Entengeschichten
Zensur in der Linken?

Feministische Inhalte in der radikal

Die Zeitschrift radikal hat eine 20jährige Geschichte. Zuerst war sie stark auf Berlin, ihrem Erscheinungsort, und die dortige HausbesetzerInnenszene bezogen. Mit zunehmender Kriminalisierung (Durchsuchungen, Verhaftungen, Beschlagnahmung und Überwachung) wurde das Erscheinen erschwert, bis 1984 das Redaktionskollektiv das Erscheinen ganz einstellte. Im Herbst 1984 erschien die radikal zum ersten Mal aus dem Untergrund, mit dem Konzept, weiterhin revolutionäre Inhalte, also auch Anschlagserklärungen, zu veröffentlichen. Die Repressionen gingen weiter, nun auf VerteilerInnen und Buchläden konzentriert. Gegen 153 Ausgaben liefen bis heute insgesamt 150 Ermittlungsverfahren.
Am 13.6.95 wurden ein neuer Kriminalisierungsversuch durch die BAW gestartet. Im Zuge von über 50 bundesweiten Hausdurchsuchungen (die auch das K.O.M.I.T.E.E.mmitee und die AIZ betrafen), wurden vier Männer verhaftet, drei Männer und eine Frau werden gesucht. Ihnen wird vorgeworfen, an der Herstellung der radikal beteiligt gewesen zu sein. Doch nicht nur das. Die BAW konstruiert für die Beschuldigungen die radikal und die Redaktion als kriminelle Vereinigung, ein Novum im Pressewesen der BRD.
Uns hat an dieser Stelle nicht die staatliche Repression, sondern der Umgang der radikal-Redaktion mit Frauen-, Lesben- und feministischen Inhalten in der Zeitung interessiert, da die radikal vertritt, Beiträge aus der radikalen Linken unzensiert zu veröffentlichen. Für die Auswertung einiger Ausgaben (untersuchte Hefte: 120, 132, 137, 138, 140, 142, 144, 145, 146, 147, 148, 150, 152, 153) der radikal haben wir folgende Fragen gestellt:

Die Frage, ob Lesben vorkommen, ist schnell beantwortet: Die Bezeichnung taucht ab Ende der 80er Jahre einige wenige Male auf, inhaltlich ist von Lesben nicht die Rede.
Eine Sprachanalyse (Mackersprache) und Bildanalyse (Mackerbilder) haben wir ausfallen lassen, nur erwähnen wollen wir, daß solch eine Analyse einige grobe und subtile Sexismen entlarven würde.
Anfang der 80er Jahre gab es wenig frauenspezifische Inhalte in der Zeitung, wie die Ausgabe Nr. 120 vom September 1983 beispielhaft zeigt. Dieses Heft zeigt zwar (bewaffnete) Frauen auf dem Titelbild, der Anteil an Frauenthemen ist trotzdem gering. Es gibt einen Artikel zu Vergewaltigung (das ist einer von acht Inhaltsartikeln) und das Bekennerinnenschreiben der Roten Zora zu ihrem Anschlag auf den Flughafen-Service-Bus des Frauenhändlers Günter Menger. In den Kurzmeldungen aus verschiedenen Städten gibt es einen Aufruf von Hunsrück-Frauen, ein Schreiben nach einem Stinkbombenanschlag auf zwei Sexshops in Bremen und ein Solibrief von Hunsrück-Frauen an Knastfrauen. Die große Mehrheit der Meldungen hat jedoch nichts mit Frauen zu tun.
Nr. 138 (zwei Hefte) von 1989 hat den Schwerpunkt Hungerstreik. In dem 1. Heft, dem Heft zum Hungerstreik, ist fast nichts zu lesen über Frauen in Knästen und Frauen im Hungerstreik. Es wurde sich große Mühe gegeben, die abgehaltenen Hungerstreiks in den ganzen Knästen der BRD aufzulisten. Aus der Liste geht hervor, daß gerade im Frauenknast Plötzensee in Berlin sehr ausdauernd gestreikt wurde und sich viele sog. soziale gefangene Frauen mit den politischen solidarisierten und am Hungerstreik teilnahmen, so daß zeitweise 40 bis 50 Frauen hungerstreikten. Die Haftverbesserungen, die sie erzielten, sind beachtlich (weniger Briefzensur, längere Umschlußzeiten etc.) und versickern unkommentiert im Heft.
Das zweite Heft der Ausgabe Nr. 138 ist eine Überraschung. Ein Text zum 1. Mai in Kreuzberg ist mit einem kritischen Kommentar zu Frauen während des ersten Mais ("spontane Massenmilitanz an einem 1.Mai [ist] notgedrungen erstmal männerdominiert") und einem Geschichtsteil über die Arbeiterinnenbewegung versehen. Folgendes Zitat aus dem zweiten frauenspezifischen Artikel dieses Hefts (Titel 'This is not a love song') könnte der Auftakt gewesen sein zur Gründung einer Frauengruppe in der radikal: "... würde dann wohl eher die These stimmen, daß die meisten autonomen Männer nach wie vor ihr eigenes Tun und Handeln nicht reflektieren, da sie kein grundsätzliches Interesse an antipatriarchalen Inhalten haben." (S.15) Später sagen die Autorinnen, daß die Beschäftigung mit Sexismus in der radikalen Linken 'unterentwickelt' und 'unhinterfragt' sei: "dies ändert sich nicht durch linksradikale Inhalte, die flott den antipatriarchalen Aspekt mit reinquetschen." Ihre Kritik am Militanzbegriff autonomer Männer formulieren sie folgendermaßen: "Gemischte Norm meint auch das Mystifizieren vom direkten Kampf gegen Bullen - am besten Brust an Brust, Mann gegen Mann." (S.12). Die Autorinnen schildern konkret, wie ein 1.Mai für Frauen aussehen könnte. Außerdem liest frau in diesem Heft auffällig viele Meldungen zu Sexismus, der Verbindung von Sexismus und Rassismus und einiges zu Ingrid Strobl.
Im Heft Nr.140 vom Juni 1990 beginnt die Arbeit der Frauenredaktion, die sich "einige Frauen aus der radikal" nennt. Sie richten ihre Erklärung zu ihrem Politikverständnis "an die Genossinnen" mit der die Bitte - ohne daß sie sie zur Mitarbeit in einem gemischten Projekt auffordern wollten - um feed back, Ideen und Phantasien. Sie erklären, daß sie "Frauenkämpferinnen" mit "Klassenhaß" seien und "einige Männer" liebten. In dem Artikel werden Lesben erwähnt, doch die Verfasserinnen beklagen sich, daß es in gemischten Strukturen so wenig heterosexuelle Frauen gäbe, die eigene Frauenstrukturen erkämpften. Ihre Analyse gemischter Zusammenhänge sieht so aus: "Wir kennen genügend Männer, die vollmundig Lippenbekenntnisse machen, aber in der Praxis ein erbärmliches Licht abgeben." In Bezug auf ihre geplante Mitarbeit in der radikal denken sie, "daß Frauenkampf auch mächtig an politischer Bedeutung gewinnt, wenn er (sie?) sich mehr in die allgemeinen politischen Debatten einklinkt". Sie finden, daß die radikal hervorragenden Platz biete, sich einzumischen. Sie wollen keine eigene Frauenseite, sondern eigenständige Artikel. In allen übrigen Artikeln soll sich der antisexistische und antipatriarchale Ansatz durchziehen. Langfristig fänden sie eine 'Frauenradi' gut.
Hier einige Beispiel, was die Frauenredaktion in den nächsten zwei Jahren lieferte: feministische Positionen zur Antifa, feministische Positionen zur RZ, Texte zu sexistischer Gewalt und Sexismus in der Szene, Artikel zu Gegengewalt von Frauen, eine Serie zu Sexarbeiterinnen in der BRD, Diskussionen zu Nationalismus und Frauen.
Ab dem Heft Nr.148 (November 1993) ist es mit dem Traum vorbei: "Um es kurz zu machen: Wir verkünden unseren Ausstieg aus dem Projekt radikal! ... Wir sehen in dem Projekt für uns keine weitere Arbeitsgrundlage mehr, möchten das aber hier nicht weiter ausführen." Hierauf folgt ein Hinweis auf das Intro in der Nummer 146, das aber leider nichts zu feministischer Kritik an der radikal oder Genossen enthält. Will die sich zurückziehende Frauenredaktion ihre Diskussionspunkte nicht öffentlich machen? Sie erklären dazu, daß einige frauenspezifische Diskussionen nicht für gemischte Zusammenhänge bestimmt seien. Deswegen hätten sie z.B. einen inhaltlichen Beitrag nur zum Teil in der radikal, vollständig aber in der autonomen LesbenFrauenzeitschrift Amazora abdrucken lassen. Die ex-Frauenredaktion findet ein Einmischen in gemischte linksradikale Gruppen immer noch wichtig, plädiert aber bei der Organisationsfrage für eine eigenstädige Frauenorganisierung. Sie kündigen für die radikal weitere Beiträge unter dem Namen Skoda (= Schade) an. Ausfindig gemacht haben wir diese Texte in den nachfolgenden Ausgaben nicht.
Wie geht es mit Fraueninhalten in der radikal weiter? Es erscheinen immer wieder frauenspezifische Artikel. So ist in Heft Nr.150 vom Juli 1994 eine Rede der Gruppe Gretchens Faust aus Aachen zum internationalen Frauentag abgedruckt. Darin werden deutsche Frauen kritisiert, die den 8.März als deutschen Frauenkampftag feiern, während sich Migrantinnen am 8.März 1994 nicht oder kaum beteiligen, da sie in Sammellagern sitzen oder abgeschoben werden. Zum 8.März in der BRD und weltweit gibt es etliche Aktionsberichte. Ein anderer Artikel beschreibt die Aktion autonomer Lesben und Frauen gegen Emma in Köln. In der März/Juni-Ausgabe der Emma hatte Cornelia Flitner Partei für Peter Singer, einen Befürworter der Euthanasie, ergriffen. In dem radikal-Artikel wird zum Boykott der Emma aufgerufen. Es folgt ein Inhaltsartikel zu Euthanasie, danach einer zu Bevölkerungspolitik (Abdruck aus Die Beute).
Dieser Frauenschwerpunkt im Heft 150 umfaßt die Seiten 5-15, das sind 10 von 80 Seiten. Inhalte der anderen Artikel dieses Heftes sind: Roma-Situation, Auseinandersetzung um die Kaindl-Aktion, Kurdistan, Illegalität. In dem Artikel zu illegal Leben/Abtauchen steht z.B., daß der beste Schutz vor Auslieferung vom Ausland an die BRD eine Heirat und dann noch ein Kind wären. Schöne Vorschläge für Frauen, insbesonder für Lesben! Lesben- und Frauenfrage kommen nicht vor, nur im Theorieteil 'Gegen das Vergessen' (GdV) sind sie behandelt. Seit Jahren umfaßt diese Rubrik viele Seiten der radikal. Das Thema der zehnten GdV-Folge im Heft 150 ist die Zeit der Aufklärung und Geschlechterpolarisation.
In der radikal Nr.152 von April 1995, outet sich die Schreibergruppe des 11.GdV als rein männlich, aber stark patriarchatskritisch. Insofern fällt die Abhandlung über Pädagogik und Sexualität sehr geschlechtsspezifisch und -kritisch aus. Auch in diesem Heft sind die ersten Seiten Frauenseiten. So wird von einer Straßenumbenennungsaktion von Frauen/Lesben zum 8.März 1995 berichtet, außerdem ist ein Bekennerinnenschreiben einer Gruppe namens Kabelbeißerinnen abgedruckt, die einen Anschlag auf Privatfernsehsender verübt hatten und die Frauenfeindlichkeit und Vermarktung der Sexualität durch Kabelsender analysieren und verurteilen.

An dieser Stelle wollen wir uns der neuesten radikal, der Nr.153 vom November 1995, die in zwei Hefte unterteilt ist, zuwenden, da sie den aktuellen radikal-Frauenstandpunkt wiedergibt.
Im ersten Heft findet sich ein frauenspezifischer Text (von sieben Texten), das ist das Bekennerinnenschreiben der Roten Zora zu ihrem Anschlag auf die Lürssen-Werft in Bremen. Die Rote Zora beschreibt die Situation und die Kämpfe von Frauen in Kurdistan. Dieser Text ist der letzte des Hefts, unkommentiert und sehr klein gedruckt. In den 'gemischten' inhaltlichen Artikeln (einer über die verfolgten Gruppen des 13.6.95, einer über den Balkankrieg und einer über Kurdistan) sind Lesben- oder Frauenaspekte nicht eingearbeitet, genausowenig im Vorspann, in dem es um den 13.6. und seine Folgen geht. Die radikal-Redaktion merkt an, daß der 13.6. ein "Angriff gegen die linksradikale und feministische Szene" war, allein die Ausführungen zu "feministisch" fehlen. Nur in dem Artikel zu 'Osteuropa und MigrantInnen' werden Frauen erwähnt, d.h. die Zunahme von Gewalt gegen Frauen und die besonderen Bedingungen von Migrantinnen.
Im zweiten Heft dieser radikal, dem Infoteil namens OLGA, kommen Frauen so gut wie gar nicht mehr vor. Wir wollen jetzt genau beschreiben, wo die Lücken für uns sind:
1. Beispiel: In einem Text über vier Selbstmorde in der Antifa-Szene in Passau wird die 15jährige Martina, die vierte, die sich zwischen April und Juni 1995 in Passau umbrachte, erwähnt. Zu ihr stand nichts weiter, als daß sie in der Punk- und Antifa-Szene gewesen sei, liiert war mit einem Antifa-Aktivisten (der sich vor ihr umgebracht hatte), und daß der Passauer Polizeisprecher ihren Tod als Verkehrsunfall bezeichnet. Zu den drei Typen steht, was sie politisch gemacht haben, daß sie Verfahren am Hals hatten, und wie sie ihre letzten Tage verbracht hatten. Obwohl eine Antifa/Fantifa-(feministische Antifa)-Erklärung abgedruckt war, stand auch da nichts über Martina. Sind Mädchen/Frauen nicht so wichtig?
2. Beispiel: In dem Artikel zu Repression gegen Antifas aus Weimar wegen mehrerer Brandanschläge auf die Union-Druckerei, Kioske und einen Pressegrossisten, die die faschistische Zeitung Junge Freiheit drucken oder vertreiben, wird benannt, daß u.a. revolutionäre Frauen/Lesbengruppen an den Brandanschlägen beteiligt gewesen seien. Im Zuge der Ermittlungen der BAW nach 129a wurde anfangs in Weimar im "Intimleben" von offen lesbisch lebenden Frauen "herumgeschnüffelt" (O-Ton radikal). Zu diesem lesbenfeindlichen Vorgehen der BAW, dessen Erwähnung allein schon eine ziemlich bedrohliche Situation für Lesben andeutet, gab es in dem Artikel weiter keine Ausführungen. Dafür Einzelheiten zu Verhören und eine Einschätzung, in der von Frauen/Lesben kein Wort zu lesen war.
3. Beispiel: In dem Bericht über den Autonomie-Kongreß im Frühjahr 1995 in Berlin wird die Kritik autonomer Lesben/Frauen im Vorfeld erwähnt: Der Kongreß sei ein autonomer Männerkongreß ohne feministische Themen, wie z B. die Kampagne gegen Sexismus in der Linken, Öffentlichmachung von Vergewaltigern und Kindesmißhandlern, feministische Perspektiven von Befreiung oder anderes. Die oder der BerichterstatterIn erwähnt die Patriarchats-AG, in der sich über Erfahrungen in Männergruppen ausgetauscht wurde. Insgesamt fiel der Bericht nicht sehr differenziert aus, z.B. wurde ein "obligatorisches Redeverhalten von Männern" ohne Erläuterungen erwähnt. Im Resumee fragt sich der Autor bzw. die Autorin nicht, ob der Pessimismus der Feministinnen berechtigt gewesen war. Er oder sie fragt sich lediglich, ob sich die autonome Bewegung immer mehr aufspalte.
4. Beispiel: Im Artikel zu Exil/Untergrund wird das Für und Wider von Exil und 'freiwilligem' Knast (sich stellen oder nicht) analysiert. In diesem Text genauso wie in dem Interview mit zwei Untergetauchten kommt nicht ein einziges Mal ein frauen- oder lesbenspezifischer Aspekt vor.

Unsere Schlußfolgerung ist kurz formulierbar: In den zwei bis drei Jahren der Frauenredaktion nahm der Anteil der Frauen-Artikel in der radikal stark zu. Frauenaspekte fanden in den restlichen Artikeln, außer dem GdV, keinen oder kaum Eingang. Das Verhältnis von Frauenartikeln zu 'gemischten' war nach dem Rausgang der Frauenredaktion fast wie in alten Zeiten, ca. 1:8. Sehr schade fanden wir, daß die Frauenredaktion ihre Kritik an den Genossen nicht offen gemacht hat.
Eine Anmerkung zu unserem letzten Teil, der Analyse des letzten Heftes: Es könnte das Argument geben, die radikal würde eben Texte veröffentlichen, die ihr zugeschickt werden, und demzufolge auch Texte, die Frauenfragen auslassen. Dem müßte, unserer Meinung nach, durch gezieltes Nachfragen und Nachrecherchieren begegnet werden. Auch könnte nach Zusatztexten zu bestimmten Themen und Artikeln, die einen Frauenaspekt vermissen lassen, gesucht werden, um sie als Ergänzung mitzuveröffentlichen. Eine Gruppe, die eine Zeitungsausgabe vorbereitet und macht, auch eine illegale, bestimmt Themen oder Schwerpunkte und kann Texte mit eigenen Kommentaren und Einschätzungen versehen, eine Praxis die in der radikal bei anderen Themen durchaus üblich ist.
Die radikal ist Spiegel der radikal-linken Bewegugn. Wie in andere Gruppen haben Feministinnen versucht, ihre Inhalte darin einzubringen und sind gescheitert. Nicht umsonst wurde eine eigenen radikale feministisch lesbische Zeitschrift, die Amazora, gegründet.
Um am Ende dieser Suche nach feministischen Inhalten in der radikal konstruktiv zu sein, wollen wir hier nur einige lesben- und frauenspezifischen Fragen zum Thema Illegalität, Exil und Knast aufzählen, die gerade heute gut in der radikal behandelt werden könnten:

Einige Lesben aus dem ID

(Quelle: bremer kassiber nr. 28, Februar 1996)

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 28.6.1997