(I.) die "Neue Weltordnung"

 

 

 

(I.1) Liberalisierung

 

Liberalisierung meint die weitgehende “Befreiung”/”Entfesselung” der ökonomischen und sozialen Verhältnisse von staatlicher und arbeitsrechtlicher Regulierung, setzt auf deren Selbstregulierung, auf das "freie Spiel der Marktkräfte". Der Markt wird als ein sich selbst stabilisierendes und sich selbst organisierendes System betrachtet, das aus sich heraus - ohne staatliches Eingreifen - das gesellschaftliche Leben optimal regeln soll. Die „Befreiung“ der Produktions-, Markt- und FinanzVerhältnisse von staatlicher Regulierung soll Wachstum und Wohlstand für alle bringen - so die Ideologie!

Dieses Prinzip soll alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen und prägen. D.h. Privatisierung und Ökonomisierung des Politischen, des Sozialen, der Kultur, des öffentlichen Eigentums und der öffentlichen Leistungen, des Privaten und von Leben überhaupt (dazu s. später).

 

Das Primat der Ökonomie tritt verstärkt offen, offensiv und aggressiv in den gesellschaftlichen Vordergrund und ist unmittelbar mit dem Abbau von sozialen Errungenschaften verbunden.

So werden z.B. Bildung, Gesundheit, Kultur nicht mehr als allgemeine gesellschaftliche, humanitäre Werte betrachtet. Sie werden nur noch dann betrieben und gefördert, wenn sie ökonomischen Nutzen erwarten lassen. Die privaten BetreiberInnen der Einrichtungen sind der Öffentlichkeit gegenüber nicht rechenschaftspflichtig.

 

Das soziale Kontinuum der Gesellschaft wird in Einzelteile zerlegt (Bildung, Schule, Universität, Gesundheitssystem, Krankenhaus, Altenheim, Nah-Verkehr, Bahn, Telefon, Post, Badeanstalt, Energieversorgung (Strom, Gas), Kraftwerk, Wasserversorgung,Versicherung, Renten, ...) und jedes einzelne Teil privatisiert und kommerzialisiert. Jedes dieser Teile soll dann für sich profitabel arbeiten - wenn nicht, wird es abgeschaltet.

Falls sich dann z.B. das Altenheim oder das Krankenhaus nicht selbst trägt, entsteht der "Zwang" es stillzulegen - und das scheinbar ganz wertfrei: "niemand ist Schuld daran" - Pech für die Alten, Kranken und Armen im Stadtteil (s. z.B. die Stillegung des Hafenkrankenhauses in HH-St. Pauli, Februar 97).

So werden die Kosten für staatliche Leistungen gesenkt, Quersubventionierungen von ganzen Bereichen durch den Staat eingestellt (z.B. den Nahverkehr durch den Energiebereich zu subventionieren).

Für den Staat gelten demnächst dieselben Regeln wie für jedes Unternehmen (Deutschland AG) und das hat zur Folge, daß verstärkt die Finanzmärkte die Politik bestimmen.

 

Im Rahmen der neoliberalen Rationalität werden sich Fragen nach einer menschlichen Gesellschaft (was ich darunter verstehe, darüber werde ich später genauer reden) nicht lösen lassen. Und das liegt sicher nicht daran, daß diese Gesellschaft zu arm ist, nicht genügend Möglichkeiten vorhanden sind. Das heißt auch, die Argumentation "wir würden ja gerne, aber es ist kein Geld vorhanden", soll nur von den eigentlichen Widersprüchen ablenken.

Das Projekt "Kapitalismus mit sozialer Verantwortung", auch "Soziale Marktwirtschaft"/"Solidargemeinschaft" genannt, hat somit seine Aufgabe erfüllt und wird abgeschafft. Es war ja nie durch eine menschenfreundliche Einstellung der Unternehmer zustande gekommen, sondern wurde in langjährigen Kämpfen durchgesetzt, begünstigt durch die Blockkonfrontation nach dem 2ten Weltkrieg bis 1989.

Finanzielle Aufwendungen für unser Leben werden immer ausschließlicher als lästige Unkosten, die dem Profitstreben im Wege stehen, zusammengestrichen.  [1]  [2]

 

 

 

(I.2) Globalisierung des Kapitalismus

 

Bei der Globalisierung des Kapitalismus geht es um Verbesserung der Verwertungs- und Profitbedingungen für Konzerne und Banken weltweit, um neue Märkte, um die “freie” Bewegung von Waren, Kapital und Lohnarbeit (Internationalisierung der Arbeitsteilung). Die Welt soll zu einem einzigen Markt vereinigt werden. (Aber siehe dagegen die Konkurrenz zwischen USA; Europa, China, Korea, Japan.)

 

Es ist nichts als Ideologie, wenn die Globalisierung als “natürliche” Ausdehnung “freier” Märkte über Ländergrenzen hinweg gepriesen wird, die allen Beteiligten nur Vorteile bringen soll. Die Regierungen der mächtigsten Industrienationen schaffen den Konzernen Räume (über Regulierung durch transnationale Institutionen wie WB, IWF, WTO, OECD,... und Verträge wie GATS, TRIPS, NAFTA,...), um die Wirtschaft der schwächeren Länder zu kontrollieren und Rohstoffe und Arbeitskräfte auszubeuten, ohne für die Folgen aufkommen zu müssen. Das Prinzip des Freihandels gilt nur dann, wenn der internationale Wettbewerb zu Gunsten von Interessengruppen der reichen Industriestaaten ausfällt.[3] Selbst gleiche Bedingungen für Ungleiche führen fast zwangsläufig zu noch ungleicheren Verhältnissen.

Wenn der IWF Nationalregierungen berät, verlangt er i.A., die öffentlichen Ausgaben für Soziales zu senken, den Markt für ausländische Firmen zu öffnen, die Finanzmärkte zu öffnen, staatliche Unternehmen zu privatisieren.

 

Die Fusionierung zu globalen, transnationalen Konzernen hat zu immensen Machtkonzentrationen geführt. Konzerne agieren global und können auf nationaler Ebene immer weniger beeinflußt/kontrolliert werden. Sie treten den Regierungen verstärkt als GeschäftspartnerInnen gegenüber. Im Rahmen ihrer privat und hierarchisch organisierten, global operierenden Machtstrukturen sind sie es, die weitgehend den Raum vorgeben, in dem Politik noch gestalten kann. Dadurch werden weite gesellschaftliche Bereiche jeder Möglichkeit von demokratischer Gestaltung und Kontrolle entzogen. Ein aktuelles Beispiel sind die Fusionen auf dem liberalisierten (europäischen) Energiemarkt.[4]

Angestrebt wird die völlige Freizügigkeit für und die Aufgabe nationaler Kontrolle über das Kapital.

Manche Unternehmen verfügen über ein größeres Budgets als das vieler Staaten. Zu den 100 größten Wirtschaftsmächten gehörten 1999 49 Staaten und 51 Konzerne (Schwarzbuch Markenfirmen, Klaus Werner, Hans Weiss, 2001, S. 42).

 

Im Zuge der Globalisierung werden für bestimmte Regionen zwar die geographischen, materiellen, sichtbaren Grenzen zunehmend aufgehoben – für den Kapitalfluß, für die, die an dem großen Geschäft beteiligt sind, aber nicht für die, die Opfer dieser Entwicklung sind und die versuchen, um zu überleben, sich von dem Kuchen etwas abzuschneiden -, aber es wird ein neues, unsichtbares, weltweites, komplexes Netz von Grenzen aus Kontroll- und Repressionsstrukturen aufgebaut.

Die repressiven Sicherheitsapparate (Polizei, militärische Eingreiftruppen, private Wachdienste, neue Gesetze, Videoüberwachung, Chip-Karte, gläserner Mensch, Erfassung biometrischer Daten, ...) werden ausgebaut, um das "Konfliktpotential" (z.B. die Pauperisierten, die MigrantInnen, die außerparlamentarische Opposition) zu kontrollieren, zu unterdrücken, zu verwalten, durchaus auch im Vorgriff – als präventive Herrschaftssicherung –auf die zu erwartenden Krisenentwicklungen.

Mit anderen Worten: Im Rahmen von Herrschaftssicherung wird versucht, durch repressive Maßnahmen Erscheinungsbilder (wie Armut und Unterdrückung) auf der Oberfläche zu moderieren, um auch so von den eigentlichen Ursachen abzulenken.

 

 

 

(I.3) der Staat und der Krieg

 

Das Verhältnis/die Aufgabenstellung zwischen Staat und Kapital werden neu bestimmt.

Der Staat gibt den selbst erklärten Anspruch auf soziale Verantwortung (Solidarprinzip!) weitgehend auf, ausschließlich der Markt (Gewinnprinzip!) soll das gesellschaftliche Leben regeln. Unabhängig davon, wieweit der Staat diesem Anspruch je praktisch gerecht wurde oder dieser Anspruch oft nur Strategie war, um die gesellschaftlichen Widersprüche zu glätten, lassen sich Forderungen nach sozialen Veränderungen immer weniger an die Adresse des Staates richten.

Die staatliche Kontrolle und Regulierung im ökonomischen und sozialen Bereich wird weitgehend durch die "Selbstorganisierung" des Systems Markt und durch die Selbstverpflichtung der Konzerne[5] und durch die Verantwortlichkeit der Individuen für das eigene "Schicksal" abgelöst (s. später).

Die Aufgaben des Staates verlagern sich verstärkt auf die Aufrechterhaltung des Rechtssystems, auf die Wahrung der “Inneren und Äußeren Sicherheit” und des Besitzstandes des Kapitals. D.h. Sicherheitspolitik bedeutet nicht nur Sicherheit gegenüber einem äußeren oder inneren „Feind“, sondern Ausbau von Überwachungs-, Steuerungs-, Ordnungs- und UnterdrückungsStrukturen zur Sicherung der Produktions- und Verwertungsbedingungen, der Absatzmärkte, des Zugriffs zu den Rohstoffen, des Kapitals/der Kapitalströme. Und, es geht auch um die "Sicherheit" vor unkontrolliertem Zuzug von MigrantInnen.

Die Globalisierung des Kapitalismus und die Verteidigung des Nationalstaates stehen dabei durchaus oft in einem widersprüchlichen/konkurrierenden Spannungsverhältnis.

 

Die deutsche Wirtschaft ist hochgradig in den Weltmarkt integriert. So ist es Ziel von Politik, das Land im internationalen Standortwettbewerb fit für die Globalisierung zu machen.

Es geht um den "Standort" und um die "Neue Weltordnung" und besonders auch um Krieg als ein Projekt zur Durchsetzung dieser "Neuen Weltordnung“. Krieg wird als legitimes Mittel der Politik immer offener gehandelt.[6]

 

Zur Zeit wird zwar noch über die Ideologisierung von Krieg als "Verteidigung der Freiheit und Menschenrechte", als "Frieden schaffende Einsätze", als "Kampf gegen den Terrorismus" versucht, dafür Konsens zu schaffen. Aber in Wirklichkeit geht es um die Durchsetzung ökonomischer (Märkte und Rohstoffe) und politischer Herrschaftsinteressen, um die Sicherung von Macht- und Einflusssphären. Und dies wird auch - und zwar nicht nur von den politisch Mächtigen - von immer mehr Menschen ganz ungeschminkt als unausweichlich, als ultimative Vernunft akzeptiert und offen vertreten. Die weltweite Ausbeutung und ihre militärische Absicherung sind zwei Seiten einer Medaille.

Auch "Deutschland" ist wieder wer in dieser Welt und mischt in vorderster Linie - auch militärisch - kräftig mit.

 

 

Die USA forcieren ihre Rolle als alleinige Supermacht und fordern die Kontrolle über die Welt neu ein (Recht auf Besitz von Massenvernichtungswaffen, Recht auf ungestörten Zugang zu Rohstoffquellen in aller Welt, Recht auf Präventivkrieg zur Sicherung der nationalen Interessen, kulturelle Definitionsmacht,....).

Es geht um Hegemonie, um geostrategische und wirtschaftliche Interessen. Es geht um die Verteidigung des Dollars als weltweite Leitwährung - auch gegen die aufstrebende Konkurrenz des Euro.

Und der christliche Fundamentalismus Bush`s ist nicht Ursache für diesen Krieg, sondern Mittel, um für ihn weitgehensten Konsens in der Bevölkerung zu schaffen.

Wer den größten Colt hat und ihn am schnellsten ziehen kann, der nimmt auch für sich die Definitionsmacht über Begriffe wie „freedom“ und „democracy“ in Anspruch und behauptet das „Recht“ auf seiner Seite.

 

Die BRD erhebt eigene hegemoniale Ansprüche, durchaus auch im Widerspruch zu den USA.

Die BRD gehört neben Frankreich und Rußland zu den größten Handelspartnern für den Irak. Außerdem ist die BRD führender Handelspartner für den Iran. Es ist also offensichtlich, daß die BRD kein Interesse an einen US-kontollierten Irak hat.

 

Im Streit um den Irak-Krieg - um den Einsatz von militärischen oder nichtmilitärischen Mitteln - geht es nicht um unterschiedliche moralische Sichtweisen, sondern um unterschiedliche Interessen und Strategien als Ausdruck derselben imperialen Neuordnung. [7]

Und unser Nein zum Krieg gegen den Irak heißt deshalb auf keinen Fall ein Ja zu den deutsch-nationalen Interessen.

 

Die BRD-hatte schon 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien[8] die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung (8(8))« als »vitales Sicherheitsinteresse« formuliert, das auch gegebenenfalls militärisch durchgesetzt werden müsse.

Kanzler Schröder: »Deutschland stellt heute nach den Vereinigten Staaten von Amerika das zweitgrößte Truppenkontingent in internationalen Einsätzen zur Sicherung und Wahrung des Friedens.« (in der Regierungserklärung vom 13.02.03).

Und weiter: »Es gibt nicht zu viel Amerika, es gibt zu wenig Europa, lautet seine These. Wer für sich in Anspruch nehme, Nein zu sagen wie im Fall Irak, der müsse sich in die Lage versetzen, etwas aus eigener Kraft zu leisten.« (Die Welt, 28.03.03, "Friedenskanzler will sich bewaffnen")

Und Außenminister Fischer: »Wir müssen unsere militärische Kraft verstärken, um als Machtfaktor ernst genommen zu werden und die weltpolitische Bühne nicht allein den Amerikanern zu überlassen.« (Die Welt, 28.03.03, "Bundeswehr als Machtfaktor")

Die beiden Angriffskriege 1999 gegen Jugoslawien und 2001 gegen Afghanistan sind ja schon ein deutlicher Hinweis darauf, was Rot/Grün mit "Friedenspolitik" meint.

 

»Verteidigungsminister Peter Struck hat gestern (21.02.03) neue Maßnahmen verkündet, mit deren Hilfe die Bundeswehr noch stärker als bisher von einer Verteidigungsarmee zu einer Interventionsarmee umgebaut werden soll. Er erwarte, dass in den kommenden Jahren der Schwerpunkt der Aufgaben "im multinationalen Einsatz und jenseits unserer Grenzen" liegen werde, erklärte Struck. Die Landesverteidigung habe "nicht mehr erste Priorität". ...

Die Unstrukturierungen sollten gewährleisten, so Struck, "dass die Bundeswehr leistungsfähig und damit Deutschland auch außenpolitisch handlungsfähig bleibt".« (Bettina Gaus, TAZ, 22.02.03, "Fit für Einsätze in aller Welt".)

 

» ... Im Dezember letzten Jahres äußerte sich Struck deutlich: Der Schwerpunkt der Verteidigung Deutschlands liege künftig nicht mehr in der klassischen Landesverteidigung, sondern "weit vor unseren Grenzen". Es sei an der Zeit, den geänderten Bedingungen Rechnung zu tragen: "Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt". (Struck, FR 6.12.02) ...

 

Die eifrigen Verfechter einer „friedlichen Lösung“ in Sachen Irak haben sich mit diesen Aussagen klar positioniert: Während sie einerseits gegen den jetzigen Krieg gegen den Irak sind, bereiten sie gleichzeitig eine EU-Interventionsarmee vor und stimmen das „Volk“ schon einmal auf die Verteidigung deutscher Interessen in aller Welt ein. Unter Rot-Grün wurde geschaffen, wovon die Vorgängerregierung nur hätte träumen können: Zehntausend deutsche Soldaten im Einsatz, in Somalia, Djibouti, Kenia, Kuwait, Ex-Jugowlawien, Afghanistan und Usbekistan. Was interessiert sie schon das Grundgesetz, welches vorsah, lediglich eine Armee zur Verteidigung aufzubauen, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen und politischen Interessen des wiedererstarkten Deutschlands nun auch militärisch weltweit abzusichern! ...

 

Die Doppelbödigkeit deutscher Politik zeigt sich noch an einem anderen Punkt: Ist doch der Umgang mit den Ärmsten der Armen, den Verlierern der Globalisierung, den Flüchtlingen auf der Welt ein Prüfstein dafür, wie ernst es jeder Regierung in Sachen Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden ist. ...« [9]

 

 

 

(I.4) Menschenbild, Kommunikation, Ethik

 

ökonomische Rationalität, Nützlichkeit und Subjektivierung des Menschen

 

»An die Stelle der das gesellschaftliche Leben dominierenden Staatlichkeit treten die Marktstrategien internationaler Konzerne, die die Bewußtseinsindustrie (Einschaltquoten, Auflagen) beherrschen und das Lebensgefühl der nachwachsenden Generationen auf den ungehinderten Konsum ausrichten.«

Die Begriffe von “Demokratie”, “Menschenrecht” und "Menschenwürde" und das Menschenbild, das dahinter steckt, verändern sich und passen sich den aktuellen herrschenden Verhältnissen an, definieren sich verstärkt über Nützlichkeit, Besitz, Macht.

Es geht also hierbei auch um kulturelle, moralische Hegemonie als Voraussetzung für die neue gesellschaftliche Formierung.

 

 

Das Prinzip der ökonomischen Rationalität, der ökonomischen Nützlichkeit verdrängt das Prinzip der sozialen Verantwortung/der Solidarität. Nicht, daß dieses Prinzip nicht schon immer im Vordergrund der herrschenden Verhältnisse stand, aber die Schonungslosigkeit und Offenheit, mit der es jetzt durchgesetzt wird, und der Konsens, mit dem es getragen wird, haben sich geändert. Die privatwirtschaftlich organisierte “Freiheit” ist die “Freiheit” des privaten “Glücks” und des Konsums für die, die sich durchsetzen wollen und können. Utilitaristisch-ökonomisches Denken - und damit auch der LebenswertDiskurs - tritt in den Vordergrund. Wer keine Leistung bringt, wird aussortiert.

Der Mensch, bisher Objekt in der entfremdeten Gesellschaft, soll jetzt zum Subjekt werden, das die Marktprinzipien als Grundlagen seines Handelns verinnerlicht hat. Jeder Mensch sein eigenes Unternehmen ("Ich-AG", Humankapital: Körper, Fähigkeiten, Motivation, Organe) und somit alleinverantwortlich für sein „Schicksal“: jeder Mensch muß sein Leben in die eigene Hand nehmen, ist seines Glückes Schmied, ist an seinem Erfolg, Scheitern, Unglück selbst schuld – „selbstbestimmt“, „selbstorganisiert“, „selbstverantwortlich“ im Kampf jeder gegen jeden!. Wer scheitert soll sich eher als ein Looser wahrnehmen, der seine soziale Situation selbst verschuldet hat, als einer, der seine soziale Stellung als Produkt einer Klassengesellschaft versteht. [10] [11]

 

»Der "Arbeitsunwillige", der Raucher, der Übergewichtige (und viele mehr), oder auch die Frau, die sich gegen pränatale Diagnostik entscheidet und möglicherweise ein nicht normgerechtes Kind zur Welt bringt, sie alle werden tendenziell zu Präventionsverweigerern/zu Tätern, die ihre unnötigen, weil vermeidbaren „Schäden“ selbst verursacht haben, und damit schließlich zu (Sozial-)Versicherungsbetrügern, die den „anständigen“ BürgerInnen nur auf der Tasche liegen. Die "Rede vom sozialen Netz als soziale Hängematte im Freizeitpark Deutschland" macht tendenziell alle "Netto-Empfänger" der Sozialversicherung verdächtig. Nur die propagierte versicherungmathematische Rationalität - so die implizierte Botschaft - kann dieser (betrügerischen) "Vollkasko-Mentalität" ein Ende setzen, weil sie alle Risikounterschiede der Person berücksichtigt.« (nach Henning Schmidt-Semisch, S. 178) 14

 

 

biologischer Reduktionismus und Objektivierung des Körpers

 

BioTechnologie, GenTechnologie, ReproduktionsTechnologie sind auch als Technologien zu sehen, die das Individuum für diese Gesellschaft konditionieren, biologisch wie auch politisch und ideologisch.

So ist z.B. die Sichtweise, Frauen als Gebärmaschine zu betrachten, nicht nur eine technische Frage der Reproduktionstechnologie, sondern besonders auch eine Frage des Menschenbildes, das dahinter steckt - das auch, wenn suggeriert/erwartet wird, mit Hilfe von "genetic enhancement engineering" (genetische VerbesserungsTechnik) die genetische "Verbesserung" des Menschen und mittels selektiver Eingriffe eine Gesellschaft ohne "Krankheit" und "Behinderung" herbeizuführen. Die eugenische Faszination vom "neuen", "perfekten" Menschen verbaut leicht die Möglichkeit zu kritischem Hinterfragen. So werden diese Technologien kaum von außen durchgesetzt/verordnet, sondern werden über den gesellschaftlichen Konsens im Namen von "Selbstbestimmung" und "Entscheidungsfreiheit" angenommen.[12]

Die moderne Genetik - als Technik und Ideologie - stellt die ultimative Ausweitung der Macht über den Lebensprozess dar.

 

·         Reproduktionstechnologie:
Normierung, Selektion, Industrialisierung der Menschenproduktion, kapitalistische Verwertung alles Lebendigen und sexuelle Objektivierung (Frauen als Gebärmaschine, Frauenleib als öffentlicher Ort, Körpervorgänge orientiert an den ökonomischen Prinzipien eines Produktionsapparates):
» Wir sehen heute noch deutlicher die diesen Technologien innewohnenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen:
- eine umfassende Beherrschung von Frauen, nicht nur in unseren reproduktiven Fähigkeiten, sondern an
  unserem gesamten Leben,
- die Erschließung, Aneignung, Verwertung und Vermarktung alles Lebendigen,
- die Zurichtung von Leben, auch von menschlichen Leben, nach Interessen und Kriterien der industriellen
  Produktion,
- die Vernichtung nicht angepassten, nicht profitablen Lebens,
- die Erfassung und Kontrolle von sozialem Leben,
- der Versuch, mit einer neuen Form des Krisenmanagements, ökologische und soziale Fragen handhabbar
  zu machen. « [13]

 

 

·         "genetische Veranlagung "und soziales Verhalten/soziale Stellung
» Durch die anvisierte vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms soll es nach den Vorstellungen einiger ihrer Vertreter sogar möglich sein, die Humangenetik als Erklärungsmodell für jede denkbare Form individueller und kollektiver Variabilität zu etablieren. In dieser "radikalen" Perspektive beschränkt sich die Suche nicht auf die mutmaßlichen genetischen Grundlagen für erbliche Krankheiten, sondern es rücken auch mögliche molekularbiologische Bedingungen von sozialen Verhaltensauffälligkeiten wie Arbeitslosigkeit, Alkoholismus oder Obdachlosigkeit in den Blickpunkt des gendiagnostischen Interesses. (Thomas Lemke, S. 232) « 14

Statt die Bedingungen z.B. am Arbeitsplatz zu verändern, die "Krankheiten" verursachen können, wird nach genetischen Dispositionen als Ursache für diese "Krankheiten" gesucht. ArbeiterInnen mit solchen Dispositionen wird empfohlen, sich Beschäftigungen zu suchen, die für sie keine Gefahr bedeuten und den Betrieb nicht belasten.
Die Vorstellungen von Determiniertheit durch genetische Anlagen führt schnell zu (Selbst-) Objektivierung, dazu, den Menschen als ein sich selbststeuerndes System, als eine Machine, einen Cyborg zu betrachten.

Dies steht durchaus im Widerspruch dazu, den Menschen für bestimmte "Krankheiten"/Verhaltensweisen selbst verantwortlich zu machen und ihn als Präventionsverweigerer zu behandeln (s. oben). Aber was soll`s? Solange widersprüchliche Ideologien den gleichen Zielen dienen, wird das akzeptiert.

·         "genetische Veranlagung" und soziale Verantwortung/Machtverhältnisse
» Wenn soziale Probleme ihre Ursache in der individuellen Biologie haben und diese tendenziell auf genetische Faktoren zu reduzieren ist, werden Staat und Gesellschaft aus ihrer Verantwortung für die sozialen Bedingungen entlassen, in denen diese Probleme entstehen. Der genetische Reduktionismus funktioniert also im Rahmen der neoliberalen Rationalität zunächst als ein Instrument im Kampf gegen wohlfahrtsstaatliche Programme (etwa zur Bekämpfung der Armut und Arbeitslosigkeit, der Rehabilitation von Straftätern etc.), die in dem Maße irrelevant werden, wie soziale Probleme auf Funktionsstörungen im individuellen genetischen Programm zurückgeführt werden. ((Nelkin/Lindee 1995, S. 127-148) S 239)...

Wenn die Gene unser Schicksal sind, dann hat unsere soziale Position weniger mit Herrschaft oder Ausbeutung zu tun als mit biologischen Differenzen. Der Rekurs auf die Macht der Gene erübrigt die Frage nach sozialen Machtverhältnissen. (S. 243, Thomas Lemke) « [14]

 

zusammengefaßt

 

Beziehungen zwischen den Menschen werden durch vertragsmäßige (Waren-)Verhältnisse ersetzt.

Was zählt, ist Effizienz-Denken, das Prinzip des individuellen Überlebens und des privaten Vorteils.

Das ganze Leben/der Alltag verläuft verstärkt ökonomisiert, wird dem Markt, dem betriebswirtschaftlichen Denken unterworfen. Gesellschaftliche Flexibilisierung und Entwurzelung, Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen und Marginalisierung, wachsende gesellschaftliche Ungleichheit und soziale Polarisierung kennzeichnen die Gesellschaft. Das führt zu Vereinzelung und Entsolidarisierung und zu verschärfter Konkurrenz zwischen den Menschen.

Die Schere zwischen arm und reich, zwischen den "winnern" und "loosern" - dem "gesellschaftlichen Müll" - wird größer. Und damit auch die Angst, zu den VerliererInnen zu gehören. Angst ist widerum auch eine Grundlage für nationale und rassistische Formierung.

An die Stelle der Forderung nach Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Menschen, tritt die Selektion in nützlich und unnütz und wird verstärkt als "natürliche Auslese" akzeptiert.

 

Als "nützlich" wird das verstanden, was sich ökonomisch rentiert. Der Begriff des Sozialen ohne ökonomischen Wert verschwindet. Begriffe wie "Solidarität", “Autonomie (Selbstbestimmung/Kollektivität)", "Herrschafts
freiheit", "Gleichheit", "Demokratie", "Konsens", "Verantwortung", "Kommunikation" als soziale Kategorien wirken in dieser Gesellschaft antiquiert und fremd, geraten in Vergessenheit, tauchen dann einfach nicht mehr auf, oder werden als weltfremde, utopistische Träumereien, als Sozialromantik und als geschäftsschädigend abgetan.

 

"Freiheit" und "Autonomie" meinen jetzt, individuelle Fähigkeit und Bereitschaft zur Eigeninitiative und Selbstorganisation, um sich den gesellschaftlichen Bedingungen optimal anpassen zu können. Das bedeutet auch hochgradig flexibel und mobil (z.B. „atmende Arbeitszeiten“) zu sein und bereit zu sein, gesellschaftliche Risiken privat abzusichern (Arbeitslosen-, Kranken-, RentenVersicherung, Altenvorsorge usw.) und bedingungslose Bereitschaft zur Selbstausbeutung.

 

Die Alten, Menschen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, die "Schwachen" – die „unnötigen Esser“ - haben in dieser Gesellschaft keinen Platz mehr – es sei denn, sie haben ausreichend finanziellen Hintergrund.

Aus diesem Geist heraus werden neue gesellschaftliche Normierungs-, Steuerungs- und Selektionsprinzipien ("Neue Eugenik", "Positive Eugenik", "Neue Euthanasie", "Bioethik", Gen- und ReproduktionsTechnologie, "sozialverträgliches Ableben", usw.) entwickelt, verinnerlicht/konsensfähig und durchgesetzt:

 

- Bayerns Innenminister Günter Beckstein: »Wir müssen darauf achten, daß weniger Ausländer kommen, die uns ausnützen, sondern mehr, die uns nützen.«

- Bayerns Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU, Edmund Stoiber, auf dem Franz-Josef-Strauß-Symposium 1999: »Unsere Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit dürfen aber nicht verwechselt werden mit Gleichmacherei und bloßer Umverteilung. Nur der Starke kann dem Schwachen helfen. Wir müssen daher die Starken fördern, um den Schwachen helfen zu können. Nur wenn wir den internationalen Wettbewerb bestehen und uns durch Spitzenleistungen ein überdurchschnittliches Einkommen verdienen, können wir für die Schwachen in solidarischer Verantwortung einstehen. Sozial ist der, der auf Wachstum setzt.«

 

 

Aber was spricht eigentlich gegen diese Entwicklung?

Trägt sie nicht dazu bei, das "Gesamtglück" der Gesellschaft zu optimieren?

 

» ließe sich das Rentenproblem nicht leicht lösen, wenn einerseits das Renteneintrittsalter hochgesetzt wird (vielleicht auf 90 Jahre!) und andererseits die medizinische Versorgung für die eingestellt wird, für die es sich nicht mehr "lohnt" und die das nicht privat bezahlen können? Das wäre doch auf jeden Fall auch solidarisch der jüngeren Generation gegenüber?!«

 

» Weshalb sollte ich einen Menschen, der am Ertrinken ist, retten, wenn mir dadurch keine Vorteile, sondern nur Unannehmlichkeiten erwachsen?! «

 

» Haben Sie schon einmal daran gedacht, Ihren Opa oder Ihre Oma zu ermutigen, sich sozialhygienisch und ökologisch entsorgen zu lassen? - natürlich gewaltfrei und in schönem Ambiente?! «[15]

 

 

 

(I.5) zur Ideologie von Zwangsläufigkeit und Unausweichlichkeit

und zur Anonymisierung von Macht

 

Diese Entwicklung soll Zwangsläufigkeit, Unausweichlichkeit und damit Unanfechtbarkeit suggerieren. Soll suggerieren, es gäbe keine Alternative zur "Neuen Weltordnung", soll suggerieren, gesellschaftliche Realität und Entwicklung sei keine Frage von bewußtem politischem Handeln und gesellschaftlicher Utopie, sondern eine Frage “objektiver” Prozesse und Wechselwirkungen in einem vom menschlichen Handeln und Denken unabhängigen Gesamtsystem. Nicht der Mensch handelt, sondern das System handelt (Selbstorganisation des Systems "Gesellschaft", Verschwinden des Politischen, Allparteienkoalition). Ein System, in dem die Marktprinzipien - die Ideologie des "freien Spiels der Wechselkräfte" - als "Naturgesetze" interpretiert wird und so versucht wird, sich jeder ethischen und politischen Kritik zu entziehen.

"Entweder wir modernisieren, und zwar als soziale Marktwirtschaft, oder wir werden modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale beiseite drängen würden" (Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung zur Agenda 2010, vor dem Deutschen Bundestag am 14. März 2003).

 

Gesellschaftliches “Wohlergehen” hängt demnach ausschließlich von der Qualität der WissenschaftlerInnen, TechnikerInnen, ManagerInnen und anderer ExpertInnen ab, die dies erkennen und gesellschaftliches Handeln in Einklang mit diesen “objektiven” Gesetzmäßigkeiten (Begriff:“Natur”, “Wirklichkeit”, “Vernunft”) stellen. Macht und die Strukturen der Macht werden so weitgehend anonym, wertfrei und schwer begreifbar und angreifbar.

Was der/dem Einzelnen dann scheinbar noch übrigbleibt ist, zu versuchen, sich in den bestehenden Verhältnissen optimal einzurichten, für sich das beste aus der Situation zu machen. Eine pragmatische Einstellung zu den herrschenden Verhältnissen zu entwickeln, sie als objektiv/schicksalhaft und damit unveränderbar zu akzeptieren.

 

Dieses Menschenbild drückt sich auch in soziologischen, systemtheoretischen, biologischen Theorien (Selbstorganisation, “Rationale Egoisten”, “Fraktale Fabrik”[16], “Ist der freie Wille eine Illusion?!”, Gesellschaft als thermodynamisches System, usw.) zur Modellierung gesellschaftlichen Handelns aus.

Z.B. beschreibt das soziologische/moralphilosophische Modell der "Rationalen Egoisten"[17] (ein neuer Begriff spricht von "sozial orientiertem Egoismus“!), nachdem der Überlegene den Schwächeren "frißt", soweit er nicht aus Kooperation Vorteile ziehen kann oder darauf angewiesen ist, diese Gesellschaft immer besser. Hier stellt sich uns die Frage, wie eine Gesellschaft aussieht und wie sie sich dahin entwickelt hat, daß sie durch solche Modelle scheinbar immer besser zu beschreiben und auch zu steuern ist.

 

 

Vielen Menschen fehlt die Erfahrung, daß diese Verhältnisse angreifbar und veränderbar sind - auch grundsätzlich, über die individuellen, alltäglichen Interessen hinaus - und damit die Hoffnung/der Mut/die Freude sich auf den Weg zu machen und das Schicksal kollektiv in die eigene Hand zu nehmen. [18]

 

 

 


(II.) zur Utopie von Solidarität, Kommunikation und

Befreiung

 

 

 

 

(II.1) wenn ich mich über Utopien auseinandersetze, so komme ich an drei Fragen nicht vorbei:

 

erste Frage: Was sind die Grundlagen der herrschenden Verhältnisse?

 

Nach wie vor läßt sich der Kapitalismus identifizieren über das private Eigentum an Produktionsmitteln, über Warenproduktion, Privatisierung des Profits, Lohnarbeit, über die inhärente Notwendigkeit zur Steigerung der Produktivkräfte, zum Wachstum und zur Expansion, über Konkurrenz, Ausbeutung, Leistung und Nützlichkeit. Ausdruck davon ist die zunehmende Liberalisierung aller Lebensbereiche: des Ökonomischen, des Politischen, des Sozialen und auch des Privaten und die GlobalisierungsBestrebungen.

Der Kapitalismus hat spezielle Herrschafts- und GewaltFormen wie Nationalismus, Rassismus, Patriarchat, Sexismus stets auf sich neu zugeschnitten und für sich dienstbar gemacht.

Aufgabe des Staates ist es, die Bedingungen für diese Verhältnisse zu schaffen und zu sichern.

Auch im sozialen Bereich verdrängt das Prinzip der ökonomischen Rationalität das Prinzip der gesellschaftlichen Solidarität. Alle Lebensäußerungen sollen zur Ware gemacht werden.

 

»Die Macht des Kapitals liegt in seiner Struktur, in den inneren Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Akkumulations- und VerwertungsProzesses - also übersetzt auf die heutigen Verhältnisse: die Macht liegt im (vom Kapital organisierten) Weltmarkt selbst. ...

Zwar lassen sich sehr wohl Verantwortliche und Mächtige lokalisieren. Doch die spannende Frage ist, wie autonom sind diese "Herrn der Welt" in ihrem Handeln, wie gefangen sind sie im Netz der Konkurrenz, des Weltmakts - oder klassisch mit Marx gefragt: inwieweit sind sie nur "Charaktermasken" einer von ihnen sich unabhängig vollziehenden Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Verwertungs- und AkkumulationsProzesses? ...

Die Macht des Weltmarkts und der Global Player beruht auf dem ungleichen Tausch, der neokolonialen Ausbeutung des Trikont, der ausschließlichen Marktbeherrschung durch die produktivsten Volkswirtschaften und Konzerne. Der Weltmarkt reguliert die Migrationsströme, der Weltmarkt entscheidet heute über Armut und Reichtum, über Hunger und Überfluß. Ich glaube, diese Macht wird nur schwer wieder regulierbar, eingrenzbar sein - der heutige Weltmarkt und die Macht des Kapitals sind nicht reformierbar.«[19] Was aber auch auf keinen Fall heißen soll, die Global Player und Nutznießer dieser Weltordnung als Opfer zu betrachten und sie aus ihrer individuellen Verantwortung zu entlassen.

 

Die Öffnung für eine Auseinandersetzung in Richtung einer humanen Gesellschaft - solidarisch und herrschaftsfrei - werden wir nicht erreichen, wenn wir ausschließlich darum kämpfen, die allerschlimmsten Auswüchse zu begrenzen, sondern nur, wenn wir auch die Grundlagen dieser Verhältnisse angreifen.

Und "kämpfen" und "angreifen" wird sich nicht beschränken lassen auf "Vernunft", Analyse, Aufklärung und Überzeugung, sondern wird immer auch eine Frage der Gegenmacht sein. Es geht also dabei auch um einen eigenen Begriff von Recht und Legitimität, von Gewalt und Widerstand.

 

 

zweite Frage: Welche Bedeutung haben Wissenschaft und Technik in diesen Verhältnissen?

 

Nicht die Sorge um das Wohl der Menschen ist treibendes Moment der Forschung, sondern die Verwertbarkeit der Ergebnisse für Macht und Profit.

Neue Technologien, als Grundlage der Entwicklung der Produktivkräfte, werden in der herrschenden Ideologie prinzipiell als Motor für Emanzipation (wovon? wohin?) der Gesellschaft dargestellt und damit positiv begrüßt.

Aber sogenannte wissenschaftliche/technische "Fortschritte" - das Machbare - und deren Verwertung sind nicht per se gut, nützlich und emanzipatorisch für Mensch und Umwelt.

 

 

»Sehr bald wurden wir mit dem Widerspruch konfrontiert, daß unsere Arbeit nicht nur der Kritik der Verhältnisse dient, die Ursache z.B. für die Umweltvergiftung sind, sondern auch dazu beiträgt, genau diese Verhältnisse zu reformieren, zu stabilisieren, zu modenisieren.

Denn ökologisches Denken - will es die Probleme an der Wurzel fassen und sie nicht nur auf der Oberfläche moderieren - kann nicht stehen bleiben bei Schadensbegrenzung oder bei der bloßen - wenn auch kritischen - Durchleuchtung von Verwertung wissenschaftlicher, technologischer, telekratischer Ergebnisse und Strukturen.

Diesem Anspruch - in die Tiefe gehen, die Dialektik begreifen und nicht nur an Phänomenen rumhandwerkeln - zu genügen, erfordert nachfragen nach dem Wissenschaftsbegriff, Menschenbild und Weltbild, die dahinter stecken, und dieses Nachfragen in den Rahmen einer Auseinandersetzung, um eine eigene gesellschaftliche Perspektive/Utopie zu stellen.

Politische und soziale Herrschaftsverhältnisse (wie sie sich z.B. im Patriarchat, in Geschlechterkategorisierung zeigen) hängen in ihrer historischen Entwicklung eng mit dem Naturbegriff (z.B. Frau als Natur, Mann als ”Geist”, der die ”Natur” erobert, kontrolliert, beherrscht, der gesellschaftlichen Nutzung gefügig macht; ein Leben im Einklang mit der ”Natur” zu führen), dem Verhältnis zur Umwelt (”Natur” als allzeit und unbegrenzt verfügbare Ressource, ”Natur” als Ware) zusammen.

In diesem Sinne ist eine radikal ökologische Sichtweise nicht zu trennen von der Kritik an den bestehenden herrschenden politischen und sozialen Verhältnissen und, um es noch einmal mit anderen Worten zu sagen: es geht hierbei nicht nur um die Kritik an "Willkür" und "Mißbrauch" oder ”Auswuchs”, sondern um die Kritik an einer Gesellschaft, in der weitgehend nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern die ökonomische Rationalität; in der oft gerade das, was von manchen allzugerne als "Willkür", "Mißbrauch" oder ”Auswuchs” behandelt wird, konsequenter Ausdruck genau dieser Verhältnisse ist.

 

Den politischen, sozialen Charakter der Maschine, der Technologie (auch z.B. der Reproduktions- oder GenTechnologie), der telekratischen Struktur, des wissenschaftlichen Denkens, der Erkenntnis, der Produktionsweise zu erkennen und in ein dialektisches Verhältnis zu deren Verwertung zu stellen, kann u.a. ein Hebel sein für die Auseinandersetzung um eine humane Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der wir - und immer wieder neu - uns einen Begriff von Herrschaftsfreiheit, Solidarität, Kommunikation und Würde entwickeln und aneignen.«[20]

 

 

Wir müssen der Forschung und vor allem auch den mit den Forschungsergebnissen arbeitenden ökonomischen Bereichen, der Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse, Bedingungen und Grenzen setzen.

Das gilt für die militärische und zivile Nutzung der Atomenergie ebenso wie auch z.B. für die Bio-, Gen-, Reproduktions- und NanoTechnologie. 12

Zu beurteilen, woran zu forschen, wie zu verwerten, was gut , nützlich und emanzipatorisch für Mensch und Umwelt ist, ist keine Frage einer "objektiven Wahrheit", sondern letztendlich eine der gesellschaftlichen Utopie.[21]

"Natur", "Wirklichkeit", "Vernunft", "Wahrheit", "Erkenntnis", "Fortschritt" sind geistige Konstrukte, geprägt durch die gesellschaftlichen Verhältnisse (z.B. Geschichte, Kultur, Machtverhältnisse). Sie suggerieren, daß die herrschenden Gedanken nicht weitgehend die Gedanken der herrschenden Verhältnisse sind, sondern eine von diesen losgelöste und neutrale, unschuldige, ja sogar befreiende/emanzipatorische Bedeutung haben. Diese scheinbare Objektivität wissenschaftlicher Begrifflichkeit und Aussage und der weitverbreitete Glaube daran, der Glaube, daß gesellschaftliche Fragen wissenschaftlich wertfrei gelöst werden können (Wissenschaftsgläubigkeit!), begründet ihren Herrschaftscharakter und auch das hohe gesellschaftliche Ansehen, die Autorität der ExpertInnen.

Und das meine ich auch, wenn ich dafür plädiere, unseren Kampf nicht nur gegen eine "Maschine" zu richten, sondern uns für eine Gesellschaft einzusetzen, in der diese "Maschine", diese menschenfeindliche Technologie keinen Platz hat.

 

 

dritte Frage: Welche Lehren/Konsequenzen ziehe ich aus dem Holocaust?

 

Vielleicht wird es manchEn verwundern, an dieser Stelle mit dieser Frage konfrontriert zu werden. Aber können wir eigentlich weitermachen, und wie können wir von gesellschaftlichen Utopien reden, ohne vor Augen zu haben, wozu Menschen fähig waren und sind?

Da stellen sich viele Fragen, auch für die Gegenwart und für die Zukunft!

 

-          Ist der Holocaust ein singuläres Ereignis in der Geschichte, ist eine Wiederholung undenkbar?
(Sicher nicht in denselben Uniformen, derselben Architektur, denselben Technologien, denselben Begriffen, derselben Ideologie!)                                                                                    

-          Was hat sich seitdem in der Gesellschaft so grundlegend verändert, so daß wir diese Frage bejahen können? Auch vor dem Hintergrund einer Generation, die so einmütig angeblich von allem nichts gewußt hat.
Wo und wie haben die Menschen, hat die Gesellschaft sich "emanzipiert", um eine Wiederholung so selbstverständlich auszuschließen?

 

-          Wie konnte es möglich sein, daß auch Menschen - und zwar wie du und ich (!?) -, oder wie die "guten Nachbarn", sich an der Verfolgung und Ermordung von Menschen, die den Normen der herrschenden Ideologie nicht entsprachen, beteiligten, und/oder die Entwicklung von Strukturen, Theorien und Ideologien dazu unterstützten, oder "einfach nur" wegschauten oder sich fügten (s. Hannah Arendt [22]; M. Broszat [23])?                          

-          Was muß ich tun, um auszuschließen, daß ich damals, heute und morgen nicht zu diesen Menschen gehörte/gehöre?
Wie kann ich Einfluss auf eine Gesellschaft nehmen, um eine Wiederholung des Holocaust auszuschließen?

Dazu zwei Stimmen von vom nationalsozialistischen Terror unmittelbar Betroffener, denen ich mich anschließe, und die ich versuche zum Bestandteil meiner Vorstellung von gesellschaftlicher Utopie zu machen:

 

-          Felicia Langer [24], eine Rechtsanwältin, die in Israel lebte und mehr als 20 Jahre PalästinenserInnen juristisch verteidigt hat:

»Meine Lehre aus dem Holocaust war und ist, angesichts jeglichen Unrechts und Verbrechens nicht zu schweigen, sondern alle Formen von Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen und die Würde und Rechte der Menschen, wer auch immer sie sein mögen, zu verteidigen.«

 

-          Istvan Eörsi [25], ein ungarischer Schriftsteller, Überlebender des Budapester Ghettos:

»Welche moralischen Lehren lassen sich aus dem Holocaust ziehen? Was betrachte ich als das Erbe des Überlebens? ... Aus dem Holocaust leite ich für mich die moralische Verpflichtung ab, daß ich stets mit den Verfolgten der jeweiligen Zeit, mit den ethnischen, konfessionellen, kulturellen und sexuellen Minderheiten sowie mit den sozial Benachteiligten solidarisch sein muss.«

 

Das heißt für mich: Der Kampf gegen Antisemitismus und auch gegen andere Herrschafts-Ideologien
/-Formen ist nur glaubwürdig, wenn er als Kampf für "Menschenrechte"/“Menschenwürde“ geführt wird. Dies trifft auch auf den aktuellen Israel/Palästina-Konflikt zu.[26]

Was unter "Menschenrechten"/“Menschenwürde“ zu verstehen ist, ist nur über unsere Vorstellungen von gesellschaftlicher Utopie zu beantworten.

Und Erinnerungsarbeit erstarrt zum Monument – die Geschichte wird abgewickelt und wird dann politisch beliebig funktionalisierbar – wenn sie nicht zum Ziel hat, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu kritisieren und die Zukunft neu zu gestalten. So konnte z. B. der deutsche Außenminister Fischer den Krieg gegen Jugoslawien (1999) mit „ein neues Auschwitz verhindern“ rechtfertigen, der Präsident der USA Bush den „Kampf gegen das Böse“ mit der Befreiung von Auschwitz (27. 01. 1945) in Zusammenhang bringen (Januar 2005).

 

 

 

(II.2) zum Begriff "Utopie"

 

Es liegt an uns, Utopien immer wieder neu zu entwickeln und die alten immer wieder neu in Frage zu stellen. Uns verstärkt eigene Orte anzueignen, in denen wir Leben/Kommunikation als Sabotage an den herrschenden Verhältnissen, als subversives Leben ausprobieren und lernen. Nicht als fertige Modelle, Rezepte, Dogmen, sondern als Ergebnis von kontinuierlichen Auseinandersetzungen im Rahmen erfahrener gesellschaftlicher Widersprüche („der Weg ist das Ziel und die Frage nach dem Weg ist Teil des revolutionären Prozesses!“). "Kommunikation" - als gleichberechtigte Auseinandersetzung und gemeinsame Entwicklung verstanden und nicht als bloßen Informationsaustausch - läßt sich nur in einem herrschaftsfreien Raum/in herrschaftsfreien Beziehungen verwirklichen. Das werden wir wohl nie erreichen, daran werden wir ständig arbeiten müssen! In diesem Sinne verstanden, richtet sich Kommunikation auch gegen jede gesellschaftliche Normierung, Kategorisierung und Selektion, gegen Effizienzdenken, gegen fertige, abgeschlossene Antworten, gegen Rechthaberei und Besserwisserei, gegen den Glauben an die "richtige Linie", gegen dogmatische und fundamentalistische Denkweisen, gegen jede Form von intellektuellem Kolonialismus, gegen Stellvertretungspolitik - also gegen jegliche Gewalt- und KommandoStrukturen.

Es geht besonders auch um ein anderes Gesellschafts- und MenschenBild als das bestehende. Es geht - und das immer wieder neu - um die Bestimmung und Aneignung von Begriffen, wie "Herrschaftsfreiheit", "Solidarität", "Kollektivität", "Kommunikation", "Autonomie" und "Glück".

 

Das wird uns nicht individuell, durch bloßes Nachdenken und Studieren, durch Formulieren von Appellen gelingen, sondern nur kollektiv, und indem wir in die gesellschaftlichen Prozesse eingreifen, sie verändern, sie bewußt und kritisch neu gestalten.

Das wird uns auch nicht gelingen, wenn wir selbst Teil der gesellschaftlichen Machtstrukturen werden, z.B. in die Parlamente gehen und glauben von dort aus, mit deren eigenen Mitteln, sie zu verändern („Befriedungsverbrecher!“). Das kann - wenn überhaupt - immer nur ein taktisches Mittel sein (z.B. als imperatives Mandat einer außerparlamentarischen Bewegung). Aber daran knüpfen sich viele Fragen und da gibt es auch viele gescheiterte Erfahrungen; darauf will ich an dieser Stelle nicht eingehen. Nur soweit: Sich Macht aneignen, um Macht zu zerstören, ist ein sehr schwieriger dialektischer Prozess, der bisher in der Geschichte meistens dazu geführt hat, dass die Macht sich verselbständigte und die Menschen für eine "höhere Idee" funktionalisiert wurden, im Sinne von: "der Zweck/das Ziel heiligt das Mittel!"

 

Sicher, wir alle sind auch Teil unserer/der herrschenden Verhältnisse, wie der Geschichte, Kultur, Denkstrukturen, Begriffe, Ideologien u.s.w. – es gibt kein "Draußen", aussteigen ist nicht möglich. Noch in der Auflehnung gegen die Verhältnisse wird unsere Vorstellung durch sie geprägt. Identität/Bewußtsein sind immer auch Definitionen über herrschende Gesellschaftsbilder („es gibt kein richtiges Leben im Falschen!“).

Aber wir können immer wieder diese Verhältnisse kritisch hinterfragen - möglich wird das immer da, wo wir mit ihnen in Widerspruch geraten - und dieses Hinterfragen zum Bestandteil unserer Vorstellung von Emanzipation machen.

 

 

 

(II.3) was tun?

 

Inzwischen haben Menschen auf der ganzen Welt angefangen, sich gegen die "Neue Weltordnung" zu wehren.

 

Der Siegeszug des Kapitalismus weltweit schien lange unaufhaltsam. Ratlosigkeit und Resignation bestimmten die Diskussionen. Viele oppositionelle politische Zusammenhänge zerbrachen. Die ausserparlamentarische Linke - zersplittert in viele kleine Gruppen und Einzelpersonen - konnte dem herrschenden Mainstream keine eigenen Vorstellungen entgegensetzen, die vielen Menschen Mut, Hoffnung, Zuversicht auf eine andere Gesellschaft vermittelten. Der Diskurs um eine menschenwürdige Gesellschaft fand kaum noch statt - die Flucht in das Private/die Individualisierung der Gesellschaft schien/scheint für viele der einzige Ausweg, um zu überleben. Auch innerhalb der radikalen Linken war/ist die Sehnsucht nach bürgerlicher Geborgenheit, Sicherheit und Anerkennung verstärkt zu beobachten – so habe ich zumindestens die Entwicklung in den letzten Jahren erlebt.

 

Der plötzlich massenhafte Protest gegen Neoliberalismus und Globalisierung (gegen Globalisierung des Kapitalismus oder gegen Auswüchse der Globalisierung?, „für die Humanisierung des Kapitals“?), der unterschiedlichste Menschen aus der ganzen Welt, auch Menschen unterschiedlichster politischer Erfahrungen/Auffas-
sungen, zusammenführt, läßt Hoffnung aufscheinen, vermittelt Faszination und Aufbruchstimmung für den Kampf um eine "andere Welt".

 

Die Kraft schöpft die Bewegung daraus, dass es ihr gelingt, einen Raum zu schaffen, in dem eine große Vielfalt von Diskursen emanzipativer Kämpfe aus den verschiedensten Ländern der Welt, welche vorher isoliert waren, zusammenkommen können (soziale, Umwelt-, indigene, feministische, anti-patriachale, anti-rassistische, anti-faschistishe Kämpfe, u.s.w.) - und das, trotz oft großer ideologischer Unterschiede. Das hat sich bisher in gemeinsamen konkreten Aktionen geäußert, verbunden mit dem Beginn einer gemeinsamen Auseinandersetzung um eine Analyse der Gesellschaft, der Entwicklung globaler Koordinationsstrukturen und Netzwerke, dem Sichtbarmachen sozialer und politischer Widersprüche und auch von Möglichkeiten die Machstrukturen anzugreifen.

 

In den letzten Jahren gab es kaum ein Treffen der Mächtigen dieser Welt, das nicht kritisch und massenhaft von Protesten begleitet wurde. [27]

Das sind Versuche, dem Prinzip des Neoliberalismus und der Globalisierung des Kapitalismus das Prinzip der Solidarität und Kommunikation entgegenzustellen, gemeinsam herauszubekommen, was das überhaupt sein kann. Versuche, gemeinsam die Frage zu stellen "wem gehört die Welt?" und das mit der Zuversicht: "eine andere Welt ist möglich!", wenn wir das gemeinsam, über alle nationalen, kulturellen, weltanschaulichen Grenzen hinweg, global in Angriff nehmen.

Aber diese globalen "events" werden dezentrale und regionale und persönliche Entwicklungen nicht ersetzen können, und der Euphorie über die massenhafte Begegnung und über den spektakulären Widerstand und über das große Presseecho werden genaue politische Diskussionen und bewußte Bündnisse folgen müssen.

 

Da, wo diese Entwicklung für Menschen erfahrbar wird, gibt es Anzeichen dafür, dass es inzwischen auch an anderer Stelle gärt und brodelt: Sozialraub, Zunahme der Repression, verstärkte gesellschaftliche Normierung, Kontrolle und Selektion, Einschränkung individueller Freiheiten und Zwang zur Anpassung, Verfolgung und Abschiebung von MigrantInnen und Flüchtlingen, Kriegsbeteiligung, ein allgemeiner Rechtsruck - auch als konservativer Reflex auf die Globalisierung im Sinne von "zurück zu Nation" oder: “Volksgemeinschaft gegen Globalisierungswahn“ (NPD, 1. Mai 2004) - müßten eigentlich den Topf zum Überlaufen bringen.

Deshalb kann die Auseinandersetzung gegen Agenda 2010 und Hartz 4 – d.h. mit der aktuellen und konkreten Politik der Bundesregierung – auch ein Hebel für die praktische Kritik an Neoliberalismus und kapitalistischer Globalisierung sein.[28]

Auf der anderen Seite kann die Angst davor, was die Zukunft bringt, Angst davor, die letzte Sicherheit zu verlieren, Angst davor, in prekäre Verhältnisse zu geraten, Angst davor, gesellschaftlich nicht aufgefangen zu werden und dann ganz alleine und einsam dazustehen, dazu führen, Menschen zu disziplinieren, sich mit den Verhältnissen kritiklos zu arrangieren oder/und Sicherheit in unterschiedlichen Formen von rassistischer und faschistischer Gewaltherrschaft zu suchen, nach dem Motto: „da muß doch endlich jemand kommen, der Ordnung und Sicherheit schafft!“.

Einerseits kann diese Angst zur Akzeptanz der Verhältnisse führen und Menschen erpressbar machen, andererseits können diese Verhältnisse nur in einem Klima von Angst durchgesetzt werden.

 

 

Aber es kann nicht angehen, sich für den status quo, dafür, das “Alte zu bewahren”, einzusetzen - für Erhaltung des Nationalstaats als Grundlage von Rassismus und Antisemitismus, von Gewerkschaften, als Instrument der Integration in die kapitalistischen Verhältnisse, eines Sozialstaates, der auf Lohnarbeit beruht, ... -, nur weil alles, was sich für die Zukunft abzeichnet, noch schlimmer zu werden droht.

 

»Es gibt keine „Alternative“« zur Liberalisierung und Globalisierung. Die Reformpolitik ist eine Anpassung an ökonomische Sachzwänge - sagen Schröder und Konsorten – die besten ManagerInnen seien da gefragt!

Es wäre weltfremd, der Wirklichkeit gegenüber die Augen zu verschließen, und wer von Alternativen rede, der schütte Wasser auf die Mühlen der Demagogen. „Wir leben über unsere Verhältnisse, es ist kein Geld vorhanden“, „wo nichts ist, kann nichts ausgegeben werden“, „wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen“, „es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft (Interview mit der Bild-Zeitung, 05. April 2001)“.

 

Macht wird so anonymisiert und als unangreifbar suggeriert.

 

»Es gibt „Alternativen“« – die Möglichkeiten innerhalb der herrschenden Verhältnissen sind noch lange nicht ausgeschöpft – sagen u.a. Stimmen aus den Gewerkschaften und aus ATTAC, und fordern "Rückeroberung staatlicher Regulierung und staatlicher politischer Handlungsspielräume gegen die Dominanz des Marktes", "Kampf gegen Auswüchse, gegen Willkür des Kapitals", "gegen den räuberischen Kapitalismus", "Zähmung des Kapitals", "bessere Kontrolle der Finanzmärkte", "soziale und gerechte Gestaltung des Kapitalismus", "einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz", "dem Tiger Kapitalismus die schärfsten Zähne ziehen", „sozial und ökologisch nachhaltiges Wachstum“ und „Umverteilung des Reichtums“, „transnationale Konzerne an die Kandare zu nehmen, die Finanzmärkte zu regulieren oder den Welthandel sozial und ökologisch zu reformieren“ (Sven Giegold, attac, E&W, 11, 2004).

 

Das alles, ohne den Charakter des Staates im Kapitalismus zu hinterfragen, und sie suggerieren somit, daß ein fairer und humaner Kapitalismus möglich oder auch nur denkbar wäre.[29]

Wenn Stimmen aus ATTAC im Zusammenhang mit »Alternativen« z.B. von stärkerer Regulierung der Finanzmärkte, und die IGM von Stärkung der Kaufkraft, um die Konjunktur anzukurbeln, um dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen, reden, dann müssen wir den Begriff »Alternative« neu hinterfragen.

 

»Es gibt „Alternativen“ nur im Rahmen der Überwindung der herrschenden Verhältnisse«, sagen Stimmen aus dem linksradikalen Spektrum. Die „Wirklichkeit“ ist kein Schicksal, ist immer auch eine Frage des politischen Kräfteverhältnisses. Und Alternativen meint hier, Emanzipation aus den herrschenden Verhältnissen/Überwin-dung der Ursachen der herrschenden Verhältnisse und nicht nur stehen bleiben bei Verbesserung bestimmter Erscheinungsbilder. So genügt es nicht, das Produkt zu kritisieren, ohne die Produktionsverhältnisse in die Kritik mit einzubeziehen.

Eine ausschließliche, regional begrenzte Veränderung einzelner Erscheinungsbilder wird immer von dem augenblicklichen Kräfteverhältnis vor Ort abhängen und auf der Ausbeutung/Unterdrückung Anderer außerhalb dieses Ortes beruhen und somit einen beständig labilen Zustand aufrechterhalten.

Alternativen in diesem Sinne sind nur vorstellbar, wenn die Privatbesitz-, Profit- und WachstumsParadigmen des Kapitals angegriffen werden. Ein Verzicht auf eine Einbettung des Protests in grundsätzliche Gesellschaftskritik („Realpolitik“) würde bedeuten, bei Empörung über einzelne Erscheinungen zu verharren.

 

Da stellen sich viele Fragen:

Wie können Alternativen jenseits von Lohnarbeit, Vollbeschäftigung, nationalem Sozialstaat und Wachstum aussehen?

Eine solidarische Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist nicht mehr im nationalstaatlichen Rahmen und auch nicht auf der Grundlage individueller Lohnarbeit und Vollbeschäftigung denkbar und auch gar nicht wünschenswert.

Besonders auch, wenn wir berücksichtigen, daß der nationale Sozialstaat ein Privileg der Gesellschaften des Nordens ist/war, das mit dem Ausschluß und der Ausbeutung der Gesellschaften des Südens erkauft wurde. Und Wachstum (auch sog. nachhaltiges Wachstum) weiterhin die Mehrheit der Weltbevölkerung von den Ressourcen des Überlebens strukturell ausgrenzen.[30] Und wir sollten nicht von „Umverteilung des Reichtums“ reden, ohne zu fragen, woher der Reichtum kommt.

Wie ist eine Welt, in der die Menschen ohne Zukunftsangst, in sozialer Absicherung leben können, vorstellbar? Eine Welt, in der der Zugang zur Bildung, Kultur, Gesundheitsversorgung, Altersversorgung, öffentliche Verkehrsmittel, Schwimmbäder, Bibliotheken usw. nicht vom Geldbeutel abhängig ist, sondern für alle Menschen kostenlos ist.

Wie sind aktuelle Forderungen u.a. nach Mindestlohn und 30 Stunden Woche und bedingungsloses Grundeinkommen für jeden Menschen am Ort seines jeweiligen Aufenthaltes durchsetzbar, und weisen sie in eine emanzipatorische Richtung?

 

 

 

Alle Hoffnung auf "ein anderes Leben" wird längerfristig wie eine Seifenblase zerplatzen oder im Boden versickern, oder konfliktbesänftigt in die herrschenden Verhältnisse integriert werden und vielleicht sogar zu deren Modernisierung beitragen (selbst die Weltbank und der IWF reden inzwischen wie die GlobalisierungsKritikerInnen z.B. von Transparenz, Partizipation und Armutsbekämpfung), wenn es nicht gelingt, die sicher berechtigten realpolitischen Forderungen zur Milderung der Härten dieser Entwicklung, in den Kontext einer Auseinandersetzung zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse zu stellen. Die Härten sind keine Auswüchse, sondern konsequente Erscheinungen der Verhältnisse. Es geht also letztendlich um eine Gesellschaft, in der diese Härten nicht nur besser kontrolliert und abgemildert werden, sondern die Ursachen dafür gar nicht mehr vorkommen, gar nicht mehr denkbar sind.

Macht, Privatbesitz, Lohnarbeit, Profit, Wachstum, Warenproduktion, ... auf der einen Seite, und Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit, ... auf der anderen, sind unvereinbare Widersprüche (Antagonismen). Der IWF, die Weltbank, die WTO, ... als Teil des Problems können nicht zum Bestandteil der Lösung gemacht werden.

 

Es ist jetzt angesagt, im Zusammenhang mit den konkreten Auseinandersetzungen auch wieder über gesellschaftliche Utopien zu reden- diese zum Kriterium für "Wahrheit" und Handeln zu machen - und im Rahmen dieser Auseinandersetzung BündnispartnerInnen zu suchen und eine gemeinsame Widerstands-und LebensPraxis zu entwickeln.

 

Wir sollten wieder den Mut haben, das scheinbar Unmögliche zu denken:

Weshalb sollte es nicht möglich sein, eine Gesellschaft anzustreben, die den Menschen in den Mittelpunkt von Denken und Handeln stellt und nicht die ökonomische Rationalität. Eine Gesellschaft, die „Eigentum als Diebstahl“ (Proudhon 1840, französischer Sozialist) begreift, die auf der Auseinandersetzung um Herrschaftsfreiheit, Solidarität, Kooperation, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit für alle beruht!? Die für ein Leben ohne Hunger und Armut, ohne Krieg und Unterdrückung eintritt.

Um uns in diese Richtung zu bewegen, wird es wichtig sein, daß wir uns autonome soziale Räume aneignen und sie verteidigen. Räume in denen wir lernen, Kommunikation und Solidarität, Autonomie und Kollektivität, Selbstorganisation und Widerstand der Gewalt des Kapitals entgegenzustellen.

 

Das was von Menschen gemacht worden ist, kann auch von Menschen verändert werden, und wir müssen den Zustand überwinden, in dem wir gelähmt auf die herrschenden Verhältnissen starren – deren Übermacht ist auch ein Ergebnis unserer sinnlichen Entfremdung, unserer kulturellen Konditionierung -, sondern wir sollten uns mit einem Lachen auf den Lippen, mit Selbstbewußtsein, Mut und Freude gemeinsam auf den Weg der Befreiung machen! Gemeint ist hier ein Begriff von Befreiung, der unsere individuelle Befreiung als Teil der Befreiung weltweit versteht und umgekehrt.

 

 

Das alles ist sicher nicht neu, aber wir müssen es immer wieder neu versuchen. Denn es wird uns nichts anderes übrigbleiben, wenn wir den zur Zeit in atemberaubender Geschwindigkeit stattfindenden Absturz in Krieg und Barbarei aufhalten und eine andere Richtung geben wollen und wenn wir Teil sein wollen des Kampfes um eine weltweite, humane Gesellschaft.

 

 

 

 

 

 

(Label:F.Storim,Neoliberalismus/Globalisierung*Datei: NeoGlo010203Material2 *Ergänzung: 11.02.05)


 

 



[1] »(...) Die meisten Ökonomen glauben, daß eine marktwirtschaftliche Ordnung, die willkürliche Staatsinterventionen begrenzt und die Macht erworbener Besitzansprüche bändigt, durch das Wirken des aufgeklärten Eigennutzes automatisch jene Kräfte freisetze, die sie für ihren eigenen Fortbestand braucht.

Triebkraft der Zerstörung sei demzufolge der Staat, nicht der Markt. Die Regierungen schwächen die Tugend der Bevölkerung, indem sie eigenständiges und selbstverantwortliches Handeln durch steuerfinanzierte Wohlfahrtsprogramme erdrücken, Arbeitsanreize durch hohe Steuerprogression unterminieren, private Fürsorge durch staatliche Sozialhilfe austrocknen, lokale Initiative durch fiskale Transferleistungen abwürgen, das Verantwortungsbewußtsein der Familien durch die Verstaatlichung der Bildung zerstören. Jede Intervention der öffentlichen Hand reduziere die Möglichkeit freien Handelns und schaffe dadurch Bedarf an weiteren Staatseingriffen. (...)« Robert Skidelsky (Professor für politische Ökonomie an der Warwick University, GB), aus »Freiheit braucht Werte - Wie wir im Zeitalter der Globalisierung Wohlstand, Frieden und Moral bewahren können«, Die Welt, 11.08.2000.

 

Rolf Steil, Direktor der Hamburger Agentur für Arbeit:

»Wir können im Umgang mit Arbeitslosen heute das Thema Fördern und Fordern leichter ansprechen als früher. Die Menschen sehen, dass der Staat als Sozialstaat nicht mehr soviel leisten kann wie die letzten 50 Jahre.« »Er verspreche sich von Hartz IV eine mentale Veränderung bei den Arbeitslosen«, sagt Steil, »nämlich, dass die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, anstatt sich darauf zu verlassen, dass der Staat endlos für sie sorgt.« (D.W., 01. 09. 04)

 

[2] im Einzelnen heißt das:

 

* Alle wettbewerbshemmenden Vorschriften sollen abgebaut werden, z.B. durch:

-          Abbau staatlicher Subventionen (nicht generell: die Atomenergieproduktion ist gerade mit Hilfe des Konsensvertrages zwischen Unternehmer und Regierung durch Subventionen für den liberalisierten Markt konkurrenzfähig gemacht worden, oder die Industrieländer schützen durch Subventionen z.B.in der Landwirtschaft oder Textilwirtschaft ihre Produkte vor der möglichen Konkurrenz aus sog. Entwicklungsländern.), staatlicher Konjunkturprogramme und Handelsschranken.

-          Deregulierung von Arbeitsmärkten,

-          Deregulierung von Arbeitsrechten und gewerkschaftlichen Rechten (Lohnniveau, Mindestlöhne, Tarifsicherheit, Tarifverträge durch betriebsinterne Vereinbarungen ablösen, Arbeitszeiten, Arbeitsverträge; "freiwilliger" Lohnverzicht, Kündigungsschutz), Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld,

-          Abbau und Individualisierung von Sozialleistungen (das heißt dann zynisch, “Stärkung der Eigenverantwortlichkeit”), Einführung privatwirtschaftlicher Konkurrenz von Sozialleistungsanbietern,

-          Produktionsstandorte werden nach Höhe der Lohnkosten, "politischer Sicherheit", vorhandenen Produktions- und Verteilungsstrukturen ("Billiglohnländer") gewählt.
ArbeiterInnen in den industrialisierten Ländern werden gezwungen, sich in einen Wettbewerb mit ArbeiterInnen in den sog. Entwicklungsländern zu begeben.

-          ...

Das führt einerseits zum Abbau von Rechten, die in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen von den Lohnabhängigen erkämpft worden sind: zur Zunahme unsicherer Beschäftigungsverhältnisse, zum Lohnabbau, zur Vergrößerung der Arbeitshetze, zu Arbeitslosigkeit, zum Sozialabbau, also zum Abbau kollektiver Schutzsysteme und allgemein zur Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen, andererseits zur Vermehrung privaten Reichtums und privater Macht für Wenige.

 

 

Freier Handel mit Dienstleistungen: Am 1. Jan. 2005 soll "GATS 2000" (General Agreement on Trade in Services) in Kraft treten. Private Unternehmen sollen dann künftig auch dort zugelassen werden müssen, wo Dienstleistungen bisher bei den Kommunen lagen. Werden öffentliche Einrichtungen subventioniert, haben alle Anbieter die gleichen Rechte darauf.

 

Das bedeutet: Privatisierung und Kapitalisierung öffentlichen Eigentums, öffentlicher Dienstleistungen, staatlicher Infrastrukturen, sozialer und kultureller Bereiche und Leistungen z.B. von Post, Telefon, Bahn, Verkehr (s. dagegen die Kämpfe für 0-Tarife ab Ende der 68er: "0-Tarif, sonst legen wir die Schienen schief!"), Kanalisation, Autobahnen, Gefängnissen, polizeilichen Aufgaben, Ausbildung (Universitäten, Schulen), Krankenhäusern, sozialen Diensten, Krankenversorgung, Altenpflege, Jugendhilfe, Rentenversicherung, Arbeitsämtern, Arbeitslosenversicherung, Sozialversicherung, Einrichtungen und Diensten für Menschen mit Behinderungen, Kultureinrichtungen, Finanzdienstleistungen, von öffentlichen Räumen, Plätzen, Straßen (wie Bahnhöfe, Flughäfen, Einkaufszentren und der damit verbundenen Vertreibung von Obdachlosen und anderen an den Rand gedrängten Gruppen und Einschränkung der “freien Meinungsäußerung”, wie z.B. Verbot von Demonstrationen und von Verteilen von Flugblättern) und in letzter Zeit eben verstärkt auch der Energie-, Gas- und Wasserversorgung.

 

 

Widerstand:

Am 03.10.02 demonstrierten in Paris rund 70 000 Menschen gegen die Privatisierungspläne der französischen Regierung, u.a. gegen die geplante Privatisierung des weltweit größten Elektrikkonzerns EdF (Electricité de France) und des Gaskonzerns GdF (Gaz de France) und gegen den damit zu erwartenden Sozialabbau und gegen den »Albtraum, wenn die Sicherheit in den Atomkraftwerken den Gewinninteressen einer Aktiengesellschaft untergeordnet wird«.

"Die Demonstranten verteidigen die Reste eines sozialen Regimes, das unmittelbar nach Kriegsende eingeführt wurde. In jener Zeit, die von den sozialen Forderungen der kommunistischen Résistance geprägt war, waren viele Unternehmen von Kriegskollaborateuren verstaatlicht worden und waren die Konturen des flächendeckenden öffentlichen Dienstes und der auf dem Prinzip der Solidarversorgung basierenden Sozialversorgung eingeführt worden."

Am 26.11.02 gingen mehr als 100 000 Menschen gegen die Privatisierungspläne auf die Straße. (TAZ, 04.10.02, 27.11.02. Handelsblatt, 04.10.02.)

 

Enteignungsforderungen in der BRD nach 1945:

»Im Interesse der Industrie war der Eroberungskrieg von den Nazis geführt worden. Besonders die Schwerindustrie hatte sich als Wegbereiter Hitlers diskreditiert. Anfänglich verfolgten die westlichen Besatzungsmächte eine Bestrafung der Unternehmer und deren Wirtschaftsführer wegen ihrer Kriegsschuld. Diese waren zeitweilig entmachtet und mussten den Beschäftigten, ihren Betriebsräten und den Gewerkschaften Einfluss in den Betrieben überlassen: Für diese ging es um die Beseitigung der unmittelbaren Not, sie nahmen die Anlagen wieder in Betrieb, organisierten die Versorgung der Familien, kämpften gegen die Arbeitsplatzzerstörung durch die Demontagen. Es entstand die Forderung, die Großbetriebe der Schlüsselindustrie in Gemeineigentum zu überführen. Unter diesem Meinungsdruck wurde den Gewerkschaften Mitbestimmung in den Unternehmen angetragen. Selbst die CDU war anfänglich dieser Einsicht: “Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und den sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden” (Ahlener Programm 1947).

Doch die westlichen Besatzungsmächte waren nach 1945 die bestimmende Kraft in ihren Besatzungszonen. Sie verhinderten die Abrechnung antifaschistischer Gruppen (z.B. Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus in Bremen) mit den faschistischen Gegnern und gaben dem kapitalistischen Privateigentum Schutz. Waren erst die Siegermächte für eine dezentralisierte Volkswirtschaft und Entflechtung der Konzerne, verhinderten später die westlichen Besatzungsmächte die Durchführung von staatlichen Beschlüssen nach Überführung in Gemeineigentum und Wirtschaftsdemokratie: z.B. den Beschluss des Landtages von Nordrhein-Westfalen 1948 über die Enteignung der Kohlebesitzer. Die alten Eigentümer kehrten wieder in ihre Machtpositionen zurück. Als der politische Druck vorbei war, setzten sich die Unternehmer und ihre politischen Vertretungen über die “Sozialisierungs”-Forderungen und die Arbeiterkontrolle in den Betrieben hinweg.

 

Die Gewerkschaften führten schließlich noch eine Auseinandersetzung um ihre Mitbestimmung in den Betrieben. Ihre geplanten und vorbereiteten Streiks führten sie aber nicht durch und beugten sich dem Parlamentsbeschluss über das Betriebsverfassungsgesetz. Nur in der Montanindustrie – bei Kohle und Stahl – gab es durch die Streikdrohung eine erweiterte Mitbeteiligung in Aufsichtsrat und Unternehmensvorstand durch Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre. Aber auch diese Möglichkeit der ArbeiterInnenkontrolle haben sie sich inzwischen aus den Händen nehmen lassen. (Erich Kassel, persönliche Mitteilung, März 2003, Kassel@net-special.de)«

 

[3] »Der transnationale Aktionsradius der Konzerne und der unregulierte Kapitaltransfer schaffen eine politische Allmacht, die eine noch nie dagewesene Globaldiktatur aufschimmern läßt. Wer Standorte gegeneinander ausspielen kann, wer darüber entscheidet, wo Betriebe ausgebaut oder geschlossen, wo Arbeitsplätze erhalten oder vernichtet werden, welche Währung steigt oder welche ruiniert wird, welcher Tropenwald zur Wüste, welches Gebiet durch Hunger, Bürgerkrieg oder Seuchen entvölkert wird - der kann die eigenen Interessen politisch und militärisch, auf der Erde und im All durchsetzen.«, "Enteignung für die Demokratie", TAZ 6./7.10.2001, Dieter Dehm, Horst Heininger.

 

Ein aktuelles Beispiel ist der Schutz der Landwirtschaft und Textilwirtschaft der Industrieländer vor Konkurrenz aus sog. Entwicklungsländern.

 

»Die Anhäufung grosser öffentlicher Schuldenberge in den westlichen Ländern hat den Finanzeliten einen politischen Hebel an die Hand gegeben und sie mit der Macht ausgestattet, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierungen zu diktieren. (S. 25, ...)

Allüberall werden die gleichen ökonomischen Rezepe befolgt. Unter der Schirmherrschaft von IWF, Weltbank und WTO schaffen die marktliberalen Reformen günstige Bedingungen für global operierende Banken und multinationale Konzerne. Tatsächlich jedoch handelt es sich gar nicht um ein System "freier Märkte": Trotz der neoliberalen Rhetorik nämlich stellen die von IWF und Weltbank eingeforderten "strukturellen Anpassungsprogramme" nur einen neuen interventionistischen Rahmen dar. (S. 32,33, ...)

Diese neue Form der ökonomischen und politischen Herrschaft - eine Form des "Marktkolonialismus" - unterjocht Menschen und Regierungen durch das scheinbar neutrale Spiel der Marktkräfte. (...) Die Umstrukturierung der Weltwirtschaft unter Führung von IWF und Weltbank nimmt Entwicklungsländern zunehmend die Möglichkeit, ihre Volkswirtschaften eigenständig aufzubauen. Stattdessen machen die internationalen Finanzorganisationen aus diesen Ländern offene Wirtschaftsgebiete und verwandeln ihre Volkswirtschaften in Reservoirs billiger Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen. (S. 43, ...)

Die Regulierung des Handels nach den Regeln der WTO, verbunden mit einem erweiterten Schutz geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen), ermöglicht es multinationalen Konzernen, lokale Märkte zu durchdringen und ihre Kontrolle über praktisch alle Bereiche der nationalen Fertigungssektoren, der Landwirtschaft und Dienstleitungsökonomie auszuweiten. (S. 48, ...)«

"GLOBAL BRUTAL. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg", Michel Chossudovsky, Zweitausendeins, Frankfurt am Main, Juni 2002.

 

[4] Atomenergie ist schon lange kein regionales und auch kein nationales Problem mehr.
Die durch die Liberalisierung und Globalisierung des Kapitalismus ermöglichten Fusionierungen zu weltweiten Konzernen haben zu bisher nicht dagewesenen Machtkonzentrationen geführt. In der BRD gibt es noch 4 große Energieversorgungsunternehmen (RWE, E.ON, EnBW, Vattenfall/HEW), die aber auch schon europaweit und weltweit eine wichtige Rolle spielen, auch in den Bereichen Gas, Wasser, Öl, Abfall und Dienstleistung - "stell dir vor, daß RWE alle Versorgung bieten kann - alles aus einer Hand", wie die Fernsehwerbung der RWE propagiert.

Im Zuge der Liberalisierung und Globalisierung des Energiemarktes werden nur einige wenige mächtige Energiekonzerne der großen Industrienationen weltweit übrigbleiben.

So wurde der Konsensvertrag der BRD "notwendig", um die Atomenergie fit zu machen für den liberalisierten Markt. Das steht nur scheinbar im Widerspruch dazu, daß auf diesem Markt zur Zeit die Atomenergie ohne Subventionen (z.B.: Verzicht auf genauere Auflagen in Sicherheitsfragen, Verzicht auf Nachweis von schadloser Entsorgung, Verzicht auf realistische Deckungsvorsorge für den Fall einer nuklearen Katastrophe, keine Besteuerung des Brennstoffs Uran und der milliardenschweren Entsorgungsrücklagen) gar nicht überlebensfähig wäre. Das alles hat mit Ausstieg aus der Atomenergie nichts zu tun - das Gerede vom Ausstieg ist erst einmal reine Propaganda! Es geht hauptsächlich um die Bestandssicherung der bereits laufenden Reaktoren. Unter dem Etikett "Ausstieg" wird versucht, Akzeptanz für deren langjährigen Weiterbetrieb zu schaffen.

 

Durch die Globalisierung und Liberalisierung des Energiemarktes hat der Staat sich weitgehend aus der Verantwortung für die Energiepolitik herausgezogen und die Entscheidung darüber perspektivisch an den Markt abgegeben; praktisch heißt das, an die großen Konzerne der reichen Industrienationen.

Damit ist die Energiepolitik weitgehend einer Gestaltung und Kontrolle durch Staat und Kommune entzogen. Vor diesem Hintergrund sollte sich der Widerstand gegen Atomtechnologie global verorten und sich in den Kontext der "Neuen Weltordnung" einordnen und sich nicht als eine rein technologische und regionale Frage begreifen (s. ausführlich: Rede auf der Kundgebung gegen die Jahrestagung Kerntechnik 2002, 11.05.02, Stuttgart, "Wir wollen ein anderes Leben, wir wollen eine andere Welt!", Fritz Storim, Schwarzer Faden, Nr. 75, 2/2002; www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv).

 

[5] s. z.B. AtomKonsensvertrag und die Verhandlungsergebnisse zu KWK/CO2- Emission oder zur Höhe der Versicherungssumme bei AKW-Unfällen oder auch die Verhandlungen um das geheime Multilaterale Investmentabkommen (MAI) von 1998. s. »"Atomkonsens" - statt Atomausstieg, Einstieg in den liberalisierten Markt!«, KöXüs (EmigrantInnenZeitschrift), Nr. 14, Winter 00/01, Fritz Storim; www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv).

 

[6] s. hierzu: Heinrich Hannover, "Aus der Geschichte gelernt?", www.Heinrich-Hannover.de .

 

[7] Michel Chossudovsky sieht das folgendermaßen: »Der Öffentlichkeit als "Kampagne gegen den internationalen Terrorismus" präsentiert, dient der Einsatz der amerikanischen Kriegsmaschine in Wahrheit jedoch der Ausweitung der amerikanischen Einflusssphäre nicht nur in Zentralasien und dem Nahen Osten, sondern auch auf dem indischen Subkontinent und in Fernost. (...)

Die Ideologie der "Schurkenstaaten", die das Pentagon bereits während des Golfkrieges 1991 entwickelte, dient als Rechtfertigung, um aus "humanitären Gründen" Krieg gegen Länder zu führen, die sich nicht der Neuen Weltordnung und den Grundannahmen des Systems "freier" Märkte fügen. (S. 11, ...)

Und viel deutet darauf hin, dass dieser Krieg (gemeint ist der Krieg in Afghanistan) lange vor dem 11. September geplant worden war - in Verfolgung übergeordneter strategischer und wirtschaftlicher Ziele. (S. 370, ...)

Amerikas neuer Krieg dient dazu, das globale Marktsystem auszuweiten und den US-Konzernen zugleich neue Räume zu öffnen. (S.389, ...)

Doch besteht das Ziel nun nicht länger in der Eindämmung des Kommunismus, sondern darin, Russland und China daran zu hindern, konkurrierende kapitalistische Mächte zu werden. (S. 409, ...)

Das verschwiegene Ziel dieses Krieges ist die Rekolonialisierung nicht nur Chinas und der Länder des ehemaligen Ostblocks, sondern auch des Irans, des Iraks und des indischen Subkontinents - eine Rekolonialisierung, bei der es darum geht, zugunsten eines grenzenlos globalisierten Marktsystems souveräne Staaten in offene Territorien zu verwandeln. Und zur Erzwingung mörderischer Marktreformen sind dann eben auch militärische Mittel nicht ausgeschlossen. Krieg und Globalisierung gehen Hand in Hand. (S. 414, ...) «

"GLOBAL BRUTAL. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg", Michel Chossudovsky, Zweitausendeins, Frankfurt am Main, Juni 2002.

 

[8] Bundesministerium für Verteidigung, Nov. 1992; www.antmilitarismus.de

 

[9] aus: "Fluchtursachen bekämpfen - den Krieg stoppen - Fluchtwege öffnen - Abschiebungen verhindern", Aktionsbündnis gegen Abschiebung Rhein-Main, www.aktivgegenabschiebung.de/download/irakflyer.pdf

 

[10] Das ist durchaus etwas ganz anderes, als die Marxssche Diskussion meint, wenn sie von Subjektwerdung in einer sozialistischen Gesellschaft redet, oder als die Diskussion in der Autonomen Bewegung meint, wenn dort von Selbstbestimmung/Eigenverantwortlichkeit und Kollektivität als zwei Seiten einer Medaille, als untrennbare Einheit die Rede ist/war. In der  neoliberalen Begrifflichkeit fällt die kollektive Seite ganz weg.

 

[11] » Arbeit, die seit Adam Smith als die allen Waren gemeinsame Wertsubstanz gilt, hört unter diesen Umständen auf, in Zeiteinheiten messbar zu sein. Nicht die abgeleistete Arbeitszeit, sondern die „Verhaltenskomponente“ und die Motivation gelten als ausschlaggebende Wertschöpfungsfaktoren. Die Firmen betrachten sie als ihr „Humankapital“. Die Frage, wie sich das Kapital des ganzen Menschen bemächtigt und ihn total „mobilmachen“ kann, wurde durch den Abbau des vertraglichen Lohnverhältnisses gelöst: Die Erwerbstätigen sollen zu Unternehmern werden, die selbst in industriellen Großunternehemen (etwa VW und Daimler-Chrysler) für die Rentabilität ihrer Arbeit einstehen müssen. Sie müssen durch den Konkurrenzkampf gezwungen werden, den Druck der Verwertungslogik zu verinnerlichen. An die Stelle des Lohnabhängigen soll der Arbeitskraftunternehmer treten, der für seine Ausbildung, Weiterbildung, Krankenversicherung usw. selbst sorgt – „die Person ist ein Unternehmen“. An die Stelle der Ausbeutung tritt die Selbstausbeutung und Selbstvermarktung der „Ich-AG“, von denen die großen Firmen profitieren, die die Kunden der Selbstunternehmer sind.«

André Gorz, »Wissen, Wert und Kapital, zur Kritik der Wissensökonomie«, S. 10, Rotpunktverlag, Zürich, 2004.

 

[12] Fritz Storim, »Die DefinitionsMacht und die Gutmenschen - sie halten sich alle für gute Menschen, die nur eins wollen: „Leid“ abschaffen oder gar dafür sorgen, dass „Leid“ erst gar nicht entsteht!«, Sept. 03, www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv.

 

[13] Paula Brandish, Erika Feyerabend, Ute Winkler (Hg.): Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Beiträge zum 2. Bundesweiten Kongreß Frankfurt 1988, München 1989, S. 277 ff.

 

[14] Aus: "Gouvernementalität der Gegenwart, Studien zur Ökonomisierung des Sozialen", Herausgegeben von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke, Suhrkamp Taschenbuch, Wissenschaft, Frankfurt am Main 2000.

 

[15] Ich bin seit einigen Semestern an einem Seminar an der Universität Bremen beteiligt, das sich unter dem Thema »Neue Technologien, Menschenbild und Ethik vor dem Hintergrund der Liberalisierungs- und GlobalisierungsOffensive« u.a. auch mit Reproduktionstechnologien, Bio- und Gentechnologie, den Motivationen, die hinter dieser Entwicklung stecken und deren gesellschaftliche Auswirkungen befaßt.

Nach langen Studien und vielen Diskussionen kam das Bedürfnis auf, uns mit unseren Arbeitsergebnissen einer größeren Öffentlichkeit zu stellen und zu vermitteln: raus aus dem Elfenbeinturm der Universität - nicht nur studieren, um immer klüger zu werden, sondern die "Wahrheiten" an der gesellschaftlichen Realität zu überprüfen.

Wir verfaßten einen Text, wissenschaftlich logisch und widerspruchsfrei - dazu sind wir ja in der intellektuellen Diskussion geschult - in dem wir "beweisen", daß alle, Oma und Opa, die Angehörigen, die Gesellschaft nur Vorteile hätten und glücklicher wären, wenn Oma und Opa sich entsorgen ließen- selbstverständlich freiwillig und ohne Gewalt und in einem "würdigen" Rahmen. Wir wollten diesen Text öffentlich machen, Kontakte und Beratung anbieten, und erwarteten empörte Reaktionen und dachten darüber ins Gespräch zu kommen.

Aber wir waren uns in unserer Einschätzung doch nicht so ganz sicher und auch nicht, ob dieses Vorgehen moralisch zu vertreten ist, vielleicht als zynisch verstanden wird und sprachen deshalb mit unterschiedlichen Menschen, z.B. mit Menschen, die in Altenpflegeeinrichtungen arbeiten, die verstärkt auf Assistenz anderer Menschen angewiesen sind, die sich in Krüppelgruppen organisieren u.a.

Wir kamen dann zu einer gemeinsamen Einschätzung: Unser Aufruf wird nicht als Provokation verstanden werden, um auf bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse/Entwicklungen hinzuweisen, sondern wir werden aufgesucht werden, um sich im Sinne der Aufforderung unseres Aufrufs beraten zu lassen - also wir würden vielleicht genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir eigentlich erreichen wollten. Das hat uns erst einmal doch sehr erschrocken gemacht und wir haben das Projekt nicht gestartet.

Daran knüpfen sich viele Fragen an diese Gesellschaft, z.B. an Begriffe wie "Solidarität" und "Nützlichkeit".

 

[16] Die Fabrik setzt sich aus ArbeiterInnen zusammen, die sich alle individuell als Gesamtfabrik verstehen.

 

[17] »Ist Solidarität unter rationalen Egoisten möglich?«, Rainer Hegselmann, Impulse aus der Forschung, Universität Bremen, Nr. 18, Oktober 1994.

 

[18] Hier sehe ich auch die Funktion der RZ-Prozesse, die gerade in Berlin stattfanden. Meiner Einschätzung nach, geht es den staatlichen Instanzen dabei nicht haupsächlich um die konkreten Taten, um die Beschuldigten, oder um Rache. Es geht ihnen darum, zu demonstrieren, daß antagonistischer Widerstand keine Chance hat, zu vermitteln: "wir kriegen euch alle, auch wenn es Jahrzehnte dauert"; um damit die Hoffnung auf Veränderung durch eigenes Tun zu zerstören oder gar nicht erst wieder aufkommen zu lassen, sie vollkommen aus dem Bewußtsein, die Begrifflichkeit darüber auszulöschen.

Aus dieser Einschätzung wäre den Angeklagten, VerteidigerInnen und allen anderen Beteiligten und Betroffenen eine ganz besondere Verantwortung erwachsen. Wir können unsere Geschichte nicht einfach abhaken, uns von ihr distanzieren, sie verdrängen oder vergessen, um dann irgendwie wieder neu von vorne anzufangen und weiterzumachen. Aus der Verantwortung für unsere Geschichte und durch die Auseinandersetzung mit ihr können wir Vorstellungen von Veränderung und Emanzipation entwickeln.

 

[19] Hauke Benner, "Die Globalisierung der Ökonomie oder die Ökonomisierung des Globus", www.MAUS-Bremen.de unter: Textarchiv, Nov. 98.

 

[20] Aus der Selbstdarstellung der Meßstelle für Arbeits- und UmweltSchutz (MAUS e.V.) - Bremen: www.MAUS-Bremen.de.

 

[21] So ist auch die Frage, ob sich der Salzstock Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Stoffe eignet oder nicht, nicht zu beantworten, in dem nach einer vermeintlich technischen, "objektiven Wahrheit" gesucht wird. Die gibt es nicht - denn in die technischen Fragestellungen und auch in die Ergebnisse (die immer Interpretationen sind) gehen das jeweilige Menschenbild/Gesellschaftsbild, die jeweiligen politischen/ökonomischen Vorstellungen/Interessen mit ein.

Das, was für die Anti-AKW-Bewegung "nicht geeignet" heißt, kann für die Atomindustrie oder die Regierungen durchaus "geeignet" heißen. Und da führt der Streit um die technischen Details weg von den eigentlichen gesellschaftlichen Widersprüchen. Das trifft auch für die Forderung zu, “außerhalb von Gorleben nach einem “geeigneten” Standort zu suchen”. Sie stellt die weitere Produktion von Atommüll nicht in Frage, sondern suggeriert, dass ein geeignetes Endlager prinzipiell denkbar ist und nur an anderer Stelle gesucht werden muß. Und legt den Verdacht nahe, dass versteckt dafür plädiert wird, das Problem von der eigenen Haustür an einen andern Ort zu verlagern.

Oder ein anderes Beispiel:

»Die Weltbank gibt sich alle Mühe, ihre Thesen (wie z.B. "die Offenheit für den Welthandel hat der Wirtschaft der Dritten Welt eindeutig geholfen") als wissenschaftlich fundiert, streng rational, unpolitisch und werturteilsfrei erscheinen zu lassen. ...

Ebenso wie das Wetter erscheint der Markt als gegeben, quasi-natürlich und schicksalshafte Größe, der sich die Menschen anzupassen haben. ...

Sowohl die Praktiken der Unternehmen als auch die ihnen zu Grunde liegende Funktionsweise des Kapitalismus werden durch ihre Naturalisierung einer ethischen und politischen Diskussion entzogen. ...

Das Problem der Armut wird so dargestellt, als seien die Armen durch schlechte Regierungsführung oder soziale und politische Ausgrenzung an einer effektiven Teilnahme an der Marktwirtschaft (und damit an ihren wohlstandshebenden Wirkungen) gehindert. Marktorientierte Reformen, die ihnen diese Teilnahme ermöglichen, kämen ihnen daher zugute.«

aus: Dram Ziai, "Die Bank, die Armen und der Markt. Ideologische Diskurstrategien der Weltbank", Blätter des Informationszentrums 3. Welt, Nr. 265, Sonderheft Globalisierungskritik, Dez. 2002.

 

[22] Hannah Arendt, "Eichmann in Jerusalem, ein Bericht von der Banalität des Bösen"; Piper Verlag, München, 1999.

 

[23] "Kommandant in Auschwitz, autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß", herausgegeben von Martin Broszat; dtv, Dokumente, Nr. 2908, München 1994.

Aus der Einleitung von M. Broszat:

» ... Am Falle Höß wird in aller Eindeutigkeit klar, daß Massenmord nicht mit persönlicher Grausamkeit, mit teuflischem Sadismus, brutaler Roheit und sogenannter "Vertiertheit" gepaart zu sein braucht, welche man sich naiverweise als Attribut eines Mörders ausdenkt. Höß` Aufzeichnungen widerlegen diese allzu einfachen Vorstellungen radikal und offenbaren stattdessen als Porträt des Mannes, bei dem die Regie täglicher Judenvernichtung lag, einen Menschen, der alles in allem recht durchschnittlich geartet, keineswegs bösartig, sondern im Gegenteil ordnungsliebend, pflichtbewußt, tierliebend und naturverbunden, ja auf seine Weise "innerlich" veranlagt und sogar ausgesprochen "moralisch" ist. Höß ist, mit einem Wort, das exemplarische Beispiel dafür, daß private "Gemüts"-Qualitäten nicht vor Inhumanität bewahren, sondern pervertiert und in den Dienst des politischen Verbrechens gestellt werden können (S. 19). ...

Höß` Autobiographie verdeutlicht, daß es nicht irgendein verkommener Auswurf der Menschheit war, der die Technik des Massenmordes erfand und durchführte, sondern das Werk ehrgeiziger, pflichtbesessener, autoritätsgläubiger und prüder Philister, die, in Kadavergehorsam erzogen, kritik- und phantasielos mit bestem Gewissen und Glauben sich einredeten und sich einreden ließen, die "Liquidierung" hunderttausender von Menschen sei ein Dienst für Volk und Vaterland (S. 22). ...«

 

[24] Felicia Langer, "Quo vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser", Lamuv Verlag, Göttingen 2001.

Felicia Langer, in Polen geborene Jüdin, als Kind mit der Familie vor den Nazis geflohen, nach dem Krieg nach Israel ausgewandert. Mehr als 20 Jahre hat sie als Anwältin PalistinenserInnen juristisch verteidigt. Seit 1990 lebt sie in der BRD.

 

[25] Istvan Eörsi, "Das Ende des Überlebens. Was lernt man aus dem Holocaust für den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern? Auf der Seite der Verfolgten zu stehen und wahrhaftig zu sein.", Die Zeit, 29/2002.

Istvan Eörsi wurde 1931 in Budapest geboren. Er überlebte das Budapester Ghetto. Die gesamte Familie seines Vaters und weitere Familienangehörige wurden von den Nazis ermordet.

 

[26] s. "Naher Osten, Ferner Westen. Der Israel/Palästina - Konflikt und die Linke in der BRD." Hamburg, August 2002, www.MAUS-Bremen.de unter:Text Archiv.

 

[27] Um nur einige Beispiele zu nennen: die Proteste gegen die Jahrestagung des IWF und der Weltbank in West-Berlin (26. – 29.9.1988), die Rebellion der Zapatisten in Mexiko (am 1. Jan. 1994 begann der zapatistische Aufstand in Chiapas), oder der weltweite Widerstand gegen den globalen Markt, "Frei"-Handel und die Welthandelsorganisation (WTO), die Auseinandersetzungen gegen die WTO in Seattle (November 1999) und in Washington (April 2000), oder die Aktionen von 500 indischen BäuerInnen von der "Interkontinentalen Karawane" und die "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" gegen den Gipfel der Europäischen Union und den Weltwirtschaftsgipfel in Köln (Juni 1999), oder die Diskussion um die Charta 2000 (Informationen dazu s. www.raison.org ), die Proteste gegen die Konferenz des IWF und der Weltbank in Prag (Sept. 2000), den EU-Gipfel in Göteburg (Juni 2001), den Klimagipfel in Bonn, das Treffen der Staats- und Regierungschefs der sieben reichsten Industrienationen und Russland (G8) in Genua (Juli 2001, dem sich über 300.000 Menschen entgegenstellten. Es kam zu brutalen Übergriffen der Polizei, ein Demostrant - Carlo Guilliani - wurde erschossen, viele wurden verhaftet und noch in Haft mißhandelt), die Ministerkonferenz des WTO in Doha (Nov. 2001), den EU-Gipfel in Brüssel (Dez. 2001), das Weltwirtschaftsforum in New York (Feb. 2002), die Sicherheitskonferenz (Wehrkundetagung) in München (Feb. 2002), der EU-Gipfel in Barcelona (März 2002, mit etwa 300.000 DemonstrantInnen), den G8-Gipfel in Kananaskis/Kanada (Juni 2002), den EU-Gipfel in Sevilla/Spanien (Juni 2002), ...

Unter dem Motto "eine andere Welt ist möglich", trafen sich auf dem ersten WeltSozialforum (Feb. 2001) in Porto Alegre/ Brasilien, ehemals als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos geplant, etwa 60.000 Menschen aus aller Welt.

Inzwischen haben fünf WeltSozialforen stattgefunden (2002, 2003, 2005 in Porto Alegre, 2004 in Mumbai/Indien) und drei europäische Sozialforen (2002 in Florenz, 2003 in Paris, 2004 in London) und es fand im Juli 2004 die dritte europäische Konferenz des weltweiten Netzwerks Peoples` Global Action (PGA) in Belgrad/Serbien statt.

(www.forumsocialmundial.org.br/ , www.agp.org , www.attac.de )

 

In einem Aufrufflugblatt gegen eine Neoliberalismuskonferenz am 24./25. April 2001 in Frankfurt heißt es: »Die Karawane der 500 indischen Bäuerinnen und Bauern wird auf die dramatische Verschlechterung der Lebenssituation von nahezu 75% der indischen Bevölkerung aufmerksam machen, die durch die schnelle Verbreitung der Freien Marktwirtschaft hervorgerufen wurde. Insbesondere die Freihandelsabkommen und die Auflagen der WTO, die "Dritte-Weltländern" verbietet, ihre Wirtschaft bzw. ihren Binnenmarkt zu schützen, ermöglicht es den Multinationalen, die einheimischen BäuerInnen vom Markt zu verdrängen und ihnen ihre Lebensgrundlage zu entziehen.«

 

[28] „... Wer sich mit der Marktliberalisierungspolitik der WTO auseinandersetzt, lehnt auch die Privatisierung lokaler öffentlicher Verkehrsbetriebe ab, weil diese nur eine andere Facette der globalen Enteignungsökonomie vor unsereer Haustür ist. Genauso ermöglicht ein genaues Verstehen der Politik der Institutionen des globalen Empire, die selben Phänomene der Verarmung, Enteignung und Entrechtung bei Hartz IV wiederzuentdecken. Hartz IV funktioniert nach der Logik eines Strukturanpassungsprogramms des IWF und ist in diesem Sinne keine innerpolitische Angelegenheit. ...

Die Hartz-Gesetze sind der konkrete Ausdruck dieses globalen Projekts von Verarmung und Enteignung, weil es gerade den Besitz der Ärmsten zur Disposition stellt; von Entrechtung, weil der Verlust des Arbeitsplatzes mit Arbeitszwang und sozialem Abstieg einhergeht; und von verschärfter Präkarisierung von Arbeitsverhältnissen, weil somit eine noch viel stärkere Disziplinierung möglich gemacht wird. Eine Politik, deren Grundrichtung falsch ist, verdient kein ambivalentes „Einerseits-Andererseits“, sondern ein unmissverständliches Ya Bsta – Es reicht! ...“

»Das prodiktive Nein. Schlaue Fragen reichen nicht mehr aus – Attac muss klare Antworten liefern und machbare Alternativen aufzeigen.« Alexis Passadakis, Pedram Shahyar, TAZ, 10.02.05.

 

[29] Ohne den VertreterInnen dieser Positionen irgendeine Form nationalsozialistischer oder antisemitischer Nähe zu unterstellen und mit dem Wissen, dass solche Vergleiche in letzter Zeit oft gemacht werden, um den Holocaust für konkrete politische Ziele zu instrumentalisieren, möchte ich auf einen historischen Aspekt dieser Diskussion hinweisen. Sie erinnert mich an die Vorstellungen/Ideologie im NationalSozialismus, wo zwischen "raffendem" und "schaffendem" Kapital unterschieden wurde. Zu den VertreterInnen des "raffenden" Kapitals wurden damals die Juden gemacht und das wurde dann u.a. zur Legitimation für ihre Verfolgung und Ermordung herangezogen, die VertreterInnen des "schaffenden" Kapitals waren die "guten Deutschen" die dann im Rahmen von "Volksgemeinschaft" zu den gesellschaftlichen Eliten gehörten.

 

[30] „Das reiche Fünftel (20 %) der Weltbevölkerung in den OECD-Staaten ist verantwortlich für mehr als 80 % des Verbrauchs von Energie aus nicht erneuerbaren Ressourcen, sowie für mehr als 80 % des Schadstoffeintrags in die Biosphäre. … Mit unserer ökologisch nicht tragbaren Lebens- und Produktionsweise beteiligen wir uns weltweit an einem chauvinistischen Selektionsprozess, der andere unmittelbar ihrer Lebenschancen beraubt.“

Saral Sarkar, Bruno Kern, »Ökosozialismus oder Barbarei, eine zeitgemäße Kapitalismuskritik«, Herausgeber: Initiative Ökosozialismus, Köln und Mainz, Mai 2004.

»Jenseits des nationalen Sozialstaats: Weltbürgerliche Solidarität. Medico-Thesen zu einem globalen Projekt sozialer Gerechtigkeit.« www.medico-international.de/projekte/gesundheit/sozsicherung.pdf