Zu den aktuellen politischen Verfolgungen nach §129a

 

 

die drei letzten Verfolgungswellen nach § 129a

I.    Im Vorfeld des G8 Gipfels in Heiligendamm kam es zu einem der größten Repressionsschläge der letzten Jahre. Am 9.Mai starteten Bundesanwaltschaft (BAW) und Bundeskriminalamt (BKA) in Hamburg, Berlin, Bremen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg eine Durchsuchungswelle von über 40 Wohnungen und Projekten und begründeten dies mit dem Vorwurf der "Bildung einer terroristischen Vereinigung zur Verhinderung des G8-Gipfels" nach §129a - betroffen sind davon 18 Personen – sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung "Militante Gruppe (MG) – betroffen sind davon 3 Personen.

 

Nach dem Durchsuchungsbeschluss war erklärtes Ziel der Durchsuchungen "die Sicherstellung von Daten oder Unterlagen zur Organisation der Kampagne gegen den G8-Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm sowie von KommunikationsPlänen und –Nachweisen, von Personen- und Adressenverzeichnissen, die Auskunft über weitere Kontaktpersonen geben sollen, von Tatmitteln wie Zündvorrichtungen, Zeitschaltuhren und Werkzeugen."

Die besondere Bedeutung des Verfahrens begründete die BAW im Durchsuchungsbeschluss wie folgt:

"... sie stehen im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder Mitglieder einer solchen Vereinigung zu sein, deren Ziel es insbesondere ist, mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigern Aktionen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel (G8) im Frühsommer 2007 in Heiligendamm erheblich zu stören oder zu verhindern. Diese Straftaten sind dazu bestimmt, die in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu erschüttern und können insbesondere die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen. ..."

Und genau vor diesem politischen Hintergrund ist dieser Angriff auch zu verstehen. Die Durchsuchungswelle und das 129a Verfahren waren ein konkreter Angriff auf die autonomen und systemoppositionellen Mobilisierungen im direkten Vorfeld von G8 in Heiligendamm und ASEM Gipfel in Hamburg. Gemeint waren mit diesem Angriff tatsächlich alle Menschen, die ihren Protest im Rahmen von Aktionen praktisch werden lassen wollten. Auch hier sollte Repression einschüchtern, denunzieren und zu Entsolidarisierung und Spaltung führen.

 

Die Durchsuchungen erfolgten ohne jeden konkreten Tatverdacht! Das wird offiziell auch zugestanden:

Innenminister Schäuble forderte, unter "Anfangsverdacht" stehende Menschen schon vor den Protesten in so genannten "Unterbindungsgewahrsam" zu nehmen.

Die Hausdurchsuchungen wurden von Andreas Christeleit, dem Sprecher der Bundesanwaltschaft am 9. Mai, gegenüber dem ZDF-Heute-Journal wie folgt kommentiert: "Die heutigen Durchsuchungen sollten Aufschluss erbringen über die Strukturen und die personelle Zusammensetzung von diesen Gruppierungen und dienten nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen, dafür gab`s keine Anhaltspunkte."

Laut Hamburger Innensenator Nagel sollen die Durchsuchungen zeigen, dass "die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Extremisten nicht wehrlos sind", und er kündigte ihnen gegenüber "Null Toleranz" an.

Polizeipräsident Jantosch hat dies mit den Worten auf den Punkt gebracht: "Heute haben wir richtig durchgeatmet. Für den in Hamburg stattfindenden ASEM-Gipfel und die nachfolgenden Veranstaltungen ist die Polizei gerüstet."

"Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir, was und wer sich dort bewegt" hat ein Fahnder des BKA auf Spiegel-Online erklärt.

Doch dieser Schuss ist ja bekanntlich eindeutig nach hinten losgegangen. Er hat zur massiven Mobilisierung für den Widerstand gegen den G8-Gipfel - auch weltweit – geführt und die unterschiedlichen politischen Spektren stärker zusammengeführt. Vielen Menschen wurden die Augen über diese herrschenden Verhältnisse geöffnet und es wurde deutlich:

angeklagt sind nur wenige, aber gemeint sind wir alle!

Ein angeblicher Tatverdacht wird folgendermaßen konstruiert: Fünf durchweg ältere Beschuldigte aus Hamburg und Berlin seien seit vielen Jahren in der autonomen Szene aktiv. Sie hätten schon während der Tagung des internationalen Währungsfonds (IWF) im September 1988 (also vor neunzehn Jahren!) in Berlin Brandanschläge mit Molotow-Cocktails und Brandsätzen mit Zeitzündern verübt. Hierzu hätten sich die Beschuldigten in dem Buch "Autonome in Bewegung" bekannt, in dem sie ihre Kampagne-Arbeit einschließlich begangener Brandanschläge mit hohen Sachschäden dargestellt und beschrieben hätten.

"Diesem Vorbild entsprechend" hätten sie mit weiteren Beschuldigten seit geraumer Zeit eine "militante Kampagne" im Hinblick auf den G 8-Gipfel in Heiligendamm vorbereitet.

Zur Durchführung der Aktionen würden sie jüngere Personen "rekrutieren". Die jüngeren Beschuldigten führen angeblich die operative Umsetzung der militanten Aktionen durch.

Die Spontandemonstrationen von 3000 Menschen in Hamburg und 5000 Menschen in Berlin auf diese politischen Angriffe zeigt, dass diese Repressionswelle als Angriff gegen die gesamte Anti-G8-Protestbewegung verstanden wurde.

 

II.    Am 13. und 19. Juni, also unmittelbar nach dem G8-Gipfel, kam es in Hamburg, Bad Oldesloe (neun Personen) und Berlin (zwei Personen) zu einer weiteren Reihe von Hausdurchsuchungen. So wurden auch Wohnungen von Eltern sowie das alternative Jugendzentrum "INIHAUS" in Bad Oldesloe durchsucht. Insgesamt elf Personen wird in einem neuen §129a-Verfahren vorgeworfen, an vier Aktionen gegen Objekte der Bundeswehr und von Rüstungsfirmen beteiligt gewesen zu sein.

 

III.    Am 31. Juli wurden die Wohnungen und teilweise Arbeitsplätze von sieben Personen in Berlin und Leipzig durchsucht. Dabei wurde Andreij H. verhaftet. Dem ging die Verhaftung drei weiterer Personen in der Nacht auf den 31. Juli voraus. Diesen dreien wird zur Last gelegt, auf dem Firmengelände von MAN in Brandenburg drei Brandsätze an Bundeswehr-Lkws angebracht zu haben. Die drei Axel, Florian und Oliver sitzen derzeit immer noch in U-Haft in Berlin-Moabit. Der gegen die insgesamt sieben Personen erhobene weitere Vorwurf lautet gemäß § 129a "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" mit der Bezeichnung "Militante Gruppe (MG)".

Die MG ist dem Repressionsapparat schon seit Langem ein Dorn im Auge. Nicht nur wegen verschiedener militanter Aktionen, sondern auch wegen ihrer offensiven Öffentlichkeitsarbeit und die von ihnen angestoßenen Diskussionen über Perspektiven von Widerstand und Militanz.

Seit dem 28. August ist Andreij H. vom Ermittlungsrichter des BGH, nach Zahlung einer Kaution und Erlassen von Auflagen, entlassen worden. Der Haftbefehl besteht allerdings weiterhin.

 

In allen drei Verfahren sind mehrere sogen. Zeug_innen (bisher sind fast 40 bekannt) betroffen. Das sind Menschen, die mit den Beschuldigten in Kontakt stehen. Bei ihnen wurden teilweise auch Hausdurchsuchungen und Observationen durchgeführt. Sie können vom BKA oder der BAW vorgeladen werden, und werden dann zu den Beschuldigten befragt. Vor der BAW sind sie rechtlich verpflichtet auszusagen. Sagen sie nicht aus, können sie mit Geldstrafe oder Beugehaft belegt werden. Es gibt eine Kampagne mit dem Ziel, die Zeug_innen zu unterstützen, jede Aussage zu verweigern.

 

 

der § 129a    1

Der § 129a ( wie übrigens auch der §129b, der sich auf terroristische Vereinigungen im Ausland bezieht) ist ein zentrales Mittel der politischen Justiz. Als Staatsschutzparagraf zielt die Anwendung des Paragrafen immer auf Gesinnung, auf politische Inhalte und auf kollektiven Widerstand.

Neben dieser politische Bedeutung ist er für die StaatsschutzBehörden ein ganz wesentliches Ermittlungsinstrument. Kein anderer Paragraf eröffnet dem Staatsschutz so viele Möglichkeiten an Überwachung und Ausforschung wie der § 129a oder b. Im Rahmen der aktuellen Verfahren hat er über einen langen Zeitraum seine ganzen technischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Flächendeckende Observationen, Telefonüberwachung, e-Mail Überwachung, Postüberwachung, Filmaufnahmen, Abhörmaßnahmen, Peilsender, Rasterfahndung, Einsatz verdeckter Ermittler, Verwertung geheimdienstlich erlangter Informationen (nach dem G10-Gesetz), Aufhebung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, akustische Raumüberwachung, usw.

Diese Überwachungsmaßnahmen haben weit mehr Leute betroffen als die jetzt unmittelbar Beschuldigten.

Mit diesem Gesinnungs- und Schnüffelparagraphen 129a – mit dem die Durchsuchungen juristisch "legitimiert" wurden - ist es der Justiz heute wieder möglich, Oppositionelle - wie z.B. Menschen, die sich gegen den bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm engagieren - auszuforschen, sie zu kriminalisieren und die laufende Arbeit zu behindern.

Der §129a ist bisher nur in 2% der Fälle zur Aufklärung von "Straftaten" dienlich gewesen. Alle restlichen Verfahren wurden sang- und klanglos eingestellt. Was bleibt, ist jedoch z.B. die Stigmatisierung bestimmter politischer Zusammenhänge und Einiger von dem Verfahren unmittelbar betroffener und durch die Presse herausgehobener Personen.

Vor diesem Hintergrund sehen wir im §129a ein Instrument staatlichen Handelns, das prinzipiell alle politisch kritischen Menschen unter Generalverdacht stellen kann. Ein potentieller Gegner, des als Gefahr für die öffentliche Sicherheit angesehen wird, kann so mit den Mitteln des Strafrechts präventiv ausgeschaltet werden.

Wir alle sind potentiell Verdächtige.

Um dieses Ziel zu erreichen, scheint jedes Mittel recht. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Menschen in Gefängnisse oder Lager gesperrt, wenn sie systemkritische Flugblätter verteilten oder Kontakt zu bestimmten Personen hatten. Heute reicht dieser "Tatbestand" scheinbar immerhin schon wieder aus, um Hausdurchsuchungen und Observationen damit zu begründen.

 

 

Ausmaß der Überwachung und die Auswirkungen der politischen Verfolgung auf das private, soziale und berufliche Umfeld

Die Verfolgung ist für viele eine große persönliche Belastung. Die Folgen für den Alltag sind oft gravierend.

Zum Teil werden seit mehreren Jahren unsere Telefone abgehört, alle E-Mails überwacht, unsere gesamte Internet-Nutzung protokolliert, unsere Wohnungen werden beobachtet, Wanzen in Wohnungen installiert, Wohnungen gegenüber von Wohngemeinschaften angemietet, um diese mit Videokameras zu überwachen, Hauseingänge mit Videokameras beobachtet, Peilsender an Pkws oder Wanzen in Pkws angebracht, politische Zusammenkünfte ausspioniert und Teilnehmer_innen erfasst und fotografiert, Bewegungen anhand von Handys, Bahnkarten oder Kreditkarten aufgezeichnet, Spitzel und verdeckte Ermittler auf uns angesetzt.

Ausgeforscht werden auch Lebenspartner_innen, Freund_innen, Kolleg_innen und Familienangehörige. Das gesamte Ausmaß der Bespitzelung können wir bisher noch nicht überschauen.

Nach der Durchsuchung wurden DNA- und GeruchsProben genommen, um diese mit vorliegenden Spuren zu vergleichen.

In Hamburg wurden, in einem eigens dafür eingerichteten Zentrum, Postsendungen in mehreren Stadtteilen kontrolliert.

Wer wissenschaftliche oder journalistische Publikationen zu bestimmten Themen verfasst und Bibliotheken dazu nutzt, macht sich verdächtig. Wer Kontakt zu Menschen hat, die die BAW für verdächtig hält, macht sich verdächtig. Wer versucht, seine Privatsphäre und Anonymität aktiv zu schützen, macht sich ebenfalls verdächtig. Kommen bei einem Personenkreis alle drei Verdachtsmomente zusammen, muss es sich in dieser Logik um eine terroristische Vereinigung handeln.

In der "Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz" in Bremen wurden Materialien in einem Umfang beschlagnahmt, so dass die Arbeit bis heute fast vollkommen blockiert ist. Aus einem Uni-Seminar an der Universität Bremen wurden Teilnehmer_innenlisten über mehrere Semester und Seminararbeiten beschlagnahmt. Dem Veranstalter wird ja vorgeworfen, jüngere Leute für militante Aktionen rekrutieren zu wollen. Das soll wohl bei den Seminarteinehmer_innen überprüft werden. Dadurch wird die Arbeit auch in diesem Seminar sehr erschwert.

 

Allein der Aktenbestand für die Ermittlungen, die zu den Razzien am 9. Mai führten, beläuft sich etwa auf 80 000 Seiten, ca. 200 Ordner. 34 Ordner sind uns zur Zeit zugestellt worden.

Der größte Teil der Akten ist dem BKA vom Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt worden. Hier wird also eine sehr enge Zusammenarbeit von Geheimdienst und Polizei sichtbar. Nicht zufällig wurde nach dem zweiten Weltkrieg – als Reaktion auf den deutschen Faschismus - die Arbeit von Geheimdienst und Polizei per Gesetz getrennt. Das scheint heute aber keine Rolle mehr zu spielen.

Aus den Akten wird auch ersichtlich, dass das BKA unmittelbar mit Sozialamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Verkehrsamt, Ordnungsamt, Versicherungen, Ausländerbehörde und Banken usw. zusammenarbeitete.

Die Ermittlungsbefugnisse bei § 129a-Verfahren entsprechen denen bei Verfahren gegen "organisierter Kriminalität" (z.B.: Geldwäsche, Mafia). D.h. es gibt keinen Datenschutz, kein Bankgeheimnis - auch nicht für Verwandte, Freund_innen, Mitbewohner_innen usw. Diese erfahren im allgemeinen nie, dass und wie sie in solchen Ermittlungen auftauchen.

 

 

Versuch einer politischen Einordnung

Es gibt keine einfache Antwort auf diesen politischen Angriff. Ich will versuchen die verschiedenen Aspekte, so wie wir sie bisher diskutiert haben, darzustellen.

Alle drei 129a Verfahren sind Ausdruck der aktuellen politischen Situation, die von Diskursen über den Begriff "Sicherheit" geprägt ist. Die Politik staatlicher Überwachung, das Sammeln und Speichern aller Daten von Menschen und das Vorantreiben von Repression sind Ausdruck einer Veränderung des staatlichen und gesellschaftlichen Systems, im Rahmen der neoliberalen Umgestaltung und kapitalistischen Globalisierung der Welt.

 

Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung – allgemein mit Neoliberalismus und kapitalistische Globalisierung bezeichnet – ist eine kapitalistische Offensive, die alle Lebensbereiche, selbst den menschlichen Körper, zunehmend privatisiert und kommerzialisiert und die ganze Welt zu einem einzigen Markt vereinigt – und das unter der Dominanz der mächtigen IndustrieNationen/der transnationalen Konzerne.   2

Im Rahmen des Profit- und WachstumsParadigma des Kapitals ist die Steigerung der Produktivität und die Erschließung neuer Märkte zwangsläufig verknüpft mit Abbau sozialer Errungenschaften, Massenarbeitslosigkeit, Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen, Ausschluss immer größerer Teile der Menschheit von den ökonomischen und sozialen Lebensvoraussetzungen und mit dem Abbau von Demokratie.

Der Staat baut seine Funktionen immer stärker marktkonform um: Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Kulturpolitik, Bildungspolitik, Gesundheitspolitik, usw. werden zusehends privatisiert und der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt untergeordnet.

Die Aufgaben des Staates verlagern sich verstärkt auf die Aufrechterhaltung des Rechtssystems, auf die Wahrung der sog. "Inneren und Äußeren Sicherheit" und des Besitzstandes des Kapitals. D.h. Sicherheitspolitik bedeutet nicht nur Sicherheit gegenüber einem sog. äußeren oder inneren "Feind", sondern Ausbau von Überwachungs-, Steuerungs-, Ordnungs- und UnterdrückungsStrukturen zur Sicherung der Produktions- und Verwertungsbedingungen, der Absatzmärkte, des Zugriffs zu den Rohstoffen, des Kapitals/der Kapitalströme. Und – es geht auch um die sog. "Sicherheit" vor unkontrolliertem Zuzug von Migrant_innen und Flüchtlingen.

Im sozialen Bereich hat diese Entwicklung auch zu verstärkter Normierung, Kategorisierung, bis zur Selektion von als "überflüssig" betrachteten Menschen – Menschen, die über "Arbeitskraft minderer Güte" verfügen – geführt, und so ist die Diskussion um "lebenswert" und "lebensunwert", "Neue Eugenik", "Neue Euthanasie" wieder gesellschaftsfähig geworden.

Voraussetzung für diese Entwicklung ist die Zerstörung von Kommunikation. Kommunikation, hier verstanden als Auseinandersetzung, Kritik, gemeinsame Entwicklung, Berührung. Kommunikation wird so zur Sabotage an den herrschenden Verhältnissen. Die Zerstörung von Kommunikation hat das Ziel der totalen Vereinzelung und Entmündigung des Menschen.

Die Ideologie der Zwangsläufigkeit und Unausweichlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung – und damit die Anonymisierung von Macht – soll den Anspruch auf politische Verantwortung ersetzen.

Der Staat registriert, überwacht und kontrolliert uns immer vollständiger. Egal, was wir tun, mit wem wir sprechen oder telefonieren, wohin wir uns bewegen, mit wem wir befreundet sind, wofür wir uns interessieren, in welchen Gruppen wir engagiert sind.

Mit der Vorratsspeicherung der Telekommunikation und Online-Durchsuchungen von Computern stehen weitere verschärfte Sicherheits- und Überwachungsbefugnisse auf der politischen Agenda.

Wer sich ständig überwacht und beobachtet fühlt, wird sich meist immer erschwerter unbefangen und mutig für die Auseinandersetzung um eine herrschaftsfreie, solidarische Gesellschaft einsetzen. Es entsteht allmählich eine unkritische Konsumgesellschaft von Menschen, die »nichts zu verbergen« haben und dem Staat gegenüber – zur vermeintlichen Gewährleistung totaler Sicherheit – ihr Bedürfnis nach Autonomie – d.h. Selbstbestimmung und Kollektivität als dialektische Einheit - aufgeben.

Eine solche Gesellschaft wollen wir nicht!

Da wo sich Widerstand regt wird versucht, ihn über Repression platt zumachen. Staat und Kapital brauchen die Staatsjustiz wie der Fisch das Wasser. Hier spielt der § 129a eine besondere Rolle.

Der totale Überwachungsstaat ist konsequenter Ausdruck dieser herrschenden Verhältnisse.

Es genügt deshalb nicht alleine einzelne Verschärfungen von Überwachung und Repression zu kritisieren, sondern es müssen immer auch die Verhältnisse, die sie hervorbringen in die Kritik mit einbezogen werden.

 

In diesem Kontext ist es einzuordnen, wenn der Staat Krieg nach Außen und nach Innen führt:

*** So agiert die Bundeswehr schon lange wieder als Angriffs- und Eroberungsarmee und steht ohne jeden Zweifel in der Kontinuität des deutschen Militarismus zur Durchsetzung von Herrschaftsinteressen. Heute ist sie Teil der NATO, an zehn Militäreinsätzen im Ausland beteiligt und verantwortlich für die Bombenabwürfe 1999 auf die Bevölkerung in Jugoslawien und jetzt in Afghanistan.

Allein in Afghanistan gehen bereits mehrere Tausend Tote, Verstümmelte, Vergewaltigte, Gefolterte, Obdachlose und Fliehende auf das Konto dieser so genannten Friedensstifter.

Da stellt sich die Frage:

Ist die Sabotage gegen diese Kriegsarmee Terrorismus?

*** Der aggressiven deutschen Außenpolitik entspricht die Verschärfung der sozialen Bedingungen im Inneren.

Lohnraub durch Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung. Rationalisierung und Entlassung von Arbeitskräften, Kürzung der Renten, Reduzierung der Gesundheitsversorgung durch die so genannte Gesundheitsreform, Reduzierung der Bildung auf die Kinder der Wohlhabenden, enorme Preiserhöhungen, Armut, Obdachlosigkeit. Eine immer weiter zunehmende Verarmung der Bevölkerung.

Ist der Widerstand gegen das G8-Treffen - der größten terroristischen Vereinigung dieser Welt, die verantwortlich ist für Unterdrückung, Hunger und Krieg - Terrorismus?

Ich will daran erinnern, dass alle 5 sec ein Kind an den Folgen von Hunger und Armut stirbt. Das sind an die 500 Kinder während ich hier rede.

Das ist kein Schicksal - das ist Mord!

Für mich sind Terroristen in erster Linie diejenigen, die für Macht und Profit über Leichen gehen.

 

 

Der Einsatz von Kriegswaffen wie Spähpanzer und Tornados gegen den G8-Widerstand in Heiligendamm bringt das deutlich auf den Punkt!

Dabei geht es nicht um den Sachschaden, es geht um die Idee und um das Signal, das diese Aktionen aussenden. Nämlich, dass die herrschenden Verhältnisse grundsätzlich auch praktisch angreifbar sind und das Menschen solche Aktionen für moralisch legitim halten. Solche Gedanken sind mit einer Gesellschaft, in der die Ideologie des Sachzwangs, die politische Verantwortung weitgehend abgelöst hat - also scheinbar niemand mehr für die herrschende Politik verantwortlich ist - unvereinbar/undenkbar - es könnte ja dadurch vielleicht die Kolonialisierung der Köpfe durch die herrschende Ideologie aufgebrochen werden.

Und sicher nicht zuletzt versucht der Apparat, scheinbar unbeirrt, seine Arbeit mit dem Auftrag zu verrichten, jede grundsätzliche Opposition "kalt zu stellen".

 

Zum Anlass für alle drei Verfolgungswellen wurden militante Aktionen herangezogen. Aber wie ich gerade versucht habe zu beschrieben, ist das nur als äußerer Anlass zu verstehen. Die langfristige politische Strategie, die dahinter steckt ist die der totalen Überwachung, Kontrolle und Steuerung der Menschen und der Gesellschaft:

Die Verfolgungen betrifft so die gesamte Linke und nicht nur deren radikalen Teil, und letztlich weit darüber hinaus die gesamte politische "Landschaft" in Deutschland. Wir sehen "unser" Verfahren nur als einen kleinen Mosaikstein in einem weit größeren Gesamtkunstwerk von sog. "SicherheitsPolitik".

Solange Menschen sich aus einer unversöhnlichen Haltung den herrschenden Verhältnissen gegenüber politisch organisieren und ihren Widerstand in verschiedenen Formen praktisch machen, wird die Antwort des Staates Repression sein. Alleine schon die vage Möglichkeit von Unzufriedenheit oder gar Unruhe in Zeiten wachsender Vereinzelung, sozialer Ungleichheit und sozialer Unsicherheit, lässt den Staat präventiv repressiv handeln.

Aber wir werden nicht zulassen, dass der Widerstand gegen die unmenschlichen globalen Verhältnisse aufgehalten oder gar zerschlagen wird. Das sehen wir als unsere Aufgabe an und dafür werden wir jetzt auch verfolgt.

 

 

Einige abschließende zukunftsweisende Bemerkungen

Wenn wir hier über die Repressionstechniken von BKA und anderen Staatsschutzbehörden so ausführlich berichtet haben, dann nicht mit der Absicht, Angst und Horror zu verbreiten und Leute einzuschüchtern. Sondern wir verstehen diesen Beitrag als Aufforderung, die Bedingungen unter denen wir uns bewegen genau zu studieren. Je besser wir diese Bedingungen kennen, um so sicherer werden wir uns bewegen können - immer auch mit dem Wissen: »wer sich bewegt, hinterlässt auch Spuren!«

Die Gewissheit alleine: »wir sind moralisch im Recht« und daraus die Folgerung zu ziehen: »deshalb darf uns nichts geschehen!« wird uns erfahrungsgemäß nicht vor politischer und polizeilicher Verfolgung schützen.

Und, auch wenn vielleicht manches in den Verfahren konstruiert und lächerlich erscheinen mag, sollten wir diesen Angriff nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Wir haben schon ein sehr ernsthaftes Anliegen und das richtet sich gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, und genau das wissen auch die, die uns jetzt angreifen.

 

 

Ich will noch aus einer Erklärung der SoliGruppen aus Hamburg und Bremen für die § 129a-Verfolgten zitieren. Da heißt es:

 

>>

wir sind alle § 129a!

kein Frieden mit den herrschenden Verhältnissen!

vorwärts! gemeinsam!

und nicht vergessen die Solidarität!

<<

 

soweit die SoliGruppen.

 

Aber lasst mich noch eine persönliche Schlussbemerkung machen:

wir werden diese Angriffe zurückweisen, wenn wir gemeinsam dafür sorgen,

dass der Stein den sie gegen uns erhoben haben, auf ihre eigenen Füße fällt!

No pasaran!

Sie werden nicht durchkommen!

 

 

 

1   Zum § 129a und zu Erfahrungen damit s.: "Aufruhr, Widerstand gegen Repression und § 129a", ID-Archiv, Amsterdam, 1991.   zurück

2   »Alle reden vom Wetter. Wir nicht. Beiträge zur Förderung der kritischen Vernunft« - Westfälisches Dampfboot, Münster 2005: »Zur Philosophie der "Neuen Weltordnung" und zur Utopie von "Solidarität", "Kommunikation" und "Befreiung"«, Fritz Storim.   zurück