Betrifft:
Internationaler Kongreß, 1.-5. Mai 1996, in Heidelberg:
Science/Fiction,
»Fundamentalismus und Beliebigkeit in Wissenschaft und Therapie«,
Veranstalterin: Internationale Gesellschaft für systemische Therapie (IGST).

Zur Pressemitteilung der OrganisatorInnen des Kongresses zur Ausladung von Peter Singer, vom 30. März 96.

Es stellt sich die Frage nach der Absicht, auf eine Pressemitteilung einzugehen, die sich nicht im geringsten bemüht, die vielfältige Kritik an den Kongreß wahrzunehmen, geschweige denn, sich mit ihr auseinanderzusetzen; die sich auf "Tatsachen beruft", die sie selbst erst behauptet, um darauf Argumente aufzubauen, die die KritikerInnen diffamieren sollen und um sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Für wahr, der Standort scheint herrschaftsimmanent-integrativ, darüber kann der liberalistische und populistisch unschuldige/ empörte/anbiedernde Habitus auch nicht hinwegtäuschen.
Die OrganisatorInnen schrecken nicht einmal davor zurück, »viele Behinderte« - wer immer das sein mag und wen immer sie damit von sich selbst abgrenzend kategorisieren - als ZeugInnen aufzurufen, um ihre Einladung an Peter Singer zu rechtfertigen und diesen ihre eigenen Argumente in den Mund zu legen:

»...(die "vielen Behinderten", d.V.), die uns ausdrücklich ermutigt haben, die Einladung an Peter Singer aufrecht zu halten. Ihr Argument ist, man müsse mit ihm offensiv diskutie­ren. Empört haben sich vor allem selbsternannte nicht behinderte Anwälte der "Behinderteninteressen". ...«

»... Insofern bedauern wir, zu solch einer Diskriminierung durch die Ausladung Peter Singers beizutragen. Allein die Abwägung der zur Debatte stehenden Werte rechtfertigt un­sere Entscheidung. All die Behinderten, die uns wegen dieser impliziten Diskriminierung gebeten haben, an der Einladung Peter Singers festzuhalten, bitten wir hiermit öffentlich um Entschuldigung.«

Das wirft ein Licht auf den Kongreß insgesamt; das läßt sich nicht nur an den aufgeführten Themen festmachen, sondern viel eher an der offensichtlichen Absicht, die hinter den The­men steht und an den Vorstellungen, in welchem politischen/gesellschaftlichen Kontext diese Themen behandelt werden sollen und auch an dem Mangel an intellektueller Ehrlich­keit, den propagandistischen Tricks und Machtspielchen. Zu ihrer inhaltlichen eigenen Auf­fassungen schweigen die VeranstalterInnen sich wohlweislich aus, sie argumentieren auf einer Oberfläche mit vorgeschobenen, scheinbar objektiven Kriterien von "Meinungsfreiheit" und "Wissenschaftlichkeit".

Deshalb geht es mir hier nicht um eine Auseinandersetzung mit den VeranstalterInnen - da trennen uns sicher antagonistische Vorstellungen was unser Menschenbild, Wissenschaftsbegriff und unsere gesellschaftliche Utopie betrifft -, mir geht es um die Menschen, die mit Unverständnis diese Auseinandersetzung verfolgen. D. h. um eine möglichst breite und kollektive Diskussion gegen eine Entwicklung, die unsere Gesellschaft zur Zeit grundsätzlich prägt: ich meine die neue Offensive von Staat, Philosophie, Wissenschaft, Medizin, Rechtsprechung, ... in Richtung "Neue Euthanasie", "Neue Eugenik", gesellschaftliche Normierung, Selektion, Entsorgung und Vernichtung; die Modellierung von gesellschaftlichen Fragen durch Theorien aus Naturwissenschaft, Mathematik und Informatik, um Gesellschaft berechenbar, prognostizierbar, steuerbar zu machen; die marktorientierte Umstrukturierung/Kapitalisierung vieler gesellschaftlichen Bereiche; und die Vernetzung dieser so un terschiedlich erscheinenden "Fach"-Gebiete.


Zur "Meinungsfreiheit", "Redefreiheit Andersdenkender".

»... Der Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß all die Bestialitäten der Nazi-Zeit auch deshalb stattfinden konnten, weil in Deutschland die Meinungsfreiheit nicht genügend geschützt wurde.
Langfristig sind Behinderte in einer Gesellschaft ohne geschützte Meinungsfreiheit unseres Erachtens gefährdeter als in einer Gesellschaft, in der die Meinungsfreiheit unabhängig von den vertretenen Inhalten als hoher Wert betrachtet wird. Wo dieses Recht beschnitten wird, muß das Verfahren rechtsstaatlich geregelt sein.
Soviel Verständnis wir für die Betroffenheit über Peter Singers Positionen haben und so sehr wir bereit sind, für das Lebensrecht Behinderter einzutreten: Keiner gesellschaftlichen Gruppe sollte das selbstherrliche Recht zugebilligt werden, über die Redefreiheit Andersdenkender zu entscheiden. Das wäre eine Form der Diskriminierung, deren Vorzeichen sich nur zu leicht umkehren ließen. ...«

Hier wird sich auf ein scheinbar wertfreies und scheinbar un hinterfragbares Recht, der "Meinungsfreiheit" oder der "Redefreiheit Andersdenkender" berufen und dadurch die Frage nach den Absichten, die hinter der Einforderung dieses "Rechts" stehen, nicht mehr gestellt/zugelassen.
Die Empörung über Zensur und Gewalt - »... Wir haben uns dazu (die Einladung an Peter Singer zurückzunehmen, d. V.) entschlossen, da wir ausreichend Hinweise dafür erhielten, daß anderenfalls über legitime Proteste hinaus der Ablauf des Kongresses gewalttätig ge stört worden werden könnte, so daß die Sicherheit Peter Singers, der Kongreßteilnehmer und Referenten bedroht würde. ...« -, gegen KritikerInnen des Kongresses, erscheint vorgetäuscht und demagogisch, in Anbetracht der Frage, wer den Hebeln der Macht so wieso schon nahe ist und wer sich gegen die herrschenden Verhältnisse bemühen muß, überhaupt erst einmal Gehör zu verschaffen.

»Als die ersten Kongresse und Seminare zum Thema "Bio-Ethik" gesprengt wurden, ging ein Aufschrei durch die liberale Szene. Das wäre gegen die Spielregeln der offenen Diskussion, die Freiheit der Wissenschaft würde angegriffen, wo bliebe da die Toleranz.
Diese regelmäßig eingeforderte "Toleranz" ist es wert, genauer untersucht zu werden. Zuerst einmal wird hier von der Fiktion eines herrschaftsfreien Dialogs zwischen Opfern und Tätern ausgegangen. Eine kleine Ungleichgewichtigkeit wird dabei ausgeblendet: Wenn die eine Seite, die den Hebeln der Macht sowieso schon nahe ist, sich durchsetzt, kann das tödliche Konsequenzen für die andere Seite haben, mit der - oder über die - jetzt noch friedlich diskutiert werden soll. Diese Toleranz wird nicht zum solidarischen Umgang der Menschen miteinander, nicht für das Ziel einer humanen, gleichberechtigten Gesellschaft eingefordert. Sie dient einzig dem Schutz der herrschenden Ideologie vor unbotmäßiger Kritik. Das Einklagen von Toleranz gegenüber Singer und seinen MitstreiterInnen hat nichts mit der Freiheit aller Individuen zu tun, sondern ist nur ein Vehikel zu Durchsetzung reaktionärer Politik.« (E.coli-bri, ">Bio-Ethik<, unser aller Lebensrecht ist nicht diskutierbar", Nr. 7, Hamburg, Juni 1991)

Der Bezug auf die Nazi-Zeit vertauscht bewußt - und hier ist der Zynismus auf die Spitze getrieben und eigentlich läßt sich nur noch von Taschenspielertrick reden - die Rolle der Täter und Opfer. Dort haben die Täter jede Kritik unterdrückt und die KritikerInnen vernich tet, hier sollen sich die potentiellen Opfer - und das sind beiweitem nicht nur die Menschen, wie die VeranstalterInnen unentwegt glauben machen wollen, die in dieser Gesellschaft sowieso schon behindert werden, die sogenannten "Behinderten" - mit den TäterInnen und ihren ProtagonistInnen aus Naturwissenschaft, Soziologie, Philosophie, Medizin, u.s.w. an einen Tisch setzten.

Zudem erscheint es für die VeranstalterInnen eine äußerst großzügige Geste zu sein, wenn sie »für das Lebensrecht Behinderter« einzutreten vorgeben und Verständnis für deren Betroffenheit äußern. Unser Verharren auf Empörung über solche Anmaßung, Ignoranz und Selbstgefälligkeit scheint mir Illusion über die Absichten, die dahinter stecken, zu sein und auch ein Zeichen noch eigener Ohnmacht.

»... Wir halten daran fest, daß Meinung- und Redefreiheit ihre Grenzen hat, nämlich da, wo andere Menschen durch die geäußerte Meinung beleidigt, verletzt oder bedroht werden. Deshalb ist z.B. das Verbreiten der sog. "Auschwitz-Lüge" strafbar, weil damit die Opfer nachträglich verhöhnt werden. Eine rationale Diskussion darüber, wie lebenswert das Leben bestimmter Individuen ist, beleidigt und bedroht Menschen, die ihr Lebensrecht nicht rational zur Debatte gestellt haben wollen. Man kann über den Wert eines Menschenleben nicht verhandeln wie über den Preis eines Keidungsstückes. Der Begriff Wert stammt aus der Ökonomie und wer mit diesem Begriff Leben bemißt, transportiert eine klare Botschaft an die, die sich unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt als teuer erweisen. Die Bioethik spricht von "Freiheit der Wissenschaft" und meint den Freibrief zur Tötung von behinderten Neugeborenen, chronisch Kranken und alten Menschen. ...«
(Aus einem offenen Brief an die VeranstalterInnen des Kongresses, Mannheim/Heidelberger Aktionsgruppe, April 96.)


Zu den »Behinderten« und ihren »selbsternannten, nicht be hinderten Anwälten der "Behinderteninteressen"« aus der »Helfer-Szene«.

»... Erschreckt mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß Organisationen, welche den Kampf gegen die Ausgrenzung der Stigmatisierten in unsere Gesellschaft zu ihrem Programm gemacht haben, in ihrem eigenen Handeln Stigmatisierung und Ausgrenzung als Mittel der Ausgrenzung verwenden. Die Selbstgerechtigkeit, mit der in manchen Kreisen der Helfer-Szene Moralismus als Machtstrategie praktiziert wird, hat uns sehr nachdenklich gemacht. ...«

Es geht bei dem eingeforderten Diskurs um die Kategorisierung von menschlichem Leben in lebenswert und lebensunwert, in Person und Unperson, in sinnvolles, nützliches oder sinnloses, nutzloses Leben, also um Normierung, Qualitätskontrolle und schließlich um Selektion und Vernichtung.
Diese Diskussion ist auch im Zusammenhang zu sehen mit der zur Zeit von staatlichen Stellen eingeforderten marktorientierten Umstrukturierung/Kommerzialisierung/Monetari-sierung vieler Lebensbereiche, mit der Effizienzkontrolle und Qualitätskontrolle des "Outputs" sozialer Arbeit
Es geht um ein Weltbild der ökonomischen Rationalität in dem der Mensch als Kostenfaktor definiert und an seiner "Effizienz" gemessen wird.
Eine ideologische Grundlage bildet die Philosophie des Utilitarismus: »Diese Denkrichtung gibt vor,alle individuellen Handlungen objektiv nach deren Nützlichkeit abzuklopfen, dann die als positiv oder negativ eingestuften Schritte und Ergebnisse gegeneinander aufzurechnen, um am Ende die größtmögliche Summe von Glück für möglichst viele Menschen zu erreichen.«
(Christian Mürner, Udo Sierck, Freitag, 1.3.1996)

Und wer sich auf diesen Diskurs überhaupt einläßt, akzeptiert schon, daß menschliches Leben zum Objekt/Gegenstand der Diskussion/Abwägung gemacht wird und macht das Ergebnis vom Ausgang einer angeblichen objektiven, wertfreien, unschuldigen Erörterung, mit dem Etikett wissenschaftlich versehen, abhängig.


Jede Kategorisierung, Normierung, Qualitätskontrolle (nach Geschlecht, Hautfarbe, Fähigkeiten, Nationalitäten, Verwertbarkeit, Leistung, Nichtbehindert, Behindert, Normal ...) von Menschen bedeutet Hierarchisierung, Selektion, Herrschaft von Menschen über den Menschen, und sie verhindern/zerstören Kommunikation als Berührung und Austausch, als sich aufeinander einlassen, als kritische, radikale Auseinandersetzung, als gemeinsame Erfahrung/gemeinsame Entwicklung.

Aus der Erfahrung, daß das Bemühen um Kommunikation uns dem Leben öffnet und sich gegen Hierarchisierung/Selektion/Herrschaft richtet, gemeinsame Entwicklung/Emanzipa-tion/Befreiung erst zuläßt - in diesem Sinn ist Kommunikation auch immer Sabotage an Herrschaft -, geht es darum, hierfür Position zu beziehen und nicht um den Streit um angeblich sich konträr gegenüberstehende wissenschaftliche Thesen und Theorien:
Für eine solidarische, herrschaftsfreie Gesellschaft! Was das ist, können wir nur in der Auseinandersetzung mit den bestehenden herrschenden Verhältnissen herausbekommen. Jeder Mensch/die Kommunikation steht hierbei im Mittelpunkt.Das wird u.a. auch bedeu ten: die materielle Existenzsicherung von der Arbeit zu trennen, das Privateigentum an Produktionsmitteln, an Grund- und Boden, ..., abzuschaffen.
Aber - hier nur als Hinweis auf das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, angeführt - es gibt kein "Draußen", "Aussteigen" ist nicht möglich: Identität/Bewußtsein/Utopie ist immer auch Definition über herrschende Gesellschaftsbilder und die individuelle Entscheidung/Kri-tik/Handlung ist weitgehend schon in die herrschenden Verhältnisse integriert, auch schon bevor sie stattfindet.

So stehen sich nicht verschiedene wissenschaftliche Meinungen/Erkenntnisse gleichberechtigt gegenüber, die in einem wissenschaftlichen Disput in einem neutralen Verfahren geklärt werden können, sondern es stehen sich antagonistische Menschenbilder/Gesell-schaftsbilder gegenüber. Der wissenschaftliche Disput soll nur dazu dienen, dies und die Absicht, die dahinter steckt, zu verschleiern. So ist es auch nur wenig interessant und dient der eigentlichen Auseinandersetzung nicht, z.B. den VertreterInnen des Utilitarismus, logische Fehler, Fehlinterpretationen von "empirischen" Daten u.s.w. nachzuweisen - im Gegenteil, führt das gerade dazu, weg von den eigentlichen Differenzen, sich auf eine falsche Diskussion einzulassen. Das ist Täuschung, in die besonders gerne VertreterInnen der "Scientific Community" ausweichen, denn das ist ja gerade ihr Existenzfeld/Legitimationsraum, dafür werden sie mit gesellschaftlichen Privilegien belohnt, und dafür haben sie sich oft schon längst entschieden und sich somit jeder gesellschaftlichen Verantwortung entzogen, sich weitgehend zum Büttel der herrschenden Verhältnisse gemacht.

Der Vorwurf des Fundamentalismus gegen alle, die den Diskurs ablehnen, ist der Versuch, sie als DogmatikerInnen, die nicht mit der Entwicklung der Zeit gehen, zu diffamieren. Das soll die eigene Position als wissenschaftlich neutral und als "natürliche" Wahrheit propagieren und das eigene Menschenbild/Gesellschaftsbild das dahinter steckt, die eigene gesellschaftliche Rolle verbergen. P. Singer unterstellt z.B. denjenigen, die sich auf den Diskurs nicht einlassen, eine Haltung, die aus jüdisch -christlicher Tradition unhinterfragt und unkritisch stammen soll und schlägt ein Vorgehen vor, das den Anforderungen einer modernen Gesellschaft besser gerecht werden soll:
»"Der Einfluß der jüdisch-christlichen Auffassung von der Gott-ähnlichen Natur des Menschen wird nirgendwo deutlicher als in der westlichen Doktrin der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens; eine Doktrin, die selbst das Leben des hoffnungslosesten und un heilbar hirngeschädigten menschlichen Wesens über das Leben eines Schimpansens stellt." In seinem 1984 ins deutsche übersetzte Buch Praktische Ethik (Reclam Verlag, Stuttgart 1984) formulierte er konsequent weiter, daß auch alte Menschen oder Unfallopfer getötet werden dürfen, wenn Außenstehende das Fehlen der Personalität festgestellt haben.« (Christian Mürner,Udo Sierck,Freitag,1.3.1996)

Zwischen diesen Positionen - die keine Frage von Irrtum oder Unwissenheit sind, sondern politische Absicht und Haltung bedeuten - ist ein wissenschaftlicher Diskurs oder ein klärendendes Gespräch nicht möglich. Sie sind nicht zu vereinen oder abzugleichen, oder es ist nicht möglich, Kompromisse zwischen ihnen zu finden: Ein bißchen Vernichten kann es für uns nicht geben, oder wir können uns auch nicht darauf einlassen, "nur" eine bestimmte Bevölkerungsgruppe oder Menschen mit bestimmten Merkmalen zu opfern, das würde uns immer alle meinen und nicht nur die, die von dieser Gesellschaft sowieso schon behindert werden, die unter dem sozial-politischen Selektionsbegriff "Behinderte" kategorisiert/"ge-führt" werden - aber natürlich nur dann, wenn wir eine Gesellschaft wollen und auch versuchen, in der Menschen nicht über Menschen herrschen.


Es stellt sich die Frage nach Charakter und Absicht des Kongresses.

Es stellt sich die Frage nach der Absicht, mit der Peter Singer zu diesem Kongreß eingeladen wurde, und daraus ergibt sich die Frage nach Charakter und Absicht des Kongresses und des veranstaltenden Instituts.
Wiederholte Versuche von Peter Singer, in der BRD öffentlich aufzutreten, konnten bisher erfolgreich verhindert werden. Daß dies bisher gelang, hat zumindest symbolische Bedeutung für die Kritik gegen die "Neue Euthanasie", "Neue Eugenik", gegen die Diskussion um gesellschaftliche Normierung und Selektion.
Das ist sicher auch den VeranstalterInnen, ReferentInnen und den weiteren TeilnehmerInnen bekannt.
Für den Kongreß scheint es nicht wichtig zu sein, was Peter Singer zu sagen hat - die Praxis und die Ideologiebildung haben ihn inzwischen auch in der BRD, zumindest in einer gesellschaftlichen Grauzone, längst überholt - sondern daß er im Rahmen eines öffentlichen, wissenschaftlichen Kongresses reden kann und somit bestimmte Ideen versucht werden, gesellschaftlich reputierlich zu machen, oder überhaupt erst einmal als gesellschaftlich notwendige, wissenschaftliche Fragestellungen propagiert werden können.
Konzentriert sich die Kritik ausschließlich auf Peter Singer, können das veranstaltende Institut und der Kongreß ihn vorschicken/sich hinter ihn verstecken, um die öffentliche Akzeptanz zu erkunden und zu gestalten.
Jede(r) TeilnehmerIn des Kongresses ist an diesem Prozeß beteiligt und so verantwortlich zu machen.

Nachdem zahlreiche WissenschaftlerInnen und VertreterInnen unterschiedlicher Gruppen - z.B. aus der Krüppelbewegung, aus dem antifaschistischen, autonomen Spektrum - erklärt haben, daß sie ein Auftreten von Peter Singer nicht kritiklos hinnehmen werden, ja teilweise dafür eingetreten sind, zu versuchen, den Kongreß zu verhindern, haben die VeranstalterInnen Peter Singer wieder ausgeladen. - aus taktischen Gründen: »... obwohl wir diesen Schritt für falsch halten ...«.

und: »... Als Veranstalter hätten wir uns dann gezwungen gesehen, Rollstuhlfahrer, welche die Veranstaltung gewaltsam zu blockieren suchten, - wenn wir sie nicht diskriminieren wollten - durch die Polizei abtransportieren zu lassen. Dies wollen wir weder den betroffenen Demonstranten, noch der Polizei, den Kongreßteilnehmern, der Stadt Heidelberg oder uns antun. ...«
Die scheinbare Fürsorge trieft vor Heuchelei und soll verdecken, daß die VeranstalterInnen sich nicht auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik an den Kongreß einlassen, sondern daß es ihnen um die Bewahrung vor Schaden, den das Ansehen der TeilnehmerInnen und der Stadt Heidelberg durch vielleicht für sie unschöne Presseberichte und -Fotos erleiden könnten, geht.


Aber die Fragen gehen eigentlich noch viel weiter:
* Nach dem Wissenschaftsbegriff, dem Menschenbild und Gesellschaftsbild, das dahinter steckt, wenn versucht wird, Gesellschaft durch Theorien aus Naturwissenschaft, Mathematik, Informatik zu modellieren, um sie berechenbar, determinierbar, prognostizierbar und steuerbar zu machen.
* Nach der Gesellschaft in der wir leben, und wie sie sich dahin entwickelt hat, so daß sie die Beschreibung und Gestaltung durch solche Theorien weitgehend akzeptiert.
* Wo sich die Theorie des Biologen Humberto Maturana über die Selbstorganisation biologischer "Systeme" und die Theorie des Soziologen Niklas Luhmann - der sich auf Maturana bezieht - über die Selbstorganisation gesellschaftlicher "Systeme" mit den Utilitarismusphantasien, der "praktischen Ethik" des Moralphilosophen Peter Singers treffen. (Alle sind oder waren als Referenten für dem Kongreß vorgesehen.)
* Wie sie und viele weiteren ReferentInnen des Kongresses (wie z.B. der Jurist Norbert Hoerster, der Philosoph Dieter Birnbacher und weitere, die Peter Sigers Positionen vertreten und auf deutsche Rechtsverhältnisse anwendbar machen wollen) sich z.B. im Rahmen des Projekts "Bio-Ethik" interdisziplinär ergänzen und zusammenarbeiten - für einen neuen Aufbruch in Richtung "Neuer Euthanasie" und "Neuer Eugenik".


»... Aus dem beiliegenden Programm können Sie ersehen, daß die mit dem Namen Singer verbundenen Themen neben vielen anderen stehen, die auf abstrakter Ebene verwandt sind. ...« (Dr. Fritz Simon, Mitglied der wissenschaftlichen Planung und Leitung des Kongresses, aus einem Brief an den Behindertenbeauftragten des Landes Niedersachsen vom 31.3.96.)
Fritz Simon führt diese Verwandschaft an, um die Einladung von Peter Singer zu rechtfertigen. Ich meine aber, daß sie genau darauf hinweist, wie notwendig es ist, unsere Kritik nicht nur gegen die Einladung von Peter Singer, sondern gegen den ganzen Kongreß zu richten.

Fritz Storim


Kontakte:

Autonom Leben e.V., Eulenstraße 74, 22763 Hamburg, T.: 040-392555, F.: 040-3907078

Infoladen Mosquito, Alte Bergheimer Str. 7a, 69126 Heidelberg, T./F.: 06221-22652

Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz, Richard-Wagner-Str. 22, 28209 Bremen, T./F.: 0421-342974


Termine:

Informationsveranstaltungen:

Bremen, Angestelltenkammer, Violenstraße, Mi. 17.4., 20.00 Uhr,
Hamburg, B5, Brigittenstraße 5, Fr. 19.4, 19.00 Uhr.

Demostration in Heidelberg, Mi. 1.5.96, 12.30 Uhr, Kornmarkt - anschließend Kundgebung vor der Stadthalle.

Für die Zeit des Kongresses sind in Heidelberg mehrere Veranstaltungen und Aktionen geplant.
u.a.:
1.5., 16.00-20.00 Uhr, Stiftung Rehabilitation Heidelberg. Berufsförderungswerk. HD Wiebingen, Bonhoefferstr. 1, Haus 1 - »Forum gegen die Euthanasiedebatte«.
2.5., gepl. 19.00 Uhr, Universität Heidelberg, Antifa-AK, »Normierung, Selektion, Vernichtung im Namen von Zwangsläufigkeit und Wissenschaftlichkeit«.


(Label: F.St.,Konf.Heidelberg/P.Singer; File-Name: Hei96T02;April 96)