Einrichtung der “Hartz- und Rürup-Kommissionen” war ein strategisch schlaues Mittel der sozialdemokratisch/grünen Regierung um einer innerparteilichen Diskussion beim Abbau des Sozialstaates aus dem Weg zu gehen. Unter dem Zuzug von VertreterInnen der Parteien, Wirtschaft und Gewerkschaften – den angeblichen ExpertInnen - wird hier hinter verschlossenen Türen monatelang ausgearbeitet, was anschließend im Schnellverfahren im Bundestag und Bundesrat gesetzlich verabschiedet wird. Alle Verlautbarungen, die bereits vor der offiziellen Konzeptübergabe nach außen dringen, sollen Verwirrung stiften und machen jeglichen Widerstand im Vorfeld unmöglich. Schließlich kann nicht auf jede Horrormeldung, die als Gedankenblitz verkauft wird, reagiert werden.

Durch den Einbezug der Gewerkschaften als offizielle Interessensvertretung der ArbeiterInnen in das Entscheidungsgremium wird einem Protest jegliche Grundlage entzogen. Wer kann sich schon hinterher beschweren und auf die Straße gehen, wenn er vorher offiziell abgenickt und die Scheiße sogar miterschaffen hat. In einigen Gewerkschaften wurden wohl wesentliche Elemente der Kommissionsvorschläge negativ bewertet. Zahlreiche Untergliederungen forderten auch ihre Gewerkschaftsvorsitzenden auf, politisch gegen das Hartz-Konzept vorzugehen. In einigen Fällen war dies, wie z.B. bei der Durchsetzung des “Equal–Pay-Grundsatzes” erfolgreich. Dennoch waren die Gewerkschaften nicht willens wirksam gegen das vorgelegte Konzept zu mobilisieren:

1. Wollte man sich bewusst nicht einem der wenigen vermeintlichen “Wahlkampfschlager” der SPD in den Weg stellen und damit Edmund den Weg bereiten.
2. Die Gewerkschafter in der Kommission waren nicht von ihren Organisationen sondern vom Bundeskanzleramt benannt worden.
3. Vieles was die Hartz-Kommission hervorbrachte, wurde bereits unter der Billigung der Gewerkschaften experimentell am bundesdeutschen Arbeitsmarkt entwickelt. (z.B. Einführung der Leiharbeit) und damit bereits Realität.

Wäre es da nicht endgültig an der Zeit, dass die Gewerkschaften endlich anfangen sich autonom zu positionieren und den außerparlamentarischen Widerstand organisieren, ihre Mitwirkung in Kommissionen oder Bündnissen, wo sie nur die Interessen der Arbeitenden verraten werden, zu überdenken? Doch aus dem angekündigten “heissen Mai” wird wohl nichts werden, denn wer heute immer noch dem Slogan “Reformen ja – Sozialabbau nein” hinterher rennt, um (prekäre) Arbeitsplätze für seine Mitglieder zu schaffen, wird wohl nie kapieren, dass das Zeitalter der Vollbeschäftigung längst abgeschlossen ist und von einer Reformierbarkeit des Systems nur noch VertreterInnen des Kapitals ausgehen.
Die derzeitige Diskussion über die Senkung der Lohnnebenkosten, Kündigungsschutz und paritätische Sozialversicherungen ist nur die Weiterführung einer Grundlage von Veränderungen, die die Gewerkschaften seit dem Amtsantritt Schröders mitgetragen haben.
Die beiden Reformer “Hartz” und “Rürup” sind inzwischen allen ein Begriff. Was sich insgesamt dahinter verbirgt, ist den wenigsten bekannt, da immer nur gezielt einzelne Bruchstücke in den Medien diskutiert werden.

Die “Hartz-Reform”

Die Umsetzung des Hartz-Konzeptes soll in drei Phasen bzw. Stufen erfolgen. In den folgenden Ausführungen geht es vor allem um die erste Stufe: Dem ersten Gesetz (Leiharbeit per PSA, Quickvermittlung, Neuausrichtung der beruflichen Weiterbildung, Stärkung des Dienstleistungscharakters der Bundesanstalt für Arbeit, Zumutbarkeit) und zweiten Gesetz (Grundlagen für Änderungen im Leistungsrecht, Zusammenführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen, Aktionsbudget, Wirtschaftsförderung) für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, das seit dem 1.1. bzw. 1.4.03 in Kraft ist. In einer zweiten Stufe soll der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit erfolgen, die 3. Stufe soll zum 1.1.2004 die geplante Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe realisieren.

1. Flexibilisierungsstrategien

Aufbau von PersonalServiceAgenturen (PSA)
Das Gesetz schreibt vor, in jedem Arbeitsamtsbezirk im Laufe dieses Jahres eine PSA einzurichten. Wo keine privaten Verleihunternehmen vor Ort sind, soll die Arbeitsverwaltung selbst aktiv werden. Erwerbslose sind zur PSA-Leiharbeit verpflichtet und können bis zu 6 Wochen in Höhe des Arbeitslosengeldes (ALG) zur “Probe” an Unternehmen ausgeliehen werden. Ansonsten errechnet sich der Lohn des PSA-Beschäftigten aus der Vergütung während der Verleihzeit und der verleihfreien Zeit. Der Durchschnittslohn wird sich somit häufiger auf dem Niveau des ALG einpendeln. Bis zum Januar 2004 gelten noch die derzeitigen Arbeitnehmerüberlassungsgesetze (AÜG). Bis dahin sollen durch einen zügigen Abschluss tarifvertraglicher Regelungen die Arbeitsbedingungen der LeiharbeitnehmerInnen neu geordnet werden. Als eine “neue Form vermittlungsorientierter Arbeitnehmerüberlassung” sollen für die PSA alle gesetzlichen Beschränkungen von Leiharbeit aufgehoben werden. Dies würde bedeuten, dass Leiharbeit zukünftig auch zumutbar ist, wenn beispielsweise gegen Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen wird, die Arbeitskräfte als StreikbrecherInnen eingesetzt werden, keine muttersprachlichen Arbeitsverträge vorliegen oder Lohndumping eingesetzt wird. Spätestens ab dem 1.1.2004 bedeutet dies konkret:
Die Aufhebung des Synchronisationsverbots:
die Beschäftigung in einer Leihfirma darf mit dem Arbeitseinsatz in einem Entleihbetrieb zeitlich übereinstimmen.

Aufhebung der Überlassungsdauer (ursprünglich 2 Jahre)
Streichung des besonderen Befristungsverbots: eine wiederholte Befristung des Leiharbeitsverhältnisses ist entsprechend der befristeten Beschäftigung im Entleihbetrieb möglich.
Aufhebung des Wiedereinstellungsverbots: der Verleiher darf dem/der LeiharbeitnehmerIn kündigen und bei neuer Beschäftigungsmöglichkeit erneut einstellen
Quickvermittlung
Ab Mitte diesen Jahres haben sich ArbeiterInnen bereits während der Kündigungsfrist, bzw. bei befristeten Verträgen vor Vertragsende beim Arbeitsamt zu melden und neu zu bewerben, wollen sie eine Kürzung des Arbeitslosengeldes vermeiden. Die Abzugspauschale orientiert sich am bisherigen Bruttolohn und variiert zwischen 7 – 50 Euro pro Tag Verspätung (begrenzt auf 30 Tage und das halbe ALG). Oberste Priorität bei der Vermittlung erhalten männliche “Familienernährer” und allein Erziehende. Zur neuen Arbeitsplatzsuche soll der/die Gekündigte – selbstverständlich bei entsprechendem Lohnabzug – von der Arbeit freigestellt werden.
Neue Zumutbarkeit
Bundesweite Mobilität ist nach 7 Monaten (bei Alleinstehenden u.U. auch ab Beginn) Erwerbslosigkeit ebenso zumutbar wie ein 2,5Std. Pendelbereich täglich(bei einer täglichen Arbeitszeit von 6 Stunden, darunter sind 2 Stunden Pendeln zumutbar). Dies gilt auch für Verheiratete oder Familien, wenn die Beschäftigung lediglich bis zu 6 Monaten einen getrennten Haushalt erforderlich macht. Ein Umzug in eine Vollzeitdauerbeschäftigung ist generell zumutbar. Jugendliche haben eine Ausbildung und/oder Qualifizierung in anderen Regionen Deutschlands oder Europas anzunehmen. Ebenso zumutbar sind Jobs mit einem geringeren Lohn als bisher (20-30% unter dem bisherigen Bruttoentgelt, je nach Länge der Erwerbslosigkeit), genauso wie die Vermittlung in einen “unterqualifizierten” (Billig-)Job. Die Zumutbarkeit erhöht sich übrigens mit der Dauer der Erwerbslosigkeit. Die Beweislast liegt generell beim Erwerbslosen.
Die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe beträgt 12 Wochen. Sie verkürzt sich auf 3/bzw. 6 Wochen, wenn der Job 6/bzw. 12 Wochen später zu Ende gegangen wäre. Die Sperrzeit bei Arbeitsablehnung, Ablehnung oder Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme beträgt je nach Länge der Maßnahme, Häufigkeit des Abbruchs zwischen 3 - 6 Wochen. Ein Anspruch auf Leistungen entfällt nach einer Ansammlung von Sperrzeiten auf 21 Wochen.
Brückengeld und Entgeltsicherung
„Arbeitgeber“, die ältere Menschen einstellen, erhalten eine Beitragssenkung. Befristete Einstellungen sind ab 52 Jahren ohne sachlichen Grund und ohne zeitliche Höchstgrenze möglich (zunächst gültig bis Ende 2006). Zur Erinnerung: im Moment wird die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre diskutiert! Älteren Menschen soll die Annahme eines Billig-Jobs dadurch schmackhaft gemacht werden, dass sie einen Zuschuss (50% der Entgeltdifferenz) vom Arbeitsamt erhalten. Voraussetzung der “Entgeltsicherung” ist, dass es sich um eine versicherungspflichtige, tarifliche bzw. ortsüblich bezahlte Beschäftigung handelt, dass ein Anspruch auf ALG von mind. 180 Tagen besteht und die Arbeit weder beim früheren „Arbeitgeber“ noch bei einer PSA vorgenommen wird. Die Entgeltsicherung gibt es nur für Restanspruchszeitraum auf ALG.
Sie können auch aus der Betreuung durch das JobCenter aussteigen, indem sie ihren 12monatigen Anspruch auf Arbeitslosengeld auf bis zu 5 Jahre (bis zur Frührente ab 60 Jahren) strecken lassen (= Bridge-System). Um kleinere Zusatzverdienste zu ermöglichen, soll durch die PSA die Vermittlung einer Praktikumstelle angestrebt werden. Ansonsten sollen die PSA zu “ehrenamtlichen und zivilgesellschaftliche Arbeiten” von monatlich 40 – 60 Stunden auffordern.
Jugendliche Erwerbslose
Wie bereits im Bündnis für Arbeit vereinbart, sollen hier “arbeitsmarktfähige Ausbildungsberufe” kreiert werden. Gemeint ist damit die Schaffung von “Einfacharbeitsplätzen und Übungswerkstätten besonders für benachteiligte Jugendliche”, die “weniger komplexen Anforderungen” genügen sollen. Zeit- und Leiharbeit bieten die Möglichkeit zur sog. “Mini-Ausbildung”, indem Jugendliche verschiedene Stellen “ausprobieren”, bzw. bei unterschiedlichen „Arbeitgebern“ bundesweit einzelne “Qualifizierungsbausteine” erlernen. Wer es sich leisten kann, hat über ein von den Großeltern, Eltern oder sonstigen GönnerInnen spendiertes “Ausbildungszeit-Wertpapier” die Möglichkeit einen Ausbildungsplatz bei einer Firma käuflich zu erwerben. Die AZWP werden bei lokalen oder regionalen Stiftungen verkauft, die gleichzeitig Garant für einen Ausbildungsplatz sind. Die Anzahl dieser Ausbildungsplätze wird zukünftig 50% betragen.


2. Ausbau des Niedriglohnsektors

“Ich-AG”, “Familien-AG” (befristet bis 2005) und “Mini/Midi-Job” (seit 01.04.2003)
Diese Modelle ersetzen die bisherige Scheinselbständigkeit. Wer innerhalb seiner “Ich-AG” noch Familienmitglieder beschäftigt, gründet eine “Familien-AG”. Die “Ich/Familien-AG” unterliegt der Rentenversicherungspflicht. Erwerbslose können zur Gründung einen Zuschuss beantragen (wird jeweils für ein Jahr bewilligt und längstens für 3 Jahre erbracht), die sie für ihre Beiträge zur Sozialversicherung verwenden sollen. Die Einnahmen dürfen im Jahr 25.000 Euro nicht überschreiten, ansonsten muss ein “normales Gewerbe” angemeldet werden. Alle Einnahmen müssen mit 10% pauschal versteuert werden. Die “Familien-AG” bedeutet in den meisten Fällen nichts anderes als die unentlohnte Mithilfe der Ehefrau bei Aufgaben für den Mann. Unternehmer, die eine solche “Kümmerexistenz” für sich arbeiten lassen, sparen Urlaubs-, Krankengeld und brauchen keinen Kündigungsschutz.
Seit dem 1.4. wurde die Grenze für geringfügig Beschäftigte von 325 auf 400 Euro angehoben. Die Begrenzung auf 15 Stunden entfällt. Oberhalb der 400 Euro wird eine Gleitzone geschaffen, in der die ArbeiterInnen geringere, mit dem Verdienst ansteigende Sozialversicherungsbeiträge zahlen, bis sie bei 800 Euro den vollen Beitragssatz erreichen (Midi-Job). Ab 400,01 Euro zahlt der „Arbeitgeber“ seinen vollen Anteil zur Sozialversicherung, bis 400 Euro eine Pauschale von 25% (12% RV, 11% KV, 2% Steuer). Der/die ArbeiterIn kann den Rentenbeitrag auf den vollen Beitragssatz aufstocken. Die geringfügige Beschäftigung kann als Nebenjob ausgeführt werden (ohne Zusammenrechnung mit der Hauptbeschäftigung). Die Absicherung durch die Sozialversicherung ist jedoch keinesfalls ausreichend.
Eine Sonderform der Mini-Jobs entsteht in Privathaushalten. Aufgaben, die normalerweise von Mitgliedern des Privathaushaltes erledigt werden. Die Sozialversicherungspauschale für „Arbeitgeber“ liegt hier bei nur 12% (5% RV, 5% KV, 2% Steuer). Die Differenz zum aktuellen RV von 19,5% kann der/die Arbeiter/in alleine aufstocken. Aufwendungen für Haushaltsdienstleistungen können steuerlich abgesetzt werden.
Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – ab 1.1.2004
Höhe und maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I (ALG I) soll zunächst weiterhin der bisherigen Regelung entsprechen. Es wird nach dem Durchschnittslohn der letzten 12 Monate errechnet. Künftig wird der Grundsatz der Dynamisierung von Entgeltersatzleistungen (jährliche Anpassung des Bemessungsentgelts an die Lohnentwicklung) aufgegeben. Zur Diskussion steht momentan die Reduzierung des Anspruchszeitraum bei älteren Menschen auf 18 Monate, für alle unter 55 Jahren auf 12 Monate.
Die heutige Arbeitslosenhilfe (Alhi) wird es ab 2004 nicht mehr geben. Was sich dennoch bei Alhi geändert hat, ist eine erhöhte Anrechnung des Partnereinkommens bei der Bedürftigkeitsprüfung und die Senkung des Vermögensfreibetrages von 520 auf 200 Euro. Der Vorschlag für die Zukunft ist ein ALG II, das es im Anschluss an das ALG I oder bei Nichterfüllen der Anspruchsvoraussetzung für das ALG I gibt. Das ALG II erhält, wer den ärztlichen Nachweis seiner “Arbeitsfähigkeit” liefert und der “Bereitschaft zur Mitwirkung” zeigt. Die Höhe des ALG II wird sich an der bisherigen Sozialhilfe orientieren.
Was sich entscheidend verschärft sind die Spielräume für das Absenken des Arbeitslosengeldes. Die Bundesanstalt für Arbeit hat inzwischen ein ganzes Maßnahmenbündel ausgearbeitet, um geringere Ausgaben in Form von Leistungsstreichungen durch provozierte Pflichtverletzungen von Erwerbslosen zu erzielen, z.B. durch Säumniszeiten, Kündigung einer Arbeitsstelle ohne wichtigen Grund, Ablehnung einer “zumutbaren Stelle”, etc. Wer als “arbeitsunfähig” eingestuft wird, dem bleibt nur noch Sozialgeld zu beantragen, das unter der bisherigen Sozialhilfe liegen wird. Wer die “Bereitschaft zur Mitwirkung an Integrationsmaßnahmen” verweigert, jedoch das Prädikat “arbeitsfähig” zugewiesen bekam, fliegt aus allen sozialen Grundsicherungen!


3. Weiterbildung und Politik der Bundesanstalt

Weiterbildung funktioniert zukünftig über ein Gutscheinsystem, das innerhalb von 3 Monaten bei freien Bildungsträgern eingelöst werden muss. Die Zeit, in der man Unterhaltsgeld bezieht, wird zur Hälfte auf den Restanspruch auf ALG angerechnet.
Trotz gestiegener Erwerbslosigkeit sieht der Bundeshaushalt zum ersten Mal seit 1987 keinen Bundeszuschuss für die Bundesanstalt vor. Dies zieht eine grundlegende Veränderung der Struktur des Leistungsangebotes und der Trägerstruktur im Bereich der sog. Eingliederungsmaßnahmen nach sich. Es wird weniger und kürzere beschäftigungsschaffende Maßnahmen geben, kürzere und nur für TeilnehmerInnen mit hoher unmittelbarer Vermittlungswahrscheinlichkeit konzipierte Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung.

„Die Rürup-Reform”

Während “Hartz” bereits verabschiedet wurde, wird bei Rürup noch heiß diskutiert. Nachdem sich bei “Hartz” herausgestellt hat, dass selbst die katastrophalsten Meldungen in irgendeiner Form im endgültigen Konzept enthalten waren, wollen wir – auch wenn noch nichts entschieden ist und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ein umfassendes Konzept im Mai vorlegen wird – auch bei “Rürup” kurz die Vorschläge vorstellen, die zur Zeit Schlagzeilen machen.
Kassenbeitrag und Zuzahlungen: Der Krankenkassenbeitrag von durchschnittlich 14,4% soll um 2% gedrückt werden. Gleichzeitig müssen sich gesetzlich Versicherte auf deutliche Zuzahlungen einstellen. Zum einen sollen nicht verschreibungspflichtige Medikamente zukünftig selbst finanziert, zum anderen die Zuzahlungen für billige Ersatzpräparate deutlich erhöht werden. Außerdem haben PatientInnen beim Arztbesuch eine Praxisgebühr (etwa 15 Euro) zu entrichten.
Private Zusatzversicherungen: Die Versicherten sollen sich gegen Unfälle im Haushalt, Sport und Straßenverkehr privat versichern. Ebenso sollen die Krankenkassen kein Krankengeld mehr zahlen, sondern durch Privatversicherungen abgedeckt werden.
Rente: Die zum 1. Juli anstehende Rentenerhöhung wird voraussichtlich ausgesetzt oder zumindest verschoben. Die Rentenformel könnte so geändert werden, dass die Rentenzuwächse stärker gebremst werden. Es ist davon auszugehen, dass nur Besserverdienende eine Rente über dem Sozialhilfeniveau zukünftig beziehen werden. Nachdem nur wenige Lohnabhängige freiwillig einen Vertrag über die “staatlich geförderte” Riesterrente abgeschlossen haben, gibt es Überlegungen diese verpflichtend zu machen.

Fazit
Bei beiden “Reformen” gibt es auf Seite der Lohnabhängigen nur VerliererInnen. Einziger Gewinner ist das Kapital. Die derzeitigen Umstrukturierungen bedeuten den umfassensten Angriff in der Geschichte des Sozialstaates auf alle Lohnabhängigen (egal ob sie einen Job besitzen oder nicht). Die strategische Ausrichtung des ganzen Konzeptes läuft auf eine Entwertung der Lebensverhältnisse aller hinaus. Die Lohnarbeit als Fetisch wird noch mehr in den Lebensmittelpunkt gerückt als bisher, das Leben jedes/jeder einzelnen vollständig der Verwertungslogik des Kapitals untergeordnet.

Die allgemeinen Konsequenzen sind

  • der Abbau früher erkämpfter Rechte
  • der Austausch regulärer Arbeitsverhältnisse durch entgarantierte, prekäre Lohnarbeit
  • der Ausbau des Billiglohnsektors und die damit verbundene Senkung des Lohnniveaus
  • die Privatisierung sozialer Risiken
  • der Ausstieg der „Arbeitgeber“ aus den paritätischen Sozialversicherungen
  • eine verschärfte Konkurrenz unter ArbeiterInnen
  • die Einschränkung der Persönlichkeitsrechte und der freien Berufswahl
  • die Vermarktung von Ausbildungs- und Studienplätzen als Ware
  • die Abschaffung der “Chancengleichheit” und Heranzüchtung eines Billiglohnarbeiterheeres
  • die offizielle Wiedereinführung des “Sklavenhandels” durch Leiharbeit
  • eine Verschärfung des entwürdigenden Zwangs zur Lohnarbeit
  • die Einführung der Mehrfach-Jobverhältnisse
  • die Umverteilung der Lasten und Kosten der Armut auf die Armen
  • die Zunahme privater Zusatzversicherungen aufgrund geringerer Einzahlungen in die gesetzlichen Kassen.

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