Rede von Udo Hergenröder am 12. 11. 01 in Dahlenburg

Hier im Innern des Landes

Der Castor kommt, und die meisten hier in der Region schauen weg. Nach dem Motto "Augen zu und durch, ab in die Kartoffelscheune in Gorleben" wird von den Herren dieses Fleckens - vom Bürgermeister und dem Gemeinderat bis zu Feuerwehr und Kirchenvorstand - die Polizei unterstützt, der Besatzungszustand toleriert und die atomare Gefahr ignoriert.

Umso mehr freuen wir uns - die Gegner dieses Atomstaates, die in dieser Gegend die absolute Minderheit bilden - sind wir unheimlich froh, dass in diesen Tagen so viele Menschen hierher gekommen sind, sich mit uns dem Castor entgegenzustellen und die Mehrheitsverhältnisse umzudrehen.

Hier zwischen Lüneburg und dem Wendland liegt das klassische deutsche Hinterland, das ruhige, das behäbige, das bräsige. Hier im Innern des Landes, wo die Schützen und die Jäger das Sagen haben, wo öffentliche Gelöbnisse von Hunderten Panzergrenadieren lauthals beklatscht werden, wo die CDU in absoluten Mehrheiten schwimmt, wo ätzende Hühnerscheiße und andere Gifte tonnenweise auf die Felder gekippt werden - hier machen wir in diesen Tagen aus dem ruhigen das unruhige Hinterland, einen Aufstand gegen das ignorante Spießertum, drehen wir die Verhältnisse ein wenig um.

Unsere Widerstandsorte sind die 54 km lange Gleistrecke von Lüneburg nach Dannenberg und die parallel laufende Nachschub-Ader B 216. Hier ist Platz für viele und vieles. Da wollen wir in den nächsten Stunden Zeichen setzen gegen die ständige Weiterproduktion von Atommüll, wollen wir das Durchkommen des Castor-Transports so schwierig und so teuer wie möglich gestalten.

Und wir wollen deutlich machen, dass uns die Verhältnisse dahinter so nicht passen - die ökonomischen und die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die rücksichtslose Entwicklung und Durchsetzung einer solch lebensverachtenden Technologie wächst und gedeiht. Auch dagegen richtet sich unser Widerstand.

Die Bahnstrecke Lüneburg-Göhrde-Dannenberg, einst dem deutschen Kaiser für Lustfahrten und Militär-Transporte erbaut, wird heute nur noch für die Castor-Transport erhalten - so sagen es sogar Zugführer der Deutschen Bahn AG. Es verkehrt zwar noch eine sog. Regional- bahn, aber das ist eher eine Geisterbahn, meist mit weniger als fünf Reisenden. So die DB AG in diesen Tagen auch problemlos den Zugverkehr einstellen können - zugunsten des Castor-Transports.

Die Deutsche Bahn AG - Nachfolge-Unternehmen der Deutschen Reichsbahn und zuständig für Menschen- und Material-Transporte in den Tod der beiden Weltkriege und der Konzentrationslager - ist eben auch jetzt zu jeder Schweinerei bereit. Und daher auch unser Gegner.

Der Castor kommt, die Demokratie geht. Das war der Titel einer Veranstaltung, die wir im August hier abgehalten haben. Gemeint war mit diesem Titel nicht ein Lob dessen, was hierzulande Demokratie genannt wird. Gemeint war vielmehr, dass der Castor-Transport nur durch Außerkraftsetzen der bestehenden Grundrechte, auf die Kanzler Schröder und andere Heuchler angeblich so stolz sind, durchgesetzt werden kann. Oder andersherum: Würden Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung, körperliche Unversehrtheit, Menschenwürde u. a. tatsächlich geachtet und eingehalten und nicht massiv gebrochen, hätte der Castor überhaupt keine Chance, durchzukommen, würden die Atom- Kraftwerke an ihrem Müll ersticken und müssten längst abgeschaltet werden.

Aber das ist eben ihr Rechtsstaat, der sich ansonsten gut zur Rechtfertigung von Kriegen eignet. Wenns hier um Macht und Profit geht, zählen die Grundrechte einen Dreck.

Es gibt aber mitunter noch Situationen, wo auch wir mal Recht bekommen. Selten genug. Vielleicht Zufall. Aber das gibt's. So geschehen im September mit dem Freispruch 1. Klasse eines Dahlenburger Castorgegners durch das Amtsgericht Lüneburg. Es hört sich an wie erfunden, ist aber wirklich folgendermaßen passiert:

Am 28. März 2001, kurz nachdem der letzte Castor-Transport nach 16 Stunden Stillstand den Bahnhof Dahlenburg wieder verlassen hatte, überfiel eine Essener Polizeieinheit die Infowiese in Dahlenburg mit massivem Knüppel-Einsatz, Pfeffer-Spray, Ventile- Abschneiden von Demonstranten-Autos und einigen Festnahmen. Bereite 6 Wochen später erhielt besagter Castor-Gegner eine Anklage wg. Gefährlicher Körperverletzung und einen Prozesstermin schon nach 4 Wochen. Sie hatten es eilig, wollten eine schnelle Aburteilung. Die Anklage: Der Castorgegner habe einen Polizisten beim Ventile-Abschneiden zweimal getreten und dieser sich dabei in den Daumen der linken Hand geschnitten. Ein sog. Geschädigter Polizist, drei Polizei-Zeugen. Alle vier gaben wortgleiche Abläufe zu Protokoll mit denselben Schreib- und Satzfehlern, machten vor Gericht nahezu wortgleiche Aussagen den natürlich "schwarz" gekleideten Angeklagten. Bis sich durch andere Zeugen- Aussagen und Recherchen herausstellte, es war alles erstunken und erlogen. Es war nicht die linke, sondern die rechte Hand verletzt worden, und zwar durch eigenes und nicht durch Fremdverschulden. Folge war der genannte Freispruch 1. Klasse. Zitat aus der Urteils-Begründung:"Das Gericht ist der Auffassung, dass die Polizeibeamten Falschaussagen Gemacht haben, bzw. zugunsten ihres Kollegen Meineide geschworen haben. Als Hintergrund lässt sich vermuten, dass sich der Einsatz eben nicht so, wie von den Beamten Dargestellt, abgespielt hat. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, dass die Polizeibeamten entweder die Nichtverhältnismäßigkeit ihres Einsatzes oder andere Dinge während des Einsatzes verbergen wollten."

Wir gestehen, über diesen Richterspruch haben wir uns richtig gefreut. Auch wenn wir Wissen, dass in 999 von 1000 ähnlich gelagerten Fällen das Lügen-Konstrukt der Polizei Funktioniert und aufgeht. Diesmal gings daneben, ein kleines Lehrstück mit Einblick in die Polizei-Taktik.

Und dann diese Konflikt-Manager, arme Würstchen, angeblich psychologisch geschult, ohne jeden Durchblick, ohne irgendwelchen Einfluß. Ein PR-Gag der Polizeiführung, der bei der Presse gut ankommt. Absoluter Unsinn, denn es gibt zwar den Konflikt, aber nichts, was da zu managen wäre. Sie wollen den Castor ohne jedes Hindernis durchkriegen - wir wollen ihn mit jedem Hindernis aufhalten. Das steht so unversöhnlich gegeneinander wie Feuer und Wasser, da gibt's nichts zu vermitteln. Der Konflikt sind die Transporte, sind der ungehemmte Weiterbetrieb der Atomanlagen und die ständige Weiterproduktion von Atommüll. So lange sich das nicht ändert, wir das nicht ändern - (oder die Bullen zu uns überlaufen) - wird dieser Konflikt bestehen.

Auch wenn der regierende Polizeipräsident Reime dies 1000mal beschönigt und vor der Presse davon träumt, die noch ausstehenden 150 Castor-Behälter ohne Widerstand und Polizei-Begleitung nach Gorleben rollen zu lassen. Aber so viel können wir voraussagen: Daraus wird garantiert nichts Denn gegen diesen Albtraum des Herrn Reime stehen unsere Lebensträume, unser Traum von einer anderen Gesellschaft, in der solch menschenver- achtende, gewalttätige Technologie mit Castor-Transporten als Begleiterscheinung und repressiver Verwertungslogik dahinter keinen Raum mehr haben, nicht mehr möglich sind.

Dafür machen wir Widerstand. Dafür riskieren wir Widerstand. Gemeinsam, entschlossen und solidarisch.

Vor dem Castor ist für vieles und für viele Platz. Laßt uns den Platz nutzen.