Bremen, internationale Drehscheibe für Atomtransporte

 

Verschiedene Initiativen aus Bremen und Hamburg haben im Juni dieses Jahres an die Senate der Hansestädte Hamburg und Bremen große Anfragen(1) initiiert, die von den jeweiligen Bürgerschaftsfraktionen der Partei Die Linke eingebracht worden sind. Dadurch wurde eine öffentliche Debatte in Gang gesetzt, die ganz offensichtlich die Politik unter Handlungsdruck setzt.
Die Städte Cuxhaven und Bremen sprachen sich unlängst gegen eine Abwicklung eines Transports von MOX-Brennelementen über die Häfen aus.
Der Kraftwerksbetreiber E.on will oder wollte demnächst acht MOX-Brennelemente – also plutoniumhaltige (bis zu 5 %) Brennelemente – aus der britischen Plutoniumfabrik Sellafield zum Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen transportieren. Angeblich regelt der sogenannte Grohnde-Vertrag die Herstellung von insgesamt 64 Mox-Brennelemente und deren Lieferung. Das sind voraussichtlich acht Transporte. Weitere 44 MOX-Brennelemente sind wohl in Sellafield für das AKW-Brokdorf an der Unterelbe bestellt worden. Aufträge zur Lieferung von MOX-Brennelementen existieren offenbar auch für die AKW in Grundremmingen, Isar, Neckarwetheim und Krümmel.

Cuxhavens Oberbürgermeister Arno Stabbert (CDU) forderte den privaten Hafenbetreiber Cuxport auf, die Abwicklung der Atomtransporte abzulehnen, was die Firma daraufhin auch tat. "Ich halte die Transporte zwar für unbedenklich, aber durch die unverantwortliche Diskussion darum droht Schaden für meine Stadt", begründete Stabbert seine Haltung gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. "Angesichts der emotionalisierten Debatte könne ein ungestörter Transport nicht gewährleistet werden." (http://www.cn-online.de/lokales/news/cuxport-keine-atomtransporte-ueber-den-cuxhavener-hafen). Am Cuxhavener Europakai hatten Polizei und Feuerwehr am 16. Juli das Be- und Entladen des britischen Frachters Atlantic Osprey geübt.

Daraufhin wurden Spekulationen laut, dass E.on versuchen werde, diese Transporte über Bremen abzuwickeln. Der dortige Senat lehnte dies umgehend ab. Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) lehnt die Abwicklung der Atomtransporte über die bremischen Häfen sowohl aus Sicherheits-, als auch aus politischen Gründen ab. Er erklärte im Weserkurier, dass der Bremer Senat den Ausstieg aus der Kernenergie unterstütze und nun nicht den "Ausputzer für die Atomlobby" spielen werde. (http://www.pr-inside.com/de/print1469835.htm)

Jetzt kommt Hamburg als Alternative ins Spiel. Wir fordern den Senat auf, dem Beispiel Cuxhavens und Bremens zu folgen und die Atomtransporte abzulehnen. Bislang deutet jedoch nichts daraufhin, dass Hamburg die Transporte unterbinden will. Der Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Christian Maaß (GAL), räumte in der Sitzung des Umweltausschusses ein, dass man in Sachen Atomtransporte von Sellafield nach Grohnde "nichts ausschließen könne". "Die zuständige Behörde sieht derzeit keine Rechtsgrundlage, um entsprechende Transporte durch Hamburg zu untersagen oder planungsrechtlich bzw. wegerechtlich auszuschließen."

Dass die Hafenstädte Bremen und Cuxhaven die Atomtransporte über ihre Häfen abgelehnt haben, ist ein großer Erfolg für die Anti-AKW-Bewegung.

 

Bremen - internationale Drehscheibe im Atomgeschäft

Über Bremen und insbesondere den Bremerhavener Hafen gehen eine Vielzahl von Atomtransporten. Bremen ist eine Drehscheibe zur Versorgung und zur Entsorgung der AKWs im internationalen Atomgeschäft.
Uranoxide, das extrem giftige Uranhexafluorid, unbestrahlte und bestrahlte Brennelemente oder andere Produkte im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomtechnologie werden im Bremerhaven umgeschlagen und/oder durch das Bremer Stadtgebiet transportiert.
Die nach Atomgesetzt meldepflichtigen Atomtransporte über Bremen und Bremerhaven gingen von und nach verschiedenen Orten in Süd-Korea, Russland, Kasachstan, USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Süd-Afrika, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Belgien, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Spanien, Schweiz und Deutschland.

 

2008 quasi alle vier Tage ein Atomtransport durch das Land Bremen.

Im Jahr 2008 stieg die Zahl dieser Transporte stark auf 88 an. Dieses Ausmaß haben wir nicht erwartet. Aber mal abgesehen von der Häufigkeit hat uns auch die Reichweite der Transporte überrascht.

 

Ein extrem gut florierender weltweiter Handel

Der Antwort des Senats ist zu entnehmen, dass in den Jahren 2004 bis 2008 mehr als 330 nach dem Atomgesetz meldepflichtige Atomtransporte durch das Land Bremen fast ausschließlich per Schiff und LKW stattgefunden haben.

Den größten Anteil der Transporte über Bremen machen Transporte des hoch-toxischen Uranhexaflorid aus. Angereichertes Uranhexaflorid wurde in den 5 Jahren 133 mal im Umfang von 1.209 Tonnen Uran transportiert. Zahlreiche dieser Transporte kommen aus Korea, Russland und den Niederlanden. Als Zielländer sind die USA und Schweden am bedeutensten.

Besonders bemerkenswert ist, ein Transport an das Hahn-Meithner-Institut in Berlin 2004, dass die enorme Menge von gut 11 Tonnen radioaktiver Stoffe mit einer waffenfähigen Anreicherung von 20 % Uran 235 aus den USA erhielt.

Zusätzlich gibt es nochmals 418 Atomtransporte zur nuklearen Brennstoffspirale die nicht nach dem Atomrecht meldepflichtig sind, sondern nur hafenrechtlich gemeldet werden müssen. Neben leeren Verpackungen, und oberflächen-kontaminierten Stoffen gehören dazu aber u.a. auch Uranerz, vor allem aus Australien, Südafrika und Kanada, Lieferungen von radioaktiven Stoffen an Atomkraftwerke und nicht angereichertes, aber extrem giftiges Uranhexafluorid. Die Statistik erfasst allein 115 solcher UF6-Transporte im Umfang von 3.614 Tonnen Uran.

Die hohe Zahl an Transporten rückt nicht nur den angeblichen Anti-Atom-Kurs Börnsens in ein realistisches Licht. Sie belegt auch, dass die Bremer Landesregierungen die Beschlüsse von 12 Ortsbeiräten aus den Jahren 1997/98 ignoriert haben. Diese hatten den Senat angesichts der "unverantwortlichen Risiken" aufgefordert, mit dem Ziel "keine Atomtransporte mehr über Bremisches Gebiet", "mit den zuständigen Bundesbehörden und der Deutschen Bahn zu verhandeln".

Noch in den Jahren 2006 und 2007 wurden mehr als 2 Tonnen hoch-toxisches Plutonium in sechs Transporten von MOX-Brennelementen von Belgien über Bremen / Bremerhaven zum AKW Brokdorf transportiert.

 

Risiken für die Bevölkerung

Unfälle, die zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe führen, können verheerende Folgen haben - unabhängig davon, ob es sich um ortsfeste Anlagen handelt oder um Transporte. Transporte haben jedoch ihre eigene Problematik: Sie sind schwieriger zu schützen, die Behälter können nicht immer ausreichend ausgestattet sein, gefährliche Stellen lassen sich nicht ohne weiteres umfahren, und schließlich werden alle Vorbeugungs- und Schutzmaßnahmen dadurch erschwert, dass Unfälle an nicht vorhersehbaren Orten geschehen, was nachweislich passiert ist.

Die Auswirkungen eines Unfalls, d.h. die Strahlenbelastung Einzelner oder ganzer Bevölkerungsgruppen und die daraus folgenden Gesundheitsschäden, hängen im konkreten Fall unter anderem von Art, Menge und Form der freigesetzten Stoffe ab, von Emissionshöhe, Wetterbedingungen, Geländestruktur, Verhalten der Radionuklide in der Biosphäre und im Menschen sowie von Maßnahmen, die zur Verringerung der Strahlendosis ergriffen werden.

Das kann tiefe Eingriffe in das Leben der Bevölkerung bedeuten - Räumung von Gebieten, zeitweise Umsiedlung, Abtragen der obersten Bodenschichten einschließlich des Bewuchses (und sichere Endlagerung!), Dekontamination von Straßen und Gebäuden, Nutzungseinschränkungen, um nur einiges zu nennen.

Transporte von abgebrannten Brennelementen in die Plutoniumfabriken (z.B. nach La Hague/Frankreich oder nach Sellafield/Groß Britannien) sind seit dem 01.07.2005 gesetzlich untersagt worden.Transporte von "bestrahlten" (abgebrannten) Brennelementen aus sog. Forschungsreaktoren dürfen dagegen weiterhin erfolgen. Solche Transporte sind schon alleine aufgrund der hohen biologischen Wirkung der Neutronenstrahlung nicht zu verantworten. Die auftretenden Strahlendosen sind hoch und können zur Zeit nicht mit annähernd ausreichender Genauigkeit erfaßt werden (siehe hierzu auch: "Gefährdung der Gesundheit durch Strahlung des Castor, Horst Kuni, IPPNW, 1996", und "Die biologische Wirkung von Neutronenstrahlung wird weiterhin unterschätzt", Strahlentelex 254-255, 1997, und dort zitierte Literatur).

Bei einem Zusammenstoß zwischen Güterzug und Transportbehälter und anschliessendem mehrstündigen Feuer können große Mengen Cäsium-134 und Cäsium-137 freigesetzt werden. Durch Gammastrahlung und mit Cäsium belastete Nahrungsmittel führen zu einer jahrzehntelangen Strahlenbelastung von Mensch und Umwelt (siehe hierzu auch: "Strahlenbelastung bei Unfällen und unfallfreiem Transport", Restriko Nr. 1, Greenpeace Hamburg und dort zitierte Literatur).

Bei Unfällen mit Uranhexafluorid (UF6)Transporten ist wesentlich dessen chemisch hohe Toxizität: Bei Freisetzung von UF6 bilden sich mit der Luftfeuchte sofort Flußsäure und andere giftige Fluorverbindungen, die schwere Verletzungen der Atemwege verursachen. Je nach Witterungsbedingungen können bis in ca. 600 m Entfernung vom Unfallort tödliche Konzentrationen auftreten, die Zahl der Todesopfer im städtischem Gebiet wird bis zu 1 000 abgeschätzt.

Bei schweren Unfällen, die mit Freisetzung von UF6 oder Plutonium verbunden sind, gibt es keine effektiven Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Die Katastrophenschutzplanung kann bei schweren Unfällen im Zusammenhang mit Transporten dieser Substanzen nur begrenzt greifen (siehe hierzu auch: "Zur Sicherheit von Transporten radioaktiver Stoffe auf dem Gebiet der Stadt Saarbrücken", Cornelius Noack, Gerald Kirchner, Bernhard Fischer, Fachbereich Physik, Universität Bremen, Report Nr. 46, Dezember 1990 und dort zitierte Literatur).

 

Wie können sich die Anwohnenden im Falle eines solchen Atom-Unfalls schützen?

Für Betroffene im unmittelbaren Umfeld gibt es keinen Schutz. Die einzig sichere und vernünftige Präventionsmaßnahme ist, diese Transporte zu verhindern.
"Angaben zu den Transportfirmen und den Schiffsnamen sowie zu den Transportrouten sind aus Sicherheitsgründen bundesweit als Verschlusssache eingestuft. Im Übrigen berühren die Fragen die Einsatztaktik der Polizei, über die der Senat grundsätzlich keine Auskunft gibt." Und "...Zu den Einzelheiten der Schutzmaßnahmen gibt der Senat aus Sicherheitsgründen keine Auskunft."

Aber wie sollen wir uns schützen, wenn die Transporte im Geheimen ablaufen ?

Atomtransporte sind kein hanseatisches Problem, auch wenn Bremen sicher internationale Drehscheibe dafür ist. D. h., es wäre sinnvoll, wenn auch andere Städte oder Regionen solche Anfragen an die zuständigen Stellen starten würden.
Die Hamburger und Bremer Politiker_innen können davor nicht weiter die Augen verschlies-sen und versuchen, die Verantwortung an andere weiterzugeben oder sie bei anderen zu suchen.
So machen sich die Politiker_innen zu Erfüllungsgehilfen der Atomkonzerne, in der nur Wettbewerb und Profit entscheidend sind.
Und so sind sie auch mitverantwortlich dafür, wenn weiterhin AKWs betrieben werden und Atomtransporte stattfinden.

 

Atomtransporte-Stopp ist kein unerreichbares Ziel.

Verschiedene Städte haben es - auf Grund öffentlichen Drucks - vorgemacht: Lübeck (1987, nach diesem Beschluss wird bis heute verfahren), Emden (1987), Wilhelmshaven (1988, Atomtransporte und Umschlag von radioaktivem Material sind dort zur Zeit (10/09) weder geplant noch beantragt) haben Atomtransporte über ihre Häfen untersagt. Frankfurt am Main (1997) und die Länder Belgien, Luxemburg und die Niederlande haben zumindest CASTOR-Transporte durch ihre Regionen verboten. Das alles liegt jedoch Jahre zurück. Wir sind gerade dabei zu recherchieren, ob diese Verbote noch gelten. Wenn ja, ob sie eingehalten werden.

 

Kein Atomstrom für Bremen

Die swb ist mit 49,9 % an den Stadtwerken Bielefeld beteiligt, die ihrerseits einen Anteil von 16,7 % am AKW Grohnde halten. Die swb profitiert also massiv von den Extra-Profiten aus dem abgeschriebenen AKW.

Das ist Ergebnis politischer Entscheidungen und ließe sich ändern.

 

Abschließend:

Atomtransporte sind von größter strategischer Bedeutung für das Funktionieren der Atomindustrie. Atomtransporte stoppen heißt die Atomanlagen stilllegen und das ist genau unser Ziel.

 

 

 

MAUS (Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz - Bremen)    www.MAUS-Bremen.de

SAND (Systemoppositionelle Atomkraft Nein Danke – Gruppe, Hamburg)    www.nadir.org/sand

November 2009

 

 

Die Unterschriftenliste gegen Atomtransporte durch Bremen zum herunterladen als pdf.

Die Unterschriftenliste für Firmen und Vereine gegen Atomtransporte durch Bremen zum herunterladen als pdf.

Die Unterschriftenlisten gegen Atomtransporte durch Hamburg und einen ausführlichen Text dazu gibt es unter www.nadir.org/sand

 

 

(1) zu den Anfragen:

Hamburg:

Drs. 19/3011 (02.06.09): http://www.buergerschaft-hh.de/Parldok/Cache/79409D6E20B40F3022F28A0C.pdf

Drs. 19/3835 (11.09.09): http://www.buergerschaft-hh.de/Parldok/Cache/6A40F57E20B40F3022F28A0C.pdf

Drs. 19/4232 (09.10.09): http://www.buergerschaft-hh.de/Parldok/Cache/DA40B97E20B40F3022F28A0C.pdf

Bremen:         http://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/drs-17-973_c43.pdf