Die Globalisierung der Ökonomie oder die Ökonomisierung des Globus

Hauke Benner, Berlin, November '98



Versuch, einige Aspekte der Globalisierung der Weltwirtschaft zu veranschaulichen und Erklärungsansätze zu liefern

Inhalt:

Vorwort

1 Was ist unter Globalisierung zu verstehen?

1.1. Übersichtstabelle über die Position einiger wichtiger AutorInnen

1.2. Was ist das strukturell Neue an der Globalisierung?

1.3. Die Globalisierung ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen ...

2. World wide sourcing und die Atomisierung der ArbeiterInnenklasse

2.1. Die Auflösung der fordistische Produktionsweise

2.2. Die Deregulierung des Weltarbeitsmarkts

2.3. Die Globalisierung der Wertschöpfungskette

2.4. Der Klassenkampf von oben&

2.5. Der Abtritt der Klasse

2.6. Die Atomisierung der ArbeiterInnenklasse

2.7. Der Trikont liegt auf der Schattenseite...

2.8. Die Agrarindustrie vernichtet die bäuerliche Subsistenz

3 Die Globalisierung der Finanzmärkte

3.1. Die Macht der Finanzmultis

3.2. Ist der Finanzmarkt vom realen Markt entkoppelt?

3.3. Wieviel Macht haben noch die Notenbanken?

3.4. Staatsschulden und Devisenspekulation gehören zusammen

4 Die neue Form der Macht, die Global Players

4.1. Der langsame Abtritt der Nationalstaaten

4.2. Das M.A.I.-Abkommen

4.3. Noch ist der Staat aber kein Papiertiger...

4.4. Die neuen Diktaturen

4.5. Ausblick auf 1999

5 Eine erste Schlußfolgerung: Die Zukunft der Illusion

6 Was sind die Alternativen?

7. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis und verwendete Abkürzungen

Vorwort

An dieser Arbeit habe ich über Monate geschrieben, immer mehr dann wenn ich neben meiner Erwerbsarbeit und Politarbeit mal die Ruhe fand, das Zusammengedachte und Zusammengelesene aufzuschreiben. Angefangen habe ich im Frühjahr, als noch der Neoliberalismus in aller Munde war, Kohl noch das Zepter in Bonn innehatte und die Asienkrise wie ein fernes Erdbeben nur zu geringen Erschütterungen der europäischen Wirtschaft und ihrer Idologieproduzenten führte.

Im Laufe des Sommers drehen sich die Winde. Der russische Rubel geht in den freien Fall über, das neoliberale Sanierungsmodell droht auf dem Misthaufen der Geschichte zu landen. Die Herbsttagung des IWF in Washington offenbart eine erstaunliche Ratlosigkeit der mächtigsten Herrn der Welt. Ihre Rezepturen zur Bewältigung der Krisen in Asien und in Rußland sind mehr oder weniger alle gescheitert, von Aufschwung bzw. Wiederher-stellung des Wohlstands keine Spur. Die Herrn "saßen ratlos in der Zirkuskuppel" charakterisierte die ''International Herald Tribune' treffend die Stimmung in Washington.

Kurz danach übernimmt Oskar Lafontaine die bundesdeutsche Finanzpolitik und proklamiert seitdem rund um den Globus eine aktivere Rolle der Zins- und Geldpolitik der nationalen Notenbanken und erklärt den Geldspekulanten den Krieg. Scheinbar auf Biegen und Brechen versucht er seinen alten Rivalen Tietmeyer von der Bundesbank zu einer Zinssenkung zu zwingen. Plötzlich ist der Neoliberalismus out und selbst der 'Tagesspiegel' erweist J.M. Keynes auf einer Seite des Wirtschaftsteils seine Referenz. Auch die einflußreiche US-Wirtschaftszeitung 'Business Week' wittert Ungemach und schreibt: "Das amerikanische Modell wird überall attakiert (...). Zunehmend gilt der freie Markt als Wachstumshemmnis, und die Staaten wenden sich von diesem Prinzip ab, um Maßnahmen gegen eine Vernichtung von Werten zu treffen, wie sie kaum zuvor stattgefunden hat."

Doch wie erfolgversprechend ist eine Theorie aus der Mottenkiste des mal wieder krisengeschüttelten Kapitalismus? Japan kopiert den alten Keynes und gibt in einem Milliardenprogramm an alle japanischen KonsumentInnen Gratisgutscheine aus, doch der Konjunkturmotor stottert weiter vor sich hin.

Ende November wird bekannt, daß die 'Deutsche Bank' für 17 Milliarden DM den US-Bankenkonzern 'Bankers Trust' aufkauft und damit zur unumstrittenen Nr. 1 in der Welt des Finanzkapitals aufsteigt. Wie machtvoll ist angesichts dessen der Herr Tietmeyer und seine Bundesbank eigentlich noch? Schon im Frühherbst bei dem Fastzusammenbruch des US-amerikanischen Finanzfonds LTCM machten die großen Bankmultis binnen Tagen mehr als 4 Milliarden locker um einen Dominoeffekt, nämlich den Anschlußkonkurs mehrerer nord-amerikanischer und europäischer Großbanken zu verhindern. Der schweizerische Bankmuliti 'UBS' mußte trotzdem 1 Milliarde $ Verluste einstecken und auch die Deutsche Bank war mit 500 Millionen dabei. Überall ziehen die Finanzinstitute ihre Gelder ab, überall wird laut über die verschärfte Kontrolle der auf hohes Risiko setzenden Geldspekulanten nachgedacht und eine Devisensteuer erwogen. Scheinbar ist die Globalisierung der Märkte mal wieder gerade auf dem Rückzug. Oder macht sie nur eine Atempause?

Nun denn, manches auf den nachfolgenden Seiten ist noch nicht so stimmig und konsistent, manches habe ich noch nicht so genau zu Ende durchgedacht. Auch manche Kritik von meinen GenossInnen ist noch nicht so richtig berücksichtigt. Doch hoffentlich regt das Papier auch so, in seiner Rohform, zur Debatte an!

1. Was ist unter Globalisierung zu verstehen?

Alle Welt redet über die Globalisierung. Börsenboom, Börsenkräche, die hohe Arbeitslosigkeit in der EU, die Asienkrise, die Rußlandkrise – alles wird mit dem Zauberwort 'Globalisierung' erklärt. Unermeßlicher Reichtum für die Wenigen auf der Sonnenseite und schreiende Armut für die Vielen auf der Schattenseite – fortgesetzte gesellschaftliche Ungleichheit und eine extreme Polarisierung der Wohlstandsverteilung sowohl in den Metropolen wie zwischen Nord, Süd und Ost. Alles geht auf das Konto der Globalisierung. Politiker rechtfertigen alles mögliche mit der Globalisierung, vorzugsweise den drastischen Sozialabbau für die Armen und Steuergeschenke für die Unternehmen und 'Leistungsträger'. Scheinbar ist kein Kraut dagegen gewachsen, keine noch so militärisch aufgerüstete Macht vermag sich gegen die Globalisierung zu wehren. Die Folgen sind hier in der BRD eine sich ausbreitende Ohnmacht und Zukunftsangst. Scheinbar sind Politik und Gesellschaft den Gesetzen des Weltmarkts hilflos ausgeliefert.

Also Gründe genug, den Schleier der Allmacht ein wenig zu lüften und die wahren Herrn zu benennen. Doch es ist gar nicht so einfach, verantwortliche Personen zu finden. Ich glaube, wir müssen schon in der ersten Annäherung an das Thema Globalisierung uns davon verabschieden, die eigentlichen Akteure und Strippenzieher hinter den Kulissen ausfindig machen zu können. Natürlich gibt es auch in der heutigen Weltwirtschaft Verantwortliche und ungeheuer Mächtige! Doch vielleicht hat erst die Globalisierung was auf den Begriff gebracht, was schon Marx herausgefunden hatte: Die Macht des Kapitals liegt in seiner Struktur, in den inneren Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Akkumulations- und Verwertungsprozesses – also übersetzt auf die heutigen Verhältnisse: die Macht liegt im Weltmarkt selbst.

Dies heben auch Narr/Schubert in ihrem Buch "Weltökonomie" hervor, die eigentliche Macht sei eine 'Nichtinstitution': der Weltmarkt: " 'Er' wirkt über seine größten vermittelten Vermittler, die transnationalen Konzerne, Einrichtungen wie der Weltbank und der Internationale Währungsfonds, die GATT-Vereinbarungen, die 'Basler' und andere Konkordate und nicht zuletzt die durch ihr Definitionsgewicht im Kontext des Welt-markts mächtigen Staaten zurück auf die Fülle von Klein- und Kleinstunternehmen, auf die nationalen, regio-nalen und lokalen Arbeitsmärkte, auf die Bildungsvorstellungen und die Berufsangebote." (Narr/Schubert, 25)

Wir werden im Verlauf der Argumentation sehen, zwar lassen sich sehr wohl Verantwortliche und Mächtige lokalisieren. Doch die spannende Frage ist, wie autonom sind diese 'Herrn der Welt' in ihrem Handeln, wie gefangen sind sie im Netz der Konkurrenz, des Weltmarkts – oder klassisch mit Marx gefragt: inwieweit sind sie nur "Charaktermasken" einer von ihnen sich unabhängig vollziehenden Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Verwertungs- und Akkumulationsprozesses?

Die These der Globalisierung der Weltwirtschaft als eine neue Entwicklung wird von verschiedenen Seiten politisch angegriffen. Abgesehen von der Neuen Rechten und den Rechtsradikalen, die die Wiederherstellung eines Großdeutschland und der nationalen Führungsmacht fordern, gibt es eine breite Palette von Kritikern auf der Linken. Angefangen von Vordenkern und Funktionären aus dem gewerkschaftlichen Spektrum über die 'Erfurter Erklärung', eines politischen Bündnisses von linken SozialdemokratInnen, PDS'lern und linken GewerkschafterInnen, bis zu linken Intellektuellen wie Altvater/Mahnkopf, Ebermann/Trampert oder Robert Kurz haben in den letzten drei, vier Jahren eine Unzahl von Warnern vor der dramatischen Folgen der Globalisierung und weltweiten Deregulierung ihr Stimme erhoben. Politisch am bedeutsamsten halte ich die Programmatik und die internationalistischen Aktivitäten gegen die WTO und das M.A.I. Darauf will ich erst am Ende meines Beitrages eingehen.

An dieser einleitenden Stelle interessieren zwei Argumentationsstränge, die mich überhaupt motiviert haben, genauer über das "Phänomen" Globalisierung nachzudenken: Einmal das Spektrum, das die neue Qualität der Globalisierung bestreitet und mit einer ideologiekritischen Argumentation vor der Globalisierung warnt, sie diene als Legitimiation für den weiteren Sozialabbau und Klassenkampf von oben (so u.a. Ebermann/Trampert oder Burchardt). Zum anderen diejenigen, die unter Anerkennung der neuen Qualität der Globalisierung trotzdem eine Rückkehr zur keynsianistischen Wirtschaftspolitik für möglich halten (hierfür stehen stellvertretend die Autoren der 'Erfurter Erklärung'). In beiden politischen Spektren wird an die Steuerungs- und Regulationsfunktion des Staates appelliert und der Rückzug des Staates aus der Sozial- und Wirtschaftspolitik im Zuge des vorherr-schenden Neoliberalismus beklagt.

Immer wieder überrascht bin ich, wie kritiklos einzelne zentrale wirtschaftspolitische Forderungen aus dem Gewerkschafts- und PDS-Spektrum auch in autonomen Kreisen positiv aufgenommen werden[ 1 ]. Allein deshalb finde ich es wichtig, ein wenig die 'Erfurter Erklärung' zu erörtern, die als Aufruf u.a. für die Demonstration und die Sternmärsche der 30.000 nach Berlin zum Alexanderplatz im Juni '98 diente.

Interessant an der 'Erfurter Erklärung' von Januar 1997 ist - die mit markigen Worten ("der Kalte Krieg gegen den Sozialstaat") die neoliberale Politik der Kohl-Regierung anprangert - was nicht drin steht: Vom 'Weltmarkt' oder von der 'Globalisierung' ist mit keinem Wort die Rede. Wortreich wird die Umverteilung von unten nach oben und die Massenarbeitslosigkeit kritisiert. Die Verantwortung für die Aufkündigung des "sozialen Konsens" wird der Regierung Kohl angelastet. Aus Sorge um die "Verantwortung für die soziale Demokratie" wird an PDS, SPD und Grüne appelliert, "den Wechsel mit allen Kräften" zu wollen, von der SPD wird erwartet "mehr Demokratie zu wagen" usw. usw. Zu IWF, WTO und Weltbank fällt den AutorInnen nur ein, die "sozialökologischen und demokratischen Rahmenbedingungen" zu verbessern. Insgesamt wird unter Bezug auf das Grundgesetz Artikel 14,2 ("Eigentum verpflichtet") an die Sozialstaatspflicht des Staates verwiesen und damit an die Wiederherstellung seiner Regulationsfunktion im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit ("Notstand an Arbeit herrscht") und Massenarmut. Ein wenig rätselhaft bleibt, wie diese Erklärung von solchen Wissenschaftlern wie Altvater mitunterzeichnet werden konnte. Gerade Altvater gehört zu denjenigen linken Wirtschaftswissenschaftlern, die detailliert die Umwälzungen der Weltwirtschaft im Zuge der Globalisierung in den letzten Jahren untersucht und dabei festgestellt haben, daß der sozialdemokratisch verfaßte Wohlfahrtsstaat durch die Globalisierung an seine (deregulierten) Grenzen gestoßen ist.

Die ideologische Variante der Kritik. In Deutschland ist die Globalisierungsdebatte sowohl bei konservativen und industriefreundlichen Politikern wie in gewerkschaftsnahen Kreisen ideologisch stark aufgeladen. In gewerkschaftsnahen Kreisen findet sich immer wieder das Argument, daß der Welthandel schon 1914 größer war als 1979. Dabei wird übersehen, daß 1914 es getrennte Währungszonen der Kolonialmächte gab und der Außenhandel vor allem ein Handel mit den Kolonien darstellte. Autoren wie H.-J. Burchardt bestreiten in den ‘Gewerkschaftlichen Monatsheften’ schlichtweg die 'neue Qualität des Weltsystems': "Die These von der Globalisierung der Standorte erinnert darum eher an das in den siebziger Jahren entwickelte Konzept der Neuen Internationalen Arbeitsteilung, nach der die Unternehmen massiv zur Strategie des worldwide sourcing - der verwertungsoptimalen Aufspaltung von Fertigungsprozessen an internationalen Standorten - übergehen würden. Daß jenen Theorien in vielen Punkten praktisch und empirisch widerlegt wurden, scheint heute ebenfalls vergessen." (siehe ebenda 7/97, S. 400) Burchardt läßt die Leserin dann aber leider im Dunkeln, mit welchen Argumenten und empirischen Material die Theorien aus den 70 ern widerlegt wurden. Desweiteren wehrt sich der Autor gegen die These der neuen Eigenständigkeit, Dynamik und Mobilität des Finanzkapitals und die Nichtbeeinflußbarkeit durch eine nationale Zinspolitik mit dem Verweis auf den Börsencrash 1929, der schon damals zur einer Weltwirtschaftskrise geführt habe. Laut Burchardt verzeichnet die Globalisierungsthese erhebliche kategoriale und analytische Defizite und sie "scheint eher das ideologische Konstrukt eines neoliberalen Konzepts zu sein" (408).

Vier Monate zuvor hatte Michael Schneider ebenfalls in den 'Gewerkschaftlichen Monatsheften' genau das Gegenteil beschrieben und den freiwilligen Rückzug des Staates in der Finanzpolitik beklagt: "so haben die Regierungen selbst alle Schranken niedergerissen, die ehedem den grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehr regierbar und einigermaßen beherrrschbar machten" (3/97, S. 161). Schneider rief zu Bildung einer neuen "Außerparlamentarischen Opposition bzw. Bürgerbewegung,, welche den Reformparteien Dampf macht" (S. 168) auf. Das war dann den Herausgebern wohl doch etwas zu radikal und deshalb holte Burchardt zu einem Rundumschlag gegen die These vom Rückzug des Staates aus; denn das ist der Kern seiner Kritik an der Globalisierungsthese und zugleich die Hauptsorge vieler linker Gewerkschaftsfunktionäre, das der Staat sich im Zuge der Globalisierung selbst entmachtet, und damit eine Wiederherstellung eines sozial-demokratischen Wohlfahrtsstaates nicht mehr möglich ist. Burchardt wie anderen Autoren geht es um den Nachweis der fortbestehenden Handlungsspielräume für den Nationalstaat insbesondere in der Geld- und Währungspolitik. Sie fordern die Neuauflage eines keynsianistischen Wirtschaftsprogramms mit deutlich mehr staatlichem Engagement und höheren Löhnen (ebenda, Seite 397ff).

In einer längeren Rezension der in der Übersichtstabelle zitierten Studie des HWWA (Härtel, Jungnickel) in der ‘FR’ vom 30.1.97 spricht Ulrich Dolata vom "Phantom der Globalisierung". Er beruft sich dabei auf die Kernaussagen der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler, die den Welthandel der deutschen Konzerne bis Anfang der 90er Jahre untersucht haben. Der deutsche Außenhandel ist "eher durch eine nachhaltige Europäisierung als durch eine fortgeschrittene Globalisierung geprägt" (Dolata). [ 2 ] Auch bei den strategischen Allianzen sieht Dolata keine Globalisierung: "Eine signifikante Internationalisierung (...) strategischer Allianzen läßt sich auch im Weltmaßstab für die vergangenen zehn Jahre nicht nachweisen". Bislang kann "nur ein schmaler Sektor der deutschen Wirtschaft als im wirklichen Sinne des Wortes globalisiert betrachtet werden". Für Dolata ist das insbesondere die Chemiebranche. Schon ein wenig überraschend ist, daß er mit keinem Wort den Finanzmarkt erwähnt, sonst könnte er seine Europäisierungsthese wohl nicht aufrechterhalten. Selbst die von ihm hochgelobten HWWA-Forscher sind vorsichtiger in ihrer zum Schluß geschriebenen Zusammenfassung. Dort schränken sie ihre Hauptthese ("es gibt keinen generellen Globalisierungstrend") beim Thema "global-sourcing" wieder ein: "Allerdings dürfte die Auslandsbeschaffung in den statistisch noch nicht erfaßten vergangenen drei bis vier Jahren deutlich gestiegen sein" (S.23).

Der IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche bringt die Position vieler linker GewerkschafterInnen auf den Punkt: "Man muß endlich die Globalisierungsdebatte entmystifizieren, sie ist wider alle wirtschaftliche Realität." Dieses Wegreden hilft den Gewerkschaften und ihrem wissenschaftlichen Think-Trust allerdings keinen Millimeter aus der selbstverschuldeten Sackgasse der antiinternationalistischen und fehlenden antikapitalistischen Politik der deutschen Gewerkschaften seit ihrer Wiedergründung 1949. Trotz allen programmatischen Getöses ist das die Real-Politik der seit der Kaiserzeit von der SPD beherrschten Gewerkschaften: National, staatstreu und prokapitalistisch.

Auch die ‘konkret’-Autoren Ebermann und Trampert wittern hinter dem Globalisierungsgerede nur die ideologische Keule der Neoliberalen, die in immer neuen Facetten den Abbau des Sozialstaates verlangen und nur den Standort Deutschland für das deutsche Kapital stärken wollen. Ebermann/Trampert polemisieren gegen die These des US-Amerikaners Holloway, der den Nationalstaaten eine abnehmende Gestaltungskraft in der Wirtschaftslenkung im Zuge der Globalisierung nachgewiesen hat. Als orthodox-staatsfixierte Linke können und wollen Ebermann/Trampert solche Ketzereien nicht wahrhaben und sehen sich in einem Boot mit dem Gewerkschaftsinstitut WSI sitzen, die die Globalisierungsthese ebenfalls zurückweisen. [ 3 ]

Im Herbst 1998 tauchen aber auch in den 'Gewerkschaftlichen Monatsheften' neue Positionen auf, die vor einer politische Isolierung und Selbstentmachtung der Gewerkschaften durch das Ignorieren der Veränderungen im Zuge der Globalisierung auf dem Weltarbeitsmarkt warnen. Die "Gewerkschaftspolitik blieb bisher weitgehend der nationalen Perspektive verhaftet" wird in einem Aufsatz von W. Uellenberg-van Dawen kritisiert und die Gewerkschaften "müssen beginnen, in globalen Dimensionen zu denken, um Entwicklungen im nationalen Rahmen zu verstehen und damit auch beeinflussen zu können" (GMH, 9/98 Seite 564ff). Schonungslos legt der Mitarbeiter beim Bundesvorstand des DGB die Versäumnisse der Gewerkschaftspolitik auf den Tisch: Die Tatsache der "Entgrenzung nationaler Arbeitsmärkte, auf die die Gewerkschaften bisher überhaupt keine Antwort gefunden haben", führt dazu, daß die "Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften bei Arbeitskämpfen ins Leere laufen kann." (ebenda S. 568)

Bevor wir uns genauer u.a. mit dieser "Entgrenzung" nationaler Arbeitsmärkte und seinen Folgen beschäftigen, möchte ich in einer kleinen Übersicht einige AutorInnen und deren Positionen zu verschiedenen Aspekten der Globalisierung vorstellen.

1.1. Zu der Übersicht:

Die Übersicht führt einige namhafte AutorInnen und in der BRD vielgelesene Bücher auf. Sie soll als erste Annäherung an dieVielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des Themas Globalisierung dienen.

Bei der Lektüre sehr vieler Abhandlungen über die politischen und ökonomischen Aspekte der Globalisierung fällt auf, daß nur sehr wenige WissenschaftlerInnen sich darum bemühen, eine genauere Definition bzw. Beschreibung vornehmen, was sie unter den wirtschaftspolitischen Aspekten der Globalisierung verstehen und inwiefern diese sich von der herkömmlichen Tendenz der Internationalisierung des Kapitals unterscheiden. Sehr viele schwammige Formulierungen ersetzen allzuhäufig eine präzise Abgrenzung. Bei Altvater/Mahnkopf wird z.B. in ihrem Buch "Grenzen der Globalisierung" einleitend Internationalisierung und Globalisierung weitgehend gleichgesetzt und das qualitativ Neue in der "Schwächung der politischen Gestaltungskraft der Nationalstaaten gegenüber den Marktkräften" und dem "global sourcing" gesehen.

Zu den weiteren Autoren: Ohmae war in den 80 er Jahren der Leiter der Mc Kinsey-Wirtschaftsberatungs-agentur in Japan und ist Anhänger der absoluten Vorherrschaft der transnationalen Konzerne in der Wirtschaftspolitik. Härtel u.a. arbeiten am Hamburger Weltwirtschaftsarchiv und haben eine umfangreiche Studie für das Bundeswirtschaftsministerium über die Folgen der Globalisierung erstellt. Martin/Schumann haben im Spiegelverlag ein Buch über die "Globalisierungsfalle" herausgegebenen, was in einer Auflage von mehr als 600.000(!) Exemplaren erschienen ist.

1.2. Was ist das strukturell Neue an der Globalisierung?

Ich will nun versuchen, das Neue an der Globalisierung herauszuarbeiten und von der schon seit über 100 Jahren existierenden Internationalisierung der kapitalistischen Produktion abzugrenzen.

Hilfreich hierfür ist die Unterscheidung, die Jan Aart Scholte in einem Aufsatz in der Zeitschrift "International Affairs", Heft 73/97 vornimmt. Er unterscheidet drei Formen grenzüberschreitender Wirtschaftsbeziehungen: "cross-border relations", "open-border relations" und "trans-border relations". (Scholte, 430 ff)

Unter "cross-border relations" versteht er den klassischen Prozeß der Internationalisierung des Kapitalismus, also grenzüberschreitender Handel, Investitionen und Migration von Kapital und Arbeit.

Unter "open-border relations" faßt er den Prozeß der Liberalisierung und Öffnung nationaler Märkte, den Abbau von Handelsschranken und Barrieren für die grenzüberschreitende Kommunikation und Dienstleistungen aller Art, insbesondere des Finanzgeschäfts. Diese Prozesse wurden auf Betreiben der USA am Ende des 2. Weltkriegs durch die neue Ordnung von Bretton-Woods begonnen, als die alten Währungsräume der ehemaligen Kolonialreiche Frankreich und England beseitigt und der Dollar zur neuen Weltleitwährung wurde. Zugleich wurden wichtige Zoll- und Handelschranken abgebaut. Alles, was wir heute unter Liberalisierung des Weltmarkts verstehen, hat hier seinen Anfang und mündet in der neuen Weltwirtschaftsordnung der völlig Freizügigkeit und Aufgabe nationaler Kontrollen für das Kapital.

Laut Scholte sind diese beiden Formen nichts neues, obwohl sie Phänomene der Globalisierung beinhalten. Entscheidender sind die "trans-border relations". Hier sind "soziale Beziehungen immer weniger an territoriale Systeme gebunden" (ebenda, 431). Territoriale Entfernungen und territoriale Grenzen werden am Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend unbedeutender, die Globalisierung löst sich von jeder territorialen Beschränkheit und wird weltweit gültig. Scholte nennt dafür sechs Bereiche:

Diese sechs Punkte haben zu einer grundlegenden Veränderung in der "menschlichen Geographie" geführt. Ausgangspunkt und grundlegendes ökonomisches Moment für diese Teil-Aspekte der Globalisierung ist laut Scholte der schon von Marx herausgearbeitete Drang des Kapitals zur Entgrenzung und De-Territorialisierung [ 4 ]von Produktion und Distribution im Zuge der zwingend notwendigen Beschleunigung des Akkumulations-prozesses. Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Der Sportschuhmulti 'Nike' betreibt z.B. in den letzten 5 Jahren ein regelgerechtes "Länderspringen", in dem er "20 Fabriken geschlossen aber 35 andere eröffnet hat an neuen Orten, viele von ihnen Tausende von Meilen entfernt" (Scholte, 435). Dabei arbeiten sie mit südostasiatischen Subunternehmen zusammen und spielen die ArbeiterInnen in den verschiedenen Staaten gegeneinander aus (siehe FR vom 1.12.97).

1.3. Die Globalisierung ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen... . Scholte hat die ökonomischen, kulturellen und politischen Folgen der Globalisierung skizziert. Ich will mich im weiteren hauptsächlich auf die ökonomischen und politischen Aspekte beschränken. Noch eins sollte vorweg gesagt werden: Die Globalisierung hat sich nicht plötzlich, zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt, durch einen qualitativen Sprung, eine Veränderung in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung und des Weltmarktes herausgebildet. Sondern sie vollzieht sich seit Jahrzehnten schleichend, zwar mit Brüchen, bedingt durch die immer wieder mit Notwendigkeit auftretenden Krisen im kapitalistischen Akkumulationsprozeß. Meines Erachtens lassen sich einige, zunächst einzeln aufkommende, qualitative Einschnitte und Veränderungen im weltweiten Akkumulationsprozeß sehr wohl klar aufzeigen, die dann in ihrer Summe zu der qualitativen Veränderung führen, die wir heute als Globalisierung bezeichnen. Hierbei haben zwei polit-ökonomische Komponenten und eine technologische Revolution die Globalisierung in den letzten 25 Jahren entscheidend beschleunigt:

 

2. World-wide sourcing und die Atomisierung der ArbeiterInnenklasse

"Die Kapitalisten haben den Arbeitern den Klassenkrieg erklärt" (Lester Thurow).

2.1. Die Auflösung der fordistischen Produktionsweise. Ein wichtiges Moment und Folge der Globalisierung ist die Deregulierung und Liberalisierung der nationalen Arbeitsmärkte (Aufkündigung von Flächentarifverträgen, Einführung befristeter Arbeitsverträge, Leiharbeit etc.). Dem Kapital gelingt es dadurch einen neuen Akkumulations-Zyklus einzuleiten, der wiederum verbunden ist mit der Produktion einer relativen Überbevölkerung.

Die ungeheuren Rationalisierungprozesse setzen einerseits massenhaft Arbeitskräfte frei und andererseits zwingen sie immer mehr Arbeitskräfte sich für einen Hungerlohn zu verkaufen. Nicht von ungefähr kommt es daher auch in den Metropolen zu einem Wiedererscheinen billigst entlohnter Kinder- und Frauenarbeit - abgesehen von der so und so nicht entlohnten Haus- und Reproduktionsarbeit der Frauen. Karl-Heinz Roth hat unter Verweis auf Marx auf diesen engen Zusammenhang zwischen der Existenz einer industriellen Reservearmee und der Entgarantierung und Verarmung der ArbeiterInnen in den Industriestaaten hingewiesen. Die Inkonkurrenzsetzung des Proletariats verläuft laut Roth global, er spricht von der Herausbildung eines "weltweiten Proletariats". Die fordistische Große Fabrik gehört der Vergangenheit an.

Wie ist dieser Prozeß der Auflösung der fordistisch regulierten Arbeit nun im einzelnen gelaufen?

Wichtige Antworten finden sich in den Untersuchungen der Starnberger Wirtschaftsforscher Fröbel/Kreye/Heinrichs. Mit ihrem Buch über die Neue Internationale Arbeitsteilung 1977 und ihrer empirischen Untersuchung über die Verlagerungsprozesse der Textilindustrie aus der BRD ins Ausland haben sie neue Türen in der damaligen Debatte aufgeschlagen. Vieles davon ist heute noch in der Globalisierungs-diskussion aktuell, wie der damals von ihnen im deutschsprachigen Raum eingeführte Begriff des worldwide-sourcing. Damit ist die Verlagerung und globale Diversifizierung des Fertigungs- und Distributionsprozesses innerhalb der kapitalistischen Produktion gemeint.

Auslöser für diese zunächst in den Grenzen der Triadenregionen (Nordamerika, Westeuropa, Ostasien mit Japan als Zentrum) und dann weltweit sich vollziehende Umstrukturierung war das Ende bzw. die Krise des fordistischen Nachkriegsakkumulationsmodells. Dieses Modell basierte, vereinfacht gesagt, auf hoher Investitionstätigkeit der Unternehmen, beständiger Hebung der Arbeitsproduktivität und - je nach Kampfkraft der ArbeiterInnenklasse – einem höheren Anteil am stark anwachsende Mehrwertkuchen in Form von Lohnerhöhungen und Verbesserung der Sozialleistungen. Die Starnberger Wirtschaftsforscher sehen hierdrin den Hauptgrund für den Anfang der 70er Jahre massiv einsetzenden Prozeß des worldwide-sourcing. Denn die ArbeiterInnenklasse in nahezu allen westeuropäischen Ländern war damals im Aufwind, von Arbeitslosigkeit und freiwilligem Lohnverzicht war noch keine Rede. Im Gegenteil, der Schock des Mai 1968 in Frankreich, der kurzen Wilden Streiks 1969 und 1973 in der BRD und der Kämpfe der MassenarbeiterInnen in Norditalien saß den Bossen noch tief in den Knochen.

In der BRD begann bereits in den 60er Jahren in der Textil- und Bekleidungsindustrie ein Prozeß von massenhaften Fabrikstillegungen, Rationalisierungsschüben, Firmenkonzentrationsprozessen und infolgedessen der Vernichtung von mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen. Zugleich wanderte die Produktion einerseits in sogenannte Billiglohnländer aus, andererseits, wie in der Bekleidungsindustrie, wurde der gesamte Fertigungs-prozeß internationalisiert. Vor- und Zwischenprodukte wurden in Tunesien, Italien, später dann in Südkorea oder Hongkong hergestellt und danach in der BRD nur noch endgefertigt. Innerhalb der internationalen Wertschöpfungskette traten später auch die realsozialistischen Länder wie die DDR, Polen oder Ungarn in Konkurrenz zu bundesdeutschen Fertigungsstätten, indem sie zumeist sogenannte passive Lohnveredlungs-produktion im Auftrag kapitalistischer Konzerne betrieben.

Der brutale Umstrukturierungspozeß der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie ist sicherlich als einer der ersten qualitativen Schritte der Globalisierung des Fertigungsprozesses in der BRD zu verstehen. Die Neue Internationale Arbeitsteilung hatte zur Folge, daß einige Entwicklungsländer, zunächst in bestimmten Industriesektoren wie der Textilindustrie, zu direkten Konkurrenten der alten Zentren in Westeuropa und Nordamerika wurden.

In der Textil- und Bekleidungsindustrie, in der Foto- und Werftindustrie und später dann in der Stahl- und Elektroindustrie tendierten die Profite für die meisten Unternehmen in Westeuropa Anfang der 70er Jahre stark nach unten. Aufgrund der gestiegen Kampfkraft der ArbeiterInnenklasse und deutlicher Lohnerhöhungen kam es auch in diesen Branchen zu einer Verwertungs- und Akkumulationskrise für das bundesdeutsche Kapital.

Eine von mehreren Antworten darauf war das out-sourcing. Aber, dies war "nicht die Ursache der Massenarbeitslosigkeit in den Industrieländern und strenggenommen auch nicht eine Ursache. Nein: Ursache ist die (weltweite) Restrukturierung der kapitalistischen Produktion in der Krise als Ganze - mit Investitionszurückhaltung, forcierter Rationalisierung, ‘Worldwide sourcing’, restriktiv-regressiver Politik des Staates." (Fröbel, 104)

Dieser Prozeß vollzog sich zunächst innerhalb der Triadenzentren. In den USA wurden z.B. neue Produktionszonen, wie der "sunbelt" in Kalifornien und Texas aus dem Boden gestampft, wo das US-Kapital mit Subventionen, Steuernachlässen und gewerkschaftlichem Organisationsverbot hingelockt wurde. In Westeuropa verlief diese zweite Welle der inneren Kolonialisation über die Teil-Industrialisierung der neuen EU-Mitglieds-länder wie Spanien und Portugal. Der Prozeß der Deregulierung und Liberalisierung der Märkte gewann an Geschwindigkeit und gipfelte später in der Bildung des EU-Binnenmarktes 1992.

Globalisiert, unter Einbeziehung der Schwellenländer wie Brasilien, Mexiko, Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur, wurde dieser Prozeß auf der Triadenebene dann in den 80er Jahren. Jetzt entwickelte das internationale Kapital in einzelnen Branchen den Weltarbeitsmarkt und begann das Weltproletariat heraus zu bilden. Ein deutscher Textilunternehmer forderte Anfang der 80er: "Wir leben in der Tat in anormalen Marktverhältnissen (...) von normalen Marktverhältnissen wird man erst sprechen können, wenn (....) die Maschinenlaufzeiten bei uns denen in Korea angeglichen werden." (Fröbel, 196)

Die optimale Ausnutzung dieser weltweiten industriellen Reservearmee verläuft nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie der Prozeß der Arbeitsteilung und -aufspaltung, die der Engländer Babbage im 19. Jahrhundert für die industrielle Fertigung entwickelt hatte, nämlich komplizierte Fertigungsverfahren in möglichst einfache, repetitive und qualitativ unterschiedliche Verfahrensschritte aufzuteilen. Also übertragen auf die globale Ebene, die einfache, lohnintensive Massenfertigung von Autositzbezügen nach Taiwan auszulagern, aber den qualitativ komplizierten Prozeß der Produktion von elektrischen Sitzverstellungen in den Zentren der Autoproduktion zu behalten; oder ein anderes Beispiel aus der Fahrradfertigung, die Rahmen in Thailand schweißen zu lassen, die Felgenbremsen in Italien und in der BRD den Zusammenbau; oder ein letztes Beispiel aus der Buchproduktion: Satz, Repro in der BRD und den Druck in Ungarn vorzunehmen, alles durch Computernetzwerke miteinander-verbunden.

2.2. Die Deregulierung des Weltarbeitsmarktes. In der ersten Phase der Deregulierung und Liberalisierung - eingeleitet durch die Politik von Reagan, Thatcher und Helmut Schmidt [ 5 ] Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre - wird der Druck auf die ArbeiterInnenklasse massiv erhöht, die Tarifautonomie eingeschränkt und die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit vorangetrieben. Die Gewerkschaften werden entweder repressiv in ihrer Aktionsfreiheit eingeschränkt wie in den USA oder Großbritannien oder unter Führung der Sozialdemokratie zur Staatsloyalität verpflichtet. Unter Schmidt/Genscher hieß das damals schon: alles dem obersten Ziel, der Hebung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des "Unternehmens Bundesrepublik" (so äußerte sich Kanzler Schmidt einmal) unterzuordnen.

Exkurs: Die neoliberale Ideologie. Zweifelsohne waren Reagan und Thatcher mit ihrem Beraterstab die Fahnenträger der neoliberalen Konterrevolution. Doch diese Wende wurde jahrzehntelang durch die späteren Chefideologen des Neoliberalismus wie Friedrich A. Hayek oder Milton Friedman vorbereitet. Hayek's Hauptanliegen nach dem Ende des 2. Weltkrieges, und dem Ende des Roosevelt'schen New Deal, war die Wiederherstellung einer "freien Wirtschaft". Der "in vieler Hinsicht kritischste, schwierigste und heikelste Teil unserer Aufgabe" lag für Hayek in der "Zerschlagung der Gewerkschaftsmacht". Desweiteren ging es ihm um den Kampf gegen den "Kollektivismus". Darunter verstand er nicht nur während des Kalten Krieges den Kampf gegen das Sowjetsystem, sondern alles was mit dem Sozial- und Wohlfahrtsstaat zusammenhängt. Dazu gehörte sowohl der Keynsianismus des New Deal wie der Marxismus der Gewerkschaften aber auch staatliche Sozialprogramme und die Intervention des Staates in das Wirtschaftsgeschehen. Einzig und allein die Gesetze des 'freien Marktes' sollen gelten. Auf diesem freien Markt setzen sich dann die Stärksten durch. Hayek und andere (er war Mitbegründer des einflußreichen, aber das Licht der Öffentlichkeit scheuenden, neoliberalen Brain-Trusts, der 1947 in der Schweiz gegründeten "Mont Pèlerin-Society") vertreten eine deutlich formulierte Elitetheorie und wenden sich gegen jede keynsianistische oder marxistische Gleichmacherei. Reichtum ist danach Ausdruck des Erfolges, der Stärke des Einzelnen und in keiner Weise unsozial oder gar amoralisch.

Bereits bei der Gründung 1947 des neoliberalen Think Trusts setzten sich die Mitglieder die Erlangung der gesellschaftspolitischen und ideologischen Hegemonie in den westlichen Staaten zum Ziel. Nach drei Jahrzehnten zählebigen Kampfes gelangten sie in den USA und Großbritannien an die Macht. Die neoliberalen Intellektuellen und Wirtschaftsfachleute unter Reagan und Thatcher lieferten die gesellschaftspolitische Legitimation für die Wiederherstellung der absoluten Vormachtstellung eines ungezügelten, ausschließlich auf Profitmaximierung ausgerichten Kapitalismus und eines entsprechenden Wertesystems.

Die Betonung liegt hierbei auf Legitimation. Ich will damit sagen, daß der Kapitalismus einerseits in einer durch die Klassenkämpfe und Revolten der 60 Jahre hervorgerufenen politischen Legitimationskrise steckte und andererseits objektiv (d.h. bei Strafe seines Untergangs) zur Umstrukturierung und Wiederherstellung des Akkumulationsprozesses gezwungen war und in dieser politischen Krisensituation die neoliberale Ideologie ihm höchst willkommen war. In Deutschland, Frankreich und Italien vollzog sich die hegemoniale Eroberung jedoch viel langsamer als in den USA oder GB.

Der forcierten Klassenkampf von oben wird mit verschiedenen Hebeln im Zuge des weltweiten Umstrukturierungsprozeß in der industriellen Fertigung umgesetzt: "Für die Unternehmen beginnt mit dieser ersten Teilphase der konservativen Wende eine Zeit, die von langfristig angelegten Strategien geprägt ist, also etwa von der längerfristigen Planung des Einsatzes neuer Technologien, entsprechend angepaßter Arbeits-organisation (kapazitätsorientierte Arbeitszeit), entsprechender angepaßter Vorleistungsverpflechtungen (just-in-time-Prinzip), entsprechend angepaßter Unternehmensstrukturen (weltweite Kooperation selbst der größten Unternehmen) und der Spezialisierung auf wenige Fertigungsegmente bei gleichzeitiger Ausweitung der Beschaffungs- und Absatzmärkte. (...) In einer Branche wie der Automobilindustrie heißt (das): Hauptschwerpunkte der Fertigung in den Absatzzentren: Vereinigte Staaten, Japan, und Westeuropa, jeweils mit einem Kranz abhängiger Zulieferbetriebe (zum Teil "sweat shops") um die Zentren herum und in nahe benachbarte Niedriglohnländer um die Lagerhaltung für die Endmontage zu vermindern oder gänzlich zu vermeiden." (Fröbel, 207)

Im Ergebnis bildet sich in den wichtigsten Industrie- und Dienstleistungssektoren, wie der Auto-, der Elektro- und Elektronik-, der Chemieindustrie und der Finanzdienstleistungen ein "Weltmarkt für Produktionsstandorte" (Fröbel, 48), ein globaler Standortwettbewerb um die besten Produktionsbedingungen für die TNU (Trans Nationale Unternehmen) heraus.

Eine kritische Anmerkung zu dem Ansatz von Fröbel u.a. sei hier angefügt: Die fordistische Produktion in Europa wurde auch aufgrund ihres zu starren Produktions- und Mangementssystems aufgelöst. Das japanische Modell des "Toyotismus" erwies sich Ende der 70er Jahre als das wesentlich flexiblere Fertigungsmodell. Schnelle Produktionsveränderungen, kürzer Modellwechsel und vor allem eine höhere und kostengünstigere Produktionsqualität konnten mithilfe der Gruppenarbeit und dem selbstverantwortlichen Handeln der Arbeits- und Technikerzirkel erreicht werden.

Der Prozeß des out-sourcing war also nicht nur ein Resultat der Akkumulationskrise des europäischen und nordamerikanischen Kapitals, sondern die fordistische Fabrik war zu hierachisch, zu starr und zu sehr vom Klassenkompromiß zwischen Management und Arbeit geprägt. Hier erwies sich das japanische Produktionssystem mit der Einbindung eines Teils der Arbeiterklasse in die Logik der Produktion als profitabler. In Europa zog daraus das Management Ende er 70er Jahre nahezu zeitgleich in allen großen Autofabriken die Konsequenzen. Das Ende des Fordismus war gekommen.

Heute werden z.B. von den 5000 Teilen eines FIAT - Autos laut Primo Moroni "20 - 25% im Ausland gekauft, 20 % werden direkt in Fiat-Betrieben hergestellt und etwa 50% in Fabriken außerhalb von Fiat." Die Hälfte eines Fiat - Autos wird in Tausenden von kleinen Fabriken rund um Turin hergestellt. In den 60er Jahren genügte es ein Montageband zu blockieren, um die gesamte Produktion lahmzulegen. Heute müßte der gesamte Autobahnring rund um Turin blockiert werden, um die Produktion zu stoppen, so Primo Moroni.

Halten wir fest: Die weltweite Flexibilisierung der Produktion und der Arbeit war die Antwort des Kapitals auf die Krise Ende der 60er/Anfang der 70er. Das Hauptinteressen der Regierungspolitik der G 7-Staaten galt der Hebung der weltweiten Kapitalverwertungsbedingungen und deswegen mußte die Kampfkraft des Proletariats in den Zentren gebrochen werden. Mehr oder weniger ist Staat und Kapital, unter kräftiger Beihilfe von IWF und Weltbank, das heute auch gelungen. Und dies hat nur an zweiter oder dritter Stelle etwas mit der Implosion des Realen Sozialismus zu tun.

Das Kapital hat in der Phase einer relativ geringen Arbeitslosigkeit in Japan und Westeuropa durch das out-sourcing, durch die Produktionsverlagerungen seine industrielle Reservearmee erweitert, indem sie u.a. Produktionsstätten in den Ländern des Realen Sozialismus errichten ließen, bzw. mit dortigen Staatsbetrieben kooperierten. So verlagerten in den 80ern die TNU umfangreiche Teilproduktionen nach Osteuropa und China. Die Kooperationen war zumeist Vertragsproduktionen mit genauen Vorgaben über Zahl und Qualität der Produkte und den Umfang der tayloristischen Arbeitsorganisation. Erst während der Gorbatschow-Ära in der SU und der Teng-Ära in China kam es zu ersten gemeinsamen Unternehmen, den Joint-ventures (Fröbel, 256ff)

Eine weitere neue Waffe des Kapitals entstand Anfang der 70er Jahre und verbreitete sich in den 80er Jahren massenhaft: die "Free Enterprise Zones" (FEZ). Die ersten wurden am Rio Grande in Nordamerika errichtet. Dort heißen sie Maquiladores, wo Lohndumping, gewerkschaftliches Organisierungsverbot, Steuer- und Zollfreiheit und weitere Annehmlichkeiten für das Kapital herrschen. IWF und Weltbank förderten massiv die Schaffung von "Free enterprise zones" in mehr als 100 Entwicklungsländern. Mitte der 80er waren mehr als 3.5.Mio. zumeist junge ArbeiterInnen in den FEZ beschäftigt, die Hälfte davon in SO-Asien. Aber auch in den Industrieländern werden Ende der 80er Jahre die ersten FEZ ins Leben gerufen (in Europa z.B. in Schottland). Meist erledigen die dort angesiedelten Firmen und Fabriken lohnintensive Unterauftragsproduktion für die TNU. "Den Preisdruck geben die Hersteller an die Subunternehmer und diese an die ArbeiterInnen weiter. Die niedrigen Preise der Hersteller öffnen den Händlern große Gewinnspannen. Ein Pullover, den der Otto-Versand für 9 DM auf den Philippinen kauft, steht im Katalog für 50 DM". (Wichterich, 38) Oder: Von den 70 $ für den 'Nike'-Modeschuh 'Air-Pegasus' erhalten die ArbeiterInnen in den Schwitzbuden der FEZ in China noch nicht einmal 3 Dollar als Lohnanteil. (Wichterich, 35)

Eine weitere Attraktionen für die Multis in den völlig deregulierten Produktionszonen, wo die ArbeiterInnen null Rechte haben, ist die Möglichkeit des Gewinntransferns und der Kapitalflucht in diese Steueroasen. Entweder werden aus Gründen der Kapitalflucht in die FEZ die von den Muttergesellschaften importierten Vorprodukte zu wesentlich überhöhten Preisen eingekauft, oder umgekehrt um Gewinne aus den FEZ an die Zentrale zu übertragen, die Exportprodukte aus den Weltmarktzonen zu niedrigeren Preisen an die Muttergesellschaft verkauft. [ 6 ]

2.3. Die Globalisierung der Wertschöpfungskette. In den 90er Jahren verschieben sich die Gründe für Produktionsverlagerung [ 7 ] : Für die deutschen TNU kommt es mehr darauf an, in den Märkten der Triadenkonkurrenz präsent zu sein, dies geschieht z.T. durch Produktionsverlagerung (z.B. in der Chemie, Elektronik, Maschinenbau), aber mehr und mehr durch Zukauf. Die TNU sind hauptverantwortlich für die beschleunigte Globalisierung (¾ des Welthandels wird von Multis getragen, wobei 1/3 des Welthandels konzerninterner Handel ist). Die 300 größten Multis der Welt beschäftigen 70 Millionen (davon über 30 Mio. im Ausland). Das sind immerhin laut der HWWA-Studie ca.1/5 der weltweiten Industriearbeiterschaft.

Wie stark die Marktmacht und weltweite Verflechtung der Multis inzwischen geworden ist, geht aus Zahlen der UN-Unterorganisation UNCTAD in ihrem Jahresbericht von 1996 hervor. Danach hat der Umsatz aus den Auslandsbeteiligungen der TNU erstmals die Summe von 6 Billionen $ überschritten und ist damit größer als der gesamte Welthandelsumsatz!

Ein wesentlicher Unterschied zu der von Fröbel, Kreye und Heinrichs vor 20 Jahren beschriebenen "Neuen Internationalen Arbeitsteilung" liegt meiner Meinung heute in der wechselseitigen Verflechtung sowohl der TNU wie der gegeneinander konkurrierenden Triadenländer. Heute läßt Siemens nicht nur in Südkorea produzieren und nutzt die Lohn- und Marktvorteile aus, sondern kauft Teile vom südkoreanischen Multi Samsung, der wiederum in Europa bei Siemens Elektronikteile fertigen läßt.

‘Made in Germany’ oder ‘Made in Korea’ ist nur noch irreführend.

"Ganze Industriezweige" verlieren "ihren spezifisch natonalen Charakter," (Altvater/Mahnkopf 250) und wo "Siemens" drauf steht, ist der Produktionsanteil von Siemens häufig weniger als 20%. Oder um ein Beispiel aus einem anderen Kontinent zu nehmen: Die Hälfte der guatemaltekischen Textilexporte in die USA stammt aus Filialen südkoreanischer Textilkonzerne, für die die Lohnkosten in Südkorea zu hoch sind und die zugleich dadurch die Importbeschränkungen für Textilprodukte aus Südkorea in die USA umgehen können.

Auffällig in den 90er Jahren ist das Anwachsen des brancheninternen Handels mit demselben Produkt und zugleich der Aufteilung des Fertigungsprozesses rund um den Globus. In der BRD ist dieser brancheninterne Handel laut der OECD von 60 auf 80% in der Zeit von 1971 und 1991 gestiegen, ähnliche Größenordnungen gelten für die anderen Wirtschaftsmächte. Mit am deutlichsten ist das in der Autoindustrie, wo der wechselseitige Handel zwischen den ostasiatischen Autoproduzenten mit Europa wie den USA sehr stark zugenommen hat. Zugleich lassen die großen Automultis ihre Modelle und Teilsegmente weltweit fertigen bzw. kaufen weltweit von den Autozuliefern ein. Diese Beispiele mögen genügen als Beleg für die Aussage: Die Wertschöpfungskette ist globalisiert worden.

Diese gegenseitige Durchdringung der Triadenmärkte mit demselben Produkt gilt auch für die Finanzdienst-leistungen und die Chemieindustrie. In der Telekommunikation und Elektronik ist die Dominanz der ostasiatischen und nordamerikanischen Mutterkonzerne noch eindeutig, hier ist Europa eher Kunde bzw. die europäischen Global Players wie Siemens und Phillips spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Ein ganz entscheidender Indikator der zunehmenden Verflechtung der Weltwirtschaft sind die schon mehrfach erwähnten Auslandsdirektinvestitionen (ADI). Seit 1980 steigen sie dreimal so schnell wie das Wachstum der Weltexporte. [ 8 ] Überall werden strategische Allianzen, joint-ventures zwischen den Multis gebildet, entstehen neue regionale oder kontinentale Kartelle. Dabei treten in den 90er Jahren verstärkt die TNU aus einigen Schwellenländern wie die südkoreanischen Konzerne Daewoo, Hyundai oder Samsung als Investoren oder Aufkäufer auf. Unter den 500 größten Multis der Welt befanden sich 1996 immerhin schon 25 aus den Schwellenländern.

Mit am weitesten vorangeschritten ist die Neuaufteilung des Weltmarkts im Bereich der Telekommunikation. Die Privatisierungswelle der Telefongesellschaften in Nordamerika und Westeuropa hat sowohl zu einer ungeheurem Konzentrationsprozeß und Übernahmewelle geführt (Ende ’97 kauft der US-Konzern World Com für 6o Milliarden DM den Konkurrenten MCI) wie zu drei neuen interkontinentalen Allianzen zwischen westeuropäischen und nordamerikanischen Gesellschaften geführt, um an der lukrativen transatlantischen Telekommunikation zu verdienen. Zugleich gruppieren sich die Elektrokonzerne wie "Generel Electric" oder "Westinghouse" zu Medienkonzernen um, betreiben die sogenannte vertikale Integration, d. h. sie produzieren neben der Hardware jetzt auch die Software für Multimedia; verschaffen sich z.B. Besitzanteile an TV-Sendern und produzieren Seifenopern.

Das große Fressen. Von 1985 bis 1992 waren 2/3 aller Auslandsinvestitionen der deutschen Konzerne Zukäufe bzw. Übernahmen. Hier ist der derzeit herausragende Sektor die Chemie- und Pharmabranche, die sich vor allem in den USA und Westeuropa durch Übernahme ausländischer Firmen und Konzerne groß eingekauft hat. Die Gründe der Übernahmen sind Beschaffung neuer Patente bzw. Produktionsverfahren, aber auch die häufig niedrigeren ökologischen Standards. Nachdem sich Ende November '98 Hoechst und Rhone Poulenc zusammengetan haben, ist dieser Konzern zusammen mit dem schweizerischen Global Player 'Novartis' der größte Chemiekonzern der Welt, wobei Hoechst eine umfangreiche Umstrukturierung zu einem 'Life Sciences'-Konzern – also die Konzentration auf das Pharma und Biotechnologiegeschäft - gerade hinter sich hat.

Die Produktionszukäufe der deutschen Multis konzentrierten sich zunächst vor allem auf die EU, aber seit Mitte der 80er sind die USA ein weitere Schwerpunkt der deutschen (ADI). Wie in den Jahren zuvor wurden auch 1997 dort wieder mehr als ¼ der gesamten deutschen ADI's angelegt (12.5 Mrd. DM). Ostasien, dort besonders China, rückt erst in den 90er Jahren in den Vordergrund.

In den 90er Jahren werden einige neue Entwicklungsländer für die Multis als Investitionsstandort interessant. Laut dem Weltbank-Bericht von 1997 haben sich die (ADI) in den Entwicklungsländern von 24,5 (1990) auf 109,5 Mrd. $ (1996) vervierfacht! Nach China flossen davon allein 1996 mehr als 42 Mrd. $, 1990 waren es dorthin erst 3,5 Mrd. Mittlerweile umfassen die Dienstleistungsinvestitionen 1/3 aller ADI’s, darunter sind besonders stark die Banken vertreten. Zudem steigt der Anteil von Hochtechnologieinvestitionen insbesondere in Ländern wie Brasilien, China, Mexiko. 90% aller ADI werden durch die TNU getätigt.

Interessant ist die Gewichtsverlagerung der deutschen (ADI) hin zum Dienstleistungssektor. 1993 gingen 60% aller ADI in den Dienstleistungssektor, 1980 waren es nur 40%. Hauptbranchen sind die Banken und Handelskonzerne, die im Ausland ihre Aktivitäten stark ausweiten. Wobei die Finanzdienstleistungen dabei den Löwenanteil stellen. VW und andere deutsche Multis gründen aus steuerlichen Aspekten neue Holdings in Belgien, die deutschen Großbanken gründen wegen niedriger Steuern in Irland neue Filialen. Weltweit waren 1996 von den 350 Mrd. $ Auslandsdirektinvestitionen laut dem Bericht der UNCTAD 79 % Firmenaufkäufe bzw. -beteiligungen

Sektoriell ist heute besonders die deutsche Chemie stark globalisiert (60% aller Beschäftigten im Ausland), während der Auslandsbeschäftigungsanteil in der Auto- 40% und in der Elektroindustrie 32% beträgt [ 9 ] . In anderer Weise sind die Banken und Versicherungen herausragend, hier sind einige deutsche Konzerne (Deutsche Bank und Allianz) Global Players. Parallel dazu verläuft ein verstärkter Konzentrationsprozeß im Inland. Selbst die im Auftrag von Wirtschaftsminister Rexrotd erstellte HWWA-Studie konstatiert, das auch hochwertige Arbeitsplätze ausgelagert werden (Härtel, 30). R. Kurz schreibt in der ‘konkret’ 2/97, daß die Bruttoanlagen-investitionen in der BRD heute sinken, während die Auslandsinvestitionen neue Rekordhöhen erreichen.

Die meisten dieser Allianzen sind "keine Liebesheirat" wie Daimler-Chef Schrempp es einmal formulierte, sondern nüchtern kalkulierte Firmenübernahmen und Beteiligungen, um in bisher verschlossene Märkte wie in China Fuß zu fassen oder um die Märkte vor unliebsamer Konkurrenz besser zu schützen. Oder es werden nur noch vorübergehende Bündnisse für die Herstellung eines Produktes gebildet. Es entsteht dann ein befristetes Netzwerk aus verschiedenen Teileherstellern, die Fabrik ist nur noch ‘virtuell’.

Laut der Bundesbankstatistik von Mai 1997 haben die deutschen Konzerne allein von Anfang ‘94 bis Ende ’95 70 Mrd. DM im Ausland investiert. Der Internationalisierungsgrad der deutschen Industrie- und Dienstleistungsbranche ist im letzten Jahrzehnt sehr stark gewachsen. Die HWWA-Studie betont: "Bei fast der Hälfte der Branchen übersteigt die Auslandsverflechtung durch Handel und Auslandsproduktion die Inlandsproduktion" (Härtel, 24). Mit Ausland ist hier zumeist das europäische Ausland gemeint, aber die Tendenz geht hin zu einer weltweiten Verflechtung. In einigen Branchen ist die Unterscheidung zwischen Binnen- und Weltmakt hinfällig, oder wie R. Kurz es ausdrückt, es kommt zu einer "betriebswirtschaftlichen Globalisierung". Eine vernetzte Planungs-, Fabrikations- und Vertriebsstruktur wird von den Konzernzentralen rund um den Globus aufgebaut. Die ArbeiterInnen in den deutschen Konzernen wie Siemens oder VW werden in direkte Konkurrenz zu ihren KollegInnen in Brasilien oder Tschechien gesetzt.

Scheinbar grenzenlos ist der weitere Konzentrationsprozeß unter den TNU. Im Frühjahr '98 fusionieren Daimler und Chrysler zum drittgrößten Autokonzern der Welt – für lumpige 72 Milliarden DM! Die Betriebsräte wurden natürlich vorher nicht gefragt. Fabrikstillegungen und ein verstärkter Arbeitsplatzabbau in den beiden Konzernen werden die Folge sein. Und die Liste der Großfusionen unter den Multis geht im Laufe der Jahres weiter: Bay. Vereinsbank schließt sich mit der Bay. Hypobank zusammen, Krupp mit Thyssen, Exxon mit Mobil Oil, die Deutsche Bank mit Bankers Trust – die Liste ist endlos.

2.4. Der Klassenkampf von oben. Nach dem Ende des staatlich regulierten Fordismus sind wir in den 90er Jahren nun keineswegs am Ende der Geschichte angelangt. Alle Prophezeiungen, daß nach dem Sieg des Kapitalismus über den realen Sozialismus sich alle Krisen in Luft auflösen würden, sind Makulatur. Die viel bejubelten Tigerstaaten stecken in einer bitteren und erbarmungslosen Krise. Viele klassische Industriebranchen in Europa sind durch die Globalisierung und den Abbau der Staatssubventionen vorschnell veraltet, ganz abgesehen von dem industriellen Kahlschlag, den die ehemaligen RGW-Staaten hinter sich haben.

In vielen Branchen der EU-Staaten beschleunigt die Akkumulationskrise den Umstrukturierungs- und Arbeitsplatzabbauprozeß. Ein Beispiel für die alte, klassische Industrie ist die Stahlindustrie, wo ein ungeheurer Konzentrations- und Stillegungsprozeß seit 15 Jahren im Gange ist. Für die modernen Industriebereiche ist die Automobilindustrie beispielhaft. Nicht nur in Europa hat sie einerseits mit Überkapazitäten zu kämpfen, andererseits findet seit Jahren ein gnadenloser Rationalisierungswettbewerb zwischen den Konkurrenten statt. Leidtragende sind vor allem die LohnarbeiterInnen. Immer weniger müssen immer härter arbeiten. Seit 1991 sind in der BRD mehr als 80.000 Jobs in der Autobranche gestrichen worden. In der Chemieindustrie waren es 60.000. In beiden Industriebereichen sind aber die Umsätze der Konzerne z.T. um 50% gestiegen. Stillegungen und Rationalisierungen führen zum Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und erzeugen die ‘Neue Armut’.

In den USA (und nicht nur dort) haben die "Kapitalisten den Arbeitern den Klassenkrieg erklärt" (Lester Thurow). 4/5 der ArbeiterInnen verdienen heute weniger als 1973, in den letzten 18 Jahren verloren 43 Mio. ArbeiterInnen ihren Job, 2/3 fanden nur einen schlechter bezahlten neuen Job. Die "working poor people" haben sich massenhaft ausgedehnt, d.h. das sind Menschen, die regelmäßig arbeiten gehen und deren Einkommen trotzdem unter der offiziellen Armutsgrenze liegt. Der schnell wachsende private Dienstleistungsbereich ist der Sektor mit den meisten working poor people. Die US-Industrie "verschlankt" ihre Produktion und verlagert vielfach auch die dem industriellen Fertigungsprozeß eng angebundenen Dienstleistungsbereiche nach außen in kleine Schwitzbuden, die wesentlich kostengünstiger arbeiten, weil die Löhne niedriger sind.

Global Cities: Für Saskia Sassen sind die "Global Cities" in den Industrieländern und in einigen Schwellenländer das Ergebnis dieser Entwicklung. "In Kalifornien, südöstlich von Los Angeles, arbeiten fast eine halbe Million Zugewanderte aus Mexiko und Mittelamerika in der Lebensmittel-, Textil- und Möbelbranche zu Niedrigstlöhnen. Viele der 150.000 Migrantinnen nähen im Akkord an Steuer und Versicherung vorbei in Garagenbetrieben, die von den Großhändlern gegeneinander ausgespielt werden." (Wichterich, 45) Die Metropolen des Nordens wie die Global Cities des Südens sind die Zentren der Dienstleistungen, die besonders im Süden häufig sehr eng an die industrielle Produktion angebunden sind und als Folge des outsourcing eher der informellen Ökonomie zuzuordnen sind, wo ein hoher Frauen- und ImmigrantInnenteil vorherrscht.

Sassen spricht von einer "Peripherisierung der Metropolen" und einer (Teil-) "Globalisierung der Peripherie". In den neuen Zentren des Südens wie Sao Paulo oder Bangkok entstehen größere Inseln des Reichtums, wo die Filialen der internationalen Finanz-, Versicherungs- und Immobilienkonzerne residieren, während in den Citybereichen von Los Angeles, Amsterdam oder Detroit Sweat Shops, geführt von Schwarzen bzw. ImmigrantInnen, sich ausbreiten. "In Amsterdam existieren einige hunderte kleine Schneidereien, in denen illegal Eingewanderte nähen. (...) Die 'neue Bekleidungsindustrie' in Heimarbeit ist häufig von Kleinfirmen aus Migrantengruppen organisiert, in Holland von Türken und Marokkanern. Die Unternehmer und Zwischenmeister sind überwiegend Männer. Ihr Wettbewerbsvorteil sind die billigen Heimarbeiterinnen aus der eigenen Bevölkerungsgruppe." (Wichterich, 46)

Reichtumspolarisierung. Während die US-Reallöhne in den letzten 20 Jahren gesunken sind, hat sich das Einkommen der Oberschicht seit 1980 verdoppelt. Zugleich besitzt die kleine Kaste der Superreichen immer mehr: Nur eine halbe Millionen US-Bürger besitzen 1/3 des gesamten Privatvermögens! Die Politik im Interesse der Banken, Investment- und Pensionsfonds hat die Gesellschaftsspaltung weiter vertieft. "Die Globalisierung ist nur was für Privilegierte" schreibt der konservative französische Parlamentspräsident Séguin.

Die USA sind der Vorreiter der Gesellschaftszerstörung und sozialen Entmischung von innen heraus: An der gesellschaftlichen Oberfläche äußert sich das in zunehmendem Rassismus, Kleinkrieg schwarzer, jüdischer, evangelischer, katholischer usw. Identitäten; regelrechte gesellschaftliche Kasten schotten sich gegeneinander ab. [ 10 ] Die Mittelschicht gegen die Unterschicht, die schwarze Unterschicht gegen die asiatische usw. Die ‘Le Monde Diplomatique’1/98 spricht von der "Kreolisierung" oder "Brasilianisierung" der US-Gesellschaft, dem Aufbau der sozialen Pyramide nach der Hautfarbe. Hinzugesellt sich ein unbarmherziger Sozialdarwinismus, der nichts außer dem Eigennutz gelten läßt. Zugleich gewinnen die pseudogemeinschaftsstiftenden Out-Fits wie die Markenzeichen der Mode und des Konsums eine wachsende Bedeutung, werden zur Ersatzdroge für eine verlorengegangen Sozialität und Solidarität.

Ähnliche Tendenzen sind in Deutschland in Ansätzen seit einigen Jahren auch zu beobachten. Im Arbeitsbereich ist die massive Ausweitung der 620-Mark-Jobs im Dienstleistungsektor dafür beispielhaft. Dies sind vor allem Frauen als Verkäuferinnen, als Putzfrauen oder in der häuslichen Krankenpflege. Das Gezerre in der neuen rot-grünen Koalition ist dafür symptomatisch. Im Wahlkampf hieß es noch von Schröder & Co: Abschaffung der sozialversicherungsfreien Billigjobs. Jetzt, auf den Regierungsbänken geht es hauptsächlich um die Senkung der Lohnnebenkosten, dafür verzichtet der Staat großzügig auf ein paar Steuermilliarden und für die Beschäftigten ergibt sich keine Verbesserung ihrer miesen Rentensituation. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte massiv gegen die Abschaffung der 620-Mark-Jobs gekämpft. Er forderte stattdessen wie schon so oft in den letzten Jahren eine noch radikalere Lohnsenkungspolitik. Der ehemalige Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Herbert Giersch, hatte schon Ende der 80 er Jahre verlangt: "Im Prinzip darf gering qualifizierte Arbeit nicht mehr kosten als auf dem indischen Subkontinent". Die Entwicklung ist dabei Herrn Giersch zu überholen: Im Prinzip kostet heute schon die hochqualifizierte Arbeit einer deutschen Ingenieurin oder Informatikerin nicht mehr als die der per Computerterminal konkurrierenden KollegInnen in Banglore in Südindien oder in Weißrußland. Und im Bereich der hochqualifizierten Arbeit steht der deutliche Arbeitsplatzabbau der BRD noch bevor.

Frauen sind die Hauptbetroffenen von dem auch in Europa schnell wachsenden informellen Sektor von prekärer Arbeit. Allein in Norditalien wird die Zahl der für die Industrie tätigen SchwarzarbeiterInnen auf mehr als 3,5 Millionen geschätzt (Altvater/Mahnkopf). In dem kleinen süditalinienischen Städtchen Oria gibt es auch 1998 noch den berüchtigten Sklavinnenmarkt für weibliche Tagelöhner, die für umgerechnet 25 DM Tageslohn Oliven oder Tomaten ernten müssen. Pro Erntesaison sind das 40.000 TagelöhnerInnen (siehe 'FR' vom 25.7.98). In Berlin wird die Zahl der Illegalen auf 100.000 geschätzt, sie haben nur die Chance als SchwarzarbeiterInnen zu überleben. Viele davon sind Frauen, die über den internationalen Frauenhandel als Prostituierte in die Metropolen Westeuropas gelangen. Die meisten Frauen kommen aus Osteuropa und arbeiten als Putzfrauen und anderen sogenannten niedrigen Dienstleistungsberufen.

Und der Druck auf die Lohnabhängigen wächst weiter, je größer die industrielle Reservearmee fürs Kapital wird. Ein neues Instrument der Klassenspaltung sind die Scheinselbständigen. Ihre Zahl steigt nicht nur unter den europäischen Fernfahrern. In der BRD werden z.B. im Einzelhandel massiv die Arbeitsplätze wegrationalisiert. Häufig können danach die rausgeschmissenen ArbeiterInnen als selbstständige LagerauffüllerInnen in den Supermärkten weiterarbeiten. Der Konzern spart sämtliche Sozialversicherungsbeiträge und glänzt mit Millionengewinnen.

Überall wird gnadenlos rationalisiert und die Löhne gedrückt. VW erzielte 1986 einen Umsatz von 55 Mrd. DM mit 260.000 Beschäftigten, 10 Jahre später hat sich der Umsatz auf 100 Mrd. DM erhöht, während die Zahl der Beschäftigten nur um eintausend angestiegen ist (Konzernangaben aus dem Internet). Der Lohnkostenanteil im Weltkonzern sank auf 20% des Umsatzes, während sich die Maschinen- und Materialkosten von 36 Mrd. auf 63 Mrd. DM nahezu verdoppelten. Die deutsche Chemieindustrie meldete Anfang 1998 neue Gewinnrekorde: "Wesentlich zum Profitwachstum beigetragen haben die sinkenden Lohnstückkosten (...). Die Produktivität je Arbeitnehmer stieg seit 1991 um 40 Prozent, die Löhne und Gehälter legten in diesem Zeitraum hingegen nur um 21 Prozent zu", meldet die ‘FR’ am 13.2.98. Die Zahl der Beschäftigten sank allein 1997 um 16000!

Da verstehe noch einer das Mediengeschrei um die zu hohen Lohnkosten in der BRD! Ich glaube, dieses Mediengeschrei soll einfach die Tatsache vernebeln, das derzeit die Konzerne am leichtesten an der Lohn-schraube als Kostenfaktor drehen können, weil dort am wenigsten Widerstand zu erwarten ist. Bei den Zinsen für ihre Kredite oder bei den Rohstoffen oder allgemein bei den Vorprodukten ist es auch für die Multis wesentlich schwieriger Kostensenkungen durchzusetzen. Bei diesen Kostenarten sind sie vom Weltmarkt abhängig, bei der Lohnfrage nur von der nationalen bzw. lokale Stärke der ArbeiterInnenklasse.

Die Siemenskonzernleitung will ähnlich wie der ABB-Konzern den Multi in viele rechtlich unabhängige Profitcenters aufteilen, um so die Zahl der in der BRD Beschäftigten um 20 % und die Löhne senken zu können. Der Betriebsrat wird stark unter Druck gesetzt, falls er nicht den Plänen zustimmt, fliegen noch mehr raus. 30.000 Siemens-MitarbeiterInnen sollen so in rechtlich selbständigen Gmbh's für Siemens weiterarbeiten. In Berlin betrifft dies u.a. die Siemensbeschäftigten, die für den Konzern die Bau- und Hausinstallation vornehmen und jetzt von der Konzernleitung gezwungen worden sind, nicht mehr nach dem IG-Metalltarif sondern nach dem viel schlechteren Münchner Handwerkstarif entlohnt zu werden. Auch der Daimlerkonzern wendet ähnliche Methoden an. Im LkW-Werk in Wörth wurde die Belegschaft unter der Androhung der Verlagerung in die tschechische Republik gezwungen, einer 20% Erhöhung des Arbeitstempos und einer jährlichen Produktivitäts-steigerung von 7% und dem Dreischichtbetrieb zuzustimmen – ohne eine Mark mehr Lohn dafür zu erhalten!

Auch im öffentlichen Dienst wird dieselbe Politik gefahren. Die Berliner BVG soll verkauft werden bzw. sie plant sämtliche Bus- und U-BahnfahrerInnen in eine selbstständige GmbH abzuschieben. In der GmbH sollen die ArbeiterInnen dann 30% weniger Lohn bekommen.

Die Arbeitsproduktivität steigt und die Löhne werden gleichzeitig gesenkt, das ist die neue Politik. Der US-amerikanische Autozulieferer ‘ITT’ (ja das ist der, der 1972 am Putsch gegen Allende in Chile beteiligt war) hat 1997 angekündigt, bis zum Jahr 2000 die Zahl der BilliglohnabeiterInnen drastisch zu erhöhen, jeder vierte der weltweit 35000 Konzernbeschäftigten soll dann weniger als 10 Dollar pro Stunde verdienen, bisher waren es im Konzern nur 10%. ‘Nike’ und ‘Reebok’ (‘adidas’ ließ sogar in chinesischen Knästen produzieren) sind die Ausbeutungs-Weltmeister. Gerade in den ehemaligen realsozialistischen Ländern wie China und Vietnam müssen die jungen ArbeiterInnen zu Hungerlöhnen bei 12-16 Stunden pro Tag Turnschuhe fabrizieren. "Wir essen, damit wir wieder arbeiten können. Wir haben keine Zeitvorstellung mehr", wird eine Arbeiterin in der ‘FR’ vom 1.12.97 zitiert.

Die beständige Hebung der Produktivität kommt aber auch den Geldvermögensbesitzern zugute. Wie hängt das zusammen? Die Orientierung auf die Interessen der Geldvermögensbesitzer und Gläubiger der verschuldeten Trikontstaaten zwingt die Trikont- und Schwellenländer zur Förderung des Exports. Um die einheimischen Produkte weltmarktfähig zu machen, muß die Arbeitsproduktivität erheblich gesteigert werden, bei gleichzeitiger Lohnsenkung (siehe Altvater/Mahnkopf, 156ff). Diese Produkte werden nun aber zumeist in den Tochter-gesellschaften der TNU hergestellt und konkurrieren damit immer häufiger mit den Produkten aus den Konzernzentralen der Metropolen. Seit einigen Jahren setzt sich der Trend, der Sicherung und Steigerung der Geldvermögen und folglich die Orientierung auf Aktiendividende global durch (siehe Abschnitt 3). Ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen und sozialen Folgen führt diese Politik zu weiteren Arbeitsplatzverlusten in den Industriestaaten, aktuell wird in Südostasien die lebenslange Arbeitsplatzgarantie in den Großbetrieben in Folge der Finanzkrise aufgehoben. Aus Angst vor dem Rausschmiß machen weltweit die Lohnabhängigen immer neue Zugeständnisse. In Südkorea sammelten die MalocherInnnen freiwillig Goldschmuck für ihre hochverschuldeten Konzerne und zugleich verpflichteten sie sich zu freiwilliger unbezahlter Mehrarbeit. In Deutschland arbeiten die Beschäftigten bei Vissmann-Heizungsbau jetzt unbezahlt 3 Wochenstunden mehr, dafür wandert der Betrieb nicht nach Tschechien aus.

Das alles hat gravierende soziale Folgen: Die jahrelange Real - Lohnsenkungspolitik erweitert die Einkommenschere. Die verschärfte gesellschaftliche Einkommens-Polarisierung und Marginalisierung hat, aus den USA kommend, längst auch Europa erreicht. Zwar war die BRD auch vor 30 Jahren kein Schlaraffenland. Damals besaßen nur 1.7% mehr als 70% des Eigentums an Produktivvermögen. Heute besitzen 2% mehr als 85% des Produktivvermögens. Dafür haben "60% der Bevölkerung allenfalls kleine Reserven, aber keinerlei Eigentum" (H.-J. Schulz, 58). Sozialforscher prognostizieren die "20:80 Gesellschaft". In 10-15 Jahren werden in der BRD nur noch 20% der arbeitsfähigen Bevölkerung einen festen Arbeitsplatz haben, 80% sind entweder arbeitslos oder schleppen sich von Job zu Job. Schon heute müssen in Deutschland mehr als 10% der Bevölkerung zu den Armen gezählt werden, das sind mehr als 8 Millionen Menschen!

2.5. Der Abtritt der Klasse. Das Proletariat als Klasse ist in Europa, in Deutschland nahezu verschwunden. In Italien setzte der Gegenangriff der großen Konzerne Anfang der 70er, wie bei FIAT, Pirelli oder Olivetti, früher und brutaler ein als in der BRD. Heute sind im Ergebnis in beiden Ländern die Gewerkschaften annähernd gleich schwach. Heute gilt auch unter der ‘linken’ Koalition der Regierung Prodi oder jetzt D'Alema, den Staat zu modernisieren. Den defizitären öffentlichen Sektor abzubauen und Italien "fit" zu machen für den europäischen Währungsverbund. Es gilt dieselbe Devise wie bei den deutschen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern: Die ArbeitnehmerInnen vollständig in die Logik der kapitalistischen Entwicklung einzubinden [ 11 ] , die beständige Hebung der Produktivkräfte durch das Kapital zu bejahen. Als Zugeständnis für die notwendigen Produktivitätszuwächse erhalten die ArbeiterInnen bescheidene Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen. Oberste Zielsetzung ist die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, denn angeblich nur diese sichert die vorhandenen Arbeitsplätze. Dieser Logik sind auch die Kommunisten in Italien, Spanien und Frankreich seit 20 Jahren verfallen, obwohl ihre Gewerkschaften, zumeist auf Druck der Basis, ab und an auch lokale Streiks mitangezettelt haben, die versuchten mehr als vorübergehende Lohn- und Arbeitsplatzgarantien durchzusetzen. Heute sind die Kommunisten in Südeuropa vollends zu Sozialdemokraten mutiert.

In der BRD wird die Logik des Kapitals der Öffentlichkeit und den Malochern seit 25 Jahren eingebleut. Doch mit den Gewinnen der Vergangenheit wurde einerseits spekuliert und andererseits gnadenlos rationalisiert bzw. im Ausland investiert. Beide Maßnahmen haben massiv zum Arbeitsplatzabbau beigetragen. Die Gewerkschaften haben dieses Spiel freiwillig mitgemacht.

Durch diese prokapitalistische Politik haben die Gewerkschaften in Europa ihre eigene Machtposition entscheidend selbst untergraben. Die deutschen Gewerkschaftsbosse haben die Inkonkurrenzsetzung der ArbeiterInnenklasse zunächst mit dem europäischen und später mit dem Weltproletariat mitgetragen - ohne auch nur die elementarsten internationalen Strukturen aufzubauen. Wenn die KollegInnen von VW in Puebla streikten sind die ArbeiterInnen in Wolfsburg noch nicht mal vom Betriebsrat darüber informiert worden, geschweige denn zu Solidaritätsaktionen aufgerufen worden. Oder ein anderes älteres, dafür aber symptomatisches Beispiel: als der damalige IG-Metallchef Eugen Loderer Anfang der 80er Jahre, kurz nach der Übernahme des SEAT-Werkes in Barcelona durch den VW-Konzern, das Werk besichtigte, gab er den spanischen Betriebsrats-mitgliedern von den kommunistischen "comissiones obreras" (die in Spanien entscheidendes zum Ende des Franco-Regims beigetragen hatten) noch nicht mal die Hand.

2.6. Die Atomisierung der ArbeiterInnenklasse. Die Spaltung und Aufspaltung der FabrikarbeiterInnen durch die Kapitalisten in viele kleine Grüppchen und der Prozeß der Vereinzelung auch in den Großbetrieben kennt viele Facetten: Durch ihre globalisierten Produktionsabläufe sind die Konzernchefs derzeit für die national organisierten ArbeiterInnen schwer angreifbar geworden. Der europäische Global-Player "ABB" ist einer der ersten Multis, der seine über 1000 Untergesellschaften und deren Abteilungen in 5000 selbständige ‘Profitcenter’ umgewandelt hat. Die 200.000 Beschäftigten können so wunderbar gegeneinander ausgespielt werden. "Selbstkontrolle" und "Selbstbeobachtung" sind zum indirekten Führungsprinzip der Konzernleitung gemacht worden, so richten sich die Gehälter u.a. nach dem erwirtschafteten Profit in den Profitcenters und die Beschäftigten führen eigenverantwortlich ihre Geschäfte mit anderen Abteilungen des Konzerns und mit den Kunden durch (siehe ausführlich dazu Altervater/Mahnkopf, 358ff).

Diese neugebildeten Betriebsgemeinschaften sind die modernisierte Form des aus Japan übernommenen Modells des Toyotismus. "Bis hinunter zu den Gruppen an den Taktstraßen sollen nun alle 'unternehmerisch denken', ''selbstreguliert' handeln und Firmentarife, firmeninterne Ausschüsse und Schlichtungseinrichtungen als ausschließliche Vermittlungsform zur Konfliktsteuerung akzeptieren." (Roth, 26). Am Beispiel des Peugeot-Werkes in Sochaux lassen sich die Folgen der Einführung dieser Form von Gruppenarbeit und der Auflösung der über Jahrzehnte gewachsenen Solidarität der FabrikarbeiterInnen durch die massenhafte Einführung der befristeten Leiharbeit veranschaulichen. Pierre Bourdieu hat in seinem Buch "Das Elend der Welt" davon berichtet. Die "Zerstörung der sozialen Bande" und die "Gewalt der Individualisierungspraktiken" durch die Betriebsleitung haben nicht nur die Fabrikarbeit radikal verändert, sondern auch Auswirkungen auf den Prozeß der sich beschleunigenden Desozialisierung außerhalb der Fabrik. Besonders ältere Gewerkschafter kommen mit diesen Brüchen von Deregulierung, Inkonkurrenzsetzung gegeneinander durch autonome Gruppen am Fließband nicht mehr zu Rande. Aus Angst die Gruppenprämie zu verlieren, wird nicht mehr krankgefeiert, nur die Besten arbeiten am Band zusammen und ekeln körperlich oder psychisch Schwächere raus. Der Einfluß der in der Hochphase des Fordismus allgegenwärtigen Gewerkschaften ist nahezu auf Null gesunken. Die "Grundlagen der alten Solidaritätsformen" sind durch die Umstrukturierungskrise zerstört worden., die "traditionellen Formen gewerkschaftlichen Engagements" reichen nicht mehr aus (Bourdieu), neue Formen sind aber noch nicht in Sicht.

Das wichtigste Resultat dieses Globalisierungsprozesses des Arbeitsmarktes ist eine neue Weltarbeits-reservearmee ohne Waffen. Die beschäftigten ArbeiterInnen wissen, das draußen vor den Fabriktoren oder an den schwer bewachten Grenzen der Wirtschaftsregionen Tausende, Zehntausende stehen, die sofort den Job –auch unter noch viel schlechteren Bedingungen - übernehmen würden. Und das trägt zur Atomisierung der ArbeiterInnen in den Betrieben entscheidend bei.

Der Gipfel der für die ArbeiterInnen schwer angreifbaren neuen Fertigungsstrukturen ist mit der sogenannten ‘virtuellen Fabrik’ erreicht. Einer der Global-Players auf dem Spielzeugmarkt verkauft "Kleinartikel im Wert von 50 Millionen Dollar, die von unabhängigen Erfindern und Geschenkartikelfirmen ersonnen, von unabhängigen Ingenieuren konstruiert, von Zulieferfirmen in Hongkong (die ihrerseits die arbeitsintensiven Vorgänge nach Thailand und China vergaben) hergestellt und verpackt und in Amerika von unabhängigen Spielzeugfirmen vermarktet wurden", (Robert Reich, 107).

Nationale Streiks können Multis wie ‘Nike’, ‘Samsung’ oder ‘Gillette’ kaum noch etwas anhaben, weil sie jederzeit die Produktion verlagern können. Angreifbar scheinen die Global-Players vor allem in ihrer sensiblen Infrastruktur zu sein. Der Streik im US-Transportunternehmen UPS hatte für die gesamte US-Industrie bedrohliche Folgen, weil sie ihre Waren und Vorprodukte gemäß der just-in-time-production nicht mehr rechtzeitig erhielten.

2.7. Der Trikont liegt auf der Schattenseite. In Südostasien erleidet die Bevölkerung jetzt im Zeitraffer die negativen Wirkungen der Globalisierung. Die gerade sich neu herausgebildeten Mittelschichten haben in Thailand und Südkorea durch die Bankenkonkurse und die rapiden Währungsverluste einen Großteil ihrer Ersparnisse und Altersvorsorge verloren. In allen Ländern kommt es zur bisher unbekannten Massenarbeitslosigkeit. Allein 2. Mio. Bauarbeiter sind Anfang '98 in ein paar Wochen in Indonesien arbeitslos geworden. In Südkorea wird sich die Arbeitslosenquote innerhalb eines Jahres von 3 auf 9% verdreifachen! Und wie in Europa sind mit die ersten Opfer die MigrationsarbeiterInnen, die zu Zehntausenden außer Landes gewiesen werden. Es ist eine sich beständig beschleunigende Spirale des Abbaus von erkämpften Sozialstandards, mit der die ArbeiterInnen konfrontiert sind. BilliglohnabeiterInnen in der brasilianischen Textilindustrie konkurrieren jetzt gegen chinesische TextilarbeiterInnen. Innerhalb Chinas ziehen 200 Millionen WanderarbeiterInnen von Fabrik zu Fabrik an der reichen Pazifikküste und konkurrieren um die miesen ‘Nike’-Arbeitsplätze in den chinesischen Sonderwirtschaftszonen.

Ganze Länder und halbe Kontinente werden durch die Globalisierung noch schärfer marginalisiert und vom Weltmarkt abgekoppelt. Entgegen den Verheißungen der Experten aus den Machtzentren von Politik und Wirtschaft kennt die Globalisierung deutlich mehr Verlierer als Gewinner: ¾ der Weltbevölkerung sind von den ‘Errungenschaften’ der weltumspannenden Produktion und des Weltmarktes ausgeschlossen. Bis auf wenige Regionen, vor allem im Südens des Kontinents, ist Afrika völlig vom Weltmarkt abgekoppelt, dasselbe gilt für weite Teile des indischen Subkontinents und für viele GUS-Staaten [ 12 ] . Für einen Non-Profit-Handelsaustausch mit anderen befreundeten Staaten reicht die Kraft der Staaten und Subsistenzökonomien häufig nicht aus.

Die Abkoppelung muß nicht sofort Hungersnot heißen, denn schließlich hat die zwangsweise Unterwerfung unter den Weltmarkt, gerade in Afrika, erst den Hunger erzeugt. Dort wurde durch die Förderung von exportfähigen Agrarprodukten auf den neu angelegten Farmen im Zuge der "Grünen Revolution" durch die Weltbankkredite in den 60er und 70er Jahren der Hunger erst miterzeugt. Die Aufgabe des Anbaus einheimischen Produkte wie Mais, Wurzelgemüse zugunsten von weltmarktfähigen Tabak oder Zuckerrohr in Kenia erzeugte dort erst mit die schweren Hungersnöte, nichtzuletzt zerstörten die Billigimporte von hochsubventionierten Mais-Überschüssen aus der EU den einheimischen Maisanbau.

2.8. Die Agrarindustrie vernichtet bäuerliche Subsistenz. Im Bereich der Landwirtschaft haben die großen TNU wie die Saatgut-, Chemie- und Agrarkonzerne, als da heißen "United Chargill" oder "Hoechst", zunächst in den USA und Westeuropa, später dann durch die "grüne Revolution" in den Trikontländern die Abhängigkeit der BäuerInnen von ihrer Agrarpolitik erheblich verschärft. Weltweit ist die große Mehrzahl der BäuerInnen (im Trikont sind das zu 75% Frauen) mit sinkenden Erträgen und zugleich mit Patentansprüchen und Preisdiktaten der Agrarhandelskonzerne und der Saatgut- und Pflanzenschutzchemie konfrontiert.

In Kenia besitzen die Frauen nur 5% der Ländereien, stellen aber 75% der Bäuerinnen und Landarbeiterinnen. Die geschlechtliche Arbeitsteilung geht noch weiter: Frauen erhalten nur 1% der landwirtschaftlichen Kredite. Auf den fruchtbarsten Böden werden 'cash crops', Produkte für den Export angebaut. Nachdem die Kaffee- und Kakaopreise in den letzten Jahren in den Keller rutschten, versuchen jetzt die Regierungen und die Weltbank die landwirtschaftliche Exportproduktion zu diversifizieren: "In Mosambik wird Tabak als Devisenmaschine gepriesen. In Uganda drängt die Weltbank auf Ausdehnung der Exportproduktion und zum Vanilleanbau. Nelken und Rosen, Bohnen und Avocados verdrängen jedoch Getreide und Gemüse für die Selbstversorgung von den besten Böden. Der Markt okkupiert das fruchtbarste Land, die Subsistenzproduktion muß auf marginale Böden ausweichen. Die Frauen sind gezwungen, Buschland oder steile Hänge unter die Hacke zu nehmen, die Böden schonungslos zu übernutzen und der Erosion den Weg zu bahnen. Die ökologischen Folgen sind zerstörerisch, die Erträge gering. Die Decke der Eigenversorgung wird dünner." (Wichterich, 113) Die Proteste gegen diese Vertreibung und Verarmung werden in Afrika häufig brutal unterdrückt.

Der Widerstand gegen die Politik der Agrarkonzerne flackert aber immer wieder überall auf. In Europa sind es die französischen BäuerInnen, die am militantesten gegen die EU und gegen das Agrobusiness kämpfen, aus Asien hören wir die heftigsten Proteste vom indischen Subkontinent. In Südindien demonstrierten 1993 eine halbe Millionen BäuerInnen gegen die Bevormundung durch die Saatgutkonzerne und die Vernichtung der Biodiversität. Kurze Zeit später wurden die Büroräume von ‘Kentucky-Friend Chicken’ gestürmt, der Konzern wollte die indische Hühnerzucht monopolisieren.

Ganz anders sind die Auswirkungen der Globalisierung, hier in Form der weltweiten Luftverschmutzung, für die Fischer an der lateinamerikanischen Pazifikküste. Dort sorgt der ‘El Nino’ für die Erwärmung des Pazifiks und für das Ausbleiben der Fische. Als Folge der regional erzeugten ökologischen Verwüstungen müssen häufig Menschen in anderen Ländern oder Kontinenten an Armut, Hunger und Krankheiten leiden.

 

3. Die Globalisierung der Finanzmärkte

Die Umwälzung im Finanzsektor kam nicht über Nacht und hat mehrere Ursachen und Vorgeschichten:

Die erste war die Ablösung des Dollar vom Goldstandard Anfang der 70er Jahre, als die USA den Vietnamkrieg mit der Dollar-Notenpresse finanzierten und somit die Goldeintauschgarantie für jeden zirkulierenden Dollar nicht mehr einhalten konnten. Das 1944 durch die Initiative der USA gegründete Währungssystem von Bretton-Woods brach 1971/72 zusammen. Zwar blieb der Dollar die Weltwährung, doch gegen seine Schwankungen mußten sich die Konzerne und Großbanken bei ihren langfristigen Geschäften durch völlig neue Formen von Währungsverträgen absichern.

Die zweite wichtige Vorgeschichte der Globalisierung war die Schaffung von sogenannten "Freien Bankzonen" (z.B. auf den Bahamas, den Caymaninseln oder in Luxemburg), wo Tochtergesellschaften der großen kapital-istischen Bankkonzerne, ohne die z.T. sehr reglementierenden Vorschriften der nationalen Notenbanken, ihre weltweiten Finanzgeschäfte mit geringsten eigenem Risikokapital ausbauen konnten. Die Ausgaben, besonders das Wertpapiergeschäft und die Kreditvergabe der Großbanken, mußten nicht mehr gedeckt sein durch entsprechende Guthaben oder andere Sicherheiten der Banken bei den Zentralbanken. Dadurch wuchs besonders schnell auch der sogenannte "Interbankenmarkt", das sind Kreditgeschäfte der Banken untereinander. Der Wegfall der sofortigen Deckung im weltweiten Finanzgeschäft der internationalen Großbanken dehnte den unkontrollierten spekulativen Geldmarkt in den 70er Jahren stark aus. Die ersten Keimformen für den unkontrol-lierten Devisenmarkt liegen im übrigen im sogenannten "Eurodollarmarkt", der ab Mitte der 60er Jahre u.a. durch den Handel mit sowjetischen Dollarguthaben bei den europäischen Banken entstand und sich der Kontrolle durch die Notenbanken entzog.

Dies war die dritte Vorgeschichte: Die hohen Profite der Multis, die Millionen aus den schwarzen Kassen der Großkonzerne, die Millionen auf der Flucht vor den nationalen Finanzämtern und nicht zuletzt die Millionen aus dem stark expandierenden Drogengeschäft produzierten einen regelrechten Angebotsdruck für die Banker in den "Freien Bankzonen" (wo die Anleger im Vergleich zu ihren Heimatländern keine oder lächerlich geringe Steuern zu zahlen haben). So erfanden die Börsenmakler mit dem schnell anwachsenden Angebot an Spekulationskapital, besonders nach der ersten Ölkrise 1973, immer neue Anlageformen für die nach einer hohen Verzinsung suchenden Dollarmilliarden. Anfang der 80er Jahre entstand der Handel von "Schuldenswaps" an der Londoner Börse, nach dem Ausbruch der internationalen Verschuldungskrise 1982 wurde viele Schuldentitel der hochverschuldeten Länder wie Mexiko oder Bolivien mit einem Abschlag, "swap" auf dem internationalen Kreditmarkt gehandelt.

Besonders der Termin- und Optionshandel aber auch der Währungshandel vervielfachte sich an den wichtigsten Börsenplätzen von Tokio bis New York. Heute werden mehr als 1,5 Billionen Dollar allein an Devisen tagtäglich gehandelt. Nur ein Bruchteil, die Schätzungen gehen von 1 bis 5%, dienen dabei der gegenseitigen Absicherung des weltweiten Waren- und Dienstleistungshandels.

Last but not least trug die Revolution in der weltweiten Datenverarbeitung mithilfe des Computers zur Vorgeschichte der Finanzrevolution bei. Weltweit sind die Börsen und Bankenplätze heute durch Computer vernetzt und umfangreiche, für Außenstehende nicht durchschaubare Programme lösen Kauf- oder Verkaufsoptionen aus und entfachen damit das Feuer für eine neue Haussee oder Baisse an den Währungs-, Aktien- oder Rohstoffbörsen. So sind z.B. die Devisenhändler an der Londoner Börse über Satellittenkanäle und einen Großrechner in den Londoner Docklands mit allen Börsen und 20.000 Finanzinstituten (Banken, Versicherungen, Fondsverwaltern) auf der Welt in "Jetztzeit" verbunden und können sich alle daraus einfließenden Daten auf die Bildschirme holen. (Siehe "Spiegel" 7/96)

Diese vier Faktoren, die Ablösung des Dollar vom Goldstandard, die Schaffung von "freien Bankzonen", das durch die Profite der Großkonzerne zur Verfügung stehende Überangebot an global agierendem Spekulationskapital und die vollständige Computerisierung des gesamten globalen Finanzmarktes führten zu dem Globalisierungsschub in den 80er Jahren.

Die politische Deregulierung und Liberalisierung der nationalen Währungs-Finanzmärkte vollzog sich seit Ende der 70er innerhalb eines Jahrzehnts sowohl durch politischen Druck vor allem der US-Amerikaner wie aber auch durch den finanzpolitischen Druck der Marktmacht der US-Börsen und internationalen Pensions- und Investmentfonds. Japan öffnete seinen Devisenmarkt erst aufgrund des Drucks der US-Börsen, die sich weigerten japanische Titel an den US-Börsen zuzulassen, wenn nicht im Gegenzug US-amerikanische Finanzdienstleister an der Tokioer Börse handeln dürften. An der Londoner Börse wurden die Kapitalverkehrskontrollen 1986 vollständig beseitigt und es gab einen "Big Bang": Explosionsartig stiegen die Umsätze an der Londoner Devisen- und Wertpapierbörse. Die Bundesregierung widersetzte sich bis 1995 dem Druck aus den USA gegen eine völlige Deregulierung bzw. Abbau der Staatsaufsicht der deutschen Börsen (siehe Seite 26).

Die Rolle des IWF. In den Trikontstaaten und in den jetzt in die Schuldenfalle tappenden Schwellenländer beschleunigt der IWF durch seine Diktate die Zwangsöffnung und Deregulierung der Märkte. Seit der ersten Schuldenkrise Mexikos 1982 diktieren IWF und Weltbank den lateinamerikanischen Schuldnerstaaten wie Brasilien und Mexiko eine harte neoliberale Austerity-Politik. Die Folgen waren damals (und werden auch heute in Südostasien angewandt) eine Zwangsliberalisierung der Märkte, eine Reallohnsenkungspolitik, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und die Orientierung auf den Export von weltmarktfähigen Agrarprodukten und Rohstoffen, aber auch einiger Industrieprodukte, die zumeist in Tochterfirmen der TNU hergestellt wurden. In der Folge kam es in den Schuldernerstaaten für ein Jahrzehnt zu einem schmerzvollen Prozeß der Deindustrialisierung und des massiven Kapitalabflusses. Im Agrarsektor wurde die Ausrichtung auf exportfähige Produkte die Abhängigkeit von den Agromultis erheblich ausgeweitet, zugleich setzte eine massive Landflucht ein und diese ärmeren Schichten vergrößerten den informellen Sektor in den Metropolen des Trikonts.

In den sogenannten 'Bereitschaftskreditabkommen' mit dem IWF wird bis in kleinste Detail in die Haushalts- und Strukturpolitik (des Banken- und Versicherungswesens) der Schuldnerstaaten eingegriffen. Gerade die jüngste Finanzkrise in Südostasien ist dafür ein Paradebeispiel. Hier handelt der IWF nahezu ausschließlich im Interesse des internationalen Finanzkapitals aus den USA, Japan und Westeuropa und verschärfte noch die Krisen in den nationalen Volkswirtschaften. Namhafte US-Wirtschaftswissenschaftler kritisierten im Januar ’98 zum wieder-holten mal die einseitige Ausrichtung der IWF-Politik im Interesse der Kreditgeber und Devisen- und Börsen-spekulanten. In der einflußreichen Zeitschrift "Foreign Affairs" (77/98) wurde diese Politik des IWF in einem Aufsatz des Harvardprofessors Martin Feldstein heftig kritisiert. Der IWF hätte an erster Stelle sich um die Inter-essen der in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Mitgliedsstaaten zu kümmern statt sich um die Rückzahlung der Kredite der privaten Banken und Fonds zu sorgen. Diese würden dadurch aus ihrer Verantwortung entlassen. Gerade im Fall Südkorea aufgrund seiner gesunden Wirtschaftsstruktur (niedrige Inflation, positive Handels-bilanz) hätte es dieser massiven Intervention des IWF nicht bedurft. Der IWF ermutige durch solch eine Politik geradezu die privaten Spekulanten gegen solche Länder zu spekulieren. Und im Schlepptau der Spekulanten werde die dann drakonische, den jeweiligen Volkswirtschaften schädliche, Zwangsöffnungen der Finanzmärkte auferlegt.

Fassen wir zusammen: Die Wirtschaftsgroßmächte wie USA, Japan, BRD und Großbritannien haben ihre Methoden der imperialistischen Eroberung fremder Märkte seit dem Ende des Weltwährungssystems von Bretton Woods vor 25 Jahren stark verändert. Der wirtschaftspolitische, imperiale Druck geht heute weniger von den Regierungen aus, sondern vielmehr von den TNU. Die G 7-Mitgliedsstaaten und der IWF haben sich durch ihre Vereinbarungen im Rahmen des GATT und der WTO vorrangig als Türöffner in bis dahin verschlossene Märkte betätigt. Die eigentliche Eroberung und Beherrschung der neuen Märkte überlassen sie den Multis.

3.1. Die Macht der Finanzmultis. Dabei ist die Marktmacht der Banken, Versicherungskonzerne und Pensions- und Investmentfonds ins Ungeheuerliche gewachsen. So verwalten z.B. allein die US-Pensionsfonds ein Vermögen 4,4 Billionen $ (Stand 1996), im Jahr 2001 werden es 6,5 Billionen sein. Weltweit werden die gesamten Bankeinlagen auf 20 Billionen $ und das von den Banken ausgegebene Kreditvolumen wird auf die sagenhafte Summe von fast 40 Billionen $ geschätzt (siehe ‘Berliner Zeitung’ vom 15.12.97). Der IWF schätzt, daß die Banken in den Offshore-Plätzen allein mehr als 2 Billionen $ deponiert haben. Zum Vergleich: das Bruttosozialprodukt der BRD umfaßt ca. 2.0 Billionen $ und der Bundeshaushalt beläuft sich auf ca. 300 Mrd. $.

Die Macht der Bank- und Versicherungsmultis übersteigt demnach ein Vielfaches der Staatshaushalte der drei größten Wirtschaftsmächte der Welt. Allein die sogenannten Hedgefonds, die besonders risikohafte Anlagen und Spekulation durchführen, mobilisierten im Herbst ’97 für ihre Devisenspekulationsgeschäfte in Südostasien mehr als 100 Mrd. $, das Vierfache der Devisenreserven des Staates Malaysia vor seiner Abwertungsabwehrschlacht (FR vom 30.10.97). Und das Karussell wird immer größer dreht sich immer schneller. Der im Sommer '98 vor dem Konkurs stehenden US-Hedge-Fond LTCM hatte mit einem Eigenkapital von nur 4.8 Mrd. $ Anfang 1998 Spekulationskredite in der Höhe von 200 Mrd. $ sich verschafft und einen Buchwert von über 1200 Mrd. $ an Derivaten im internationalen Devisenoptionsgeschäft, vor allem in Rußland, eingesetzt.

Die Globalisierung und Deregulierung des Finanzmarktes bewirkte in den letzten Jahren einen weltweiten Angleichungsprozeß. Alle Finanzinstitute und an den Börsen gehandelten Aktiengesellschaften werden denselben Prinzipien und Gesetzen unterworfen. An allen Weltbörsen gilt mittlerweile das zuerst in der Reaganära formulierte "shareholder-value"-Prinzip. Dies bedeutet für die Manager der AG’s Profite auf teufel-komm-raus zu erwirtschaften, um eine möglichst hohe Dividende für die Aktionäre ausschütten zu können. Langfristige Produktionsplanungen mit einer moderaten Profitentwicklung oder gar sozialverträgliche Tarifverträge sind dieser Politik völlig fremd. Dieser US-Amerikanische Wirtschaftsgrundsatz ist im Zuge der Dominanz der US-Börsen und Vermögensverwaltungsgesellschaften globalisiert worden. Dem müssen sich auch die großen und kleinen japanischen oder bundesdeutschen Konzerne unterwerfen, wollen sie sich nicht vom Weltmarkt abkoppeln. "Renditeorientierte Interessen von Kapitaleignern gewinnen die Oberhand gegenüber Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, die große Unternehmen gegenüber "stakeholders" haben, also gegenüber den von Unternehmensentscheidungen positiv oder negativ ‘Betroffenen’ - den Arbeitnehmern, Zulieferern, Kunden und einer lokalen oder regionalen Öffentlichkeit. Das ‘Diktat der Kapitalmärkte’ führt dazu, daß sich die Unternehmen stärker durch die ‘Brille der Börsen’ wahrnehmen müssen" (Altvater/Mahnkopf, 349).

Die Funktion der Staatsschulden. Durch die nach günstigen Kapitalanlagen suchenden Billionenbeträge an liquiden Vermögen haben sich in den letzten 15 Jahren auch die Industrieländer erheblich verschuldet. Allein die USA haben heute Staatsschulden von mehr als 5 Billion $, auch die BRD kommt schon auf mehr als 1 Billion $. Und da seit der Reaganära die weltweiten Realzinsen immer relativ hoch liegen, steigen mit den Schulden auch weiter die Geldvermögen.

Grundsätzlich gilt als neues Dogma der Globalisierung, daß die Schulden sozialisiert und die Vermögen privatisiert werden. So auch geschehen zu Beginn der Währungskrise in Südostasien, als die großen Vermögens-besitzer in Thailand, Malaysia und Indonesien zu einer massiven Flucht in den Dollar ansetzten und damit die Abwertungsspirale noch stark beschleunigten. Und wie jetzt in Südkorea wird die seit der ersten Währungskrise von 1982 bekannte Umschuldungspolitik fortgesetzt, der Großteil der privaten Schulden der Konzerne wird zu Staatsschulden umgeformt. Die Forderung von Altvater/Mahnkopf "wer die Schulden kritisiert, sollte demzu-folge die privaten Geldvermögen nicht als normal ansehen" (ebenda 145), findet keine öffentliche Resonanz. Da wo öffentliche Schulden sich aufhäufen, findet im Gegenteil eine Umverteilung von unten nach oben statt.

3.2. Ist der Finanzmarkt vom realen Markt entkoppelt? Mit dem Aufkommen des Derivatehandels [ 13 ] droht der Finanzmarkt völlig in ein reines Spekulationsgeschäft abzudriften. Zudem wird er durch die Verquickung von vorher getrennten Banken, Immobilien- und Versicherungsgeschäften völlig unübersichtlich und manche Spekulationswelle und plötzliche Finanzkrise, wie die 1994 in den USA, können sich die Experten nur im Nachhinein mühsam erklären.

Völlig unstrittig unter den Fachleuten ist, daß der globalisierte Finanzmarkt zunehmend eine Eigendynamik gegenüber der realen Waren- und Dienstleistungsproduktionsebene entwickelt. "Von 1980 bis Ende 1997 stieg das Börsenkapital der Welt-Aktienmärkte um 1388 Prozent. Doch die Wirtschaftsleistung der Industriestaaten legte im gleichen Zeitraum nur um gut 60 Prozent zu" ('Spiegel',22/98). Strittig ist, ob sich Teile des Finanz-markts, wie eben der Derivatehandel und die Aktien- oder Devisenspekulation, schon völlig abgekoppelt haben, nichts mehr mit der realen Mehrwertproduktion zu tun haben - eben den neuen ‘Casinokapitalismus’ darstellen, wo nur noch Roulette mit Milliardeneinsätzen gespielt wird. Viele Wirtschaftswissenschaftler und Bankmanager behaupten das, doch mit Zahlen/Statistiken kann bisher weder diese These noch ihre Gegenthese belegt werden.

Nach der Mexikokrise 1994/95 wurde die Zahl der Anhänger der Entkoppelungsthese unter den Wirtschafts-theoretikerInnen deutlich größer. In der BRD ist Robert Kurz ein entschiedener Verfechter dieser These mit zum Teil überzeugenden Argumenten, besonders mit dem Verweis auf Marx' Begriff des fiktiven Kapitals. Das Geld habe keinen substanziellen Gegenwert mehr in der Produktion von Waren und Dienst-leistungen. Es ist nur noch "fiktives Geld", wie es Kurz und Lohoff in der Zeitschrift "Krisis" 16/17 ausdrücken: "Seit den 70er Jahren beginnt das Primat des Kredits die Vorherrschaft der Realwirtschaft abzulösen. War die Akkumulation von Geldkapital vom Beginn der industriellen Revolution bis in die fordistische Boomphase hinein eine Funktion der industriellen Akkumulation gewesen, so sank die Realakkumulation nun umgekehrt zum bloßen Anhängsel der Anhäufung fiktiven Kapitals herab" (ebenda, Seite 115).

Stellvertretend für die internationale Debatte sei hier Juan Charlos Lerda aus der namhaften amerikanischen Zeitschrift "Cepal-Review" (Cepal ist eine UN-Organisation für Lateinamerika) zitiert. Lerda schreibt in einem Aufsatz vom April 1996, unter Bezugnahme auf Untersuchungen der Entwicklung der Kapitalflüsse zwischen dem 'realen Sektor' und dem Finanzsektor, daß die quantitativen Beziehungen völlig aus der Balance geraten sind. "Es kann in der Tat gesagt werden", fährt Lerda fort, "daß die Finanzströme ein Eigenleben erlangt haben, die (nationalen) Grenzen hin und her mehrmals am Tag im Zuge der Spekulationshast überschreiten, völlig losgelöst von der realen ökonomischen Basis... ." (Lerda, 71)

Nach der relativ schnellen und für das internationale Kapital erfolgreichen Krisenintervention des IWF in Mexiko fanden diese Warnungen wieder weniger Gehör. Doch die aktuelle Asienkrise hat den Befürwortern der Entkoppelungsthese neue Nahrung gegeben. Selbst die Gralshüter der Deregulierung, IWF und Weltbank haben in ihren Prognosen versagt; im Gegenteil haben sie bis Mitte 1997 die Tigerstaaten und deren Wirtschaftspolitik als weltweit vorbildlich hingestellt. Mit der Asienkrise ist eine der fundamentalen Annahmen der Neoliberalen, der freie unkontrollierte Finanzmarkt steuere am besten die Wirtschaftspolitik, erheblich ins Wanken geraten. So kommt auch die Hauspostille des deutschen Finanzkapitals, das 'Handelsblatt', zu dem Ergebnis "daß die Finanzmärkte im weitesten Sinne sich abgekoppelt haben von den Fundamentalmärkten, über die der Außenhandel oder Beteiligungen oder Direktinvestitionen finanziert werden. Oberhalb der realen Wirtschaft gibt es die Virtualität von spekulativen Märkten, deren Produkte kaum mehr zu definieren sind" (2.1.98).

Auch Altvater vertritt die "Entkoppelungsthese" und schreibt: "Die Entkoppelung der monetären von der realen Akkumulation hat daher nicht nur den quantitativen Ausdruck überschießender Finanzkontrakte über realwirtschaftliche Umsätze, sondern die qualitative Wirkung einer Unterwerfung der realen ökonomischen und sozialen Verhältnisse unter das Finanzsystem. Die in allen Ländern geführte ‘Standortdebatte’ ist dafür beredeter Ausdruck" (Altvater in ‘Prokla’, 250).

Der Schuldendienst und die zu erwirtschafteten Zinszahlungen zwingen zu einer forcierten ökonomischen Rationalisierung und einer Verstärkung des Exports, um die eigenen Währung zu stützen. Das geht in Latein-amerika wie jetzt in Südostasien einseitig zu Lasten der Lohnabhängigen, die Reallohnkürzungen und Arbeits-platzverlust in Kauf nehmen müssen. Die enge Verflechtung des weltweiten Finanzmarktes führt zu einer sehr schnellen Übertragung und Verstärkung von Preis- und Devisenschwankungen von einem Land aufs andere.

Da in den letzten Jahren im Derivatehandel, insbesondere der bisher überhaupt nicht kontrollierbare außerbörsliche, sogenannte OTC-Handel, explosionsartig sich ausgeweitet hat und daneben die TNU mehr und mehr dazu übergehen, sich keine Bankkredite mehr zu leihen, sondern selbst direkt auf dem globalen Finanzmarkt als Kreditnehmer tätig werden (der Fachbegriff dafür heißt ‘Verbriefung’), haben die Notenbanken kaum noch ein Kontrollinstrument in der Hand. So legen die global players Deutsche Bank oder Merill Lynch für die japanischen Industriekonzerne wie Toyota oder Matsushita internationale Anleihen in Milliardenhöhe auf dem europäische Markt auf. Eine national gesteuerte Zinspolitik ist seit Beginn der Reaganära nur noch sehr eingeschränkt für die Notenbanken möglich ist. Nüchtern konstatiert das auch die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom Mai ’97: "Staatsgrenzen verlieren zunehmend an Bedeutung, folglich schrumpfen die nationalen politischen Spielräume". Am weitesten vorangeschritten ist sicherlich die De-Territorialisierung des Geldes, die an keinem Ort, vor keinen Grenzen mehr halt macht. Die einzige Grenze ist die Ware Geld selbst, die immer gebunden bleibt an die reale ökonomische Sphäre, die Ebene der Mehrwertproduktion (siehe 3.4.).

3.3. Wieviel Macht haben noch die Notenbanken? Die Zentralbanken der USA, Japan und der BRD haben dabei noch mehr Handlungsspielräume als z.B. die Notenbanken Italiens oder Kanadas. Reagan und die US-Notenbank gingen als erste von der keynsianistisches Steuerung der Wirtschaftskonjunktur zu einer monetaristischen Geldmengenpolitik über [ 14 ] . Der Zins als Regulationsinstrument verlor dadurch entscheidend an Bedeutung. Ihr folgten in den 80er Jahren alle anderen Notenbanken der Industrieländer. Der schrittweise Rückzug der Notenbanken und damit des Staates aus der Zinspolitik ist ein wesentlicher Bestandteil der neoliberalen und monetaristischen Ideologie.

Je mehr die Notenbanken die Entwicklung der Zinsen dem privaten Interbankenmarkt und der sich entwickelnden globalen Finanzspekulation überließen, desto mehr sank ihr Regulationseinfluß auf die nationale und internationale Geld- und Zinspolitik und desto größer wird der Einfluß der privaten Geldmultis und ihrer Spekulanten. Nüchtern konstatiert dies Bundesbankpräsident Tietmeyer: "Finanzbewegungen lassen sich unter den heutigen und künftigen technischen und organisatorischen Bedingungen (...) nicht mehr kontrollieren bzw. nach ihrer Bindung an realwirtschaftliche Vorgänge separieren", so im ’Handelsblatt’ vom 17.7.96. Dieser Aussage steht auch nicht die aktive Zinserhöhungspolitik der Bundesbank Anfang der 90er Jahre entgegen, als die BRD infolge der Annexion der DDR einen hohen Kreditbedarf hatte. Denn wenn der globale Finanzmarkt damals nicht das Vertrauen in die Stabilität der DM und damit die Rückzahlbarkeit der BRD-Auslandskredite gehabt hätte, hätte die Bundesbank diese Zinserhöhung nicht durchsetzen können. England 1992, Schweden 1994 oder jetzt Südkorea setzten vergeblich auf Zinserhöhung, um eine weiteren Devisenabfluß und eine Abwertung ihrer nationalen Währungen zu vermeiden.

Japan, die USA und die BRD sind die Länder, wo den Notenbanken es noch möglich ist, die Devisenkurse in begrenztem Umfange durch ihre Politik oder wirtschaftspolitischen Instrumente zu beeinflussen. Martin/Schumann beschreiben, daß 1995 - bedingt durch die starke Stellung der USA auf dem Weltdevisenmarkt - der Dollar von der US-Regierung und ihrem Notenbankenpräsident Greenspan ‘schlecht geredet’ wurde. Daraufhin setzten die Devisenspekulanten auf Abwertung und der Kurs des Dollar sank in paar Monaten um 20%. Infolgedessen rutschten viele andere Währungen mit in den Keller, nur die DM, der Schweizer Franken und der Yen bleiben stark. Damit war aber die Kalkulation u.a. der deutschen Multis wie Daimler oder Siemens über den Haufen geschmissen, denn nun waren plötzlich ihre im Ausland erzielten Erträge 20% weniger wert und die Manager kündigten eine verstärkte Verlagerung in den Dollarraum an, um sich vor solchen Verlusten besser zu schützen. Das ‘Handelsblatt’ und ‘Business Week’ sprachen damals von der "Ohnmacht der Notenbanken", gemeint waren die japanische und die europäischen Notenbanken, die mit ihrem Finanzvolumen nicht mehr gegen die täglichen Billionendevisenumsätze gegenansteuern können (siehe Martin/Schumann, 106ff).

In ihrer Darstellung der Entwicklung der globalen Finanzspekulation überschätzen meiner Ansicht nach die ‘Spiegel’-Autoren die Rolle der US-Notenbank. Martin/Schumann verkürzen Globalisierung auf eine Amerikanisierung: "Zumindest auf den Finanzmärkten bedeutet Globalisierung bisher wenig mehr als die Amerikanisierung der Welt," (ebenda, 109). Natürlich kommt die Stärke des Dollar nicht nur aufgrund der Marktmacht sondern auch aufgrund der militärischen Macht der USA zustande. Aber die USA und ihre Notenbank können auf Dauer keine Politik gegen die Interessen des Weltkapitals durchsetzen, dafür haben sich die Gewichte der Wirtschafts- und Geldmacht in den letzten zwei Jahrzehnten zu sehr in den Pazifikraum und nach Europa verlagert und der Dollar ist längst nicht mehr die alleinige Weltreservewährung. Wenn das japanische Kapital z.B. plötzlich seine mehrere hundert millardenteuren US-Staatsanleihen verkaufen würde (worüber in den Wirtschaftszeitungen Anfang 1998 spekuliert wurde), käme es zu einer sehr ernsten Krise der US-Wirtschaft. Besonders die USA betonen immer wieder in den letzten Monaten die Verantwortung Japans in der Lösung der asiatischen Krise. Japan müsse ein massives Konjunkturprogramm auflegen und so mehr Importe aus den krisengeschüttelten Tigerstaaten stimulieren. Der Yen müsse stabil bleiben. Der neue Euro gilt in den Augen der US-Finanzpolitik als Bedrohung und wird als Konkurrent um die zukünftige Weltreservewährung sehr ernst genommen. Bisher werden noch mehr als 60% aller Devisengeschäfte in Dollar abgewickelt. Das wird sich ab 1999 ändern, besonders dann, wenn der Euro die ersten Spekulationsattacken überstanden hat.

Weil immer mehr die Devisen- und Finanzmärkte das weltwirtschaftliche Geschehen dominieren, sind die nationalen Regierungen und Notenbanken gezwungen, eine möglichst ‘harte’ Währung mit niedriger Inflation, ausgeglichenem Staatshaushalt und positiver Handelsbilanz zu gewährleisten. Das ist auch der eigentliche Hintergrund für das Maastricht-Abkommen der EU-Staaten. Sonst ist der ‘Euro’ von Beginn an eine ‘weiche’ Währungen und von Abwertungsspekulationen bedroht. Wenn diese "Standortkriterien" für das internationale Kapital nicht erfüllt werden, zieht die Spekulationskarawane weiter und es kommt selbst in solchen Staaten wie Großbritannien 1992 zu einer völlig unerwünschten Abwertung.

3.4. Staatsschulden und Devisenspekulation gehören zusammen. Neuerdings werden auf den Wirtschaftsseiten zur Bändigung der Weltwährungskrise die Einführung von Devisensteuern vorgeschlagen. Laut Altvater/Mahnkopf sind Steuern auf Zins- und Spekulationserträge ziemlich unwahrscheinlich. Dann würde das Kapital sofort die Flucht ergreifen. Die Staatsschulden sind eine "Funktionsnotwendigkeit im deregulierten Derivatekapitalismus. Die Bedienung freilich wirft Probleme auf, da diese die Funktion der Erhaltung privater Geldvermögen nicht erfüllen könnte, wenn der öffentliche Schuldendienst durch Steuern auf Geldvermögen finanziert würde. Dann bleibt nur der Zugriff auf die Einkommen der Nicht-Geldvermögensbesitzer und die sozialstaatlichen Transferzahlungen. Also führt die Globalisierung der Finanzmärkte und die Entstehung der Clubgesellschaft zu jener Krise des Wohlfahrtsstaats, die in den 90er Jahren in allen Ländern, nun auch in den Ländern mit langer wohlfahrtstaatlicher Tradition - Skandinavien, Deutschland - ausbricht" (Altvater/Mahnkopf, 171). Die aufzubringenden Zinszahlungen sind verteilungsneutral nicht zu leisten, sie implizieren also eine radikale "Umverteilung zu Gunsten der Geldvermögensbesitzer" (Altvater/Mahnkopf).

Wieder läßt sich alles wie durch ein Brennglas mit der jüngsten Währungskrise in Südostasien veranschaulichen. Die Krise nahm ihren Ausgangspunkt mit der beginnenden Spekulation gegen den (überbewerteten) thailändischen Baht. Im Mai '97 begannen europäische, japanische und nordamerikanische Großbanken und Hedgefonds die Spekulation auf Abwertung des Baht. Mit Milliardeneinsätzen zwangen die privaten Finanz-institute die thailändische Notenbank binnen drei Monate ihre gesamten Devisenreserven von 38 Milliarden Dollar auf den Markt gegen die Spekulationsflutwelle aus den Devisenbörsen einzusetzen. Vergeblich: "Sie waren einfach zu stark für uns" stellte im Nachhinein der damalige thailändische Notenbankchef Rerngchai fest. Am Ende war Thailand pleite und allein die beteiligten Hedgefonds um 8 Milliarden $ reicher ('Der Spiegel', 22/98). Und zu guter Letzt garantiert der IWF den Spekulanten den Rückfluß ihrer Kredite. Oder anders ausgedrückt: der IWF schürt durch seine Politik noch das Feuer der globalen Spekulation.

Doch genau diese Politik des IWF in Südostasien - mit seinen negativen Folgen auch für so wirtschaftlich intakte Länder wie Brasilien und Chile, die infolge der Asienkrise unter Kapitalabzug leiden – gerät immer heftiger ins Kreuzfeuer. Immer lauter wird über die Wiedereinführung der Kontrolle der Devisen- und Kapitalströme diskutiert. Die renommierte britische Wirtschaftsfachzeitschrift 'Economist' schreibt am 12.9.98: "Die Behaup-tung, die Anleger hätten sich ohne Ansehen der damit verbundene Risiken in die Märkte der aufstrebenden Länder gestürzt und sich dann plötzlich ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen wieder zurückgezogen, kommt der Wirklichkeit sehr nahe. (...) die Idee einer Reglementierung der Kapitalströme ist nicht abwegig."

Doch noch einmal zurück zur der Frage der Entkoppelung der Finanzmärkte: Aus theoretischer, marxistischer Sicht, ist eine Entkoppelung wenig wahrscheinlich. So viele Argumente Altvater/Mahnkopf für die Abkoppelungsthese des Geldmarktes von der realen Warenproduktion auch auffahren, sie selbst sind am Ende doch davon überzeugt, daß letztendlich eine komplette Loslösung der Ware Geld von der Mehrwertproduktion nicht stattfindet und begründen dies unter Bezug auf Marx: Geld als Ware drückt zugleich wie alle Waren ein gesellschaftliches Verhältnis aus. Es ist, wie Marx es formulierte, das "wahre Gemeinwesen", vereinheitlicht die Gesellschaften, "indem es alle substanziellen Verschiedenheiten in seiner formalen Qualität des gemeinsamen Zeichens aufgehen läßt" (ebenda, 148). Aber hieraus entwickelt sich eine "Paradoxie" zwischen Arbeitsgesell-schaft und Geldgesellschaft: "die Substanz des Werts wird durch die Arbeit gebildet, die Form des Werts entfaltet sich zum Geld, das die sozialen Beziehungen zu Sachzwängen zuspitzt" (ebenda, 150) (siehe auch MEW 23, Seite 209). Oder wie es im ‘Spiegel’, Nr.7/1996 heißt: "Das Kapital sucht rund um den Globus nach Anlagemög-lichkeiten. Wer für die Investoren interessant sein will, darf, wie Schrempp (Chef von Daimler-Benz) nur ein Ziel verfolgen: ’Profit, Profit, Profit’. Wer als Unternehmen zuviel soziales Engagement zeigt, wird dagegen mit Kapitalentzug bestraft". Die Autoren schlußfolgern daraus: "Die geldgesellschaftlichen Normen definieren also das System der gesellschaftlichen Arbeit, und zwar als Folge der Globalisierung weltweit" (ebenda, 153). Und dennoch bleibt das Geld an die Arbeitsgesellschaft gebunden. Darauf insistieren die Autoren unter Bezug auf Marx’ Herausarbeitung des Geldes als Fetisch. "Der von Marx eindringlich beschriebene Fetischismus des Geldes erlaubt zwar die Abstraktion von materialen und energetischen Dimensionen der sozialen Kommunikation in den gesellschaftlichen Subsystemen und deren Systematisierung in wissenschaftlicher Semantik. Doch zeigt es sich, daß zur Erhaltung der durch Zahlung/Nicht-Zahlung qualifizierten Kommunikation innerhalb des Teilsystems Wirtschaft metabolische Prozesse - Arbeit ist Auseinandersetzung mit der Natur und daher Stoff- und Energietransformation - ablaufen. Eine Geldgesellschaft kann folglich nur als Arbeitsgesellschaft adäquat interpretiert werden. Dies in aller Schärfe herausgearbeitet zu haben, ist die große Leistung von Marx, an die spätere geldtheoretische Diskurse nicht heranreichen." (ebenda, 155). Weniger theoretisch ausgedrückt heißt das: die Zinsen für die (Staats-) Schulden müssen immer von irgendwem irgendwo hart erarbeitet werden, zumeist von den Ärmeren und Lohnabhängigen.

 

4. Die neuen Formen der Macht - die ‘Global players’ - lösen die alte Macht des Staates ab

Auf dem diesjährigen Davoser Wirtschaftsforum sagte der Londoner Wirtschaftsberater David Roche: "Ich glaube nicht das die politischen Programme der europäischen Regierungen nur den kleinsten Einfluß haben werden. Was zählt ist die Stärkung der Unternehmen durch die Globalisierung. Der Trend zu sich selbst steuernden Wirtschafts-systemen wird die Politiker außen vor lassen" (‘Tsp.’ 2.2.98).

Wenn in diesem Kapitel von den neuen Formen der Macht die Rede ist, dann ist zweierlei vorauszuschicken:

1. Sind die Träger der Macht durchaus altbekannte Gesichter aus den Konzernzentralen der Multis Nordamerikas, Japans und Westeuropas. Hinzugekommen sind ein paar Chefs der wichtigsten Firmenkonglomerate aus Südkorea und anderen Tigerstaaten.

2. Die neue Form der privaten Wirtschaftsmacht ist strenggenommen sogar die ganz uralte von Karl Marx herausgearbeitete Tendenz der kapitalistischen Entwicklung, nämlich die Unterwerfung sämtlicher ökonomischer Aktivitäten unter die Herrschaft des Wertgesetzes, die ausschließliche Bewertung aller wirtschaftlichen Aktivitäten in Form des Geldes und der Verwertung des Werts. Die bürgerliche "Zeit" drückt es etwas vornehmer aus: "Die wirtschaftliche Veränderung, die heute stattfindet, ist höchst kompliziert und erzeugt international destruktive und konstruktive Folgen zugleich. Sie läuft hinaus auf eine gewaltsame Anpasssung der verschiedenen wirtschaftlichen Gesellschaften dieser Welt an eine westliche Monokultur, die von mächtigen westlichen Wirtschaftsakteuren gesteuert wird, deren Motivation maximaler Profit ist" (‘Zeit’, 2.1.98).

Das Neue ist, daß im Zuge des Neoliberalismus mehr und mehr Teile des Staates bzw. des öffentlichen Sektors dieser Inwertsetzung und Durchkapitalisierung unterwofen werden. Oder um ein anderes neues Feld zu nennen: Die Inwertsetzung der weltweiten gentechnischen Ressourcen durch die Gen- und Saatgutmultis, indem sie z.B. ganze Urwaldregionen wie in Costa Rica aufkaufen und alle Pflanzengene katalogisieren und privatisieren. Diese Konzerne machen dabei vor der Katalogisierung des Bluts der Indiginas nicht halt. Auch die menschlichen Gene gehen in den Privat-Besitz von Genfabriken über!

Die neuen und alten Herrn der Welt werden fürstlich entlohnt und sind direkt an den Gewinnen mit eigenen Aktienpaketen beteiligt. Wie schon an verschiedenen Stellen betont, sind die Global Player und ihre Manager auch in den Zwängen der Konkurrenz gefangen und insofern auch "Charaktermasken" des Kapitals, sie vollziehen bewußt oder unbewußt die dem kapitalistischen Akkumulationsprozeß innewohnenden Gesetzmäßigkeiten. Der BMW-Chef Pischetsrieder gestand in einem Interview nach dem Kauf von Rolls Royce, das die Übernahme ökonomisch keinen Sinn mache, BMW aber durch die Konkurrenz mit Honda dazu gezwungen wurde, dieses Marktsegment im Weltautomobilmarkt zu besetzen.

4.1. Der langsame Abtritt der Nationalstaaten. Die neue Form der Macht ist entstanden aus dem Rückzug des Nationalstaates – dieser Prozeß ist nicht abgeschlossen, verläuft widersprüchlich, aber es gibt eine klar erkennbare Tendenz - teils freiwillig, teils erzwungen (in den Schuldnerstaaten unter dem IWF-Regime). Zunächst ist es zur einer Machtübertragung, später dann zu einer neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Macht der Global-Players gekommen. Diesen Prozeß will ich jetzt mit einigen Beispielen veranschaulichen. [ 15 ]

Im vorhergehenden Kapitel habe ich es schon angedeutet, durch die Computerisierung des Finanzmarktes und durch die Ausdehnung des außerbörslichen Kredit- und Devisengeschäftes haben die nationalen Notenbanken sowohl keine Zeit wie keine Mittel mehr, die Transaktionen zu kontrollieren. Binnen Sekunden werden auf den Bildschirmen Millionenbeträge von einem Land ins andere, von einem Konzern zum anderen hin und hergeschoben. Die Macht der Broker im Derivatehandel mit seinen über 7000 verschiedenen Optionshandels-arten und seinem jährlichen Marktvolumen von über 55 Billionen $ verbaut den Aufsichtsgremien bei den Notenbanken völlig die Steuerungsmöglichkeit. Dies wird auf allen Konferenzen der G7-Staaten und der Jahrestagungen des IWF beklagt (IWF-Chef Camdessus: "Die Welt ist in den Händen dieser Leute"), aber bisher läuft alles so weiter. Alle Experten beschwören die mangelnde "Transparenz" des Marktes, die Störanfälligkeit und Verwundbarkeit des Interbankenmarktes aufgrund der hohen wechselseitigen Kreditvolumina und die geringe staatliche Einflußnahme auf die global operierenden Broker und Spekulanten, die eng mit den Großbanken und Hedgefonds verquickt sind. Selbst hartgesottene Vertreter der Deregulierung wie das New Yorker 'Wall Street Journal' geraten angesichts der aktuellen Weltfinanzkrise ins Grübeln: "Bei jeder dieser Währungskrisen wird es schwieriger zu behaupten, daß Märkte perfekt funktionieren" wird der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses Jeffrey Frankel vom 'Wall Street Journal' zitiert. Ratlosigkeit herrscht allerorts unter den Neoliberalen: "Was die Krise so zermürbend macht, ist, daß keine klare Lösung in Sicht ist" schreibt das New Yorker Börsenblatt und weiter: "Selbst Anhänger freier Märkte sind bestürzt, mit welcher Macht und wie unverhältnismäßig die Finanzmärkte Länder für Verstöße bestrafen" (zitiert nach Tsp. vom 31.8.98).

Die Hohepriester des freien Marktes werden ihren Zauberlehrling nicht mehr los. Eine Lösung wäre nur in Sicht, wenn sie dem Zauberlehrling Ketten anlegen würden, die Ketten eines regulierten, global gesteuerten Finanzmarktes – aber auch das wäre nur eine vorübergehende Atempause. Entscheidender wäre die Macht der Global Players auf dem globalen Finanzmarkt einzuschränken, die Abhängigkeit der Nationalstaaten von den großen Vermögensverwaltern aufzuheben. Narr/Schubert formulieren die These, "daß die Weltökonomie infolge der Transnationalisierung der (Geld-) Vermögen einer strukturellen Währungsinstabilität ausgesetzt ist, die mit ''guter' Wirtschaftspolitik ebensowenig überwunden werden kann wie mit umfassenden Kontrollen" (Narr/Schubert, 112). Oder anders gesagt, solange die neoliberale Wirtschaftspolitik und damit die ungezügelte Macht der Global Players weiter dominieren, ändert sich nichts! Von daher sitzen die kritischen Begleiter der Deregulierung in den Redaktionsstuben der wichtigsten Wirtschaftszeitungen logischerweise ratlos in der Zirkuskuppel.

Doch wie ist der Abtritt der Nationalstaaten nun im einzelnen gelaufen? Im Zuge des Globalisierungsprozesses und hier vor allem durch Bildung des europäischen Binnenmarktes und durch den Abschluß der Uruguay-Runde (neues GATT-Abkommen und verstärkte Position der WTO) verringerte sich die Bedeutung der Nationalstaaten in der Prägung der Weltwirtschaftspolitik und in der Vorantreibung der Liberalisierung. An ihre Stelle treten zum einen die von den Regierungen kontrollierten supranationale Organisationen wie der IWF und die Weltbank, aber auch die WTO, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und zum anderen die TNU selbst.[ 16 ]

Die Nationalstaaten haben durch den Abbau der Zoll- und Handelsschranken wie aber vor allem durch die Liberalisierung des Geld- und Währungsmarktes erheblich an Gestaltungskraft für eine eigenständige Wirtschafts- und Geldpolitik verloren. Dies gilt insbesondere in der schon erwähnten nationalen Geld- und Zinspolitik.

Am bekanntesten und deutlichsten ist wohl die Macht des IWF in den Schuldnerstaaten, wo der IWF durch seine Kreditvergabekriterien direkt den Staatshaushalt beeinflußt, die Höhe der Steuern und den Umfang des öffentlichen Dienstes mitbestimmt. Der IWF schließt dann sogenannte Bereitschaftskreditabkommen mit den Regierungen ab. Im Spätherbst 1997 hat der IWF z.B. mit Thailand nicht nur steigende Zinsen und ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum vereinbart, sondern auch Bankenkonkurse und Massenentlassungen aus dem öffentlichen Dienst. Die Autonomie sehr vieler Schuldnerstaaten ist stark eingeschränkt, das Sagen haben die Herrn von der Weltbank, dem IWF und den internationalen Großbanken. Wobei im IWF die USA, Japan und die BRD den höchsten Einlageanteil aufbringen und gemäß dem IWF-Statut damit den größten Einfluß auf die IWF-Politik haben, getreu der Devise: "Wer zahlt, der bestimmt."

Die Multis entwickeln jedoch auch eigenständige Dachorganisationen, die nicht nur internationale Lobbiistenfunktionen wahrnehmen, sondern auch interne Regelwerke aufstellen mit entsprechender Kontroll- und Sanktionsfunktion. Am weitesten vorangeschritten scheint dies im Bereich der Finanzdienstleistungen zu sein. Zum Beispiel hat die "Internationale Organisation der Wertpapierkommission (IOSO), die private internationale Organisation der führenden Weltbörsen (New York, Chicago, London, Tokio, Hongkong), es auch gegen den Widerstand des deutschen Börsenkartells, des deutschen Börsenvereins, und des Bundesfinanz-ministeriums durchgesetzt, das an der Frankfurter Börse z.B. dieselben Schutzregeln für Wertpapieranleger gelten wie in New York. Die Deutschen Finanzinstitute mußten sich dem Druck 1995 endgültig beugen, weil sie sonst nicht an den wichtigsten Börsen in den USA und Südostasien zugelassen worden wären (ausführlich dazu S. Lütz 1997). Ein andere Organisation ist S.W.I.F.T., ein Zusammenschluß von über 5000 Banken und Finanzinstitutionen in mehr als 150 Ländern, die sowohl den computergesteuerten Informationsaustausch für den Interbankenmarkt gewährleistet wie auch entsprechende Regeln für die Interbankengeschäfte aufgestellt hat.

Die führenden G 7-Staaten haben die Liberalisierung aus freien Stücken, häufig zwar aufgrund massiven Drucks heimischer Multis, vollzogen. So ist auch das Zurückdrängen des staatlichen Einflusses und der Steuerungsmöglichkeiten hausgemacht, bewußt gewollt und nicht einfach vom Himmel gefallen. Wenn ein Mr. Greenspan oder ein Herr Tietmeyer sich darüber beklagen, ist das nichts anders als Heuchelei; denn sie waren mit ihren nationalen Regierungen die entscheidenden Vorantreiber dieser Deregulierung des Finanzmarktes, dieser Auslieferung der Geld- und Kreditpolitik in die Hände der Global-Players der Banken- und Versicherungsbranche. Heute scheint es keine Weg zurück mehr zu geben. "Es ist illusionär anzunehmen, die Regierungen könnten den Ablauf der Weltökonomie 'regeln' oder 'steuern'. Anpassung heißt die Devise. (...) Vor allem im monetären Bereich zeigt sich, daß die globale Mobilität des Geldkapitals die einzelnen Nationalstaaten vor Anpassungszwänge stellt, die sowohl die gesellschaftlichen Ungleichheiten als auch die globalen Instabilitäten noch vertiefen können." (Narr/Schubert, 45)

Nun zeigt aber der Verlauf der südostasiatischen Finanzkrise, daß der IWF und der US-Notenbankchef Greenspan und sein deutscher Kollege sehr wohl noch was zu sagen haben, Geldmacht ausüben und der IWF für das globale Finanzkapital die Liberalisierung der asiatischen Märkte gewaltsam durchsetzt. Aber die Tendenz weist eindeutig in die Richtung des weiteren Anwachsens der Macht des privaten Geldkapitals. Die New Yorker-Ranking-Agentur "Moodys" z.B. bewertet nicht nur Banken und Privatkonzerne sondern stuft auch die internationale Kreditwürdigkeit solcher Länder wie Brasilien oder Südkorea ein. Staaten werden wie die Multis in ihrer Kreditwürdigkeit behandelt, ihnen gleichgestellt. Je niedriger Moodys sie einstuft, desto höhere Zinsen müssen sie auf dem Finanzmarkt für ihre Kredite bezahlen.

Auch im Bereich des Handels mit Waren und Dienstleistungen verlieren tendenziell die Staaten immer mehr an Steuerungsmöglichkeiten. Gemäß dem WTO-Abkommen von 1995 betragen die durchschnittlichen Zölle nur noch 5% gegenüber 40% vor 50 Jahren. Durch den Zollabbau sind nationale (Teil-) märkte wie z.B. die Stahlindustrie Brasiliens oder der Kohlebergbau Polens vor internationaler Billigkonkurrenz nicht mehr schützbar. Nicht ganz zu unrecht feiert das der WTO-Präsident Ruggerio als "geopolitische Revolution".

Das Paradebeispiel für den Rückzug des Staates stellen für mich die gravierenden Veränderungen in der Steuerpolitik der Staaten dar:

Hier ist es in den letzten Jahren unter den mächtigsten Staaten zu einem regelrechten Wettlauf in der Senkung der Unternehmensbesteuerung gekommen. Die TNU, die den Welthandel beherrschen, beschleunigen diese Prozesse noch. Sie können u.a. mit dem System der Transferpreise ihre Gewinne zwischen ihren Tochtergesellschaften hin- und herschieben. Je nachdem wo die Steuern höher sind fallen weniger Gewinne an, weil die Waren zu künstlich höheren Preisen eingekauft werden. Eine andere Variante ist die Verlegung des Firmensitzes von einem Hochsteuerland in ein Niedrigsteuerland. Laut der britischen Wirtschaftsfachzeitschrift ‘Economist’ vom 31.5.97 sinken seit einigen Jahren weltweit die Steuereinnahmen aus Gewinnen der Unternehmen, weil die Multis die Staaten gegeneinander ausspielen. Der schwedische Multi "Ericsson" kündigte vor einem Jahr an, den Hauptsitz aus Schweden zu verlagern, wegen der hohen Unternehmensbesteuerung. Ericsson hat 1997 einen Gewinn über 3 Milliarden DM gemacht; dies würde einen dreistelligen Millionensteuerausfall für den schwedischen Staat bedeuten.

Damit wird das klassische Instrument des bürgerlichen Nationalstaates, die Steuerpolitik immer mehr zu einer stumpfen Waffe gegenüber dem global agierenden Kapital. Das System der Transferpreise ist völlig systemimmanent und legal und findet keine öffentliche Aufmerksamkeit. Der Siemenskonzern ließ 1995 seinen 2,6 Mrd. DM-Gewinn buchungstechnisch mithilfe des Transferpreissystems vollständig im Ausland anfallen und zahlte keine müde Mark Gewinnsteuern, Daimler-Chef Schrempp tönte 1996 gegenüber der Bundesregierung: "Von uns kriegt Ihr nichts mehr". 1997 steigerte Daimler seinen Gewinn auf 4.6 Milliarden DM.

Eine schärfere Besteuerung der deutschen Multis kommt auch für die neue BRD-Regierung nicht in Frage, angeblich aus Gründen der Standortkonkurrenz mit anderen Staaten. Lafontaine will nur einige Steuerschlupflöcher für die Bezieher hoher Einkommen stopfen. Die Regierung kann zwar die Reichtumspolarisierung ein wenig abmildern, aber im Kern kann sie bei zunehmender Globalisierung an der Förderung der Geldvermögensbesitzer und Reichen nichts drehen, dafür ist die Abhängigkeit vom Weltmarkt zu groß und die nationale Steuerhoheit zu löchrig geworden.

Von 1990 bis 1995 sank die durchschnittliche Unternehmensbesteuerung von 33 auf 26% (und liegt damit unter der der USA und Japans) bei gleichzeitig kräftig gestiegenen Gewinnen. Wäre der Prozentanteil gleich hoch geblieben, hätte der Staat 86 Milliarden DM mehr eingenommen.

Es fehlt der politische Wille der G 7-Staaten, für eine weltweite, höhere Besteuerung der Geschäfte der Multis zu sorgen. Im Gegenteil, alle senken in einem gegenseitigen Wettlauf die Unternehmensbesteuerung, auch die neue Laborregierung in London hat mit als erste Maßnahme die Unternehmenssteuern gesenkt. Theoretisch könnten alle globalen Steuer-Schlupflöcher abgeschafft, die 37 weltweiten Steueroasen geschlossen werden. Das würde aber eine radikale Umkehr in der Wirtschaftspolitik - gegen die Macht der Multis - voraussetzen. Deren Macht scheint derzeit nahezu unbegrenzt zu sein: "Insgesamt kontrollieren diese Unternehmen etwa 250.000 ausländische Tochtergesellschaften; der Einfluß der internationalen Streitmacht ist, so urteilt die UNCTAD, ‘unumkehrbar’ (‘Spiegel’, 39/96). Zudem ist es reichlich naiv anzunehmen, daß der bürgerliche Staat gegen einer seiner Hauptstütze vorgehen würde. Dies könnte nur der weltweite Druck von unten leisten, doch der ist zur Zeit nur lokal und zeitlich begrenzt vorhanden. Den Global-Players fehlt einfach der systembedingte, antagonistische Widerpart.

4.2. Das M.A.I.-Abkommen. Welche Macht mittlerweile die Global-Players innehaben, verdeutlicht wohl am Besten die Auseinandersetzung um das neue "Multilateral Agreement on Investment" (MAI), über das mehr als zwei Jahre am Sitz der OECD in Paris verhandelt wurde. Letztendlich ist es Widerstand der französischen Regierung wegen der drohenden kulturellen Hegemonie der US-Filmindustrie, gegen die sehr viele franz. Intellektuelle protestierten, gescheitert. Desweiteren spielten wohl auch Rivalitäten zwischen der EU und den USA im Zuge der geplanten "Transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft" eine größere Rolle, auf die ich hier nicht eingehen kann, weil ich darüber keine Ahnung habe. Inwieweit der international sehr gut koordinierte Protest gegen das MAI eine Rolle bei dem letztendlichen Scheitern spielte, vermag ich überhaupt nicht zu beurteilen. Jedenfalls haben die 4000 Gegendemonstranten die WTO-Bosse bei ihren Feiern in Genf im Frühjahr mehr als genervt.

Über das MAI stritten 29 Mitgliedsstaaten der OECD, darunter alle reichen Länder. "Wir schreiben die Verfassung für die neue globale Ökonomie" kommentierte der WTO-Chef Renato Ruggerio die Pariser Verhandlungen.

Kernpunkt des geplanten Abkommens war das weitere Zurückdrängen jeglichen Regierungseinflusses über ausländische Investitionsentscheidungen der Multis. Mit dem Abkommen sollten alle nationalen Regierungen an die Kette des MAI und damit an die Kette der Multis gelegt werden! Die Multis wären in ihren Rechten allen Parlamenten und Staaten gleichgestellt worden.

Im einzelnen war vorgesehen, daß keine nationale Regierung durch ihre Politik oder Gesetze ausländische Investoren gegenüber einheimischen Investoren benachteiligen darf. Den Multis dürften keine Vorschriften mehr gemacht werden über einschränkende ökologische, soziale bzw. arbeitsrechtliche Vorschriften, die über die MAI-Vorschriften hinausgehen. So mußte im Sommer dieses Jahres die kanadische Regierung eine Umweltschutz-auflage zur Verhinderung der Produktion des giftigen chemisches Zusatzstoffes MMT in der kanadischen Filiale des US Konzern 'Ethyl-Corporation' aufgrund einer Klage gemäß den Bestimmungen des NAFTA-Abkommens des US-Konzerns wieder zurücknehmen und sogar Schadensersatz zahlen. Diese Passage des NAFTA-Vertrages wurde nahezu wortwörtlich in das MAI-Abkommen übernommen!

Die gleichen Investitionsstandards gelten sowohl für die USA wie für alle anderen Länder wie Indien, Nigeria oder Italien - und ganz wichtig: sie gelten für alle Branchen und alle Investoren gleich. Die Multis hätten das Recht, einzelne Länder bei Verstoß gegen die MAI-Bestimmungen sofort vor einem internationalen Gerichtshof zu verklagen. Also wenn z.B. der US-Bundesstaat Illinois für den öffentlichen Dienst eine Anweisung herausgibt, nicht mehr bei "Shell" zu tanken, wegen dessen krimineller Ölförderungspolitik in Nigeria, dann kann "Shell" zukünftig Illinois vor dem internationalen Gerichtshof verklagen, weil "Shell" gegenüber anderen Ölkonzernen ‘diskriminiert’ wurde.

Die Regierungen dürften keine Gesetze über die Beschränkungen des Kapitalabflusses durch die Multis oder des Gewinntransfers erlassen. Sie dürften die Multis nicht zwingen, einen bestimmten Prozentsatz einheimischer ArbeiterInnen einzustellen. Besonders heikel ist auch das, was unter geistigem Eigentum zu verstehen ist, dazu gehören alle Patente auf technische aber auch auf biologische Produkte, inklusive Genpatente. Hier hätte es zukünftig keine reglementierenden Vorschriften mehr für die Multis gegeben.

4.3. Noch ist der Staat aber kein Papiertiger... Wenn wir so ausführlich den Aufstieg der neuen Mächte dargestellt haben, so ist dies keineswegs in allen Weltregionen gleich und verläuft auch nicht ohne widersprüchliche Tendenzen. Die Global Players sind sich häufig untereinander nicht "grün" und konkurrieren gegeneinander. Die Interessen der Investmentfonds stimmen nicht unbedingt mit den langfristigen Produktionsplanungen der Industrie-Multis überein und die Fonds versuchen Druck auf das Management auszuüben, die Profite kurzfristig hochzufahren (gemäß der shareholder-value-Direktive). Zudem geben die alten Mächte, die bürgerlichen Nationalstaaten, zwar an wichtigen Stellen (Steuer-, Zoll- Investitions- und Währungspolitik) staatliche Einflußbereiche freiwillig (oder vom IWF erzwungen) auf, dafür bewahren sie sich aber auf anderen wirtschaftspolitischen Feldern sehr wohl die Staatsoberhoheit. Ganz abgesehen von der Dominanz staatlicher Politik in der Militär- und Sicherheitspolitik. Einige dieser gegenläufigen Tendenzen will ich an dieser Stelle erwähnen.

Besonders in einigen G7-Staaten hinkt die Privatisierungswelle von Staatsbetrieben der weltweiten Entwicklung hinterher. In Frankreich sind die meisten Banken immer noch in Staatsbesitz, die Bundesrepublik verkauft sehr langsam ihre Staatsbeteiligungen an der Börse, aktuell ist 1998 Niedersachsen wieder beim Stahlkonzern Preussag eingestiegen und erhöht sein Aktienbesitz bei VW. In Südostasien hat erst die Schuldenkrise die Regierungen gezwungen, viele staatliche oder vom Staat kontrollierte Betriebe zu privatisieren. In China sind von 350.000 Betrieben an sich 125.000 pleite, werden aber durch Staatssubventionen künstlich am Leben gehalten. Grundsätzlich gilt, je schwächer die wirtschaftliche Stellung eines Staates auf dem Weltmarkt ist, desto stärker wird er vom globalen Finanzkapital gezwungen, sich aus dem öffentlichen Sektor zurückzuziehen. Für wirtschaftspolitisch mächtige Staaten wie den USA, Japan oder der EU gilt dieseTendenz eben bisher so nicht. Der Haushalt der EU besteht zum großen Teil aus Mitteln zur Subventionierung der Wirtschaft. Ganze Branchen werden so am Leben gehalten, wie die europäischen Stahl-, Werftindustrie und besonders der europäische Agrarmarkt, wo allein jährlich mehr als 20 Milliarden $ versickern.

Auch wenn namhafte Ökonomen wie Lester Thurow behaupten "überall regiert der Markt, allein der Markt", dann heißt das gerade in den reichen Industriestaaten keineswegs, daß sich der Staat aus dem Wirtschafts-geschehen vollständig verabschiedet. Mit zunehmender Globalisierung verschwinden ganz und gar nicht die Handelsbeschränkungen zwischen den stärksten Nationen der Triade. Im Gegenteil, sowohl die USA, wie Japan und die EU versuchen immer wieder mit neuen Tricks, u.a. durch bilateraler Handelsabkommen sogenannte Selbstbeschränkungsabkommen mit lästigen ausländischen Konkurrenten (z.B. beim begrenzten Import japanischer Autos in die EU) neue Handels- und Zollhürden aufzubauen.

Narr/Schubert haben daraufhingewiesen, daß auch im Bereich der sogenannten Basistechnologien, wie der Chipproduktion, der Chemie- und Pharmabranche oder der Flugzeugindustrie, keineswegs sich die Nationalstaaten aus dem Wirtschaftsgeschehen verabschiedet haben. Gerade der hochsubventionierte Aufbau der europäischen Airbusindustrie geht auf strategische Überlegungen damaliger Wirtschaftsbosse und Regierungschefs zurück. In der BRD waren damals Kanzler H. Schmidt und Daimlerchef E. Reuter die entscheidenden Vorantreiber, um die Systemführerschaft der US-Konzerne Boeing und Mc Donell Douglas zu zerschlagen. (Narr/Schubert, 83ff)

In der BRD hat sich der Nationalstaat zum Wettbewerbsstaat umgewandelt, wie es Joachim Hirsch 1995 formulierte. Das heißt, er setzt sich in seiner Außenpolitik primär für die Interessen der deutschen Multis ein und in seiner Innenpolitik kümmert er sich um die allgemeine Verbesserung der "Standortbedingungen" für das deutsche und internationale Kapital. Unter Standortpolitik wird dabei die allgemeine Hebung der ökonomischen Effizienz aller wichtigen Bereiche des Staates, des Bildungswesens, des Finanzwesens, des Sozialwesens, der Investitionsbedingungen verstanden. In der Währungspolitik kümmert sich der Wettbewerbsstaat um eine harte Währung, um einen möglichst großen Anteil des globalen Mehrwertkuchens auf das jeweilige Staatsterritorium zu lenken. Dies gelingt den mächtigen Industriestaaten immer schwerer. In der weltweiten Standortkonkurrenz spielen die Nationalstaaten bzw. jetzt die NAFTA oder die EU oder der ASEAN-Wirtschaftsverbund aber weiterhin eine große Rolle, trotz aller ‘Deterritorial-Tendenzen’ des Weltkapitalismus.

Was gesagt werden soll: Der Prozeß der Globalisierung ist nicht überall eindeutig und immer nur voranschreitend sondern auch mit Rückschlägen versehen, wie jetzt für die südostasiatischen Konzerne und Staaten. Je mehr die Staaten ihre Wirtschaftslenkungsinstrumente wie die Steuerpolitik aus der Hand geben und je mehr sie den Wohlfahrtsstaat im Säurebad der Weltmarktkonkurrenz untergehen lassen, desto geringer wird ihr Spielraum gegenüber den Multis und desto größer wird ihre Legitimationskrise. Im "Jahrbuch Arbeit und Technik 1997", worin großenteils Sozialdemokraten schreiben, heißt es: "National begrenzte Demokratie wird heute weniger durch Nationalismus oder Fremdenfeindlichkeit als durch die Tatsache entstellt, daß ihr zunehmend die Instrumente entgleiten, die sie braucht, um den Willen des Volkes zu entsprechen, und daß sie insbesondere die Fähigkeit verliert, ihren Bürgern ein Minimum an Schutz vor wirtschaftlicher Ungewißheit zu gewähren. Wo Demokratie leerlaufen muß, wird der politische Raum frei für symbolische und rituelle Darbietungen aller Art" (323). Nur nebenbei: Solch eine rituelle Darbietung ist z.B. die Sauberkeitswahn-Politik des früheren Berliner Innensenators Schönbom.

Mit anderen Worten beklagt auch das 'Handelsblatt' den Niedergang der staatlichen Wirtschaftslenkungsfunktion. Unter Berufung auf den altliberalen Wirtschftstheoretiker Walter Eucken fordert die Zeitung: "Der Rechtsstaat kann sich nur dort vollständig durchsetzen, wo zugleich mit einer rechtlich-staatlichen Ordnung auch eine adäquate Wirtschaftsordnung verwirklicht ist. Monopole und Teilmonopole aber sind dem Rechtsstaat nicht adäquat. Die Gewährung von Freiheit wird zu einer Gefahr für die Freiheit, wenn sie die Bildung privater Macht ermöglicht. Denn Macht an sich ist immer böse." ('HB' vom 9.6.98)

Wir könnten es auch anders formulieren, der klassische bürgerliche Staat als Garant für die freie Entwicklung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses hat zumindest für die Global Player ausgedient. Für die Scheiberlinge des 'Handelsblatts' wäre es an sich ja nur noch ein kleiner Schritt bis zu der Erkenntnis, daß der Weltmarkt die eigentliche Macht darstellt. J. Hirsch hat diese moderne sachliche Form von Herrschaft, die an die Stelle subalterner staatlich organisierter Herrschaft getreten ist, als "Sachzwang Weltmakt" bezeichnet.

Aber - nicht überall zieht aufgrund des Globalisierungsdrucks sich der Nationalstaat aus dem Sozial- und Bildungsbereich so radikal zurück wie in der BRD oder Großbritannien. Das ‘kleine’ Dänemark hat es bis heute geschafft, trotz hochgradiger Weltmarktabhängigkeit, in bestimmten Bereichen eine höhere Steuereinnahme-politik zu fahren und hat sich trotz aller Angleichungsmaßnahmen des EU-Vertrages von Maastricht nicht nehmen lassen, im Bildungs- und Sozialbereich seine alten Standards aus den 80er Jahren weitgehend zu wahren.

4.4. Die neuen Diktaturen. Einen letzten nicht ganz unwichtigen Punkt will ich nur kurz anreißen: Je mehr der halbwegs demokratisch strukturierte Staat sich aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückzieht und das Terrain den privaten Multis und den supranationalen Institutionen wie dem IWF, der WTO oder der BIZ (Bank für internationalen Zahlungsausgleich) überläßt - desto geringer wird auch die demokratische Kontrollmöglichkeit durch die normale Bevölkerung. In den Institutionen wie IWF, Weltbank, aber auch der Europäischen Kommission in Brüssel sitzen die Regierungsvertreter mit den Lobbiisten aus den Vorstandsetagen der Multis unter sich. Die EU-Kommission werden von einem "European Round-table of Industrialists" (ERT) beraten. Ihm gehören 45 Chefmanager europäischer Multis an, aus Deutschland u.a. von Bayer, Bosch, Siemens und Daimler. Kaum ein Gesetz wird von der EU-Kommission verabschiedet ohne eingehende 'Beratung' mit der ERT. Im Gentechnikbereich hat die Industrielobby 1997 erreicht, daß das europäische Parlament seinen langjährigen Widerstand gegen die Patentierung von Gensequenzen aufgab.

Von demokratischer Kontrolle sind die äußerst machtvollen Institutionen der EU-Kommission meilenweit entfernt. Politik in den westlichen Demokratien gleicht sich immer mehr der Politik der ostasiatischen Gesellschaftsstrukturen an, es ist eine Angelegenheit der selbsternannten Elite aus Wirtschaft, Wissenschaft, Parteien und Medien. Parteien und Konzerne wechseln zwar nach Skandalen öfters die Köpfe aus, aber an den Strukturen ihrer (indirekten bzw. wenig sichtbaren) Beherrschung von Staat und Gesellschaft ändert sich nichts.

Die Privatisierung bisher vom Staat kontrollierter Bereiche wie die Elekrizitätsversorgung oder die Telekommunikation bedeutet auch einen weiteren Abbau demokratischer Kontrollmöglichkeiten durch die Gesellschaft und eine weitere Machtverschiebung zugunsten der Eliten aus der Privatwirtschaft. Ich will damit nicht verschweigen, daß vorher von ‘Demokratie’ in solchen Bereichen wie der Post oder dem Staatsfernsehen wenig die Rede sein konnte. Aber zumindest hätte die Chance bestanden, bei entsprechend großem öffentlichen Druck, die demokratische Kontrolle auszubauen. Jetzt herrscht allein die Diktatur des Kapitals.

Der Vorsitzende der ‘Gruppe von Lissabon’, Riccardo Petrella, (eine Vereinigung von europäischen Intellektuellen und PolitikerInnen, die sich um die Reform des Weltwirtschaftssytems kümmern) fordert neue "globale Verträge" für neue "demokratische Regulationsmechanismen auf globaler Ebene", denn "die Institutionen repräsentativer Demokratie sind in globalen Zusammenhängen wirkungslos. Das heutige Weltsystem wird statt dessen von oligarchischen Machtstrukturen kontrolliert, die auf Grundlage der neuen Technologien von einer internationalen finanzkapitalistischen Klasse beherrscht werden, und die sich über nationale Parlamente und Regierungen hinwegsetzen." (‘Jahrbuch für Arbeit und Technik’, 261)

Wie ich ausführlicher dargestellt habe, sind die Parlamente nicht das 'Opfer' der übermächtigen Macht der Multis, sondern die beklagte Ohnmacht der Parlamente und Regierungen ist das Produkt der freiwilligen Selbstentmachtung zugunsten der Multis. Und von daher ist die von manchen Sozialdemokraten und Grünen erträumte Weltregierung als machtvolle Instanz gegenüber dem Weltmarkt, dem neuen "totalitäre Regime" (Ignacio Ramonet), ein reines Luftschloß. Ohne einen radikalen Kampf gegen die globale Herrschaft des Kapitals, der auch die Existenz des bürgerlichen Staates in Frage stellen würde – wird sich wohl an diesen Herrschaftsverhältnissen wenig ändern.

4.5. Kurzer Ausblick auf 1999: Aufgrund der von Ostasien kommenden Deflationskrise und der von Malaysia ausgehenden Praxis der Beschränkung des Devisenverkehrs, die selbst in Weltbankkreisen auf Verständnis stößt, ist es auch wieder vorstellbar geworden, daß zukünftig drei Währungszonen, der Yenraum, der Dollarraum und der Euroraum den Weltdevisenmarkt regulieren. Genau dies ist auch die Vorstellung des neuen deutschen Finanzministers Lafontaine. Es kann also auch im Prozeß der weiteren Globalisierung der Teilmärkte durchaus in den nächsten Jahren die alte Leninsche Taktik "Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück" angewendet werden. Vieles hängt in den nächsten Monaten davon ab, wie die Notenbankenchefs in Europa und den USA auf die Deflationsgefahren regieren, ob sie die alten Fehler aus der verheerenden Wirtschaftskrise den 30er Jahre wiederholen und ob es der japanischen Regierung gelingt, die Bankenkrise zu überwinden und die Deflationstendenzen zu stoppen. Letztendlich steht zumindest eine Atempause im Prozeß der weltweiten Deregulierung der Finanz- und Devisenmärkte auf der Tagesordnung. Dafür haben aber die herrschenden neoliberalen Eliten in den Schaltzentralen der Macht noch keine Rezeptur. Schwieriger noch: angesichts der Macht der Global Player ist die Frage offen, ob sich die staatlichen Machtzentralen mit einer neuen Regulierungs- und Kontrollpolitik überhaupt gegen die Interessen der Finanzmultis durchsetzen können - und wollen.

 

5. Eine erste Schlußfolgerung: Die Zukunft der Illusion...

Eine von vielen linken Wirtschaftsreformern und den Unterzeichner der 'Erfurter Erklärung' geforderten Neuauflage einer keynsianistischen Wirtschaftspolitik ist nahezu unmöglich. Aus mehreren Gründen:

1. Um die Wirtschaftskonjunktur und die Nachfrage zu beleben, durch die Förderung von Staatsaufträgen oder Ausbau des öffentlichen Dienstes bzw. staatl. oder kommunaler Sozialleistungen oder zinsgünstiger Kredite, Investitionsubventionen etc., kann der Staat nicht mehr beliebig sein Haushaltsdefizit vergrößern, weil sonst gerät seine Währung in Gefahr durch den globalen Finanzmarkt abgewertet zu werden. Auch eine Erhöhung der Gewinnsteuern und Steuern für die Reichen erhöht die Gefahr der Steuerflucht bzw. des Umzugs des Firmenstammsitzes in Steueroasen.

2. Auch starke Notenbanken können nicht am weltweit geltenden Zinstrend vorbei eine beliebige nationale Zinspolitik (um billige Kredite für Investitionen anzubieten) führen. Die Notenbanken können zudem nur noch in sehr geringem Maße die Kreditpolitik der Großbanken lenken, weil diese über den unkontrollierten Interbankenmarkt eine weitgehende Autonomie gegenüber nationalen Notenbanken besitzen. Darüber hinaus holen sich die meisten Multis infolge der Verbriefungstendenz ihre Investitionsmittel direkt vom globalen Kapitalmarkt bzw. den mächtigen privaten Investionsfonds. Und wie in den letzten Jahren in der BRD zu beobachten, läßt sich die Investionsbereitschaft der Unternehmen nicht sonderlich durch eine Niedrigzinspolitik der Notenbank fördern. Offenbar spielt die Zinshöhe für die großen Unternehmen nur noch eine geringe Rolle bei ihren Investitionsentscheidungen (Japan hat aktuell einen Zinssatz von 0.25% (!!) und schlittert trotzdem in eine tiefe Rezession). Zudem produziert längst nicht jede Investiton neue Arbeitsplätze, die meisten werden zur weiteren Rationalisierung verwandt.

3. Auf den ersten Blick wäre eine Umverteilung des Vermögens und des Einkommens ein erster Schritt hin zu einer gerechten Gesellschaft. Dies wäre aber nur möglich in einem gleichzeitigen und weltweiten Vorgehen der Staaten im Kampf gegen die Armut und einer weltweiten einheitlichen Steuerpolitik. Dies scheint in sehr weiter Ferne zu sein. Dazu bedürfte es einer radikalen Machtumverteilung. Die Interessen der Multis und der Eliten stehen eindeutig den Interessen der überwiegenden Mehrheit der Weltbevölkerung gegenüber. Mit einer Umverteilung des Reichtums wäre es aber auch nicht getan, denn damit wäre die Logik des kapitalistischen Akkumulationsprozesses noch nicht durchbrochen.

4. Die Forderungen nach "Arbeit für alle" scheinen innerhalb des System des Weltkapitalismus mit seiner von ihm produzierten Weltarbeitsreservearmee illusionär zu sein. In den Metropolen des Nordens wird die Industriearbeit weiter abgebaut und in die Schwellenländer verlagert. Billige Dienstleistungsjobs werden auch in Europa der von Staat und Kapital angebotene Ersatz sein (ein neues Beispiel ist die Einrichtung eines 'Call-Centers' der City-Bank mit 800 Billigarbeitsplätzen auf dem Gelände des stillgelegten Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen). Darüber hinaus wird die Zahl der hochqualifizierten Arbeitsplätze in den nächsten Jahren in der EU sich ebenfalls deutlich verringern. Der Weltreservearbeitsmarkt bleibt bestehen und solange die Gewerkschaften sich nicht international vernetzen gegen die globalen Netzwerke der TNU ist keine globale Verbesserung für die Lohnabhängigen in Sicht. Eine neu zu formulierende Klassenkampfpolitik für die Metropolen darf die Arbeitsverhältnisse im Trikont nicht weiter ignorieren bzw. zu Lasten dieser agieren. Solange es eine klare internationalistische Ausrichtung für jede national Gewerkschaftsstrategie nicht gibt, kann das Kapital weiterhin ungestört schalten und walten.

5. Den weiteren Rationalisierungs- und Umstrukturierungsprozeß der Unternehmen auch nur abbremsen zu wollen, wäre den Kapitalisten nur bei Strafe des eigenen Untergangs möglich, also glatter Selbstmord. Von daher wird jede linke Reformregierung gezwungen sein, die Wettbewerbsbedingungen ‘ihrer’ auf dem Weltmarkt konkurrierenden TNU zu verbessern, und das heißt, ihnen in jeder Hinsicht zu ermöglichen, kostengünstiger zu produzieren. Auch hier stößt jede keynsianistische Reform, die die Globalisierung zurücknimmt oder eindämmen will ziemlich schnell an die Substanz der kapitalistischen Logik.

6. Für die neue (und alte) sozialdemokratische Wirtschaftspolitik kam die Beschneidung der Entfaltungsfreiheit für das Kapital bisher nie in Frage. Das haben Schröder und Lafontaine auf dem letzten Parteitag im November ’97 den Unternehmern erneut versichert. Sie wollen "die großen Chancen der Globalisierung nutzen" (Schröder) und ihnen geht es wie Tony Blair in Großbritannien um die Verbesserung der Renditebedingungen bei Investitionen für das internationale Kapital am ‘Standort Deutschland’. Schröder hat darüber hinaus deutlich gemacht, daß für ihn eine Neuauflage einer die Nachfrage stimulierenden Verschuldungspolitik des Staatshaushalts nicht in Frage kommt., da stünden die Zwänge der Globalisierung davor: "Diese Strategie führt dann letztlich auch zu Eingriffen in die internationale Kapitalmobilität, zu einer Besteuerung von Währungstransaktionen und im Fall eines drohenden Kapitalabflusses zu Kapitalverkehrskontrollen", schreibt das Schröder wohlgesonnene ‘Handelsbaltt’ am 28.11.97. Ein Jahr danach hat sich daran unter der neuen Rot-Grünen Regierungspolitik substanziell nichts geändert. Oskar Lafontaine versucht sich im Verbund mit der franz. Regierung auf EU-Ebene an einer Koordinierung der europäischen Sozialpolitik, um die gröbsten Mißstände infolge der Einführung des EURO und des deregulierenden Binnenmarktes abzumildern. Doch ob er sich gegen die Lobby der Konzernmanager im ERT durchsetzen kann (und will !), steht in den Sternen.

Was also bleibt? Unter Führung der sozialdemokratischen Regierungen in der EU wird sich nichts Grundlegendes ändern. Sie kann keine tragfähige, in sich schlüssige wirtschaftspolitische Reform-Alternative anbieten - solange sie nicht auf europäischer Ebene zu einem staatlich regulierten Kapitalismus zurückkehrt. Falls das für die EU-Staaten überhaupt auf dem globalen Finanzmarkt durchsetzbar wäre und es nicht zu einer Massenflucht von mobilem Kapital aus Europa kommt.

Was bleibt ist die alte Erkenntnis, daß auch im Zeitalter der Globalisierung, Macht- und Reichtumsumverteilung zugunsten der Unterdrückten und Armen nicht kampflos erfolgen werden und nur der erste Schritt sind im langen Prozeß der Abschaffung der globalen Herrschaft des Kapitals.

 

6. Was sind die Alternativen, was sind ‘unsere’ Handlungsmöglichkeiten?

Was ist unsere Ausgangslage? Es ist davon auszugehen, daß die Armut in der BRD sich eher noch ausbreiten wird, sowohl die Massenarbeitslosigkeit wie die Zahl der ‘working poor people’ auf hohem Niveau verbleiben wird. Und es ist davon auszugehen, daß die Armen sich eher gegenseitig weiter aufspalten werden in Deutsche und Ausländer, in Türken und Schwarze, in Junge und Alte etc. Ein Prozeß der Solidarisierung und kollektiven Gegenwehr gegen die Politik der Multis wird weiterhin in großer Ferne sein.

Wir sollten es einfach konstatieren und nicht immer nur ohnmächtig darüber jammern, daß es "die" Linke in der BRD derzeit nicht gibt. Die Linke in ganz Europa hat keine großen gesellschaftlichen Gegen-Entwürfe anzubieten, ihre alten haben sich in der Sowjetunion, in der DDR weitgehendst selbst diskreditiert. Im autonomen Mikrokosmos sind die Entwürfe einer antipatriarchalen, antikapitalistischen und egalitären Gegengesellschaft in den ‘Freiräumen’ wie den besetzten Häusern oder Kollektiven vielfach zerbröselt; weniger durch den Druck von außen als mehr durch den inneren Zerfall und das Scheitern vor den großen Ansprüchen.

Wir sollten das ‘Ende der großen Theorie’ (der Welterklärung, des revolutionären Marxismus und der Erklärung aller gesellschaftlichen Miseren allein durch ein Unterdrückungsmechanismus, wie Patriarchat, Rassismus etc.) endlich zur Kenntnis zu nehmen und danach nach dem Neuen Ausschau halten - welches die Prozesse der globalen Vergesellschaftung einerseits aber auch die der Regionalisierung und Ethnisierung andererseits besser erfaßen als die alten Theorien.

Die Macht des Weltmarkts und der Global Player beruht auf dem ungleichen Tausch, der neokolonialen Ausbeutung des Trikont, der ausschließlichen Marktbeherrschung durch die produktivsten Volkswirtschaften und Konzerne. Der Weltmarkt reguliert die Migrationsströme, der Weltmarkt entscheidet heute über Armut und Reichtum, über Hunger und Überfluß. Ich glaube, diese Macht wird nur sehr schwer wieder regulierbar, eingrenzbar sein – der heutige Weltmarkt und die Macht des Kapitals sind nicht reformierbar! Allgemein formuliert kann es für unsere langfristige politische Strategie nur um die Abschaffung dieses Systems gehen.

Das klingt angesichts der Schwäche der Linksradikalen in Europa schon sehr aufgeblasen, aber eine Politik, die nicht auf dieses Ziel mit kleinen Schritten hinarbeitet, erzeugt nur neue Reformillusionen, die immer auf Kosten von anderen (zumeist Schwächeren im Trikont) geht.

6.1. Angesichts des oben skizzierten Desozialisierungsprozesses (der aus den USA kommend auf Europa überschwappt), der Entsolidarisierung der Mittelschichten mit den Unterschichten, mit den Einwanderern, der Aufkündigung des Sozialen durch den Staat und die Oberschichten, fällt es schwer, eine gesamtgesellschaftliche Perspektive zu formulieren. Voraussetzung wäre erstemal die Wiederherstellung des Sozialen und der Solidarität, wovon in der französischen Gesellschaft derzeit wohl noch deutlich mehr vorhanden ist als in der bundes-deutschen. Eine radikale Kritik des herrschenden kapitalistischen Weltsystems bleibt Ausgangspunkt für die anstehenden strategischen Diskussionen.

6.2. Den großen Wurf einer Revolutionierung der kapitalistischen Gesellschaft zu skizzieren ist eher ermüdend, weil schon so oft und erfolglos gemacht. Interessanter scheint mir zu sein, welches können die ersten Schritte hin zu einer Umwälzung des Systems sein. Wo sind grundlegende Veränderungen möglich und wo erzeugen Reformen nur Illusionen, z.B. die Neuauflage einer keynsianistischen Wirtschaftspolitik, wie es die französische Linke fordert oder wie es 1997 die Demonstration gegen Maastricht II in Amsterdam verlangte.

Ein erster Schritt wäre die schrittweise Aufhebung des Privateigentums in unseren Lebensbereichen, in unseren Kollektiven, in unseren Wohnbereichen, wo selbst die Schaffung von Produktions- und Wohnungsgenossen-schaften schon Schritte in die richtige Richtung wären. Jeden kleinen Versuch zu unterstützen im Aufbau von kollektiven Strukturen, der Selbstorganisierung in Produktion und Reproduktion - kleine Netzwerke und Kommunikationsringe zwischen Tauschringen, Food-Coops, Nachbarschaftsgruppen, Kiezinitiativen, Antirassismusgruppen etc – diese Netzwerke aufzubauen wäre ein solcher Schritt in die richtige Richtung, wenn diese Experimente sich das Ziel setzen, dem Kapital, der Geldwirtschaft, der Marktlogik und dem Staat immer mehr die Verfügungsmacht über unsere Lebensbereiche zu entziehen. Und dabei nicht zu vergessen, daß wir von den Herrschenden nichts kampflos zugestanden bekommen, uns also nicht auf eine 'Insel der Befreiung' zurückziehen können und sollten. Sondern diese Inseln als Ausgangspunkt für neue Expirmente und für neue politische, soziale Aktivitäten begreifen.

Ich gebe mich nicht der Illusion hin, damit das System des Weltkapitalismus zum Einsturz zu bringen. Aber anzufangen, uns vom Zugriff des Kapitals befreite Zonen aufzubauen in unserem Lebensalltag, in unserer gegenseitigen sozialen Versorgung - und dabei nicht (allein [ 17 ] ) auf den Staat zu setzen - wäre ein solcher Schritt.

6.3. Der Ruf nach ‘Arbeit für alle’ ist innerhalb dieses Systems illusionär und blendet aus, daß Arbeit im kapitalistischen Produktionsprozeß noch nie ein Zuckerschlecken war: Sinnentleerend, stumpfsinnig , krankmachend und stressig - und für die Frauen im Reproduktionsbereich so und so nicht entlohnt. Da wir sowohl in der christlichen wie konfuzianischen Gesellschaftsorganisation nur was ‘wert’ sind, wenn wir Arbeits-Leistungen bringen und Geld verdienen, können wir uns heute zum ersten mal erlauben, uns massenhaft dieser Fremdbestimmung und Unterwerfung zu entziehen. Dem "Kapitalismus geht die Arbeit aus", wird allerorts beklagt. Wir könnten antworten: "Na wunderbar, endlich!"

Der Zwang zur Arbeit wird hier in der BRD immer absurder und die Forderungen nach einem auskömmlichen Existenzgeld - ohne die Anbindung an zu erbringende Arbeitsleistungen immer plausibler. Doch von wem fordern wir das Existenzgeld? Von den Multis, von den Millionären, vom Staat? Die Gruppen, die unter der bekannten Parole "Geld ist genug da" Existenzgeld verlangen, verbleiben auf der Ebene der Forderungen an den Staat und der Staat hat im Zuge der Globalisierung gegenüber den Multis deutlich weniger zu sagen.

Was ich gut an der Parole finde, ist die Thematisierung der Reichtumsverteilung und die Aufkündigung der symbiotischen Verbindung von gesellschaftlichen Anerkennung und Lohnarbeit. Daran können sich viele recht konkrete Diskussionen entwickeln, was wir unter selbstbestimmter und gesellschaftlich nützlicher Arbeit verstehen etc. - also der Beginn einer Debatte um die konkreten Alternativen zum herrschenden System. Dabei sollten wir im Auge behalten, daß es uns um die Abschaffung jeglichen privaten Geld- und Besitzreichtums geht.

6.4. Forderungen an die BRD-Regierungen zu stellen, ohne die Herrschaftsstrukturen in Europa zu thematisieren halte ich auch für rückwärtsgewandt. Das Europa von Maastricht ist das Europa des Großkapitals und nicht unser Europa. Wir müssen uns aktiver europäischer verhalten, zu ähnlich koordinierten Aktion kommen wie die der 30.000 Demonstranten gegen das Europa von Maastricht 1997 in Amsterdam. Allerdings ist auch bei dieser Demo unklar geblieben, was fordert die radikale Linke eigentlich? Wodurch unterscheiden wir uns von den Reformisten der orthodoxen italienischen kommunistischen Partei? Ein noch soziales Europa ist immer noch ein kapitalistischer Staatenbund am Gängelband der Global Players. Das gleiche gilt für die immer wieder aufflackernde Forderung nach stärkerer Zusammenarbeit mit den deutschen Gewerkschaften, die in ihrer nationalen Borniertheit die Kampfkraft der Lohnabhängigen entscheidend geschwächt haben. Wieso es z.B. dem VW-Konzern immer noch gelingt, die VW-ArbeiterInen in Spanien gegen die in der BRD oder in Tschechien auszuspielen, ist schier rätselhaft - und nicht nur mit dem Unvermögen der Funktionäre allein zu erklären. Wieso im Baubereich die ArbeiterInnen aus den EU-Staaten auf den Baustellen von den Kapitalisten gegeneinander ausgespielt werden, ist ebenso schwer nachzuvollziehen. Es erweist sich immer mehr, das das bremsende Element nicht nur die Funktionäre sondern auch weite Teile der Basis der Gewerkschaften darstellen, die massive Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und Wohlstandsverlust haben.

6.5. Das politisch derzeit interessanteste Bündnis scheint mir die "Peoples' Global Action" (PGA) zu sein, die im Frühjahr die Proteste in Genf anläßlich der 50 Jahresfeier der WTO organisierten. PGA ist keine neue Organisation sondern ein Koordinationsbündnis. Mitglieder sind u.a. die EZLN, die nigerianische Ogoni-Bewegung MOSOP, die brasilianische Landlosenbewegung oder die philippinischen Bauern und BäuerInnen, zusammengeschlossen in der KMP. "PGA soll eine Plattform darstellen für alle Basisgruppen und –bewegungen, die ihre Wut über die verheerenden Auswirkungen der Globalisierung äußern wollen und sich gegen die Vorherrschaft des Kapitals und die einseitige politische Ausrichtung nach wirtschaftlichen Interessen auflehnen", heißt es in einer Selbstdarstellung der PGA.

Dies scheint ein politischer Ansatz zu sein, wo nicht irgendwelche bezahlten NGO-VertreterInnen am Katzentisch von irgendwelchen UN-Konferenzen teilnehmen und sich deshalb wichtig fühlen, sondern die Aktion laufen dezentral-koordniert. Sie hängen von der jeweiligen Stärke der lokalen bzw. regionalen Strukturen ab. PGA ist dabei, eine globale Vernetzung von lokalen bzw. nationalen Initiativen aufzubauen, die lokal handeln, aber global denken und auch zu global koordinierten Aktionen wie der in Genf fähig sind. "Es ist höchste Zeit für eine konzentrierte Aktion zur Abschaffung des unrechtmäßigen Weltregierungssystems, das transnationale Kapital, Nationalstaaten, internationale Finanzinstitutionen und Handelsabkommen miteinander verknüpft. Nur eine weltweite Allianz von Bewegungen von Menschen, die ihre Autonomie respektieren und aktionsorientierten Widerstand erlauben, kann dieses emporsteigende globalisierte Monster besiegen", heißt es am Schluß des Manifestes der PGA."

PGA wird auch zum Weltwirtschaftsgipfel in Köln im Juni '99 mobilisieren.

Außerdem finde ich es wichtig, das hier Initiativen besonders aus den Trikontländern sich zusammenschließen und offenbar die Gruppen aus dem Norden nicht wieder das Sagen haben, so wie es z.B. bei den international vernetzten, aber zahnlosen Gewerkschaften immer noch der Fall ist. Daß der Hauptfeind von PGA der Neoliberalismus ist, stört mich weniger.

Die Unterzeichner z.B. der 'Erfurter Erklärung' könnten sich aus dem Manifest der PGA manche Scheibe abschneiden: die klare Thematisierung von Rassismus, Patriarchat oder ethnischer Unterdrückung und ihre Zusammenhänge mit der Herrschaft des Weltkapitalismus. Allerdings übersieht auch PGA, daß die Profiteure des Neoliberalismus nicht nur in den Konzernetagen sitzen, sondern dazu gehören eben auch sehr viel Werktätige in den Industrieländern und Schwellenländern. Doch ob es überhaupt möglich sein wird, z.B. Koalitionen zwischen VW-ArbeiterInnen aus Deutschland und der brasilianischen Landlosenbewegung im Kampf gegen die Macht der Global Players zu schmieden – das ist eine höchst komplizierte Frage. Sie hängt ganz entscheidend von einem notwendigen Bewußtseinserweiterungsprozeß und Sinneswandel unter den deutschen VW-ArbeiterInnen ab. Und ich fürchte, der findet auch in den nächsten Jahren nicht statt, sondern eher das Gegenteil: mit unterschiedlich ausgeprägten rassistischen Ressentiments und einer starken Portion Wohlstandschauvinismus gespickt, werden sich die Werktätigen in Westeuropa weiterhin gegen eine Zusammenarbeit mit KollegInnen , besonders aus anderen Branchen, in den Trikiontstaaten oder aus Osteuropa wehren bzw. dieser gleichgültig gegenüberstehen.

6.6. Störanfällig ist die hochvernetzte kapitalistische Produktion hier in Europa besonders auf dem Sektor der Infrastuktur und Kommunikation. Das just-in-time Prinzip hat letztes Jahr wieder zu erheblichen Problemen für die deutsche Autoindustrie geführt, als die französischen Fernfahrer streikten und die Autobahnen blockierten und somit die Autoteile aus Spanien nicht nach Deutschland gelangten. Auch in den vielfältigen Bereich der Datenübertragungen, der hochsensiblen Datennetze lassen sich mit Phantasie und Kreativität viele Stör- und Sabotageaktionen vorstellen.

 

Zusammenfassung:

1. Die Globalisierung ist ein qualitativ neuer Prozeß im Zuge Internationalisierung der kapitalistischen Produktion und Distribution. Allerdings sind sehr viele einzelne Bausteine und Neuerungen, die heute unter G. subsumiert werden, bereits in den 70er Jahren am Ende des Nachkriegsakkumulationszyklusses durch die Nationalstaaten und die TNU’s geschaffen worden. Die G. ist der vorläufige Kulminationspunkt der Liberalisierung und Deregulierung des Weltmarkts, welche durch das Ende von Bretton Woods eingeleitet wurde.

2. Die G. vollzog sich zuerst auf den internationalen Devisen- und Finanzmärkten infolge der Aufgabe des Systems von Bretton Woods Anfang der 70er Jahre. Dadurch haben international operierende Banken, Versicherungen, Renten- und Investmentfonds eine herausragende Markt-Macht gegenüber dem Großteil des (Ausnahme sind die größten TNU) mehrwertprodzierenden Kapitals und der einzelnen Nationalstaaten gewonnen.

3. Eine Abkoppelung des Finanzmarktes von dem mehrwertproduzierenden Sektor und deren Gesetzmäßigkeiten läßt sich bisher nicht belegen und ist auch theoretisch strittig, obwohl zahlreiche Einzelfallbeispiele darauf hindeuten.

4. Bis auf wenige wirtschaftspolitisch bzw. militärisch mächtige Staaten ist durch die G. die wirtschaftspolitische Autonomie des klassisch-bürgerlichen Nationalstaates insbesondere in seiner Geldpolitik erheblich eingegrenzt bzw. völlig verschwunden. In den Schuldnerstaaten herrscht das neoliberale Regime des IWF, eine national-unabhängige Politik ist in vielen Staaten des Trikonts nicht möglich. In den Industriestaaten werden die Notenbanken in ihrer Geld- und Zinspolitik von den transnationalen Banken, Versicherungen und Pensionsfonds und der von ihnen mit beeinflußten Dynamik des globalen Finanzmarkts zunehmend bestimmt.

5. Das qualitativ Neue an der Globalisierung ist u.a. die direkte Inkonkurrenzsetzung der Lohnabhängigen in verschiedenen Kontinenten, vornehmlich durch die TNU. Die ist eine Folge des seit den 70er Jahren einsetzende Prozesses des worldwide-sourcing der transnationalen Konzerne. Die Verlagerung von Produktionsstätten, globale Produktionsplanung und die weltweite Vernetzung ihrer Produktionsabläufe durch die forcierte Liberalisierung und Deregulierung erreicht in den 90er Jahren eine neue Qualität.

6. Ein weiteres neues Phänomen ist das Verschwinden des antagonistischen Widerparts für das Kapital. Eingeleitet bzw. beschleunigt wurde dieser Prozeß durch die Zerschlagung der Gewerkschaftsmacht durch die Staatspolitik unter Reagan und Thatcher. Der Einfluß des national-gewerkschaftlichen Proletariats in den Länder der Triade auf die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der TNU tendiert stark nach unten, auf internationaler Ebene verspüren die TNU keine Gegenmacht des Proletariats. Die Versuche mittels der WTO globale Sozialstandards durchzusetzen, stecken in den Kinderschuhen bzw. die führenden Industriestaaten müßten sich stärker gegen ‘ihre’ TNU behaupten; was sie auch nur tun würden, wenn die Gegenmacht existent wäre.

7. Die Globalisierung, die Inkonkurrenzsetzung funktioniert vor allem in den Köpfen der Lohnabhängigen, drückt sich in Ängsten und freiwilligem Verzicht aus und eilt dem realen Machtverlust häufig voraus.

8. Entgegen der öffentlichen Propaganda rund um die Standortkonkurrenz sind die Sozialstandards - zumindest in den G 7-Staaten - nicht zwangsläufig und in demselben Tempo wie die Lohnkosten einem Angleichungsprozeß unterworfen.

9. Eine keynsianistische Alternative zum derzeit vorherrschenden Neoliberalismus - ohne eine, international vereinbarte, einschneidende Zurücknahme der Deregulierung und Liberalisierung der (Welt-) Märkte - ist nicht möglich. Desweiteren ist auch eine Revitalisierung staatlich gelenkter Sozialpolitik bzw. die Rückkehr zur ‘sozialen Marktwirtschaft’ mit hoher staatlicher Regulation ohne Machtbeschränkung der transnationalen Konzerne (TNU) nicht möglich. Voraussetzung ist auch ein grundlegender Wandel in der Politik von IWF, Weltbank und WTO.

 

Einige Literaturhinweise:

- Altvater/Mahnkopf, "Grenzen der Globalisierung", Münster 1996

- Altvater, "Globale Finanzinnovationen, privates Computergeld und sozialisierte Schulden", in ‘Prokla’ Nr. 103

- Bonder, Röttger, Ziebura: "Vereinheitlichung und Fraktionierung in der Weltgesellschaft" in 'Prokla' Nr. 91

- Bundesbankbericht Mai ’97: "Die Entwicklung der Kapitalverpflechtung mit dem Ausland von Ende 1993 bis

Ende 1995"

- Burchardt, "Die Globalisierungsdebatte: Ahistorische Ringelreihen und reduktionistische Prophezeiungen", in

‘Gewerkschaftliche Monatshefte’ Nr. 7/97

- Fröbel, Heinrichs, Kreye, "Umbruch der Weltwirtschaft", Reinbek 1985

- Ebermann/Trampert, "Die Offenbarung der Propheten" Vorabdruck in 'konkret' 3-6/95

- Guttmann, "Die Transformation des Finanzkapitals", in ‘Prokla’ Nr. 103

- "Jahrbuch Arbeit und Technik 1997", Bonn 1997

- Härtel/Jungnickel, "Grenzüberschreitende Produktion und Strukturwandel", Baden-Baden 1996

- Lerda, "Globalization and loss of autonomy by the fiscal, banking and monetary authorities", CEPAL-Review

Nr. 58 aus April 1996

- Lütz, "Die Rückkehr des Nationalstaats? Kapitalmarktregulierung im Zeichen der Internationalisierung von

Finanzmärkten", in ‘Politische Vierteljahresschrift’ 9/97

- Martin/Schumann, "Die Globalisierungsfalle", Reinbek 1996

- Narr/Schubert: "Weltökonomie. Die Misere der Politik", Frankfurt 1994

- Ohmae, "Das neue Gesicht der Weltwirtschaft", (?) 1989

- Roth, "Die Wiederkehr der Proletarität", Köln 1994

- Reich, "Die neue Weltwirtschaft. Das Ende der nationalen Ökonomie", Berlin 1993

- Scholte, "Global capitalism and the state", in ‘International Affairs’ Nr. 73/96

- Schulz, "Eigentum verpflichtet ... zu nichts", Stuttgart 1997

- Wichterich, "Die globalisierte Frau", Reinbek 1998

 

Verwendete Abkürzungen:

WTO = Word Trade Organisation, Sitz in Genf, wird beherrscht von den mächtigsten Industriestaaten

UNCTAD = Handel und Entwicklungskonferenz der UN, Sitz in Genf

UNDP = Entwicklungsprogramm der UN

OECD = Wirtschaftsvereingung der 29 wichtigsten Industriestaaten, Sitz in Paris

NAFTA = Nordamerikanisches Wirtschaftsbündnis zwischen USA, Kanada und Mexiko

ASEAN = Asiatisches Pendant zur EU, jedoch wesentlich lockeres Wirtschaftsbündnis

G 7 = Jährliche Konferenz der führenden Industriestaaten: USA, Japan, Kanada, BRD, Großbritannien, Frankreich und Italien. Mit Rußland am Katzentisch und China als baldiges 8. festes Mitglied

 

November ’98

 

 

 

 

 

[ 1 ]

Die politisch relativ kleinen Gruppen der Antideutschen bzw. Antinationalen weisen z.T. die Globalisierungsthese unter Verweis auf gewerkschaftsnahe Studien zurück. In Berlin hat die Gruppe "venceremos" in einem Referat auf einem EU-Seminar im November '98 unter Verweis auf H.-J. Burchardt die Globalisierungsthese als "ideologische Propagandaformel" abgetan, für die es keinen empirischen Beleg gäbe. Nach wie vor hätte demzufolge der BRD-Staat eine erhebliche wirtschaftliche Steuerungsfunktion, die er auch in der EU kräftig einsetzen würde.

[ 2 ]

Wortwörtlich abgeschrieben aus der HWWA-Studie, Seite 81. Laut HWWA werden 2/3 des deutschen Außenhandels mit den EU-Ländern abgewickelt, auch bei den ADI stellen die Hamburger Forscher fest, daß die deutschen Unternehmen sich vorwiegend auf die europäischen Nachbarländer konzentrieren. Erst seit 1993 sei diese "Internationalisierung" durch eine "Globalisierung" abgelöst worden (S. 157)

[ 3 ]

Das WSI interpretiert in einer Untersuchung von 1995 den (nur vorübergehenden ) Rückgang der deutschen ADI in den EU-Staaten als generellen Trend zur Stützung ihrer schon abenteuerlichen Behauptung: "Trotz fortschreitender europäischer Integration und Öffnung der Märkte Osteuropas kann von einer zunehmenden Globalisierung, die sich in einem verstärkten Outsourcing zeigt, nicht die Rede sein" (‘konkret’ 1/97). Die deutsche Bundesbank hat in ihrer Studie von Mai 1997 das genaue Gegenteil festgestellt: Die ADI in Osteuropa haben sich in der Zeit von 93-95 auf 12,5 Mrd. DM verdoppelt und die "Zahl der Beschäftigten in Unternehmen in den Reformländern mit deutscher Kapitalbeteiligung erhöhte sich um knapp 150.000". Ebermann/Trampert suchen sich eben die Zahlen raus, die ihnen passen. Hier wie an anderen Stellen überdeckt Polemik gegen anders argumentierende Linke wie Robert Kurz oder die ‘Spiegel’-Autoren Schumann/Martin nur die Schwäche des eigenen empirischen Materials.

[ 4 ]

Dies ist ein weiterer Modebegriff im Zuge der Globalisierungsdebatte. Diese Marx’sche Terminologie findet sogar Eingang in Studien der OECD oder der UNCTAD, ohne allerdings die dahinterstehenden Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Entwicklung zu erwähnen.

[ 5 ]

Vielen ist nicht bekannt, daß die SPD in den 70er Jahren im Verein mit dem damaligen IG-Metallvorsitzenden Eugen Loderer sich stark um die Gewinnentwicklung der westdeutschen Großkonzerne und der Verbesserung ihrer Konkurrenzstellung auf dem Weltmarkt sorgte. Die Devise lautete: "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen", so Schmidt. Loderer wandelte dieses Credo leicht ab und unterstützte die Konzerne in ihren Bemühungen um die Hebung der Produktivität und verlangte als Gegenleistung ein Rationalisierungsschutzabkommen und moderate Lohnerhöhungen für seine Klientel.

[ 6 ]

Die Multis wenden dieses Spiel mit den Transferpreisen aber auch in vielen anderen Ländern wie Brasilien oder Thailand an, wo die Gewinnüberweisungen aus Brasilien z.B. ins Ausland in den 80er Jahren die Gesamtsumme aller Investitionen der TNU überstiegen. In Thailand war der Kapitalabfluß für Gewinne zwischen 1970 und 1982 sogar doppelt so hoch wie der Zufluß an Auslandskapital (siehe Fröbel, 486).

[ 7 ]

Ohne daß die alten nicht mehr gelten, wie billige Löhne im Ausland (deren prozentualer Anteil an den von den Unternehmer genannten Gründen für Verlagerung der Produktion ins Ausland zwar leicht angestiegen, aber nach wie vor gering gegenüber anderen Gründen, wie Marktpräsenz z.B. ist, siehe Härtel, 242ff) oder günstige Steuertarife für Industrie- bzw. Finanzholdings wie in Belgien und Irland.

[ 8 ]

"Die Bestände der ADI sind in der Zeit von 1960 bis 1992 von 67,7 Mrd. $ auf 1,949 Billionen $ gestiegen, die jährliche Steigerungsrate lag bei 11%. Seit Beginn der 80er Jahre stiegen die Kapitalexporte im Form von ADI jährlich um 27, 8%, mithin fast dreimal so schnell wie der Export (11.1%) und viermal so schnell wie das Weltsozialprodukt (9.8%)", Altervater/Mahnkopf, 251. Im jüngsten Bericht der UNCTAD von 1998 (siehe 'Handelsblatt' vom 11.11.98) werden die ADI-Bestände der 53000 TNU auf 3,5 Billion $ geschätzt. Die ADI haben auch 1998 einen Jahres-Rekordwert erreicht: 440 Milliarden $ wurden über die Grenzen geschleust. Allerdings geht aus der Übersicht nicht hervor, wieviel der ADI in die verschiedenen Sektoren, wie Finanzinvestitionen, Übernahmen bzw. Beteiligungen an ausländ. Konzernen, Bau neuer Produktionsstandorte etc. geflossen ist.

[ 9 ]

Es gibt allerdings keine verläßlichen und übereinstimmenden Statistiken, wieviele Beschäftigte in den deutschen Auslands-filialen arbeiten: So setzt die ILO in Genf wesentlich höhere Zahlen an wie die Bundesbank; auch die einzelnen Forschungs-institute wie das HWWA oder das Starnberger operieren mit völlig unterschiedlichem Zahlenwerk. Die quantitativen Folgen des Out-sourcing auf den inländischen Arbeitsmarkt werden sehr unterschiedlich bewertet. Wir sollten die Zahlen über die Verlagerung ins Ausland und die negativen Folgen für den inländischen Arbeitsmarkt als Schätzwerte interpretieren.

[ 10 ]

Tendenziell ist die Aufspaltung der Gesellschaft in verschiedene voneinander abgeschottete Schichten, Gruppen, Ethnien etc. ein Ergebnis der Globalisierung. Michael Bonder schreibt: "Die Heterogenisierung gesellschaftlicher Strukturen innerhalb der OECD-Welt bei gleichzeitiger Globalisierung ökonomischer Aktivitäten durch Einbindung des Südens und Ostens über ''offshore'-Enklaven des Wohlstands bewirkt eine Struktur der Weltgesellschaft, in der Zentrum und Peripherie keine räumliche Existenz mehr haben, sondern in der dualen planetarischen Gesellschaft aufgegangen sind. Infolge dieser Kombination von Spaltung setzen sich zunehmend Desintegrationstendenzen durch, die den Humus für Neo-Nationalismus, Neorassismus, Fundamentalismus und ethnische Zerfleischung abgeben." (M. Bonder u.a.)

[ 11 ]

Ich klammere hier die Debatte über die systemstabilisierende Rolle der ArbeiterInnenklasse im Fordismus, die vor allem in Frankreich in den 70 er Jahren geführt wurde, aus. Kernthese dieser Debatte war, daß die Arbeiterklasse keine antagonistische Funktion gegenüber dem Kapital von dem Zeitpunkt an mehr hat, wenn sie Lohnforderungen stellt, die nicht über das Maß der Produktivitätssteigerung des kap.Produktionsprozesses hinausgehen. Die europäischen Gewerkschaften haben danach in den 60er und 70 er Jahren einen "Produktivitätspakt" mit dem Kapital geschlossen und selbst damit ein orginäres Interesse an der Hebung der Arbeitsproduktivität - und damit Systemstabilisierung - formuliert.

[ 12 ]

In 100 Entwicklungsländern hat es seit 15 Jahren kein Wachstum mehr gegeben, das Einkommen von 1, 6 Milliarden Menschen, ein Viertel der Weltbevölkerung, hat sich im selben Zeitraum verringert. 70% der weltweit als Arme eingestuften Menschen sind weiblich! Auch in den neuen Wachstumsregionen Südostasiens sind die Einkommens-unterschiede ähnlich kraß wie in Lateinamerika. Nicht nur in China, sondern auch in Südkorea oder Thailand lebt die ländliche Bevölkerung in großer Armut und der informelle Sektor in den Großstädten steigt rasend schnell. Und noch eine letzte Veranschaulichung der Abkoppelung: 80% der Weltbevölkerung haben 5 Billionen des Weltbruttosozialprodukts 1995 hergestellt, hingegen haben die restlichen 20%, das sind die Industrieländer, 18 Billionen des Welt-BSP produziert. (Alle Zahlen nach ‘Human Development Report’ der UNDP 1996)

[ 13 ]

Derivate wurden auf dem Aktien-, Rohstoff- und Währungsmärkten zunächst zur Risikoabsicherung eingesetzt. Damit sichern sich die Käufer Optionen auf Aktien oder ausländische Währungen oder Kreditzinsraten mit einer zeitlichen Befristung (Terminmarkt). Mittlerweile ist der Derivatehandel aber zum überwiegenden Teil ein reiner Spekulationsmarkt geworden. Derivateverträge im Wert von 55 Billionen $ wurden weltweit 1996/97 gehandelt, das ist mehr als das gesamte Weltbruttosozialprodukt, siehe ‘Fortune’ 8.9.97. Die Gewinne können wie bei der Deutschen Bank leicht die Milliardengrenze überschreiten, dafür gehen andere wie die Barings-Bank oder die Californische Stadt Orange-City durch Milliardenverluste pleite.

[ 14 ]

Ausführlich erläutert dies Guttmann in ‘Prokla’ 103/96, wo er den Übergang bzw. Paradigmawechsel in der globalen Geldpolitik von einer die Wirtschaft regulierenden Geldpolitik gemäß Keynes zu einer einseitig nur die Interesse der Geld- und Kreditgeber berücksichtigenden neoliberalen Geldpolitik gemäß der Ideologie von Milton Friedmann und seinen ‘Chicago-Boys’ darstellt.

[ 15 ]

Ich will an dieser nicht unerwähnt lassen, daß es diese Macht der Multis schon jahrzehntelang in den Nationalstaaten gibt, darüber sogar eine ganze theoretische Schule in der 70er Jahren sich herausgebildet hatte, der sogenannte "staatsmonopolistische Kapitalismus", abgekürzt 'Stamokap'. In der BRD hatten die großen Konzerne wie Krupp, Bayer, Daimler und einige Großaktionäre wie der Familienclan der Quandts (BMW) oder Flicks schon immer sehr viel Einfluß auf höchste Regierungsebenen, nicht zu vergessen den Chef der Deutschen Bank Hermann J. Abs. Aus der Weimarer Zeit mag Hugo Stinnes und der Hugenbergkonzern am Beispiel dienen, die erheblichen Einfluß besaßen und zugleich Finanziers der Nationalkonservativen und Faschisten waren. Der Stamokaptheorie wurde von undogmatischen MarxistInnen immer wieder vorgehalten, sie personalisiere zu sehr eine grundlegende Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus, nämlich die notwendige Beschleunigung des Akkumulations- und Verwertungsprozesses und die darin innewohnende gegenläufige Tendenz zur Monopolbildung auf der Produktions- und Zirkulationsebene.

[ 16 ]

Die natürlich auch ihre Lobbyvertreter in der WTO oder in der OECD haben, wo die wohl einschneidensten neuen internationalen Regeln zum Schutz ausländischer Investitionen formuliert wurden, die MAI’s – deren Verabschiedung nach dem französischen Nein auf einen unbestimmten Zeitpunkt vertagt worden sind.(s.u.)

[ 17 ]

Natürlich sind viele dieser Projekte zumindest in der Anfangsphase noch auf Staatsknete, Sozi, Bafög etc. angewiesen. Aber wir wissen alle, daß diese Kohle gerade unter Rot-Grün nicht auf Dauer fließen bzw. die Staatskontrolle immer dichter werden wird und auf dem Arbeitsamt und Sozi so und so mensch angenervt wird.