Wasserstände (juristische Hintergründe)
Kleine Anfrage an den Bundestag - Antwort

An die
Präsidentin des Deutschen Bundestages
- Parlamentssekretariat -
Saemischstr. 5
53113 Bonn

Betr.: Kleine Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend "Bundesweite Durchsuchungen der Bundesanwaltschaft gegen Linksextremisten" - Drucksache 13/1927 -

Bezug: Schnellbrief des Bundeskanzleramtes vom 5. Juli 1995 - 031-112 04 - KA 13/1927/95 -

Anlg.: 2 Doppel

Im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundesinnenminister des Inneren beantworte ich die Kleine Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- Drucksache 13/1927 - wie folgt:

> Wir fragen die Bundesregierung:

> 1. Bei welchen Personen, Personengruppen oder Verbänden sind am 13.6.1995 > auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft oder aber einer Staatsanwaltschaft > an welchem Landgericht jeweils wieviele > a) Durchsuchungen > b) Beschlagnahme ihrer Habe, > jeweils angeordnet und durchgeführt worden?

> 2. In wievielen Fällen lag dem jeweils ein Ermittlungsverfahren (Angabe > des Straftatbestandes!) im Zusammenhang > a) mit der "Roten Armee Fraktion" > b) mit den "Antiimperialistischen Zellen" > c) mit dem "K.O.M.I.T.E.E." > d) mit der "Radikal" > e) mit welchen sonsitgen Delikten, > zugrunde?

Fragen 1. und 2. :

Antwort: Zum Schutze der Privatsphäre von Beschuldigten und Verdächtigen sind der Weitergabe von personenbezogenen Daten durch Strafverfolgungsbehörden für Zwecke außerhalb eines Strafverfahrens enge Grenzen gesetzt. Die namentliche Bekanntgabe der Personen, Personengruppen oder Verbände, bei denen am 13. Juni 1995 durchsucht worden ist, kommt deshalb nicht in Betracht.
Bei den exekutiven Maßnahmen des Generalbundesanwaltes am 13. Juni 1995 wurden insgesamt 55 Objekte durchsucht; in der Regel führten die Durchsuchungen zur Sicherstellung und Beschlagnahme von Beweismitteln. In 17 Fällen richteten sich die Ermittlungen gegen Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Antiimperialistische Zelle", in 4 Fällen gegen Mitglieder der terroristischen Vereinigung "K.O.M.I.T.E.E." und in 33 Fällen gegen die Verantwortlichen der Untergrundzeitschrift "Radikal". Die Durchsuchungen eines weiteren Objekts erfolgte im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen "Radikal" und "Rote-Armee-Fraktion".

> 3. a) In jeweils vievielen Fällen wurden die > Durchsuchungen gegen Täter > oder Teilnehmer gemäß Par. 102 StPO durchgeführt jeweils > - zum Zwecke seiner Ergreifung oder > - zum Auffinden von Beweismitteln?

Antwort: In 52 Fällen stützte sich die Durchsuchungsanordnung auf 102 StPO und diente dem Auffinden von Beweismitteln.

> b) Aufgrund welcher Tatschen, war hierbei zu vermuten, daß die > Durchsuchungen zum Auffinden von Beweismitteln oder zur Ergreifung des > Täters führen werde?

Antwort: Die Anordnung der Durchsuchungen beruhte auf den in den einzelnen Ermittlungsverfahren gewonnene Ermittlungserkenntnisse.

> 4. a) In jeweils wievielen Fällen wurden die Durchsuchungen jeweils gegen > "andere Personen" gemäß Par. 103 StPO durchgeführt > - zur Ergreifung des Beschuldigten, > - zur "Verfolgung von Spuren einer Straftat", > - zur Beschlagnahme "bestimmter" Gegenstände?

Antwort: Drei Objekte wruden aufgrund einer Anordnung nach 103 Abs. 1 Satz 1 StPO durchsucht, davon in einem Fall zur Ergreifung eines Beschuldigten und in zwei Fällen zur Beschlagnahme bestimmter Beweismittel.

> b) Aufgrund welcher Tatsachen war hierbei jeweils zu schließen, daß die > gesuchten Personen, Spur oder Sache sich in den durchsuchten Räumen > befindet?

> c) Aufgrund welcher Tatsachen war zu schließen, daß der Beschuldigte nach > Par. 129a StGB sich im gleichen Gebäude aufhielt (Par. 103 Abs. 1 Satz 2 > StPO)?

Antwort:
Auf die Antwort zu Frage 3. b) wird Bezug genommen.

> 5. In wievielen Fällen wurden die Durchsuchungen jeweils
> a) vom Richter angeordnet
> b) wegen "Gefahr im Verzug",
> aa) durch die Staatsanwaltschaft,
> bb) durch die Polizei,
> c) in wievielen Fällen aufgrund Pra. 103 Abs. 1 Satz 2 StPO?

Antwort:
Fast alle Objekte wurden auf Anordnung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes durchsucht. Allerdings waren in wenigen Fällen Anschlußmaßnahmen erforderlich, die sich auf Räumlichkeiten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem jeweils durchsuchten Objekt erstreckten. Sie beruhten - wie auch die Durchsuchung eines weiteren Objekts - auf staatsanwaltschaftliche Anordnung.

Anschlußmaßnahmen nach 103 Abs. 1 Satz 2 StPO wurden nicht durchgeführt.

> 6. Aufgrund welcher der unter 1. - 5. genannten Ermittlungsverfahren, > Durchsuchungsvorraussetzungen und -umstände wurden am 13.6.95 die > Räumlichkeiten des "Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen" in > Neumünster durchsucht?

> 7. Aufgrund welcher der unter 1. - 5. genannten Ermittlungsverfahren, > Durchsuchungsvorraussetzungen und -umstände wurden am 13.6.95 die > Räumlichkeiten des Arbeitslosenzentrums in Lübeck durchsucht? >

> 8. Aufgrund welcher der unter 1. - 5. genannten Ermittlungsverfahren, > Durchsuchungsvorraussetzungen und -umstände wurden am 13.6.95 die > Räumlichkeiten der antifaschistischen Gruppe "Informationsdienst Schleswig- > Holstein" in Neumünster durchsucht?

Fragen 6., 7. und 8.:
Antwort:
Sowohl in Neumünster als auch in Lübeck wurden Räume und Nebengelasse von sogenannten "Info-Läden" durchsucht. Die Durchsuchungen beruhten jeweils auf einer Anordnung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes nach 102 StPO. Allerdings sind die Räumlichkeiten nicht nur von den Beschuldigten und Verdächtigen, sondern auch von anderen Personen benutzt worden.
Das erklärt die Durchsuchung beim "Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen", die beendet wurde, nachdem die Durchsicht der vorgefundenen Gegenstände einen Verfahrensbezug nicht erkennen ließ. Daß die Durchsuchung in Neumünster auch die antifaschistische Gruppe "Informationsdienst Schleswig-Holstein" umfaßt hat, war während ihrer Durchführung nicht zu erkennen.

Anmerkung des Abtippers dieser Zeilen:
Das Büro des Projekt Informationsdienst Schleswig Holstein ist durch ein Schild an der Eingangstür zu den Räumlichkeiten gekenntzeichnet. Darüberhinaus wurden die durchsuchenden Kräfte mehrfach von Vorstandsmitgliedern des Infoladen Omega darauf hingewiesen, daß die Räumlichkeiten nicht zum Infoladen gehören sondern zum Projekt ID-SH. Da bei der Durchsuchung nur Vorstandsmitglieder des Infoladens sowie Vorstandsfrauen des "Notrufes" in das Gebäude gelassen wurden, konnten die Menschen vom Projekt ID- SH diesen Hinweis nicht bekräftigen.

> 9. a) In welchen Bundesländern sind am 13.6.1995 jeweils wie häufig > Durchsuchungen durchgeführt worden?

Antwort:
In Berlin wruden 5, in Rheinland-Pfalz1, in Mecklenburg- Vorpommern 2, in Nordrhein-Westfalen 15, in Hamburg 11, in Niedersachsen 3, in Schleswig Holstein 7 und in Bremen 11 Objekte durchsucht.

> b) Welche der unter 1. - 5. genannten Durchsuchungsvorausstetzungen und - > umstände lagen dem jeweils zugrunde?
Antwort:
In Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland- Pfalz wurde je ein Objekt aufgrund einer Anordnug nach 103 Satz 1 StPO durchsucht. Die weiteren in der Antwort zu Frage 9 a) aufgeführten Durchsuchungen erfolgten auf der Grundlage des 102 StPO. Im übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 1. bis 5. Bezug genommen.
> c) Bei welchen der erfragten Durchsuchungen wurde das Bundeskriminalamt > eingesetzt?
Antwort:
In drei Fällen war das Bundeskriminalamt mit den Ermittlungen beauftragt. Soweit in den übrigen Fällen die Länderpolizeien mit den Ermittlungen beauftragt waren, kann derzeit nicht übersehen werden, inwieweit das Bundeskriminalamt im Einzelfall unterstützende Hilfe geleistet hat.

> 10. In wievielen Fällen bestätigte sich der oben genannte Anfangsverdacht > in Bezug auf das > a) Auffinden des im Beschluß genannten Verdächtigen?
Antwort:
In einem Fall erfolgte die Durchsuchung zur Ergreifung des im Beschluß genannten Verdächtigen (s. Antwort zu Frage 4.a)). Er wurde jedoch nicht aufgefunden.
Rechtsgrundlage für die Ergreifung von vier Beschuldigten war jeweils ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes.
> b) Auffinden von Beweismitteln? > (Bitte nach den unter 1. - 5. genannten Ermittlungskomplexen, > Durchsuchungsvoraussetzungen und -umständen gliedern.)

Antwort:
Da in allen Fällen die Auswertung der beschlagnahmten Beweismittel noch andauert, kann diese Frage zur Zeit nicht beantwortet werden.

> 11. Wann sollen die beschlagnahmten Materialien und die Computeranlagen > der antifaschistischen Gruppe "Informationsdienst Schleswig-Holstein" in > Neumünster zurückgegeben werden?

Antwort:
Die Rückgabe erfolgt vorraussichtlich in der 28. Kalenderwoche 1995.

Und noch eine Anmerkung des Tippers:
bis jetzt haben wir davon noch nichts bemerkt, aber was heißt denn schon vorraussichtlich??????

> 12. Ist es richtig, daß es sich bei der Durchsuchung von über 50 Objekten > am 13.6.1995 um einen "Präventivschlag gegen die linke Szene" handelte, > wie Bundesinnenminster Kanther es in einer Fernsehsendung nannte, und auf > welcher Gesetzesgrundlage führt > die Bundesanwalschaft "Präventivschläge" aus?

Antwort:
Die Bundesanwaltschaft hat am 13. Juni 1995 ausschließlich strafprozessuale Maßnahmen durchgeführt.

> 13. Welchen Bezug haben die bei dem Beschuldigten Andreas E. > beschlagnahmten Unterlagen über die Unterwanderung der Lübecker Polizei > durch Neonazis zu dem gegen den Beschuldigten eingeleiteten Verfahren, und > wann werden die Unterlagen zurückgegeben?
Antwort:
Eine Antwort ist derzeit nicht möglich, da die Auswertung der beschlagnahmten Beweismittel noch andauert. Sie werden zurückgegeben, sobald sie nicht mehr benötigt werden.

> 14. In welchen Zusammenhang zu den unter 2. genannten Ermittlungskomplexen > steht die in einer Hamburger Druckerei beschlagnahmte Druckplatte eines > Flugblattes der Gruppe "Antirassistisches Telefon", in dem zu Mahnwachen > wegen der rassistischen Uuml;berfälle > in Hamburger Polizeistationen aufgerufen wird?

Antwort:
Bei der Durchsuchung wurden Druckplatten nicht sichergestellt. In Beschlag genommene Druckfolien wurden nach Sichtung bereits am 26. Juni 1995 wieder freigegeben. Ob die in der Frage bezeichnete Vorlage dabei war, ist nicht festgestellt worden.

> 15. Inwieweit trifft es zu, daß sich die durchsuchenden Polizeikräfte in > einem Gebäude in der Kölner Ludolf-Camphausen-Str. zu Beginn der > Durchsuchung weder verbal zu erkennen gaben noch durch ihre Dienstkleidung > eindeutig zu erkennen waren, was u.a. > dazu führte, daß ein Bewohner die Polizei um Hilfe rief, weil er einen > rechtsextremen Uuml;berfall vermuten mußte und die durchsuchenden > Polizeikräfte Blendschockgranaten einsetzten?

Antwort:
Bei den Einsatzkräften, die das Gebäude zuerst betraten, handelte es sich um SEK-Beamte, die sich unmittelbar nach Betreten eindeutig und unüberhörbar als Polizei zu erkennen gaben. Die SEK-Beamten trugen dienstliche Einsatzanzüge mit dem nordrhein-westfälischen Landeswappen am Oberarm sowie Klettbänder mit der Aufschrift "Polizei" im Brust- und Rückenbereich oder weißen Armbinden mit der Aufschrift "Polizei". Den so gekennzeichnenten SEK-Kräften folgten uniformierte Polizeibeamte und danach erst mit deutlichem Abstand Kriminalbeamte in ziviler Kleidung, die Armbinden mit der Aufschrift "Kriminalpolizei" trugen.

Während des Eindringens wruden die SEK-Kräfte durch zwei Hausbewohner, die sich in den oberen Stockwerken aufhielten, mit Glasflaschen beworfen. Ein Beamter wurde dadurch leicht am Kopf verletzt. Da diese Personen ihr Handeln auch nach ausdrücklicher Aufforderung nicht einstellten, wurden durch die SEK-Beamten akustische Irritationskörper eingesetzt, um die Festnahme zu erleichtern.

> 16. Wieviele Ermittlungsverfahren nach Par. 129a StGB (alle Tatbestands- > Alternativen) wegen einer terroristischen Vereinigung werden derzeit gegen > Linksextremisten und Rechtsextremisten jeweils geführt?

Antwort:
Beim Generalbundesanwalt sind zur Zeit 105 Ermittlungsverfahren mit linksextremistischem Hintergrund und 2 Ermittlungsverfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund anhängig, in denen er wegen 129 a StGB originär zuständig ist ( 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG). Darüber hinaus werden von ihm 3 weitere Ermittlungsverfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund geführt, die er nach 120 Abs. 2 Nr. 3 GVG an sich gezogen hat.

> 17. Wieviele Ermittlungsverfahren sind im Zusammenhang mit der Herausgabe > oder Verbreitung der "Radikal" seit deren Bestehen geführt worden?

Antwort:
Seit dem Erscheinen der Untergrundzeitschrift "Radikal" hat der Generalbundesanwalt insgesamt 150 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die meisten dieser Verfahren sind nach 142 a Abs. 2 Nr. 2 GVG an die Landesstaatsanwaltschaften abgegeben, einige auch eingestellt worden.

> 18. Wieviele Wohnungen, Läden oder sonstige Stellen wurden im Zusammenhang > mit Ermittlungsverfahren wegen der Herrausgabe und Verbreitung der > "Radikal" seit deren Bestehen durchsucht?

Antwort:
In den in der Antwort zu Frage 17 genannten Ermittlungsverfahren sind vor dem 13. Juni 1995 insgesamt 89 Wohnungen, Läden oder sonstige Stellen durchsucht worden.

> 19. Wieviele Personen sind im Zusammenhang mit der Herausgabe oder > Verbreitung der "Radikal" seit deren Bestehen rechtswirksam verurteilt > worden und wie hoch waren die verhängten Geld- oder Freiheitsstrafen? > (Bitte einzeln aufführen).

Antwort:
Angaben sind nicht möglich, da der Generalbundesanwalt fast alle Ermittlungsverfahren an die Landesstaatsanwaltschaften abgegeben hat.

gezeichnet mit:
(Leutheusser-Schnarrenberger)

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