RICHTER OHNE GESICHT

Eine Veranstaltung am 26 August 1998 in der B5, Hamburg

Sie haben Kapuzen über ihre Köpfe gestülpt wie Scharfrichter. Zwischen  ihnen und den Angeklagten befindet sich eine halbverspiegelte Glasscheibe, und Mikrofone verzerren ihre Stimmen, damit sie auch wirklich nicht  identifiziert werden können: Die "Richter ohne Gesicht", wie sie auch genannt werden, ziehen in ein oder zwei Tagen Schnellverhandlungen durch, bei es keine Möglichkeit zur Verteidigung gibt und die fast immer mit hohen Strafen enden. "Angeklagte beschrieben die Richter später als von ihrer Statur her massiv - alles andere als Schreibtischarbeit gewöhnte Juristen", sagt Ada Beraún. "Sie vermuten, daß es sich um Militärs handelt." Ada Beraún ist die Frau von Isaac Velazco, dem Europavertreter der MRTA aus Peru, sie ist Mitarbeiterin einer peruanischen Menschenrechtsorganisation und berichtete in Hamburg auf einer Veranstaltung der Roten Hilfe von der Situation der politischen Gefangenen in Peru.

Zunehmend sprächen solche gesichts- und stimmlosen Richter nicht nur in politischen, sondern auch in "normalen" Verfahren "Recht", füllten sich die Gefängnisse massenweise mit VertreterInnen demokratischer
Basisorganisationen und mit sozialen Gefangenen. Nicht wenige der Angeklagten "verschwinden" einfach und werden nie mehr gesehen. Eine Politik der brutalen Repression nicht nur gegen ideologische Kritiker und Gegner des Fujimori-Regimes also, sondern auch als Reaktion des neoliberalen Staates auf Armut und soziale Repression. Selbst internationale Proteste hätten bislang nur wenig bewirkt. Aber, so Ada Beraún, sie seien dennoch eine der wichtigsten Möglichkeiten, die Menschenrechtsorganisationen zu stärken und das Regime zumindest zu kleineren Zugeständnissen zu zwingen.

So sei eine Lehrerin, die wegen angeblicher Mitgliedschaft im "Leuchtenden Pfad" zu 20 Jahren Haft verurteilt und im Gefängnis gefoltert und vergewaltigt worden war, infolge eines Spruches des Menschenrechtsgerichtshofs der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) freigekommen, weil sie nachweisen konnte, daß die Anklage falsch war. Oder der Fall von Victor Polay Campos. Er habe nie seine Mitgliedschaft in
der MRTA bestritten und sei auch immer bereit gewesen, die Konsequenzen dafür zu tragen. Aber: Er verlange einen fairen Prozeß, den ihm das Fujimori-Regime bis heute verweigert.

Nachdem der UNO-Menschenrechtsausschuß die Eingabe bezüglich Victor Polay fünf Jahre lang unbearbeitet ließ, ist er nun ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, daß Polays Verfahren vor "Richtern ohne Gesicht" und seine brutalen und entwürdigenden Haftbedingungen gegen die Menschenrechte verstoßen. Die UNO forderte deshalb schon im vergangenen November, Polay entweder sofort freizulassen oder ihm eben einen fairen Prozeß zu machen. Der diesbezügliche Beschluß des UNO-Menschenrechtsausschusses ist übrigens bei der Roten Hilfe Hamburg in deutscher Übersetzung zu haben. Und in München gibt es eine Gruppe, die zusätzlich in Sachen Victor Polay Druck machen will.
Die Frage der Menschenrechte in Peru hat nicht zuletzt durch die Verurteilung von sieben Chilenen und einer US-Amerikanerin - wegen Landesverrates (!) - in den letzten Jahren zunehmend internationale Aufmerksamkeit erfahren. In den USA sorgen Einzelpersonen wie Menschenrechtsorganisationen für Öffentlichkeit bezüglich der Situation von Angeklagten und Gefangenen in Peru - und damit auch für verstärkten öffentlichen Druck. Amnesty International zählt Peru zu den lateinamerikanischen Ländern mit den meisten Menschenrechtsverletzungen (was die Regierung 1979 überhaupt nicht davon abhalten konnte, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu unterschreiben - übrigens zwei Jahre nach Chile). Als Reaktion auf die Einschätzung von ai erklärte das Fujimori-Regime die internationale Menschenrechtsorganisation kurzerhand
selbst zu einer "terroristischen".
Institutionen wie die UNO oder die OAS könnte das Regime jedoch nicht so einfach als "terroristisch" abtun, meinte Ada Beraún. Diese verurteilten aber nicht nur die Prozesse mit "Richtern ohne Gesicht", sondern auch das
"Verschwindenlassen" und die Situation in den Gefängnissen - insbesondere in denen mit Totalisolation. In der Presse sind sie als die "Gräber für Lebende" bekannt. Hinter teilweise 70 cm dicken Mauern werden z.B. auf einer Militärbasis sieben politische Gefangene unter absolut unvorstellbar brutalen Bedingungen festgehalten. Völlig isoliert von der Außenwelt und untereinander "dürfen" sie 30 Minuten am Tag Hofgang machen - einzeln. Das
ist alles, was sie tun dürfen.

In einem anderen Knast, der 4100 m hoch liegt, haben die Zellen lediglich Gitter vor scheibenlosen Fenstern. Die Kälte ist bestialisch, praktisch alle Gefangenen haben Erkrankungen, die Folge von Zugluft und Unterkühlung sind. Mehrere Inhaftierte sind in ihren Zellen erfroren. Es gäbe, so Ada Beraún, nunmehr eine Kampagne für die Abschaffung dieser Spezialknäste. Dabei müsse sich jede/r klarmachen, daß jegliche Kritik in Peru dazu führen kann, daß die KritikerInnen selbst in diesen Knästen landen. Und selbst in Deutschland werden MenschenrechtsaktivistInnen von Peru aus bedroht. Ada Beraún erhielt in der Vergangenheit mehrmals schriftliche Todesdrohungen der berüchtigten peruanischen Todesschwadron Colina.

Die Rote Hilfe Hamburg ist zu erreichen über Postfach 306 302, 20329 Hamburg oder Fax 040/4390812.

Obiger Artikel mit freundlicher Genehmigung des Angehörigen Info.

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