zensur
Per Staatsanwalt gegen Querverweise Zensur im Internet - das Spiel geht weiter Erklärung von A. Marquardt. Artikel der Jungen Welt. Zur Anklage wegen eines Links auf die in der Bundesrepublik politisch mißliebige Zeitschrift "radikal" erklärt Angela Marquardt, stellvertretende Vorsitzende der PDS Mit der Zustellung der Anklageschrift kurz vor Weihnachten 1996 erreichen die Aktionen "konservativ korrektes Internet" ihren vorläufigen Höhepunkt. Es ist amtlich: Für einen Querverweis auf eine andere HTML- Seite im Internet wird mensch in der Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt. Sorry! Ich werde strafrechtlich verfolgt. In meinem Fall handelt es sich um eine Web-Seite, auf der eine Erklärung von Personen des ouml;ffentlichen Lebens steht. Diese habe ich seinerzeit ebenfalls im Orginal unterschrieben. Sie richtet sich gegen die Durchsuchungen und Beschlagnahmungen im Umfeld der radikal-Redaktion 1995, die schließlich im Verbot quasi einer kompletten Ausgabe endeten. Am Ende jener Seite, nach einigen unmißverständlichen Worten von mir zum Thema Gewalt, gelangte mensch per Hyperlink auf eine Homepage in den Niederlanden, auf der einige (nicht verbotene) Auszüge der radikal 153 zu lesen waren. Offenbar wurden dort zwischenzeitlich auch Texte aus der Ausgabe 154 der radikal abgelegt. Jedenfalls wird mir dies vorgeworfen. Nach der Sperrung von knapp 200 Newsgroups durch den Online-Dienst Compuserve im Herbst 1995 (auf zarten Hinweis der bayrischen Staatsanwaltschaft), der zwischenzeitlichen Kappung aller Internetverbindungen aus der Bundesrepublik zum niederländischen Server xs4all - "http://www.xs4all.nl" (sprich: Access for all! - Zugang für alle!) und schließlich dem Löschen meiner HTML- Dateien soll es nun offenbar endlich ein Exempel ür den Umgang mit politisch nicht gewollter Öffentlichkeit geben. Dabei wird in der Anklageschrift ausdrücklich auf meine Funktion als stellvertretende Vorsitzende der PDS verwiesen. Hier geht es wohl kaum um Bombenbauanleitungen oder die detailgetreue Beschreibung von Bahnleitgeräten und ihren Schwachstellen. Derartigen Stoff finden jene, die es wirklich wollen, auf den Pentagon-Seiten oder den Newsgroups der HobbyeisenbahnerInnen und PyromanInnen. Hier geht es um eine saubere, zahnlose Öffentlichkeit. Um Wohnzimmeratmosphäre im Cyberspace. Das Netz soll Innenministertauglich werden. Was dafür in Amerika obszöne Bildchen sind, ist in Mitteleuropa offensichtlich die linke Szene. Ein Mittel zum Zweck. Doch auch allzu hartnäckige StaatsschützerInnen werden die alte Hackerweisheit schnell erlernen: Das Netz interpretiert Zensur als Störfall und umgeht sie. Nicht die Baupläne amerikanischer Mittelstreckenraketen im Web sind das Problem. Sondern die reale Bedrohung, die von den echten Waffen ausgeht. Und nicht die Zündelseite oder andere Nazi-Texte online machen Fremden in der Bundesrepublik das Leben zur Hölle. Die realen Faschos vorort machen das. Und so sind auch nicht die öffentlichen Debatten über Alternativen zu einem abgewrackten politischen Modell im Internet Ursache füer Streiks, Demos oder eben die Behinderung von Bahntransporten aller Art, sondern die ganz konkrete Emp”rung und Angst von Leuten im wirklichen Leben. Mit Zensur verhänge ich nur das Fenster, durch das ich schaue. Ich ändere damit nichts. Eine Erfahrung, die die DDR-Führung immerhin schon ein paar Jahre vor der Bundesregierung machen durfte. Eine Einsicht, die ich auf meinem Weg in die Politik mitgenommen habe. Eine zweite Erfahrung in diesem Zusammenhang war jene, daß Machthabende, die dies ignorieren, nicht mehr viel Zeit haben, ihre Macht auszukosten. Quelle: Angela Marquardt Homepage, 2. Januar 1997
Staatsanwalt klagt Angela Marquardt an Die PDS-Vize-Chefin soll die radikal über das Internet verbreitet haben. Präzedenzfall für Internet-Zensur erwartet. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt in zwei Fällen gegen die PDS-Politikerin Angela Marquardt. Die stellvertretende Bundesvorsitzende gilt als linksradikales Aushängeschild der PDS. So kümmert sich etwa der Verfassungsschutz besonders intensiv um die 25jährige Politikerin, die beim kommenden PDS-Parteitag nicht mehr für den Vorstand kandidieren möchte. Nun hat sich auch die Justiz Marquardts angenommen. Aufgrund einer Anzeige der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit(JF), leitete die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein, das nun am 4. Februar vor dem Kadi verhandelt werden soll. Hintergrund ist ein Interview in der inzwischen von der Woche geschluckten Ost-Zeitung Wochenpost. Darin antwortete Angela Marquardt auf die Frage, wie sie es fände, wenn, wie geschehen, auf die Druckerei der Jungen Freiheit Brandanschläge stattfänden: »Ich halte es für legitim zu verhindern, daß die Junge Freiheit gedruckt werden kann." Brisant ist, daß, wie damals die junge Welt ermittelte, der Interviewer selbst der JF nahesteht. Frank Hauke schrieb einen Beitrag für das Buch »Wir 89er«, das laut JF »im Grunde als JF-Buch zu bezeichnen« sei. Außerdem war Hauke einer der Unterzeichner des Aufrufs »Gegen das Vergessen«, in dem der 8.Mai 1945 als »Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten und Beginn der Teilung unseres Landes «bezeichnet wurde. Für die Staatsanwaltschaft ist die Marquardt-Äußerung »Belohnung und Billigung einer Straftat«. Denselben Tatvorwurf erhebt dieselbe Staatsanwaltschaft auch in einem anderen Fall, in dem nun die Anklageschrift eingegangen ist, und der auf Antrag des Staatsanwalts von Hagen in der selben Hauptverhandlung behandelt werden soll. In diesem zweiten Fall geht es um die Homepage der PDS-Vize-Chefin im World Wide Web (WWW) des Internets. Den Staatsanwalt stört, daß sich auf einer ihrer Web-Seiten ein Link zur kriminalisierten Autonomen-Zeitschrift radikal befindet. Der Beschuldigten, heißt es in der Anklageschrift, sei bewußt gewesen, daß die »verbreiteten Auszüge« der radikal Nr. 154 »sowohl Anleitungen zur Störung des öffentlichen Bahnbetriebs als auch die Billigung bereits erfolgter Anschläge auf Gleisstrecken enthielten«. »Indem sie den bislang unbekannten Personen die Nutzung der Homepage ermöglichte,« so der Text weiter, »nahm sie das Verbreiten dieser Schriften zumindest billigend in Kauf.« Marquardt äußerte gegenüber jW ihr Unverständnis über diesen Vorwurf. »Jeder, der sich gelegentlich im Internet bewegt, weiß, daß Links keine Verbreitung sein können. Sie sind Fußnote oder Querverweis. Von meiner Homepage kommt man über mehrere Links zu einer Homepage des niederländischen Solidaritätskomitees für politische Gefangene, das wiederum einen Link anbietet, der Auszüge aus der radikal enthält. «Dort sei anfangs die Nr. 153 und jetzt eben die Nr. 154 nachlesbar. Darauf habe sie gar keinen Einfluß. »Niemand kann ständig im Überblick behalten, was auf den Seiten aktuell angeboten wird, zu denen man einen Link hat«, erklärte Marquardt. Genau dieser Punkt macht das Verfahren zu einem Präzedenzfall in Fragen der Internet-Zensur. Wenn Anbieter eines Links für den dort auffindbaren Inhalt, der auf Internet-Seiten bei ganz anderen Servern in anderen Ländern lagert, verantwortlich gemacht werden können, hätte das riesige Auswirkungen auf das Internet. Marquardt: »Im übrigen kommt man, wenn man wirklich Bomben basteln möchte, mit wenigen Links von der Homepage des US-Pentagons zu detailierten Plänen von Waffensystemen.« Seit gestern auch über Marquardts Homepage. Sie hat einen Link zum Pentagon gelegt. Den Link zur radikal hat Marquardt seit einem Jahr. Nachdem die Bundesanwaltschaft (BAW) Ermittlungen gegen die radikal 154 aufgenommen hatte, drohte sie dem Provider-Zusammenschluß ITCF mit Verfahren, wenn seine Mitglieder weiter den Zugang zu der betreffenden Datei auf Marquardts Homepage dulden würden. Gegen die Empfehlung von ITCF sperrte der Provider Compuserve daraufhin im September ohne Vorankündigung und Begründung das gesamte Verzeichnis von Angela Marquardt. Später schickte Compuserve eine knappe Begründung nach: »Allgemeine Geschäftsbedingungen«. Marquardt wechselte daraufhin den Provider und fand unter der Adresse »http:/yi.com/home/MarquardtAngela/« bei Yellow Internet in London eine neue Heimat. Nach dem Zensurvorgang wurden die inkriminierten Seiten zudem von verschiedenen Internetfreaks »gespiegelt«, also kopiert, so daß sie nun sowohl als Kopie als auch über Marquardts neue WWW-Adresse abrufbar sind. Ivo Bozic (junge Welt, Freitag, 10. Januar 1997, Nr. 8, Seite 6)
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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 17.07 .1997