VEREINTE NATIONEN

Internationale Konvention über zivile und politische Rechte


9. Januar 1998

Dokument CCPR/C/61/D/577/1994

[Übersetzung aus dem Englischen: Rote Hilfe e. V.]
 

MENSCHENRECHTSKOMITEE

61. Sitzung

20. Oktober bis 7. November 1997

[...]

Das Menschenrechtskomitee hat - gemäß Artikel 5, Absatz 1 der Konvention - die vorliegende Eingabe im Licht all der Informationen geprüft, die ihm durch die Parteien des Falles verfügbar gemacht wurden.

Zwei Punkte sind im vorliegenden Fall zu prüfen: erstens, ob die Haftbedingungen von Herrn Polay Campos und die Mißhandlungen, denen er angeblich ausgesetzt worden ist, eine Verletzung der Artikel 7 und 10 der Konvention darstellen, und zweitens, ob sein Prozeß vor einem Gericht mit anonymen Richtern ("Richter ohne Gesicht") eine Verletzung des Artikels 14, Absatz 1 der Konvention bedeutet.

Bezüglich des ersten Punkts stellt das Komitee fest, daß von Seiten des peruanischen Staats [im Original: the State party] keine Informationen zur Verfügung gestellt wurden, die Herrn Polay Campos' Haft im Gefängnis Castro Castro in Yanamayo vom 22. Juli 1992 bis zum 26. April 1993 oder die Umstände seiner Verlegung zur Marinebasis Callao betreffen. Dahingegen stellte der Staat Informationen über die Haftbedingungen des Opfers nach seiner Verlegung nach Callao zur Verfügung. Das Komitee hält es für angemessen, diese beiden Haftperioden getrennt zu behandeln.

Inhaftierung vom 22. Juli 1992 bis 26. April 1993 und Verlegung von Yanamayo nach Callao

Die Verfasserin [der Eingabe beim Menschenrechtskomitee, Victor Polays Ehefrau] gibt an, daß Victor Polay Campos in der Zeit von seiner Ankunft im Gefängnis in Yanamayo bis zu seiner Verlegung in die Marinebasis Callao in Totalisolation [Incommunicado-Haft] gehalten wurde. Der peruanische Staat hat diese Anschuldigung nicht widerlegt, noch hat er bestritten, daß es Herrn Polay Campos nicht erlaubt gewesen ist, in dieser Zeit mit irgend jemandem zu sprechen oder ihm zu schreiben - was zugleich bedeutet, daß es ihm nicht möglich war, mit einem Rechtsvertreter zu sprechen -, und daß er in seiner unbeleuchteten Zelle 23einhalb Stunden täglich bei Minustemperaturen [freezing temperatures] gefangengehalten wurde.

Nach Ansicht des Komitees stellen diese Bedingungen eine Verletzung von Artikel 10, Absatz 1 der Konvention dar.

Die Verfasserin gibt an, daß ihr Ehemann bei seiner Verlegung zur Marinebasis Callao geschlagen wurde und ihm Elektroschocks verabreicht wurden. Zudem sei er dabei vor den Medien in einem Käfig zur Schau gestellt worden.

Obgleich der peruanische Staat sich zu diesen Vorwürfen nicht geäußert hat, ist das Komitee der Ansicht, daß die Verfasserin ihre Anschuldigungen bezüglich der Schläge und des Verabreichens von Elektroschocks während der Verlegung nach Callao nicht ausreichend untermauert hat. Es kann dementsprechend in diesem Punkt keine Verstöße gegen die Artikel 7 und 10, Absatz 1 der Konvention feststellen.

Andererseits ist es unbezweifelbar, daß Herr Polay Campos während seiner Verlegung nach Callao der Presse in einem Käfig vorgeführt wurde.

Dies läuft nach Ansicht des Komitees auf eine erniedrigende Behandlung hinaus, die im Widerspruch zu Artikel 7 steht, und eine Behandlung, die unvereinbar ist mit Artikel 10, Absatz 1, da sie Herrn Polay Campos' unveräußerliche individuelle Menschenwürde mißachtet.

Haft in Callao vom 26. April 1993 bis zum jetzigen Zeitpunkt

Bezüglich der Haft von Victor Polay Campos in Callao geht aus den Akten hervor, daß ihm Besuche von Familie und Verwandten nach seiner Verlegung [im Original irrtümlich: Verurteilung] ein Jahr lang, das heißt bis zum 3. April 1994, verweigert wurden. Darüber hinaus war es ihm unmöglich, Korrespondenz zu empfangen oder zu verschicken. Letztere Information wird belegt durch einen Brief des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz an die Verfasserin, datiert auf den 14. September 1993, der darauf hinweist, daß Briefe von Herrn Polay Campos' Familie durch Rot-Kreuz-Vertreter während eines Besuchs bei ihm am 22. Juli 1993 nicht übergeben werden konnten, da die Übergabe und der Austausch von Korrespondenz noch immer verboten waren.

Nach Meinung des Komitees stellt diese totale Isolierung von Herrn Polay Campos für die Dauer eines Jahres und die Restriktionen, die über die Korrespondenz zwischen ihm und seiner Familie verhängt wurden, eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Artikels 7 dar und sind unvereinbar mit den Standards menschenwürdiger Behandlung, wie sie Artikel 10, Absatz 1 der Konvention verlangt.

Bezüglich der allgemeinen Haftbedingungen Victor Polay Campos in Callao hat das Komitee die detaillierten Informationen des peruanischen Staats zur Kenntnis genommen, die die medizinische Behandlung betreffen, die Herr Polay Campos erhalten hat und weiterhin erhält, ebenso sein Anrecht auf Erholung und Gesundheitspflege [sanitation], persönliche Hygiene, Zugang zu Lesestoff und die Möglichkeit zur Korrespondenz mit Verwandten. Von Seiten des Staats wurden keine Informationen unterbreitet hinsichtlich des Vorwurfs, daß Herr Polay Campos weiterhin in Einzelhaft gehalten wird in einer Zelle, die zwei mal zwei Meter mißt, und daß er außerhalb seines täglichen Sports [recreation] das Tageslicht nicht länger als zehn Minuten täglich sehen kann. Das Komitee ist ernsthaft besorgt über letztere Aspekte der Haft von Herrn Polay Campos.

Das Komitee befindet, daß die Haftbedingungen von Herrn Polay Campos, insbesondere seine Isolation für 23 Stunden täglich in einer kleinen Zelle und die Tatsache, daß er täglich nicht mehr als zehn Minuten Sonnenlicht erhält, eine Behandlung sind, die Artikel 7 und Artikel 10, Absatz 1 der Konvention widersprechen.

Der Gerichtsprozeß gegen Herrn Polay Campos

Bezüglich Herrn Polay Campos' Prozeß und seiner Verurteilung am 3. April 1993 durch ein Sondertribunal von "Richtern ohne Gesicht" wurden von Seiten des peruanischen Staats keine Informationen zur Verfügung gestellt - trotz der diesbezüglichen Nachfrage durch das Komitee in seinem Zulässigkeitsbeschluß vom 15. März 1996.

Wie vom Komitee in seinen früheren Stellungnahmen [...] angegeben, sind solche Gerichtsverfahren vor Sondertribunalen, die aus anonymen Richtern bestehen, unvereinbar mit Artikel 14 der Konvention. Es kann der Verfasserin nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie wenig Information über den Gerichtsprozeß gegen ihren Ehemann vorgelegt hat: Tatsächlich ist das System von Verfahren mit "Richtern ohne Gesicht" in entlegenen Gefängnissen bereits seinem Wesen nach darauf angelegt, die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen. In dieser Situation wissen die Angeklagten nicht, wer die Richter sind, die den Prozeß führen, und die Vorbereitung ihrer Verteidigung sowie die Kommunikation mit ihren Anwälten wird in unakzeptabler Weise behindert. Darüber hinaus kann mit diesem System ein zentraler Aspekt eines jeden fairen Gerichtsverfahrens im Sinne von Artikel 14 der Konvention nicht garantiert werden: daß das Tribunal unabhängig und unparteiisch sein muß und dies erkennbar zu sein hat. In einem System von Prozessen mit "Richtern ohne Gesicht" kann weder die Unabhängigkeit noch die Unparteilichkeit der Richter garantiert werden, da sich im Tribunal, das ad hoc gebildet wird, möglicherweise aktive Mitglieder der Streitkräfte befinden. Nach Ansicht des Komitees vermag ein solches System auch nicht die Unschuldsvermutung zu schützen, die von Artikel 14, Absatz 2 garantiert wird.

Bezüglich dieses Falles kommt das Komitee zu dem Schluß, daß die Absätze 1, 2 und 3 (b) und (d) des Artikels 14 der Konvention verletzt wurden.

Das Menschenrechtskomitee [...] ist der Ansicht, daß die dem Komitee unterbreiteten Tatsachen Verletzungen von Artikel 7 und Artikel 10, Absatz 1 der Konvention darstellen - bezüglich Herrn Polay Campos' Haft in Yanamayo, seiner öffentlichen Zurschaustellung in einem Käfig bei seiner Überführung nach Callao, seiner Haft in Totalisolation während seines ersten Haftjahres in Callao und die Bedingungen seiner weiterhin andauernden Haft in Callao -, außerdem eine Verletzung von Artikel 14, Absatz 1 hinsichtlich seines Prozesses vor einem Tribunal von "Richtern ohne Gesicht".

In Übereinstimmung mit Artikel 2, Absatz 3 (a) der Konvention ist der peruanische Staat verpflichtet, wirksame Abhilfe [effective remedy] für Herrn Victor Polay Campos zu verwirklichen. Das Opfer wurde auf der Grundlage eines Prozesses verurteilt, der ihm die grundlegenden Garantien für ein faires Gerichtsverfahren versagte.

Das Komitee ist der Ansicht, daß Herr Polay Campos freigelassen werden sollte, sofern das peruanische Gesetz keine Möglichkeiten für ein neues Verfahren bietet, welches die durch Artikel 14 der Konvention verlangten Garantien bietet.

Den Umstand in Betracht ziehend,

- daß der peruanische Staat [im Original: the State party], indem er Partei des optional protocol wurde, die Zuständigkeit des Komitees anerkannt hat, zu bestimmen, ob es eine Verletzung der Konvention gegeben hat oder nicht,

- und daß - gemäß Artikel 2 der Konvention - der peruanische Staat sich verpflichtet hat, allen Individuen, die sich auf seinem Territorium befinden und Gegenstand seiner Rechtssprechung sind, die durch die Konvention anerkannten Rechte zu garantieren und eine wirksame und durchführbare Abhilfe [effective remedy] zu gewährleisten, wenn es eine Verletzung dieser Rechte gegeben hat, wünscht das Komitee von Seiten des peruanischen Staats innerhalb von 90 Tagen Informationen darüber zu erhalten, welche Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Urteil des Komitees Rechnung zu tragen.

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