Geiselnahme per Telefon!

Gegen den in Hamburg lebenden Sprecher der peruanischen Guerillaorganisation MRTA, Isaac Velazco, und die peruanische Menschenrechtsaktivistin Ada Beráun werden immer größere justizielle Geschütze aufgefahren. Nachdem das im vergangenen September von der Hamburger Innenbehörde ausgesprochene politische Betätigungsverbot gegen Isaac Velazco noch immer nicht rechtskräftig ist, hat die Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) nun ein Strafverfahren gegen das Ehepaar eröffnet. Eine Verurteilung könnte 15 Jahre Knast und Aberkennung der Asylberechtigung bedeuten.

"Daß es sich bei dem blinden Folteropfer aus Peru um einen offenbar gefährlichen Terroristen handeln könnte, hat man in Hamburg offenbar monatelang nicht gesehen oder nicht sehen wollen ... Generalbundesanwalt Kai Nehm sah das offenbar
anders." Hamburger Abendblatt, 6. 5. 98

Auf der Jagd

Mehr als ein Jahr nach der mit einem Massaker an den Guerilleros beendeten Residenzbesetzung in Lima will der Generalbundesanwalt entdeckt haben, daß die MRTA-Aktion von Hamburg aus mitgeplant und unterstützt worden sei. Am 5. Mai inszenierte er eine medienwirksam zur "Guerilla-Jagd" (Mopo, 6. 5. 98) hochstilisierte, neunstündige Durchsuchung der Wohn- und Arbeitsräume des Ehepaars Velazco/Beráun und ließ das BKA zahllose Arbeitsmaterialen mitnehmen. Der Presse gegenüber erklärte die BAW, man werfe den beiden "Geiselnahme" und "erpresserischen Menschenraub" vor. Sie würden verdächtigt, während der Residenzbesetzung von Hamburg aus Kontakt zu den Besetzern gehabt zu haben. Außerdem hätten sie die Geiselnahme "propagandistisch (!) unterstützt". Öffentlich hätte Isaac Velazco angekündigt, die gefangenen Botschaftsgäste würden im Fall einer Erstürmung erschossen, er habe damit "Druck auf die peruanische Regierung" ausgeübt.

Die BAW schien ihren eigenen "Verdacht" nicht so recht ernst zu nehmen und hatte nicht nur keine
Haftbefehle vorzuweisen, sondern verzichtete auch auf eine Vernehmung der Beschuldigten. In erster Linie ging's ihr wohl um ein außenpolitisches Signal - wie ja auch das politische Betätigungsverbot mit dem Hinweis begründet worden war, durch Isaac Velazcos öffentliche Äußerungen bestünde "eine erhebliche Gefährdung der außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland". Ein Staat, der immer mehr in die Rolle des Weltpolizisten hineindrängt, muß eben beweisen, daß er sein eigenes Haus sauber halten kann. Für die beiden Aktivisten, deren Öffentlichkeitsarbeit man zum schwerstkriminellen Akt machen will, steht mit dem Verfahren einiges auf dem Spiel: Eine Verurteilung könnte 15 Jahren Gefängnis und Aberkennung der Asylberechtigung bedeuten.

Neben der außenpolitischen Wirkung scheint die BAW Ziele zu verfolgen, die sonst für §129a-Verfahren (Mitgliedschaft in, Unterstützung von, Werbung für eine terroristische Vereinigung) typisch sind: Ausschnüffeln von Zusammenhängen durch Beschlagnahmungen in einem Verfahren, das aller Voraussicht nach eh eingestellt wird, Erschwerung der politischen Arbeit durch repressive Maßnahmen (z. B. Wegnehmen von Arbeitsmaterialien), Schaffung eines von Hysterie geprägten öffentlichen (Feind-)Bilds und Einschüchterung. Die BAW ist übrigens für Verfahren wegen Geiselnahme bzw. erpresserischem Menschenraub gar nicht zuständig, in Wirklichkeit haben wir es hier wohl mit einem verdeckten 129a-Verfahren zu tun. Schon Anfang letzten Jahres hatte die BAW versucht, die MRTA-Vertretung zur terroristischen Vereinigung zu erklären - was bereits daran scheiterte, daß eine Person allein keine "Vereinigung" sein kann.

Verbote, Verbote, Verbote

Für die internationalen Aufstandsbekämpfungs-ExpertInnen gilt es, schon die Öffentlichkeitsarbeit von Befreiungsorganisationen zu verhindern. Das im vergangenen September verhängte politische Betätigungsverbot für Isaac Velazco (das solange nicht rechtskräftig werden kann, wie die von Velazco eingereichte Klage noch nicht verhandelt ist) ist ein Versuch dazu gewesen. Er steht in einer ganzen Reihe von Versuchen der Gängelung und der Verhinderung von Öffentlichkeitsarbeit:

- Wie dem "Hamburger Abendblatt" zu entnehmen war, kam es im vergangenen Jahr zu einer Begegnung Isaac Velazcos "mit Staatsschützern, die ihn in seiner Wohnung aufgesucht und vor den politischen Konsequenzen seiner Solidaritätsbekundungen gewarnt hatten" (HA, 6. 5. 98)

- Die deutsche Botschaft in Lima drückte der Mutter Ada Beráuns einen Stempel in den Paß, der besagt, sie sei für fünf Jahre in der BRD unerwünscht.

- Das Auswärtige Amt verweigerte einer Gruppe von Müttern von bei der Residenzerstürmung getöteten MRTA-Mitgliedern die Einreise. Sie befanden sich auf einer Rundreise mit Vertreterinnen der "Mütter von der Plaza de Mayo", einer argentinischen Organisation von Angehörigen Verschwundener. Wegen des Einreiseverbots konnten sie u. a. einen Termin beim Menschenrechtsausschuß des Bundestags nicht wahrnehmen.

- Die peruanische Regierung beantragte die Auslieferung Isaac Velazcos (der in Peru wegen "Vaterlandsverrats" mehrfach zu lebenslanger Haft verurteilt ist).

- Die Schweiz, die auch Sitz des UNO-Menschenrechtsausschusses ist, sprach einige Tage vor der Hausdurchsuchung ein bis 2002 gültiges Einreiseverbot gegen Isaac Velazco aus. Für eine Bearbeitung des Widerspruchs verlangte sie einen "Kostenvorschuß auf zu erwartende Verfahrenskosten" über umgerechnet 600 Mark.

Perus politische Gefangene

Diese beiden Repressionsmaßnahmen des schweizerischen und des deutschen Staats fanden just zu dem Zeitpunkt statt, an dem die MRTA-Gefangenen in Perus Knästen im Hungerstreik waren. Er sollte verhindern, daß die peruanische Regierung von der internationalen Öffentlichkeit unbemerkt ein weiteres Massaker unter den Inhaftierten vorbereiten könne. Zudem richtete er sich gegen die Politik einer schleichenden Ermordung der Gefangenen. Perus politische Häftlinge werden physisch und psychisch gefoltert. Viele sind rund ums Jahr Temperaturen um den Gefrierpunkt ausgesetzt. Manche in Isolationshaft gehaltene Gefangene sind in, teils fensterlose und unbeleuchtete, Zellen von sechs Quadratmetern Größe eingesperrt. Das Essen ist meist zu wenig oder ungenießbar.

Diese Haftbedingungen haben sich auch nach der Beendigung des Hungerstreiks am 12. Mai kaum verbessert. Anders als vor dem Streik kann nun das Rote Kreuz zu den Gefangenen. Außerdem ist den Angehörigen jetzt einmal pro Woche ein Besuch gestattet. Da die Häftlinge aber nach wie vor in Hochsicherheitsknästen in entlegenen Gebieten einsitzen, müssen Verwandte für jeden Besuch mehrere Tage Reise auf sich nehmen.

Und wir?

Isaac Velazco und Ada Beráun gehören zu den wenigen oppositionellen Stimmen aus Peru, die die internationale Öffentlichkeit über die Situation in dem südamerikanischen Folterstaat informieren. Die beharrlichen Bemühungen, sie zum Schweigen zu bringen, sind auch ein Angriff auf unser Informationsrecht. Doch diese Bemühungen zielen nicht nur darauf, Berichte über die Zustände im "demokratischen" Peru und die Folgen der neoliberalen Politik der großen Wirtschaftsmächte zu unterdrücken - Berichte über Todesschwadrone, extralegale Hinrichtungen, Folter, 5000 politische Gefangene und 13 Millionen Menschen, die von weniger als einem Dollar täglich leben müssen. Sie verfolgen auch das Ziel, den Befreiungskampf im Trikont von hier aus mit zu bekämpfen.

Solidarität mit den Befreiungsorganisationen in den drei Kontinenten! Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Redefreiheit für Isaac Velazco!

Sofortige Einstellung des Strafverfahrens gegen ihn und Ada Beráun, sofortige Rückgabe der beschlagnahmten Sachen!

Die Terroristen sitzen in der Regierung Fujimori, nicht in Hamburg.



Rote Hilfe e. V.

Postfach 306 302

20329 Hamburg