Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil II)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Was passiert ist

Der vermeintliche "Schlag gegen die RZ", die Durchsuchung von 33 Wohnungen und Arbeitsplätzen am 18. Dezember 1987, hat neben

u.a. auch eine Welle von Zeuginnenvorladungen nach sich gezogen. Abgesehen von den EMMA-Frauen, die alle Aussagen machten und diese im Prozeß gegen Ingrid Strobl wiederholten, sind uns rund 25 Fälle von Vernehmungen bzw. Vernehmungsversuchen bekannt. Allerdings muß davon ausgegangen werden, daß es weitere Fälle gibt, die bislang nicht öffentlich wurden.
Die massenhaften Ausforschungsversuche begannen im August/September 1988. Damals erhielten innerhalb weniger Wochen über 20 Leute aus Hamburg und dem Ruhrgebiet Termine zu Vernehmungen durch die Bundesanwaltschaft. Mehrheitlich handelte es sich bei den geladenen Zeuglnnen um ehemalige WG-Mitglieder bzw. Arbeitskolleginnen der per Haftbefehl Gesuchten.
Fast alle verweigerten die Aussage ohne Angabe von Gründen und wurden dafür mit Ordnungsgeldern bis zu 400 Mark belangt. Im Ruhrgebiet machten lediglich ein TAZ-Mitarbeiter und zwei frühere Wohnungsgenosslnnen einer Essener Beschuldigten Angaben zur Sache. Letztere allerdings auch nur bedingt, indem sie die Antwort auf eine Reihe von Fragen unter Berufung auf eine mögliche Selbstbelastung nach § 55 StPO verweigerten.
Informationen aus Hamburg, wo das Problem der Zeuglnnenvorladung als privates gehandelt wird, fließen nur spärlich. Doch soweit wir wissen, gab es in der ersten Vernehmungsrunde auch dort nur einen Fall, in dem Aussagen gemacht wurden. Dieser Zeuge, ein ehemaliger Bochumer, wurde im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen eine gesuchte Frau aus Bochum befragt. (Zum Inhalt der Vernehmungen, soweit wir davon Kenntnis haben, gibt es auf den folgenden Seiten einen Extrabericht.)
Nach dieser ersten Vorladungswelle schien die Sache erstmal ausgestanden zu sein - bis, Anfang Dezember letzten Jahres, eine Frauenwohngemeinschaft in Bochum durchsucht wurde. Die offizielle Begründung lautete "Sicherstellung von Beweismitteln gegen Dritte" und bezog sich auf die Ermittlung gegen einen Mann aus Köln, dem im "Komplex 18.12." Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der RZ's vorgeworfen wird und dessen Aufenthaltsort den Behörden offensichtlich nicht bekannt ist.
Mitgenommen wurden u.a. Flugblätter, Plakate und sonstiges Intomaterial zur Razzia vom 18.12., zu den vorausgegangenen Zeuglnnenvorladungen und zum Thema der Aussageverweigerung. Zudem erhielten zwei der vier Wohhungsbewohnerinnen erstmalig Ladungen als Zeugin zur Bundesanwaltschaft.
Beide Frauen verweigerten die Aussage, erhielten Ordnungsgelder und - im Unterschied zu den vorher geladenen, aussageunwilligen Zeuglnnen - innerhalb kürzester Zeit einen zweiten Vernehmungstermin. Ohne sich auf einen der gesetzlichen Ausnahmegründe, also die mögliche Selbstbelastung oder ein verwandtschaftliches Verhältnis zum Beschuldigten, zu beziehen, schwiegen sie weiterhin. Mit dem Ergebnis, daß die Bundesanwaltschaft die Anordnung von Beugehaft durch den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof beantragte.
Bis dato hatte niemand ernsthaft mit dem Einsatz dieses Zwangsmittels gerechnet. Zumal zwischenzeitlich bekannt geworden war, daß aufgrund des bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmten Materials 129a-Verfahren wegen Unterstützung bzw. Werbung für die RZ's sowohl gegen die beiden Zeuglnnen selbst als auch ihre Mitbewohnerinnen eingeleitet worden waren. (Begründung der Staatsschutzbehörden: Die Bereitschaft zur Aussageverweigerung zu wecken oder zu bestärken, sei geeignet, das Vertrauen der RZ's in eine "breite solidarische Verschwiegenheit der Szene" zu stärken, und sie auf diesem Wege zu einer Fortsetzung ihres "strafbaren Tuns" zu motivieren.)
Solchermaßen selbst beschädigt, hätte den beiden Bochumerinnen ein generelles Recht auf Assageverweigerung zugestanden werden müssen. Daß stattdessen "Erzwingungshaft" - wie, es im Juristendeutsch heißt - gegen sie beantragt wurde, sorgte dementsprechend bis in bürgerlich-liberale Kreise hinein für Empörung. Gleichzeitig enstand jedoch auch Angst.und Unsicherheit unter denjenigen Zeuglnnen, die bei ihrer ersten Vernehmung keine Aussage gemacht hatten, und die - sollten sie wie die beiden Frauen aus Bochum im Fall einer zweiten Ladung weiterhin schweigen - ebenfalls mit Beugehaftdrohung rechnen mußten.
Prompt kamen dann auch, kaum daß der erste Beugehaftantrag gestellt worden war, zweite Zeuglnnenladungen für nicht alle, aber einen Teil der Leute aus Hamburg und dem Ruhrgebiet, die bei der ersten Runde den Mund gehalten hätten. Prompt hielten auch zwei Frauen dem Druck nicht mehr stand und machten Aussagen. Und genauso prompt erhielten aus dem Kreis derjenigen, die auch in der zweiten Runde schweigsam blieben, weitere sechs Leute Anträge auf Beugehaft ins Haus geschickt.
Von den insgesamt acht Anträgen auf die Verhängung von Beugehaft, die damit beim Bundesgerichtshof anhingen, wurde sieben vom zuständigen Ermittlungsrichter Gerlach Anfang März stattgegeben. Die achte Entscheidung, die eine der beiden Frauen aus Bochum betraf, verzögerte sich aus terminlichen Gründen um einige Wochen, unterschied sich im Ergebnis jedoch nicht von den übrigen.
Die sieben zunächst Betroffenen, drei Männer aus Hamburg und vier Frauen aus Duisburg, Oberhausen bzw. Bochum, wurden für den 16. März zu einer dritten, letzten und im Unterschied zu vorher in Karlsruhe angesetzten Vernehmung zitiert. Derart vor die Alternative gestellt, wider eigenes Wollen endlich doch Aussagen zu machen oder bis zu einem halben Jahr in Haft genommen zu werden, beantworteten fünf von ihnen erstmalig einen Teil der Fragen und beriefen sich bei den restlichen auf ein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO. D.h. sie praktizierten eine Mischung aus Selbstbezichtigung und Teilaussage; die dazu führte, daß sie bislang - abzuwarten bleibt, ob auch letztendlich - vor weiteren Repressalien geschützt bleiben.
Eine sechste Zeugin konnte am 16., März aus Zeitgründen nicht mehr vernommen werden, schloß sich jedoch bei ihrer auf den 3. April verschobenen dritten Vernehmung dem Mehrheitsverhalten an. D.h. auch sie verweigerte unter Hinweis auf eine mögliche Selbstbelastung nur noch einen Teil der gewünschten Angaben. Lediglich die siebte Zeugin, Gabi Hi. aus Bochum, verweigerte weiterhin jede Aussage. Im Unterschied zu vorher allerdings unter genereller Bezugnahme auf § 55 StPO; die angesichts ihres Beschuldigtenstatus grundsätzlich vorhandene Möglichkeit einer Selbstbelastung.
Dennoch blieb die Bundesanwaltschaft bei ihrer Forderung nach Aussagen und verbrachte die Bochumerin im direkten Anschluß an ihre Vernehmung, also noch am 16. März, in die JVA Bühl. Ein von ihrer Anwältin sofort eingelegter Antrag auf richterliche Überprüfung dieser Maßnahme wurde - wie nicht anders zu erwarten - zugunsten der Bundesanwaltschaft entschieden.
Ebenfalls erwartungsgemäß wurde rund zwei Wochen später dem letzten noch ausstehenden Antrag auf Beugehaft stattgegeben; wie gehabt mit der Aufforderung verbunden, zu einer dritten Vernehmung in Karlsruhe anzutreten. Die betroffene Frau, Gaby Ho. aus Bochum, folgte der Ladung nicht, da die Bundesanwaltschaft eine Terminverschiebung verweigert hatte, obwohl sich der Anwalt der Zeugin zum betreffenden Zeitpunkt im Ausland aufhielt.
Eine versuchte Zwangsvorführung der Zeugin scheiterte; in der Folge erhielt sie eine Frist zum "freiwilligen" Antritt der Beugehaft in der JVA Bühl zugeschickt, dem die Frau am 20. April Folge leistete. D.h. sie ersparte sich einen dritten Vernehmungsversuch und blieb bei ihrer prinzipiellen Aussageverweigeung, ohne einen rechtlichen Grund dafür zu benennen.
Gabi Hi. und Gaby Ho. saßen eine Woche in einer Zelle, bevor letztere auf Anweisung aus Karlsruhe und ohne ersichtlichen Grund nach Heidelberg verlegt wurde. Für beide Frauen galt der sogenannte "Normalvollzug". Sie wurden im Auftrag der Bundesanwaltschaft zweimal in der Woche von der Knastverwaltung gefragt, ob sie mittlerweile zu Aussagen bereit seien. Doch geschah dies quasi nebenbei, ohne daß Druck ausgeübt worden wäre. Und auch ansonsten blieben die Frauen von besonderen Schikanen oder Repressionsversuchen verschont,
Am 3. Mai wurden die Bochumerinnen nach sieben bzw. zweiwöchiger Haft entlassen. Der 3. Strafsenat des BGH hatte - entgegen seiner in einer Entscheidung aus dem Jahre 1981 vertretenen Auffassung - die Haftbeschwerde im Fall von Erzwingungshaft für generell zuIässig befunden und im vorliegenden Zusammenhang auch. positiv beschieden. Dabei beziehen sich die Richter im Kern auf den Umstand, daß gegen die betreffenden Zeuginnen eigene Ermittlungsverfahren im fraglichen Kontext laufen. Zwar wird ihnen nicht grundsätzlich ein Beschuldigtenrecht auf Aussageverweigerung zugestanden, immerhin wird jedoch die Möglichkeit eingeräumt, daß Aussagen für ihre eigenen Verfahren relevant sein könnten. Weshalb - so die Argumentation der Richter - der besonders schwere Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte, wie ihn eine Inhaftierung darstelle, nicht verhältnismäßig sei. Und zwar unabhängig davon, ob eine Berufung auf § 55 StPO erfolgt sei oder nicht.
D.h. die Beugehaftbeschlüsse gegen die beiden Bochumerinnen wurden aufgehoben, nicht jedoch die gegen sie verhängten Ordnungsgelder. Und vor allem: Die juristische
Begründung für die Freilassung der Zeuginnen ist nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragbar Denn die in der vorliegenden Entscheidung des BGH vorgetragenen rechtlichen Bedenken wenden sich nicht grundsätzlich gegen die Durchführung von Beugehaft, sondern lediglich gegen den Einsatz dieses Zwangsmittels im zu prüfenden Spezialfall der beiden Frauen.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997