Redebeitrag der Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz auf der

Demonstration in Hamburg am 15.12.2007:

»gegen den kapitalistischen Normalzustand,
gegen Überwachungsstaat und Repression«

Der Text wurde für die Rede leicht gekürzt.

 

 

Hausdurchsuchungen

Im Rahmen der bundesweiten Hausdurchsuchungen am 9. Mai wurden auch die Räume der Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS) in Bremen sowie einige im Haus befindlichen Wohn- und Arbeitsräume verschiedener Bewohnerinnen von der Generalbundesanwaltschaft (BAW) und dem Bundeskriminalamt (BKA) durchsucht.
Begründet wurde die Durchsuchung damit, dass einer der §129a-Verfolgten seinen Arbeitsplatz in der Meßstelle hat.
Es wurden Materialien in einem Umfang beschlagnahmt, so dass die Arbeit bis heute blockiert ist. Wir haben auch nach über 7 Monaten von den beschlagnahmten Sachen bis auf die PCs nichts zurückbekommen.

Aus einem Seminar an der Universität Bremen – das von dem Beschuldigten veranstaltet wird - wurden Teilnehmer_innenlisten über mehrere Semester und Seminararbeiten beschlagnahmt. Dem Beschuldigten wird ja vorgeworfen, jüngere Leute für militante Aktionen rekrutiert zu haben. Das soll wohl bei den Seminarteinehmer_innen überprüft werden. Dadurch wird die Arbeit auch in diesem Seminar erschwert.

 

Wie aus den Akten hervorgeht, ist der größte Teil der Ermittlungen vom Verfassungsschutz (VS) durchgeführt und Ergebnisse und Handlungsvorschläge dem BKA zur Verfügung gestellt worden. Hier wird eine sehr enge Zusammenarbeit von Geheimdienst und Polizei sichtbar. Nicht zufällig wurde nach dem zweiten Weltkrieg – als Reaktion auf den deutschen Faschismus und den unsäglichen Erfahrungen mit der allmächtigen Gestapo - die Arbeit von Geheimdienst und Polizei per Gesetz getrennt. Das scheint heute aber keine Rolle mehr zu spielen.

Aus den ErmittlungsAkten wird auch ersichtlich, dass das BKA unmittelbar mit Sozialamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Verkehrsamt, Ordnungsamt, Versicherungen, Ausländerbehörde und Banken usw. zusammenarbeitete.

 

Der Gesinnungs und Schnüffelparagraph 129a

Gegen uns wurde das ganze Repertoire von Kontrolle und Überwachung eingesetzt – zum Teil über mehrere Jahre – das VS und BKA zur Verfügung stehen.
Aus Zeitgründen will ich das jetzt aber an dieser Stelle nicht weiter ausführen.

Mit dem Gesinnungs- und Schnüffelparagraphen 129a, mit dem die Observationen und die Durchsuchungen präventiv juristisch "legitimiert" wurden, ist es der Justiz heute wieder möglich, Oppositionelle - wie z.B. Menschen, die sich gegen den bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm engagieren - auszuforschen, sie zu kriminalisieren und die laufende Arbeit zu behindern.
Die Ermittlungsbefugnisse bei § 129a-Verfahren entsprechen denen bei Verfahren gegen "organisierter Kriminalität" (z.B.: Geldwäsche, Mafia). D.h. es gibt keinen Datenschutz, kein Bankgeheimnis - auch nicht für Verwandte, Freund_innen, Mitbewohner_innen usw. Diese erfahren im allgemeinen nie, dass und wie sie in solchen Ermittlungen auftauchen.

Wir sehen im §129a ein Instrument staatlicher Herrschaft, das prinzipiell alle politisch kritischen Menschen unter Generalverdacht stellen kann. Ein potentieller Gegner, der als Gefahr für die öffentliche Sicherheit angesehen wird, kann so mit Mitteln des Strafrechts präventiv ausgeschaltet werden. Somit sind wir alle potentiell Verdächtige.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden Menschen in Gefängnisse oder Lager gesperrt, wenn sie systemkritische Flugblätter verteilten oder Kontakt zu bestimmten Personen hatten. Heute reicht dieser "Tatbestand" scheinbar immerhin schon wieder aus, um Hausdurchsuchungen damit zu begründen.

 

Versuch einer politischen Einordnung

Wenn wir jetzt politisch verfolgt und angegriffen werden, dann nicht, weil wir harmlose unbescholtene Bürger_innen sind, oder das ganze ein Versehen/ein Irrtum ist. Wir werden angegriffen, weil wir uns für eine revolutionäre Umgestaltung dieser Gesellschaft einsetzen.

wir kämpfen gegen diese herrschenden Verhältnisse,
wir wollen ein anderes Leben,
wir wollen eine andere Welt.

Es geht uns um eine Welt, in der der Mensch und nicht die ökonomische Rationalität im Mittelpunkt von Denken und Handeln steht.

Genau deshalb werden wir herausgegriffen und werden in der Öffentlichkeit als Terrorist_innen vorgeführt, mit dem Ziel, die gesamte Gesellschaft einzuschüchtern und politisch auf die kapitalistische Normalität auszurichten.

Gegen niemanden von uns gibt es konkrete Tatvorwürfe oder irgendwelche objektiven Beweismittel.
In einem wilden Konstrukt – offensichtlich heute noch nicht juristisch haltbar – wird eine terroristische Vereinigung zusammengezimmert und mit Hilfe des §129a präventiv observiert, überwacht, durchsucht, beschlagnahmt, kriminalisiert.

Aber wir sollten uns nicht so sehr über ihre Konstrukte aufregen, sondern die Strategien, die dahinter stecken studieren und angreifen. Sie studieren uns teilweise seit Jahrzehnten, wir sollten sie nicht unterschätzen, das lenkt nur von ihren wahren Absichten ab und erleichtert ihnen so ihre Arbeit.
Es geht ihnen nicht hauptsächlich um die Vorwürfe oder auch nicht hauptsächlich um Verurteilung der Beschuldigten, das alles sind nur Platzhalter für ihre längerfristige Strategie. Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass der §129a ihnen kurzfristig aus der Hand genommen wurde und dass die Verfahren vielleicht irgendwann sang- und klanglos eingestellt werden.

Die langfristige politische Strategie, die dahinter steckt, ist die der totalen Überwachung, Kontrolle und Steuerung der Menschen und der Gesellschaft:

Die Verfolgungen betrifft so die gesamte Linke und nicht nur deren radikalen Teil, und letztlich weit darüber hinaus die gesamte politische "Landschaft" in Deutschland. Wir sehen "unser" Verfahren nur als einen kleinen Mosaikstein in einem weit größeren Gesamtzusammenhang von sog. "SicherheitsPolitik".

 

Uns scheint, dass zumindest ihr Konzept der kurzfristigen Einschüchterung, Verunsicherung und Spaltung des Widerstandes mit diesen konkreten Angriffen nicht aufgegangen ist.

Große Teile der Öffentlichkeit reagieren mit Unverständnis oder gar Protest. Wir haben viel Unterstützung erfahren. Ein Ausdruck davon sind die vielen Veranstaltungen, Demonstrationen, wie auch diese Demonstration heute. Die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm bekam einen neuen Schub.

Der Stein, den sie gegen uns erhoben haben, ist auf ihre eigenen Füße gefallen. Sorgen wir dafür, dass das so weitergeht.

 

 

Alle drei §129a Verfolgungswellen sind Ausdruck der aktuellen politischen Situation, die von Diskursen über den Begriff "Sicherheit" geprägt ist. Die Politik staatlicher Überwachung, das Sammeln und Speichern aller Daten von Menschen und das Vorantreiben von Repression sind Ausdruck einer Veränderung der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, im Rahmen der neoliberalen Umgestaltung und kapitalistischen Globalisierung der Welt.

 

Mit der Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikation und Online-Durchsuchungen von Computern stehen weitere verschärfte Sicherheits- und Überwachungsbefugnisse auf der politischen Agenda und das betrifft nicht nur Oppositionelle sondern die gesamte Bevölkerung.

Wer sich ständig überwacht und beobachtet fühlt, wird sich meist immer erschwerter unbefangen und mutig für die Auseinandersetzung um eine herrschaftsfreie, solidarische Gesellschaft und für seine persönliche Freiheitsrechte einsetzen. Das führt zu einer neuen Konzeption von Verhalten, die diesen potentiellen Blick der Überwacher_innen mit einbezieht.

So soll allmählich eine unkritische Konsumgesellschaft von Menschen entstehen, die »nichts zu verbergen« haben und dem Staat gegenüber – zur vermeintlichen Gewährleistung totaler Sicherheit – ihr Bedürfnis nach Autonomie – d.h. Selbstbestimmung und Kollektivität als dialektische Einheit - aufgeben.

Eine solche Gesellschaft wollen wir nicht!

Alleine schon die vage Möglichkeit von Unzufriedenheit oder gar Unruhe in Zeiten wachsender Vereinzelung, sozialer Ungleichheit und sozialer Unsicherheit lässt den Staat präventiv repressiv handeln.

So wird in offiziellen staatlichen Kreisen schon wieder öffentlich diskutiert und zum Teil auch schon praktisch umgesetzt:

Der totale Überwachungsstaat ist kein Auswuchs sondern konsequenter Ausdruck dieser herrschenden Verhältnisse.

Es genügt deshalb nicht alleine einzelne Verschärfungen von Überwachung und Repression zu kritisieren, sondern es müssen immer auch die Verhältnisse, die diese hervorbringen in die Kritik mit einbezogen werden.

 

Wir lassen uns nicht einschüchtern

Sie können uns sicher hier und da angreifen und auch empfindlich treffen, uns das Leben schwerer machen. Aber es ist keine Niederlage, wenn wir weiterkämpfen, wenn wir aus den Auseinandersetzungen und unseren Fehlern gemeinsam lernen.

Und wir haben vor, diesen Weg unbeirrt und ungebrochen weiterzugehen.

Wir verstehen uns nicht als Opfer, wir jammern nicht, wir lassen uns nicht einschüchtern. Wenn wir die Verhältnisse richtig einschätzen sollten wir bei Empörung nicht stehen bleiben.

Und wir wollen kein Mitleid aber wir brauchen eure Solidarität.

Solidarität verstanden als zärtliches, kritisches und sehr entschiedenes Festhalten – damit wir nicht alleine dastehen, damit wir nicht abstürzen, damit sie uns nicht rauslösen können aus unserem gemeinsamen politischen Kollektiv.

 

In diesem Sinne:

kein Friede mit den herrschenden Verhältnissen,
vorwärts,
gemeinsam
und nicht vergessen die Solidarität!