AKW-Stade stillgelegt!

GRÜNE zelebrieren die Abschaltung werbewirksam als ihren Erfolg.


Am Freitag, den 14.11.03 wurde das zweitälteste in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Deutschlands, das AKW-Stade [ 1 ], nach fast 32 Jahren Betriebszeit endgültig abgeschaltet.
Das ist zweifelsohne gut so, und auch ein Grund zur Freude. Eine alte Forderung der anti-AKW-Bewegung: "Stillegung aller Antomkraftwerke - Stade zuerst!" hat sich damit teilweise erfüllt. Die Stillegung der anderen AKWs müßte jetzt unmittelbar folgen.
Nur dem wird nicht so sein, dagegen spricht der Konsensvertrag zwischen ROT-GRÜNER Regierung und Atomindustrie, in dem sich die Regierung für die Aufrechterhaltung des ungestörten Betriebs der AKWs für Jahrzehnte verpflichet hat.

Die GRÜNEN feiern die Stillegung als einen "symbolischen Meilenstein ROT-GRÜNER Energiepolitik". "Mit Stade beginnt sichtbar das Ende des Atomzeitalters", "die Atomenergie hat in Deutschland keine Zukunft mehr", kein Land steige so schnell aus der Atomenergie aus wie Deutschland, "der Atomausstieg geht Schritt für Schritt weiter und senkt die Menge des anfallenden Atommülls", 2020 werde hierzulande kein einziges AKW mehr Strom produzieren, verkündet der GRÜNE Bundesumweltminister Jürgen Trittin. "Der von ROT-GRÜN ausgehandelte Atomkonsens greift", stellt Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender der GRÜNEN, zufrieden fest.

Der E.on-Aufsichtsratsvorsitzende Walter Hohlefelder sieht das dagegen anders: die Stillegung sei aus rein wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Das kleinste von E.on betriebene AKW sei mit einer Größe von 630 Megawatt durch die Liberalisierung des Stommarktes "in die Unwirtschaftlichkeit gerutscht". E.on habe bereits im Oktober 2000 beschlossen, Stade vom Netz zu nehmen, also noch vor dem zwischen Energieversorgern und der ROT-GRÜNEN Bundesregierung ausgehandelten Atomkonsens. Stade wäre auch ohne eine entsprechende Vereinbarung stillgelegt worden.

Nach der Vereinbarung zwischen Bundesregierung (SPD/GRÜNE) und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 ("Atomkonsens") [ 2 ] dürfen mit den 19 zur damaligen Zeit in Betrieb befindlichen AKWs und dem 1987 durch Gerichtsbeschluß stillgelegten AKW Mühlheim-Kärlich 2.623,30 TWh Strom produziert werden. Das entspricht - auf die 19 AKWs umgerechnet - einer realistischen Laufzeit pro AKW von etwa 35 Jahren. Aber es sind nicht Laufzeiten für einzelne AKWs, sondern eine noch zu produzierende Gesamtstrommenge vereinbart worden, unabhängig davon, mit welchen AKWs sie produziert wird und unabhängig in welchem Zeitraum.
Weiter wurde vereinbart "für die verbleibende Nutzungsdauer den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung zu gewährleisten": Die Bundesregierung sichert "bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen den ungestörten Betrieb der Anlagen" zu und "sie wird keine Initiative ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskriminiert wird".
Der Konsensvertrag dient also zuallererst dem Bestandschutz der alten, sehr profitablen Anlagen. Sollte der Konsensvertrag erfüllt werden, so wird sich die Menge des bis dahin angefallenen hochradioaktiven Mülls verdoppelt haben. Aber es gibt für diesen Müll weltweit kein geeignetes Endlager, und ein solches ist aus naturwissenschaftlichen Gründen auch nicht vorstellbar. D.h. der jetzt schon vorhandene Müll stellt für das Leben auf der Erde eine unlösbare Belastung dar, und diese vergrößert sich mit jedem Tag, an dem neuer Müll produziert wird.
U.a. aus diesen Gründen ergibt sich für die Anti-AKW-Bewegung die Forderung nach dem sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie.
Wenn ein Atomkraftwerk wegen sicherheitstechnischer Mängel - wie z.B. derzeit Biblis A - nicht in Betrieb ist, kann es nach dem Konsensvertrag länger am Netz bleiben, solange bis sein Energiekontingent abgearbeitet ist. Oder wenn ein AKW früher als nach dem neuen Atomgesetz vorgesehen abgeschaltet wird - das AKW-Stade hätte noch bis Mitte 2004 laufen können - kann das Reststromkontingent auf andere AKWs übertragen werden und verlängert so die Laufzeit des betreffenden AKWs. Die Menge des anfallenden Atommülls wird also durch die vorgezogene Abschaltung nicht verringert.
Von solchen Bedingungen, wie sie im Atomkonsensvertrag festgelegt sind, wagte die Atomindustrie vorher nicht einmal zu träumen.

Niemand kann zur Zeit voraussagen, wann das letzte AKW in der Bundesrepublik abgeschaltet sein wird, auch nicht Jürgen Trittin. Wenn er von 2020 spricht ist das eine Propaganda-Lüge und Irreführung wider bessern Wissens. Und übrigends bis 2020 mit dem endgültigen Ausstieg aus der Atomenergieproduktion zu warten ist eine unverantwortliche Haltung. Eine Haltung, die die wirtschatlichen Interessen der Industrie höher bewertet als die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung. Und alles wird auch wieder offen sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen sich verändern, und das gilt auch für die GRÜNEN, da brauchen wir nur auf ihre diversen Sinneswandel in den letzten Jahren zurückzublicken - dann werden die Karten sowieso wieder neu gemischt werden.
»Die Industrie hält sich noch zurück, aber die Politik bereitet das Terrain: Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP) plädiert für den "Ausstieg aus dem Ausstieg". Denkbar sei eine Verlängerung der Laufzeiten auf 50 Jahre. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wurde noch deutlicher: Eine unionsgeführte Bundesregierung würde den Ausstieg rückgängig machen und der Industrie ermöglichen, "Kerkraftwerke so lange zu betreiben, wie sie wollen". Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt, fragt, "ob der Ausstieg so unverrückbar ist, wie einige glauben". Die Stromkonzerne warten ab. "Wir sehen uns an die Verständigung mit der Bundesregierung gebunden", sagte der Vorsitzende von E.on-Energie, Walter Hohlefelder. Wenn sich der Wind aber dreht, sieht die Sache anders aus. "Sollten sich die politischen Verhältnisse ändern und die Atomkraft eine Renaissance erleben, könnten die Anlagen länger laufen", meint Karl-Wilhelm Otto von RWE-Power. Er spricht gar von 55 bis 60 Jahren Gesamtlaufzeit.« [ 3 ]

Über den Export von Atomtechnologie und den Bau von Atomkraftwerken durch deutsche Firmen im Ausland, oder über den Import von Atomstrom, oder über den Ausbau der Urananreicherungsanlage Gronau, oder den Bau von neuen Atomalagen wie Garching oder die diversen "Zwischenlager" usw., wird übrigens von Seiten der GRÜNEN geflissentlich hinweggesehen.
Jetzt, mit der Abschaltung des AKW-Stade wollen die GRÜNEN Erfolge herbeireden, um Konsens für ihre Politik in der Bevölkerung zu schaffen, um damit ihre politische Macht zu festigen - um nichts anderes scheint es ihnen zu gehen, sonst würden sie die wahren Verhältnisse nicht verschweigen.
Die GRÜNEN haben ihre Prinzipien, ihre Versprechungen, mit denen sie einmal angetreten sind schon lange und immer wieder neu über Bord geworfen - das nennen sie dann Realpolitik. Sie sind an Kriegen, am zur Zeit stattfindenden Sozialraub beteiligt, sie sind für den Bestandschutz der alten AKWs und damit für die permanente Gefährdung der Bevölkerung mit verantwortlich.

Über die Möglichkeiten durch Argumente, Einfluß auf parlamentarische Entscheidungen zu nehmen, sollten wir uns keine Illusionen machen. Macht dient zuallererst immer dem Machterhalt. Und das Dialogangebot von Seiten der Macht findet so immer nur statt, um die KritikerInnen zu integrieren.
Die Auseinandersetzung um eine Welt, in der der Mensch und nicht die ökonomische Rationalität im Mittelpunkt politischen Handelns steht, wird sich sicher nur im Rahmen einer ausserparlamentarischen Opposition/Bewegung führen lassen - das hat die Geschichte immer wieder gezeigt.


Fritz Storim - November 2003
(Label:AntiAKW2003, DateiName: StadeAb141103, überarbeitet: 16.11.03)






[ 1 ] AKW-Stade: Druckwasserreaktor, Betriebsbeginn 1972, 630 Megawatt Leistung. Das AKW gehört zu zwei Dritteln E.on und zu einem Drittel dem schwedischen Vatenfall-Konzern, zu dem seit 2002 auch die HEW gehören.
Nur das AKW-Obrigheim befindet sich länger in Betrieb (seit 1968 am Netz). Das jüngste AKW Neckar-2 ging 1989 ans Netz.

[ 2 ] Ausführlicher, s. www.MAUS-Bremen.de (Text-Archiv).
Das neue Atomgesetz wurde am 14. Dezember 2001 im Bundestag gegen die Stimmen der Opposition beschlossen und trat am 27. April 2002 in Kraft.

[ 3 ] nach Weser Kurier vom 14. 11. 03.