The future is not what it used to be...


Klimawandel und kapitalistische Krise – was macht die radikale Linke?

 

Seit einigen Jahren ist der Klimawandel in aller Munde: Merkel, die G8, die Weltbank, Al Gore, Konzernmanager, der Bauerverband "Via Campesina", fast alle haben sie irgendwas zum Klima zu sagen. Zu dem Thema Klimawandel hat sich die radikale Linke bisher kaum geäußert. Im folgenden Text wollen wir Denkanstöße dafür bieten, die Berührungsängste der radikalen Linken mit dem Thema zu überwinden. Wir wollen den Zusammenhang zwischen kapitalistischem Wachstumszwang und Klimawandel erläutern und aufzeigen wie einschneidend die sozialen und politischen Folgen des Klimawandels zukünftig unsere Lebens- und Kampfbedingungen beeinflussen werden. Zu Beginn des Textes wollen wir aber vor allem noch einmal auf die vielerorts gehörten Bedenken von Linksradikalen gegen ein Einklinken in die anlaufenden Kampagnen eingehen.


1. Vorbehalte der Radikalen Linken

Klimapolitik wird von den meisten radikalen Linken gern als linksalternatives "Modethema" abgetan, das vor allem die grüne Mittelschicht interessiert. In diesem Kontext werden ökologische Themen schnell mit dem simplen Aufruf zum Konsumverzicht gleichgesetzt, der nicht mehr als eine Individualisierung des Problems produziert. Zurecht ist der Abgrenzungsbedarf zur heimatschützerisch daherkommenden Umweltbewegung und zum bürgerlichen Ansatz der individuell "gesunden" Bioernährung und "klimaneutralen" Leben groß. Dies kann aber nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass die radikale Linke einfach auf eine Auseinandersetzung mit dem Thema verzichtet.

Oft wird argumentiert, das Thema Klimawandel sei bereits von der herrschenden Klasse besetzt und werde für die Durchsetzung ihrer Interessen instrumentalisiert. Sich auf das Thema zu beziehen, bedeute, ihr in die Hände zu spielen. Allerdings gilt das für jedes gesellschaftlich relevante Thema, das Regierungen die Möglichkeit zur Profilierung bietet. Zudem geht diese Argumentation davon aus, dass es eine zusammenhängende, in sich schlüssige Herrschaftsstrategie gäbe, der wir als radikale Linke in die Hände spielen könnten. Wir sind jedoch der Ansicht, dass eine solche Strategie nicht existiert. Denn in Bezug auf die Klimakrise sind das Kyoto-Abkommen, die Verhandlungen von Bali oder die Klimapolitik der EU wenig mehr als Krisenmanagement, in dem die Akteure vor allem versuchen, propagandistisch gut auszusehen. Ein Beispiel: der deutschen Regierung gelingt es ausgezeichnet, ihre klimafeindliche Industrie- und Standortpolitik auf der internationalen Bühne als klimafreundlich zu verkaufen. Tatsächlich gehört sie innerhalb der EU zu den hartnäckigsten Blockierern von Klimaschutzmaßnahmen wie der Senkung von Kfz-Emissionen, und treibt munter den Bau neuer Kohlekraftwerke voran.

Weit verbreitet ist auch die Position, der Kapitalismus besäße genügend Transformationsfähigkeit, um eine Klimakrise technologisch abzuwenden und deren Folgen ökonomisch für sich zu nutzen. Tatsächlich hat das kapitalistische System in der Vergangenheit ja auch ökologische Krisen

gelegentlich gemeistert (siehe z. B. die Stabilisierung des Ozonlochs). Praktisch weist aber absolut nichts darauf hin, dass eine klimarelevante Treibhausgasreduzierung in absehbarer Zeit gelingen wird. Es zeichnet sich hingegen deutlich ab, dass selbst die lächerlich geringen Reduktionsziele des Kyoto-Protokolls nicht erreicht werden, und es stattdessen in vielen Unterzeichnerstaaten zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen kommen wird. Diese Entwicklung ist kein Zufall. Der industrielle Kapitalismus basiert seit über 150 Jahren auf der Nutzung fossiler Energieträger. Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen wird damit zu einer existentiellen Problematik für das Kapital, auf die wir unten noch näher eingehen werden.

Von einer "diskurskritischen" Position aus wird argumentiert, dass wir über den Klimawandel nicht wirklich reden können, da alles, was wir darüber wissen, von der "Wissenschaft" produziert wurde, die wir als Herrschaftswissenschaft kritisieren. Wie können wir auf der Basis solchen Herrschaftswissens eine emanzipatorische Politik entwickeln? Sicher ist es richtig, wissenschaftlichem "ExpertInnenwissen" kritisch gegenüber zu stehen. Andererseits können wir uns deshalb nicht der Notwendigkeit entziehen, mit diesem Wissen produktiv umzugehen. Wer den IPCC-Bericht und andere einschlägige wissenschaftliche Publikationen [siehe unten] liest, kann kaum ignorieren, dass ein einschneidender, menschengemachter Klimawandel stattfindet, und dass deshalb mit drastischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen zu rechnen ist. Der Umstand, dass all diese Publikationen gleichzeitig systemkonforme, kapitalfreundliche Handlungsanweisungen geben, relativiert die Ausmaße des Klimawandels nicht. Die heute für uns erlebbaren Klimaveränderungen sind das Ergebnis der bis in die achtziger Jahre emittierten Treibhausgase. Seit dem sind die Emissionen weltweit um dreißig Prozent gestiegen. Wer heute um die dreißig ist und nicht zu den Reichen gehört, kann daher auch im scheinbar "sicheren" Mitteleuropa mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, im späteren Leben mit existenzbedrohenden Klimafolgen konfrontiert zu werden.

Aber ist das nicht bloßer "Katastrophismus", also eine Politik, die mithilfe eines fast schon religiösen Katastrophenbegriffs Menschen zu einer Politik der Angst mobilisiert, und mithin auch nicht wirklich emanzipatorisch sein kann? Es stimmt natürlich, ökologische Systeme brechen selten

plötzlich zusammen. Die "Katastrophe" ist eine langsame Entwicklung, kein Endergebnis. Diese berechtigte Kritik kann aber kein Grund sein, sich nicht mit den reell katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels zu beschäftigen. Der Klimawandel findet jetzt schon statt. Für die radikale Linke erfordert die Auseinandersetzung mit Ökologiethemen vor allem eine radikale Wachstums- und Technologiekritik. War es in den letzten Jahrzehnten noch möglich, sich dieser Auseinandersetzung zu entziehen, wird das beim Thema Treibhausgasemissionen zunehmend schwieriger. Klar ist, dass die Folgen des kapitalistischen Wachstums nur gesamtgesellschaftlich und nicht individuell gelöst werden können. Genauso klar muss aber auch sein, dass die bisherige "Alles für Alle"-Politik angesichts dramatisch schwindender Ressourcen und weltweit ungleich verteilter ökologischer Lasten zu einer leeren und arroganten Metropolenparole zu verkommen droht. Denn was kann zukünftig noch das "Alles" sein, welches es gerecht zu verteilen gilt?

Die deutsche radikale Linke wird sich unserer Meinung nach auf die Suche nach einer politischen Neuausrichtung begeben müssen, will sie nicht in absehbarer Zeit den politischen Anschluss an die globale systemkritische Linke verlieren.

 

 

2. Tausend gute Gründe für eine linksradikale Positionierung

Viele von uns Mitteleuropäern erleben den Klimawandel bisher hauptsächlich als Verlängerung der Badesaison. In Afrika ist der Klimawandel allerdings bereits jetzt für 150.000 Todesopfer zusätzlich verantwortlich (WHO). Weltweit sind heute 15 Millionen Menschen auf der Flucht vor den Folgen des Klimawandels (UNHCR), so sind in Bangladesh große Teile der Bevölkerung auf der Flucht vor dem Meer. Ihre Felder sind versalzen und unbrauchbar geworden. "Jahrhundertfluten" und "Jahrhunderdürren" führen in Afrika und Asien zu dauerhaften Massenumsiedlungen von Zehntausenden. Aus der Perspektive des ärmeren Teils der Weltbevölkerung ist das alles aber "nur" ein Vorspiel. Der Klimawandel wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer drastischere ökologische, soziale und politische Folgen haben - nicht nur im globalen Süden, sondern auch hier in Europa. Mit diesen politischen Folgen sollten sich alle Teile der Radikalen Linken auseinander setzen, wenn sie Einfluss auf die zentralen gesellschaftlichen Konflikte der nächsten Jahrzehnte haben wollen. Zum Beispiel: was wird passieren, wenn das bisher existierende europäische Grenzregime unter der Masse von Flüchtlingen kollabiert und durch ein rein militärisches ersetzt wird, sowohl direkt hier an der Grenze als auch in den Transferstaaten? Und was passiert "im Innern", wenn das Benzin so teuer wird, dass der Durchschnittsbürger nicht mehr mit dem Billigflieger nach Mallorca fliegen kann oder mit dem Auto zur Arbeit kommt?

Für die radikale Linke bietet sich die Chance das soziale Versagen des Kapitalismus zu skandalisieren und ihn damit ideologisch und praktisch zu demontieren. Derzeit werden Folgen des Klimawandels ganz öffentlich und umgehemmt auf die armen Menschen der Welt abgewälzt- und nur wenig Widerspruch regt sich dagegen in den reichen Metropolen...

 

 

2.1. Klimawandel und Kapitalismus

Der Kapitalismus duldet keinen Stillstand. Wachstum und Expansion sind seine Grundlage. Diese ständige Expansion hat dazu geführt, dass der Kapitalismus am Übergang zum 21. Jahrhundert endgültig zu einem Weltsystem geworden ist. Ehemalige realsozialistische Staaten wie Russland und China sind zu kapitalistischen Weltmächten aufgestiegen, einige ehemalige "Schwellenländer" wie Brasilien oder Indien sind ebenfalls "Global Player" geworden und versuchen das Wachstum nachzuholen, das ihnen bisher verwehrt blieb. Aber nicht nur Staaten, sondern vor allem multinationale Konzerne bestimmen die Entwicklung des globalen Kapitalismus. Noch kommen ¾ der 500 größten Multis aus Industriestaaten wie den USA, Japan und der BRD. Diese Konzerne beherrschen den Weltmarkt, sie organisieren die Ausbeutung der Lohnabhängigen weltweit und spielen dabei ArbeiterInnen in einem Land gegen die in einem anderen aus.

In China, Indien und Brasilien wiederholt sich jetzt im Zeitraffer die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus in Europa. Kennzeichnend dafür ist eine ungeheure Ausbeutung und Verarmung des Proletariats und der KleinbäuerInnen, die in die Fabriken, die Sweatshops oder die Megaslums der Megastädte getrieben werden. Kennzeichnend ist aber auch der Raubbau an der Natur, die Zerstörung, die Verwüstung ganzer Landstriche und Flüsse.

Der kapitalistische Akkumulationszwang verhindert bisher einen effektiven Klimaschutz. Stößt mit dem Klimawandel und dem zu Ende gehenden Ölzeitalter der globale Kapitalismus an seine eigenen Grenzen, die Grenzen seines Wachstums? Einleuchtend ist, dass die Spirale von steigendem Ressourcenverbrauch und Raubbau der Natur so nicht endlos weitergehen kann. Der Wachstumsimperativ kann nicht mehr durch immer neue Wellen von Expansion und neokolonialer Unterwerfung eingelöst werden – einfach weil schon alle Territorien erobert und alle Völker der Erde dem Diktat des Kapitals ausgeliefert sind.

Die Atmosphäre, die Bodenschätze, das Wasser und der Boden sind endlich. Vielerorts ist von einer "Effizienzrevolution" die Rede, um Ressourcen "nachhaltiger" zu verwerten. Sicherlich lässt sich damit das Ende des Erdölzeitalters ein paar Jahrzehnte hinauszögern. Doch auch eine noch so effiziente und umweltschonende Technologie kann die strukturelle Krise des Kapitalismus nicht überwinden. Denn jede neue Technologie im Dienste des Kapitals ist eine von der kapitalistischen Verwertungslogik bestimmte Technologie. Die Technologie dient dazu, den Produktionsprozess, die Verwertung der natürlichen Ressourcen und der Ressource Mensch, zu optimieren.

Wissenschaft, Forschung und Technik und ihre Anwendungen in Form von Maschinen sind nicht neutral und können daher auch nicht einfach in den Dienst zur Rettung des Planeten und des Klimas gestellt werden. Die radikale Linke in der Metropole war in der Vergangenheit - ganz in der marxistischen Tradition – technikfixiert und entsprechend fortschrittsgläubig. Anstatt die technologische Entwicklung wie bisher einfach wertfrei hinzunehmen müsste sich die heutige radikale Linke dazu aufraffen herauszufinden, wie eine von der kapitalistischen Verwertungslogik unabhängige Wissenschaft und Technologie aussehen kann. Auch wenn diese zum jetzigen Zeitpunkt nur vage zu skizzieren sind, ist ein generelles "zurück zur Natur" wohl ausgeschlossen. Bedroht somit der Klimawandel nicht nur Umwelt und Mensch sondern auch das kapitalistische Weltsystem? Die Frage wäre mit "Ja" zu beantworten, wenn wir davon ausgehen, dass weiterhin die Einzelinteressen der mächtigsten multinationalen Konzerne die Politik der Staaten und supranationalen Organisationen bestimmen und den status quo verteidigen. Wenn es dem Kapital nicht gelingt, andere umweltschonende Wachstumspfade zu beschreiten wird es sich selbst zugrunde richten, weil die kapitalistische Profitmaximierung den Abbau der Rohstoffreserven und damit den Klimawandel beschleunigt. Die globale Konkurrenz zwischen den Kapitalisten macht das ganze System gesellschafts- und klimapolitisch irrational.

Die Frage nach dem möglichen Ende des Kapitalismus wäre mit einem vorsichtigen "Nein" zu beantworten, wenn es den Nationalstaaten gelänge, dem kapitalistischen Weltmarkt neue Regeln zu diktieren, die einen schnellen Umbau des Industriesystems in Richtung eines klimaschonenden Ressourcenverbrauchs bewirken. Einzelne Multis wie BP (nennt sich jetzt "Beyond Petroleum") oder General Electric setzen schon sehr stark auf nichtfossile Energieträger, in vielen Konzernetagen wird über eine klimaschonende Produktion nachgedacht. Doch es sieht derzeit nicht danach aus, dass sich diese Kapitalfraktionen in den USA oder in der EU durchsetzen können. Für eine klimaschonende Produktion wäre ein radikaler Umbau des kapitalistischen Wirtschaftssystems weltweit notwendig. Dazu würde die Begrenzung der globalen Konkurrenz und die Beschneidung des Profitsystems gehören. Doch welche Macht soll diese Begrenzung durchsetzen?

 

2.2. Klimawandel und (National-)Staat

Mehr und mehr Menschen sehen den Klimawandel als ernste Bedrohung für ihre Sicherheit, ihre Zukunft, und im globalen Norden vor allem auch für Lebensstandard und Konsumniveau. Diese immer weiter verbreitete Problemwahrnehmung führt nun, vor allem angesichts der gigantischen Ausmaße des wahrgenommen Problems, meist zu einer Anrufung des Staates als die (einzige) Institution, die solche allgemeinen Probleme lösen könne. Auch viele Linke, viele in der Ökobewegung, stehen vor dem Klimawandel wie Rehe im Scheinwerferlicht, und werfen ihre alte Staatskritik über Bord: "Wir können nicht mehr über dezentrale Lösungen sprechen, das wäre alles zu wenig, zu spät. Wir müssen Druck auf den Staat machen, damit der eine bessere Klimapolitik macht", so ist aus der Ecke einiger NGO' s zu hören. Oder wie Susan George, bekannt als langjährige Aktivistin bei attac, formulierte: wir müssten einsehen, dass manchmal "big auch beautiful" ist.

Gerade beim Klimawandel scheint ganz offensichtlich ein gesellschaftliches "Allgemeininteresse" gegen viele Einzelinteressen zu stehen – und der bürgerliche Staat soll die Institution sein, welche sich über die im Widerstreit miteinander liegenden gesellschaftlichen Einzelinteressen hinwegsetzen kann (so zum Beispiel die Interessen der "Autoindustrie"), um ein gesellschaftliches "Allgemeininteresse" zu vertreten. Dagegen behaupten wir, dass der Staat kein irgendwie geartetes "Allgemeininteresse" vertritt. Stattdessen ist eine der zentralen Aufgaben staatlicher Politik, "wirtschaftliche Interessen" einzelner Kapitalfraktionen in "allgemeine Interessen" zu verkleiden. Damit ist nicht nur gemeint, dass bestimmte Konzerne im Staatsapparat in der Lage sind, direkt Gesetze zu schreiben sondern auch, dass es seit der Ära des Wohlfahrtsstaats einen gesellschaftlichen Konsens gibt, indem "wir alle" am Wirtschaftswachstum interessiert sind, "die ArbeiterInnen" (organisiert in den großen Gewerkschaften) ebenso wie "die Wirtschaft". Natürlich gibt es, vor allem in Deutschland, auch Kapitalfraktionen, denen an einer fortschrittlicheren Klimapolitik gelegen ist, weil sie zum Beispiel als Innovations- und Wachstumsmotor beim Export "grüner Technologien" dient. Aber: Der Einfluss dieser Kapitalfraktionen auf den Staat ist im Wettstreit mit den Großkonzernen viel zu schwach um einschneidende Veränderungen zu bewirken. Das alles heißt, dass selbst wenn sich in Teilen des Staatsapparates ein Interesse am Klimaschutz entwickelt (sei es um gesellschaftliche Stabilität angesichts eskalierender sozialer Kämpfe im Zusammenhang des Klimawandels zu gewährleisten, oder weil sich einzelne Kapitalfraktionen dafür einsetzen), dieses immer notwendigerweise nachrangig hinter der Bereitstellung der Bedingungen für weiteres Wirtschaftswachstum stehen wird.

Das einzige was dem Staat am Ende bleiben wird um mit den sozialen Konsequenzen dieser Politik umzugehen ist die Ausweitung staatlicher Sicherheits- und Repressionspolitik.

 

2.3. Grün, grün, grün ist ... die Uniform oder: Klimaschutz 2.0

Die neuen Sicherheitsgesetze deuten darauf hin, dass die Herrschenden eine wesentlich konkretere Vorstellung als die Linke davon haben, wie sie mit den Folgen des Klimawandels in Zukunft umgehen werden. Militärische Szenarien für die "Stabilisierungsmaßnahmen" zukünftiger Rohstoff- und Klimakriege (siehe das von hochrangigen Generälen für die NATO geschriebene Papier "Towards a Grand Strategy for an Uncertain World" aus dem Frühjahr 2008), sehen den Klimawandel als einer der wichtigsten Bedrohungen der internationalen Sicherheit. Der "Bericht der Europäischen Union zum Thema "Klimawandel und internationale Sicherheit" führt aus, dass Klimawandel als "Bedrohungsmultiplikator" wirke, was soviel heißt wie: Klimawandel verstärkt bestehende soziale Ungleichheiten, und erhöht daher die Wahrscheinlichkeit, dass bestehende soziale Konflikte sich radikalisieren und in Unruhen ausarten. Egal, ob die klimawandelbedingte Versteppung von Ackerland zu mehr Migration führt, oder Dürre und Wasserknappheit zu neuen (internationalen sowie internen) Kriegen. Klimawandel heißt Verschärfung sozialer Konflikte. Und das heißt, dass die Herrschenden die Arsenale (technologisch sowie rechtlich) ihrer Sicherheits-, Repressions- und Überwachungsapparate, mit denen sie solche Konflikte kontrollieren, ausweiten müssen.

Aber eben nicht nur müssen, sondern auch können. Denn genau die Politik, die dem liberalen BürgerInnentum im Namen des "Krieges gegen den Terror" so viele Bauchschmerzen bereitet hat, wird von denselben dann enthusiastisch gefeiert, wenn es darum geht, die Welt und vor allem den eigenen Wohlstand zu retten. Schon allein die Sorge vor höheren Treibstoffpreisen und Fahrtkosten, das heißt die mögliche Einschränkung der eigenen Bewegungsfreiheit führt zu drastischen Veränderungen der öffentlichen Meinung in den Industriestaaten. So zum Beispiel in Deutschland beim Thema Atomkraft.

Vor diesem Hintergrund sind die bereits beschriebenen Tendenzen von Teilen der reformistischen Linken hin zur verstärkten Anrufung des Staates besonders bedenklich.

Auf dem 2007er Klimacamp in England verlangte der Ökointellektuelle George Monbiot beispielsweise, dass "wir" in der Zukunft dazu bereit sein müssten, aus ökologischen Gründen Krawalle gegen "grüne" Sparmaßnahmen zu unterdrücken.

Rationierung von Strom, Treibstoff, Heizmaterial und eventuell anderen Lebensmitteln, all das ist schon vorgeschlagen worden – am "visionärsten" ist sicherlich die Idee individualisierter Kohlenstoffkonten, mit eigener Chipkarte: schöne neue, grüne Welt!

Es droht also ein von oben durchgesetzter und von unten teilweise sogar geforderter Ökoautoritarismus. Neue Wirtschaftskrisen in Folge des Klimawandels, erhöhte Armut und soziale Unruhen könnten die Voraussetzungen für das Wachstum autoritärer politischer Bewegungen schaffen. Das würde die Handlungsspielräume für die radikale Linke massiv einschränken. Der Klimawandel stellt jedoch nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Gelegenheit für uns dar: Wenn Anpassung an den Klimawandel zu krasser ökonomischer und sozialer Instabilität führen, ist die Frage weniger, ob es radikale politische Veränderung geben wird, sondern eher welche es geben wird.

 

3. Die real existierende Klimapolitik: alles - nur kein Klimaschutz

"Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert" (der sizilianische Fürstensohn Tancredi im Roman 'Der Leopard' ).

Die Aufgabe vor der die Politik in Sachen Klima steht ist gewaltig. Vor allem, wenn das Ziel sein soll, die herrschende kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erhalten. Die PolitikerInnen in der EU und der BRD haben wenig von dem begriffen, was der Graf Tancredi am Vorabend der italienischen Vereinigung durch Garibaldi über die Zukunft der Adelsherrschaft im neuen republikanischen Italien klarsichtig vorhersagte. Wenn wir an die Stelle des Adels das Kapital setzen, dann wird die Dimension der Aufgabe, vor der die Politik in Sachen Klima steht, deutlich: Nur wenn alles verändert wird, wenn die Macht- und Einflussgruppen in der EU und in der BRD gehörig durcheinander gewirbelt werden, kann die Herrschaft des Kapitals mittelfristig bewahrt werden. Davon ist die Politik zur Zeit Lichtjahre entfernt. Kennzeichnend ist stattdessen eine kleinteilige, halbherzige, propagandistisch aber dafür umso größer aufgebauschte Klimaschutzpolitik, die keiner Lobbygruppe wehtun will. Das wollen wir an fünf Beispielen verdeutlichen:

Der Emissionshandel
Von vielen PolitikerInnen, Wirtschaftsleuten und manchen NGO' s als der "Königsweg" (so der WWF) zum Klimaschutz angesehen, hat der Emissionshandel – also der Handel mit Zertifikaten, die den BesitzerInnen das Recht geben, eine bestimmte Menge CO2 (oder eine entsprechende Menge eines anderen Klimagases) in die Atmosphäre zu pumpen – bisher keine klimaschutzrelevanten Emissionsreduktionen produziert: seit der Unterzeichnung des Kyoto- Protokolls übersteigen die globalen CO2-Emissionen sogar die "worst-case Szenarien" des globalen Klimarates. Was aber leistet der Emissionshandel, wenn er nicht das Klima schützt? Ganz einfach, er tut das, was das Kapital vom Staat erwartet, er sichert Profite. Das Volumen der weltweit gehandelten Emissionsrechte beträgt im Moment noch relativ klägliche 60 Mrd. US-Dollar, soll aber bis 2020 auf schon interessantere 2 Billiarden (!) US-Dollar angewachsen sein. Das verspricht viele Spekulationsgewinne. Außerdem bekamen in der EU die Stromkonzerne die Emissionszertifikate umsonst, und kassierten trotzdem bei den VerbraucherInnen höhere Preise ein, wodurch allein zwischen 2008 und 2012 in der BRD 35 Mrd. Euro (!!) Extraprofite eingesackt werden. Bewegungen aus dem globalen Süden kritisieren auch, dass im Rahmen des globalen Ablasshandels mit Emissionen ein neuer "Kohlenstoffkolonialismus" entsteht: denn während die Industrieländer weiter emittieren und die Spielregeln des Handels mit Verschmutzungsrechten bestimmen, sollen die Länder des Südens die Ressourcen für die Wiedergutmachung der Klimaschäden bereitstellen: zum einen "grüne Lungen", zum anderen Verzicht auf CO2-Emissionen. Die verheerende Folge des ganzen Handels ist die Inwertsetzung der Luft, eine neue Profitquelle für die Multis. Am Ende geht es beim Emissionshandel eben nicht um den Klimaschutz, sondern darum, dass sich etwas ändert, damit alles gleich bleibt: die Macht der Energiekonzerne, die Macht des Nordens, die Macht des Kapitals.

Großtechnologische Lösungen in der Energieproduktion
Genau so sieht auch in der Frage des Energieproduktionssystems aus. So wenig wie möglich soll an der bestehende Industrie- und Technologiestruktur verändert werden, damit die bestehenden Machtbeziehungen stabil bleiben. Entweder regieren auf dem Strommarkt Staatsmonopole wie in Frankreich, oder privatwirtschaftliche Oligopole weniger Anbieter wie in Deutschland. Dadurch wird eine zentralistische und ineffiziente Form der Stromerzeugung beibehalten. Daraus folgt nur völlig logisch der geplante Ausbau der Atomenergie in fast allen Industriestaaten. Die alten Fragen bleiben ungelöst: "Restrisiko", Endlagerung, Knappheit des Urans. Was zählt, ist allein die Fortsetzung der Energiepolitik im Interesse weniger Großkonzerne. Dabei sind alternative, dezentrale und technisch intelligente Stromverbundssysteme längst entwickelt. Dazu gehören Kraft- Wärme-Kopplung, Wind- und Solarstrom und – in begrenztem Ausmaß – Strom aus Biomasse, die alle eine dezentrale Erzeugerstruktur voraussetzen. Doch selbst die in den letzten Jahren durch das Erneuerbare Energien Gesetz begonnene Förderung kleinerer, dezentraler Windenergieerzeuger wird nun zugunsten von riesigen Offshore - Windparks wieder in die Kassen der Großkonzerne umgeleitet. Eine klimaneutrale Stromerzeugung ist daher nicht ohne die Zerschlagung der europäischen Strom- und Energiekonzerne zu haben!

Agrofuels: von der grünen Hoffnung zum Buhmann
Bis vor kurzem waren die Agrofuels, die von oben auch gerne als "Biofuels" bezeichnet werden, die große Hoffnung auf eine neue "grüne" Alternative zum fossilistischen Kapitalismus. Mit Milliardensubventionen wurden in den USA und der EU in den letzten vier, fünf Jahren riesige Raffinerien für die Produktion von Bioethanol bzw. Biodiesel aufgebaut, und immer ambitioniertere Ziele für zukünftige Anteile von Agrofuels im Sprit der Zukunft formuliert. Dass dafür Urwälder in Brasilien, Borneo und anderswo gerodet werden mussten, war nicht so wichtig wie "freie Fahrt für freie Bürger" auch angesichts des Klimawandels. Was interessieren da schon die leeren Mais- Teller, Hauptsache unsere Autotanks sind voll. Jetzt hat sich die Situation aber etwas geändert: Selbst die Weltbank gibt zu, dass die Ausweitung der Produktion von Agrofuels 75% (!) des globalen Preisanstiegs bei Grundnahrungsmitteln zu verantworten hat. Und das wiederum stresst die Herrschenden, denn "Hungerkrawalle" sind eine noch direktere Herausforderung ihrer Macht als die "Klimakrise". Plötzlich werden Agrofuels in der Presse zum Buhmann und die hochgeschraubten Ziele werden geändert. Aber keine Angst: der Agrofuels-Boom wird weitergehen. Dafür wird die bisher äußerst erfolgreiche Lobbypolitik der Großbauern, der Agrarkonzerne (ADM, Cargill, Monsanto) und der Autokonzerne sorgen. Das Ölzeitalter wird durch die Beimischungspflicht also um ein paar Jahre verlängert, während Klimawandel, Hunger und Verarmung dadurch noch beschleunigt werden.

Industrielle Landwirtschaft
Die industrielle Landwirtschaft (IL) kommt in den Klimaschutzplänen der Bundesregierung bisher überhaupt nicht vor. Das ist umso erstaunlicher, da die IL über 15% zu hiesigen CO2-Emissionen beiträgt. Die Bundesregierung aber fördert mit direkten Subventionszahlungen an die Bauern als "Energiewirte" den Anbau von Raps, Mais und anderen "Energiepflanzen" für die Agrofuel- Produktion. Letztlich ist dies nur ein weiteres Beispiel für das Einknicken der Politik vor den Interessen der Agrarkonzerne wie BASF oder Bayer und der Bauernlobby. In den Ländern des Südens tobt ein Kampf um die fundamentalen Ressourcen für die bäuerliche Landwirtschaft: Land,Wasser und Saatgut. In allen drei Bereichen spielen Großgrundbesitzer, Konzerne und die Agrochemie eine verheerende Rolle. Und die EU ist auch hier auf Seiten der Mächtigen.

Verkehr und Warentransport
Die Globalisierung der Warenproduktion ist in den letzten Jahrzehnten erheblich schneller angewachsen als das Weltsozialprodukt. Den großen multinationalen Konzernen, die zu ¾ den Weltmarkt beherrschen, geht es dabei in der Regel um zwei Punkte. Erstens, um die Verlagerung der Produktionsstandorte in Länder mit niedrigeren Lohnniveaus, und zweitens um die Eroberung neuer Märkte. Der Welthandel hat besonders durch den Warenaustausch mit China und den dortigen Tochtergesellschaften der Multis zugenommen. Der Transport wird dabei vornehmlich (zu 75%) auf dem Seeweg durch den Containerschiffsverkehr abgewickelt, der aber doppelt so viel CO2 ausstößt wie der Flugverkehr. Aber auch der Luftfrachtverkehr hat an Bedeutung zugenommen. Das Ganze rechnet sich, weil sowohl die Schiff- als auch die Luftfahrt mit Milliardensubventionen gepäppelt werden. Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn die Transportkosten für australische Äpfel und chilenischen Wein niedriger sind, als die für Äpfel und Wein aus Südeuropa. Die EU- Umweltbehörde listet in einer Untersuchung 270 - 290 Milliarden Euro Subventionen auf für den Verkehr (taz 27.2.07). Folgerichtig setzt sie weiterhin auf den massiven Ausbau des Straßennetzes. Das Verkehrsaufkommen wird weiterhin erhöht und eine regionale Produktion und Verteilung der Güter erschwert. Die Folgen für das Klima sind katastrophal, der weltweite Verkehr trägt mit 20% nach der Energieproduktion am meisten zur Erwärmung bei. Doch trotz aller wissenschaftlichen Beweise ist bisher in den Maßnahmekatalogen zum Klimawandel die notwendige Reduzierung des Verkehrs ausgespart.

 

Fazit: von effektiven Klimaschutzmaßnahmen kann in der EU und in der BRD nicht die Rede sein – eher von effektiven Wachstumsschutzmaßnahmen. Der Klimawandel erfüllt hier eine interessante Funktion: auf der einen Seite bedroht er weiteres Wirtschaftswachstum und muss daher begrenzt werden. Auf der anderen Seite legitimiert er aber auch massive staatliche Subventionen für neue Technologien und eröffnet daher die Möglichkeit einer neuen Runde globalen kapitalistischen Wachstums, zum Beispiel durch Agrofuels. Wichtig ist dafür, dass das Problem nicht gelöst, sondern domestiziert, sozusagen stubenrein gemacht wird. Denn: ein bisschen Krise mag zwar schlecht sein für einige Kapitale – für das Kapital als solches aber, gar den "globalen Kapitalismus" im allgemeinen, ist sie tatsächlich ein Lebenselixier, er braucht sie zu seiner eigenen Erneuerung. Ein berühmter Wirtschaftswissenschaftler nannte das einmal "produktive Zerstörung".

 

4. Wie mit dem / gegen den Klimawandel Politik machen?

Aus unserer Sicht stehen die Chancen für eine fundamentale Kritik der kapitalistischen Wirtschaft und Wachstumslogik im Zusammenhang mit dem Klimawandel also nicht schlecht. Nur müssen wir das in den nächsten Jahren in allen Themenfeldern, die was mit dem Klimawandel zu tun haben, auch angehen. Das sind u. a. die Energiepolitik, die Verkehrspolitik, die Sicherheitspolitik, die Landwirtschaftspolitik und der Umgang der Herrschenden mit der weltweiten Migration nicht nur an den Grenzen Europas. Denn bezahlen für den fortwährenden Wahnsinn des fossilen Energieverbrauchs müssen zuallererst die Ärmsten der Armen.

Aber "den Klimawandel angehen" ist von einer linksradikalen Perspektive deutlich leichter gesagt, als getan. Was sind kollektive Handlungsperspektiven jenseits von moralisierenden und individualisierenden Appellen: Licht früher ausschalten, weniger fliegen, mal zu Fuß gehen, und ansonsten weiter so wie bisher? Wie kann die "soziale Frage" in einer linksradikalen Position zum Klimawandel eine zentrale Position einnehmen, damit die Fehler der grünen Bewegung nicht wiederholt werden? Wie sehen langfristige Organisationsprozesse in dieser Frage aus, jenseits von jährlichen Klimacamps?

Wir wollen und können diese Fragen hier jetzt nicht beantworten. Wir glauben, dass wir uns am Anfangspunkt der Entstehung einer globalen Klimabewegung befinden. Anders gesagt, an einem Punkt, an dem viele existierende soziale Kämpfe sich um die Frage Klimakrise / ökologische Krise herum neu organisieren und artikulieren werden. Weil diese globale Bewegung wiederum auch nur eine Form der viel größeren "Bewegung der Bewegungen" ist, wollen wir hier am Ende noch einmal einen Slogan aufnehmen, der für viele von uns vor ungefähr zehn Jahren, als die globalisierungskritische Bewegung im Schatten der Weltwirtschaft wuchs, eine große Bedeutung hatte: caminamos preguntando, fragend schreiten wir voran. In diesem Sinne wollen wir hier jetzt auch kein neues 10-Punkte-Programm für die Revolution vorlegen, sondern einfach ein paar Stichpunkte und Fragen auflisten. Fragen, die in den Räumen der linken Bewegung, der entstehenden Klimabewegung und hoffentlich auch darüber hinaus diskutiert werden können.

 

 

Es gibt viel zu tun, also lasst uns diskutieren, experimentieren, blockieren, protestieren, und was uns sonst noch einfällt. Zeiten tiefer Krisen bieten immer auch das Potential zu aufregenden Veränderungen.

 

 

Auf zum Klima- und AntiRa-Camp nach Hamburg!!

 

Einige Radikale Linke aus Berlin, Juli 2008