Nachtrag zu Kopenhagen: Mängel in der Kommunikationsstruktur und Aktionsform

Auch wir stecken in mehreren Sackgassen

In der letzten Ausgabe des ak standen einige Einschätzungen zu Kopenhagen, die von der "Saat für eine neue Klimagerechtigkeitsbewegung" (Alexis&Tadzio) sprechen und besonders den Ansatz von reclaim power verteidigen, womit eine "neue Art der Zusammenarbeit von innen und aussen in transnationalen Politikprozessen" gefeiert wird. Auch 'avanti' lobt den reclaim power-tag und schiebt das Scheitern der "Unorganisiertheit der Szene samt der innewohnenden Mobilisierungschwäche" zu, relativiert diese Einschätzung aber zugleich wegen des "völlig entfesselten Polizeistaats" in Kopenhagen.

Beiden Einschätzungen will ich widersprechen, weil sie die Tiefe unserer eigenen Krise eher zudecken als aufhellen. Und mit "uns" meine ich sowohl die Linksradikalen, den antikapitalistischen Block wie das Climate justice now-Bündnis.
Wir stecken in mehreren politischen Sackgassen:

1. Fangen wir mit den Aktionsformen an. Hier existiert in der globalisierungskritischen Bewegung eine nicht hinterfragbare Doktrin der "gewaltfreien Aktion" (gA). Die ist seit Jahren der gemeinsame Nenner bei allen globalen events. Tatsächlich ist es eine politische Sackgassenhandlungstechnik, nämlich vor allem dann, wenn die Bullen das Spiel nicht mitmachen: Siehe die Samstagdemo, als das Vorgehen der Bullen überhaupt nicht in der Demo kommuniziert wurde und die Demo einfach weiterlief, obwohl hinten schon hunderte auf der kalten Straße saßen. Und bei der Sonntagsdemo griffen die Bullen wieder zu derselben Taktik, vorher waren im Gegensatz zu den 10 Steinen auf die Börse bei der Großdemo überhaupt keine Klamotten geflogen. Der Mittwoch mit der reclaim power-Aktion krankte an der fatalen Aufteilung zwischen den sogenannten "Gewaltfreien" des blauen Blocks (der doch bemerkenswert mutig und entschieden in seinem Auftreten war) und des grünen Blocks, die sofort und direkt durchmarschieren wollten, egal ob da Bullenketten stehen oder nicht. Hier wurde - und das war nach den Bullenübergriffen der Vortage einfach unverzeihlich - nicht die Taktik geändert, sondern an der Blockaufteilung zwischen "Friedlichen" und "Militanten" festgehalten – ein glattes Eigentor!
So macht mensch sich völlig abhängig von dem Goodwill der Bullen: Wenn die wollen, hauen die trotzdem drauf.

2. Nach vielen heißen und langjährigen Debatten im Brokdorf- und Gorlebenwiderstand ist die Lernerfahrung, sich der von Staat, Medien und Bullen immer wieder geforderten Aufteilung in gut und böse, in friedlich und militant zu widersetzen. Die Parole "gewaltfrei oder militant – wichtig ist der Widerstand" fasst diesen kollektiven Lernprozess aus 30 Jahre Widerstand in Brokdorf und im Wendland ganz gut zusammen.

Aber auch politisch-ideologisch ist die Doktrin der gA eine Sackgasse: Es wird nicht zwischen struktureller Gewalt bzw. Gewalt "von oben" sowie der Gewalt, die befreiende Ziele hat und sich gegen strukturelle Gewalt richtet, unterschieden. Die Positionen gewaltfreier Ideologen sind z.B. im Fall von Kriegen, in Diktaturen oder krasser, direkter Unterdrückung geradezu selbstmörderisch. Schon in unserem politischen Alltag sind sie nicht durchhaltbar, siehe z.B. das Abwehren sexistischer oder rassistischer Gewalt. Weil die AnhängerInnen der gA beim Begriff Gewalt nicht bereit zu differenzieren und das dialektisch zu begreifen, werden sie gewollt oder ungewollt zu ideologischen Hilfstruppen des Staates, der nicht mehr um die Legitimation seiner Gewalt kämpfen muss - er hat ja das legitimierte Gewaltmonopol. Zudem: Wenn Gewalt in jeder Form gleich bewertet wird, gibt es auch keine Grundlage mehr zu unterscheiden zwischen Angriff und Verteidigung, Aggression und Notwehr. Letztendlich ist das die politische Bankrotterklärung für einen antagonistischen Widerstand.

3.. Die gA kann nur eine punktuelle und taktische Haltung sein. Sie keine allgemeingültige Rezeptur für unseren Kampf gegen Herrschaft und für Solidarität und Befreiung. Für die Anhänger der Doktrin der gA symbolisiert sie eine ideologisch-moralische Haltung. In der westdeutschen Friedensbewegung wurde dafür immer das Beispiel des gewaltfreien Widerstand von Ghandi angeführt. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit, entscheidend für den Rückzug der britischen Kolonialmacht am Ende des 2. Weltkriegs war einfach die drohende Pleite des Empire und die Ablösung des britischen Weltreichs durch die USA. Die Ideologie der gA hat bei vielen AnhängerInnen nur eine kurze Lebenszeit. So haben die ehemals gewaltfreien 'Grünen' nur ein paar Jahre an der Doktrin der gA festgehalten und im Kosovokrieg sich sehr schnell von der gA verabschiedet und der staatlich-militärischen Macht sich bedient.

Das Konzept des 'zivilen Ungehorsams' hilft auch nicht viel weiter, denn auch dieser legt sich auf ein bestimmtes Aktionsformenspektrum fest, unterwirft sich der staatlichen Gewaltdefinition und bleibt somit für den politischen und polizeilichen Gegner berechenbar. Auch das Recht auf Widerstand, abgeleitet aus dem 20.4 GG (nebenbei erst im Zuge der Verabschiedung der Notstandsgesetze eingeführt), führt nicht weiter, weil es macht sich absolut abhängig von dem juristischen Jawort und wir wissen wie es um die Unabhängigkeit der Justiz in der politischen Realität der BRD steht. Außerdem schafft sich jeder bürgerliche Staat ein Recht auf den Ausnahmezustand und kann damit essentielle Grundrechte außer Kraft setzen, dann wäre die Berufung auf die Legalität auch dieser Aktionsform schnell am Ende.

Um nicht mißverstanden zu werden, ich plädiere keinesfalls für eine generelle Absage an die gA: Es kann es durchaus politische Situationen geben, wo die vorher vereinbarte Festlegung auf gA (wie bei manchen Blockaden von Faschoaufmärschen z.B.) durchaus sinnvoll ist.

Wie bei der Doktrin der gA ist auch bei militanten Aktionsformen die Berechenbarkeit das fundamentale Manko. Bis hin zur äußeren Erkennbarkeit des schwarzen Blocks, die Vor- und Nachteile hat: sie erlaubt das Untertauchen in der Masse, ermöglicht aber den Bullen zugleich die klare Erkennbarkeit der vermeintlichen Störenfriede. In Kopenhagen sind der antikapitalistische Block und damit die Autonomen aus verschiedenen Gründen gescheitert; vor allem wenn mensch vorher den vollmundigen Aufruf für Kopenhagen gelesen hat, war Kopenhagen ein Desaster.

4. Was ist daraus die Konsequenz? Das 'Recht auf Widerstand', was sich nicht auf die herrschende Legalität beruft und das staatliche Gewaltmonopol ablehnt; es lässt die notwendige Vielfältigkeit in den Aktionsformen eher zu.

5. Was können wir weiter aus Kopenhagen lernen? Wir sollten uns viel stärker bemühen (und das gilt für alle Gruppen, sowohl die Linksradikalen von Autonomen über Avanti bis zu climate justice now) die Bündnisfähigkeit solange wie möglich zu bewahren. Die gegenseitige Abgrenzerei vor und in Kopenhagen war da nicht förderlich. Im Gegenteil durch den langatmigen und nur von wenigen kontinuierlich mitgestalteten Vorbereitungsprozess bildeten sich in-groups und informelle Hierachien, die dann in Kopenhagen auch nicht mehr transparent wurden.

6. Wir sollten so lange wie möglich nach außen unberechenbar bleiben. Aber anders nach innen: da sollte so viel Berechenbarkeit wie möglich hergestellt werden, also Absprache über die Palette der zum Einsatz kommenden möglichen Aktionsformen und Offenheit und Kontrollierbarkeit möglichst für alle Beteiligten darüber – und genau daran mangelte es fundamental in Kopenhagen: Die Choreografie der Aktionstage war völlig festgezurrt bevor der erste Demonstrant in Kopenhagen eintraf! Es gab keinen Ort, wo Einfluss auf den Entscheidungsprozess genommen und über das wo, wann, wie der nächsten Aktionen debattiert werden konnte. Das starre Festhalten am einmal beschlossenen Aktionskonzept fiel uns allen auf die Füße. Schon nach der Samstagsdemo hätte die Hafenblockade entweder völlig anders gestaltet werden müssen oder in der Form abgesagt werden müssen. Auch das veröffentlichte Vorbereitungskonzept für den Mittwoch lies ziemlich schnell erkennen, wer im grünen Block zum bella center geht, nämlich die Militanten, und auf die haben sich dann die Bullen gestürzt und nahezu alle hops genommen. Das war nach den Massenfestnahmen von Samstag und Sonntag einfach äußerst dämlich. Warum konnte das vorbereitete Konzept nicht mehr überarbeitet werden?

Darüber hinaus gab es auch ein fragwürdiges Verhalten der Sprecher von climate justice now, die sehr wohl eine Machtfunktion hatten, darüber aber offenbar keine Sensibilität zeigten (auch im Nachhinein nicht lieber Tadzio, wie du im ak-interview noch mal bestätigt hast), sondern sich noch im Scheinwerferlicht der vermeintlichen Stars (siehe die Cristiana-Veranstaltung von Montagabend, wo Naomi Klein und Tadjo auf die Einhaltung der Gewaltfreiheit - bei bis dahin hin schon über 1000 Gefangenen seitens der gewalttätigen Bullen - pochten), sonnten und überhaupt keinen Spielraum für andere Aktionsformen zuließen. Nach wie vor sollte unter uns gelten: wir haben keine Anführer_innen, wenn dann nur welche auf Zeit – und deshalb sind und bleiben wir alle verantwortlich für die Sachen, die laufen oder eben auch mal schief gehen! (Damit soll nicht gesagt werden, dass es auch jeweils eine individuelle Verantwortlichkeit für das jeweilige Tun gibt, aber eine der Stärken der undogmatischen Bewegung seit 40 Jahren ist eben, dass sie keine parteiförmige Organisation mit Führer_innen und Geführten ist!)

7. Die Festlegung auf gA ist auch dem schwerfälligen Konsensprozess - aus dem dann in Kopenhagen ein richtiger (Herrschafts-) Apparat wurde – geschuldet. Auf globaler Ebene kann es nahezu gar nicht anders sein, wenn mensch sich mit NGO's aus allen Kontinenten an einen Tisch setzt und völlig unterschiedliche politische Erfahrungen und Kulturen aufeinander treffen.
Das Konsensprinzip kann nur in relativ homogenen Gruppen ohne schwerwiegende Interessensgegensätze ein Mittel herrschaftsfreier Meinungsbildung sein. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, wird das Konsensprinzip schnell zu einem Herrschaftsinstrument für die durchsetzungsstärksten Gruppen.
Der politische Prozess zwischen den Vorbereitungsgruppen und den angereisten Aktivist_innen scheiterte in Kopenhagen aber vor allem, weil es nirgendwo einen Ort gab, wo die Aktivist_innen zusammenkommen konnten, miteinander sich austauschen, debattieren, die Ereignisse reflektieren und neu planen konnten. Ich führe nur als ein Beispiel das 1400 Leute-Fabriklager hinter dem Kohlekraftwerk an. Dort war es bitterkalt, es gab keinen Versammlungsraum, nur drei Klos und drei Sofas! Ein Ort zum Weglaufen!

8. Fazit: Kopenhagen war - bei der durch die Polizei und Stadtregierung vorgegebenen für uns sehr feindlichen Infrastruktur und dem unwirtlichen Wetter - von vornherein ein Ort des Scheiterns! Die fundamentale Voraussetzung für uns und gelungene Aktionen ist, Orte zu haben, wo wir zusammenkommen können, wo wir gemeinsam die von der Vorbereitungsgruppe ausgearbeiteten Aktionsvorschläge beraten können (siehe als gutes Beispiel Prag 2000; schon in Genua ein Jahr danach war das nicht mehr vorhanden).

9. Eine weitere Lehre ist, auf global ausgehandelte Absprachen zukünftig zu verzichten, weil da können nur Minimalkonsense rauskommen, die allzu Viele in ihren Aktionsformen und - möglich-keiten eher behindern. Richtiger wäre es zukünftig, nur Vorschläge zu unterbreiten, deren detaillierte Ausarbeitung erst von den mobilisierten Aktivist_innen vor Ort vorgenommen wird (so ähnlich wie in den Camps von Reddelich, Rostock und Kühlingsborn 2007).

10. Und last but not least: wo ist jemals in der Geschichte der Kapitalismus und sein hochgerüsteter militärischer Apparat allein durch gewaltfreie Sitzblockaden besiegt worden? Und an Naomi Klein gerichtet: Der Systemwandel muss erkämpft werden, mit einem hohen persönlichen Einsatz und Risiko, er wird kein Friedensfest sein, wo sich alle an die Hände fassen und "we shall overcome" singen!

Hauke, Feb. 2010